Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

Dienstag. Den 8. Juli 
Nr. 157 
Zur Unterhaltung 
Beilage der Schleswig.Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt) 
Dis Geige. 
Don Margarete Fischer-Quedlinburg. 
Es lebte einmal ein bekannter Geigenbauer, 
der wohnte in einer alten Stadt und besaß viele 
Geigen. Täglich kamen Kunstverständige oder Reiche 
des Landes, prüften, urteilten und kauften bei ihm. 
So kam es, daß keine der Geigen lange bei ihrem 
Meister blieb, sondern fern von ihrem Schöpfer eine 
Heimat unter Fremden fand. 
Aber dies schien dem Meister gerade recht zu 
sein; denn nie leuchteten seine Augen so heü, als 
wenn er seiner Hände Werk zum Abschied grüßte. 
Auch wurden die heute verschwundenen morgen 
durch neue Geigen ersetzt. Der Meister glich einer 
Sonne, die unverdrossen Strahl um Strahl zur 
Erde sendet und doch in ungeschwächtem Reichtum 
die Himmel weiter durcheilt. 
So lebte der Geigenbauer in raschem Wechsel 
des Tages ein glückliches Leben. Was man so glück 
lich nannte! Der leise Schatten, der manchmal alles 
zerstört und doch wieder die Sicherheit des Glückes 
bildet, war auch hier zu finden. Der Meister besaß 
eine Geige, die er nicht verkaufen konnte. Sie war 
so schlank und fein gebaut wie die anderen, und 
mancher erste Griff des Kenners galt ihr. Aber 
'dann, wenn dos Spiel begann 
Es war doch seltsam, daß gerade diese Geige 
diesen Ton besaß! Es war kaum ein Klang zu nen 
nen, so scheu, gleichsam zurückgehalten war der Ton. 
Und immer wiederholte sich bei den Käufern nach 
den ersten Strichen das Kopfschütteln, ein Betrach 
ten der Geige, des Bogens, ein erneuter Versuch zu 
spielen und bedauerndes Beiseitelegen. 
Eines Tages begab sich etwas Merkwürdiges. 
Es klingelte, und mitten im Laden stand ein Zi 
geuner; zerlumpt, schworzlockig, mit schlanken, brau 
nen Gliedern und blitzenden Augen. Er trug eine 
rite, schlechte Geige unterm Arm und war gekom 
men, um zu betteln. Er hatte schon mehrere Stra 
ßen der Stadt durchstreift und stand nun zufällig 
bei dem Meister unter all den vielen Geigen. 
Und als der Zigeuner nach alter Gewohnheit 
die Hand zum Betteln ausstreckte, da fiel sein Blick 
auf die fremden Geigen. Da vergaß er die eine Ge 
wohnheit über der anderen und begann, seine 
schlechte Geige zu streichen. Und vor dem staunen 
den Meister erstanden wilde, phantastische Melodien 
in wunderbaren Harmonien, wie er sie nie gehört. 
Der Meister lauschte und lauschte und plötzlich 
'kam ihm ein Gedanke. Er ergriff jene Geige, die 
.niemand spielen konnte und reichte sie dem Zigeu 
ner. Da begann die stumme Geige zu singen, ju 
belnd wie ein Mensch, der endlich verstanden wird 
und zum ersten Mal das längst Vollendete hinaus- 
fauchzt in die Welt. Leise Klagen gegen die Ver 
gangenheit mischten sich in den frohen Jubel, doch 
die Größe des Augenblicks verklärte auch diese Klage 
zur Schönheit. 
Doch unvermutet brach das Spiel mit jähem 
Laut ab. Der Zigeuner reichte dem Meister hastig 
die Geige zurück, nahm sein altes, schlechtes Instru 
ment und verschwand. 
Und wieder kamen die reichen Käufer in den 
vornehmen Wagen, und der Meister erzählte von 
dem wundervollen Klang der Geige. Aber wenn 
man sie zu spielen begann, war die Geige wieder 
klanglos, stumm. 
