Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 4)

Nr. 241 
Zur Unterhaltung 
Beilage der Schleswļg-Holsteļnļfchen Landeszeitung (Rendsburg« Tageblatt 
Dienstag, den 14. Oktober 1939 
Wie England AmanuLah schlug. 
Major Kox faf friste SchuZöigKett. 
Von H. R. B e r n d o r f f. 
Am Abend erschien Aìajor Kox im Kasino. Er 
befand sich in Begleitung seines Freundes Mac, und 
er war nicht wiederzuerkennen. Er hatte sich aus 
dem mürrischen Gesellen, der seinen Kameraden 
schon seit Monaten auf die Nerven gefallen war und 
ihn schließlich ganz isoliert hatte, in einen eleganten 
Offizier der englischen Armee verwandelt, dessen 
strahlende Laune seine Kameraden ansteckte. An die 
sem Abend wurde ein Fest gefeiert, ein Gelage von 
solchem Umfange, wie es nur in den Tropen denk 
bar ist. Als Major Kox spät in der Nacht nach die 
sem Fest nach Hause kam, erwarteten ihn in seinem 
Steinhäuschen zwei Eingeborene, und am nächsten 
Morgen, als der Truppenstab etwas von dem Ma 
jor wollte, war Kox verschwunden. Er war spur 
los abgereist, kein Mensch wußte wohin, und sein 
verwunderter Kommandeur bekam nur eine kurze 
lakonische Mitteilung seiner vorgesetzten Behörde, 
nach der zufolge Major Kox wegen seines schlechten 
Gesundheitszustandes auf unoestimmte Zeit beur 
laubt und von allen Abmeldungen entbunden wor- 
^n fei. 
Der Grenzposten des englischen Militärs, der 
die Grenze gegen Afghanistan zu bewachen hat und 
der am Fuße eines Gebirgspasses am Himalaja liegt, 
wurde zu jener Zeit kommandiert von einem eng 
lischen Leutnant, der sich auf diesem Posten fast zu 
Tode langweilte und der im übrigen den Namen 
Brix trug. Dieser Leutnant Brix hatte wenige 
Tage später eine Karawane, die auf afghanisches 
Gebiet hinüber zog, wie üblich zu durchsuchen. Der 
Führer dieser Karawane war ein hochgewachsener 
Eingeborener aus dem Stamnie der Gurkhas, der 
sehr oft Karawanen über diese Straße zu führen 
pflegte, und der den englischen Offizieren dieses 
Kommandos gut bekannt war. Alle Formalitäten an 
der Grenze erledigten stch an diesem Abend schnell, 
aber als die letzten Kamele des Zuges an dem Leut 
nant Brix vorbeizogen, da war diesem Offizier so, 
als ob er plötzlich verrückt geworden fei. Ein Trei 
ber, der eins der letzten Kamele am Hatfterband 
vovbetführte, schien ihm bekannt zu sein, und er hatte 
plötzlich die wahnsinnige Vorstellung, als ob dieser 
Treiber, der braun, fast gelblich und in dem üblichen 
Kostüm eines Kameltreibers mit stoischer Ruhe an 
chm vorbei zog, identisch sei mit einem ihm gut be 
kannten Offizier des Königreichs Großbritannien, 
der Majorsrang bekleidete und Kox hieß. Diese 
Zwargsvorftellung war so groß, daß er den Führer 
der Karawane zu sich heranpfiff und ihn fragte, wer 
dieser Mann sei. Der Eingeborene sah ihn ver 
ständnislos an und berichtete, daß das ein Perser sei, 
den er seit vielen Jahren kenne und der sein küm 
merliches Leben als Kameltreiber friste. Er habe 
keinerlei interessante Eigenschaften und im übrigen 
fei er zwar ein wenig blöd, aber dafür ausgesprochen 
ehrlich, und er pflege weniger zu stehlen, als Ka 
meltreiber im allgemeinen tun. 
Nach dieser Auskunft erkannte Leutnant Drix, 
daß er dringend urlaubsreif sei, da seine Nerven 
ihm bedenkliche Streiche zu spielen begannen, und 
da er genau wußte, daß er vorläufig doch keinen 
Urlaub bekommen würde, so ging er hin und be 
trank sich. Der persische Kameltreiber aber zog mit 
stimm Kamel in das Land Afghanistan hinein, das 
von dem König Amanullah beherrscht wurde und 
in. dem Ruhe und Friede herrschte. Ruhe und 
Friede wenigstens so weit, als dies in den dortigen 
Gegenden möglich ist. 
