Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

I 
Nr. 229 
Zur Unterhaltung 
Dienstag, den 30. Sept. 1930 
Beilage der Schleswļg.Holsteļnkschen Landeszeitung (Nendsburger Tageblatt) 
B3 
Claude Orval. 
„Guten Abend, Monsieur Randier." — 
„Guten Abend." Tie Tür fiel mit Geräusch zu; 
der letzte Angestellte hatte sich entfernt. 
Jacques Randier stand auf, versperrte die 
Tür und setzte sich wieder an seinen Schreib 
tisch. Er prüfte Additionen nach, nahm aus 
einem Geldschrank einen Stoß Banknoten und 
vertiefte sich in seine Rechnungen. Man ver 
nahm nichts mehr als das einförmige Ticken 
der Pendeluhr und das Kratzen der Feder, die 
die Register mit Zahlen bedeckte. Eine einzige 
Lampe, von einem grünen Schirm beschattet, 
erhellte den vergitterten Raum, in dem der 
Kassierer arbeitete. Dunkelheit verhüllte das 
übrige des rechtwinkeligen Zimmers. Ein 
Mahagonischreibtisch stand in seiner Mitte und 
Reflexe spiegelten sich in den Kupferbeschlä 
gen oberhalb der Laden. 
Jacques Randier verglich zwei Endsum 
men, stieß einen Seufzer der Befriedigung 
aus und ordnete sorgfältig alle Bücher. Die ge 
zählten und zusammengesteckten Banknoten 
lagen aufgespeichert in den Fächern des Gelö- 
schrankes. Mit einem letzten prüfenden Blick 
überzeugte sich der Kassierer, daß alles in Ord 
nung sei, dann sank er in seinen Lehnstuhl. 
Eine schmerzliche Erschöpfung verzerrte ihm 
die Züge, während er eine Photographie aus 
der Brieftasche zog. Ohne die Blicke von dem 
Bild zu wenden, auf das das volle Lampenlicht 
fiel, öffnete er eine Lade und seine tastende 
Hand griff nach einer Pistole. Seine fieberhaft 
glühende Handfläche erwärmte einen Augen 
blick lang die Waffe, die er dann erhob. Leicht 
legte er den Zeigefinger auf den Drücker. 
Ein Schatten tauchte auf und eine Hand 
haschte nach der Faust des Kassierers. Der 
Schuß ging los,' von seiner Richtung abgelenkt, 
durchlöcherte die Kugel die Fensterscheibe. „Ich 
schöpfte Verdacht!" tönte eine empörte Stim 
me. „Ich habe Sie beobachtet, mein guter 
Mann. Ihr Verhalten in letzter Zeit verhieß 
mir nichts Gutes! Also? Wieviel?" — „Wie 
viel?" stammelte Randier, indem er die ver 
wirrten Augen des Chefs anstarrte. „Ja, wie 
viel? Wieviel haben sie unterschlagen? Also, 
gestehen Sie!" Der Mann, der eben ohne zu 
zittern dem Tode ins Auge gesehen hatte, er 
bleichte und schauderte. Kein Wort kam über 
seine blutleeren Lippen. „Aber, sprechen Sie 
doch, um Himmels willen!" befahl der Direk 
tor, der sich nur mehr schwer beherrschte. „Das 
Spiel, nicht wahr? Oder vielleicht Frauen? 
Also, kommen wir zu Ende! Wieviel?" 
Jacques Randier öffnete mit zitternder 
Hand den Geldschrank. „Kontrollieren Sie, 
bitte, Herr Direktor!" sprach er mit erstickter 
Stimme. „Meine Rechnung ist in Ordnung 
und alles Geld vorhanden. Es fehlt nicht ein 
Franc!" Mit einem Blick übersah der über 
raschte Chef die strenge Ordnung, die in den 
Metallfächcrn herrschte: die Stöße von Bank 
noten, sorgfältig gebunden und geordnet, die 
Bücher in Reili und Glied. Ein Zweifel stieg 
in ihm auf und etwas erleichtert murmelte er: 
„Also, Randier, sprechen Sie sich aus,- und falls 
ich mich geirrt ^habe, so verzeihen Sie mir! 
