Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

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123. Jahrgang. 
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Wahltag am !4. September d. Zs. - Aufruf der Neichsregîerung. - Der voraussichtliche 
Zuhält der in Ausarbeitung begriffenen neuen Notverordnung. 
Nachdem gestern im Reichstag der sozialdemokratische Antrag auf Aufhebung der Notverordnungen mit 236 gegen 221 Stimmen angenommen 
worden, die Regierung also um 15 Stimmen in der Minderheit geblieben war, wurde die Auflösung des Reichstages ver 
fügt. Das geschah durch die vom Reichskanzler Di*. Brüning vorgenommene Verlesung einer Verordnung des Reichspräsidenten. Dem Antrag 
der Sozialdemokraten hatten diese Partei, die Kommunisten, die Nationalsozialisten und der größere Teil der Deutschnationalen zugestimmt. 
(Näheres im Sitzungsbericht auf der 3. Hauptblattfeite.) 
Der Reichspräsident hat auf Vorschlag des Reichskabinetts die Neuwahl des Reichstages auf Sonntag den 14. September festgesetzt. 
auf Grund eines Volksentscheides, auf Grund 
eines Beschlusses des Triumvirats (Mini 
sterpräsident, Landtagspräsident und Staats 
ratspräsident) und schließlich auf Beschluß des 
Landtages selbst. 
„Die itage ' 
êêS 14. September". 
Durch Verordnung des Reichspräsidenten 
aufgrund des Artikels 48 der Reichsverfassung 
über Außerkraftsetzung der Verordnungen, 
ausgestellt am 18. Juli, sind auf Verlangen 
des Reichstages die Notverordnungen vom 
16. Jnli außer Kraft gesetzt worden. Die Ver 
ordnung trägt die Unterschrift des Reichsprä 
sidenten, des Reichskanzlers Brüning und 
des Reichsfinanzministers Dietrich. 
Die Rcichsregiernng erläßt gleichzeitig 
folgenden Aufruf: 
Msürbeilung fot neuen yàrsrhmmg 
Brüning fährt nicht ins Rheinland. 
Sicherem Vernehmen nach nimmt Reichskanz 
ler Brüning angesichts der durch die Aufhebung der 
Notverordnung geschaffenen Lage nicht an der 
Rhcinlandreise des Reichspräsidenten teil. Er wird 
vielmehr die nächsten Tage dazu benutzen, um ge 
meinsam mit dem Finanzminister Dietrich die neue 
Notverordnung auszuarbeiten. In dieser Notver 
ordnung sollen alle dringlichen Maßnahmen einbe 
zogen werden, soweit das verfassungsmäßig zulässig 
ist. Es dürfte sich hierbei vor allem um solche Maß 
nahmen handeln, durch die Einsparungen am Haus 
halt zu erzielen sin-d und durch die notwendige 
Mehraufwendungen gedeckt werden. In Regie 
rungskreisen ist man der Auffassung, daß die we 
sentlichen Grundzüge des alten Deckungsprogram 
mes erhalten bleiben. Ob dies Notverordnungsrecht 
auch auf die Reformen bei der Krankenversicherung 
und bei der Arbeitslosenversicherung ausgedehnt 
werden wird, ist noch nicht sicher. Am Donnerstag 
wollen der Reichskanzler und der Finanzminister 
im Kabinett die Vorlagen zum ersten Male unter 
breiten. 
Was den 
Inhalt der zu ermartenden 
Verordnungen 
anlangt, so wird man, wie weiter verlautet, 
annehmen dürfen, daß im wesentlichen die 
jetzt abgelehnten Verordnungen wiederkom 
men werden. Dies gilt insbesondere für die 
Reichshilfc, für den Einkommensteuerzuschlag 
und für die Vürgerabgabe. Ob die Gemcinde- 
getränkesteuer, die sich im Reichskabinett sel 
ber keiner Beliebtheit erfreut, erneut ver 
ordnet wird, ist noch ungewiß. Des weiteren 
wird in der Verordnung der vom Haushalts 
ausschuß bereits beschlossene 
Etat für 1930 
in Kraft gesetzt werden. Auch die Arbeits- 
losenvcrsicherungsreform, einschließlich der 
Einschränkung der Zuschußpflicht des Reiches, 
wird auf dem Verordnungsweg Geltung er 
langen. Ob dagegen auch die Krankenvcrsi- 
chernngsresorm in den Bereich der Verord 
nungen einbezogen werden wird, ist noch un 
bestimmt. Da die Regierung jedoch vermut 
lich beabsichtigt, die Gelegenheit der parla 
mentslosen Zeit zu Reformpolitik zu benutzen, 
um den Wählern ihr Können zu beweisen, 
wird man damit rechnen dürfen, daß auch hin 
sichtlich der Krankenversicherungsreform Maß 
nahmen ergriffen werden. 
