Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 4)

Ģâd 
Landsszsîlung 
S6)lsswîg-IZolstsînîscļ)s 
123. Jahrgang. 
123. Jahrgang. 
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FmW, den 14. M§ràk 
Neuer LàWl§-Kràl, 
ERB. Berlin, 13. Nov. 
Im Garten der 
Universität kam es heute mittag gegen 13 Uhr 
erneut zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwi 
schen Studenten verschiedener politischer Richtun 
gen. Polizeibeamte schlichteten den Streit, so daß 
die Ruhe in kurzer Zeit wiederhergestellt war. 
Zwangsgestellungen erfolgten nicht. An der Ecke 
der Friedrichstraße und Ziegelstraße wurde vor 
mittags ein Demonstrationszug von etwa 150 Stu 
denten durch einen Verkehrsschutzmann aufgelöst. 
Auch hierbei erfolgte keine Zwangsgestellung. 
In der Universitätshalls riefen nationalsozia 
listische Studenten im Sprechchor: „Juden raus!", 
worauf die Gegenseite im Sprechchor mit „Nazis 
raus!" antwortete. 
Aufruf des ReZLors. 
In einem beherzigenswerten Aufruf des 
Rektors der Universität Berlin an die Stu 
dentenschaft heißt es: „Kommilitonen! Ich 
habe mich persönlich für die Wiederherstellung 
der Ordnung der Universität eingesetzt. Wollen 
wir diese Ordnung ans eigener Kraft, ohne 
behördliches Eingreifen, aufrechterhalten, so 
bedarf ich der loyalen Unterstützung durch die 
gesamte Studentenschaft. Führer verschiede 
ner, bei dem Ereignissen anwesend gewesenen 
Studentengruppen haben mir diese Unterstüt 
zung zugesagt. Ich erwarte, daß diese Unter 
stützung eine allgemeine sein wird. Es müs 
sen vor allem jene tiefbedauerlichen Schmäh 
worte und Kränkungen aufhören, durch welche 
die Würde unserer Alma mater gröblich ver 
letzt wird. Ich apelliere an den Geist akade 
mischer Kameradschaft, Ritterlichkeit und Ge 
meinbürgschaft. In diesem Geist ein Anwalt 
auch der Minderheiten zu sein, ist mir eine 
Ehrenpflicht. Ich bin bereit, einen neutralen 
Boden zu schaffen, auf dem die besten Köpfe 
von rechts und links sich im geistigen Ringen 
miteinander messen können. Aber zuerst müs 
sen wir durch Selbstbeherrschung den 
Beweis erbringen, daß wir der akademischen 
Selbstverwaltung fähig und würdig sind. 
Kommilitonen! Es geht um das kostbare Gut 
unserer akademischen Freiheit. Helft mir, daß 
dieses Gut nicht verschleudert werde!" 
Laut gestriger Nachricht ist der Deutschtums 
führer E r a e b e in Polen vom polnischen Ge 
richt in Bromberg zu 6 Monaten Gefängnis ver 
urteilt worden. Von der hochtönenden Anklage 
auf Hochverrat blieb allerdings nichts übrig. Man 
tüftelte ein formales Vergehen heraus, das darin 
bestehen soll, daß Graebe der Durchführung be 
hördlicher Verordnungen Schwierigkeiten gemacht 
habe. Ein Verlegenheitsurteil also, gegen das 
Berufung eingelegt ist. 
Der schwere Kampf der d e u t s ch e n M i n d e r- 
he it in Polen um ihre Selbstbehauptung bil 
dete auch wieder den Hintergrund des Prozesses 
Graebe. Die folgenden, am Vorestcnd des Pro 
zesses erschienenen Ausführungen in der Presse- 
korrespondenz des Deutschen Auslandsinstituts 
Stuttgart behalten ihren für die Lage der Deut 
schen in Polen bezeichnenden Wert auch nach dem 
Urteilsspruch 
In Bromberg begann der Prozeß gegen den 
früheren Abgeordneten und jetzigen Sejmwahl 
kandidaten, den Führer des Deutschtums, Oberst 
leutnant a. D. Kurt Graebe. Der Prozeß schließt 
sich unmittelbar an die berüchtigten Deutschtums 
prozesse an. Graebe ist Mitbegründer des be 
kanntlich von den Polen widerrechtlich geschlosse 
nen „Deutschtumsbundes zur Wahrung der Min 
derheitsrechte", war bis 1922 dessen Haupt 
geschäftsführer und dann Vorstandsmitglied. Mau 
wirst dem Deutschtumsbund vor, daß er mit un 
gesetzlichen Mitteln die Ausführung von Gesetzen 
und Verwaltungsversügungen habe vereiteln und 
Laufe der Verhandlung durch einen Brief Grae- 
bes als haltlos erwiesen. In dem Brief wurden 
die Mitglieder des Deutschtumsbundes vor der 
Beteiligung an staatsfeindlichen Besprechungen 
gewarnt. Wenn das Gericht trotzdem zu einer 
Verurteilung Eraebes gelangt ist, so erweist dies 
erneut die Tatsache, daß es Polen nicht auf eine 
ordnungsmäßige und gerechte Justiz ankommt, 
sondern darauf, die Führer der deutschen Minder 
heit politisch auszuschalten. 
