Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

àbe und Romantik — 
Liebe und Verbrechen. 
Nonrane -es» täglichen Lebens» 
Die LisLsSheirat 
ösZ ķxzhsrzNgs Ulbrecht. 
Exkaiserin Zita gibt ihre Zustimmung. 
Erzherzog Albrecht aus dem Hause Habsburg 
hat sich völlig überraschend mit der geschiedenen 
Frau des früheren ungarischen Gesandten in Bel 
grad. Rudnay, in Brighton bei London staàs- 
amtlich trauen lassen. 
Jetzt werden interessante, bisher unbekannte 
Einzelheiten über die Eheschließung des Erzher 
zogs Albrecht bekannt. So wird u. a. gemeldet, 
daß Erzherzog Albrecht einige Tage vor seiner 
Eheschließung an den König Alfons von Spanien 
als den „katholischsten Monarchen Europas" ein 
Telegramm gerichtet und ihn ersucht hat, er möge 
seinen Einfluß beim Heiligen Stuhl nach der Rich 
tung geltend machen, daß die Ehe des Herrn von 
Rudnay auch wirklich geschieden werde. Angeblich 
soll König Alfons dem Erzherzog Albrecht ver 
sprochen haben, nach dieser Richtung in Rom beim 
Papst vorstellig zu werden. Ferner wird gemel 
det, daß Erzherzog Albrecht beim Reichsverweser 
Horthy erschienen sei, dem er ebenfalls Mitteilung 
von seiner Eheschließung machte. 
Auch die vermögensrcchtlrchen Fragen bilden 
den Gegenstand sehr lebhafter Erörterung. Erz 
herzog Friedrich gehört zu den reichsten Erzher 
zögen. Allein in Ungarn hat er Güter im Aus- 
inaß von ungefähr 40 000 Joch und außerdem hat 
er niehrere Prozesse beim Internationalen Ge 
richtshof im Haag gegen Rumänien, Jugoslawien 
und die Mchechoslowakei auf Herausgabe seiner 
Güter, die mehrere hunderttausend Joch umfassen, 
anhängig gemacht. Erzherzogin Isabella aber be 
sitzt einen Familienschmuck, der einen geradezu un 
schätzbaren Wert darstellt. Es ist nun die Frage 
aufgetaucht, ob Erzherzog Albrecht durch seine 
Eheschließung mit einer Bürgerlichen der Erban 
sprüche verlustig wird oder nicht. Diese Frage 
dürfte ebenfalls vom Internationalen Gerichtshof 
im Haag entschieden werden. Man glaubt, daß 
die Erbansprllche des Erzherzogs seinen Eltern ge 
genüber weiterbestehen u. verweist darauf, daß das 
gegenwärtige Oberhaupt des Hauses Habsburg- 
Lothringen, Exkaiserin Zita, im Namen ihres 
minderjährigen Sohnes Otto, des späteren Ober 
hauptes des Hauses Habsburg, ihre Zustimmung 
zu dieser Eheschließung erteilt hat, so daß eigent 
lich kaum von einer morganatischen Ehe gesprochen 
werden kann. Es bleibt also die Frage zu regeln, 
die sich auf die kirchliche Auflösung der ersten Ehe 
der Gemahlin des Erzherzogs bezieht. Die Ehe 
des Erzherzogs ist vorerst bloß als Zivilehe nach 
staatlich weltlichem Gesetz geschlossen. Der kirch 
lichen Eheschließung stand der Umstand im Wege, 
daß die erste Ehe der Gemahlin des Erzherzogs 
bloß durch das staatliche Gericht geschieden, aber 
durch die Kirche noch nicht aufgelöst worden ist. 
Das erfordert einen regelrechten Prozeß vor dem 
Heiligen Stuhl, der bereits im Zuge ist. 
Schuhmacherstochter Therese Kalmann aus Guns, 
die gemeinsam einen Selbstmordversuch verübt 
haben, da ihre Eltern nicht in eine Ehe der beiden 
einwilligen wollten. 
