Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

We Schauerlichkeit einer einsamen Nachtfahrt im 
eisig kalten Norden zeigte. Der Chauffeur ließ 
den Wagen trotz Nebel und Regen rasen, und 
ganz allmählich erklommen wir die Höhe des 
Fjelds. Der Wald hörte auf und die typische 
Fjeldenvegetation begann. Ich sah davon in die 
ser Nacht allerdings nichts, ich fror entsetzlich. In 
zwischen wurde die Fahrt immer schneller, dabei 
sahen wir kaum den Weg. Ich rückte aus meiner 
Ecke heraus und bohrte meine Augen in die Fin 
sternis hinein. Es wurde mir fast unheimlich. 
Endlich hatten wir die Höhe erreicht, und nun 
ging es bergab. Um drei Uhr waren wir glücklich 
am Ofotfjord, an dem wir noch ein beträchtliches 
Stück entlang fuhren, und um vier Uhr morgens 
hatten wir die Fähre in Oeyor erreicht. Ich war 
froh, daß ich diese Schreckensfahrt glücklich über 
standen hatte. Der Fährmann war endlich auf 
gestanden und brachte nach mehreren Versuchen 
seine Fähre glücklich an die Felsen heran. Ich 
sprang ins Boot, und wir fuhren über den Fjord 
nach Narwik. Es war eine wenig erfreuliche Fahrt 
durch die kalte Nacht; als wir an der Landungs- 
brücks anlegten, dämmerte bereits der Morgen. 
Brinke Welt. 
Eine Anekdote vom Balkan. 
Robert Neumann erzählt, unter anderen 
kleinen Geschichten vom Balkan, im Julihest von 
Velhagen und Klasings Monatsheften: 
Diese Geschichte ist verbürgt, und es ist von 
ihr sowohl im Vierzehnten Bericht des Politischen 
Komitees zu Odessa an Lenin die Rede als auch 
in einer Chiffredepesche des österreichisch-ungari 
schen Botschafters Grafen Mensdorff an den ^Mi 
nister Czernin. Ein> Balkanstaat, dessen Namen 
ich nicht nennen will — und der es im übrigen 
verstanden hat, anläßlich der großen Teilung der 
Beute sich den Wanst wie wenig andere vollzu 
schlagen und feine Grenzen um ein beträchtliches 
nach Norden und Westen weiterzurücken —, ein 
Balkanstaat wußte, als der große Brand in Euro 
pa anbrach, so lange und geschickt zwischen Mittel 
mächten und Entente zu lavieren, bis schließlich 
um ihn zwischen Oesterreich und Rußland ein 
regelrechtes Wettbieten anhob. Sagten die einen 
Beute zu im Nordosten, so versprachen die andern 
Land im Südwesten, sprachen die einen von Geld, 
sprachen die andern von Gold, wußten die einen 
den Weg zu drei Ministern zu finden, so be 
stachen die andern drei weitere — es war zu 
keinem Ende zu kommen. Verhandelte man mit 
den Russen in Odessa, so verhandelte man mit 
den Oesterreichern in Budapest — bis es schließ 
lich doch den Russen gelang, dem Minister des 
königlichen Hauses ein kleines Bankdepot in der 
Schweiz zu errichten, und so den ganzen Staat 
auf ihre Seite zu ziehen. „Also topp", sagte der 
Russe. Aber der Unterhändler der Balkanleute 
lehnte sich in seinem Sessel zurück und sagte: 
„Noch einen Augenblick. Wir sind also bereit, 
für unsere heiligen Belange zum Schwert zu grei 
fen. Aber ist den Herren bekannt, daß unsere 
Ausrüstung höchst mangelhaft ist?" Der Russe 
winkte ab und sagte: „Was Ihre Armee zur 
vollen Ausrüstung braucht, wird selbstverständlich 
von uns zur Verfügung gestellt." — „Alles?" — 
„Alles." — „Dann bitte ich um Aufnahme dieses 
Punktes in den Vertrag." Aber auch als dieser 
Wunsch erfüllt war, konnte der Balkanmann sich 
noch nicht zur Unterzeichnung verstehen, „lleber- 
morgen, meine Herren, übermorgen," antwortete 
er auf alles Drängen. Das war am 12. Sep 
tember. Am 14. erschien der Balkanmann in 
Odessa. „Ein Mann — ein Wort." sagte er mit 
Lächeln und unterschrieb. 
