Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

Nr. 212 
Zur Unterhaltung 
Beklag» der Schleswļg-Holsîeķnļschen Landeszeļļung (Rendsburger Tageblatt) 
Mittwoch, den 10. Sept. 1930 
m 
I 
Wèl-enbrņch «nft Vismarck. 
Als man einst Gutzkows historisches Lust 
spiel „Zopf und Schwert" spielen wollte — 
etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts 
—, erschien eine preußische Kabinettsorder, die 
besagte, daß in Zukunft zu solchen theatrali 
schen Vorstellungen wie Gutzkows Komödie 
die besondere Erlaubnis des Königs eingeholt 
werden müsse. Und überhaupt sollte sich diese 
Erlaubnis auf alle Theaterstücke beziehen, in 
denen verstorbene Mitglieder des Königshau 
ses die Szene betreten. 
So wurde nicht allein Gutzkows Stück 
verboten. Es folgten ihm noch eine Menge 
anderer in langer Folge, teils, weil einmal 
der Kurfürst Moritz von Sachsen nur als Ne 
benfigur auftritt oder aber, weil der Mark 
graf Alkibiaöes von Branüenburg-Kulmbach 
eine zu grotesk-dicke Person war. Doch all das 
ist nichts Sensationelles, auch wenn Hörse die 
Erlaubnis zur Aufführung seines „Philoso 
phen von Sanssouci" nur darum bekommen 
hat, weil Friedrich der Große mehr als hundert 
Jahre tot war. 
Eines Tages aber gab die königliche The 
aterzensur eines ihrer aufsehenerregendsten 
Beispiele: Wildenbruch hatte ein Stück „Gene 
ralfeldoberst" geschrieben. Dieses Schauspiel 
sollte, nach Meinung der Zensur, „Unfreund 
lichkeiten gegen das Haus Habsburg" enthal 
ten, und besonders Bismarck war es, der et 
waige außenpolitische Folgen nachdrücklich gel 
tend machte. Wildenbruch richtete daraufhin 
einen ergreifenden Brief an den Kaiser und 
suchte die Einwände zu entkräften. Zuerst be 
wies er, daß die Vorgänge im Schauspiel mehr 
als zweihundert Jahre zurücklagen, und fer 
ner erklärte er, daß er bereit sei, alle Stellen, 
die etwa Anstoß erregen könnten, zu streichen. 
Es hieß in dem Schreiben: „Dieses Stück ist 
für mein ganzes Schaffen von äußerster Wich 
tigkeit. Ich habe dasselbe in einem ganz neu 
en Stile, „im deutschen Vers" geschrieben. Bon 
dem Ausgang desselben hängt für mich die 
Entscheidung darüber ab, ob ich den Weg wei 
tergehen kann und soll, den ich mir vorgezeich 
net, nämlich eine Reihe von Dramen zu schaf 
fen, in der sich das Wachsen und Werden des 
preußischen Staates am Hause Hohenzollern 
und in Verbindung mit demselben zu schildern 
gedenke." Der Brief schließt mit einem Hin 
weis des Dichters auf die mehr als andert 
halbjährige Arbeit, die er auf das Werk ver 
wendet habe. 
Die Folge davon war, daß Wildenbruch 
zu einer Audienz bei Bismarck vorgelassen 
wurde. Diese Begegnung war übrigens die 
einzige, die der Dichter mit dem Kanzler hatte, 
den er stets in den hellsten und glühendsten 
Farben schilderte. Bei dieser einzigen Begeg 
nung ist aber nicht sehr viel herausgekommen, 
Wildenbruch hatte nämlich nur erreicht, daß 
Bismarck sich nun dazu herabließ, das Schau 
spiel einmal zu lesen. Es stellte sich heraus 
(zu Wildenbruchs großem Erstaunen), daß der 
Kanzler das Stück nur nach einer Inhaltsan 
gabe kannte. Immerhin, Wilöenbruch machte 
sich nun wieder Hoffnungen. 