Major Kox erschien nach seinem Urlaub, den 
er, wie er mitteilte, in Europa verbracht hatte, wie 
der bei seiner Truppe, und zwar meldete er sich in 
Delhi Mrück. Er kam gerade zurecht, um einem 
Empfang beizuwohnen, der zu Ehren eines eng 
lischen Regierungsvertreters von den Offizieren der 
Garnison veranstaltet wurde. Als die Rede darauf 
kam, daß der König Amanullah demnächst eine große 
Reise nach Europa antreten würde und daß er auch 
noch London komme und dort feierlich empfangen 
werden würde, mischte sich unerwartet auch Major 
Kox in das Gespräch, und es stellte stch dabei heraus, 
das einfache Linien-Offiz'ere der englischen Armee 
von dem mittleren Range eines Majors doch manch 
mal über außenpolitische Dinge seltsame und ein 
wenig verschrobene Ansichten hatten. Major Kox 
erzählte nämlich der ungewöhnlich erstaunten Ge 
sellschaft, daß Amanullahs Thron doch sehr bedenk 
lich wackele. Im ganzen Lande lei eine erhebliche 
Mißstimmung gegen den Herrscher im Entstehen 
und merkwürdigerweist schienen diele unzufriedenen 
Kreise über Geld und sogar Ufoct Waffen zu ver 
fügen. Er, Kox, habe die Ansicht, daß in der Ab 
wesenheit Amanullahs ein Aufstand von nicht zu 
unterschätzender Gefährlichkeit gegen den König aus- 
brechen würde. Anwesende bobe Reg'erungsvertre- 
ter, also Persönlichkeiten des ganz offiziellen Eng 
lands, allo Männer mtt tadelloser weißer Weste, 
konnten sich eures Lächeln kaum erwehren als üe 
diese nach ihren offiziellen Kenntn'ften unzutrefsen- 
den Aeußerungen di<es Öffners verrahmen. 
Offizielle Kenntniffe offizieller Behörden sind 
imnrer etwas Schönes, nicht nur in England 
Ls ist bekannt, daß 'n Afghanistan in der Ab 
wesenheit des Königs Aman»!!ab der re'chbe'chenki 
zu dieser Zeit durch die europäischen Hauptstädte 
zog, der Aufstand ausbrach. Der entscheidende 
militärische Führer, der gegen die Truppe des Kö 
nigs Sturm lief, war ein Mann namens Batch-i-''- 
Sakao, der zwar mutig und verwegen war, der aber 
davon, wie man gegen Kanonen und Maschinen 
gewehre Krieg führt, wenig Ahnung hatte. Batcha-i- 
Sakao hatte einen Generalstabschef, der den Na 
men Ali Ehan trug, von dem man sagte, daß er ein 
Perser sei. Er war bei den Truppen sehr beliebt, 
denn er befolgte die Vorschriften des Korans genau 
und zeichnete sich durch großen persönlichen Mut aus. 
Außerdem waren seine Kenntnisse, wie man Trup 
pen zu einem Gefecht ansetzt und wie man dabei 
überflüssige Verluste vermeidet, für afghanische Be 
griffe geradezu überragend. Dieser Perser hatte, 
wenn man ihn ansah, eine gewisse Aehnlichkeit mit 
einem Offizier der englischen Armee, der unter 
dem Namen Kox registriert war. Das tat nun 
unter den obwaltenden Umständen um so weniger 
etwas zur Sache, als von den Afghanen naturgemäß 
niemand den Vorzug hatte, den Major Kox per 
sönlich zu kennen und im übrigen gibt es seltsame 
Zufälle. Ein solcher Zufall ist natürlich der Um 
stand, daß der wirkliche Major Kox von seiner 
Truppe zu genau derselben Zeit wiederum spurlos 
verschwunden war. Weder sein Kommandeur noch 
seine Kameraden hatten eine Ahnung, wo sich der 
Mann, der wiederum einen unmotivierten Erho 
lungsurlaub erhalten hatte, eigentlich befand. Vor 
seiner Abreist hatte er ganz kurz verbreitet, daß er 
an schlechten Träumen litte und sich von seiner guten 
Mutter in einem friedlichen Häuschen in London 
gesund pflegen lassen wolle. Er litte, so hatte er 
erklärt, an einer unbezwingbaren Sehnsucht nach 
bürgerlicher Ruhe und Behaglichkeit. 
