123. Jahrgang.
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Msà. den 17. àember
Die Gärung in Südosteuropa.
Die Bildung eines römischen
BöLLerLUndes.
Dis Balkanhalbinsel, seit jeher als Brand
herd Europas bezeichnet, bot in diesen Tagen wie
der das Schauspiel höchst interessanter politischer
Begebenheiten. Nach der königlichen Hochzeit im
idyllischen Assisi, welche die nachkriegliche Freund
schaft und Verbundenheit zwischen Italien und
Bulgarien durch dynastische Bande besiegelte, er
folgte die aufsehenerregende Reise des griechischen
Staatsmannes Venizelos nach Angora und gleich
danach die Bekanntmachung einer Reihe von Ver
trägen, durch welche die Rivalität zwischen der
Türkei und Griechenland beseitigt wird. Schon
während der Feier des hundertjährigen Bestehens
der griechischen Unabhängigkeit klangen einige
warme Töne in den türkisch-griechischen Beziehun
gen mit. Die jetzige Annäherung kommt deshalb
nicht unerwartet, obwohl die Tatsache, daß sie von
einem Manne wie Venizelos ausgeführt wurde,
nicht ohne einen besonderen politischen Reiz ist.
Es ist doch kein Geheimnis, daß die grie
chisch-türkische Freundschaft gegen den
Willen Frankreichs und nicht ohne die Vermitt
lung der italienischen Diplomatie erfolgte, die all
mählich ihre Einflußsphäre im Südosten Europas
erweitert. Griechenland stand lange Zeit unter
dem französischen Einfluß; Venizelos gilt als einer
der größten Befürworter der französischen Politik;
er brachte während des Krieges Griechenland auf
die Seite der Alliierten und ermöglichte durch die
Freigabe des Hafens Saloniki für die französisch-
serbische Armee den entscheidenden Stoß gegen das
bulgarische Heer. Roch sind jene Tage in Erinne
rung, wo eine französische Tänzerin mit Veni
zelos' Bild in der Hand auf den Straßen von
Athen die Propaganda für die Entente machte.
Co wurde Venizelos Sieger, Vater „Eroßariechen-
lands", das als Lohn für die Haltung während
des Krieges bei der Verteiluna der Siegesbeute
von Frankreich besonders berücksichtigt wurde. Daß
er sich jetzt mit einem ehemaligen Gegner ver
söhnte und seinen Weg nach Angora antrat,
bedeutet für die ganze politische Konstellation auf
dem Balkan ein Ereignis von größter Tragweite.
Der Reihe der kleinen südosteuropäischen Staaten,
vie sich nach dem Kriege um Italien gruppierten,
hat sich setzt auch Griechenland angegliedert. Der
diplomatische Kampf zwischen Frankreich und
Italien um die Machtpositionen auf dem Bal
kan ist mit einem großen Erfolg für Italien ent
schieden.
Zu derselben Zeit wie Venizelos. befand sich
m Angora der ungarische Ministerpräsident Graf
Lethlen um die türkisch-ungarischen Beziehungen,
vst er sich ielbst ausdrückte, noch mehr zu vertie
fn Durch den Besitz Konstantinopels und der
Meerengen, sagte er in einer Journalisten
zewährten Unterredung, genießt die Türkei auch
deute noch eine gewisse Machtposition auf dem
Lallan, welche ihr gewisse Defensivinteressen auf-
îrlegt, die sich mit Ungarns Interessen in Ein
klang befinden. Diese Tatsachen diktieren ein
»n^e^es Zukam—»naek>en mit der Türkei. Die Be
sprechungen in Angora haben nicht nur zur Fest-
stelluna d!"k"i- s>.a7—-'şi»r-nd-n Interessen geführt
[onVrn anckd ntr Festlegung der '^-■^s+Ttrttort des
zukünftigen Zusammengehens, um mit
Letblen zu sprechen: in A»ggra w'"-de „eine voll
ständige Harmonie hinsichtlich der Anwendung der
zum Ziele führenden Mittel" gesck^n^ Auf die
Frage eines Journalisten, ob die Nachrichten über
b<r« Oii'+frttVfommort eines "vier der Führung
Italiens siebenden Blocks der Wahrheit ent
sprächen antwortete der ungarische Staatsmann,
er befalle sich nicht mit Prophereiunoen. vergaß
rber nicht auf die bereits erfolgte Annäherung
zwischen Italien Ungarn. Oesterreich Bulgarien.
Griechenland, Albanien und der Türkei hinzu-
»euten.
