Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 4)

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Für die Kinder der ganzen Welt gibt es 
nur einen richtigen Weihnachtsmann: Deutsch 
land. Dieser Weihnachtsmann ist freilich keine 
einzelne Person, die sich ein modernes Kind 
etwa als den Generaldirektor einer Riesen- 
puppenfaürik vorstellen könnte. Nein, der 
Weihnachtsmann Deutschland gliedert sich t« 
eine große Zahl von Fabriken und Heim- 
arbeitsbelriebcn, die um Nürnberg und Son- 
Neberg herum das ganze Jahr über für den 
Weihnachtsüeöars der Welt sorgen. Tie Spiel 
warenausfuhr Deutschlands ist größer als die 
Spielwarenproduktion aller anderen Länder 
der Welt. Wir exportieren jährlich 460 000 
Doppelzentner Spielwaren im Werte von 
120 Millionen RM. Diese Ausfuhr wird 
Deutschland nicht gerade leicht geinacht, denn 
zahlreiche ausländische Spie-' industriell 
bemühen sich, die deutsche :nz ans 
dem Felde zu schlagen. So nament 
lich die billige japanische Pu> . oie deutsche 
Puppe zu verdrängen, — ohne Erfolg. Das 
kleine Mädchen in Frankreich bekommt zu 
Weihnachten deutsche Puppen, trotz aller Sach 
lichkeit liebt auch die kleine Amerikanerin 
zärtlich ihr deutsches Puppenkind und sogar 
in China wie am Kongo zeigt die deutsche 
Puppenausfuhr steigende Tendenz. Auch in 
der Produktion jener Art Spielzeug, die 
unter dem Sammelbegriff „produktives Spiel 
zeug" in den letzten Jahren einen großen 
Aufschwung genommen hat, steht Deutschland 
an der Spitze. 
Eigenartig und bemerkenswert ist diese 
Tätigkeit Deutschlands als Weihnachtsmann 
der Welt vor allem deshalb, weil in diesem 
Industriezweig keinerlei Maschinen oder son 
stige moderne Produktionsmethoden Deutsch 
land an die Spitze gebracht haben, denn die 
deutsche Spielzeugindustrie ist zu einem sehr 
wesentlichen Teil Heimarbeit, in der Sonne 
berger Gegend gibt es keine Maschinen für 
Spielwaren, sondern allein T'ausende von 
fleißigen Menschen, die in hellen Bauernstu 
ben das Spielzeug verfertigen und es nach 
einem Verlegersystem weiterverkaufen. Aber 
auch für die Nürnberger Industrie, die in der 
Hauptsache mit Maschinen arbeitet, gilt der 
Satz, daß das deutsche Spielzeug sich nicht 
durch Maschinen, sondern durch Ideenreich 
tum seinen Platz in der Welt behauptet hat. 
In einer ausländischen Zeitschrift schrieb 
kürzlich einmal ein Pädagoge: „Wir bevor 
zugen das deutsche Spielzeug, weil es gleich 
zeitig ein Höchstmaß an Naturwahrheit, an 
Phantasiereichtum enthält." 
So ist der deutsche Weihnachtsmann für 
uns nicht nur ein Geschäftsfaktor, sondern 
gleichzeitig im Ausland die Versinnbild 
lichung deutscher Qualitätsarbeit und deut 
scher Kulturidee. Puppen und Eisenbahnen, 
Baukasten und Hampelmänner werben mit 
460 000 Doppelzentner Gewicht für Deutsch 
land. Wobei es natürlich ist, daß in den nor- 
taaten die Puppen Und in den U. S. 
A. das technische Spielzeug dominieren. Nur 
Bleisoldaten will man (Zeichen der Zeit) nir 
gends in der Welt mehr haben. 
Meyer wir- nervös. 
Weihnachtserzählung von Otto Neurath. 
Es ging auf Weihnachten. In den Straßen 
drängten sich schon die Käufer in dichten Scharen 
und die Kinder sangen in allen Ecken und Höhen 
lagen das Lied von der gnadenbvingenden Weih 
nachtszeit. Meyer wäre am liebsten die Wände 
hochgegangen. 
