Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

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TwihÌiMi ffciV^%ļs 
stiert Weise ausgewirkt, berm das Personal in 
beiden Betrieben ist fast durchweg deutsch. 
Wie deutsch die Betriebe sind, drückt sich auch 
in dem Aussehen der Städte Lüderihbucht und 
Tsumeb aus, die neben Swakopmnud noch den 
Eindruck der rein deutschen Städte von einst 
machen. 
Haben die Tsumebminen sich seit dem Kriege 
durch Ausbau der Hüttenanlagen und Vertie 
fung der Stollen bis auf 500 Meter ganz unge 
heuer vergrößert, so sind auch die Lüderitzbuchter 
Diamantanlagen in staunenswerter Meise ge 
wachsen. Die Zentralwäsche von Elisabethbucht 
ist eine der modernsten Anlagen der Welt. Hier 
wird, man möchte sagen, die ganze Wüste durch 
das Sieb geschüttet. 
Wo früher die Diamanten mit der Hand aus 
dem Sand geklaubt wurden, schöpfen heute gewal 
tige Bagger in Tag- und Nachtarbeit den Sand 
bis in eine Tiefe von 10 bis 15 Dieter, und zehn 
elektrische Züge führen ihn in ununterbrochener 
Fahrt auf das Band der Waschanlage, das tät 
lich Mengen ins Meer schüttet, die kein Fracht 
schiff laden könnte. 
Di« Zinnfelder nördlich des Erongogebirges 
haben noch nicht den erhofften Erfolg gebracht. 
Dis kostspieligen Aufbereitungsanlagen der ver 
schiedenen Besitzer verschlingen völlig die Ein 
nahmen und was die neuerlich bei Rehobot ge 
machten Goldfunde ergeben werden, mutz die 
Zukunft lehren. 
Ich sprach vorhin von den Kraftwagen. Trifft 
inan diese schon auf allen größeren Farmen, denen 
.sie zum Betrieb ja auch durchaus nötig find, so 
«erden die Städte, vor allem die Hauptstadt 
^ Windhuk von Autos geradezu überflutet. 
Die Hauptgeschäftsstraße in Windhuk ist 
ànds bei Ladenschluß fast so lebensgefährlich 
wie der Leipziger Platz in Berlin und die schwar 
zen Verkehrspolizisten müssen dieselbe lebhafte 
Gymnastik treiben wie ihre weißen Kollegen in 
Europa. 
Die weite Verbreitung des Autos mag neben 
der Uninteressiertheit der Unionsregierung dazu 
beigetragen haben, daß der Ausbau des südwester 
Bahnnetzes so langsam vorwärtsschreitet. 
Nach dem Bau der Verbindungsstrecke Up- 
pington-Kalkfontein während des Krieges und 
Fertigstellung der schon zu deutscher Zeit vorbe 
reiteten Bahnstrecke Otjiwarongo-Outjo ist der 
Bau der Bahn Windhuk-Gobabails begonnen und 
bis Witvley fertiggestellt worden. 
Die Wetterführung dieser Strecke durchs Bet- 
schuanaland nach Rhodesien wird von Südwest 
wie von Rhodesien gewünscht und geplant. Sie 
wird auch eines Tages erfolgen, wenn auch be 
zeichnenderweise die Unionsregierung dieses Pro 
jekt nicht unterstützt, da diese Verbindung dett 
südafrikanischen Dahnen und Häfen, vor allem 
Kapstadt, großen Abbruch tun würde. Für den 
südwester Handel wäre natürlich eine Bahnver 
bindung mit Rhodesien von gewaltigem wirt 
schaftlichen Vorteil. 
Die Arbeiterfrage hat sich seit dem Kriege 
leider verschlimmert. Litten die Farmer früher 
schon unter dem Mangel an eingeborenen Farm- 
arbeitern, so ist dies heute, obgleich die neuerlich 
eingezäunten Farmen nicht mehr so viel Vieh 
hüter bedürfen, noch mehr der Fall. 
