Nr. 241
Zur Unterhaltung
Beilage der Schleswļg-Holsteļnļfchen Landeszeitung (Rendsburg« Tageblatt
Dienstag, den 14. Oktober 1939
Wie England AmanuLah schlug.
Major Kox faf friste SchuZöigKett.
Von H. R. B e r n d o r f f.
Am Abend erschien Aìajor Kox im Kasino. Er
befand sich in Begleitung seines Freundes Mac, und
er war nicht wiederzuerkennen. Er hatte sich aus
dem mürrischen Gesellen, der seinen Kameraden
schon seit Monaten auf die Nerven gefallen war und
ihn schließlich ganz isoliert hatte, in einen eleganten
Offizier der englischen Armee verwandelt, dessen
strahlende Laune seine Kameraden ansteckte. An die
sem Abend wurde ein Fest gefeiert, ein Gelage von
solchem Umfange, wie es nur in den Tropen denk
bar ist. Als Major Kox spät in der Nacht nach die
sem Fest nach Hause kam, erwarteten ihn in seinem
Steinhäuschen zwei Eingeborene, und am nächsten
Morgen, als der Truppenstab etwas von dem Ma
jor wollte, war Kox verschwunden. Er war spur
los abgereist, kein Mensch wußte wohin, und sein
verwunderter Kommandeur bekam nur eine kurze
lakonische Mitteilung seiner vorgesetzten Behörde,
nach der zufolge Major Kox wegen seines schlechten
Gesundheitszustandes auf unoestimmte Zeit beur
laubt und von allen Abmeldungen entbunden wor-
^n fei.
Der Grenzposten des englischen Militärs, der
die Grenze gegen Afghanistan zu bewachen hat und
der am Fuße eines Gebirgspasses am Himalaja liegt,
wurde zu jener Zeit kommandiert von einem eng
lischen Leutnant, der sich auf diesem Posten fast zu
Tode langweilte und der im übrigen den Namen
Brix trug. Dieser Leutnant Brix hatte wenige
Tage später eine Karawane, die auf afghanisches
Gebiet hinüber zog, wie üblich zu durchsuchen. Der
Führer dieser Karawane war ein hochgewachsener
Eingeborener aus dem Stamnie der Gurkhas, der
sehr oft Karawanen über diese Straße zu führen
pflegte, und der den englischen Offizieren dieses
Kommandos gut bekannt war. Alle Formalitäten an
der Grenze erledigten stch an diesem Abend schnell,
aber als die letzten Kamele des Zuges an dem Leut
nant Brix vorbeizogen, da war diesem Offizier so,
als ob er plötzlich verrückt geworden fei. Ein Trei
ber, der eins der letzten Kamele am Hatfterband
vovbetführte, schien ihm bekannt zu sein, und er hatte
plötzlich die wahnsinnige Vorstellung, als ob dieser
Treiber, der braun, fast gelblich und in dem üblichen
Kostüm eines Kameltreibers mit stoischer Ruhe an
chm vorbei zog, identisch sei mit einem ihm gut be
kannten Offizier des Königreichs Großbritannien,
der Majorsrang bekleidete und Kox hieß. Diese
Zwargsvorftellung war so groß, daß er den Führer
der Karawane zu sich heranpfiff und ihn fragte, wer
dieser Mann sei. Der Eingeborene sah ihn ver
ständnislos an und berichtete, daß das ein Perser sei,
den er seit vielen Jahren kenne und der sein küm
merliches Leben als Kameltreiber friste. Er habe
keinerlei interessante Eigenschaften und im übrigen
fei er zwar ein wenig blöd, aber dafür ausgesprochen
ehrlich, und er pflege weniger zu stehlen, als Ka
meltreiber im allgemeinen tun.
Nach dieser Auskunft erkannte Leutnant Drix,
daß er dringend urlaubsreif sei, da seine Nerven
ihm bedenkliche Streiche zu spielen begannen, und
da er genau wußte, daß er vorläufig doch keinen
Urlaub bekommen würde, so ging er hin und be
trank sich. Der persische Kameltreiber aber zog mit
stimm Kamel in das Land Afghanistan hinein, das
von dem König Amanullah beherrscht wurde und
in. dem Ruhe und Friede herrschte. Ruhe und
Friede wenigstens so weit, als dies in den dortigen
Gegenden möglich ist.