Bis Bismarck das Werk gelesen hatte, ver 
ging einige Zeit. Und dann endlich — lieh er 
das Verbot der Aufführung des Stückes auf 
recht. Wildenbruch wurde dieser Bescheid auf 
eine Art mitgeteilt, die den Dichter noch lange 
Jahre hindurch tief kränkte. Er erhielt einen 
Brief, in dem es zum Schluß hieß: „Nach An 
sicht Seiner Durchlaucht wird Herr von Wil 
denbruch hierbei zwischen seiner amtlichen Tä 
tigkeit und seinem dichterischen Berufe wählen 
müssen. Da Herr von Wilöenbruch als Dich 
ter größer denn als Diplomat ist, nimmt Seine 
Durchlaucht an, daß ihm die Wahl nicht schwer 
fallen wird." Hinzugefügt muß werden, daß 
Wildenbruch einige Zeit im auswärtigen Amt 
tätig war, und daß man fürchtete, es könnten 
irgendwelche Schlüsse aus seiner politischen 
Tätigkeit für seine poetischen Meinungsäuße 
rungen gezogen werden. 
Nachdem Wildenbruch nun „abgesägt" 
worden war, erlebte Gutzkow noch, daß sein 
„Zopf und Schwert" als einmaliges Benefiz 
für den Autor (so wurde ihm geschrieben) in 
Berlin aufgeführt wurde. Ob für den Dich 
ter mit diesem „einmaligen Benefiz" auch ein 
Erfolg verbunden war, ist fraglich. Wir aber 
wissen heutzutage kaum noch etwas von all den 
vielgepriesenen Stücken, aber die Tatsache der 
Hohenzollern-Zensur bleibt doch sehr interes 
sant. 
Bunt« Weit. 
Die Seemannstragödie auf der Sandinsel. 
Eine französische Zeitschrift veröffentlicht ein 
Manuskript, dos kürzlich in einem alten Archiv auf 
gestöbert wurde und 'deshalb von Interesse ist, weil 
es eine Seemannstragödie enthüllt, die sich vor un 
gefähr hundertfünfzig Jahren abspielte. Der Schau 
platz der tragischen Geschichte ist eine nicht weit 
von der madagassischen Küste im Indischen Ozean 
gelegene Insel, die von den Franzosen Ile aux 
Sables (Sandinsel) genannt wird. Dieses Eiland 
besteht tatsächlich aus nicht mehr als einigen Qua 
dratkilometern flachem Dünenboden mitten im 
Ozean. 
Das belangreichste Stück in dem erwähnten 
Manuskript ist der Bericht des Intendanten von Ile 
de France Maillart an den französischen Marine 
minister vom 16. Dezember 1776. Der Statthalter 
meldet: „Am 31.Juli 1761 erlitt die Fregatte „Utile" 
bei Ile aux Sables Schiffbruch. Den Europäern 
unter der Atannschaft gelang es, in Schaluppen die 
Küste von Madagaskar zu erreichen. Für die Ne 
ger hatte man keine Rettungsboote mehr übrig, und 
die Unglücklichen wurden ihrem Schicksal überlassen. 
Erst als Maillart Statthalter war und von der 
Sache vernahm, wurden Schritte unternommen, um 
die schwarzen Schiffbrüchigen, soweit sie noch lebten, 
zu retten. Dreimal versuchten Schiffe, sich der 
Sandinsel zu nähern, aber die schwere Brandung 
verhinderte sie, Aüker zu werfen. Man nahm je 
doch Zeichen von Leben auf der Insel wahr und ein 
Matrose schwamm zur Küste und blieb dort zurück. 
Die vierte Expedition hatte mehr Glück. Das Schiff 
„Dauphine" unter dem Kommando des Kapitäns 
Tromdin kam bis zur Küste der Insel. Man traf 
sieben schwarze Frauen und einen Säugling an. 