Der Grund hierfür ist, daß ein großer Teil 
der Eingeborenen heute in Reservaten lebt. Dort 
weiden ^ sie, wie einst zu Zeiten, ehe der weiße 
Mann ins Land kam, ihre großen Rinderherden 
und denken nicht daran, Arbeit auf Europäer- 
farmen zu tun. Ihre Großmannssucht und Faul 
heit ist durch die Einführung der Reservate und 
Aufhebung der deutschen Regierungsverordnung, 
wonach die Eingeborenen nur Kleinvieh, aber 
nicht Großvieh halten dürfen, in einer für alle 
Farmer sehr empfindlichen Weise gestärkt worden. 
Während den Farmern schwarze Arbeiter 
fehlen, laufen weiße Arbeitslose im Lande her 
um. Es ist fast wie in Deutschland, wo für die 
Landarbeit nur noch ein geringer Teil der Be 
völkerung brauchbar ist. Wie wir hier auf Polen 
und Tschechen als landwirtschaftliche Saisonar 
beiter zurückgreifen müssen trotz der l'A Milli 
onen Arbeitslose, so suchen heute drüben Weiße 
vergeblich Arbeit und Brot, während den Far 
mern schwarze Kräfte fehlen. 
Trotz alledem kann man von einem wirt 
schaftlichen Aufstieg in Südwest wohl reden, und 
die augenblickliche, durch die jahrelange Dürre 
hervorgerufene Depression kann wohl eine Unter 
brechung des Aufstieges bedeuten, sie wird aber, 
wie auch der Administrator im Landesrat äußerte, 
die wirtschaftliche Weiterentwicklung des Landes 
nicht aufhalten. 
Als Schülerin der Kolonialen 
Frauenschule in Aachen. 
Zu der Kolonialtogung in Aachen am 12. bis 
15. Juni waren auch 18 Schülerinnen von der 
Kolonialen Frauensch-ule in Rendsburg gefahren. 
Wir bringen nachstehend einen kurzen Äbfchnttt 
aus einem Reisebericht, den eine geborene Süd- 
Westerin über ihre Eindrücke geschrieben hat. In 
ihrer frischen Art schreibt sie über die schöne 
deutsche Landschaft und die herrlichen Baudenk 
mäler, die sie aup ihrer Reise gesehen hat und er 
zählt dann von dem Aufenthalt in Aachen: 
Noch an denn ebben, Nachmittag fuhren wir 
über den Rhein, immer fort nach Westen zur alten 
Kaiserstadt Aachen. Hier war das Ziel und der 
Höhepunkt der Fahrt erreicht. Mit herzlichen Will 
kommensgrüßen empfingen uns unsere freundlichen 
Gastgeber, und wir hatten in Aachen so recht das 
Gefühl der Zugehörigkeit zu den Deutschen hier 
im Vaterland, die mit warmen Herzen für unsere 
Kolonien arbeiten, werben und Opfer bringen, was 
uns besonders die Darbietungen der folgenden Tage 
in Aachen bewiesen haben. 
Von allen Seiten kamen die Teilnehmer, Ab 
geordnete und Gäste, zur großen Hauptversamm 
lung des Frauenbundes der deutschen Kolonial 
gesellschaft. Hier konnten wir einen Einblick tun 
in die ausgedehnte und segensreiche Arbeit des 
Frauenbundes und mit eigenen Augen sehen, wie 
für unser liebes Afrika gearbeitet wird. Wir 
hörten einen Dortrag über Ostafrika zur besonderen 
Freude unserer Mitschülerinnen, deren Eltern schon 
wieder dort tätig sind. Unsere Landsleute -drüben 
hatten eine sehr gute Regenzeit und überhaupt ein 
gutes und aussichtsreiches Jahr. Im krassen Ge 
gensatz dazu brachte 1930 unserem Sonnenlande 
eine Dürre, wie sie fast beispiellos dasteht. Armes 
Südwest! Wann fängst du wieder an zu blühen? 