Deujfcher Kriegsmaterial-Antrag in Gens. 
Die deutsche Abordnung hat dem Präsidi 
um des Abrüstungsausschusses folgenden An 
trag zugestellt: „Der Ausschuß beschließt für 
sämtliche Landrüstuugen die direkte Herab 
setzung des gesamten Kriegsmaterials." Es 
wird namentliche Abstimmung über den An 
trag zu Beginn der heutigen Sitzung verlangt. 
Gestern gab es im Ausschuß wieder viel 
Gerede und eine verworrene Geschäftsord- 
nungsdebatte, die ja in der Regel fällig ist, 
wenn man sachlich nicht weiterkommt. Zu 
einem positiven Ergebnis aber gelangt man 
nicht und begnügte sich mit der Annahme eines 
englischen Antrages, in dem „Austausch der 
Mitteilungen über die Heeresausgaben" vor 
geschlagen wird. Nach der Aussprache sah der 
Präsident, dessen Geschäftsführung schärfstens 
kritisiert worden war, keinen andern Ausweg 
mehr, als die weitere Verhandlung und Ab 
stimmung auf Freitag zu vertagen. 
Nachdem die Vertreter Spaniens und 
Griechenlands sich für den französischen Vor 
schlag einer Beschränkung lediglich der Heeres- 
susgaben eingesetzt hatten, erklärte Graf 
Bernstorff, daß heute nicht mehr die Entwaff 
nung Deutschlands, sondern die Abrüstung der 
übrigen Staaten zur Verhandlung stehe. Die 
bisherigen Aussprachen hätten ihn aufs tiefste 
enttäuscht. Er bedauere außerordentlich, daß 
lediglich technische Gesichtspunkte vorgebracht 
wströen und keiner die Abrüstungsfrage vom 
moralischen, politischen und historischen Ge 
sichtspunkt behandelt habe. Die Regierungen 
halten sich der ganzen Welt gegenüber feier 
lich zur Abrüstung verpflichtet. Der Mann 
auf der Straße werde niemals begreifen, war 
um die schweren Geschütze und Tanks von der 
Abrüstung nicht erfaßt würden. Nur eine all 
gemeine direkte Herabsetzung des Kriegsmcķe- 
rials könne zum Ziele führen. Die deutsche 
Abordnung widersetze sich jedem Versuch, eine 
neue Tagung des Abrüstungsausschusses ein 
zuberufen unter dem Vorwand von Sachver 
ständigenarbeiten. Sie verlange den Zusam 
mentritt der Abrüstungskonferenz, damit 
Deutschland endlich Klarheit habe, ob die übri 
gen Mächte überhaupt die Abrüstung vorneh 
men wollten. 
In der weiteren Aussprache trat die 
Mehrheit der Ausschußmitglieder für den 
französisch-belgischen Vorschlag ein, der die di 
rekte Herabsetzung des Kriegsmaterials ab 
lehnt. Lediglich der Vertreter Italiens brach 
te einen schriftlichen Antrag ein, in dem die 
direkte Verminderung des Kriegsmaterials 
sowie Herabsetzung der Heeresausgaben ge 
fordert werden. 
Die Konferenz der loten Punkte. 
Ein englisches Urteil. 
„Daily Herald" sagt in einem Leitartikel: 
„Die Vorbereitende Abrüstungskommission be 
wegt sich von einem toten Punkt zum andern. 
Feder Vorschlag, der eine merkliche Verminde 
rung der Abrüstungen bewirken könnte, trifft 
auf unerschütterlichen Widerstand. Allzuviele 
Negierungen haben nicht den leisesten Wunsch, 
abzurüsten, und die entwaffneten Nationen 
blicken dem Tag entgegen, an dem sie erklären 
können, daß sie, da die Sieger ihr Versprechen, 
abzurüsten, gebrochen haben, durch die ihnen 
auferlegten Einschränkungen nicht mehr ge 
bunden sind. Europa bewegt sich zwar noch 
nicht schnell, aber mit besorgniserregender Ste 
tigkeit auf einen Punkt zu, an dem mit jedem 
Augenblick eine neue Katastrophe möglich ist." 