Trotzdem bleibt das Trümmerfeld, das 
durch die Auflösung des Reichstages entstan 
den ist, groß genug. 
Das Osthilfegesetz ist nicht mehr verabschie 
det worden. Da aber im Ausschuß bereits die 
erforderlichen Mittel für 1930 bewilligt wor 
den sind, kann die Regierung ans Grund des 
Etatgesetzes diese Mittel den Zwecken der 
Osthilfe zuführen. Das Osthilfegesetz selber 
war ja nur ein Rahmengesetz programmati 
scher Bedeutung. Es liegt also im wesentlichen 
bei der Regierung, ob und wie weit der Osten 
durch das Versagen des Parlaments geschädigt 
wird. Daß der polnische Handelsvertrag durch 
die Auflösung zu Fall gekommen ist. braucht 
man weniger zu bedauern. Bedauerlich ist 
„An das deutsche Volk! 
Der Reichstag hat die Mittel verweigert, 
deren das Reich zur Durchführung seiner Auf 
gaben bedarf. Die Notverordnungen des 
Reichspräsidenten sind von einer geringen 
Mehrheit abgelehnt worden, die in sich uneinig 
und zur Uebernahme der Verantwortung nicht 
fähig ist. An das Volk ergeht jetzt der Ruf, 
selbst über seine Zukunft zu entscheiden. Will 
das deutsche Volk der Rcichsregiernng ver 
sagen, was zur Ordnung der Finanzen, zur 
Erhaltung der deutschen Wirtschaft und zur 
Sicherung der sozialen Verpflichtungen nötig 
ist? Das ist die Frage des 14. September. 
Die Reichsregierung wird dafür sorgen, daß 
Reich, Länder und Gemeinden ihre Aufgaben 
erfüllen können." 
Gezeichnet ist der Aufruf vom Reichs 
kanzler und von sämtlichen Reichsministern. 
Das also ist das Ende einer die Geduld des 
Volkes aufs äußerste in Anspruch nehmenden par 
lamentarisch-parteipolitischen Periode: Auslösung 
des Reichstages und abermalige Hineinschleude- 
rung der Nation in einen aller Voraussicht nach 
recht leidenschaftlichen, kräfteverzchrenden und 
geldverschlingenden Wahlkampf, von dem man 
nicht prophezeien kann, ob er eine wirklich arbeits 
fähige Regierung von Bestand und klarem ent 
schiedenen Willen in: Gefolge haben wird. Don 
der Parteienkrise sind mir über die R e gie 
rn n g s k r i s e zur S t a a t s k r i s e gelangt, und 
wie das kam, das wurde verschiedentlich an dieser 
Stelle dargelegt. Bezeichnend für die Verworren 
heit der politischen Lage ist ein gestern im Reichs 
tag umgegangenes Gerücht, der Reichspräsident 
beabsichtige nach Verleugnung der von ihm sig 
nierten Notverordnungen durchdie Reichstagsmehr 
heit sein Amt niederzulegen. Man darf aber wohl 
Hindenburg, der übrigens inzwischen seine Rhein 
landreise angetreten hat, für zu staatsmännisch 
besonnen halten, als daß ihm zuzutrauen wäre, 
durch explosive Ressentiments die Verwirrung so 
wie die Gefahren jetzt und in der nächsten Zu 
kunft noch zu steigern. 
Nach gewohntem Bild will von den Par 
teien keine es gewesen sein, die an all den krassen 
Mißständen schuld ist, die schließlich zu den gegen 
wärtigen chaotischen Verhältnissen führen mußten. 
