Sir. 165
Zur Unterhaltung
Beilage der Schleswļg-Holsteļnkschen Landeszeitung (Nendsburger Tageblatt
Donnerstag, den 17. JM'
Äom§LMciL
M öm MgMNerZZ.
Vor einigen Tagen erschien auf der Redak
tion einer Warschauer Zeitung ein Herr, der
erklärte, soeben aus Madrid eingetroffen zu
sein, und sich als Don Mateo Quiecho, Zigeu
nerkönig von Spanien, vorstellte. Er war be
gleitet von einem zahlreichen Gefolge, unter
dem sich ein Adjutant, ein hochgewachsener,
langbärtiger Mann, befand. „Dynastische"
Gründe hatten Don Mateo nach Warschau ge
führt, wo er als Schiedsrichter im Streit um
die Zigeunerkrone Polens aufzutreten hatte.
Dort war nämlich zwischen zwei Rivalen, Basil
aus Marimonta und Michael II. aus Piast,
um die Würde eines Zigeunerkönigs von Po
len ein so heftiger Streit ausgebrochen, daß es
sogar zu bewaffneten Zusammenstößen zwi
schen den Untertanen der beiden Thronanwär
ter gekommen war. Vor allem in Klein-Polen,
in Galizien, wo die Zigeuner ihre Hauptsitze
haben, hatte es regelrechte Kämpfe mit Messer
und Dolch gegeben. Als sich, die Lage bis zum
Aeußersten zugespitzt hatte, faßten einige be
sonnene Führer einen Entschluß und telegra
phierten an den Zigeunerkönig in Spanien
Don Mateo. Dieser ließ nicht lange auf sich
warten, er setzte sich in den Expreßzug, um den
Königsstreit im selben Tempo zu schlichten.
Doch das ging nicht so schnell, wie er es sich ge
dacht hatte. Zunächst fanden in einer dunklen
Kneipe in einer Vorstadt von Warschau Vor
verhandlungen statt. Die beiden Rivalen, Basil
und Michael, leisteten einen feierlichen Eid,
sich ohne Widerspruch dem Urteil ihres ober
sten Führers zu fügen. Dieser große Einfluß
Don Mateos ist ans die Tatsache zurückzusüh-
- ren, daß die Dynastie der Quiechos als oberste
Instanz aller in Europa lebenden Zigeuner
gilt und bei allen Zigeunern, von der Pußta
bis zu den steinigen Felsen Portugals, unein
geschränkte Autorität genießt.
Die in der Warschauer Vorstadtkneipe ab
gehaltenen Besprechungen drohten schon einen
stürmischen Verlauf zu nehmen,' doch der
Schiedsrichter aus Madrid hatte in weiser Vor
sorge für den kritischen Augenblick ein der
Lage angemessenes Quantum Schnaps bestellt,
das seine Wirkung nicht verfehlte. Zwischen
Basil und Michael wurde tatsächlich ein Vor-
friede geschlossen. Beide waren darüber so er
freut, baß sie ihrem Schiedsrichter die Würde
eines „Zigeunerbarons von ganz Polen" ver
liehen. Don Mateo scheint diese Ehrung ausge
zeichnet gefallen zu haben,' jedenfalls begab er
sich von der Kneipe eiligst in die nächste Druk-
kerei und ließ sich Visitenkarten anfertigen, auf
denen zu lesen stand: „Mateo, Baron aller Zi
geuner in ganz Polen". Mit dieser Visitenkarte
ausgerüstet, machte er dann in der polnischen
Hauptstadt Besuche. Seine Mission als Frie
densstifter ist jedoch noch nicht beendet. Am 29.
Juli findet in Lodz unter seinem Vorsitz ein
„Gerichtstag" statt. Don Mateo erläßt jetzt in
der polnischen Presse an die achthundert Zigcu-
nerführer ein Manifest, das die Aufforderung
enthält, an dieser Zusammenkunft teilzuneh
men. Jedem, der fern bleibt, wird strenge
Strafe angedroht.
DroMgr GZfchichLsK.
Das unachtsame Gras.
In einer Weilheimer Zeitung war kürzlich
folgende Warnung veröffentlicht: „Wegen grober
Unachtsamkeit des Grasbestandes und Schädigung
der Waldpflanzen ist das Betreten der Seebichel-
wielse bei Strafe verboten."
Die wahre Liebe
Bei einer Versammlung des Tierschutzvereins
in München äußerte sich ein Diskussionsredner
folgendermaßen: „Ich bin immer ein großer Tier
freund gewesen. Wie ich noch ledig war, habe
ich einen Hund gehabt. Wie ich verheiratet war,
habe ich mir auch einen Hund gehalten und die
wahre Liebe und die wahre Treue habe ich nur
bei meinem Hund gefunden."
Bedenklicher Zustand.