Dieses Vertragsnetz. diele „iriedl'ck» und wirt-
ichaitliche Expansion" Jtcck'ens in Südosteuropa
kann man io od»r io ben»"'"'" *;» Tätigt» bleibt
kiw die römische Divlamatie in letzter Zeit eine
Reiüe bedeutend»:- Ertolge in ienem Raume er
zielt hat. Frankreich dagegen hat eine Position
Von Martin Ziegler.
nach der anderen verloren. Wenn man bedenkt,
daß Rumänien für Frankrest" ein ziemlich unver
läßlicher Bundesgenosse ist, der außerdem durch
eine sehr peinliche wirtickaftliche Krise und Un
klarheit der innerposttischen Lage vollständig in
Anspruch genommen ist, so bleibt als französischer
Posten auf dem Balkan nur noch S ü d s l a w i e n,
vas zwar bis zu den Zähnen bewaffnet, aber voll
ständig vom italienischen Bertragsnetz eingekreist
ist. Die innere Lage in Südslawien ist noch im
mer gespannt, und wirtschaftlich ringt es wie Ru
mänien mit den schwersten Sorgen. Belgrad muß
mit größter Erbitterung nutzen, wie ein paar
Stunden von der serbischen Grenze, in Sofia, eine
italienische Prinzessin auf den bulgarischen Thron
steigt, auffallend stürmisch von den aus Südsla-
wien geflüchteten Mazedoniern begrüßt. Und
während das bulgarisch" b-^niaspaar nach dem
feierlichen Einzug in Sofia seine Flitterwochen
im Schlosse von Eurinoe"md verbringt verbreitet
die serbische Presse eine Nachricht, die in Belgrad
noch eine größere Verstimmung hervorrief, daß der
General Wlkow, dessen Beziehungen zu der ma
zedonischen Bewegung wohl bekannt sind, dem
nächst seinen Posten als bulgarischer Gesandter in
Rom verlassen wird, um sich nach Sofia zu be
geben. wo mit seiner und Italiens Histe eine Ak
tion zugunsten der Revision des Vertrages von
Reuilly in Bewegung gesetzt werden soll.
Es ist wohl überflüssig, besonders zu unter
streichen, welche Rolle das mazedonische
P r o b l e m in der bulgarischen Politik spielt, und
daß das bulgarische Volk mit den heutigen Gren
zen auf dem Balkan höchst unzufrieden ist. Be
findet sich doch unter der Herrschaft Belgrads eine
Million Mazedobulegren, dis schon sahrelang für
ihre Freibeit und S"U'şerş>"stnna kämpfen. Und
wenn die Nachrichten über die bevoi'ü»hends re
visionistische Aktion Bulgariens zutreffen sollten,
so muß es sich hauptsächlich um die Grenzen zwi
schen Südslawien und Bul-w'-ien handeln. Es ist
erklärlich, daß in dieser Aktion Bulgarien die
diplomatische Hilfe Italiens genießen wird: kann
doch nicht eine italienische Köniastochter Königin
eines Landes sein, das so bitterlich unter der Last
der Pariser Borortsverträge leidet.
Am Vorabend der Hochwit von Assisi erklärte
der alte Kämpfer für die Revision der Frie^e"s-
verträge im Genfer Areopaa, Graf Apponyi,
einem Mitarbeiter des in Sofia erscheinenden
mazedonischen Emigrantenblattes „Makedonija",
alle Bedingungen für eine freundschaftliche und
herzliche Mitarbeit zwischen Bulgarien und Un
garn seien vorhanden, da beide Länder unter dem
selben Druck litten. Das bvk"awiche Blatt hat den
Erklärungen Apponyis einen begeisterten Kom
mentar beigegeben. Daß man bei diesem „Druck",
von dem Apponyi sprach, an einen bestimmten
Staat dachte, kann man sich leicht vorstellen. Be
findet sich doch unter südslawischer Herrichaft ein
großer Teil des ehemaligen Ungarns. Mussolinis
neuestes Bekenntnis zum. Revisionsgedanken fand
besonders großen Widerhall in Ungarn und Bul-
Em Waşşonntag.
Der iQjjlftMM in Ņ» nni> MW.
Pilşudskis Wahlsieg und Rückgang der deutschen Stimmen.
Starke Erfolge der Nationalso ialisten bei den Gemeindewahlen
in Baden und Mecklenburg.
Deutsche Wahlgemeinschaft 128158 Stimmen,
(1928: 175 113), 3 Mandate, bisher 6);
TU. Warschau, 17. November. (Gig. Funkmldg.)