Major Kox erschien nach seinem Urlaub, den
er, wie er mitteilte, in Europa verbracht hatte, wie
der bei seiner Truppe, und zwar meldete er sich in
Delhi Mrück. Er kam gerade zurecht, um einem
Empfang beizuwohnen, der zu Ehren eines eng
lischen Regierungsvertreters von den Offizieren der
Garnison veranstaltet wurde. Als die Rede darauf
kam, daß der König Amanullah demnächst eine große
Reise nach Europa antreten würde und daß er auch
noch London komme und dort feierlich empfangen
werden würde, mischte sich unerwartet auch Major
Kox in das Gespräch, und es stellte stch dabei heraus,
das einfache Linien-Offiz'ere der englischen Armee
von dem mittleren Range eines Majors doch manch
mal über außenpolitische Dinge seltsame und ein
wenig verschrobene Ansichten hatten. Major Kox
erzählte nämlich der ungewöhnlich erstaunten Ge
sellschaft, daß Amanullahs Thron doch sehr bedenk
lich wackele. Im ganzen Lande lei eine erhebliche
Mißstimmung gegen den Herrscher im Entstehen
und merkwürdigerweist schienen diele unzufriedenen
Kreise über Geld und sogar Ufoct Waffen zu ver
fügen. Er, Kox, habe die Ansicht, daß in der Ab
wesenheit Amanullahs ein Aufstand von nicht zu
unterschätzender Gefährlichkeit gegen den König aus-
brechen würde. Anwesende bobe Reg'erungsvertre-
ter, also Persönlichkeiten des ganz offiziellen Eng
lands, allo Männer mtt tadelloser weißer Weste,
konnten sich eures Lächeln kaum erwehren als üe
diese nach ihren offiziellen Kenntn'ften unzutrefsen-
den Aeußerungen di<es Öffners verrahmen.
Offizielle Kenntniffe offizieller Behörden sind
imnrer etwas Schönes, nicht nur in England
Ls ist bekannt, daß 'n Afghanistan in der Ab
wesenheit des Königs Aman»!!ab der re'chbe'chenki
zu dieser Zeit durch die europäischen Hauptstädte
zog, der Aufstand ausbrach. Der entscheidende
militärische Führer, der gegen die Truppe des Kö
nigs Sturm lief, war ein Mann namens Batch-i-''-
Sakao, der zwar mutig und verwegen war, der aber
davon, wie man gegen Kanonen und Maschinen
gewehre Krieg führt, wenig Ahnung hatte. Batcha-i-
Sakao hatte einen Generalstabschef, der den Na
men Ali Ehan trug, von dem man sagte, daß er ein
Perser sei. Er war bei den Truppen sehr beliebt,
denn er befolgte die Vorschriften des Korans genau
und zeichnete sich durch großen persönlichen Mut aus.
Außerdem waren seine Kenntnisse, wie man Trup
pen zu einem Gefecht ansetzt und wie man dabei
überflüssige Verluste vermeidet, für afghanische Be
griffe geradezu überragend. Dieser Perser hatte,
wenn man ihn ansah, eine gewisse Aehnlichkeit mit
einem Offizier der englischen Armee, der unter
dem Namen Kox registriert war. Das tat nun
unter den obwaltenden Umständen um so weniger
etwas zur Sache, als von den Afghanen naturgemäß
niemand den Vorzug hatte, den Major Kox per
sönlich zu kennen und im übrigen gibt es seltsame
Zufälle. Ein solcher Zufall ist natürlich der Um
stand, daß der wirkliche Major Kox von seiner
Truppe zu genau derselben Zeit wiederum spurlos
verschwunden war. Weder sein Kommandeur noch
seine Kameraden hatten eine Ahnung, wo sich der
Mann, der wiederum einen unmotivierten Erho
lungsurlaub erhalten hatte, eigentlich befand. Vor
seiner Abreist hatte er ganz kurz verbreitet, daß er
an schlechten Träumen litte und sich von seiner guten
Mutter in einem friedlichen Häuschen in London
gesund pflegen lassen wolle. Er litte, so hatte er
erklärt, an einer unbezwingbaren Sehnsucht nach
bürgerlicher Ruhe und Behaglichkeit.