Ali Chan, der dem Major Kox so ähnlich sah 
und augenscheinlich nicht von solchen Sehnsüchten 
geplagt wurde, tummelte sich. Er war selbst für 
afghanische Begriffe ein etwas geheimnisvoller 
Mann, und immer dann, wenn die Truppe Waf 
fen, Munitions- und Ausrüstungsgegenstände 
brauchte, kamen Karawanen an, deren Ursprungs 
ort vollkommen ungeklärt war und die das an 
brachten, wessen man gerade bedürfte. Und nun 
gab es Schlachten, in denen die Regievungstruppen 
geschlagen wurden. Es gab einen Krieg, dessen Ein 
zelheiten und dessen Ausgang bekannt sind, und 
die wirkliche Entscheidungsschlacht schlug Ali Chan, 
der Perser, mit der seltsamen Aehnlichkeit dadurch, 
daß gutes Geld seinen Besitzer wechselte. Die Füh 
rer verschiedener Stänime verlangten ihren Preis 
dafür, daß sie gegen Amanullah zogen und diesen 
Preis zahlte Ali Chan. AIs Batcha-i-Sakao nach der 
Flucht Amanullahs die Hauptstadt Afghanistans be 
setzt hatte, verlangte er stürmisch danach, seinen 
Generalstobschef Ali Chan zu umarmen. Das 
Dekret, dos diesen Mann zum Kriegsminister Afgha 
nistans machte, war bereits unterzeichnet. Es konnte 
aber nicht überreicht werden, und außerdem konnte 
der neuernannte Minister nicht umarmt werden, da 
er spurlos verschwunden war. 
Ganz wenige Zeit später wurde der Stabsarzt 
der englischen Truppen in Peschawar in das Haus 
des Majors Kox geholt. Das war für die Offiziere 
der Garnison eine Sensation, denn niemand wußte, 
daß Kox wieder eingetroffen war. Als der Stabs 
arzt erschien, stellte er stst, daß der Major Perletzun- 
gen am rechten Arm und am Kopfe hotte, und daß 
er außerdem an schwerem Fieber litt. Der Major 
erklärte dem Stabsarzt, daß er auf der Jagd einen 
Unfall gehabt habe. Der Stabsarzt erwiderte, daß 
es außerordentlich selten sei, daß man auf der Iago 
einen Schuß in den rechten Arm und einen Säbel 
hieb über den Kopf erhalte. Major Kox erwiderte 
darauf, daß dos dann nun eben eine Seltenheit sei. 
Aus dem Buch „Diplomatische Unterwelt", Verlag oon 
Dieck und £o„ Stuttgart. 
Skmitnter AuWeäki; des Theater;. 
Fünf selbständige Theater-Landgemeinden 
mit ca. 1206 Mitgliedern in 119 Ortschaften, 
in Schleswig zentralisiert. 
Von Direktor Waldemar Hussina. 
Die Bespielung des platten Landes durch un 
ser Nordmark-Landestheater hat in den legten 3 
Jahren ein« vollkommene Aenderung er jähren. 
Die vorzüglichen Erfahrungen, die das Nordmark- 
Landestheater in der Zusammenarbeit mit den 
Theaterbefucherverbänden in rein wirtschaftlicher 
Beziehung gemacht hat, gaben mir Veranlassung, 
mehrere Theaterlandgemeinden zu gründen mit 
dein Sitz in Schleswig, Husum, Bredstedt, Kappeln 
und Süderürarup. (Vorsitz: Schleswig: Schulrat 
Johannjen, Husum: Konrektor Suhr, Bredstedt: 
Stadtfekretär Töllner, Kappeln: Bürgermeister 
Schüler, Süderbrarup: Postmeister Petersen.) 
Diesen Spielorlen wurden wiederum die kleineren 
umliegenden Ortschaften angegliedert. Ortsoor 
steher, Lehrer und Landwirte stellten stch bereit 
willigst in den Dienst der guten Sache und warben 
in aufopfernder Weise eine größere Anzahl von 
Mitgliedern, die heute als fester Mitgliederbestand 
unseres Nordmark-Landestheaters anzusehen sind. 