Erft am 13. traf bei den Russen die offizielle 
Mitteilung ein, daß sie dem neuen Bundesgenos 
sen eine neue Artillerie zur Verfügung zu stellen 
hätten — der Bundesgenosse hatte am 13. seine 
gesamten Kanonen an Oesterreich verkauft, an der 
Landesgrenze übergeben und mit blanker Münze 
bezahlt bekommen. 
Elektrische Gerichtsdiener. 
Der Lautsprecher, den wir anfangs nur vom 
Rundfunk her kannten, ist heute viel mehr mit dem 
öffentlichen Leben verbunden. Seine durchdringende 
Stimme wird jchon bei den verschiedensten Gelegen 
heiten benutzt. Z. B. finden wir auf mehreren 
Berliner Stadtbahnhöfen Lautsprecher, die beim Ab 
fahren jedes Zuges „Zurückbleiben" rufen. Neuer 
dings haben sie sogar im Gericht ihren Einzug ge 
halten. Hier treten sie an die Stelle des Gerichts 
dieners. Es ist allgemein üblich, daß kurz vor dem 
slg asu»i(§ asg buniquohaeasstpiisN reuie uuiöoc^ 
sich im Flur aufhaltenden Zeugen, den Kläger uns 
Beklagten zum Eintritt in den Verhandlungssaal 
auffordert. Diese Arbeit übernimmt jetzt der Laut 
sprecher. Der Richter braucht sich dabei gar nicht 
von feinem Platz zu entfernen, sondern bespricht 
ein kleines, auf dem Verhandlungstisch aufgestelltes 
Mikrophon, dessen Sprechströme über eine Verstär 
kereinrichtung zu dem im Flur angebrachten Laut- 
precher geleitet werden. Es ist daher nicht möglich, 
daß die Aufforderung des Richters an die warten 
den Parteien überhört wird. In einem Bezirks 
gericht in Wien hat man die ersten erfolgreichen 
Versuche mit dem Lautsprecheraufruf gemacht. Zn 
æicn Jsltten aus Mangel an Hilfsbeamten die Pro 
tokollführer das Aufrufen nebenbei zu besorgen. Da 
mit es nicht versäumt oder vernachlässigt werde, ent- 
chloß sich das österreichische Justizministerium, „elek 
trische Gerichtsdiener" aufzustellen. Die Berliner 
Firma Siemens u. Halske erhielt den Auftrag, eine 
von ihr vorgeschlagene sogenannte Lautrufanlage 
probeweise einzurichten. Der Verhandlungstisch 
im Straf- und der im Zivilverhandlungssaal erhiel 
ten je ein Mikrophon. Die Einrichtung bewährte 
sich fo gut, baß bas Ministerium die Einführung an 
allen Wiener Gerichten plant. 
Eine Goldrüstung der Völkerwanderungszelt. 
Ein wertvoller Grabfund aus der Dölkerwan- 
derungszeit ist kürzlich in Italien gemacht worden 
und erscheint jetzt auf der Londoner Ausstellung 
frühmittelalterlicher Kunst in Burlington Fine 
Arts Club: die Goldrüstung eines langobavdischen 
Häuptlings aus der Zeit um 600. Das Grab Atti 
las, wenn es je wieder ans Licht treten sollte, kann 
diesen Fund kaum übertreffen; er stellt sich dem be 
rühmten Schatz des Grabes des Frankenkönigs 
Ehilderich in Tournai an die Seite. Wie Prof. 
Tancred Boranius von der Londoner Universität in 
der Bruckmannfchen Monatsschrift „Pantheon" be 
richtet, ist der Schatz reich mit Zellenschmelz deko 
riert. Es ist ein großer Halsschmuck, ein Helm, ein 
Schild, ein Sporn, ein Schwert, eine Lanzenspitze. 
