Zur Unterhaltung
33eflag* der Schleswļg.Holfteļnkschen Landeszeîtung (Rendsburger Tageblatt)
Dîensag, den 16. Sept. 1930
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Igsêer „Siainn Coņņktis"
in ßküWkr Sprache.
Taille sucht uns in einem berühmten Ka
pitel seiner „Entstehung des modernen Frank
reichs" die rätselvolle Persönlichkeit Napole
ons dadurch verständlich zu machen, daß er ihn
als einen späten Abkömmling der großen
Italiener der Renaissance nachweist. „Man
erkennt in ihm den nachgeborenen Bruder
eines Dante und Michelangelo- denn die
greifbare Gestaltung seiner Visionen, die In
tensität, der Zusammenhang und die innere
Logik seiner Ideen, die Tiefe seines Denkens,
Die die übermenschliche Größe seiner Vor
stellungen machen ihn jenen in der Tat eben
bürtig. Sein Genie ist von gleicher Art und
gleicher Gestalt, er ist einer dieser drei erha
bensten Geister der italienischen Renaissance,
stittr daß jene beiden mit Papier oder Marmor
arbeiteten, während Napoleon es mit dem
empfindlichen, geduldigen Fleisch lebender
Menschen tat." (Deutsche Uebcrsetznng von
Luise Wolf.)
Ist uns der Spätling Napoleon schon
fremd, wie fremd muß uns erst Dante sein,
der eingeborene Sohn jener fernen Zeit! So
versteht man das Urteil Spittelers, der meint,
Dante sei uns „Wischnn", „abgesehen von den
zahlreichen poetisch hübschen Einzelheiten."
llnö doch ist dieses Urteil klüglich, so sehr es
auch moderner Oberflächlichkeit entsprechen
Mag.
Aber auch die schwärmerische Verehrung
anderer Kreise sieht nicht das wahre Antlitz
Dantes. Diese weichliche Dante-Auffassung hat
ihren vollkommensten Ausdruck in gewissen
Schöpfungen Dante Gabriel Rosettis gefun
den, jenes Träumers, der, ein Leidender, in
den schweren Nebeln Londons seine farbigen
Dräume träumte. Aber der Dante Rosette ist
vur ein Abbild seines Schöpfers, des echten
Romantikers, der, trotz schöpferischer Kraft,
doch nie gestillter Sehnsucht nach immer neuen
Entzücken lechzte.
Dieser schwärmerisch-weichliche Dante
drückt sich mehr oder minder in allen Ueber-
fetzungen der göttlichen Komödie aus, selbst
Ut den besten und gefeiltesten, ohne Schuld der
ilebersetzer, die ein Unmögliches wollten-
^enn es fragt sich, ob die heutige ausgelaugte
Sprache überhaupt zur Wiedergabe Dantes
fähig ist.
Nein, denken wir lieber, um das wahre
Wesen Dantes zu erfühlen, an Napoleon, der
fich auch einen Künstler nannte, einen Künst
ler der Macht, der tragische Novellen im
Stile der Renaissance-Novellen zu improvi-
fieren liebte und dessen Auge in seltsamem
Glanze leuchtete, wenn er, den künstlerischen
llntergrunö seines Wesens verratend, phan
tastische politische Pläne ausmalte.
Die neue Uebcrsetznng der „Divina Com-
Media" von Rudolf Borchardt, welche vor
kurzem endlich im gemeinschaftlichen Verlage
Ernst Rowohlt und „Verlag der Bremer Pres
se" erschienen ist, gibt uns diesen wahren
Dante. Sie verzichtet auf jede weichliche
Glätte der modernen Sprache und übersetzt in
einem prachtvoll kräftigen altertümlichen
Deutsch, das aber nirgends gekünstelt klingt.
Hier ist nichts Weichliches, sondern Zeile für
Zeile schwere unverdünnte Substanz, voll der
strengen Anmut, wie sie Dante eigentümtlich
ist. Rein klingt die Prägnanz der Gedanken
in diesem Deutsch wieder.