Er tobte zuhause, wenn seine Frau am Herd 
stand und sang, er schimpfte, wenn seine Sekretärin 
ein Lied vor sich hin summte und raste wie ein Be 
sessener, wenn seine Tochter eine VKihnachtsplatte 
auf die Sprechmaschine legte. 
Es ging ihm gegen den Strich. Dabei freute 
er sich wie alle anderen auf das Fest und hörte 
auch die Weihnachtslieder gern, aber ... ja, das 
aber war es eben gerade ... er wollte sie nur am 
Weihnachtstag hören. Sie gehörten für ihn zum 
brennenden Tannenbaum, wie der Karpfen zum 
Neujahrstisch. 
Es kam jedoch für Meyer noch viel schlimmer! 
Als er eines Abends nachhause kam und sich nach 
dem Abendbrot gemütlich vor seinen Lautsprecher 
setzte, um ein paar hübsche Musikstücke anzuhören, 
klangen ihm die hauchzarten Töne des alten Kir 
chenliedes „Vom Himmel hoch . . ." entgegen. 
Wütend sprang er auf, riß zuerst den Kontakt 
heraus, besann sich dann aber wieder und beschloß 
Berlin anzuhören. Doch auch dort hatte er kein 
Glück. Hell und fröhlich frohlockten die Stimmen 
„Ihr Kinderlein kommet!" Also München. Nicht 
besser. „Morgen kommt der Weihnachtsmann". 
Vielleicht waren sie in Leipzig vernünftiger. Meinte 
er. Der wundervoll vortragende Chor „Stille 
Nacht, heilige Nacht . . ." belehrte ihn eines besse 
ren. Köln erfreute seine Hörer durch den Choral 
„O sanctissima!" 
Blieb nur noch das Ausland. Aber auch dort 
orgelten, jubelten und jauchzten alle Stimmen und 
Instrumente Weihnochtslieder und noch einmal 
Weihnachtslieder. 
Da riß Meyer den Kontakt endgültig heraus, 
stülpte den Hut über den Kopf und fauste ins 
Schneetreiben hinaus, das ihm allmählich seine Rühe 
wieder gab. 
Müde und matt schleppte er sich die Treppe 
hinauf. Als er ins Zimmer kommt, lacht ihm seine 
Frau verheißungsvoll entgegen . 
„Du kommst zur rechten Zeit, Fritz! Der An 
sager hat gerade mitgeteilt, daß sie jetzt aus Berlin 
ein Weihnachtspotpourri übertragen." 
Meyer war erschlagen. Er nickte friedlich und 
hörte sich gottergeben den Liederreigen an. Auch 
das ging vorüber. 
Schmunzelnd hörte er am anderen Morgen, daß 
der Sturm in der Nacht die Antenne zerrissen hätte. 
Vor dem Fest wollte er sie bestimmt nicht wieder 
ausbessern lassen. Aber beim Mittagbrot legte ihm 
seine Frau die Rechnung vor die Nase. „Für Aus 
bessern einer Antenne . stand da in hohnlächeln 
den Buchstaben. Auch das noch! 
Meyer beschloß die nächsten Abende im Geschäft 
zuzubringen. 
Vrrnk§ Weit 
England wehrt sich gegen die Quäkertradition. 
Eine große Mehrheit des englischen Volkes ist 
>>ch längst darüber klar, daß die Sonntage von 
einem unerträglichen Grau gähnender Langeweile 
beschattet werden. Immer stürmischer wird die 
Forderung erhoben, daß Theater und Kinos auch 
am Sonntag ihre Pforten offen halten. Die junge 
Generation protestiert energisch gegen dos vor 150 
Jahren erlassene Gesetz, das die Engländer am 
Sonntag zum Verzicht auf jede Unterhaltung ver 
urteilt. Natürlich lassen es sich die Direktoren der 
Kinos und Theater angelegen sein, das Feuer die 
ser Bewegung zu schüren. Der Londoner Graf 
schaftsrat hat dann auch seit Jahren schon die 
Praxis befolgt, den Kinos das Spiel am Sontag 
zu gestatten, allerdings unter gewissen Bedingungen. 