Verzage nicht, du bist nicht verlassen, nicht ver 
gessen. In größter Opferwilligkeit und Treue ge 
denkt man deiner. Trotz Arbeitslosigkeit und schlech 
ter wirtschaftlicher Lage wirkt der Frauenbund un 
aufhörlich für dich. Ohne diese beharrliche Arbeit 
und Rührigkeit hätte nicht geleistet werden können, 
was wir als schöne Erfolge drüben selbst erlebten: 
Unsere Schulen, Pensionate, Stipendien! Wir alle 
empfanden an diesem Sonnabendmorgen: Ein star 
ker Wille, die Kolonien nicht im Sti-ch zu lassen, 
weiter dafür zu werben, zu arbeiten und zu sorgen, 
führt alle, die hier versammelt sind, beseeligt alle 
und tröstet und stärkt diejenigen, die dem Vater- 
lande treu draußen stehen, draußen kämpfen und 
ringen und um bestehen zu können, anerkennende 
und fürsorgende Liebe brauchen. 
Im Herzen Aachens liegt seine historische Schön 
heit: Der Dom. der alle Kaiserdom. In seinen 
starken, wuchtigen Formen des romanischen Bau 
stils gleicht er einer Festung, wirkt er unersch-ütter- 
lich, versinnbildlicht er die Krafts Karls des Gro 
ßen, stark und mächtig. Hier liegt der Grundstein 
des Deutschen Reiches, der alten Macht, des alten 
Reichtums, hier ist der Sitz des ersten Kaisers, des 
Kämpfers für das Christentum. Der Gedanke, in 
einem Raume zu stehen, der solch große Persönlich 
keiten in sich barg, Menschen von Ruhm und Be 
deutung, ein,Raum, in dem Worte erklangen, d>e 
nie vergessen werden, in dem Taten geschahen, von 
denen die Jahrtausende sprechen, ist erhebend und 
löst eine feierliche Stimmung in uns aus. Wir 
dürfen im oberen Säulengang den alten Kaiserstuhl 
Karls des Großen bewundern, der in seiner Ein 
fachheit so «hrfurchtgebietend wirkt. Von jenem 
Platz aus tst der Blick in den Dom der großartigste. 
Nach der Besichtigung der unermeßlich reichen 
Schatzkammer verlassen wir das ehrwürdige Ge 
bäude und wandern zum Rathaus. Wir treten ein 
in den alten Raum, den Krönungssaal. Große 
Freskengemälde zeigen uns die wichtigsten und be 
deutendsten Momente aus dem Leben Karls des 
Großen und schließen mit der Krönung Ludwig 
des Frommen. 
In ernster Betrachtung stehen wir vor diesem 
bildlichen Geschehen. Ein Luftzug streift uns; mir 
ist's, als fei es ein Wehen großer Geister. 
Diesen ersten Tag der Aachener Ereignisse 
schließt ein schönes, geselliges Beisammensein, der 
Aachener Bürger und ihrer Gäste. 
Melanie Kietz, Osona (Südwest-Asrika). 
Bunte Welt. 
Die deutsche Sprache in Finnland. 
Deutsche Sprache und deutsche Kultur haben 
im Norden und Osten eine starke Stellung inne, 
die den Deutschen selbst nicht immer bewußt ist. 
Dies war das Hauptereignis der Ausführungen, 
die der bekannte finnische Volkskundeforscher Prof. 
Kaarle Krohn kürzlich als East des ostpreußischen 
Freundeskreises der Deutschen Akademie in Kö 
nigsberg über,die Bedeutung der deutschen Sprache 
als Verkehrssprache im Norden und Osten machte. 