Eine der Frauen war alt und gebrechlich, die ande 
ren gesund, trotz dem fünfzehnjährigen Aufenthalt 
auf einer verlassenen Insel, die keinen Pflanzen 
wuchs auswies und auf der man sich bloß von Schild 
kröten, Vögeln und Austern nähren konnte. Be 
reits im Jahre 1764, also schon nach drei Jahren, 
waren achtzehn Neger auf einem selbstgefertigten 
Floß geflohen. Der weiße Matrose war einige Zeit 
später mit sechs anderen Negern auf die gleiche 
Weise verschwunden. Mehrere Negerfrauen und 
alle neugeborenen Kinder starben, und das einzig 
übrig gebliebene Kind war acht Monat« alt. Die 
aus Großmutter, Mutter und Kind bestehende Fa 
milie wurde im Hanse Maillarts aufgenommen und 
dort gepflegt. Der Junge erhielt den Namen 
Jacques Moyse. Alle Geretteten wurden sofort 
freigelassen, weil die Schiffsgesellschaft durch ihre 
Gleichgültigkeit gegenüber den Schiffbrüchigen jeden 
Anspruch auf diese Menschen verwirkt hatte . Keine 
Schwarze, mit Ausnahme der von Maillart über 
nommenen, wollte jedoth nach Madagaskar zurück 
kehren, weil sie alle fürchteten, dort neuerlich ihrer 
Freiheit beraubt zu werden. Sie blieben deshalb 
auf der Sandinsel zurück. 
Eigenartige Gewissenhaftigkeit. 
Ein früherer belgischer Offizier, als Kriegsteil 
nehmer mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet 
wurde seit Jahren schon von Gewissensbissen gequält. 
Seiner Rechnung nach hatte er in den beiden letz 
ten Kriegsjahren durch ein Versehen seiner Ba 
taillonskasse rund 420 Mark zuviel an Gehalt be 
kommen. Er steckte damals das Geld vergnügt ein 
und machte sich weiter keine Gedanken darüber, 
aber unbehaglich war ihm die Sache doch immer ge 
wesen. Als er nun kürzlich eines Abends gehörig 
einen über den Durst getrunken hatte, bekam er das 
„heulende Elend", und in dieser traurigen Gemüts 
verfassung ergriff ihn die Reue über das zuviel er 
haltene Geld mit besonderer Macht. Er setzte sich 
hin, packte die 420 Mark in einen Umschlag und 
sandte es, ohne seinen Namen zu nennen, mit eini 
gen kurzen, erklärenden Zeilen dem Kriegsministe 
rium ein. Dieses, an derartige Fälle schon ge 
wöhnt, brächte den Betrag auf dem hierfür vorge 
sehenen Sonderkonto unter, und die Angelegenheit 
schien erledigt. Am übernächsten Tage überfiel den 
ehemaligen Offizier, der inzwischen wieder nüchtern 
geworden war, die Reue, diesmal über seine gute 
Tat. „Eigentlich", sagte er sich, „habe ich doch über 
eilt gehandelt. Das Geld stand mir vielleicht doch 
zu. Die Kaffe mußte schließlich wissen, welches Ge 
halt sie mir auszuzahlen hatte. Und dann könnte 
ich auch die 420 Mark wirklich gut gebrauchen." 
So setzte er sich denn hin, schrieb einen zweiten Brief 
an das Ministerium, worin er den Sachverhalt dar 
legte und um Rücküberweisung des Betrages bat. 
den er wirklich nicht entbehren könne. Erstaunlicher 
weise entsprach die Behörde dem ungewöhnlichen 
Antrage und schickte das Geld unverzüglich zurück. 
Hinfort wirb sich der glückliche Empfänger also keine 
Skrupeln mehr deswegen zu machen brauchen. 
Der Schein trügt. 