Zu diesen gehören, daß die gebotene Unterhaltung 
„anständig und frei von allem sei, was die geistige 
und moraliiche Gesundheit der Zuschauer beeinträch 
tigen könnte", daß ferner keine Angestellten am 
Sonntag beschäftigt werden, die eine siebentägige 
Arbeitswoche hinter sich haben, und daß endlich der 
ganze Reingewinn Wohltätigkeitsanstalten über 
wiesen muß. An dieser Praxis hätte sich auch nichts 
geändert, hätten nicht die Direktoren der Theater, 
Singspielhallen und anderer Unterhaltungsstättcn 
dagegen protestiert, daß den Kinos auf diese Weise 
ein besonderes Vorrecht eingeräumt wurde. Sie 
verlangen, daß, was diesen recht, auch ihnen billig 
sein müsse, und der angerufene Oberste Gerichtshof 
hat ihnen auch Recht gegeben, indem er die Ver 
fügung des englischen Erafschastsrats als ungesetzlich 
erklärte. Trotz diesem Gerichtsurteil halten einige 
der Kinotheater weiterhin ihre Pforten am Sonntag 
geöffnet und berufen sich dabei auf das durch den 
englischen Grafschaftsrat geschaffene Gewohnheits 
recht. Diese Uebung dürfte zu einem neuen Prozeß 
führen, dem man mit großer Spannung entgegen 
sieht. Das Publikum steht vollständig auf Seite 
der widerspenstigen Kinobesitzer und drängt sich, 
um der sonntäglichen Langeweile zu entgehen, in 
Scharen zu den Theatern. Der „Verband zum 
Schutze der öffentlichen Unterhaltung" hofft aber, 
daß das Durcheinander schließlich zu einem Macht- 
spruch der Regierung führen und die Aufhebung 
der veralteten Sonntagsgesetzgebung zur Folge 
haben wird. 
Das Telephongespräch. 
Auf der ganzen Erde wird telephoniert, aber 
die „Telephonspvache" ist doch überall etwas anders. 
Wenn der Berliner eine telephonische Verbindung 
wünscht, ruft er: „Bitte" und nennt Amt und 
Nummer; der Angerufene nwlbci sich: „Hier 
während der Londoner zuerst fragt: „Are you 
there?" — „Sind Sie hier?" — und der Franzose 
gleich ankündigt: „I' ecoute!" — „Ich höre!" —. 
Auch der Amerikaner leitet, ebenfalls wie der Ber 
liner, das Gespräch mit einem: „Number please!" 
— „Bitte die Nummer" ein. Der Chinese aber weiß, 
was er seinem Ruf als höflicher Mann schuldig ist, 
und bitte umständlich: „Day Huey bin she ah!", 
d. h. etmo, man möge die Güte haben, ihn mit der 
richtigen Nummer zu verbinden. In Berlin und 
Paris ist das Telephonfräulein ein „Fräulein" oder 
eine „Mademoiselle", in London jedoch ein „Hello- 
Girl", unid in China siìhrt das Telephonfräulein 
den Titel: „Din w«„ sin gay fnnl", was soviel be 
deutet wie „eine Person, die Sorge trägt, daß eine 
Telephonverbindung zustande kommt.". Für den 
Neuyorker dagegen ist das Telephonfräulein nur ein 
Teil des Telephons selbst, sozusagen ein mechanisches 
Stück des gewaltigen Betriebes, ohne das er sich 
sein Leben nicht mehr denken könnte. 
Ueber 2,5 Milliarden für Weihnachtsgeschenke. 
Der Präsident des amerikanischen „CHriftmas- 
Clüb", einer Organisation, der im Lauf des Jahres 
die Spargroschen zufließen, die der Arbeiter all 
wöchentlich für Weihnachtsgeschenke zurticklegt, hat 
di« 8 000 Bankstellen, die diese Spargelder verwal 
ten, angewiesen, mit der Auszahlung der deponier 
ten Gelder statt am 1. Dezember schon am 24. No 
vember zu beginnen. Das bedeutet, daß sich tm 
Laufe der drei ersten Dezemberwochen ein Geldstrom 
von genau 652 Millionen Dollars in die Kassen der 
amerikanischen Geschäftsleute ergießen wird. Man 
kann nur bedauern, daß die Alte Welt auch auf 
diesem Gebiet mit der Neuen Welt wetteifern kann! 