Aber gestehen Sie, daß es beunruhigend für 
einen Direktor ist, zu sehen, daß an einem 
bereit 
jagen! 
„Also, 
Abrechnungsabenö sein Hauptkassierer 
ist, sich eine Kugel durch den Kopf zu 
Was ist ihnen widerfahren?" 
„Ah, Herr .. . Herr Direktor ..." — 
sprechen Sie doch! . . . Ein großer Schmerz 
droht einen bisweilen zu ersticken. Vertrauen 
Sie ihn mir an, und Sie werden vielleicht we 
niger leiden!" — „Jedenfalls schulde ich Ihnen 
eine Erklärung. Hier, lesen Sie!" Er reichte 
ihm einen Brief. 
Es waren nur wenige Zeilen: „Wird es 
endlich heute geschehen? Entschließe Dich! 
Nachdem dieser alte Schwachkopf Dich in sein 
Bureau eintreten läßt, während er allein ist, 
so ist die Angelegenheit ganz einfach, kein Ri 
siko und ein herrliches Geschäft. Ich habe mir 
das Haus gut gemerkt. Wenn Du nicht kom 
men kannst, so schicke mir einen Eilbrief. Küsse 
Georges." 
Der Direktor warf den Brief auf den 
Schreibtisch und sprach sanft: „Sprechen Sie, 
Randier!" 
„Sie haben bereits verstanden, ich bin 
überzeugt davon. Meine traurige Geschichte ist 
so banal! . . . Muß ich Ihnen die Freude be 
schreiben, die ich an jenem Tage hatte, an dem 
der Zufall mir eine junge Frau bescherte, von 
der ich gleich empfand, daß sie ganz anders sei 
wie die andern? Nach einigen Zusammen- 
sammenkünften nahm ich an, daß das Leben 
ihr grausam mitgespielt hatte und ich glaubte, 
wenn nicht die Liebe gefunden zu haben --- in 
meinem Alter kann man dies nicht mehr er 
hoffen —, so doch eine aufrichtige, dauerhafte 
Zuneigung. Was war bis dahin meine Exi 
stenz gewesen? Eine lange Reihe düsterer, 
trauriger Tage, die nie das Lächeln einer Frau 
erhellt hatte, und ich glaubte mich bereits ver 
urteilt, allein zu sterben, ganz allein in meiner 
kalten und einsamen Wohnung. Es ist fürch 
terlich, zu wissen, daß eine Frau wartet, bereit, 
Freuden und Leiden mit uns zu teilen. Es 
muß köstlich sein, nach einem Tage der Arbeit 
sein Heim nett und heiter vorzufinden, tau 
send Kleinigkeiten zu sehen, die eine weibliche 
Gegenwart verraten. Wenn ich Ihnen 
sagen wollte, Herr Direktor, daß ich jahrelang 
mit Tränen in den Augen davon geträumt 
habe, mit einem Kuß und einem zärtlichen 
Wort empfangen zu werden! — Ah! — Alles 
ist von nun ab für mich zu Ende: ich werde 
nie diese Wonnen kennenlernen. — Sie erra 
ten das Ende meines traurigen Abenteuers! 
Ich habe die Unvorsichtigkeit begangen, diese 
Frau hierher kommen zu lassen, die auf mich 
wartete, während ich meine Rechnungen be 
endete. Gestern habe ich diesen Brief gefunden, 
der offenbar aus ihrem Handtäschchen gefallen 
ist. Es war gräßlich deutlich. Ich war für diese 
Elende nur eine leichte Beute, die sie heute 
oder morgen verlassen hätte für irgendeinen 
Zuhälter . . . Verzeihen Sie nur, Herr Direk 
tor, ich wollte mich hier umbringen, das ist 
wahr. Ich hatte nicht den Mut, nach Hause zu 
rückzukehren. Ich hatte mein armseliges Heim 
mit zuviel unsinnigen Traumen geschmückt, 
und vor allem fürchtete ich, sie beim Fortgehen 
von hier zu treffen. In diesem Bureau, in dem 
ich seit zwanzig Jahren arbeite, war ich sicher, 
mutig, den befreienden Tod herbeirufen zu 
können! 