Keiner der Musiker und Musikanten vermochte 
der Geige die Sprache zu entlocken, und kein Käu 
fer fand sich für sie. Jener unbekannte landfremde 
Mann blieb der einzige, der die stumme Geige je zu 
spielen verstand. Und gerade dieser war zu arm 
gewesen, sie zu kaufen. 
Grupps VsfsmM^r. 
Der große Roman des deutschen Frontsoldaten 
von Werner Beumelburg. 
II. 
Bosemüllers Inbrunst wird schlecht belohnt. 
Der Herrgott war damals nicht in der Lause 
champagne. Bosemüller hat die weitere Entwick 
lung des Krieges ein wenig aus dem Auge ver 
loren. Kurzum, die Franzosen haben inzwischen 
das Dorf wiedergenommen und sammeln sich auf 
dem Platz vor der Kirche. Zuerst vernehmen sie 
den Orgelchoral mit Andacht, sie denken nicht 
anders, denn baß er ihnen selbst zur Ehre ertönt. 
Dann werden sie neugierig. Als sie die Tür ver 
schlossen finden, wandelt sich ihre Neugier in Auf 
dringlichkeit. Sie beginnen, mit Gewehrkolben 
anzuklopfen. 
Bosemüller, der mitten in seinem Post- 
lndium ist, nimmt sich Zeit. Ungeduldiger 
wird schon sein Kamerad, der Bosemüllers 
Orgelleidenschaft ungern mit zwei Stunden 
Strafexerzieren bezahlen möchte. Er fühlt sich 
veranlaßt, zum Fenster hinauszusehen. Bo.r 
lauter Staunen vergißt er das Bälgctreten. 
Die Orgel gibt einen schmerzlichen Laut von 
sich und verstummt. Nun hört auch Bosemül 
ler das unsanfte Klopfen an der Kirchentüre. 
Er geht zu seinem Kameraden ans Fenster. 
Dann reibt er sich die Augen. Aber es hilft 
alles nichts. Es sind keine Engel aus dem 
Himmel, hie auf den Platz vor der Kirche her 
abgestiegen sind, nicht einmal Preußen — es 
sind regelrechte Franzmänner in roten Hofen 
und weiten blauen Röcken . . . 
Soweit ist Schwartzkopf in seiner Erzäh 
lung gekommen. Da gibt es von oben herab 
einen schweren dumpfen Schlag, der alle Ker 
zen verlöschen läßt. Auf einmal ist Dunkel 
heit. Wenige Sekunden später läuft ein Zit 
tern durch das ganze Fort, das von unten zu 
kommen scheint. Alle schweigen einen Augen 
blick. 
Dann steckt Fröse eine neue Kerze an. 
„Nun," sagt Schwartzkopf, „hier ist die 
Geschichte eigentlich zu Ende. Was jetzt 
kommt, hätte jedem anderen auch passieren 
können. Bosemüller und sein Kollege hielten 
sich vier Tage lang in der Kirche verborgen. 
Sie krochen ganz oben in den Turm und hock 
ten sich auf die Balken, an denen die Glok- 
ken hingen." 
„Und wenn die Glocken geläutet wurden" 
fragt Fröse. 
„Dämlicher Hambörger", sagt Schwartz 
kopf, „frag doch Bosemüller selbst, da sitzt er 
ja. Und dann wurde das Dorf wieder von den 
Deutschen gestürmt." 
Ein stinkender Schwefelgeruch zieht durch 
den Gang. Es scheint doch etwas passiert zu 
sein. Manche drehen sich um, ob nichts zu se 
hen ist. 
Rrrummm . . . wummm . . . wumm . .. 
kommt es von oben. 
* 
Bosemüllers Sohn hat blaue Augen und 
blonde Haare. Die Hebamme sagt, es sei der 
gespauzte Vater, sie habe noch nie so etwas 
von Aehnlichkeit gesehen. Die Eltern glauben 
es gern, obgleich sie eigentlich nicht ihrer 
Meinung sind. Wenn man es genau nimmt, 
kann man noch gar nichts erkennen. Das Kind 
sieht aus wie jeder Säugling von vierzehn 
Tagen. 