Das Regierungsblatt „Expreß Poranny" weiß von
einem „imposanten Sieg" der Regierungsliste in
ganz Polen zu melden. Die Oppositionsparteien,
besonders der Zentrolew, hätten eine große Nieder
lage erlitten. Nach vorläufigen Berechnungen schätzt
„Expreß Poranny" die Mandate für Pilsudski auf
rund 230 von insgesamt 444.
In Warschau dürften sich die Mandate wie folgt
verteilen: Regierungsblock 7 Mandate, Nat. Demo
kraten 3 Mandate, Zionisten 1 Mandat. Kommuni
sten 1 Mandat. Auffallend ist, daß die Sozialisten
in Warschau kein einziges Mandat erobern konnten.
Die Kommunisten, deren Stimmen in den letzten
Wahlen stark zunahmen, erlangten nur ein Mandat.
TU. Warschau, 17. Nov. (Eig. Funkmeld.)
Tie Feststellung der Ergebnisse der Sejm-
Wahl geht außerordentlich langsam vonstat
ten. Ein abschließendes Ergebnis lag am
Montag noch nicht vor.
tz
Die Wahlen in Polen, die unter dem
schärfsten Druck der polnischen Nationalisten
unter Pilsudskrs Führung standen, haben das
erwartete Ergebnis gehabt. Pilsudski ist Sie
ger geblieben und wird nun unter dem
Schatten eines Scheinparlamentarismus dik
tatorisch herrschen. Außenpolitisch bedeutet
der Sieg Pilsudskis eine Radikalisierung, die
sich sowohl Litauen wie auch Deutschland ge-
gegenüber durch Festhalten an einer starren
nationalistischen Politik auswirken dürfte.
Der Wahlausgang in Polen bdeutet eine Ver
schärfung der an sich schon bestehenden Span
nungen im Verhältnis der europäischen Nati
onen zueinander.
Ein schwerwiegender Mandatsverlust
der deutschen Minderheit in Polen.
TU. Kattowitz, 17. Nov. (Eig. Funkmeld.)
Rach dem vorläufigen Endergebnis der Sejm-
wahlen verteilen sich die in den 3 ostoberschlesischen
Wahlkreisen abgegebenen Stimmen wie folgt:
Regierungsblock 196 148 Stimmen (1928: 172 037),
6 Mandate;
Korfanti-Partei 210 352 Stimmen (1928:109 606),
7 Mandate;
Poln. Sozialisten 54 747 Stimmen (1928: 77 301),
1 Mandat.
Die Kommunisten blieben wie bisher ohne
Mandat.
Der Rückgang der deutschen Stimmen beträgt
im Durchschnitt etwa 27 v. H., der Mandatsverlust
dagegen etwa 50 v. H.
Der Rückgang der deutschen Stimmen ist
zweifellos eine Folge des ungeheuren Ter
rors und der Schikanen, die sich besonders an
läßlich der Wahlen ausgewirkt haben. Tn
den letzten Wochen war es so, daß durch or
ganisierte polnische Randen die dentschden-
kende Bevölkerung zum Teil tätlich angegrif
fen wurde. Mit allen möglichen Mitteln
wurde versucht, die deutsche Opposition einzu
schüchtern und die Ausübung des Wahlrechts
durch Anfechtung der Staatszugehörigkeit zu
erschweren. Nur am Wahltage selbst hat man
sich um des äußeren Scheines willen zurückge
halten. Die Wahl ist somit ein Zerrbild einer
unbeeinflußten Stimmabgabe im Sinne einer
Ueberzeugung.
Diese Vorgänge sind bei der Beurteilung
des schlechten deutschen Wahlergebnisses in
Berücksichtigung zu ziehen.
Am Wahltage selbst ist von größeren Aus
schreitungen nichts bekannt geworden.
Die Wahlbeteiligung war, soweit sich bis
her übersehen läßt. recht stark Auch die Deut
schen haben trotz allem zahlreich ihr Wahlrecht
ausgeübt. Die zu Zehntausenden eingelegten
Einsprüche gegen die Wahlberechtigung der
Deutschen sowie die Ungültigkeitserklärungen
deutscher Listen beziehen sich in der Hauptsache
auf die Wahlen zum schlesischen Seim am
kommenden Sonntag, so daß sich die Rechtlos-
machung der Deutschen erst dann in vollem
Umfange auswirken wird.
garten, und dieser neue Ton der italienischen Di«
plomatio hat sicherlich viel dazu beigetragen, um
dig besiegten Länder in Südosteuropa auf Seite
Italiens zu stellen. Ferner hat Albanien,
das seit dem Vertrag von Tirana dem italienischen
Bündnissystem angehört, wohl nicht auf eine
Million Volksgenossen verzichtet, die unter
Serbiens Herrschaft stehen. Hat sich doch König
Zogu nicht umsonst als König „aller Albanier"
krönen lasten! Und zwischen Albanien und Bul
garien liegt Mazedonien, die Brücke, die sich in
südslawischen Händen befindet.