Diese Uebcrsetznng ist schon rein philolo
gisch eine erstaunliche Leistung. Aber das
Wissen um die Mittel der Sprache hat nicht,
wie meistens, das Schöpferisch-Nachschöpfc-
rische gelähmt, sondern ist in dessen Dienst
getreten. Man hat das Gefühl, als sei Dan
tes „Divina Commedia" hier zum ersten Male
ins Teutsche übersetzt. Freilich ist dieser
Dante erst recht keine leichte Lektüre, keine
Uebersetzung, die man „genießt", in jenem
widerwärtigen modernen Sinne. Aber auch
das Original ist, selbst für den gebildeten Ita
liener, keine leichte Lektüre.
Das ist ein anderer Dante als der ge
wöhnliche. Selbst wem Dantes Weltanschau
ung nichts ist, wird in dieser Uebersetzung der
„Divina Commedia" doch den gewaltigen
Mythos des Ewig-Menschlichen ahnen, furcht
bare Kümpfe, innere Läuterung und letzte
Verklärung zu jener inneren Ruhe, welche
durch nichts Irdisches mehr gestört werden
kann. Und hinter dem Werke, das durch sei
nen Gehalt an Persönlichstem unvergleichlich
ist, wächst der Schöpfer ins Ungeheure empor.
Das ist ein anderer Dante als der Rosettis.
Dieser Dante ist strenge, ja hart, aber doch
hat er die zögernde Zartheit und Liebe, wie
sie strengen Naturen oft eigen ist. Das ist der
lebendige Mensch, dem alle Erlebnisse, auch
die furchtbarsten, neues Wachstum bedeuten,
der alle Erlebnisse zu makelloser Schönheit
gestaltete. Das ist der Dante, vor dessen
Grabmal in Ravenna Lord Byron nie vor
beiging, ohne voller Ehrfurcht sein Haupt zu
entblößen.
Aber diese Dante-Uebersetzung ist nicht
nur ein literarisches Ereignis. Sie ist ein
nationales Ereignis. Wenn man sieht, wie
die deutsche Dante-Forschung, durch keine po
litische und wirtschaftliche Not unserer Tage
gebrochen, seit den Tagen A. W. Schlegels es
jetzt zu dieser Höchstleistung gebracht hat, so
muß man sagen, daß ein Volk, dessen geistiges
Leben so unverwüstlich ist, — und die Dante-
Forschung ist doch wahrhaftig nur ein kleiner
Teil deutschen Geisteslebens, ----- nicht unter
gehen kann. Es lebt da auch heute in all
unserer Not kräftiger als je ein uraltes ewig
junges Deutschland.
Heinrich Arbs.
liegen wird, erzählt schon Melzer allerhand Be
merkenswertes. Das Land, die Scholle, ist Aus
gangspunkt seiner Schilderungen, die Ehinesengöt-
ter und eine bis auf die Chungchuzen, die Räuber,
herabreichende menschliche Mannigfaltigkeit zu
einem großartigen exotischen Gobelin ausgestalten.
Frithjos Mälzers Buch ist die Anschaffung
wert, auch für eine wißbegierige reifere Jugend.
Für literarische Weihnachtstisch-Vormerkungen
verdient es eine Empfehlung. — Irren wir nicht,
dann hat Melzer vor ungefähr Jahresfrist in
Rendsburg vor einem Kreis geladener Gäste
einen Vortrag über eben jene Forschungsreise ins
Land des Schwarzen Drachen gehalten. A. E.
Btmf* Welr.
Nahrungsaufnahme durch die Haut?
Vor einiger Zeit wurde die Ansicht geäußert,
daß auch die menschliche Haut einer künstlichen Er
nährung dienstbar gemacht werden könne. Man
glaubte, dem Körper gewisse Nährstoffe zuführen
zu können, wenn man diese Nährmittel in die
Haut einreiben würde. Diese Vermutung hat sich
jetzt als irrig erwiesen. Die beiden Forscher Win
ternitz und Naumann, Halle, haben in die Haut
versuchsweise Fette, Jodverbindungen und Rohr
zucker eingerieben. Eine Aufnahme dieser Stosse
durch den Körper ließ sich jedoch nicht feststellen.