Die Dank von Frankreich ist von den Erben 
des Malers Olivier Merfon wegen Schädigung 
des künstlerischen Rufes Merfons verklagt wor 
den. Der Maler hatte vor achtzehn Jahren der 
Bank den Entwurf zu einem Fünfzigsrankenschein 
geliefert. Seit einigen Jahren sind nach diesem 
Entwurf hergestellte Noten ausgegeben worden,' 
die Kläger behaupten nun, die 'Reproduktion sei 
so miserabel, daß Merfon, wenn er sie erlebt 
hätte, sich das nicht hätte gefallen lassen; sie ser- 
langen sofortige Einstellung der Ausgabe und 
Einziehung der im Verkehr befindlichen Noten. 
Die Bank von Frankreich sollte sich mit den 
Klägern gütlich einigen. Sie sollte versuchen, sie 
zu überzeugen, daß die Noten doch nicht so schlecht 
gelungen seien, und ihnen zum Zweck der Prü 
fung eine Anzahl überlassen, vielleicht zwanzig- 
oder dreißigtausend Stück. Denn in größeren 
Mengen wirken sie sicherlich nicht so übel. 
Gummiüberschuhe für Flugzeuge. 
Ein gefährlicher Feind des Flugzeugs in grö 
ßeren Höhen und bei Kälte ist das Eis, das sich, 
besonders auf den Tr-gflächen, in derartigen 
Mengen ansetzen kann, daß das Flugzeug über 
lastet wird. Köhls Flugzeug war zwar schon mit 
einem seinen Oelüberzug versehen, der den Eis- 
ansatz verhindern sollte. Jetzt hat man ein neues 
Verfahren ausgearbeitet, das den Eisansatz erfolg 
reich beseitigt. An den Hauptansatzstellen, wie der 
Vorderkante der Tragflächen, werden überschuh 
ähnliche Kautschuküberzüge befestigt. Der Gummi 
saugt an seiner Oberfläche eine größere Menge 
Oel auf und hält dieses fest. Der „Ileberschuh" 
enthält einen durch dehnbares Gewebe verstärkten 
Eummischlauch, der mit einer Pumpe aufgeblasen 
werden kann. Mit einer solchen Ausrüstung am 
Ridomast stieg auf dem Flugplatz von Cleveland 
ein Flugzeug auf. Als der Eisüberzug an der 
Vorderkante der Tragflächen über einen Zenti 
meter dick war, wurde die Pumpe in Tätigkeit 
gesetzt, und das Eis sprang in Stücken ab. 
Stirn Mchà traft Lachen. 
Im Zweifel. 
Als ich ihren Vater nach der Mitgift fragte, 
hat er geschwiegen. Bedeutet Las nun: Schwei 
gen ist Gold? 
Was ist verdächtig? 
Wenn ein Kassierer einen Blick ins Leere hat. 
Frag mich was! 
„Mutti, kommt Tante in den Himmel?" 
„Gewiß, mein Kind." 
„Kommen Löwen auch in den Himmel?"" 
„Nein, Kind, Löwen kommen nicht in den 
Himmel." 
„Aber kommt Taite auch dann in den Himmel, 
wenn sie von einem Löwen gefressen wird?" 
Srgsrme rrssö bit bàê Mmm 
Ein Märchen von Edith Härter. 
BorbeiirerîU'wg der Echriftleitmig: Ein« jugend 
liche Lejerin unseres Blattes hat dieses feinsinnige 
Märchen verfaßt, das wir hiermit gerne allen Lesern 
zur ķîenntnis bringen. 
In einem alten Schlosse mitten im Walde leb 
ten einmal ein König und eine Königin. Das Schloß 
lag so einsam und still da, daß man hätte glauben 
können, es sei verzaubert. In seinem Frieden aber 
barg es den größten Schatz des Königspaares, ihr 
Kind, die junge Sigrune. Lebensfreude strahlte aus 
ihren blauen Augen, und wer hineinschaute, mußte 
ihr von Herzen gut sein. Wie Sonne lag es auf 
ihrem Scheitel. ■«Die dunkelsten Winkel erhielten 
einen sanften Schimmer 'davon, wenn das Kind dort 
herumkroch. Die alte Wartefrau, die nur mit Not 
dem Kind nachfolgen konnte, wollte manchmal böse 
werden. Wenn sie aber in die glückstrahlenden 
Augen -der Kleinen blickte, schmolz der Aerger hin 
weg. 