Bosemüller sitzt den ganzen Tag dabei 
und schaut zu. Es ist immer etwas zu tun. 
Es muß warmes Wasser gemacht werden. 
Bosemüller rennt in die Küche. 
„Es ist zu heiß", sagt er, „ich mutz noch 
kaltes holen." 
In der Küche überlegt er, was er gewollt 
hat. 
„Bringe die Windeln mit, die am Ofen 
hängen," ruft seine Frau. 
) Bosemüller sieht sich um und denkt nach. 
Was wollte er doch? Ach, der Schnuller! Er 
nimmt das Ding und rennt damit in die 
Stube. Er trägt ihn, wie man eine Hand 
granate trägt. ?r.A'.ïf:r ķ": s 
„Wo hast du denn das Wasser?" fragt 
die Frau. 
Bosemüller rennt zurück. Die Windeln, 
denkt er, die Windeln! Aber es war doch noch 
etwas anderes! Das Kind schreit — um Got 
tes Willen, sic hat ihn fallen lassen! Er rennt 
zurück. 
„Wo hast du denn die Windeln?" fragt 
die Frau lachend. Bosemüller wird puterrot 
und rennt zurück. Das Wasser... hat sie ge 
sagt — wo ist das Wasser! Das Kind erkältet 
sich noch! Rasch greift er die Windeln und 
rennt wieder in die Stube. 
„Aber Paul . . . das ist doch das Küchen 
tuch!" 
Er setzt sich hin. er kann nicht mehr. 
„Gib mir das Kind," sagte er, „ich finde 
alle die^ vielen Sachen nicht, du hättest mir 
eins nach dem andern sagen sollen, nicht alles 
auf einmal." 
Dann hält er das kleine Paket in den 
Tatzen. Die Frau geht in die Küche. Das 
Kind bläkst. Ich muß ihm etwas singen, denkt 
Bosemüller. Aber was? Ein Wiegenlied! Wo 
ist ein Wiegenlied! Das Kind plärrt. Bose 
müller singt: „Großer Gott, wir loben dich.." 
Das Kind läuft ganz rot an im Gesicht, 
es entstellt sich. Es ist gewiß krank. Siedend 
heiß überläuft es Bosemüller. Er singt lauter, 
um seine Angst zu übertönen, er schreit bei^ 
nahe. Aber vielleicht will das Kind ein an 
deres Lied? Bosemüller brüllt, indes ihm 
der Schweiß von der Stirne quillt: „Harre 
meine Seele ..." 
Das Kind windet sich. 
„Martha . . ." ruft Bosemüller, „komm, 
halte das Kind, ich mutz zum Doktor . . . das 
Kind ist krank." 
Die Frau kommt zurück und nimmt ihm 
den Wurm ab. Sie wickelt einige Meter Zeug 
von ihm herunter, sie dreht ihn hierbei hier 
hin und dorthin. Dann hält sie etwas in die 
Höhe. 
„Sieh nur, welch ein wunderschöner 
Stuhlgang!" sagt sie glücklich. 
Bosemüller sitzt dabei und faltet die 
Hände. 
(Fortsetzung folgt.) 
Ein neuer Tanz. 
Junge Dame (zum schlechten Tänzer): „Herr 
Professor, Sie tanzen wohl — Potpourri?" 
» Gastfreundschaft. 
Herr: „Jetzt soll ich Ihnen noch 10 M pum 
pen, nachdem Sie acht Tage lang mein Käst ge 
wesen sind?" 
Abreisender East: „Ich muß doch anstands 
halber Ihrer Dienerschaft ein Trinkgeld geben!" 
raKBsarai 
Die Atlantikmädels. 
Roman von G. Meersiedt. 
14) (Nachdruck verboten.) 
Den Brief Hela von Kroneggs gaben dann die Alten 
dem Briefträger wieder mit. Seitdem war keiner 
wieder gekommen. Das sah Komtesse Hela ähnlich. 
Und die beiden Alten hatten es auch nicht anders er 
wartet. Nach dem Kapitel Adelsstolz hätte die gnä 
dige Komtesse gar nicht anders handeln können. — 
Der gnädige Herr Poldi aber brauchte nachdem 
die Affäre mit der Sepherl vorüber war, bedeutend 
mehr Buchenscheite für den Kamin, als vordem. 