Der Chef drückte teilnehmend die Hand 
des Unglücklichen, der heftig schluchzte. „Neh 
men Sie sich zusammen", sagte er mit zittern 
der Stimme. „Mut, mein alter Kamerad!" 
Plötzlich ließ ein leises Klopfen an der 
Tür die beiden Männer zusammenschrecken. 
„Das ist sie!" flüsterte Randier. „Rühren wir 
uns nicht. Wohin gehen Sie, Herr Direktor?" 
— „Aufmachen!" — „Oh! Nein, bitte, das 
nicht!" — „Still! Lassen Sie mich machen." — 
„Geben Sie acht! Wenn es —" Aber schon war 
die Tür offen und eine junge Frau wich mit 
einem leisen Schreckenslaut zurück. 
„Haben Sie keine Angst, gnädige Frau. 
Treten Sie ein! Aber kommen Sie doch herein! 
Bitte, nehmen Sie Platz. Sagen Sie mir, dieser 
Brief gehört doch Ihnen, nicht wahr?" — 
„Mein Gott! — Hat Monsieur Randier ihn 
gefunden? — Ja? — Oh! Ich habe dies so be 
fürchtet! ... Es ist ein Brief von meinem 
Bruder, Herr . . . Ich habe die Unvorsichtigkeit 
begangen, mich ihm anzuvertrauen und seit 
her, trotz meiner flehentlichen Bitten, quält er 
mich, ist ganz besessen von dem Gelde, mit dem 
M. Randier zu schaffen hat und von dem ich 
die Dummheit begangen habe, ihm zu erzäh 
len .... Oh! Man muß ihm verzeihen, Herr, 
er ist im Grunde nicht schlecht. . . Sein Verkehr 
verdirbt ihn!" . . . 
Erleichtert atmet der Direktor tief auf 
und lächelt: „Weinen Sie nicht, gnädige Frau, 
all dies ist nicht schlimm. Sehen Sie, Randier 
ist da ... Er erwartet Sie ... Sehen Sie ihn 
an! Er ist sehr glücklich, Ihre Erklärung ge 
hört zu haben . . . Vielleicht hat er sich gequält, 
als er diesen Brief las . . . " Hieraus drückte 
er seinem Kassierer kräftig die Hand und 
schloß: „Also, ich verlasse Sie, mein lieber 
Randier . . . Und Sie, gnädige Frau, kränken 
Sie sich nicht . .. Wir werden versuchen, Ihren 
Taugenichts von Bruder zur Vernunft zu 
bringen!" 
Er schloß diskret die Tür hinter sich zu 
und ging, zufriedener als selbst in den Tagen 
der besten Bilanzen. 
Die «mehemeii DemeMW- 
mslWeitK des krdzsjes. 
Dem Boden der Erdölfelder entströmt in 
riesigen Mengen das sogenannte Erd- oder 
Naturgas. Erst in den letzten Jahren hat 
man die mannigfaltigen Verwendungsmög 
lichkeiten dieses natürlichen Rohstoffes er 
kannt. Vor allen erfreuen sich die Vereinig 
ten Staaten von Amerika, besonders Kalifor 
nien, ergiebiger Naturquellen. In diesen 
Ländern sind daher auch die bedeutsamsten 
Fortschritte in der Erdgasverwertung zu ver 
zeichnen. Vornehmlich in den Vereinigten 
Staaten hat der Ausbau der Naturgasiudu- 
strie ein rapides Tempo angenommen. Dar 
über gibt schon die Entwicklung des Natur 
gastransports Ausschluß: Um das Erdgas 
von der Quelle aus seinem Verwendungsort 
zuzuführen, wurden Röhrenleitungen gebaut 
Vor fünf Jahren stellten derartige Leitungen 
von 160 Kilometer Länge noch ungewöhnliche 
Einzelerscheinungen dar,' heute gibt es bereits 
Leitungen von 300 Kilometern, und man plant 
bereits eine Leitung von 1440 Kilometern! 