Danach ist der frühere Einfluß des Französischen 
allmählich weitgehend durch das Deutsche zurück 
gedrängt worden, und die Versuche, statt dessen 
das Englifche als internationale Verkehrssprache 
durchzusetzen, sind nicht gelungen. Soweit eine 
Fremdsprache gebraucht wird, ist Deutsch die üb 
liche Umgangssprache geworden Alle Gebildeten 
in Skandinavien und Finnland lernen es als erste 
fremde Sprache; es wird auch von der finnischen 
Kaufmannschaft bevorzugt. Mehr als die Hälft« 
der Doktordissertationen an den finnischen Hoch 
schulen wird Deutsch geschrieben, so daß die deutsche 
Sprache auch im wissenschaftlichen Leben Finn 
lands und Skandinaviens ihren Platz behauptet. 
Der Bettler als Philantrop. 
In Pittsburg gehört ein Bettler namens 
Henri Tober seit mehreren Jahrzehnten zu den 
stadtbekannten Persönlichkeiten. Vor längerer 
Zeit erschien Tober nun beim Bürgermeister 
von Pittsburg und überreichte ihm zu seiner 
größten Ueberraschung einen Betrag in Höhe 
von 80 000 Dollar zum Bau einer Handwerker- 
schule für Waisenkinder. 
Erst jetzt stellte es sich heraus, daß der 
Greis kein Bettler im wörtlichen Sinne dieser 
Bezeichnung war, sondern nur an krankhaftem 
Geiz litt. 
Tober war ein regelmäßiger Besucher aller 
Märkte von Pittsburg, auf denen er sorgfältig 
alle Abfälle zusammensuchte. Aus diesen Ab 
fällen kochte er sich dann Suppen, die seine ein 
zige Nahrung während seines ganzen Lebens 
waren. 
Ebenso sammelte er seit Jahrzehnten Holz- 
stückchen und alle brennbaren Stoffe, die er 
finden konnte. Bezeichnend ist jedoch, daß er 
diese Brennstoffe nicht etwa zum Heizen seiner 
Wohnung verwendete, denn selbst bei der 
grimmigsten Kälte ließ er seine Wohnung un 
geheizt. Er stapelte die gesamten Abfälle zu 
großen Haufen auf, die dann verfaulten. Das 
Angebot der mit seinem Gelde gegründeten 
Hanöwerkerschule, in dem Gebäude zu wohnen 
und an der gemeinsamen Tafel mitzueffen, 
schlug er aus. Er erklärte, daß er sich bei sei 
ner Lebensweise zufrieden und glücklich fühle, 
und keine Aenderung in seinen Lebensgewohn 
heiten wünsche. 
Nun ist der greise Henri Tober dieser Tage 
gestorben. Zur größten Ueberraschung der 
Stadt hinterließ er ein Testament, in dem er 
seiner Stiftung ein Grundstück im Werte von 
100 000 Dollar und 22 000 Dollar bares «Seld 
vermachte. 
Die Erklärung für diese Vermögensan 
sammlung ist recht einfach. Henri Tober hatte 
als zwanzigjähriger Jüngling ein Vermöge» 
geerbt, daß er nie angegriffen hat und das im 
Laufe der Jahrzehnte riesenhaft angewachsen 
war. 
Eine Lehrerin will die Mutter einer Schü 
lerin besuchen, die im sechsten Stock einer Miets 
kaserne wohnt. 
Am Hauseingang fragt sie einen Knaben: 
„Kannst du mir sagen, mein Junge, wo Frau 
Müller wohnt?" 
„O ja, kommen Sie nur mit." Er steigt ihr 
voran die Treppen hinaus und bleibt schließlich, 
als sie glücklich säst unterm Dach angelangt stud, 
stehen, zeigt aus eine Tür und sagt: 
„Da wohnt Frau Müller. Aber sie ist jetzt 
nicht zu Hause. Sie sitzt unten im Hof auf dor 
Bank." 
Das Schicksal 
des Grafen Rhoden. 
Roman von Otfrid von Haustein. 