„Ordentlich einknallen, Stenzler!" pflegte er zu 
sagen, und knöpfte die alls Watte gesteppte seidene 
Hausjacke zu. Das war ein Zeichen, daß Herr Poldi 
doch wohl nicht die ewige Jugend gepachtet hatte. 
Am letzten Abend des Jahres stieß Kitty im 
Hausgsng, durch den der Wind pustete wie durch 
ein Blasrohr, niit jemand zusammen. Eie sagte 
au! Denn mit dem Zusammenstoß allein war es 
nicht getan. Jemand hatte sie auf den Fuß getreten, 
wie nur Seemannssüße zuzutreten vermögen, die 
gelernt haben, sich an schwankenden Planken zu 
halten, als seien sie daran festgeklebt. Wenn ein 
Mädelsfuß gezwungen ist, diese Probe aufs Exem 
pel durchzumachen, so gehört das keineswegs zu 
den Annehmlichkeiten. Aber von der männlichen 
Seite kam auch ein Au. Kitty hatte nämlich die 
Schlucht nicht ganz unbewaffnet passiert. Sie hatte 
einen Strauß Stechpalme für Vater und Mutter 
Dettmann im Arm gehabt, und der war dem ehr 
lichen Seemann ins Gesicht gefahren, wie der Ost 
im Kanal, wenn er mit Eisnadeln gespickt war. 
„Hallo, Akädel", sagte eine freundlich-gutmütige 
Stimme, „du bist aber mächtig widerborstig." Und 
dann lachten zwei, die in entgegengesetzter Richtung 
da-oongingen, die sich in der dunklen Schlucht nicht 
einmal gesehen, sondern nur gefühlt hatten. 
Als Kitty die Treppen hinaufstieg, roch es aus 
leder Tür nach Hamburger Apfelkuchen. Und das 
Wnze Treppenhaus war wie in Nebel gehüllt. Der 
Schwofìduft zog als geisterhafte Schwaden um die 
alten Galänder. Und die kleinen Flämmchen der 
Oellampen drohten unter diesem Ansturm zu 
streiken. Aber sonst war es gemütlich. Und Kitty 
genoß immer wieder aufs neue diese behagliche Bür 
gerlichkeit. F<ist war sie ihrem gebrochenen Fuße 
dankbar, daß er sie dem Scheinwerferlicht entrissen 
und ihr den Platz unter der Dettmanmchen Petro 
leumlampe verschafft hatte. 
Mutter Dettmann war natürlich auch eifrig bei 
der Bäckerei. Eine Pyramide von Apfelkuchen häufte 
sich auf dem Staatsteller mit dem durchbrochenen 
Rand. Und Vater Dettmann machte schon liebevoll 
der Rumflasche fiir den silvesterlichen „Eisbrecher" 
den Hof. Er studierte unter der Lampe die Etikette 
und nickte beifällig. Mutter hatte sich diesmal 
ordentlich angestrengt. Der gab keine Kopfschmerzen, 
selbst wenn man sich beim Abschied vom alten und 
im Hinblick auf das neue Jahr etwas mehr zu 
mutete, als üblich war. 
An den Gangfenstern probierten die Kinder 
schon das erste Feuerwerk. Fabelhafte Frösche, ge 
gen die einer auf plattdeutsch protestierte, der eben 
nach Hause kam. Und rot- und grünleuchtende 
Streichhölzer. Auch eine Rakete stieg kerzengrade 
auf und flog oben aus der Schlucht heraus und 
iiber die Dächer hinweg, wie eine fpuckeitde Seele. 
Auch Tuten, Blasen, Knarren ließen sich vernehmen. 
Und der, dem Mutter kein solches Musikinstrument 
spendiert hatte, versuchte sich mit dem Munde oder 
blies Kamm. Solange nicht der eigentliche Neu 
jahrslärm begann, drang man mit dem Kamm noch 
immer durch.. Später würde dann schon Rat wer 
den. Denn im Gängeviertel besaß man noch Lungen. 