Pferdegeschirrstücke usw. Das wiederholte Auftre 
ten der Kreuzessymbole läßt keinen Zweifel übria, 
daß es sich um ein christliches Grab handelt. Auf 
dem Halsschmuck ist vorn eine Figurenszene darge 
stellt mit einem bärtigen Häuptling und einer Sie 
gesgöttin, die in falschem Lateinisch als Picturta 
gekennzeichnet ist. Der Sporn aus massivem Gold 
wiegt mehr als 400 Gramm und ist reich mit Gru- 
ben-Email dekoriert. Dank der wundervoll guten 
Erhaltung stellt der Schatz ein klassisches Stück ,n 
der Geschichte der Kunst der Völkerwanderungszeit 
dar. 
Der Ansturm der Kanalfchwimmer. 
Nach Londoner Blättern ist in diesem Jahr 
eine besonders stattliche Zahl von wagemutigen 
Schwimmern, die trotz allen Fehlschlügen dem 
Ehrgeiz nicht widerstehen können, den Kanal zu 
durchqueren, an den verschiedensten Punkten start 
bereit versammelt und wartet nur eine günstige 
Gelegenheit ab, um ins Wasser zu gehen. Im 
Hinblick auf die große Zahl der Schwimmer könnte 
maNş fast auf den Gedanken kommen, daß das 
Scheitern des Kanaltunnels nur dazu beigetragen 
habe, dem Sport der Kanalschwimmerei einen 
neuen Ansporn zu geben. Unter den Kandidaten 
sind so ziemlich alle Völker und Altersklassen ver 
treten. Deutschland, Aegypten, Indien, Südafrika, 
Amerika, Frankreich und andere Länder haben 
Vertreter entsandt, nur Australien glänzt durch 
Abwesenheit. Daß es den Kanalschwimmern nicht 
an Nachwuchs fehlt; bezeugt die kleine Joan 
Brunton. ein zwölfjähriges englisches Mädel, das 
zum Wettbewerb mit den Großen angetreten ist. 
Nund um die.şreiheitsstatue. 
Lebe so in deinem eigenen Heim, daß du 
deinen Papagei jeder anderen Familie verkaufen 
kannst. * (Troy Times.) 
In Japan kannst du an der Tracht des Haa 
res feststellen, ob ein Mädchen verheiratet ist oder 
nicht. Bei uns kannst du nicht einmal feststellen, 
db sie ein Mädchen ist. 
Juni ist der Monat der Bräute. Die übn- 
gen elf sind für die Scheidung bestimmt. 
(Wall Street Journal.) 
* 
Ein Pariser Dichter ging in einen Löwen 
käfig und las mit lauter Stimme seine Gedichte 
vor. Die Löwen blieben unversehrt. 
(Detroit News.) 
* 
Eine öffentliche Ansprache ist die Kunst, eine 
Idee von zwei Minuten mit einem Wortschatz von 
zwei Stunden zu verdünnen. 
(San Diego Union.) 
* 
Eine verlorene Minute an einer Eisenbahn 
kreuzung erspart dir den ganzen Rest deines 
Lebens. (Minneapolis Star.) 
Zum Lächeln und Lachen 
Berechtigungswefen. 
„Warum gar so traurig?" 
„Es ist zu schrecklich. Ich wollte in der Ana 
tomie meinen Leichnam verkaufen. Aber da hieß 
es, sie nehmen nur mehr Leichen mit Abitur!" 
Gewissenhaft. 
„Herr Sämling, ich wollte Ihnen sagen, daß 
gestern unser Klub aufgelöst wurde." 
„Aber mein Herr, wie ist es mit der rück 
ständigen Miete?" 
„Darin haben wir uns schon gestern in der 
Sitzung geeinigt; jeder bleibt Ihnen zehn Mark 
schuldig." 
Beispiel. 