Ueber dieses romantische Ende einer Liebes 
geschichte erfahren wir noch: Eduard Laß ist der 
Sohn eines in Eüns ansässigen Fabrikanten, der 
in Wien seinen Studien nachgeht. Als er über 
die Ferien zu seinen Eltern heimkehrte, lernte er 
dort die 18jährige Therese Kalmann kennen, die 
Tochter eines Schuhmachers, die durch ihre Schön 
heit allgemein auffiel. Der junge, erst zwanzig 
jährige Student verliebte sich in das junge Mäd 
chen, fand auch Gegenliebe, worauf die beiden zu 
heiraten beschlossen. Während sich die Eltern des 
jungen Mannes zuwartend verhielten, waren die 
Eltern Therese Kalmanns entschieden gegen die 
Ehe der beiden jungen Leute, da sie fürchteten, daß 
sich infolge des Standes- und Bildungsunterschie- 
des eine Verbindung zwischen den beiden nicht 
glücklich gestalten könnte. Die beiden Verliebten 
konnten sich aber nicht mit dem Gedanken einer 
Trennung befreunden. Sie verließen heimlich 
Güns und fuhren zunächst nach Wien, wo sie eini 
ge -vage verlebten. Von dort unternahmen sie 
einen Ausflug auf den Hochschneeberg, um, wie sie 
in einem an die Eltern gerichteten Abschiedsbrief 
schrieben, noch einmal vor dem Selbstmord das 
Leben zu genießen und die Schönheiten der öster 
reichischen Gebirgslandschaft zu sehen. Vom 
Schneeberg stiegen sie dann in das Höllental ab 
und wanderten zu Fuß bis zur Weichtalbrücke, wo 
sie den Selbstmord versuchten. Die Verletzungen 
der beiden jungen Leute sind nicht lebensgesähr- 
lich. 
cŗşşĢcht rhren Liâhàr. 
àLrààZrlohZr 
rmö SchuhmschkŗsiŞchier. 
Eine Liebestragödie in den Bergen. 
Reichenau, 28. Aug. Im großen Höllental 
wurden von Touristen ein junger Mann und ein 
junges Mädchen mit schweren Schußverletzungen 
aufgefunden. Rach den Mitteilungen des jungen 
Mannes, der für eins kurze Zeit das Bewußtsein 
erlangt hatte, handelt es sich um den 20jährigen 
Fabrikantensshn Eduard Latz und die 18jährige 
Paris, 28. Aug. Eine Villa im Cottagevier 
tel von Marseille war Schauplatz einer furchtbaren 
Tragödie, die nunmehr aufgeklärt ist. " ' 
, Der Polizeichef von Marseille wurde vor 
einigen^ Tagen telefonisch von einer Unbekannten 
angerufen, die ihn, ohne ihren Namen zu nennen, 
bat, in das Haus Nue Vigneron Nr. 3 einen 
Detektiv zu schicken und von dort ihr Töchtcrlein, 
dem eine Gefahr drohe, ins städtische Kinderheim 
bringen zu lassen. Der Polizeichef verfügte, daß 
ein Detektiv sich ins genannte Haus begebe. Dis 
Jalousen des kleinen Eartenchauses waren ge 
schlossen und die Tür wurde trotz wiederholten 
Klopfens und Läutens nicht geöffnet. 
Die Nachbarsleute wußten bloß anzugeben, 
daß der Besitzer der Villa, der Textilfabrikant 
Adolf Balpe, mit seiner Familie in Nizza weile 
und daß die Villa derzeit unbewohnt sei. Der 
Detektiv holte nun zwei Polizisten, sprengte die 
Tür auf und trat in die Villa ein. Aus einem 
der Zimmer hörte man nun deutlich das Schluch 
zen eines Kindes. Die drei Männer brachen die 
Tür ein und fanden ein kleines Kind auf dem 
Boden liegend. Das Kind weinte bitterlich. Im 
Bette lag die Leiche eines Mannes. Auf dem 
kleinen Nachtischchen fanden die Polizisten einen 
geladenen Revolver, aus dem eine Kugel fehlte. 
Schon ein flüchtiger Augenschein ließ keinen Zwei, 
fel bestehen, daß hier ein Mord verübt worden 
ist. Der Detektiv wollte gerade die Polizeidirek 
tion verständigen, als das Telefon klingelte und 
eine weibliche Stimme sich erkundigte, ob man das 
Kind heil aufgefunden habe. 