Die Fettstoffe, mit denen die Haut durchtränkt ist,
verhindern das erforderliche tiefe Eindringen der
Nährstoffe in den Organismus.
Num Lächà sab Lachn».
Kölnischer Humor.
Der Döres begegnet seinem Freunde Dölfes.
„Du sühs hllck öwer arg verdreßlich dren "
sagt er.
„Kei Wunder," erwidert Dölfes mürrisch, „eß
dat dann e Wedder? Einen Dag wärm, d'r an
dern Dag kalt! — Mer weiß rein uitz wat mer
versetze soll!"
*
Reeres und Bätes sitzen in einem Restaurant,
in dem sie gut gegessen und getrunken haben. Aus
einmal sagt Neeres zu seinem Kumpanen:
„Sag, Bätes, such ens do unfe Kellner, dä eß
jo furchbar schäl!"
„Dä eß ganit schäl," erwidert Bates, „dä loht
(sieht) nur immer met einem Aug op uns uik
met däm andere op d'r Ausgang!“
VrrchemVkchlsmMn.
Die Negimentsgeschichte des ehem. Neserve-Ersatz-
Regiments Nr. 4 soll am 6. S. 1930 erscheinen. Ueber
vier Jahre hat das Regiment an dem gewaltigen Rin
gen an der Westsront teilgenommen und ruhmreichen
Anteil an den Erfolgen gehabt. In stolzer Erinne
rung an die herrlichen Waffewtaten und in Ehrfurcht
vor den gefallenen Kameraden sind die Erinnerungen
letzteren aus Dankbarkeit gewidmet. Anfragen bezw.
Bestellungen sind zu richten an K. Bachmann, Han-
nover, Er. Düwelstraße 24.
Malmt®, Halb »ms Ģpmm
Unter diesem Titel ist im Verlag E. Haber
land, Leipzig, ein trefflich ausgemachtes und reich
bebildertes Buch herausgekommen (kartoniert, mit
buntem Schutzumschlag 9,80, in Ganzleinen 12 M),
das in Ansehung von Stoff und Schilderung be
sondere Beachtung verdient. Frithjos Melzer,
sein Verfasser, ist aus einem deutschen Offizier ein
wackerer Journalist geworden, mit der Verve, dem
Instinkt und dem Nerv, wie sie beste Ueberliefe
rung in diesem Berufe sind. Die den Zeit- und
Menschenbeobachter prädestinierenden Eigenschaf
ten läßt er wetteifern mit dem Sinn für geschicht
lichen, geopolitischen und völkerkundlichen Horizont
sowie der Aufgeschlossenheit für Hintergründiges,
um ein mandschurisches Reisebuch von
ungewöhnlich fesselndem Reiz vorzulegen.
Kaum zwei Fahre sind es her, daß er mit dem
deutschen Asienforscher Walther Stötzner, der Offi
zier wie er gewesen und Forscher ans wissenschaft
licher Passion wurde, die Heilungkiang-Expedition
unternahm, eine ungemein mühselige, aber wert
volle Erkenntnisse liefernde Entdeckungsreise in
den nördlichen Teil des von Europäern noch kamü
betretenen Amurbogens. Für Nordostasien hat die
Mandschurei geopolitisch etwa die gleiche Schlüssel
stellung wie Indien für Südasien. Eine ganze
Reihe Erscheinungen — in jüngster Zeit noch der
chinesisch-russische Kampf um die Ostbahn — be
weist, daß hier ein Aufmarschgebiet für Fragen
von größter weit- und rassegeschichtlicher Trag
weite ist. Kühne Perspektiven öffnend, beleuchtet
Melzer die Probleme in diesem Raum, in den sich
eine gewaltige chinesische Völkerwanderung vom
Süden her ergießt, wobei er als agrar- und sied
lungspolitisch interessierter Volkswirt die Dinge
besonders aufs Korn nimmt. Fruchtbarer Step
penboden, chinesischer Kolonisationssinn, gepaart
mit geringen Lebensansprüchen, dazu der Men
schenstrom halten hier ein Kolonial- und Sied
lungsproblem von nationaler Bedeutung in Fluß.