„Dreihundert Jahre ist dieses Glas alt", er 
klärte der Händler. 
„Das mußte unserer Köchin erzählen", sagt 
Vüchsenkamp zu seiner Frau. 
Der Rundfunkgegner. 
Im Hotel einer Kleinstadt beraten die 
drei Gäste, ob sie den Abend jetzt mit Skat 
spiel oder mit Radiohören zubringen wollen. 
„Was bringt denn der Rundfunk heute 
abend?" fragt der eine Gast bedächtig. 
Man sieht im gedruckten Programm nach: 
Uebertragnng aus dem Stadttheater: WagnerS 
„Lohengrin". 
Und der bedächtige Gast entscheidet: „Dann 
spielen wir Skat. Bei „Lohengrin" wissen 
wir, was kommt; aber bei Skat wissen wir 
noch nicht, was kommt — also ist Skat inters 
essanter!" 
bekomme leb meine 
Ænsuge, Mäntel, Verhänge, Ciardmen, Teppiche usw. schnellstens und gut chemisch gereinigt, gefärbt und gebügelt? 
Nur bei der Fa: C. w-àsnn Nach!., Inh.: A. Tapfick Rendsburg, Neue Straße 12, Tel. 3183, Qegr. 1867 
öes Ģrmfesr NhoKen. 
Roman von Otfrid von Haustein. 
Tvpyright by Literatur - Verlag Gloria, Berlin - Steglitz 
1) (Nachdruck verboten). 
1. Kapitel. 
Unter lautem Klang der Jagdhörner fuhr der 
lauge Fug der rot und blau bewimpelten Wagen in 
schlanker Kurve tu den Vorhof des freiherrlichen 
Schosses Windollen, um vor der breitausladendrn 
Freitreppe zu halten. 
„Mt klingenden Fanfaren!" 
General von Wittekopf schmunzelte es hinüber 
zu feinem Iagdgenoffen, dem Kommerzienrat und 
Buchhändler Bentheim, der selbst wie ein General 
in Zivil aussah. 
Pschakreff, das Knochengerüst wird wackelig, 
wenn der Mensch alt wird." 
Der Hausherr. Freiherr von Gchrmann- 
Windollen, hatte feine riesenhafte Figur, die in 
dem weiten Pelzmantel noch stiernackiger und wuch 
tiger aussah wie sonst, erhoben und mühte sich, vom 
Wagen zu steigen. 
„Kommen Sie 'rein, meine Herren! Auf der 
Fahrt wird man steif, und Federn haben die Dinger 
auch miserable. Brr! Jetzt merkt man die acht 
zehn Grad erst. Kalt ist.schön, aber warm ist besser! 
Der Oberförster baut uns inzwischen die Strecke 
auf." 
Währenddessen waren auch die anderen Wagen 
vorgefahren und die Gäste abgestiegen, die nun 
langsam die Treppe emporgingen und in die große, 
mit unzähligen Gehörnen geschmückte Vorhalle tra 
ten, wo Diener und Mädchen mit zierlichen weißen 
Hauben ihnen die Pelze abnahmen. 
Eine schlanke, ernst und sehr vornehm wirkende 
junge Dame von etwa zwanzig Jahren erschien in 
der Tür des Empfangszimmers. Sofort hatte sich 
Kuno von Gehrmann, des Hausherrn Neffe und 
Herr auf dem benachbarten-Ältkuhren, von den an 
deren gelöst gelöst und ergriff ihre Hand. 
„Gnädigste Gräfin und verehrungswürdige Ku 
sine, gestatten Sie, daß die ganze Jagdgesellschaft 
sich Ihnen zu Füßen legt." 
„Ach nein, lieber Better, das wollen wir doch 
nicht tun bet ihren steifgefrorenen Gliedern. Kom 
men die Herren lieber herein und trinken schnell 
einen heißen, Kaffee!" 
„Sagen Sie mal, lieber General," wandte sich 
Kommerzienrat Bentheim an Wittekopf, „wieso wird 
denn die junge Dame mit „gnädigste Gräfin" ange 
redet? Ich denke, sie ist des Freiherrn älteste Toch 
ter." 