Inzwischen konnte der Tote als Paul Bakpe, 
der älteste Sohn des Großindustriellen, agnosziert 
werden. Der Textilfabrikant wurde nun telegra 
phisch verständigt und traf am nächsten Tag in 
Marseille ein, 
Aus seiner Aussage ging hervor, daß Paul 
Balpe sch mit Heiratsabsichten besaßt habe. Der 
Unglückliche wollte bereits vor Jahresfrist ein 
junges Mädchen heiraten, das in einem Bureau 
in Marseille angestellt war. Die Eltern haben 
ihre Zustimmung zu dieser Ehe verweigert, da 
sie ihren Sohn mit der Tochter eines Gutsbesitzers 
verheiraten wollten. Sie hieß Luise Brayon, in 
ihrer Wohnung war sie nicht aufzufinden. Erst 
als im Laufe der Nacht eine Razzia in sämtliche 
Hotels der Stadt unternommen wurde, konnte 
Luise Vrayon ermittelt werden. 
' Sie gab zu. Paul Balpe ermordet zu haben, 
und erzählte, daß sie an ihm Rache nehmen wollte, 
weil er sich weigerte, sie zu heiraten. Das Liebes 
paar hatte ein illegitimes Töchterlein, nach dessen 
Geburt Luise Vrayon das Haus ihrer Eltern 
verlassen mußte, Paul Balps versprach ihr, sie 
zu heiraten, beschloß jedoch später auf Anraten 
der Eltern, von seiner Absicht Abstand zu nehmen. 
Die letzte Aussprache, die in der Villa stattfand 
— Luise hatte auch ihr Kind bei dieser Gelegen 
heit mitgenommen — führte zu einer heftigen 
Auseinandersetzung, in deren Verlauf sie Paul 
Valpe durch einen Schuß niederstreckte. 
INßrösr hààt 
öie Wèiws fàss 
und vergiftet einen Mitwisser 
nach 6 Äahren. 
Paris, 28. Aug. In der im Weltkrieg heiß 
umkämpften Festungsstadt Dünkirchen ist von der 
Polizei ein in seiner Vorgeschichte einzigartiges 
Verbrechen entdeckt worden, durch das ein zweiter, 
bereits sechs Jahre zurückliegender Mord aufge 
klärt wurde. Vor einigen Tagen starb unter ge 
heimnisvollen Umständen der 38jährige Werkmei 
ster Abel Storm. Der herbeigerufene Arzt stellte 
eins schwere Vergiftung fest und die Leiche wurde 
zur gerichtlichen Obduktion übergeben. Diese er 
gab, daß Storm mit Arsen vergiftet worden war 
und daß die Vergiftung nicht plötzlich, sondern 
nach und nach erfolgt sein müsse. 
Anfangs richtete sich der Verdacht gegen die 
Gattin des Verstorbenen. Die Ehe war sehr glück 
lich gewesen und das Ehepaar hatte einen zwölf 
jährigen Sohn. Es erschien deshalb unwahrschein- 
lich, daß die Frau ihren Mann ermordet haben 
könnte. Da sie aber ein verstörtes Wesen zur 
Schau trug, wurde sie ins Kreuzverhör genommen 
und NUN beschuldigte die Frau in ganz bestimmter 
Form den Arbeitgeber ihres Gatten, den bekann 
ten Fabrikanten Leprince, des Mordes an ihrem 
Gatten. Die Frau gab an, daß ihr Gatte in den 
letzten Wochen, als er länger in der Fabrik zu tun 
hatte, von seinem Prinzipal eingeladen wurde. 
Dieser bewirtete ihn in seiner Villa dann stets mit 
einem kalten Imbiß und Vier. Stets nach solchem 
Besuch wurde es Storm übel, er erbrach heftig und 
hatte starke Magenschmerzen. Der Werkmeister 
und seine Gattin führten dies auf das ungewohnte 
gute Essen, das der Fabrikant seinem Werkmeister 
vorsetzen ließ, zurück. Am vorletzten Sonntag' ist 
nun Storm, nachdem er wieder von dem Fabri 
kanten bewirtet worden war, gestorben. Die An 
gaben der Frau waren so sonderbar, daß die Poli 
zei auch Erhebungen in dieser Richtung einleitete, 
obwohl es an jedem Motiv zu fehlen schien, aus 
dem der Fabrikant einen seiner Arbeiter ermordet 
hätte. 
Im weiteren Verlauf der Ermittlungen mach 
te nun die Polizei eine sensationelle Aufdeckung. 