Das Menschlich-Abenteuerliche kommt in Mel
zers Buch fürwahr nicht zu kurz, der diesbezügliche
Titel „Malaria, Gold und Opium" leuchtet in
allen Teilen des äußerst spannenden Reisebe
richts vor. Malaria in den Sümpfen des Ganho,
im endlosen Regen, der das Land zu einem Meer
macht. Wer hat etwas gewußt von mandschurischer
Eoldgräberei, dem vor der Welt gehüteten chinesi
schen Geheimnis in der „Provinz des Schwarzen
Drachen"? Das Opium selbdritt gehört gewisser
maßen zu den Syrknll, den bösen Geistern des
Amurbogens, welche die zwei wagemutigen, nur
mit dem Nötigsten ausgestatteten deutschen For
scher und ihre kleine landesgeborene Begleitung
bis zuletzt verfolgt haben, ohne ihnen freilich das
Abgetrotzte noch abjagen zu können.
In der wissenschaftlichen völkerkundlichen Aus
beute der Expedition, die Stötzner im einzelnen zu
fällt, werden dis Colonen, die als eigenes Volks
tum im Aussterben begriffenen „Weißen Indianer
des Fernen Ostens" eins hervorragende Rolle
spielen. Von diesem nomadisierenden Volksstamm,
der trotz überragender Eigenschaften der anglei
chenden und nationalbewußten chinesischen Flut er-
t der
atlds-
ftt. 217
„Eigentlich nicht."
„Wunderbar! Dann nehmen wir drüben im
Kaffee gemeinsam das Frühstück. Dort plaudern
wir eine Stunde und erzählen uns viel ans unserem
Leben. Willst du, Beate? Oder hast du Eike, zu
meinen Eltern zn kommen?"
„O gern", sagte sie lebhaft und nahm seinen
Arm. „Du mußt nämlich wissen — deine Eltern
interessieren mich gar nicht. Aber nicht ein bißchen.
Der einzige, der mich im deiner Familie interessiert,
bist du."
Sie saßen drüben im Kaffee, in einer ganz
heimlichen, dämmrigen Nische, die selbst bei Tag
künstlich beleuchtet werden mußte, und erzählten
sich so viel und so wenig, als sich in eine knappe
Stunde zusammenpressen läßt. Nach dieser Stunoe
wußten sie alles voneinander. Erwin hatte ihr so
gar ganz offen erzählt, wie ungern er an die Bahn
gekommen war und wie er sich vorgenommen hatte/
die Cousine mit den roten Rosen recht bald wieder:
ans Wien fortzuekeln.
„Und jetzt . . .?" fragte sie mit einer reizende«
Koketterie, der noch alle Routine fehlte.
„Jetzt?" nahm er begeistert ihre Hand, „jetzt
werde ich alles tun, um diesen Anfenthalt so lange
als möglich auszudehnen. Ich darf gar nicht mehr
daran denken, daß du mir wieder -davonfährst."
Sein Mick fiel auf die gegenüberliegende Uhr und
mit einem Seufzer stellte er fest: „Die Stunde ist
um. Jetzt heißt es, in den Schoß der Familie zu»
rückkehren. Länger können wir Papa und Mama
nicht warten lassen."
„Nein, ich glaube selbst, daß es für uns jetzt
allerhöchste Zeit ist," sagte sie mit einem bedauern
den Lächeln. Der Ober erschien und machte dis
kleine Rechnung. Sie erhoben sich und gingen aus
dem dämmerigen Kaffee in den strahlenden Früh
lingsmorgen hinaus. Vor der Kaffeehaustür blie
ben sie unentschlossen stehen.