Topflight by Literatur. Verlag Gloria, Berlin. Steglitz. 
7) (Nachdruck verboten). 
--Kuno tst da. Darf ich ihn zu dir führen?" 
„Iuftizrat Mergener hat dir geraten? Ich 
werde den Iuftizrat zu mir bitten. Gut, führe Kuno 
herein. Der Iuftizrat ist dein Gegenvormund, und 
wenn er... Ich kann ja deinem Verlobten, wenn 
er es àmal ist, nicht verweigern, ihn zu emp 
fangen.^ 
Wie Kuno an Margaretens Seite das Zimmer 
der alten Dame bettat, lag wieder das Lächeln auf 
seinen Lippen, das ihn so unangenehm machte. Der 
Besuch der alten Dame und die Komödie, die er 
spielen sollte, waren ihm zuwider. 
„Derehrteste Tante, gestatte, daß ich dich erge 
benst begrüße und gleichzeitig um Verzeihung bitte, 
wenn ich nicht zuerst zu dir kam, ehe ich mir Mar- 
garetens Jawort erbat. Ich denke, du wirst uns 
auch jetzt deinen Segen gebend 
„Ich kann nicht verhehlen, daß deine Werbung 
um Margarete und ihr Einverständnis mir vollkom 
men unerwartet kamen und daß ich noch gestern 
andere Hoffnungen hegte. Jetzt werde ich vor eine 
vollendete Tatsache gestellt, da ich aber vorläufig noch 
der Vormund meiner Tochter bin, kann ich eine 
Einwilligung zu dieser plötzlichen Verlobung nicht 
geben, ehe ich darüber mit meinem Berater, Herrn 
Iuftizrat Mergener, gesprochen habe." 
„Selbstverständlich, Tante. Ich finöe das ganz 
tn der Ordnung, und so will ich auch heute deine 
kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. 
Meine liebe Margarete, erlaube, daß ich mich auch 
von dir verabschiede. Ich darf wohl hoffen, Tante, 
von dir ein paar Zeilen zu bekommen, sobald du 
mit dem Iuftizrat gesprochen hast." 
Er ging, nachdem er auch seiner Braut die Hand 
geküßt. 
Es war beiden Damen eine Erlösung, als kurz 
darauf der Iuftizrat vorfuhr. 
„Mein lieber, alter Freund, ich habe Sie mit 
Sehnsucht erwartet, und wollte Sie soeben durch 
einen Boten zu mir herausbitten lassen. Was geht 
denn nur vor?" 
.Haben Sie Vertrauen zu mir?" 
„Unbegrenztes!" 
„Dann bitte ich Sie, fragen Sie nicht. Ich 
möchte Ihr Herz nicht mit unnötigen Sorgen be 
schweren, Glauben Sie mir, es ist für Sie alle das 
Beste, wenn diese Verlobung zustande kommt. Ich 
will Ihnen nur andeuten, daß Ihres verstorbenen 
Gemahls Verhältnisse durchaus nicht so glänzend 
waren, wie wir glaubten. Das Vermögen Kuno 
Gehrmanns sichert Ihnen allen eine forgsnfvete 
Zukunft." 
Einen Augenblick erschrak die Baronin, als sei 
sie an einer furchtbaren Gefahr vorübergegangen. 
Dann aber faßte sie sich schnell. 
„Nun, wenn auch Sie es für gut halten, dann 
muß ich mich fügen, aber ich verstehe Margarete nicht. 
Ich hätte nicht so berechnend gehandelt. Ich würde 
lieber mit Erwin ttockenes Brot essen, als Kunos 
Reichtum teilen, und wenn es Millionen wären, 
denn er bleibt trotz seines freiherrlichen Namens ein 
Plebejer!" • 
Der Iuftizrat nickte nachdenklich und sah zu, 
wie sie seufzend eins der Ka-viarfchnittchen, die Mar 
garete zur Bewirtung des Iuftizrats hereingefchickt 
hatte, zum Munde führte und mit einem Schluck 
alten Portwein hinunterspülte. Er konnte sie sich 
wirklich recht schlecht bei trockenem Brot vorstellen. 