Neuyorks neu« Autohochstraße. 
Das ungeheure Anwachsen des Autoverkehrs 
in Neuyork führte zum Bau einer besonderen, von 
den übrigen Verkehrswegen unabhängigen Hoch 
straße für den Durchgansverkehr quer durch die 
Stadt. Sie führt am Hudsonufer entlang, 22,5 
Kilometer weit in einer Höhe von fünf Metern über 
dem Straßenniveau. Ein Teil der Straße bildet 
einen herrlichen Boulevard, der die Gleise einer Ei- 
senbohnstrecke völlig überdeckt. Außer an den beiden 
Enden führen inmitten der Strecke an einzelnen 
Stellen schräge Rampen zur Hochstraße empor. Sie 
münden in der Mitte der Straße, so daß sich die in 
die Höhe fahrenden Autos, ohne den Weg zu kreu 
zen, gleich dem Verkehrsstrom einfügen können. 
Auf der 18 Meter breiten Dahn ist für sechs Fahr 
zeuge nebeneinander Platz. Man rechnet, daß bet 
einer Höchstgeschwindigkeit von 64 Stundenkilome 
tern stündlich 5000 Autos die Straße passieren kön 
nen. Diese Straße, di« mit den modernsten ver 
kehrstechnischen und feuerpolizeilichen Sicherheits 
einrichtungen versehen ist, wirkt auch ästhetisch recht 
eindrucksvoll. Das erste Teilstück ist bereits dem 
Verkehr übergeben worden. Große Schwierigkeiten 
hat die Fundamentierung von 400 Pfeilern im 
Flußbett neben dem Ufer verursacht, wv der Grund 
aus seit Jahrzehnten abgelagertem Müll und Un 
rat bestand. Für die Zukunft ist bei Anwachsen des 
Verkehrs noch ein zweites Stockwerk über der Straße 
vorgesehen. 
„Warum stellt du dich bloß immer ans Fenster, 
wenn ich singe?" 
„Ach, ich will mich nur den Nachbarn zeigen, 
damit sie nicht denken, ich tu dir was." 
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460060 Doppelzentner Spielwaren für die Welt. 
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flickt die Löcher von der letzten Fahrt; die nackten 
Zehen strammen die Maschen. 
Don Vincenzos Frau kommt aus einem der 
Häuser, wo sie in ihrer Unruhe durch eifrige Re 
den Ablenkung suchte: sie blickt bohrend über die 
erregten Wellen, und auch die Fischer am Strande, 
der Fruchthändler und seine fatzrunde Frau sehen 
hinaus t— alle sprechen beruhigend auf Donna 
Carmela^ ein. Ihr Mann ist heute als einziger 
zum Fischfang gefahren und hat seine beiden 
Fungen als Gehilfen mitgenommen. Aber sie 
werden schon wiederkehren, nur Geduld! 
Nun biegt etwas um das ferne Vorgebirge 
herum,^ im gleichen Augenblick rühren sich heftig 
alle Wartenden, Gesten flitzen empor, und ein 
junger Fischer ruft befreit: „Da ist Vincenzo!" 
Alle waren sie um sein Schicksal besorgt. 
Don Vincenzos Frau hat den Mast ihrer 
Darke längst entdeckt, mid dennoch scheint es, als 
wüchse ihre Angst, gerade weil Mann und Kinder 
wieder im Blickfeld ihrer Augen stehen, denn der 
Weg der Drei ist noch weit. und nun spürt man 
um so deutlicher alle Gefahren, mit denen das 
Meer sie bedrängt. 
Aber sie rollen rhythmisch heran, jede Welle 
trägt sie dem Ufer näher, man erkennt bereits das 
Segel, doch stehe, das Segel ist nichts als ein 
weißer, wehender Fetzen. 