„Der Gedanke, dich jetzt sch-on heimzubringen,
ist schrecklich für mich!" sagte er plötzlich sehr heftig.
Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen. „Du,
Beate! Ich habe -da eine Idee . . .! Wer ich weiß
mcht ob du . ,.(Schluß folgt.)
Die ķsrrsiLse
mil Kerr ràer Asfcn.
Von Wilhelm L i ch t e n b e r g.
Erwin Klimt stand mit bitterbösem Gesicht vor
Ankündigungstafel in der Ankunftshalle des
Westbahnhofes. Als er las: „D-Zug aus Berlin
chnfzehn Minuten Verspätung" heiterten sich seine
8üge ein wenig ans. Gott sei Dank! Noch fünf
zehn Minuten Zeit! Manchmal haben D-Züge mehr
Einsehen als die Menschen. Jedenfalls reizend von
diesem Berliner Zug, sich um fünfzehn Minuten zu
verspäten! Unpünktlichkeit ist die Höflichkeit ge
wisser Eisenbahnzüge. Diesem speziellen Zug hätte
Erwin eine Verspätung von hundert und mehr
wahren gewünscht!
Und das kam fo: Gestern abend hatte Erwins
Ņapa ihm eröffnet, daß seine Cousine Beate mit
"ein nächsten Morgenzug aus Berlin ankom-men
werde. Erwin hatte diese Mitteilung zuerst sehr
gleichgültig entgegengenommen. Er hatte Beate
Mr einmal in seinem Leben, anläßlich eines Ber
ber Besuches bei seinem Onkel, gesehen. Das
waren jetzt elf Jahre her und sie war damals eine
-lange von neun Jahren gewesen. Der immerhin
îhon vierzehnjährige Knabe hatte sich nicht weiter
sie gekümmert. Vielleicht hätte er es getan,
wenn sie etwas hübscher und netter gewesen wäre;
"ber sie war — das stand in seiner Erinnerung fest
^ ein Ekel. Die Aussichten, diese Beate jetzt für
^ņtge Zeit in Wien zu haben und sich ihr widmen
M müssen, waren also entietzliche. Seine Gereizt
st hatte sich aber noch gesteigert, als ihm der Vater
sbkret mitteilte, daß dieser Wiener Besuch Beates
îşv>en ganz heimlichen, von beiden Eltern längst
verabredeten Zweck verfolge. Und zwar den, daß
vH die jungen Leute kennenlernten und — bei bet»
^Aeitiger Neigung — ein Paar würden. Da hatte
Erwin sofort erklärt, daß Beate ebenso gut in
i^rlin bleiben könnte, weil er nicht daran denke, sich
^ diese häßliche, unausstehliche Göre zu verlieben.
?şr Vater war über diese Mitteilung sehr konster-
Mrrt gewesen, dxi Beates Kommen war jetzt nicht
mehr aufzuhalten, sie saß bereits im Zuge nach
Wien. Alles, was bei Erwin zu erreichen war,
bestand darin, daß er sich nach langem Zureden ent
schloß, die Cousine von der Bahn abzuholen. Und
da man annahm, daß sich die jungen Leute nicht
mehr erkennen würden, wollte Beate als Erken
nungszeichen rote Rosen tm Arm tragen. Erwin
stand also in der riesigen Bahnhofshalle, die von
Erwartung, Enttäuschung, Hoffnung und Resig
nation durchpulst war, und wartete. Inzwischen
legte er sich haargenau zurecht, wie eklig er zu
der Cousine mit den roten Rosen sein wollte. So
eklig, daß sie womöglich mit dem nächsten Zug schon
wieder nach Berlin zurück reisen würde. . . .