Erhöhung der Tanzsleuer gefordert. 
Die Landvolkpartei verlangt im Reichstag die 
Vorlegung eines Gesetzentwurfs, durch den zur 
Behebung dringender finanzieller Notstände alle 
Tanzvergnügungen einer erhöhten Steuer unter 
worfen werden sollen. Oeffentliche Bälle sollen 
mit einer Steuer von 100 Proz. des Eintritts 
geldes und alls sonstigen Tanzvergnügungen mit 
einer Steuer von mindestens 1 Mark pro Person 
belegt werden. 
Viersieuer in Berlin snpnoîiîim 
Bürgersteuer abgelehnt. 
Die Berliner Stadtverordnetenversammlung 
nahm die Bierstener gegen die Stimmen der Rech 
ten und der Kommunisten an. Die Schankver 
zehrsteuer wurde einstimmig abgelehnt. Die Bür 
gersteuer verfiel der Ablehnung gegen die Stim 
men der Mitte und der Rechten. 
MrlschgflsMlei und Schaàrzehrs- 
stener. 
Der Reichstagsabgeordnete Drewitz hat in einer 
Suttgarter Parteiversammlung mitgeteilt, er habe 
dem Reichskanzler in einem Brief angekündigt, daß 
die Fraktion der Wirtschaftspartei gegen die Not 
verordnungen stimmen werde für den Fall, daß die 
Bestimmungen über die Schankverzehrssteuer nickst 
herausgenommen würden. 
Durch Pistolenschuß schwer verletzt. 
TU. Tokio, 14. Nov. (Eig. Funkmeldung.) 
Auf den Ministerpräsidenten Hamaguchi wurde, 
als er sich auf dem Bahnhof von dem neuen Bot 
schafter in Moskau, Hirota, verabschiedete, ein 
Pistolenanschlag verübt. Er wurde durch einen 
Bauchschuß schwer verletzt. Der Täter konnte so 
fort ergriffen werden. Seine Personalien sowie 
die Gründe, die ihn zu dem Anschlag veranlaßten, 
sind noch nicht geklärt. 
abschwächen wollen, und klagt Graebe an, daß er 
die im vorigen Jahre verurteilten Herren Dr. 
Heidelck, Dr. Scholz, Dobbermann usf. mit ent 
sprechenden Aufträgen versehen habe. Und zwar 
soll sich diese „Abschwächung und Verhinderung" 
bezogen haben auf ein Eestz vom Jahre 1920 über 
die Uebertragung der Finanzrechts deutscher 
Staaten auf Polen, auf ein Gesetz über die Liqui 
dierung von Privateigentum, aus ein Gesetz über 
die Aushebung von Staatsbürgern zum Heeres 
dienst vom Jahre 1920, auf eine Verfügung des 
Innenministeriums vom Jahrs 1930 über Grün 
dung öffentlicher Volksschulen für die Minderhei 
ten usf. Außerdem habe er Anfang 1922 Tätig 
keiten vollzogen, die das Unternehmen des Hoch 
verrats vorbereiteten und mit dem K y f f häu 
fe r b u n d in Deutschland zum Schaden des pol 
nischen Staats und zum Nutzen des Deutschen 
Reichs Fühlung ausgenommen. 
Die Anklage behauptet fälschlicherweise, daß 
der Deutschtumsbund sich nicht zum Vereinsregister 
angemeldet habe, daß er ein Staat im Staate habe 
werden wollen, daß er seine Mitglieder, die ihren 
Beitrag nicht leisteten, auf eine schwarze Liste ge 
setzt und boykottiert habe. Insbesondere aber wirft 
man Graebe vor, daß er den sogenannten „annul 
lierten" deutschen Ansiedlern, solchen 
also, deren Rechte Polen nicht anerkannte, geraten 
haben solle, ihre Besitzungen erst nach schärfstem 
Druck zu verlassen und gleichzeitig beim Völker 
bund Klage einzureichen. Das polnische Liquida 
tionsrecht habe auch das bewegliche Vermögen mu 
ßt, und Graebe habe den Ansiedlern Ratschläge 
gegeben, dieses zu retten. Ferner wird Graebe 
angeklagt, den zur Option Berechtigten geraten zu 
haben, ihre Option nicht auszunutzen und polni- 
schs Staatsbürger zu werden, oder ihre Option zu 
rückzuziehen, weil sie unter Zwang erfolgt fei. 
zwischen dem faschistischen Italien und dem 
nationalen Deutschland. Die gleichen Ideale 
und das gleiche Schicksal werden in Zukunft 
die Entwicklung beider Völker gleichlaufend 
führen müssen." 