„Richtig, lieber Kommerzienrat, Sie sind ja 
zum erstenmal hier. Fräulein Margarete ist die 
Tochter der Freifrau aus ihrer ersten Ehe mit dein 
Grafen Rhoden, aber hier gibt es kein Stiefkind 
und keinen Stiefvater. Im Gegenteil, beide sind 
ein Herz und eine Seele. Er hätte es am liebsten, 
wenn er ihr auch leinen Namen geben könnte, da 
mit niemand merkt, daß sie in Wahrheit nicht seine 
Tochter ist, aber das geht nicht, denn sie hat einmal 
Anwarffchaft auf das riesige gräflich Rhodenfche 
Majorat." J 
„Also ein Goldfisch?" 
„Später mal sicker." 
„Wird wohl fleißig geangelt?" 
„Sie haben ja einen Angler selbst gesehen." 
„Der lange, unangenehme Herr, der sie Kusine 
nannte?" 
„Ganz recht, der lange, unangenehme Herr. 
Ganz meine Meinung, aber Glück hat er nicht/Der 
Favorit ist ein ganz anderer. Der ihr eben jetzt 
die Hand reicht." 
„Der junge Graf Erwin? Dem gönne ich sie 
schon eher." 
„Kennen Sie ihn?" 
Der Kommerzienrat machte ein Gesicht, als habe 
er sich etwas merken lassen, was er nicht sagen 
wollte. 
„Ganz flüchtig, ganz flüchtig! Aber die beiden 
passen besser zusammen." 
Eberhard von Gehrmann, des langen Kuno 
Vater, der in der benachbarten Provinzhouptstadt 
ein großes Fabrikunternehmen leitete, war zu dem 
Hausherrn getreten, der die Stufen der Freitreppe 
ichnell hinaufgeeilt war und nun etwas zusammen 
geknickt dastand und die Hand aufs Herz preßte. 
„Gerhard, ist dir nicht gut?" 
„Nichts von Bedeutung, aber das Herz will 
manchmal nicht mehr. Nauheim hat auch'nicht be- 
onders geholfen dieses Jahr. Ach was, wir trinken 
einen ordentlichen Kurfürsten, dann kommt die olle 
Pumvmaschine schon wieder in Gang." 
Der Freiherr versuchte fröhlich zu erscheinen, 
aber es^wollte ihm nicht recht gelingen. Des Vet 
ters Gesicht ruht« mit eigentümlich ernstem und for 
schendem Ausdruck auf ihm. 
Die Herren hatten sich um die Kaffeetafel ge 
atzt und aßen große, mit Obstmus gefüllte Pfann- , 
kuchen und delikate Torten. Auch der Freiherr war 
wieder obenauf. 
„Langen Sie zu, meine Herren, aber denken Sie 
daran, daß in einer Stunde die Raubtierfütterung 
beginnt." 
Indessen stand der junge Graf Erwin Rhoden 
jchon vollständig umgezogen und nun in der Uniform 
seines Reichswehrregiments vor der alten Freifrau, 
die sich für die anderen Gäste erst an der Tafel 
sehen ließ. 
Sie war eine streng aristokratische Erscheinung, 
mit einem gewöhnlich'etwas hochmütigen Zug in 
"ihrem leidenden Gesicht, und paßte eigentlich recht 
wenig zu ihrem burschikos saloppen Gatten. Jetzt 
aber hatte sie etwas mütterlich Zärtliches in ihrem 
Blick. 
„Also du mußt wirklich so schnell fort, mein 
Junge?" 
„Der Dienst, Tante. Ich muß den Nachtzug 
erreichen und deshalb nach dem Essen verschwinden. 
In Königsberg habe ich sowieso sechs Stunden Auf 
enthalt. Da will ich mich denn lieber jetzt gleich 
von dir verabschieden und du bist nicht böse, wenn 
ich mich dann heimlich drücke, um kein Aufsehen zu 
machen. Offen gestanden..." 