Donna Carmala faltet die Hände, ringsumher 
wird es stumm. Zuweilen steht die Barke wie in 
der Luft. dann verschwindet ste wieder in einem 
tiefen Wellental. 
Nun sieht man, daß drei Köpfe sich unter dem 
Segelrest bewegen, sekundenlang werden winkende 
Arme erkenntlich, dann taucht die Barke von 
neuem hinab. 
Den Männern wird es offenbar, daß Don 
Vincenzo sein Steuer verlor, sie sagen nichts, aber 
alle verfolgen feinen haltlosen Kurs. 
Und sie straffen die Arme, um bereit zu sein 
wenn er sie brauchen sollte. Immer deutlicher 
wird, daß das Boot haltlos schlingert, nur dem 
Stoß der Wellen, keiner eigenen Kraft anvertraut. 
Und plötzlich, schon im vertrauten Halbkreis 
der Bucht, kippt die Barke um und schleudert die 
Mannschaft und ihre bewegliche Habe ins Meer. 
Da wacht ein unendlich langer, in die Höhe 
klimmender Schrei am Strande auf, schrillt rund 
um die Piazetta und dringt bis in die entfern 
testen Gassen, die am kahlen Gestein der steilen, 
schützenden Felsen enden. Dieser Schrei, von Hun 
derten von Kehlen ausgestoßen, doch in der 'Ver 
schmelzung zu einem einzigen geworden, beginnt 
mit den rauhen, unsentimentalen Hilferufen der 
Männer, die schon zu den Booten stürzen und die 
Taue lösen. Er wird von den schrillen Klagelau 
ten der Frauen fortgesetzt, die aus allen Häusern 
eilen, die Hände vor die Gesichter schlagen oder be 
tend zum Himmel heben. Er wird von den hellen 
Stimmen der erregten Kinder weitergetragen, de 
nen niemand eine Erklärung zu geben vermag, 
weil der Schrecken alle Zungen lähmt, so daß sie 
noch weinen und kreischen, als die Fischer längst 
ihre knirschenden Riemen in die schwer andrän 
genden Wellenberge zwingen; als die Frauen 
Donna Carmela in, wieder befreiten Wortschwall 
zu trösten versuchen. 
Menschenleer liegen Häuser und Gassen da, 
und schwarz staut sich die ganze Einwohnerschaft 
des Dorfes — eine einzige Familie in dieser 
Stunde — am gllchtumspülten Strande. Sie se 
hen, daß Don Bincenzo mit erlahmender Kraft 
am pendelnden Kiel seines umgestülpten Bootes 
hängt. Einer der Knaben hält sich an der ent 
gegengesetzten Seite fest, aber den jüngeren hat 
der Vater mit seinen Armen umschlungen, und der 
Knabe zieht ihn hinab 
Schon nähert sich eins der Boote, schräge die 
Wellen zerschneidend, den gekenterten Fischern, 
hunderte von Augen folgen der Rettungsmann 
schaft, es ist als schöben die Energien der War 
tenden sie vorwärts. Und nun ziehen ste drei 
dunkle Gestalten wie leblos, gleich nassen Säcken 
über ihren schützenden Bord. Auch die andern 
kehren um, und als ste alle am Ufer landen, er 
hebt. sich ein neuer anfchlvellender Schrei, der über 
die Wände der Häuser hinweg gegen die Felsen 
stößt: der Freudenschrei über die Rettung von 
dreien der Ihren. Morgen können sie selbst es 
fein, und dann wird Don Bincenzo mit seinen 
Knaben unter den Helfern nicht fehlen. 
Donna Earmela wirft sich Mann und Söh 
nen entgegen, sie küßt die Salztriefenden, die noch 
mit alltagsfernen Augen um sich schauen, als kä 
men sie direkt aus dem Jenseits. 