Die technischen Organisationsarbeiten werden 
durch das Theaterbüro erledigt, aus einer über 
sichtlichen Kartothek - ist die Mitglieder zahl und 
Mitgliederbewegung jederzeit genau ersichllich. In 
den einzelnen Spielorten sind Ausschüsse (1 Vor 
sitzender und 3 Mitglieder) gebildet, die in stän 
diger Verbindung mit Len Vertrauensleuten der 
angegliederten Orte stehen und die ebenso den 
organischen Zusammenhang mit dem Theaterbllro 
aufrecht erhalten. Dadurch ist die Direktion über 
alle Wünsche und Anregungen der Mitglieder 
ständig unterrichtet. — Kreisbahn und andere 
Derkehrsgeselljchaften erklärten sich bereit, durch 
Sonderzüge und verbilligten Autobusoerkehr für 
eine passende und bequeme Beförderungsmöglich 
keit zu sorgen 
Die Eesamteinrichtung hat bei dem ländlichen 
Publikum eine durchaus günstige Ausnahme ge 
funden. In diesem Jahre findet wiederum in 
den einzelnen Spielorten eine Bcrsammlung mit 
den gesamten Bertrauenspersonen statt. Für das 
nächste Jahr ist di« Einberufung einer àneral- 
verjammlung sämtlicher Vertrauensleute der fünf 
Landgemeinden geplant, um verschiedene offene 
Fragen, die in den einzelnen Ausschüssen noch be 
sprochen werden, grundsätzlich zu regeln. 
Stärker als der Tod. 
Roman pon Hans Sdiulze. 
) (Nachdruck verboten.) 
„Herr Geheimrat Krusius",. sagte er, „hat den 
tginn des Dämmerzustandes mit großer Bestimmt 
st ans das Autounglück Dr. Steinhoffs festgelegt, 
h möchte demgegenüber die Frage auswerfen, ob 
h nicht auch für den Herrn Sachverständigen aus 
r heutigen Verhandlung Momente ergeben haben, 
>>ch denen dieser Zeitpunkt vielleicht früher anzu- 
jen wäre. Wie wir von dem Zeugen v. Prayer 
hört haben, ist Dr. Steinhoff schon tagelang vor- 
r in seinem ganzen Wesen auffällig verändert ge 
ilen. Ferner wissen wir aus dem eigenen Munde 
s Angeklagten, daß er für gewisse Einzelheiten 
s angeblichen Mordes nur eine sehr undeuruche 
nnnerung besitzt. Da Herr Dr. Steinhoff allge- 
>in einen absolut glaubwürdigen Eindruck gemacht 
t, kann biet'e Lückenhaftigkeit des Gedächtnisses 
chl ohne weiteres als Tatsache unterstellt werden. 
Der Geheimrat strich sich mit der gepflegten 
mö über den graumelierten Spitzbart. . 
„Die Frage des iöerrn Verteidigers ist durchaus 
rechtigt. aber ich glaube, -daß ich sie verneinen 
rf. Gerade die Lückenhaftigkeit des Gedächtnisses 
für mich ein Beweis dagegen, daß der Däminer- 
stand bei Dr. Steinhoff schon zur Zeit der . Aot 
standen haben könnte. Denn in diesem Fall wurde 
n völliger Erinnerungsausfall für . alle Ķt- 
nstünde vorliegen. Daß das Gedächtnis, des An 
klagten für die jüngste Vergangenheit überhaupt 
trübt ist, erklärt sich zwanglos aus der überstan- 
nen Geisteskrankheit. Hierzu kommt, daß sich Dr. 
teinhoff in der kritischen Zeit zweifellos in einer 
Iweren Störung keines seelischen Gleichgewichts 
funden hat. die gleichfalls das Erinnerungsver- 
ögen beeinträchtigen dürfte!" 
„Würden Sie danach wenn Sie einen eigent- 
hen Dämmerzustand ausschließen, die Möglichkeit 
geben, daß die Tat des Angeklagten vielleicht m 
nem seelischen Ausnahmezustand, zum Beiipiel in 
nem die Zurechnungsfähigkeit beeintrachngenden 
)weren Affektzustande, geschehen sein konnte. 
Der Geheimrat lächelte leise. 