Es stellte sich heraus, daß Storm der Mitwisser 
eines furchtbaren Gheimniffes gewesen ist. Am 
3. Februar 1924 arbeitete Storm an einer drin 
genden Arbeit in einem Fabriksraum. In dem 
Werk befand sich außer ihm nur noch der Fabri 
kant Leprince und fein Teilhaber Ernest Baillez, 
die miteinander erregt sprachen. Plötzlich hörte 
Storm eine Detonation. Als er in den anstoßen 
den Raum eilte, fand er dort Baillez mit einer 
Schußwunde sterbend auf, daneben stand Leprince 
mit dem Revolver in der Hand. Leprince erklärte 
dem Arbeiter, fein Kompagnon habe eben Selbst 
mord verübt. Er beschwor dann den Arbeiter, in 
diesem Sinne auszusagen und versprach ihm, daß 
er ihn bis an sein Lebensende versorgen werde. 
Obwohl Storm überzeugt war. daß hier ein 
Mord vorlag, schwieg er sechs Jahre. Leprince 
heiratete kaum ein Jahr später die Witwe seines 
von ihm erschossenen Kompagnons und hielt gegen 
über Storm das Wort. Der Werkmeister erhielt 
jeden Monat ein reichliches Schweigegeld. Offen 
bar hatte aber Leprince Angst, daß der Arbeiter 
ihn doch einmal verraten werde, und hat ihm bei 
jedem Besuch, den dieser in seiner Villa machte, 
Gift in die Speisen gemischt. Storm hat aber 
vor seinem Tode alles seiner Frau gebeichtet und 
so kam nun das Doppelverbreechn heraus. Le- 
prince und seine Gattin wurden verhaftet. 
* * * 
Die Hitzewelle 
über Orotzbiàrmà. 
TU. London, 28. Aug. Die Hitzewelle 
hat am Donnerstag in Großbritannien sechs 
Todesopfer gefordert. Ans allen Teilen des 
Landes kommen Nachrichten über Erkrankun 
gen infolge der Hitze. In das Militärlazarett 
von Aldershof sind 12 Soldaten wegen Son 
nenstiches eingeliefert worden. Der Kranken- 
öienst in London war mit der Beförderung 
der Hitzeopfer nach den Krankenhäusern voll 
auf beschäfkigt. Fast alle Opfer sind Männer. 
Die Temperatur war am Vormittag infolge 
leichter Bewölkung etwas niedriger als am 
Mittwoch, erreichte aber mittags wieder 
33 Grad im Schatten. Dies ist die höchste Tem 
peratur, die seit sieben Jahren festgestellt 
wurde. 
In zahlreichen Abteilungen großer Fir 
men und Fabriken, in denen nur Frauen und 
Mädchen beschäftigt sind, wurde die Erlaubnis 
erteilt, im Badeanzug zu arbeiten. 
Die Zahl der Hitzeopfer in Großbritannien 
ist nunmehr auf 29 gestiegen. 
TU. Paris, 28. Aug. Die Hitze, die seit 
drei Tagen über ganz Westeuropa lagert, hat 
'ich am Donnerstag in Frankreich noch ver 
stärkt. Bereits am Morgen wurden in Paris 
über 20 Grad gemessen, während das Thermo 
meter im Laufe des Nachmittags 37 Grad er 
reichte. Allein in Paris forderte die Hitze 
bisher sechs Tote und etwa 100 Opfer an Hitz- 
schlägen. 
Aus Spanien werden 30 Grad Celsius ge 
meldet. In Bilbao war die Hitze so unerträg 
lich, daß sich mehrere Jndustrieunternehmnn- 
gen dazu entschließen mußten, die Arbeit ein 
zustellen. 
Ein Elch zertrümmert einen Autokühler. 
Stockholm. 28. Aug. Ein eigentümlicher Un- 
'all ereignete sich auf dem Dalarö-Weg in der 
Nähe von Stockholm. E»n Auto stieß plötzlich mit 
einem Elch zusammen, der mit voller Kraft gegen 
ten Kraftwagen sprang und den Kühler zer 
trümmerte. Ehe der überraschte Führer den Wa 
gen zum Stehen bringen konnte, wurde ter mit 
geschleifte Elch so schwer verletzt, daß er erschossen 
werten mußte. 
Das Schicksal 
des Grafen Rhoden. 
Roman von Otfrid von Haustein. 
Copyright by Literatur. Verlag Gloria, Berlin. Steglitz. 