Auch mengenmäßig ist der Verbrauch von Na 
turgas gewaltig: 1928 wurden etwa 28 Milli 
onen Kubikmeter verwertet. Trotzdem ist eine 
Erschöpfung der Erdgasvorräte vorläufig 
nicht zu befürchten. Werden doch die Vorräte 
einzelner Felder auf ungefähr 100 bis 200 
Billionen Kubikmeter geschätzt. 
Die praktische Verwendung von Naturgas 
erstreckt sich über ein sehr weites Gebiet. Zu 
nächst wird das gesamte Naturgas vor 
seiner eigentlichen Verwertung auf Benzin 
verarbeitet. Man gewinnt so in Amerika 
ungefähr ein Zehntel des Gesamtbeöarfs des 
Landes an Motorentreibmittel. Eine wichtige 
Rolle spielt das Naturgas ferner als Helium- 
quelle. Helium, ein sogenanntes Edelgas, 
dient bekanntlich zur Füllung der Luftschiffe. 
In anderen Staaten sind die Füllgase für 
Zeppeline meist Produkte der chemischen In 
dustrie. Amerika besitzt also hier durch seine 
natürlichen Heliumquellen eine gewisse Ueber- 
legenheit. Einen breiten Raum in der Erd 
gasverwendung nimmt weiter die Wärmeer 
zeugung ein. Die Verbrennung verschiedener 
im Erdgab enthaltener Gase. (Erdgas ist ein 
Gasgemisch) liefert sehr hohe Temperaturen. 
Beträgt doch der Heizwert des Erdgases etwa 
9000 Wärmeeinheiten je Kubikmeter und 
übertrifft somit andere Heizgase recht erheb 
lich. Großabnehmer von Naturgas für Hciz- 
zwecke sind Haushaltungen, keramische und 
Glasindustrie, Elektrizitätswerke und — neu 
erdings — auch die Kunstdüngerindustrie. In 
Kalifornien ist man nämlich dazu übergegan 
gen, die durch Verbrennung der Erdgas-Gase 
entstehende Wärme für Ammoniak-Synthese 
nutzbar zu machen. Darüber hinaus will man 
aus dem Erdgas den für die Ammoniak-Er 
zeugung notwendigen Wasserstoff gewinnen. 
(Ammoniak ist eine Verbindung von Stick 
stoff und Wasserstoff). Ueberhaupt steht man 
in der eigentlichen chemischen Verarbeitung 
des Naturgases erst am Anfang einer aus 
sichtsreichen Entwicklung. So kann man aus 
dem Naturgas erhalten: Alkohole verschiede 
ner Art (Aethylalkohol, aber auch Glykel); in 
Niagara-Falls baut jetzt eine Fabrik allein 
eine Anlage zur Gewinnung von jährlich 
etwa 37 Millionen Liter reinen Aethylalko- 
hols aus Erdgas. Ferner lassen sich aus dem 
Naturgas Aldehyde und Ketone, äußerst wert 
volle Zwischen- und Fertigprodukte der che 
mischen Industrie, Herstellen. Auch als Aus 
gangsmaterial für Fettlösungsmittel ist Na 
turgas brauchbar. Schließlich fällt bei seiner 
Verarbeitung noch Benzol ab. 
Für die tägliche Pflege der Haut 
ist die Qualität Ihrer Waschtisch- 
Seife immer entscheidend. Deshalb 
verwenden Sie ein Produkt, dessen 
auserlesene Beschaffenheit in allen 
Verbraucherkreisen gerühmt wird: 
Dr. DralSe’s ia^endeSselfe 
Große runde Form, RM. 0,75 
Stärker als der Tod. 
Roman von Hans Schulze. 
47) (Nachdruck verboten.) 
„Das ist doch noch ein Mann!" schwärmte sie 
in erschauernder Bewunderung, „der jeden Tag sein 
Leben gegen den lauernden Tod einsetzt!" 