„Das ist natürlich durchaus möglich, leider sey- 
n für eine solche Annahme aber alle greifbaren 
nierlaaen. da der Angeklagte den Inhalt und Ab 
lauf seiner Unterredung mit Herrn Karr ja nur 
andeutungsweise wiederzugeben vermag!" 
Der Verteidiger schling ein Aktenstück ans und 
nahm einen Brief Im Umschlag heraus. 
„Ich danke Ihnen, Herr Geheimrat", sagte er, 
„und möchte zu meiner letzten Frage noch ein Be 
weisstück heranziehen, das mir erst vorgestern durch 
den Kommissar Brandstetter zugegangen ist. Es ist 
dies ein Brief, den der Angeklagte noch in der 
Mordnacht an Karr gefchirieben und nach dem 
Stempel zwischen elf und zwölf Uhr nachts tn 
Schlachtensee zur Post gegeben hat. Herr Brandstet- 
ter hat den Brief unlängst b'ei einer privaten Haus 
suchung unter den Papieren Karrs aufgefunden. 
Ich stelle ihn dem Gericht zur Verfügung. Melleicht 
ergeben sich aus einer Vernehmung Dr. Steinhoffs 
über feinen Inhalt weitere Unterlagen für die Be 
urteilung seines Geisteszustandes zur Zeit der Tat." 
Der Vorsitzende hob den Kopf. 
„Der Zeuge Brandstetter ist wohl noch immer 
nicht im Hause?" fragte er zu dem wachthabenden 
Justizwachtmeister hinüber. 
Dann überflog er den Brief und überreichte 
: ihn dem Staatsanwalt, der ihre nach kurzer Einsicht 
nahme achselzuckend zurückgab. 
> „Der Brief ist etwas dunkel gehalten", begann 
der Vorsitzende darauf unter wachsender Spannung 
des Publikums, „und besteht eigentlich nur aus 
einem einzigen Satz. Der Angeklagte teilt Herrn 
Karr darin mit, daß er noch in der Nacht, das heißt 
m der Todesnacht Karrs, der nach ihrem gegenseiti 
gen Abkommen übernommenen Verpflichtung ge 
nügen werde." 
> „Herr Dr. Steinhoff", wandte er sich dann mit 
erhobener Stimme Kurt zu, „das Gericht hat stch 
nach jeder Richtung hin bemüht, den seelischen Vor 
gängen gerecht zu werden, die Sie zu Ihrer Tat ge 
führt haben. Denn es steht vor einer lehr ernsten 
. Entscheidung, der Entscheidung über Leben und Tod. 
Jetzt taucht auf einmal dieser Brief aus. der auf 
bisher ganz unbekannte Beziehungen zwischen Ihnen 
und dem Ermordeten schließen läßt. Wollen Sie 
sich daher in Ihrem eigenen Interesse recht eingehend 
über ihn äußern, vor allem darüber, welcher Art 
- das darin erwähnte Abkommen gewesen ist. War 
! dies Abkommen letten Endes der Grund für Ihr 
nächtliches Eindringen in die Villa Karr und barg 
sein Inhalt vielleicht so viel Zündstoff, daß er bet 
.Ihrer damaligen Gemütsverfassung gewissermaßen 
zwangsläufig zu einem tätlichen Zusammenstoß mit 
Karr und damit zur Katastrophe führen mußte?" 
Kurt antwortet lange nicht. 
Er fühlte aus der menschlich-gütigen Art des 
Vorsitzenden sehr wohl heraus, wie dieser ihm eine 
goldene Brücke zu bauen, ihm gleick/am die Antwort 
in den Mund zu legen und noch im letzten Augen 
blick einen Weg zu weisen suchte, auf dem er stch noch 
einmal vor dem furchtbarsten Schicksal zu retten 
vermochte. 
Ein einziges erklärendes Wort, und die Anklage 
brach auseinander, und der Mord, zu dessen Schuld 
er sich bekannt, ward zu einer Tat der Leidenschaft, 
einer Tragödie eifersüchtiger Liebe, die ihm bei der 
wohlwollenden Stimmung des Gerichts vielleicht 
nur ein paar Jahre seiner Freiheit kostete. 
Für einen flüchtigen Augenblick regte sich in 
chm mit Urgewalt der Selbsterhaltungstrieb. 