Das zeigt sich sowohl in den in der gestrigen Schluß 
sitzung des Reichstages gehaltenen Reden als auch 
in den Parteiaufrufen, die zugleich mit 
einem Ameisenbetrieb der Parteiorganisationen 
prompt eingesetzt haben. Wenn die Tumultszenin 
am Ende des gestrigen Reichstages sowie das Intakt 
setzen des Gummiknüppels gegen eine Menge vor 
dem Reichstagsgebäude von Vorbedeutung sein soll 
ten für das, was wir im Wahlkampf zu erleben 
haben, so wäre das sehr schlimm. Troß allen trüben 
Zeichen jedoch und einem geradezu lähmenden Pessi 
mismus soll es nicht an der so oft schon ausgespro 
chenen Mahnung fehlen, eine Auseinandersetzung der 
Gemüter und der Geister nicht als eine Angelegen 
heit der Muskelkraft und als eine Gelegenheit zum 
blindwütigen Dreinschlagen zu erachten. Unbeküm 
mert um Künste der Anreißerei und der Demagogie, 
woher sie auch kommen mögen, werden sich die ehr 
lich, gewissenhaft und politisch mitverantwortlich 
Fühlenden — führende Einzelpersönlichkeiten und 
Bürger — im Wahlkampf zusammenfinden müssen. 
Wie die Aufmarschlinien im einzelnen verlaufen 
werden, wird sich wohl bald herausstellen. 
Am Anfang oder am Ende einer 
neuen deutschen Sendung? 
Gedanken zur Lettgeschichte 
4-D Deutschland steht im Zeichen des Artikels 48 
und der Neuwahlen zum Reichstage. Die Ausein 
andersetzungen zwischen der Staatsbürokra- 
ti e und dem Jnteressenparlament ha 
ben ihren Höhepunkt erreicht. Ob die Krise sich 
zu einer Staatskrise auswachsen wird, steht 
dahin. 
Erstere hat sich auf den Artikel 48, letzteres 
auf das „Volk" zurückgezogen. Erstere wendet 
den Artikel 48 an, um dem Volks neue 
Steuern aufzuerlegen. Wir müssen Geld, viel 
Geld haben, war der einzige große Schrei, der aus 
einer diesbezüglichen amtlichen Mitteilung, in der 
Donnerstagnummer dieses Blattes veröffentlicht, 
vernehmlich wurde. Höchste Pflicht sei es, um der 
Wirtschaft willen (!) die Staatsfinanzen 
in Ordnung zu bringen, den Gemeinden zu er 
möglichen, die Versorgung der infolge jahrelanger 
parlamentarischer Mißwirtschaft aus dem Arbeits 
prozeß Ausgeschiedenen zu sichern. Selten war 
eine Kundgebung in so ernster Lage arm an 
wirklichen volklichen und nationa 
len Zielweisungen gegenüber dem immer 
mehr drohenden Zusammenbruch einer luxuriösen 
und übersteigerten Staatsorganisation mit ihren 
„Ressortansprüchen". Die Staatsbürokratie klei 
det dabei das: „Après nous le deluge" (nach uns 
die Sündflut) in die verführerische fata morgana 
einer Ausgabensenkung im nächsten 
Etatsjahrs, die aber weder für Staat noch Ge 
meinden kommen wird oder kann, weil die sinken 
de liberalistisch-kapitalistische Weltwirtschaft uns 
trotz einer wahrscheinlichen Rekordernte in den Rie 
senerzeugungsgebieten im nächsten Jahrs noch 
größere hungernde Arbeitslosenheere geben wird 
als je zuvor. Dann wird aber das letzte, 
heute vielleicht noch anwendbare Mittel versagen 
müssen, nämlich Milliarden der sozialen Fürsorge 
für produktive Arbeit — in Anwendung 
der Arbeitsdienstpflicht, wenn es nicht anders sein 
kann, — auszugeben. Somit stünde die Staats- 
ĢmWe um bm preußischen tmbing. 
Zu den Gerüchten von einer Auflösung 
des Preußischen Landtages erklärt das Nach 
richtenbüro des Vereins deutscher Zeitungs 
verleger, daß nicht an eine Auflösung des 
Landtags gedacht werde. Die staatspolitische 
Lage in Preußen gebe keine Veranlassung zu 
einer Auflösung. Der Landtag werde vielmehr 
am 8. Oktober seine regelmäßigen Arbeiten 
wieder aufnehmen. 
Nach der preußischen Verfassung kämen 
für die Auflösung des Landtages drei Wege 
in Frage: Der Landtag kann aufgelöst werden 
Fortsetzung siehe nächste Seite,
	        
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