Lange stehen die Frauen und Kinder vor Don 
Vincenzos Haus, indessen die Männer an der 
Bucht entlang eilen, um das stoßweise nahende 
Strandgut zu suchen. Sie können gar nicht schnell 
genug eintreffen, um Don Vincenzos Habe zu 
bergen, denn schon treibt das Boot heran und 
geht der Gefahr entgegen, sich in Sand und Tang 
zu verbohren. Jacken und Hosen fliegen herunter, 
Alte und Junge steigen mit wehenden Hemden in 
die Wogen, um die Barke emporzuziehen. Das 
Steuer fehlt, doch der Schaden ist nicht groß; 
braune Knaben schleifen stolz die Ruder durch den 
Sand. die weiter oben antrieben, eine Flasche rollt 
heran, und auch die Wegzehrung schwimmt mit 
neuen Wellenstößen bis auf den gelben Ufersand: 
aufgeweichtes Brot, das die immer hungrigen 
Hunde des Dorfes verschlingen. 
Als letztes Gut erscheinen die gefangenen 
Sardellen Don Vincenzos, Stück für Stück, in je 
der braunen Fischerhand schimmert es silbern, ste 
sind die letzten Opfer der Katastrophe, die im Tri 
umph zu dem Hause ihres Besitzers getragen wer 
den. 
Eine dicke Kerze brennt noch an diesem Abend 
in der Rische des Heiligen, die unterhalb des 
siebenhundertjährigen Sarazenenturms ins kahle 
Felsgestein gehauen ist. Klein und flackernd leuch 
tet ihr gelber Schein über das lärmende, gischtum- 
wallte schwarze Meer. 
Beilage der Schleswlg.Holsteînķschen Landeszeķtung (Rendsburger Tageblatt 
Mittwoch, den 10. Dez. 1930 
Das Ichrererrös Darf. 
Von t- r ich K. S ch m i d t. 
Die Tramontana wirft die Wellen — Ton 
nen grau-grünen gischtenden Wassers — mit dröh 
nendem Schwung in den Halbkreis der Bucht. 
Bis zum Horizont ist das Meer voll schäumender 
Hügel, mit tiefen Schattentälern dazwischen: eine 
quirlende, kämpfende Flut. Darüber steht die 
Sonne hoch im Zenit, sie entzündet bunte Far 
benspiele in dem schleierigen Dunst, der landein 
wärts weht. Auch die Wolken, große, gelbe Bal 
len mit zerfetzten Rändern, ziehen jagend über die 
kahlen, scharfen Grate der Berge, die die Bucht 
«uf beiden Seiten flankieren. Jede Schroffe steht 
hart wie Jaspis im hellen Mittagslicht. 
Wo Felsen und Riffe den leuchtenden Sand 
des Ufers jäh abschließen, wo der Tang sich zu 
schwarzbraunen Hügeln ballt, anwachsend von Mi 
nute zu Minute, wo steile Fontänen allenthalben 
zerplatzend über die Klippen schießen, bunt rie 
selnd im Sonnenstrahl — da liegt das sizilische 
Fischerdorf, mit schräg ansteigender Piazetta, weit 
tzeöffnet zum Meere hin, von kleinen, gelben Häu 
serwürfeln eingerahmt — der salzige Atem der 
Dellen weht in jedes Fenster hinein Unten am 
Strande, dick vertäut, drängen sich die blau-roten 
Boote der Fischer dichtanstnander, die ganze knall- 
farbige Flottille mit den unbeholfenen Lettern 
ihrer vielfachen Frauennamen, dem donnernd 
drohenden Anprall der ungestümen See entzogen. 
Am' der Piazetta spielen die braunen Knaben 
üm dre Palmen herum, ihre Bälle rollen, die 
Soldi fliegen in die Lufl. Nur Don Vincenzos 
Kinder sind nicht zu sehen. Der Fruchthändler rö 
stet Kastanien und wischt sich die Augen, weil der 
windgetriebene Rauch sie zerbeizt. Die Tische des 
kleinen Ristorante in der Ecke sind weiß gedeckt, 
siber kein Fremder sitzt daran, und der Kellner 
spuckt elegisch von den Stufen. Ein alter Fischer 
hat sein Retz quer über die Piazetta gelegt und
	        
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