Die Nachbarschaft war verwundert, als sich die 
kleinen Kärtchen einstellten, auf denen die verwit 
wete Baroni-n Gehrmann-Windollen, geborene Gräf 
in Hollerstein, die Verlobung ihrer einzigen Toch 
ter aus ihrer ersten Ehe mit dem verstorbenen Gra 
fen Rho-den-Gunz-hausen mit dem Freiherrn Kuno 
von Gehrmann-Altkuhren bekanntgab und mit Rück 
sicht auf das Trauerjahr bat, von Glückwunsch-besu 
chen freundlichst Abstand zu nehmen. Schon wenige 
Wochen später fand in aller Stille die Vermählung 
statt. — 
Auf Windollen war ein ganzes Heer von Hand 
werkern eingekehrt, und als sie kamen, hatte die Ba 
ronin gern den Vorschlag ihres Schwiegersohnes an 
genommen, auf einige Monate ein Bad aufzusuchen. 
Es war kein selbstloses Opfer, das Kuno ihr 
bot, denn er atmete auf, als sie abgereist war, und 
sogar Margarete dankte Gott. 
Das Verhältnis zwischen Kuno und seiner 
Schwiegermutter war vom ersten Augenblick an auf 
Kriegsfuß gestellt. Sie machte ihm fortwährend 
Vorwürfe. Sie hielt ihm vor, daß seine geschäft 
lichen Unternehmungen eines Aristokraten unwür 
dig seien, verbot ihm geradezu den Bau der Fabrik 
und wollte nicht einsehen, daß das Gut nun ihm ge 
höre. Sie stellte ihm tagtäglich zwanzigm-al Erwcn 
als Muster vor und fühlte gar nicht, daß sie Mar 
garetens Wunde immer von neuem aufriß. Sie 
weigerte sich, die Zimmer im Erdgeschoß zu räumen, 
kurz, sie fühlte sich noch immer als Herrin des 
Hauses und rügte alles, was Kuno tat, als gewalt 
samen Eingriff in ihre Rechte. 
Margarete litt Höllenqualen. Sie hing ängst 
lich an Kunos Gesicht und war froh, -daß dieser, der 
die alte Baronin einfach nicht für voll nahm, mit 
seinem ewigen ironischen Lächeln die Vorwürfe über 
sich ergehen ließ. Aber täglich zitterte sie, daß er 
die Geduld verlieren würde und es zu einem offenen 
Bruch kam, und die Mutter die ganze Wahrheit er 
fuhr, daß sie nur in ihrem eigenen Hanse geduldet 
war. So war es für alle eine Erlösung, als sie ab 
reiste. 
Kuno hatte auch Margarete beobachtet und war 
zartfühlend genug, zu verstehen, daß auch ihr 
schmerzlich sein mußte, was nun kam. Er hatte ihr 
angeboten, die Mutter zu begleiten und fernzublei 
ben, bis die Verwüstungen, die er vornehmen mußte, 
geschehen waren, aber sie hatte abgelehnt. 
Stundenlang stand sie am Fenster und schaute 
hinüber in den Park. Nun war der japanische Pa 
villon zerstört. Sie wollte aufschreien, als sie die 
erste Hacke an dem lieben Vau sah. Wie gern war 
der Vater dort gewesenI Sie erinnerte sich seiner 
Freude, als er vollendet war. Dort hatte ihr Erwin 
seine Jugenügedichte vorgelesen... 
Und immer mehr Arbeiter stampften auf den 
verwüsteten Wiesen und Beeten. In diesen Stunden 
haßte sie Kuno und ging ihm aus dem Wege, wo sie 
ihn sah. 