29) (Nachdruck verboten). 
(Schluß.) 
„Ich danke Ihnen, Herr Iustizrat. Darf ich das 
Testament sehen?" 
„Ich bitte, hier ist eine beglaubigte Abschrift." 
„Lassen Sie mir bitte Zeit bis morgen. Sie 
werben sich denken können, daß mich die Nachricht zu 
sehr erregt, um in diesem Augenblick etwas sagen 
zu können." 
„Sehr wohl, Frau Baronin. Ich bin im Zen 
tralhotel abgestiegen und werbe mir gestatten, mor 
gen nachmittag wieder vorzusprechen." 
Margarete empfand keine Freude, im Gegen 
teil! Kaum war sie ein wenig zur Ruhe gekommen, 
Ta begannen die Qualen aufs neue. 
Sie las das Testament. Kein Zweifel, sie war 
in ihrem Recht. Der Graf hatte sie ja selbst vor 
seinem Tode anerkannt. Und doch! Nun war sie 
reich, aber um welchen Preis! Sie mußte die eigene 
Schwester wieder vertreiben! Die Schwester — und 
Erwin! 
Seit langem hatte sie wieder eine schlaflose 
Nacht. Am nächsten Morgen fühlte sie sich unfähig, 
in die Redaktion zu gehen. 
Noch immer wußte sie nicht, was das rechte war. 
Da brachte ihr das Mädchen ein Telegramm aus 
Gunzhaufen: „Wallburg ein Junge geboren. Deine 
glückliche Mutter." 
Walllurg ein Junge! Ein Erbe, in dem Augen 
blick, als ihr das Erbe entglitt! Wieder kämpfte 
Margaret«- einen harten Kampf. 
Als ttvftizrat Gildemeister sich zu Margarete be 
geben wollte, erhielt er folgenden Brief: 
„Sehr geehrter Herr Iustizvat! Nach längerer 
Ueberlegnng bin ich zu dem Entschluß gekommen, 
das Majorat nicht anzutreten. Ich verzichte hier 
durch auf alle meine Rechte. Ich bitte Sie, mir zu 
verzeihen, daß ich außerstande bin, Sie persönlich zu 
empfangen und verbleibe hochachtungsvoll Marga 
rete, Freifrau von Gehrmann." 
Kopfschüttelnd fuhr der Iustizvat nach Gunz- 
hausen zurück. 
Aber auch Erwin konnte ihn nicht empfangen 
und antwortete nur mit wenigen Zeilen auf den 
Brief, den er ihm geschrieben. Er hatte an anderes 
zu denken. 
Margarete sollte nicht zur Ruhe kommen... 
Drei Tage später erhielt sie einen Brief, den ihre 
Mutter der Frau von Eoltheim diktiert hatte. 
„Mein liebes Kind! Wallbuvg ist sehr krank. 
Die Geburt des Knaben, der ein gesundes und 
Cröfttgies Kind ist, und nach Deinem Daker Walde 
mar heißen fall, hat sie sehr mitgenommen. Es 
wird ja wieder besser werden, doch sie selbst glaubt, 
daß es schlimm um sie stehe. Nun hat sie nur den 
einen Wunsch: Dich hier zu sehen. Ich weiß, was es 
für Dich bedeutet, hierher zu kommen, aber ich flehe 
Dich an: Komm! Ich glaube, Wallburg wird erst 
wie>der ruhig, wenn ich ihr Deine Zusage bringe. 
Ich bitte Dich herzlichst: Komm!" 
Erschüttert hielt sie das Matt tn der Hand. 
Keinen Augenblick war sie im Zweifel, was sie zu 
tun habe, und mit kräftiger Hand schrieb sie die 
Depesche: „Reise noch heute nacht!" 
Am Abend meldete der Diener: „Baronin Gehr 
monn ist soeben angekommen." 
_ Baronin Gehrmann? Wer trug diesen Namen 
außer der Tante? Er hatte ganz vergessen, wen sie 
erwarteten. Ohne zu wissen, was er tat, trat er 
in das Empfangszimmer und sah sich einer schlanken 
Dame gegenüber. 
»Margarete!" 
Zum ersten Male sahen sie sich wieder seit jenem 
Abend im Theater. Ihre Augen tauchten inein 
ander, ihre Lippen bebten und fanden keine Worte. 