Heinke überreichte dem Ministerpräsiden 
ten das Abzeichen des Stahlhelms. Mussolini 
antwortete in deutscher Sprache mit Dankes 
worten und betonte seine Sympathie für die 
Stahlhelrnbewegung. 
Ichmückten Kranz nieder. Unter Führung eines ita- 
italienischen Kriegsministeriums zu dem großen 
italienischen Kriegsmiinsteriums zu dem großen 
römischen Paradeseld geleitet, wo anläßlich des Ge 
burtstages des Königs die Parade stattfand. In 
einer der für das Publikum bestimmten Tribüne 
hatte man zwei Sitzreihen reserviert. Rach Beendi 
gung der Parade, an der auch die Militäratlachees 
und die Mitglieder der Botschaften der früheren 
alliierten Staaten teilnahmen, kam es von Seiten 
des italienischen Publikums zu einer Kundgebung 
für die Stahlhelmleute. Als sie ihr Auto wieder 
bestiegen, wurde die polizeiliche Absperrung von 
dem Publikum durchbrochen, das auf die Stahlhelm- 
leute zulief und sie mit den Worten begrüßte: 
„Myano in fascisti tedeschi!" („Es leben die deutschen 
Faschisten!") und „Andiamo a Parigi!" („Auf 
Paris!") 
Mussolini hat am Donnersta" die auf 
einer Studienreise in Rom weilenden Stahl 
helmer empfangen. Dr. Henrke, der Führer der 
Gruppe, richtete eine Ansprache an Mussolini, 
in der er u. a. erklärte: „Der Stahlhelm ist 
dankbar, daß Ew. Exzellenz die Bedeutung des 
faschistischen Gedankens als Weltanschauung 
hervorgehoben haben. Der Stahlhelm weiß, 
daß er in seinem Kampf gegen Liberalismus 
und Marxismus 
die faschistische Idee durchzusetzen 
hat. Auf der Grundlage dieser Idee und der 
I gemeinsamen Ideale ruht die Freundschaft 
Es gehl mchl! 
Am Donnerstag hat man im oldenburgi- 
schen Landtag trotz des Fehlschlages am Mitt 
woch erneut den Versuch gemacht, einen Mini 
sterpräsidenten zu wählen. Wiedre vergeben! 
Der Kandidat des Zentrums, Minister Dr. 
Driver, erklärte, nicht mehr in der Lage zu 
sein, eine etwaige Wahl zum oldenburgischen 
Ministerpräsidenten anzunehmen. Bei der Ab 
stimmung wurden 37 Stimmzettel abgegeben, 
von denen einer ungültig war. 18 Stimmen 
entfielen auf den Kandidaten des Landblocks, 
Regierungspräsident Cassebohm. Die übrigen 
18 Stimmzettel waren unbeschrieben, womit 
die Wahl gescheitert war. 
Bei der Präsidentenwahl im sächsischen Land 
tag wurde der bisherige Präsident Weckel (SPD.) 
im zweiten Wahlgang mit 35 Stimmen der So 
zialdemokraten und Demokraten wiedergewählt. 
Für Kunz gaben Nationalsozialisten, Wirtschafts- 
partei, Deutschnationale, Volkskonseri'A've und 
Sächsisches Landvolk 34 Stimmen, für Herrmann 
die Kommunisten 12 Stimmen ab. Deutsche 
Bolkspartei, Bolksrechtpartei, Bolksnattonale und 
Christlich-Soziale gaben zusammen 14 weiße 
Stimmzettel ab 
Das Tendenzurleil. 
Eraebes Verurteilung wird in Berliner politi 
schen Kreisen als ein Tendenzurteil angesehen. Be 
zeichnend ist, daß das Gericht die Anklage des 
Hochverrats als nicht stichhaltig anerkennen und 
Graebe von dieser Beschuldigung freisprechen 
mußte. Die Beschuldigung der Te'* -hme an 
riner staatsfeindlichen Verbindung wurde im 
Schließlich habe der Angeklagte eine Statistik des 
Deutschtums durch Lehrer aufstellen lassen, die er 
damit zur Verletzung ihres Amtsgeheimnisses ver 
leitet habe, er habe mit veranlaßt, daß an Orten,
	        
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