àbe und Romantik —
Liebe und Verbrechen.
Nonrane -es» täglichen Lebens»
Die LisLsSheirat
ösZ ķxzhsrzNgs Ulbrecht.
Exkaiserin Zita gibt ihre Zustimmung.
Erzherzog Albrecht aus dem Hause Habsburg
hat sich völlig überraschend mit der geschiedenen
Frau des früheren ungarischen Gesandten in Bel
grad. Rudnay, in Brighton bei London staàs-
amtlich trauen lassen.
Jetzt werden interessante, bisher unbekannte
Einzelheiten über die Eheschließung des Erzher
zogs Albrecht bekannt. So wird u. a. gemeldet,
daß Erzherzog Albrecht einige Tage vor seiner
Eheschließung an den König Alfons von Spanien
als den „katholischsten Monarchen Europas" ein
Telegramm gerichtet und ihn ersucht hat, er möge
seinen Einfluß beim Heiligen Stuhl nach der Rich
tung geltend machen, daß die Ehe des Herrn von
Rudnay auch wirklich geschieden werde. Angeblich
soll König Alfons dem Erzherzog Albrecht ver
sprochen haben, nach dieser Richtung in Rom beim
Papst vorstellig zu werden. Ferner wird gemel
det, daß Erzherzog Albrecht beim Reichsverweser
Horthy erschienen sei, dem er ebenfalls Mitteilung
von seiner Eheschließung machte.
Auch die vermögensrcchtlrchen Fragen bilden
den Gegenstand sehr lebhafter Erörterung. Erz
herzog Friedrich gehört zu den reichsten Erzher
zögen. Allein in Ungarn hat er Güter im Aus-
inaß von ungefähr 40 000 Joch und außerdem hat
er niehrere Prozesse beim Internationalen Ge
richtshof im Haag gegen Rumänien, Jugoslawien
und die Mchechoslowakei auf Herausgabe seiner
Güter, die mehrere hunderttausend Joch umfassen,
anhängig gemacht. Erzherzogin Isabella aber be
sitzt einen Familienschmuck, der einen geradezu un
schätzbaren Wert darstellt. Es ist nun die Frage
aufgetaucht, ob Erzherzog Albrecht durch seine
Eheschließung mit einer Bürgerlichen der Erban
sprüche verlustig wird oder nicht. Diese Frage
dürfte ebenfalls vom Internationalen Gerichtshof
im Haag entschieden werden. Man glaubt, daß
die Erbansprllche des Erzherzogs seinen Eltern ge
genüber weiterbestehen u. verweist darauf, daß das
gegenwärtige Oberhaupt des Hauses Habsburg-
Lothringen, Exkaiserin Zita, im Namen ihres
minderjährigen Sohnes Otto, des späteren Ober
hauptes des Hauses Habsburg, ihre Zustimmung
zu dieser Eheschließung erteilt hat, so daß eigent
lich kaum von einer morganatischen Ehe gesprochen
werden kann. Es bleibt also die Frage zu regeln,
die sich auf die kirchliche Auflösung der ersten Ehe
der Gemahlin des Erzherzogs bezieht. Die Ehe
des Erzherzogs ist vorerst bloß als Zivilehe nach
staatlich weltlichem Gesetz geschlossen. Der kirch
lichen Eheschließung stand der Umstand im Wege,
daß die erste Ehe der Gemahlin des Erzherzogs
bloß durch das staatliche Gericht geschieden, aber
durch die Kirche noch nicht aufgelöst worden ist.
Das erfordert einen regelrechten Prozeß vor dem
Heiligen Stuhl, der bereits im Zuge ist.
Schuhmacherstochter Therese Kalmann aus Guns,
die gemeinsam einen Selbstmordversuch verübt
haben, da ihre Eltern nicht in eine Ehe der beiden
einwilligen wollten.