Ali Chan, der dem Major Kox so ähnlich sah
und augenscheinlich nicht von solchen Sehnsüchten
geplagt wurde, tummelte sich. Er war selbst für
afghanische Begriffe ein etwas geheimnisvoller
Mann, und immer dann, wenn die Truppe Waf
fen, Munitions- und Ausrüstungsgegenstände
brauchte, kamen Karawanen an, deren Ursprungs
ort vollkommen ungeklärt war und die das an
brachten, wessen man gerade bedürfte. Und nun
gab es Schlachten, in denen die Regievungstruppen
geschlagen wurden. Es gab einen Krieg, dessen Ein
zelheiten und dessen Ausgang bekannt sind, und
die wirkliche Entscheidungsschlacht schlug Ali Chan,
der Perser, mit der seltsamen Aehnlichkeit dadurch,
daß gutes Geld seinen Besitzer wechselte. Die Füh
rer verschiedener Stänime verlangten ihren Preis
dafür, daß sie gegen Amanullah zogen und diesen
Preis zahlte Ali Chan. AIs Batcha-i-Sakao nach der
Flucht Amanullahs die Hauptstadt Afghanistans be
setzt hatte, verlangte er stürmisch danach, seinen
Generalstobschef Ali Chan zu umarmen. Das
Dekret, dos diesen Mann zum Kriegsminister Afgha
nistans machte, war bereits unterzeichnet. Es konnte
aber nicht überreicht werden, und außerdem konnte
der neuernannte Minister nicht umarmt werden, da
er spurlos verschwunden war.
Ganz wenige Zeit später wurde der Stabsarzt
der englischen Truppen in Peschawar in das Haus
des Majors Kox geholt. Das war für die Offiziere
der Garnison eine Sensation, denn niemand wußte,
daß Kox wieder eingetroffen war. Als der Stabs
arzt erschien, stellte er stst, daß der Major Perletzun-
gen am rechten Arm und am Kopfe hotte, und daß
er außerdem an schwerem Fieber litt. Der Major
erklärte dem Stabsarzt, daß er auf der Jagd einen
Unfall gehabt habe. Der Stabsarzt erwiderte, daß
es außerordentlich selten sei, daß man auf der Iago
einen Schuß in den rechten Arm und einen Säbel
hieb über den Kopf erhalte. Major Kox erwiderte
darauf, daß dos dann nun eben eine Seltenheit sei.
Aus dem Buch „Diplomatische Unterwelt", Verlag oon
Dieck und £o„ Stuttgart.
Skmitnter AuWeäki; des Theater;.
Fünf selbständige Theater-Landgemeinden
mit ca. 1206 Mitgliedern in 119 Ortschaften,
in Schleswig zentralisiert.
Von Direktor Waldemar Hussina.
Die Bespielung des platten Landes durch un
ser Nordmark-Landestheater hat in den legten 3
Jahren ein« vollkommene Aenderung er jähren.
Die vorzüglichen Erfahrungen, die das Nordmark-
Landestheater in der Zusammenarbeit mit den
Theaterbefucherverbänden in rein wirtschaftlicher
Beziehung gemacht hat, gaben mir Veranlassung,
mehrere Theaterlandgemeinden zu gründen mit
dein Sitz in Schleswig, Husum, Bredstedt, Kappeln
und Süderürarup. (Vorsitz: Schleswig: Schulrat
Johannjen, Husum: Konrektor Suhr, Bredstedt:
Stadtfekretär Töllner, Kappeln: Bürgermeister
Schüler, Süderbrarup: Postmeister Petersen.)
Diesen Spielorlen wurden wiederum die kleineren
umliegenden Ortschaften angegliedert. Ortsoor
steher, Lehrer und Landwirte stellten stch bereit
willigst in den Dienst der guten Sache und warben
in aufopfernder Weise eine größere Anzahl von
Mitgliedern, die heute als fester Mitgliederbestand
unseres Nordmark-Landestheaters anzusehen sind.