„Der Heini von Bargmanns ist heute auch mit 
seinem Dampfer angekommen", sagte Mutter Dett 
mann. alq sie sich nach beendeter Backerei an den 
Tisch setzte. Die Apfelkuchen standen wohlverstaut 
in der warmen Backröhre. Vorher aber wollte man 
erst mal etwas Kräftiges zu sich neh-meu, damit 
einem nachher, wenn die ungewohnteren Sachen 
kamen, nicht flau wurde. „Ein zu netter Kerl ist 
der Heini." Mutter Dettmanns Messer wirkte ge 
radezu verheerend in dem stattlichen Ende Mett 
wurst, das einen Duft von Räucherkate um sich ver 
breitete, den der Hamburger sehr schätzt, weil damit 
die Vorstellung von Speckseiten, Schinken und , der 
eben angeführten Mettwurst verbunden ist. „Der 
ganze Jung lacht immer. Und dabei kein Flausen 
macher. Rein, tüchtig und solide. Der läßt kein 
Geld auf St. Pauli. Aber feiner alten Mutter 
gegenüber nicht knauserig. An dem hat eine Frau 
mal etwas. Wo findet sich wohl heute noch ein 
junger Mensch, der etwas auf die Sparkasse bringt?! 
Aber der Heini Bargmann tut's Raten Sie 
mal, was ich hier habe, Mutter Dettmann, sagte er 
heute nachmittag, als er eben mal bei mir einfchaute. 
Und er hielt mir ein Sparkassenbuch vor die Rase, 
in dem es sich dreimal nullte. Das ist noch so der 
alte Schlag von ftüher." 
Merkwürdig, daß Kitty bei Mutter Dettmanns 
Erzählen an das freundlich-gutmütige Lachen vor 
hin im Tunnel denken mußte. Sie hätte die Leute 
im Gang schnell kennengelernt, weil sie sie mochte. 
Aber das Lachen kannte sie noch nicht. Sollte üe 
den Keinen Zusammenstoß mit dem von Mutter 
Dettmann so sehr belobten Heini gehabt halben. 
Und wie zur Antwort auf ihre Frage lachte es 
draußen auf dem Flur. Frau Bargmanns Stimme 
klang dazwischen. Und dann klapp — fiel eine Tür 
zu und schnitt das nette Lachen mitten durch. — 
„War das Heini?" fragte Kitty. 
Da lachten alle drei unter der Petroleumlampe. 
Und Mutter Dettmann meinte: „Paß nur auf, 
Kitty, heute abend kommt Heini Borgmann sicher 
noch, um mit uns anzustoßen." 
Und richtig, als um zwölf Uhr über Hamburg 
die Glocken zu schwingen begannen, als der alte 
Michel so laut dröhnte, als wollte er den Leuten auf 
dem Steinweg und was sich sonst noch um ihn her 
umdrückte, ein Extravergnügen machen, als Römer 
helme und Zylinderhüte, indianischer Kriegsschmuck 
und lange Rasen sich aus den Fenstern zwängten, 
um gesehen und gehört zu werden, schlugen auch 
die Dettmanns ihre Fensterflügel zurück und lehn 
ten sich hinaus. Und Kitty mit Und schon klang 
aus der allernächsten Nachbarschaft, vom Fenster 
nebenan, ein lustiges „Prosit Neujahr!" Und eine 
Seemannsfaust streckte sich Kitty entgegen, weil das 
Mädel dem Nachbarfenster gerade am nächsten war. 
Und dann schnitt das Freudengeheule der 
Sirenen vom Hafen her jedes Wort ab. Ein Ge 
töse war in der Luft, von dem sich Leute, die Alt- 
Hamburg nicht kennen, gar keine Borstellung zu ma 
chen vermögen. Dazwischen knallten von der See 
warte herunter die Kanonen, die sonst den Bewoh 
nern in der Hasengegend weniger angenehm sind, 
weil sie ihnen das Hochwasser melden. Scheinwerfer 
kreisten. Und wer gute Augen hatte, und wem die 
Aussicht sonst nicht verdeckt war. der konnte auf der 
Plattform des alten Michel, bei den riesigen Uhr 
zeigern und den mächtigen Engelsflügeln, die Mu 
sikanten mit ihren Blasinstrumenten stehen sehen. 