Ueber dieses romantische Ende einer Liebes
geschichte erfahren wir noch: Eduard Laß ist der
Sohn eines in Eüns ansässigen Fabrikanten, der
in Wien seinen Studien nachgeht. Als er über
die Ferien zu seinen Eltern heimkehrte, lernte er
dort die 18jährige Therese Kalmann kennen, die
Tochter eines Schuhmachers, die durch ihre Schön
heit allgemein auffiel. Der junge, erst zwanzig
jährige Student verliebte sich in das junge Mäd
chen, fand auch Gegenliebe, worauf die beiden zu
heiraten beschlossen. Während sich die Eltern des
jungen Mannes zuwartend verhielten, waren die
Eltern Therese Kalmanns entschieden gegen die
Ehe der beiden jungen Leute, da sie fürchteten, daß
sich infolge des Standes- und Bildungsunterschie-
des eine Verbindung zwischen den beiden nicht
glücklich gestalten könnte. Die beiden Verliebten
konnten sich aber nicht mit dem Gedanken einer
Trennung befreunden. Sie verließen heimlich
Güns und fuhren zunächst nach Wien, wo sie eini
ge -vage verlebten. Von dort unternahmen sie
einen Ausflug auf den Hochschneeberg, um, wie sie
in einem an die Eltern gerichteten Abschiedsbrief
schrieben, noch einmal vor dem Selbstmord das
Leben zu genießen und die Schönheiten der öster
reichischen Gebirgslandschaft zu sehen. Vom
Schneeberg stiegen sie dann in das Höllental ab
und wanderten zu Fuß bis zur Weichtalbrücke, wo
sie den Selbstmord versuchten. Die Verletzungen
der beiden jungen Leute sind nicht lebensgesähr-
lich.
cŗşşĢcht rhren Liâhàr.
àLrààZrlohZr
rmö SchuhmschkŗsiŞchier.
Eine Liebestragödie in den Bergen.
Reichenau, 28. Aug. Im großen Höllental
wurden von Touristen ein junger Mann und ein
junges Mädchen mit schweren Schußverletzungen
aufgefunden. Rach den Mitteilungen des jungen
Mannes, der für eins kurze Zeit das Bewußtsein
erlangt hatte, handelt es sich um den 20jährigen
Fabrikantensshn Eduard Latz und die 18jährige
Paris, 28. Aug. Eine Villa im Cottagevier
tel von Marseille war Schauplatz einer furchtbaren
Tragödie, die nunmehr aufgeklärt ist. " '
, Der Polizeichef von Marseille wurde vor
einigen^ Tagen telefonisch von einer Unbekannten
angerufen, die ihn, ohne ihren Namen zu nennen,
bat, in das Haus Nue Vigneron Nr. 3 einen
Detektiv zu schicken und von dort ihr Töchtcrlein,
dem eine Gefahr drohe, ins städtische Kinderheim
bringen zu lassen. Der Polizeichef verfügte, daß
ein Detektiv sich ins genannte Haus begebe. Dis
Jalousen des kleinen Eartenchauses waren ge
schlossen und die Tür wurde trotz wiederholten
Klopfens und Läutens nicht geöffnet.
Die Nachbarsleute wußten bloß anzugeben,
daß der Besitzer der Villa, der Textilfabrikant
Adolf Balpe, mit seiner Familie in Nizza weile
und daß die Villa derzeit unbewohnt sei. Der
Detektiv holte nun zwei Polizisten, sprengte die
Tür auf und trat in die Villa ein. Aus einem
der Zimmer hörte man nun deutlich das Schluch
zen eines Kindes. Die drei Männer brachen die
Tür ein und fanden ein kleines Kind auf dem
Boden liegend. Das Kind weinte bitterlich. Im
Bette lag die Leiche eines Mannes. Auf dem
kleinen Nachtischchen fanden die Polizisten einen
geladenen Revolver, aus dem eine Kugel fehlte.
Schon ein flüchtiger Augenschein ließ keinen Zwei,
fel bestehen, daß hier ein Mord verübt worden
ist. Der Detektiv wollte gerade die Polizeidirek
tion verständigen, als das Telefon klingelte und
eine weibliche Stimme sich erkundigte, ob man das
Kind heil aufgefunden habe.