Die technischen Organisationsarbeiten werden
durch das Theaterbüro erledigt, aus einer über
sichtlichen Kartothek - ist die Mitglieder zahl und
Mitgliederbewegung jederzeit genau ersichllich. In
den einzelnen Spielorten sind Ausschüsse (1 Vor
sitzender und 3 Mitglieder) gebildet, die in stän
diger Verbindung mit Len Vertrauensleuten der
angegliederten Orte stehen und die ebenso den
organischen Zusammenhang mit dem Theaterbllro
aufrecht erhalten. Dadurch ist die Direktion über
alle Wünsche und Anregungen der Mitglieder
ständig unterrichtet. — Kreisbahn und andere
Derkehrsgeselljchaften erklärten sich bereit, durch
Sonderzüge und verbilligten Autobusoerkehr für
eine passende und bequeme Beförderungsmöglich
keit zu sorgen
Die Eesamteinrichtung hat bei dem ländlichen
Publikum eine durchaus günstige Ausnahme ge
funden. In diesem Jahre findet wiederum in
den einzelnen Spielorten eine Bcrsammlung mit
den gesamten Bertrauenspersonen statt. Für das
nächste Jahr ist di« Einberufung einer àneral-
verjammlung sämtlicher Vertrauensleute der fünf
Landgemeinden geplant, um verschiedene offene
Fragen, die in den einzelnen Ausschüssen noch be
sprochen werden, grundsätzlich zu regeln.
Stärker als der Tod.
Roman pon Hans Sdiulze.
) (Nachdruck verboten.)
„Herr Geheimrat Krusius",. sagte er, „hat den
tginn des Dämmerzustandes mit großer Bestimmt
st ans das Autounglück Dr. Steinhoffs festgelegt,
h möchte demgegenüber die Frage auswerfen, ob
h nicht auch für den Herrn Sachverständigen aus
r heutigen Verhandlung Momente ergeben haben,
>>ch denen dieser Zeitpunkt vielleicht früher anzu-
jen wäre. Wie wir von dem Zeugen v. Prayer
hört haben, ist Dr. Steinhoff schon tagelang vor-
r in seinem ganzen Wesen auffällig verändert ge
ilen. Ferner wissen wir aus dem eigenen Munde
s Angeklagten, daß er für gewisse Einzelheiten
s angeblichen Mordes nur eine sehr undeuruche
nnnerung besitzt. Da Herr Dr. Steinhoff allge-
>in einen absolut glaubwürdigen Eindruck gemacht
t, kann biet'e Lückenhaftigkeit des Gedächtnisses
chl ohne weiteres als Tatsache unterstellt werden.
Der Geheimrat strich sich mit der gepflegten
mö über den graumelierten Spitzbart. .
„Die Frage des iöerrn Verteidigers ist durchaus
rechtigt. aber ich glaube, -daß ich sie verneinen
rf. Gerade die Lückenhaftigkeit des Gedächtnisses
für mich ein Beweis dagegen, daß der Däminer-
stand bei Dr. Steinhoff schon zur Zeit der . Aot
standen haben könnte. Denn in diesem Fall wurde
n völliger Erinnerungsausfall für . alle Ķt-
nstünde vorliegen. Daß das Gedächtnis, des An
klagten für die jüngste Vergangenheit überhaupt
trübt ist, erklärt sich zwanglos aus der überstan-
nen Geisteskrankheit. Hierzu kommt, daß sich Dr.
teinhoff in der kritischen Zeit zweifellos in einer
Iweren Störung keines seelischen Gleichgewichts
funden hat. die gleichfalls das Erinnerungsver-
ögen beeinträchtigen dürfte!"
„Würden Sie danach wenn Sie einen eigent-
hen Dämmerzustand ausschließen, die Möglichkeit
geben, daß die Tat des Angeklagten vielleicht m
nem seelischen Ausnahmezustand, zum Beiipiel in
nem die Zurechnungsfähigkeit beeintrachngenden
)weren Affektzustande, geschehen sein konnte.