Alles war dem Kind ein lebendiges Wunder, 
dos alte Schloß mit den vielen Gängen und Trep 
pen, die seltsamen Geweihe, 'die allenthalben die 
Wände schmückten, der kleine Burggarten, in dem es 
mit Blumen und Vögeln plauderte. Dort konnte 
Sigrune ftundeulang sitzen und mit großen Augen 
den Kletterrosen am Bergfried zusehen, wie sie im 
Winde nickten und tanzten. Was mochten sie nur 
«rauschend flüstern? Sigrune horchte und vernahm, 
daß es ein Tanzlied war zu ihrem lustigen Tanz. 
„Neige und beuge! 
Gleite, dich schwingend. 
Schwesterlein, singend' 
,fliehe und gleite! 
Wind, dein Geselle, 
Dreht sich gor schnelle! 
'ache und jauchze! 
Flattern die Röckchen 
Wehen die Löckchen!" 
Und schließlich sang Sigrune das Lied mit, hob sich 
und bog sich, glitt über 'den Rasen und tanzte mit 
den Flatterrosen um die Wette. 
Oder sie pflog heimliche Zwiesprache mit den 
Glockenblumen. Was erlauschte sie da nicht für 
wunderfeine Mären von Elfen und Feen, wenn die 
blauen Glocken zart erklangen. Einmal fiel ein 
Sonnenstrahl in die schönste und größte Glocken 
blume, daß sie oufftrahlte und einen Schimmer 
blauen Lichtes um sich goß. Versunken in soviel 
Schönheit kniete Sigrune davor nieder und legte 
wie schützend die Hände um den Glanz. Da erzit 
terte die Glocke in tiefer Freude, und ein Ton rang 
sich los, fo klar und doch so unendlich fern, so glück 
durchstrahlt und doch so weh. Sigrune wußte nicht, 
wie ihr geschah. Sie hätte vor Glück und Weh wei 
nen mögen. Es war, als fielen Mauern vor ihr 
nieder und eiue große, unendlich^ Ferne öffnete sich 
vor ihr und zöge sie mit taufend Banden. Und doch 
war sie wie festgebannt von dem Klang. Es hob sich 
um sie ein Rauschen, ein Flüstern, und eine klare, 
feine Stimme sprach: 
„Sigrune, du freust dich an der Schönheit, die 
Gott geschaffen hat. Du sollst wissen, weshalb ich 
klingen, muß so voll jauchzender Sehnsucht. — 
Es war einst ein junger König, der suchte sich 
eine Königin. Weil er aber die rechte nicht finden 
konnte, ging er zu einer weisen Frau, die tief drin 
nen im Walde wohnte. Der klagte er sein Leid 
und sagte, daß er eine Frau möchte, die von Herzen 
gut sei. Die Fee lächelte gütig und gab ihm eine 
strahlende, blaue Kristallglocke. 
„Wer diese Glocke zum Klingen bringt, hat ein 
reines, gutes Herz. Die mache zu deiner Königin!" 
So sprach sie, und der junge König ging dank 
bar davon. Nun dachte er an olle Prinzessinnen, 
die er kannte und überlegte sich, welche er wohl am 
ebsten möchte. Zu der ritt er zuerst. Die Prin 
zessin aber, die ein stolzes Herz hatte, fand den 
' Vorschlag albern. Zwar schüttelte sie schließlich doch 
di« Glocke, aber sie brachte sie nicht zum Klingen. 
Und so erging es dem König überall, wo er 
( anklopfte. Traurig und niedergeschlagen kam er 
‘ wieder auf seinem Schlosse an. Als er aber die 
Glocke suchte, fand er sie nicht. Er hatte sie verlo 
ren. Bestürzt eilte er zu der Fee. Die wußte sch'on, 
was er ihr sagen wollte und sprach: 
„O, gräme dich nicht! Jetzt erst wirst du das 
Glück finden, das du suchst. Jetzt wird die Glocke 
für dich klingen." Als der König das hörte, ging 
er getrost heim und wartete. 