Inzwischen konnte der Tote als Paul Bakpe,
der älteste Sohn des Großindustriellen, agnosziert
werden. Der Textilfabrikant wurde nun telegra
phisch verständigt und traf am nächsten Tag in
Marseille ein,
Aus seiner Aussage ging hervor, daß Paul
Balpe sch mit Heiratsabsichten besaßt habe. Der
Unglückliche wollte bereits vor Jahresfrist ein
junges Mädchen heiraten, das in einem Bureau
in Marseille angestellt war. Die Eltern haben
ihre Zustimmung zu dieser Ehe verweigert, da
sie ihren Sohn mit der Tochter eines Gutsbesitzers
verheiraten wollten. Sie hieß Luise Brayon, in
ihrer Wohnung war sie nicht aufzufinden. Erst
als im Laufe der Nacht eine Razzia in sämtliche
Hotels der Stadt unternommen wurde, konnte
Luise Vrayon ermittelt werden.
' Sie gab zu. Paul Balpe ermordet zu haben,
und erzählte, daß sie an ihm Rache nehmen wollte,
weil er sich weigerte, sie zu heiraten. Das Liebes
paar hatte ein illegitimes Töchterlein, nach dessen
Geburt Luise Vrayon das Haus ihrer Eltern
verlassen mußte, Paul Balps versprach ihr, sie
zu heiraten, beschloß jedoch später auf Anraten
der Eltern, von seiner Absicht Abstand zu nehmen.
Die letzte Aussprache, die in der Villa stattfand
— Luise hatte auch ihr Kind bei dieser Gelegen
heit mitgenommen — führte zu einer heftigen
Auseinandersetzung, in deren Verlauf sie Paul
Valpe durch einen Schuß niederstreckte.
INßrösr hààt
öie Wèiws fàss
und vergiftet einen Mitwisser
nach 6 Äahren.
Paris, 28. Aug. In der im Weltkrieg heiß
umkämpften Festungsstadt Dünkirchen ist von der
Polizei ein in seiner Vorgeschichte einzigartiges
Verbrechen entdeckt worden, durch das ein zweiter,
bereits sechs Jahre zurückliegender Mord aufge
klärt wurde. Vor einigen Tagen starb unter ge
heimnisvollen Umständen der 38jährige Werkmei
ster Abel Storm. Der herbeigerufene Arzt stellte
eins schwere Vergiftung fest und die Leiche wurde
zur gerichtlichen Obduktion übergeben. Diese er
gab, daß Storm mit Arsen vergiftet worden war
und daß die Vergiftung nicht plötzlich, sondern
nach und nach erfolgt sein müsse.
Anfangs richtete sich der Verdacht gegen die
Gattin des Verstorbenen. Die Ehe war sehr glück
lich gewesen und das Ehepaar hatte einen zwölf
jährigen Sohn. Es erschien deshalb unwahrschein-
lich, daß die Frau ihren Mann ermordet haben
könnte. Da sie aber ein verstörtes Wesen zur
Schau trug, wurde sie ins Kreuzverhör genommen
und NUN beschuldigte die Frau in ganz bestimmter
Form den Arbeitgeber ihres Gatten, den bekann
ten Fabrikanten Leprince, des Mordes an ihrem
Gatten. Die Frau gab an, daß ihr Gatte in den
letzten Wochen, als er länger in der Fabrik zu tun
hatte, von seinem Prinzipal eingeladen wurde.
Dieser bewirtete ihn in seiner Villa dann stets mit
einem kalten Imbiß und Vier. Stets nach solchem
Besuch wurde es Storm übel, er erbrach heftig und
hatte starke Magenschmerzen. Der Werkmeister
und seine Gattin führten dies auf das ungewohnte
gute Essen, das der Fabrikant seinem Werkmeister
vorsetzen ließ, zurück. Am vorletzten Sonntag' ist
nun Storm, nachdem er wieder von dem Fabri
kanten bewirtet worden war, gestorben. Die An
gaben der Frau waren so sonderbar, daß die Poli
zei auch Erhebungen in dieser Richtung einleitete,
obwohl es an jedem Motiv zu fehlen schien, aus
dem der Fabrikant einen seiner Arbeiter ermordet
hätte.
Im weiteren Verlauf der Ermittlungen mach
te nun die Polizei eine sensationelle Aufdeckung.