Der Geheimrat lächelte leise.
„Das ist natürlich durchaus möglich, leider sey-
n für eine solche Annahme aber alle greifbaren
nierlaaen. da der Angeklagte den Inhalt und Ab
lauf seiner Unterredung mit Herrn Karr ja nur
andeutungsweise wiederzugeben vermag!"
Der Verteidiger schling ein Aktenstück ans und
nahm einen Brief Im Umschlag heraus.
„Ich danke Ihnen, Herr Geheimrat", sagte er,
„und möchte zu meiner letzten Frage noch ein Be
weisstück heranziehen, das mir erst vorgestern durch
den Kommissar Brandstetter zugegangen ist. Es ist
dies ein Brief, den der Angeklagte noch in der
Mordnacht an Karr gefchirieben und nach dem
Stempel zwischen elf und zwölf Uhr nachts tn
Schlachtensee zur Post gegeben hat. Herr Brandstet-
ter hat den Brief unlängst b'ei einer privaten Haus
suchung unter den Papieren Karrs aufgefunden.
Ich stelle ihn dem Gericht zur Verfügung. Melleicht
ergeben sich aus einer Vernehmung Dr. Steinhoffs
über feinen Inhalt weitere Unterlagen für die Be
urteilung seines Geisteszustandes zur Zeit der Tat."
Der Vorsitzende hob den Kopf.
„Der Zeuge Brandstetter ist wohl noch immer
nicht im Hause?" fragte er zu dem wachthabenden
Justizwachtmeister hinüber.
Dann überflog er den Brief und überreichte
: ihn dem Staatsanwalt, der ihre nach kurzer Einsicht
nahme achselzuckend zurückgab.
> „Der Brief ist etwas dunkel gehalten", begann
der Vorsitzende darauf unter wachsender Spannung
des Publikums, „und besteht eigentlich nur aus
einem einzigen Satz. Der Angeklagte teilt Herrn
Karr darin mit, daß er noch in der Nacht, das heißt
m der Todesnacht Karrs, der nach ihrem gegenseiti
gen Abkommen übernommenen Verpflichtung ge
nügen werde."
> „Herr Dr. Steinhoff", wandte er sich dann mit
erhobener Stimme Kurt zu, „das Gericht hat stch
nach jeder Richtung hin bemüht, den seelischen Vor
gängen gerecht zu werden, die Sie zu Ihrer Tat ge
führt haben. Denn es steht vor einer lehr ernsten
. Entscheidung, der Entscheidung über Leben und Tod.
Jetzt taucht auf einmal dieser Brief aus. der auf
bisher ganz unbekannte Beziehungen zwischen Ihnen
und dem Ermordeten schließen läßt. Wollen Sie
sich daher in Ihrem eigenen Interesse recht eingehend
über ihn äußern, vor allem darüber, welcher Art
- das darin erwähnte Abkommen gewesen ist. War
! dies Abkommen letten Endes der Grund für Ihr
nächtliches Eindringen in die Villa Karr und barg
sein Inhalt vielleicht so viel Zündstoff, daß er bet
.Ihrer damaligen Gemütsverfassung gewissermaßen
zwangsläufig zu einem tätlichen Zusammenstoß mit
Karr und damit zur Katastrophe führen mußte?"
Kurt antwortet lange nicht.
Er fühlte aus der menschlich-gütigen Art des
Vorsitzenden sehr wohl heraus, wie dieser ihm eine
goldene Brücke zu bauen, ihm gleick/am die Antwort
in den Mund zu legen und noch im letzten Augen
blick einen Weg zu weisen suchte, auf dem er stch noch
einmal vor dem furchtbarsten Schicksal zu retten
vermochte.
Ein einziges erklärendes Wort, und die Anklage
brach auseinander, und der Mord, zu dessen Schuld
er sich bekannt, ward zu einer Tat der Leidenschaft,
einer Tragödie eifersüchtiger Liebe, die ihm bei der
wohlwollenden Stimmung des Gerichts vielleicht
nur ein paar Jahre seiner Freiheit kostete.
Für einen flüchtigen Augenblick regte sich in
chm mit Urgewalt der Selbsterhaltungstrieb.