Es war an einem schönen Frühlingsmorgen. 
Da wachte der König auf von einem wunderbaren 
Klingen, das ihm das Herz zu zersprengen drohte. 
Unwiderstehlich zog es ihn hinaus, dem Klange nach. 
Da kam er auf eine große Wiese. Darauf stand eine 
strahlende, blaue Glockenblume. Die Sonne spie 
gelte sich in den Tautropfen, die in ihrem Kelch 
lagen. Und vor ihr kniete eine junge Schäferin. 
Der König trat zu ihr; und sie hob die strahlenden 
Blauaugen zu ihm auf, als wollte sie um Andacht 
vor der schönen Blume bitten. Da wußte der Kö 
nig, daß sein Wunsch erfüllt war, und er dankte der 
weisen Fee aus freudigem Herzen. — 
Siehst du, Sigrune, deshalb müssen wir immer 
klingen, wenn «in Mensch staunend und andächtig 
Gott in unserer Schönheit anbetet. Und unser 
Klang erweckt in seiner Seele alle Sehnsucht nach 
höchster Schönheit, erweckt alle verborgenen Kräfte 
zur opferfreudigen Liebe." 
„Ja", sagte Sigrune, „höchste Sehnsucht zu 
Gott und alle Liebe zu 'den Menschen!" 
Trunken von soviel Glück, das sie empfangen, 
ging sie wie im Traum einher. Die Mutter schüt 
telte fragend und bang den Kopf, wenn sie ihr Kind 
mit sehnsuchtskranken und doch so glücklichen Augen 
zu den ziehenden Wolken starren sah. — 
Eines Tages machte sie sich auf und ging m't 
Sigrune zur alten Waldsrau. Sie dachte, daß die 
vielleicht Rat wüßte! Waren ihr doch alle Kräuter 
und Tränke bekannt! Das Holzhäuschen der Alten 
lag mUten in àem Wald von hohen Farnkräutern, 
über die dst Fichten und die Kiefern in verschnör 
kelter Gestalt ragten. Große Sonnenblumen reich 
ten bis zum Rand des Hüttchens. 
Die Alte laß auf der Moosbank und las Beeren 
aus, als die Königin mit Sigrune erschien. Sie 
grüßte freundlich. Als sie Sigrunes großen, erstau.«- 
ten Blick sah, bat die kluge Waldfvau sie, sich das 
Hüttchen und die Umgebung näher anzusehen. 
„Kräh, mein Rabe, wird dir alles zeigen, derweil 
ich mit deiner Mutter plaudere. Dort drüben wach 
sen auch schöne Beeren." 
Sigrune schritt dankbar hinter Kräh her, der 
ihr voraufflog und ihr alles erklärte. Die Kö 
nigin aber klagte der Waldfrau ihre Sorgen. Die 
alte Frau mit den gütigen Augen hatte lange ver 
sonnen vor sich hin geblickt. Endlich sagte sie: „Ja, 
ja, ich kenne das. Aber da helfen keine Tränk- 
chen und Kräuter. So etwas muß feine Zeit ha 
ben. Laßt Euer Kind gehen. Wenn es seinen 
Weg gefunden hat, wird es ihn machen, und Ihr 
dürft es nicht daran hindern." 
Gehen lassen! Ja! Allmählich wich die Ver 
träumtheit.. und die alte starke Freude kam wie 
der zum Vorschein. — 
Da geschah es, daß Sigrune eines- Morgens 
im Garten stand und ihren Tauben Futter streute. 
Die zutraulichen Tiere pickten es ihr aus der Hand. 
Aber schnell flogen sie wieder weg und umkrei, 
sten schwingend und gleitend den efeuumsponne- 
nen Bergfried. Ihr weißes Gefieder glänzte und 
blitzte in der Sonne. (Schluß folgt.)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.