Draußen lockte der Sommer mit Sonnengold 
und blauem Himmel. 
Und er war noch so jung und sollte sein junges 
Leben hingeben, ehe er es überhaupt noch recht ge 
lebt hatte, das Leben, zu dem alles empordrängt, 
das niemand lasten will. 
Das Leben? 
Wie eine Eisenfaust krollte es sich plötzlich um 
sein Herz. 
Er war ja schon längst zum Tode verurteilt, 
ehe das Gericht den Spruch jener furchtbaren Nacht 
wiederholte, in der er sich selbst aus dem Leben ge 
strichen, dessen letzte Wochen er sich nur noch als eine 
Gnadenfrist erschlichen hatte, um die Frau zu retten, 
die neben ihm jetzt ihrem Urteil entgegenzitterte. 
Wie in einer Vision sah er auf einmal wieder 
das steinerne Gesicht Karrs, klang ihm der eherne 
Ton seiner harten Stimme im Ohr. 
„Das Schick''«! hat gegen Sie entschieden, Herr 
Doktor! Sie haben das Spiel verloren " 
Mit einer entschlossenen Bewegung warf er den 
Kopf zurück. 
„Ich bedauere, Herr Direktor", sagte er dann, 
„daß ich auf den Brief nicht näher eingehen kann; 
dos darin berührte Abkommen betraf eine rein pri 
vate Angelegenheit zwischen mir und Herrn Karr. 
Was ich zu sagen gehabt habe, habe ich gesagt. 
Verurteilen Sie mich, wie es das Gesetz vor 
schreibt, aber quälen Sie mich nicht lveiter mit 
Fragen, 
Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr!" 
\ Seine Stimme brach. 
Der ganze Jammer ielnes Unglücks erfaßte ihn 
plötzlich mit vernichtender Gewalt, und er legte die 
Hand über die Augen, um die Tränen nicht when zu 
lassen, denen er sich nicht mehr wehren konnte. 
Der Vorsitzende blickte in der Runde umher. 
„Sind noch irgendwelche Fragen an die Ange 
klagten zu stellen? 
Dann erkläre ich die Beweisaufnahme hiermit 
für endgültig geschloffen und erteile dem Herrn 
Staatsanwalt das Wort zur Begründung seiner 
Anklage!" 
„Meine Herren Richter!" 
Der Staatsanwalt hatte sich von seinem Sitz 
erhoben, und seine helle Stimme, die in einem 
merkwürdigen Gegensatz zu seinem massigen Kör 
per stand, klang messerscharf durch den weiten Saal. 
„Ein düsteres Drama hat sich heute vor Ihren 
Augen abgespielt, das weit über die Grenzen 
Deutschlands hinaus Entsetzen und Abscheu her 
vorgerufen hat. 
Einer der großen Wirtschaftsführer der Gegen 
wart, ein Mann von Weltgewalt, der vielen Tau- 
senden Brot und Arbeit gab, ist ermordet worden. 
Ermordet von einem anderen Mann, an dem 
die Anteilnahme der Oeffentlichkeit vielleicht nicht 
minder groß ist, einem Mann von überragender gei 
stiger Bedeutung, der erst vor kurzem einen starken 
Beweis seiner hohen dichterischen Begabung geliefert 
hat, dem Angeklagten Dr. Steinhoff. 
Ich lasse es dahingestellt, ob Alfred Karr, der 
in seinem ganzen Leben nur Arbeit und immer nur 
Arbeit gekannt hat, einst wohlberaten war, als er 
an der Schwelle des Greisentums noch einmal die 
Hand noch einem jugendfrischen Weibe erhob, um 
an ihrer Seite der drohenden Leere eines einsamen 
Alters zu entfliehen. 
Es war sicher lickte ine Verirrung, und er hat 
dieie Verirrung nur zu bald mit seinem Tode be 
zahlt. 
Rücksichtslos stürmte die Jugend über ihn hin 
weg, im Taumel einer fessellosen Leidenschaft, die 
nichts kannte, noch sah und hörte als stch sell st, und 
der vbr dem Forum dieses Gerichts nun die furcht 
barste Ernüchterung gefolgt ist. 
Lossen Sie mich die Grundlinien dieser Tra 
gödie noch einmal in kurzen Strichen nachzeichnen!" 
sFortletzuna şo'.at.l
	        
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