Ein Mann aus der Umgebung von Siegburg
hatte einen Motorradunfall erlitten. Ein Be
kannter, der sich bei dessen Bruder nach dem Ver
unglückten erkundigte, erhielt von ihm die betrübte
Antwort: „O mei, es werd gar nimma lang dau
ern, er ko fcho nimma denka." Auf die Frage
wieso, zeigte der um seinen Bruder so besorgte
Mann ein Telegramm vor mit dem Inhalt: „Zu
stand unbedenklich."
Ich hab' mein' Schuh in Heidelberg verloren.
Kürzlich kamen eine junge Dame und ein
junger Herr nach Heidelberg. Da das Wetter
warm war, lagerten sie sich auf dem Heiligenberg
im Grafe und sind dabei eingeschlummert. Ein
Spaßvogel benützte den festen Schlaf der beiden
dazu, dem Pärchen je einen Schuh zu stehlen. Als
die Schläfer erwachten, bemerkten sie zu ihrem
Schrecken das Fehlen der Schuhe und es blieb
ihnen nicht anderes übrig, als mit je einem Schuh
bekleidet den Philosophenweg hinunter zur Stadt
zu wandern. Ob sie sich in der Stadt neue Schuhe
gekauft haben àr ob sie nur mit einem Schuh
die Heimreise angetreten haben, ist nicht bekannt.
Ein Schönheitsfehler.
In eine Jmpfungsanstalt in München kommt
eine Mutter mit ihrem Kind zur Impfung. Der
Arzt will gerade mit der Operation beginnen,
da hält ihn die Mutter noch schnell zurück mit
den Worten: „Ach, könnten S' mein Kind net
am Fuß impfen? Wiffen S', wenns später ein
mal ärmellose Kleider tragen soll, nachha sieht's
net schön aus, wenns die Blattern am Arm hat."
Neue Kleidung.
Eine Stuttgarter Zeitung bringt einen Be
richt über ein Turnfest des „Albvereins", der
folgenden Satz enthält: „In Gedichtform gekleidet
übergab dann Fräulein L. den Turmschlüssel dem
Albvereinsvorsitzenden, der in bewegten Worten
dankte."
So einfach ist das nicht!
Ein Bürger eines Ortes bei Regensburg hatte
sich einen schönen Regulator gekauft. Zu seinem
Schrecken mußte er eines Biorgens die Feststellung
machen, daß das Perpendikel der Uhr stillstand.
Vergebens versuchte er nun, dem Perpendikel wie
der auf die Beine zu helfen und entschloß sich
schließlich, -en Uhrmacher, bei dem er den Regu
lator gekauft hatte, brieflich um Rat zu fragen.
Postwendend erhielt er nun von diesem die Nach
richt, er nröge die Uhr gut verpacken und ihm
zuschicken. Wie staunte aber der Uhrmacher, als
er einige Tage später eine Kiste erhielt und nach
Oefsnen das Perpendikel allein vorfand. Auf die
Rückfrage, warum er denn nicht die ganze Uhr be
kommen habe, erhielt er von dem guten Manne
die Antwort: „Es fehlt ja nur am Perpendikel,
weil er nicht mehr hin und her geht. Es ist doch
deshalb unnötig, die Uhr auch mitzuschicken."
Ein gefährlicher Ort.
Zn einem Bericht über die Amtsversammlung
in Ehingen lesen wir folgenden Satz: „3. Tuber-
kulosensürsorge. Eine Hauptaufgabe der Tuber
kulosenfürsorgestelle ist, die im Bezirk lebenden
Kranken mit offener Tuberkulose zu ermitteln
und nach Möglichkeit unschädlich zu machen."
Was ist der Mensch?
Diese Frage Hai jüngst ein Münchener Amts
richter in einer Verhandlung klipp und klar ge
löst. Er sagte nämlich wortwörtlich zu dem wegen
Uebertretung des Kraftfahrzeuggesetzes Angeklag
ten: „Sie als Autofahrer müssen doch nicht glau
ben, daß Sie gewisie Vorrechte gegenüber anderen
Fahrzeugbesitzern haben. Wenn ich Autobesitzer
bin, so sage ich mir eben: Ich bin ein Fahrzeug
wie jeder andere!" , 7..;^
Das unbekannte Gewürz.
In einem kleinen Geschäft in München wollte
ein Herr Majoran kaufen. Der Lehrling, der be
diente, sah den Kunden ganz verdutzt an und rief
dann in den Nebenraum hinein: „Meister, was
ist denn Majoran?" Im tiefsten Baß kam die
Antwort zurück: „Rindvieh! Wanast 21 Icvyr
alt bist, dann bist majoran!"
Sport und Alkohol.
Eine große süddeutsche Zeitung bringt anlast»,
lich eines großen Fußballkampfes in ihrer Be»i
richtersiattung folgenden Schlußsatz: „Daß das-
Spiel so hoch gewonnen werden konnte, ist aus--
sMeßlich auf das Konto der ausgezeichneten!
„Säufer"reihs zu bringen."
Iran Lâchà ««- Lachen.
Der kleine Gert ist mit den Eltern in einey
primitiven Sommerfrische.