„Weiß schon, mein Junge, du fühlst dich nachher 
nicht recht wohl. Hast recht. Nun, bei Tisch wird 
dir's schon schmecken. Ich habe dich neben Marga 
rete gesetzt." 
Sein Gesicht rötete sich leicht. Er küßte ihr die 
Hand, sie aber zog ihn an sich. 
„Wir verstehen uns schon. Wart' nur die Zeit 
ab, Junge, ich seh's ja gern, wenn Margarete wie 
der «ine Rhoden wird," 
„Tante!" 
„Bist ja noch fast ein Junge." 
„Frau Baronin, die Herrschaften sind ver 
sammelt." 
Sie nickte dem Kammerdiener zu, lächelte Erwin 
einen Gruß und trat zunächst in das Zimmer, in dem 
die Damen der Nachbarschaft, die zum Diner nach 
gekommen waren, warteten. In der Tür traf sie 
auf iïjre zweite vierzehnjährige Tochter Wallburg, 
das einzige Kind aus ihrer Ehe mit dem Freiherrn, 
ein lebenslustiges junges Ding, der die Freude aus 
dem geröteten Gesichtchen strahlte. 
„Also hübsch artig! Ich habe deinen Bitten 
nachgegeben, obgleich sich's eigentlich noch gar nicht 
chickt, daß du dabei bist. Benimm dich bescheiden 
und sei nicht vorlaut!" 
-Aber Mama!" 
Eine kurze zeremonielle Begrüßung, — inzwi 
schen waren auch die Herren eingetreten, die die vom 
Oberförster bereitete Strecke besichtigt hatten, — 
dann ordnete sich der Zug zu dem großen Speisesaal, 
in dem die Tafel mit dem leuchtenden Familiensilber 
und den blitzenden Kristallen einladend entgegen» 
lachte. 
Die Freifrau machte am Arm des Generals den 
Vortritt, dann folgte der Hausherr mit der Frau 
feines Vetters. 
Zuerst ging es recht steif zu, doch dann wurde es 
lebhafter. 
„Meine Herren, wir müssen den Iagdkönig 
wählen." 
Die Ehre fiel nach einigem Hin und Her Kuno 
von Gehrmann zu. 
Kuno verbeugst« sich dankend. 
Margarete neigte sich zu Erwin. 
„Wenn es doch nur erst vorüber wäre! Das ist 
mir der schrecklichste Tag im ganzen Jahre. Und 
nachher erst, wenn sie spielen!" 
Erwin, der ernst vor sich hinschaute und mit sei 
nen Gedanken an ganz anderer Stelle zu sein schien, 
hatte keine Zeit zu antworten, denn Kuno, der aus 
Margaretes anderer Seite saß, belegte sie mit Be 
schlag. 
„Verehrungswürdige Kusine, was macht ein Kö 
nig ohne Königin? Darf ich Ihnen wenigstens für 
diesen Abend meine Krone zu Füßen legen?" 
Er hatte eine so unangenehme Art, daß man nie 
wußte, ob er ernst sprach oder spottete, und doch 
fühlte Margarete schon seit Wochen, wie er jede Ge 
legenheit benutzte, um ihr offenkundig den Hof zir 
machen. 
„Aber, lieber Vetter, Fräulein von Kerstlinge 
rode ist doch Ihre Dame!" 
„Zur Rechten, Kusine, zur Rechten, aber das 
Herz sitzt aus der Linken, und da sind Sie!" 
Er war zum Glück ungeschickt in seinen Kompli 
menten, und nun erwiderte sie lachend: „Sv bieten 
Sie mir Ihre Linke, während Ihre Rechte vergeben 
ist? Ei, ei, Herr Vetter!" 
Verlegen wußte er nichts zu erwidern, und da 
in diesem Augenblick Fräulein von Kerstlingerode, 
eine etwas angejahrte Dame, die bisher mit ihrem 
anderen Nachbar gesprochen hatte, aufsah- mußte er 
abbrechen. 
(Fortsetzung folgt.)
	        
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