Die Belgrader Wünsche nach einem größeren
Südslawien „von Marburg bis zum Schwarzen
Meer", das Kriegsgeschrei der Belgrader Preste,
über das unlängst berichtet wurde, die Drohungen
Marinkovitschs gegen Bulgarien trugen für Bel
grad ziemlich unangenehme Früchte. Es war nicht
schwer für Italien, die Sympathien jener Völker
zu gewinnen, die sich von Südslawien bedroht
fühlen. Südslawien steht heute isoliert da,
und den einzigen Ausweg aus dieser Sackgaste sieht
es in fieberhaften Rüstungen. Die amerikanische
Preste brachte in letzter Zeit alarmierende Nach
richten über südslawische Kriegsvorbereitungen
und bezeichnete die Möglichkeit gewisser Aben
teuer, die der amerikanische Berichterstatter den
fetzigen südslawischen Staatslenkern zutrauen zu
können glaubte. Unterdessen schmiedet Italien
weiter seine Pläne. Die bevorstehenden Reiten des
türkischen Außenministers Ruschdy Bey nach Rom
und des bulgarischen Köniag Boris nach Angora
werden wohl die nächsten Schritte in der Befesti
gung des italieni schen Ostblockes sein.
Daß man in Paris dieses erfolgreiche Sviel der
italienischen Diplomatie mit bitterem Gefühl be
obachtet, ist nicht nötig hervorzuheben. Im
Grunde bedeuten alle diese Ereignisse die allmäh
liche Abbröckelung der französischen Vormacht
stellung in Europa. Die Ketten des französischen
Systems im Nachkriegseuropa beginnen sich zu
lockern, eine Tatsache, die auch uns veranlaßt,
die jetzige Gärung in Südosteuropa mit größtem
Interesse zu verfolgen.
" * *
M GememhMchlLN in Men.
Im Freistaat Baden fanden heute Wahlen
in die Gemeindeparlamente und in die Körper
schaften der Bezirke und Kreise statt. Die Wahl
beteiligung in den größeren Städten dürfte bei
weitem nicht an die Ziffern des 14. September
heranreichen. Stark scheint die Wabibeteiligung
nur auf dem Lande gewesen zu sein. Bei den letz
ten Gemeindewahlen im November 1926 war die
Wahlbeteiligung kaum 50 Proz. der Wahlberech
tigten. Nach den bisher vorlieaenden Meldungen
konnten sich die Nationalsozialisten allenthalben
den Einzug in die Rathäuser und die übrigen Or
gane der Selbstverwaltunck sichern. Dies gilt be
sonders von den größeren und mittleren Städten.
Auch der Evangelisch» Bolksdienst, der vor Jahres-
frist anläßlich der Laiidta-'swablen das erste Mal
in Aktion trat, hat Erfolne nt buchen. Ein ab
schließendes Urteil über den Wahlausgang ist erst
im Laufs des Montags oder Dienstags möglich.
dus GZMmhmBlergLbms
in Karlsruhe. .
Rach amtlicher Mitteilung stellt sich das Er
gebnis der Bürgerausschußwahlen in Karlsruhe
folgendermaßen dar:
Nationalsozialisten 18 889
Sozialdemokraten 12 719
Zentrum 11039
Kommunisten 5 803
Evangelischer Volksdienst 2 688
Deutsche Volkspartei 2 512
Wirtschaftspt. u. Konserv. 2112
Staatspartei 2 031
Deutschnationale 1535
Wahlbeteiligung 54 Prozent.
28 Sitze
18 Sitze
16 Sitzs
8 Sitze
3 Sitze
3 Sitze
3 Sitze
3 Sitze
2 Sitze
( 0)
(24)
(19)
( 6)
( 0)
(12)
( 3)
( 51
( 9)
Ne Sîà«ĢnM8schĢŞîi
in Bwtn.
Absolute Mebrheit für die Nationalsozialisten.
Am 14. November fanden die Astawahlen
(Agem. Studentenausschuß) für die Universität
Erlangen in Bayern statt. Sie hatten folgendes
Ergebnis (in Klammer die Ergebnisse von 1929):
Liste 1: Rat.-Soz., Deutsch. St.-Bd. 1085
(655) Stimmen, 19 (14 Sitze).