Stumm standen sie sich gegenüber, aber es war, als 
sprächen ihre Selen miteinander. Erwin richtete 
sich aus und sagte mit leiser Stimme: 
„Ich danke dir, daß du gekommen bist. Darf 
ich dich zu Wallburg führen?" 
„Ja, Erwin, führe mich zu Miner lieben Schwe 
ster — deiner Frau!" 
Lange blieben die Schwestern allein, und als 
Margarete mit tränenüberströmtem Gesicht heraus 
kam, lag Wallburg ruhig, ein seliges Lächeln auf 
ihren Lippen, in den Kissen. 
Margarete war nicht zu halten. Noch am sel 
ben Abend, nachdem sie nur nteE) mit dem Arzt ge 
brochen, reiste sie nach Berlin zurück und tat ihre 
Pflicht wie sonst. Und doch hatte Bentheim, der 
kluge Beobachter, eine Veränderung an ihr bemertt. 
Die Bitterkeit war aus ihrem Gesicht verschwunden 
und hatte einem ruhigen Ernst Platz gemacht. 
Als Erwin an jenem Abend in Wallburgs Zim 
mer trat, um nach ihr zu sehen, da schloß sie die 
Arme um seinen Hals, zog ihn zu sich nieder, küßte 
ihn und sagte leise: 
„Mein Erwin, ich bin ja so glücklich!" 
Ein herrlicher Frühlingstag! Hell schien die 
junge, warme Sonne in das Zimmer, in dem Wall 
burg lag. Einer Periode der Besserung war ein um 
so ichrvererer Rückschlag gefolgt. Erwin saß an 
ihrem Bett und hielt ihre Hand. 
Es zerriß sein Herz ,wie sie sich in Huften- 
krämpfeu wand, weil er unfähig war, ihr zu helfen. 
Jetzt aber war sie wieder ruhig und lächelte. 
„Erwin!" 
Er beugte sich zu ihr nieder. 
„Ich war glücklich, und ich glaube, nein, ich 
weiß, du hast mich lieb, aber ich bin ein Kind. Ich 
bin nicht die Frau gewesen, die du brauchst!" 
„Wallburg... I" 
„Nein, ich muß sprechen, denke du immer an 
diese Stunde! Du brauchst dir nie einen Vorwurf 
zu machen. Ich war sehr glücklich und ich bitte dich, 
sorge, daß auch du es noch wirst. Ganz glücklich! 
Verstehst du? Diel glücklicher, als du es mit mir je 
hättest werden können. Und nun küsse mich, Erwin. 
Küsse mich, wie du es damals getan, als ich zum 
ersten Male auf dem Rigi in deinen Armen lag!" — 
Am nächsten Morgen waren wieder die Fenster 
des Grafenschlosses verhängt und die Diener schli 
chen auf leisen Sohlen durch das Haus. Aber dies 
mal gab es kein Auge, das der Trauen entbehrte. 
In dieser Nacht war die Gräfin Wallbuvg Rhoden 
gestorben; alle hatten sie geliebt und trauerten um 
ihren Tod. 
Gleich nach dem Begräbnis reifte Gvaf Erwin 
ab. Es trieb ihn hinaus in die Welt. Er mußte, 
sehen, sich selbst wiederzufinden, bevor er an ein 
ferneres Leben und Arbeiten -denken konnte. 
Nach zwei Jahren erst kam ein gereifter Mann 
in die Heimat zurück. Soltheims hatten ihn in 
Lyck in Empfang genommen, ihn dann aber glebe-' 
ten, allein voranzufahren, da sie noch Geschäfte 
hatten. 
Erwin zog es zu seinem Kinde. Er trat in das 
Zimmer, in dem der Knabe nach der Mahlzeit ruhte. 
Sein Fuß stockte — mit ernstem und doch lächelndem 
Gesicht ttat chm Margarete entgegen. 
„Ich habe meiner lieben Schwester an jenem 
Abend versprochen, ihr Kind zu erziehen, und habe 
es gehütet, während du fort warst. Nun magst du 
entscheiden, ob ich bleiben soll oder gehen." 
Sie sahen sich an, aber sie sprachen kein Wort. 
Gemeinsam traten sie an d>as Bett des schla 
fenden Knaben, und goldiger Frühlingssonnenschein 
flutete hell und warm durch das Zimmer. 
Ende.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.