Es stellte sich heraus, daß Storm der Mitwisser
eines furchtbaren Gheimniffes gewesen ist. Am
3. Februar 1924 arbeitete Storm an einer drin
genden Arbeit in einem Fabriksraum. In dem
Werk befand sich außer ihm nur noch der Fabri
kant Leprince und fein Teilhaber Ernest Baillez,
die miteinander erregt sprachen. Plötzlich hörte
Storm eine Detonation. Als er in den anstoßen
den Raum eilte, fand er dort Baillez mit einer
Schußwunde sterbend auf, daneben stand Leprince
mit dem Revolver in der Hand. Leprince erklärte
dem Arbeiter, fein Kompagnon habe eben Selbst
mord verübt. Er beschwor dann den Arbeiter, in
diesem Sinne auszusagen und versprach ihm, daß
er ihn bis an sein Lebensende versorgen werde.
Obwohl Storm überzeugt war. daß hier ein
Mord vorlag, schwieg er sechs Jahre. Leprince
heiratete kaum ein Jahr später die Witwe seines
von ihm erschossenen Kompagnons und hielt gegen
über Storm das Wort. Der Werkmeister erhielt
jeden Monat ein reichliches Schweigegeld. Offen
bar hatte aber Leprince Angst, daß der Arbeiter
ihn doch einmal verraten werde, und hat ihm bei
jedem Besuch, den dieser in seiner Villa machte,
Gift in die Speisen gemischt. Storm hat aber
vor seinem Tode alles seiner Frau gebeichtet und
so kam nun das Doppelverbreechn heraus. Le-
prince und seine Gattin wurden verhaftet.
* * *
Die Hitzewelle
über Orotzbiàrmà.
TU. London, 28. Aug. Die Hitzewelle
hat am Donnerstag in Großbritannien sechs
Todesopfer gefordert. Ans allen Teilen des
Landes kommen Nachrichten über Erkrankun
gen infolge der Hitze. In das Militärlazarett
von Aldershof sind 12 Soldaten wegen Son
nenstiches eingeliefert worden. Der Kranken-
öienst in London war mit der Beförderung
der Hitzeopfer nach den Krankenhäusern voll
auf beschäfkigt. Fast alle Opfer sind Männer.
Die Temperatur war am Vormittag infolge
leichter Bewölkung etwas niedriger als am
Mittwoch, erreichte aber mittags wieder
33 Grad im Schatten. Dies ist die höchste Tem
peratur, die seit sieben Jahren festgestellt
wurde.
In zahlreichen Abteilungen großer Fir
men und Fabriken, in denen nur Frauen und
Mädchen beschäftigt sind, wurde die Erlaubnis
erteilt, im Badeanzug zu arbeiten.
Die Zahl der Hitzeopfer in Großbritannien
ist nunmehr auf 29 gestiegen.
TU. Paris, 28. Aug. Die Hitze, die seit
drei Tagen über ganz Westeuropa lagert, hat
'ich am Donnerstag in Frankreich noch ver
stärkt. Bereits am Morgen wurden in Paris
über 20 Grad gemessen, während das Thermo
meter im Laufe des Nachmittags 37 Grad er
reichte. Allein in Paris forderte die Hitze
bisher sechs Tote und etwa 100 Opfer an Hitz-
schlägen.
Aus Spanien werden 30 Grad Celsius ge
meldet. In Bilbao war die Hitze so unerträg
lich, daß sich mehrere Jndustrieunternehmnn-
gen dazu entschließen mußten, die Arbeit ein
zustellen.
Ein Elch zertrümmert einen Autokühler.
Stockholm. 28. Aug. Ein eigentümlicher Un-
'all ereignete sich auf dem Dalarö-Weg in der
Nähe von Stockholm. E»n Auto stieß plötzlich mit
einem Elch zusammen, der mit voller Kraft gegen
ten Kraftwagen sprang und den Kühler zer
trümmerte. Ehe der überraschte Führer den Wa
gen zum Stehen bringen konnte, wurde ter mit
geschleifte Elch so schwer verletzt, daß er erschossen
werten mußte.
Das Schicksal
des Grafen Rhoden.
Roman von Otfrid von Haustein.
Copyright by Literatur. Verlag Gloria, Berlin. Steglitz.