Letzte Aufregung, Warnungssignale, Stoßen
und Drängen der Wartenden. Von fern sah man
bereits den Ranch der Lokomotive. Dann hörte
man das Stampfen der Kolben, das Rattern der
Räder — und plötzlich hielt der Zug mit einem ener
gischen Ruck. Erwin blieb seelenvuhig an seinem
Platz, der nicht einmal eine günstige Aussicht auf
die Ankommenden bot, und ließ die Reisenden und
die Wartenden an sich vorbei fluten. Die Cousine
mit den roten Rosen war scheinbar noch nicht dar
unter gewesen. Oder doch . . .? Möglich. Allzu
genau hatte er ja nicht hingesehen. Er erfüllte
eine Pflicht, weiter nichts. Und -das schien ihin
schon zu viel.
Als er sich für einen Augenblick der Sperre
zuwandte, erblickte er vor sich eine hochgewachsene
Dame, die einen Strauß roter Ro-sen im Arm
trug. Er konnte sie nur von rückwärts sehen und
es fiel ihm auf, wie prachtvoll gewachsen, wie ger
tenschlank sie war. Die Rosen im Arm trug sie
mit vollendeter Grazie und ihr Gang war ein ent
zückendes Schweben über den Bahnsteig. Konnte
das Cousine Beate sein . . .? War es möglich,
daß sich diese garstige Göre so zu ihrem Vorteil ge
wandelt hatte?
Er beschloß jedenfalls, sie anzurufen. Aber sie
hörte scheinbar nicht und ging weiter. Da ereignete
sich etwas, was Erwin nicht für möglich gehalten
hätte: er bekam Angst, die Cousine mit den roten
Rosen aus den Augen zu verlieren. Mit raschem
Entschluß boxte und drängte er sich durch die
Menge und hielt endlich — knapp hinter der
Sperre —- vor der Cousine mit den roten Ro-sen.
„Beate . . .!" streckte er ihr, verlegen lächelnd,
-die Hand entgegen. Ein einziger Mick überzeugte
ihn, daß die zwanzigjährige Cousine keinen Zug
der neunjährigen mehr tru-g. Donnerwetter, hatte
sich das Mädel herausgemacht! Halb Flapper, halb
Dame — jedenfalls eine Mischung von betörendem
Reiz.
Sie blickte ihn an und musterte ihn geradeso,
wie er sie betrachtete. Die Musterung schien zu
ihrer Zufriedenheit ausgefallen zu sein, denn jetzt
lächelte sie und legte ihre Hand in die seine. Und
dann fragte sie: „Wer sind Sie?"
„Ich bin doch -dein Cousin Erwin. Und ich er
warte dich. Erkennungszeichen: rote Rosen im
Arm."
Sie blickte aus ihre Rosen und sagte lächelnd:
„Ach ja ... Du bist also mein Cousin?"
„Ja. Habe ich mich sehr verändert?" fragte
er, ein wenig ängstlich vor ihrer Antwort.
„Riesig! Ich hätte dich niemals erkannt. Du
bist ein ganz anderer geworden."
„Und du erst, Beate! Als wir uns vor elf
Jahren kennenlernten, hast du mir g-ar nicht gefal
len. Jetzt bist d-u herrlich, himmlisch, wundervoll!"
„Siehst du, das freut mich", sagte sie etwas
verlegen und nestelte an ihren Rosen, die bereits
zu verblühen begannen. „Es ist immer besser,
wenn man sich zu seinem Vorteil entwickelt. Mit
zwanzig Jahren kann man es besser brauchen als
mit neun."
Sie standen sich eine Weile gegenüber und
sprachen vor Verlegenheit kein Wort. „Beate", bat
er dann, „möchtest du ein bißchen nett zu mir sein?"
„Oh, ich möchte schon", antwortete sie, „wenn
es geht . . ."
„Es ist nur eine Kleinigkeit. Es geht mir lo
ganz centre coenr, dich jetzt schon zu Hause ab
liefern zu müssen. Und alle fallen dann mit dum
men, nichtssagenden Fragen über dich her, und ch
habe doch keine Minute mehr für mich Hast du
schon gefrühstückt, Beate?"