Windollen, das liebe, alte, friedliche, vornehme 
Windollen war tot! 
Eines Tages kamen fremde Herren an, mit de 
nen Kuno noch erregter verhandelte als sonst. 
Tiefe Löcher wurden in die Erde gebohrt, dann ging 
der Gutsherr mit strahlender Miene umher. Ein 
neuer Sieg seiner Kombinationen: er hatte ein 
unterirdisches Kohlenlager gefunden. 
Neue Bauten entstanden. Fast der ganze Rest 
des Parkes sank zu Boden. Bohr- und Fördertürme 
erhoben sich, die Landwirtschaft wurde aufgegeben 
und die Scheunen niedergelegt. Kunos Kapital 
hatte längst nicht gleicht, aber willig fand er in der 
Hauptstadt Fremdes Geld. Eine große Gesellschaft 
wurde gegründet, und darüber kam der Sommer. 
In der Hauptfabrik surrten bereits die Räder. 
Grelle Bogenlampen an hohen, kahlen Eisenmasten, 
die an Stelle der grünen Eichen standen, beschienen 
einen weiten Platz, auf -dem Avbeitevkolonnen käme», 
und gingen. ' 
Nur das Herrenhaus selbst stand mtt seinen 
grauen Mauern, der altmodischen Freitreppe und 
den hohen Fenstern unverändert. Aber wie sah es 
im Innern aus! Die Geweihe aus d-em Vovsaal 
lagen irgendwo auf -dem Boden. Helles elektrisches 
Licht durchflutete die Räume. Aus dem Speifesaal 
war ein Bcratungszimmer geworden. Das Ar 
beitszimmer -des Vaters war Kunos nüchtern-kahles 
Büro, der Musiksalon beherbergte eine Anzahl 
Schreiber und in dem Zimmer der Mutter wohnte 
der Oberingenieur der Sprengstoffabrik. 
Nur der Oberstock war unberührt. Das heißt, 
dort war nun die Wohnung der Mutter und die von 
Kuno und Margarete. Später, wenn alles in Gang 
war, wollten sie ja nicht hier bleiben. Kuno hatte 
die Absicht, in der Reichshanptstadt eine Zentrale 
aller seiner Unternehmungen einzurichten. 
Die Mutter! Margarete schauderte bei dem 
Gedanken, an deren Rückkehr, was würde sie sagen! 
Wie sollte sie, mit ihren reizbaren Nerven, es auch 
nur eine Stunde in diesem Chaos von Lärm und 
Unruhe aushalten. 
Innerlich war sie Kuno keinen Schritt näher 
gekommen, und sie fühlte, daß es auch nie geschehen 
könnte. Sie sehnte sich fort, ganz gleich wohin, wo 
es einsam und still war, wo niemand sie kannte. 
Auch mit der Mutter korrespondierte sie wenig. 
Was sollte sie ihr schreiben? Erzählen von dem, 
was hier geworden? Es war genug, daß sie es 
sehen mußte. Von ihren Seelenqualen sprechen? 
Ach, sie verstand sich ja auch mit der Mutter nicht, 
das Fühlte sie jetzt. Deren Briefe waren nur voll 
von Oberflächlichkeiten, vornehmen Bekanntschaften, 
Klatsch aus der aristokratischen Gesellschaft und Din 
gen, die ihr so nichtig erschienen. 
Eines Tages sandte die Mutter ein kleines Pa- 
ket. Nichts lag darin als ein Buch: „Liebe?" Ro 
man von Erwin Graf von Rhoden. 
Margarete zuckte zusammen. Krampfhaft hatte 
sie versucht, nicht an ihn zu denken, und nun stand 
er neben ihr und wollte selbst zu ihr sprechen. 
„Liebe?" Wo war ihre Fassung hin? Was 
hatte das eine Wort auf diesem Buch für einen 
Sturm in ihrem Herzen entfesselt! 
(Fortsetzung jolgl.j
	        
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