29) (Nachdruck verboten).
(Schluß.)
„Ich danke Ihnen, Herr Iustizrat. Darf ich das
Testament sehen?"
„Ich bitte, hier ist eine beglaubigte Abschrift."
„Lassen Sie mir bitte Zeit bis morgen. Sie
werben sich denken können, daß mich die Nachricht zu
sehr erregt, um in diesem Augenblick etwas sagen
zu können."
„Sehr wohl, Frau Baronin. Ich bin im Zen
tralhotel abgestiegen und werbe mir gestatten, mor
gen nachmittag wieder vorzusprechen."
Margarete empfand keine Freude, im Gegen
teil! Kaum war sie ein wenig zur Ruhe gekommen,
Ta begannen die Qualen aufs neue.
Sie las das Testament. Kein Zweifel, sie war
in ihrem Recht. Der Graf hatte sie ja selbst vor
seinem Tode anerkannt. Und doch! Nun war sie
reich, aber um welchen Preis! Sie mußte die eigene
Schwester wieder vertreiben! Die Schwester — und
Erwin!
Seit langem hatte sie wieder eine schlaflose
Nacht. Am nächsten Morgen fühlte sie sich unfähig,
in die Redaktion zu gehen.
Noch immer wußte sie nicht, was das rechte war.
Da brachte ihr das Mädchen ein Telegramm aus
Gunzhaufen: „Wallburg ein Junge geboren. Deine
glückliche Mutter."
Walllurg ein Junge! Ein Erbe, in dem Augen
blick, als ihr das Erbe entglitt! Wieder kämpfte
Margaret«- einen harten Kampf.
Als ttvftizrat Gildemeister sich zu Margarete be
geben wollte, erhielt er folgenden Brief:
„Sehr geehrter Herr Iustizvat! Nach längerer
Ueberlegnng bin ich zu dem Entschluß gekommen,
das Majorat nicht anzutreten. Ich verzichte hier
durch auf alle meine Rechte. Ich bitte Sie, mir zu
verzeihen, daß ich außerstande bin, Sie persönlich zu
empfangen und verbleibe hochachtungsvoll Marga
rete, Freifrau von Gehrmann."
Kopfschüttelnd fuhr der Iustizvat nach Gunz-
hausen zurück.
Aber auch Erwin konnte ihn nicht empfangen
und antwortete nur mit wenigen Zeilen auf den
Brief, den er ihm geschrieben. Er hatte an anderes
zu denken.
Margarete sollte nicht zur Ruhe kommen...
Drei Tage später erhielt sie einen Brief, den ihre
Mutter der Frau von Eoltheim diktiert hatte.
„Mein liebes Kind! Wallbuvg ist sehr krank.
Die Geburt des Knaben, der ein gesundes und
Cröfttgies Kind ist, und nach Deinem Daker Walde
mar heißen fall, hat sie sehr mitgenommen. Es
wird ja wieder besser werden, doch sie selbst glaubt,
daß es schlimm um sie stehe. Nun hat sie nur den
einen Wunsch: Dich hier zu sehen. Ich weiß, was es
für Dich bedeutet, hierher zu kommen, aber ich flehe
Dich an: Komm! Ich glaube, Wallburg wird erst
wie>der ruhig, wenn ich ihr Deine Zusage bringe.
Ich bitte Dich herzlichst: Komm!"
Erschüttert hielt sie das Matt tn der Hand.
Keinen Augenblick war sie im Zweifel, was sie zu
tun habe, und mit kräftiger Hand schrieb sie die
Depesche: „Reise noch heute nacht!"
Am Abend meldete der Diener: „Baronin Gehr
monn ist soeben angekommen."
_ Baronin Gehrmann? Wer trug diesen Namen
außer der Tante? Er hatte ganz vergessen, wen sie
erwarteten. Ohne zu wissen, was er tat, trat er
in das Empfangszimmer und sah sich einer schlanken
Dame gegenüber.
»Margarete!"
Zum ersten Male sahen sie sich wieder seit jenem
Abend im Theater. Ihre Augen tauchten inein
ander, ihre Lippen bebten und fanden keine Worte.