Sekundenlang schloß sie im Nochgenuß der eige 
nen Phrase die diskret untermalten Augen, dann 
yber raffte sie sich in ihrem entrüstet aufkrachenden 
Sessel straffer zusammen. 
„Ich bitte vielmals um Entschuldigung!" sagte 
sie, jetzt wieder ganz auf dem Boden der Wirk 
lichkeit, „wenn ich die Herren in dieser schon etwas 
vorgeschrittenen Auflösung meiner Toilette emp- 
sange. Aber ich nehme an, daß Sie mir Nachrichten 
über unseren unglücklichen Dr. Steinhoff bringen, 
und da wollte ich Sie auch nicht einen Augenblick 
lang unnötig warten lassen!" 
Walter verneigte sich mit vollendeter Höflichkeit. 
„Gnädige Frau haben recht geraten. Unser 
Besuch gilt mittelbar Dr. Steinhoff. Und zwar be 
trifft er den Brief, den Herr Karr kurz vor seinem 
Tode noch zu ihm geschickt hat. Können Sie uns 
vielleicht sagen, wer diesen Brief in Empfang ge 
nommen hat?" 
„Gewiß, Herr von Prayer, mein Hausmädchen 
Anna!" 
„Würden Sie wohl die Mte haben und das 
Mädchen einmal hereinrufen? Wir möchten sie 
gern persönlich sprechen." 
Frau Hartkort setzte einen altertümlichen Klin 
gelzug in Bewegung, gleich daraus erschien ein statt 
liches, schon älteres Mädchen mit einem offenen 
verständigen Gesicht. 
„Es handelt sich um einen Brief, Fräulein 
Anna", eröffnete der Kommissar das kleine Devhör, 
„der in der Nacht, als Herr Karr ermordet wurde, 
hier für Dr. Steinhoff abgegeben worden ist. Sie 
sollen diesen Brief in Empfang genommen haben!" 
Das Mädchen bejahte eifrig. 
„Das ist richtig! Ein alter Mann, der im Auto 
gekommen war, hat den Brief gebracht und mir noch 
besonders eingeschärft, ihn Herrn Dr. Steinhoff 
möglichst gleich auszuhändigen. Der Herr Doktor 
war aber gar nicht in seiner Wohnung." 
„Was haben Sie denn da mit dem Brief ge 
macht?" 
„Ich habe ihn bei Dr. Steinhoff auf den 
Schreibtisch gelegt!" 
„Dann hat ihn Dr. Steinhoff gor nicht er 
halten?" 
Das Mädchen stutzte. 
„Das mag wohl so sein. Denn der Herr Dok 
tor ist ja nachdem überhaupt nicht mehr nach Hause 
gekommen. Der Brief hat noch eine ganze Weile 
mit anderen Postsachen auf dem Schreibtisch ge 
legen. Bis eines Tages die Polizei angerückt ist 
und alles beschlagnahmt hat!" 
Die Herren wechselten einen raschen Blick. 
„Der Brief befindet sich also doch wohl bei den 
Gerichtsakten", sagte der Kommissar halblaut. 
„Wir danken Ihnen für Ihre Auskunft, Fräu 
lein Anna!" fuhr er dann zu dem Mädchen gewen 
det fort. „Sie können wieder an Ihre Arbeit gehen. 
Und auch Sie, verehrte Frau Hartkort, wollen wir 
nicht länger Ihrem Abendbrot entziehen. Es han 
delte sich nur um diese Feststellung. Verzeihen Sie 
die späte Störung!" 
Frau Hartkort begleitete sie bis zur Haustür. 
„Glauben Sie, daß Herr Dr. Steinhoff noch 
lebt?" fragte sie beim Abschied mit den Tränen 
kämpfend. 
Walter drückte ihr herzlich die Hand. 
„Solange nicht der Beweis des Gegenteils er 
bracht ist, besteht noch immer Hoffnung. Ich gebe 
Ihnen jedenfalls sofort Bescheid, sobald eine 
stimmt greifbare Nachricht eingegangen ist!" — 
be- 
13. 
Kurt kam durch die kleine Kirschenallee des Sa 
natoriumsgartens und setzte sich auf einer Bank in 
die Sonne. 