Draußen lockte der Sommer mit Sonnengold
und blauem Himmel.
Und er war noch so jung und sollte sein junges
Leben hingeben, ehe er es überhaupt noch recht ge
lebt hatte, das Leben, zu dem alles empordrängt,
das niemand lasten will.
Das Leben?
Wie eine Eisenfaust krollte es sich plötzlich um
sein Herz.
Er war ja schon längst zum Tode verurteilt,
ehe das Gericht den Spruch jener furchtbaren Nacht
wiederholte, in der er sich selbst aus dem Leben ge
strichen, dessen letzte Wochen er sich nur noch als eine
Gnadenfrist erschlichen hatte, um die Frau zu retten,
die neben ihm jetzt ihrem Urteil entgegenzitterte.
Wie in einer Vision sah er auf einmal wieder
das steinerne Gesicht Karrs, klang ihm der eherne
Ton seiner harten Stimme im Ohr.
„Das Schick''«! hat gegen Sie entschieden, Herr
Doktor! Sie haben das Spiel verloren "
Mit einer entschlossenen Bewegung warf er den
Kopf zurück.
„Ich bedauere, Herr Direktor", sagte er dann,
„daß ich auf den Brief nicht näher eingehen kann;
dos darin berührte Abkommen betraf eine rein pri
vate Angelegenheit zwischen mir und Herrn Karr.
Was ich zu sagen gehabt habe, habe ich gesagt.
Verurteilen Sie mich, wie es das Gesetz vor
schreibt, aber quälen Sie mich nicht lveiter mit
Fragen,
Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr!"
\ Seine Stimme brach.
Der ganze Jammer ielnes Unglücks erfaßte ihn
plötzlich mit vernichtender Gewalt, und er legte die
Hand über die Augen, um die Tränen nicht when zu
lassen, denen er sich nicht mehr wehren konnte.
Der Vorsitzende blickte in der Runde umher.
„Sind noch irgendwelche Fragen an die Ange
klagten zu stellen?
Dann erkläre ich die Beweisaufnahme hiermit
für endgültig geschloffen und erteile dem Herrn
Staatsanwalt das Wort zur Begründung seiner
Anklage!"
„Meine Herren Richter!"
Der Staatsanwalt hatte sich von seinem Sitz
erhoben, und seine helle Stimme, die in einem
merkwürdigen Gegensatz zu seinem massigen Kör
per stand, klang messerscharf durch den weiten Saal.
„Ein düsteres Drama hat sich heute vor Ihren
Augen abgespielt, das weit über die Grenzen
Deutschlands hinaus Entsetzen und Abscheu her
vorgerufen hat.
Einer der großen Wirtschaftsführer der Gegen
wart, ein Mann von Weltgewalt, der vielen Tau-
senden Brot und Arbeit gab, ist ermordet worden.
Ermordet von einem anderen Mann, an dem
die Anteilnahme der Oeffentlichkeit vielleicht nicht
minder groß ist, einem Mann von überragender gei
stiger Bedeutung, der erst vor kurzem einen starken
Beweis seiner hohen dichterischen Begabung geliefert
hat, dem Angeklagten Dr. Steinhoff.
Ich lasse es dahingestellt, ob Alfred Karr, der
in seinem ganzen Leben nur Arbeit und immer nur
Arbeit gekannt hat, einst wohlberaten war, als er
an der Schwelle des Greisentums noch einmal die
Hand noch einem jugendfrischen Weibe erhob, um
an ihrer Seite der drohenden Leere eines einsamen
Alters zu entfliehen.
Es war sicher lickte ine Verirrung, und er hat
dieie Verirrung nur zu bald mit seinem Tode be
zahlt.
Rücksichtslos stürmte die Jugend über ihn hin
weg, im Taumel einer fessellosen Leidenschaft, die
nichts kannte, noch sah und hörte als stch sell st, und
der vbr dem Forum dieses Gerichts nun die furcht
barste Ernüchterung gefolgt ist.
Lossen Sie mich die Grundlinien dieser Tra
gödie noch einmal in kurzen Strichen nachzeichnen!"
sFortletzuna şo'.at.l