Stumm standen sie sich gegenüber, aber es war, als
sprächen ihre Selen miteinander. Erwin richtete
sich aus und sagte mit leiser Stimme:
„Ich danke dir, daß du gekommen bist. Darf
ich dich zu Wallburg führen?"
„Ja, Erwin, führe mich zu Miner lieben Schwe
ster — deiner Frau!"
Lange blieben die Schwestern allein, und als
Margarete mit tränenüberströmtem Gesicht heraus
kam, lag Wallburg ruhig, ein seliges Lächeln auf
ihren Lippen, in den Kissen.
Margarete war nicht zu halten. Noch am sel
ben Abend, nachdem sie nur nteE) mit dem Arzt ge
brochen, reiste sie nach Berlin zurück und tat ihre
Pflicht wie sonst. Und doch hatte Bentheim, der
kluge Beobachter, eine Veränderung an ihr bemertt.
Die Bitterkeit war aus ihrem Gesicht verschwunden
und hatte einem ruhigen Ernst Platz gemacht.
Als Erwin an jenem Abend in Wallburgs Zim
mer trat, um nach ihr zu sehen, da schloß sie die
Arme um seinen Hals, zog ihn zu sich nieder, küßte
ihn und sagte leise:
„Mein Erwin, ich bin ja so glücklich!"
Ein herrlicher Frühlingstag! Hell schien die
junge, warme Sonne in das Zimmer, in dem Wall
burg lag. Einer Periode der Besserung war ein um
so ichrvererer Rückschlag gefolgt. Erwin saß an
ihrem Bett und hielt ihre Hand.
Es zerriß sein Herz ,wie sie sich in Huften-
krämpfeu wand, weil er unfähig war, ihr zu helfen.
Jetzt aber war sie wieder ruhig und lächelte.
„Erwin!"
Er beugte sich zu ihr nieder.
„Ich war glücklich, und ich glaube, nein, ich
weiß, du hast mich lieb, aber ich bin ein Kind. Ich
bin nicht die Frau gewesen, die du brauchst!"
„Wallburg... I"
„Nein, ich muß sprechen, denke du immer an
diese Stunde! Du brauchst dir nie einen Vorwurf
zu machen. Ich war sehr glücklich und ich bitte dich,
sorge, daß auch du es noch wirst. Ganz glücklich!
Verstehst du? Diel glücklicher, als du es mit mir je
hättest werden können. Und nun küsse mich, Erwin.
Küsse mich, wie du es damals getan, als ich zum
ersten Male auf dem Rigi in deinen Armen lag!" —
Am nächsten Morgen waren wieder die Fenster
des Grafenschlosses verhängt und die Diener schli
chen auf leisen Sohlen durch das Haus. Aber dies
mal gab es kein Auge, das der Trauen entbehrte.
In dieser Nacht war die Gräfin Wallbuvg Rhoden
gestorben; alle hatten sie geliebt und trauerten um
ihren Tod.
Gleich nach dem Begräbnis reifte Gvaf Erwin
ab. Es trieb ihn hinaus in die Welt. Er mußte,
sehen, sich selbst wiederzufinden, bevor er an ein
ferneres Leben und Arbeiten -denken konnte.
Nach zwei Jahren erst kam ein gereifter Mann
in die Heimat zurück. Soltheims hatten ihn in
Lyck in Empfang genommen, ihn dann aber glebe-'
ten, allein voranzufahren, da sie noch Geschäfte
hatten.
Erwin zog es zu seinem Kinde. Er trat in das
Zimmer, in dem der Knabe nach der Mahlzeit ruhte.
Sein Fuß stockte — mit ernstem und doch lächelndem
Gesicht ttat chm Margarete entgegen.
„Ich habe meiner lieben Schwester an jenem
Abend versprochen, ihr Kind zu erziehen, und habe
es gehütet, während du fort warst. Nun magst du
entscheiden, ob ich bleiben soll oder gehen."
Sie sahen sich an, aber sie sprachen kein Wort.
Gemeinsam traten sie an d>as Bett des schla
fenden Knaben, und goldiger Frühlingssonnenschein
flutete hell und warm durch das Zimmer.
Ende.