Was sie bliesen, das mußte man sich natürlich denken. 
Aber es wird „Wer nur den lieben Gott läßt wal 
ten" gewesen sein. 
Und nachdem man so eine Weile in den Tu 
mult hinausgehorcht und sich dabei in sich selbst 
verkrochen hatte zu einer letzten kleinen, stillen Ein 
kehr, schloß man die Fenster wieder. Und von drü 
ben kamen die Bargmanns zu den Dettmanns mit 
den Groggläsern. Und Heini Bargmann zeigte ver 
gnügt auf den Stechpalmenstrauß und sagte: „Da 
ist ja auch der Igel, der mich heute überfallen hat. 
Und das ist sicher das kleine Mädchen, dem ich den 
Lack von den Schuhen heruntergetreten habe". Und 
Kitty bekam noch am selben Abend von Heini Barg» 
monn ein Geschenk als Schmerzensgeld. Ein Segel 
schiff in voller Takelage, beladen mit ausländischer 
Fracht, hineingezwängt in eine enghalsige Flasche,' 
in der es paradierte, als segelte es bei frischer Brise 
im Ozean. Und Mutter Bargmann ließ es ganz 
neidlos in die jungen Hände übergehen. Sie war 
eine vernünftige Frau, die von ihrem Jungen ganz 
gewiß nicht erwartete, daß er zeitlebens bei chv 
herumhocken sollte. Und Mutter Dettmann hatte 
Ideen, die sich in der gleichen Richtung bewegten. 
„Heini wäre eigentlich etwas für unsere Kitty", 
sagte sie beim Zubettgehen zu ihrem Mann. Aber 
der meinte: „Schieb' nur nicht nach. Was sein soll, 
kommt von ganz allein." 
Kitty aber stellte die Flasche mit dem Segel 
schiff neben ihr Bett. Und weil die Neujahrsnacht 
gerade Mondschein brachte, fuhr das Schiff in voller 
Helligkeit mit silberigen Segeln. Und neben dem 
Kapitän war auch feine Frau an Bord. Aber da 
schlief Kitty schon halb. Und als sie am nächsten 
Morgen erwachte, tat es ihr leid, daß das Schiff 
chen in seine Flasche gebannt war. 
Am Neujahrsnachmittag ober klopfte Heini 
Bargmann bei den Dettmanns an und fragte m:t 
seiner lauten, frischen Seemannsstimme, ob er Frau- 
lein Kitty nach Blankenese abholen dürfte. Die Al 
ten könnten ja inzwischen 'n bißchen beifammensitzen. 
So kämen alle Mann auf ihre Kosten. 
Und es zeigte sich, daß von sämtlichen Beteilig 
ten auch nicht einer etwas einzuwenden hatte. 
„Du siehst, Pater, ich brauche gar nicht zu 
schieben", sagte Mutter Dettmann, nicht ohne klei 
nen Triumph. „Wir Frauen sind doch weitsichtiger." 
„Ja," meinte Vater Dettmann seelenruhig und 
auch seinerseits von dieser Wendung befriedigt, „be- 
sonders, wenn es sich ums Heiraten dreht". 
„Heini Bergmann wäre ja auch etwas für un 
sere Mary gewesen," sagte noch einer Weile Mut 
ter Dettmann etwas kleinlaut. „Schade, daß Mary 
nicht mehr von Kitty hat. Dann säße sie jetzt bee 
uns —* Es war Mutter Dettmann doch hark 
angekommen — trotz des schönen Weihnochtspakctes 
von Mary und trotz der glückstrahlenden Briefe 
iiber den unerwarteten Aufschwung, den sie m:t 
ihrer Tanzerei genommen hatte — Weihnachten 
mit der - ganzen Gefolgschaft von Festtagen ohn- 
'ftr- Mary zu feiern. — 
. (Fortsetzung folgt.)
	        
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