Nebenan in der großen Fliederlaube war die 
tägliche Skatpartie bereits im Gange. 
Der'Papst hatte gerade ein Kreuzsolo angesagt 
und Kaiser Nero zankte noch mit dem Ehrenpopen 
über einen Stich des letzten Spiels, bei dem dieser 
angeblich eine Karo-Zehn falsch abgeworfen hatte. 
Aus der Unruhigen-Abteilung einer Nachbar- 
villa klang zuweilen verwirrtes Lachen und 
Schreien. 
Eine Frauenstimme sang schrill und überlaut. 
Dann wieder die behäbige Nachmittagsstille. 
Nur die Bienen summten leise um die blüten 
schweren weißen Wipfel der Akazien, und der Him 
mel war von einem wundervollen klaren und tiefen 
Blau. 
Kurt hatte sich auf seiner Bank weit zurückge 
lehnt und schob die Decke, die ihm der Pfleger vor 
sorglich mit herausgebracht hatte, beiseite. 
Seit drei Tagen war die körperliche Starre wie 
mit einem Zauberschlage von ihm gewichen, so daß 
er seine Glieder auf einmal wieder selbständig re 
gen und bewegen konnte. 
Auch der Chor, der quälenden Stimmen war 
langsam abgeklungen und endlich ganz verstummt. 
Nur sein Gesicht blieb noch wie vor unbelebt 
und leer und in seinen Ohren brauste und rauschte 
es unablässig wie ein ferner Wasserfall. 
Vergebens hatte Dr. Schleyer bei seinen ärzt 
lichen Besuchen mit bewundernswürdiger Geduld 
und Ausdauer immer wieder eine sprachliche Der- 
ständigung mit ihm angestrebt. 
Kurt behielt allen Fragen gegenüber stets den 
gleichen abwesenden, toubstummenhaften Gesichts 
ausdruck bei und schloß sich mit derselben Undurch 
dringlichkeit auch gegen die anderen Insassen der 
Villa ab, die mit ihm in Verbindung zu treten 
suchten. 
Ein blasser, kleiner Student, der unter der Ar- 
beitsüberonstvengung des Examens seelisch zusam 
mengebrochen war und seitdem ruhelos mit einem 
leisen Miauen um die Büsche des Gartens herum 
strich, brachte ihm zuweilen schüchtern lächelnd ein 
paar abgerissene Blumen oder unreife Stachelbeeren. 
Auch ein anderer Kranker, ein überschlanker 
Herr mit unruhig flackernden Augen und nervös 
fahrigen Bewegungen warb um seine Freundschaft. 
Er saß oft stundenlang bei ihm auf der Bank 
und erzählte mit gedämpfter Stimme, daß er sich 
im Sanatorium eigentlich nur in Schutzhaft vor 'den 
Bolschewisten befinde; die ganze Anstalt stecke voll 
russischer Geheimagenten, die ihn Tag und Nacht 
durch Fernseher beobachteten und ein Dynamit 
attentat auf ihn planten. 
Er nenne sich mit seinem bürgerlichen Namen 
Tank und betreibe in Berlin eine Kotflügelfabrik 
für Automobile; in Wirklichkeit sei er jedoch ein An 
gehöriger des ehemaligen chinesischen Kaiserhauses, 
der Tang-Dynastie, und heiße eigentlich Li-Hung- 
Tank, wie sein großer Vetter und Inhaber der Gel 
ben Jacke LitHung-Schang. 
Dann pflegte er mit unendlicher Vorsicht eine 
abgerissene Brieftasche aus dem Rock zu ziehen und 
zeigte Kurt verstohlen eine alte schmutzige Besuchs 
tasche mit verschwommenen chinesischen Hiero 
glyphen. 
Bis er plötzlich mit allen Zeichen der Angst, 
des Gejagtseins, unvermittelt wieder aufsprang und 
mit hüpfenden Schritten an dem Kaßenmenschen 
vorbei in das schützende Hausinnere zurückflüchtete. 
Gegen sechs Uhr kam Dr. Schleyer etwas ver- 
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