„Run, Gert", fragt die Pensionsmutter, „wir!
du nächsten Sommer wieder Herkommen?"
„Rö, bis dahin sind unsers Möbel schon alle?
abgezahlt, dann reisen wir nach Tirol."
V Gemütliches Hotel.
Fremder: „Donnerwetter, warum haben
mich nicht geweckt, ich wollte Loch mit dem Fr
zug wieder wegfahren!"
Hausknecht: „Weil S' halt unser einziger Gas
sind, und da wollten wir Sie noch a bissel
behalten."
*
Sonderbare Rechnung.
Auf einer Gesellschaft sagte eine Dame, dis
schon 46 Lenze auf dem Rücken hatte: „Ich bin,
26 Jahre," „Und ich bin 20", sagte eine
andere, die 40 war. Dann wandte sie sich zu ihrer
Nachbarin, einem jungen Mädchen: „Wie alt find
Sie bitte?" — — „Wenn ich so rechnen wollte^
wie Sie", lautete die Antwort, „dann bin ich über«
Haupt noch gar nicht geboren."
*
„Kommen Sie mal her, Trina, und sehen Sie
sich den fingerdicken Staub an, der da auf dem
Büfett liegt. Der ist mindestens sechs Wochen
alt!"
„Ra, also, was wollen gnä' Frau denn? Ich
bin ja erst vier Wochen hier!"
*
Ein kleiner Unterschied.
„Haben Sie Ihre Frau wegen ihrer reizende»
Grübchen geheiratet?" — „Rein, wegen der Gru,
ben vom Herrn Papa." , V ;
7 Lottchey ist eingeladen, und es gibt Schoko
lade zu trinken. Als ihr die Tante die zweite
Taffe anbietet, wehrt sie: „Rein, danke, Mutti
h>at gesagt, zweimal dürfte ich nicht, aber ich
glaube, sie weiß gar nicht, wie klein eure Tassen
sind."
Ierlpàiwss.
Don Knud Andersen.
Um meine Geschmacklosigkeit zu betonen,
ich dieses; denn ich finde eigentlich, ein
Dichter müßte sich und seine Werkstatt hinter sei
nem Werk verstecken. Anderseits will ich nicht,
wenn ich darum gebeten werde, dem Leser den
Anblick eines Menschen vorenthalten, der sich aus
unerklärlichen Gründen berufen fühlt, feine Auf
fassung von der großen und gefährlichen Gabe, die
wir das Leben nennen, zu zeigen.
Denke ich an dis Werkstätten, in denen ich,
Nachdem ich das Seemannsleben hatte aufgeben
müssen, zuerst versuchte, schriftlich einige der Ge
danken auszudrücken, die in meinem Sinn schwell
ten, so sehe sch nur graue Umgebungen, die mir
fremd waren, denn ich kannte ja nur das Meer
und träumte nur vom ihm; aber der Traum von
dem, was ich verloren, machte das Verlorene le
bendig, so daß ich die Zähne knirschte gegen das
Schicksali wenn ich in den verlassenen Lukafs in
Dock befindlicher Schiffe meine erste Geschichte
schrieb, während die Böen in der Takelage die
Melodien dazu brummten, oder wenn ich in einem
großen, ungemütlichen Kontor, das nach Gefängnis
loch, „Das Meer" schrieb, während die Geistes
armut in allen Winkeln hockte, oder wenn ich den
Bleistift durch die Kapitel rasen ließ in schaukeln
den Eisenbahnwagen oder spartanischen Seemanns
heimen, in denen die reinen Laken der Betten und
dis Bibelsprüche an der Wand Kunde davon gaben,
daß hier eine Herberge für Menschen war, die sich
auf der Reise befanden.
Alles gegen den Strom, meist während der
Kontorarbeit im Zusammensein mit Menschen, die
nur Spott hatten für einen, der vom Meere kam
sind sich berufen fühlte, auf das rätselvolle Flü
stern des Meeres zu lauschen und nach bescheidenen
Kräften sein Dolmetscher zu sein.
Die ersten zehn Jahre schritt ich oft dem Ab
grund zu, in dem Verzweiflung und Hoffnungs-
ļosigkeit hausen und der Wahnsinn lacht. Denn
Verleger und Zeitungen lehnten alles ab, und
dreino Angehörigen hielten mich für verrückt. Sie
hatten recht . Ich war nur nicht verrückt genug.
~~ Aber da war ein junges Weib, das mich nicht
Vorstand. Das ist unvergeßlich. Sie hielt aus,
sibwohl ihr Körper nicht stark war. Unvergeßlich.
Şir stehen noch heute einander bei. Außerdem
war ich nicht einsam; denn einsam ist nur der, in
dessen Seele sich nichts regt. — In diesen Jahren
lernte ich auch den Hunger kennen, vor allem aber
den Hunger der Seele, sich selber zu verstehen.
Ich schreibe nur unter Inspiration, weil so
viel geschrieben wird, und weil meine bürgerliche
Arbeit für Haus und Heim zwölf von den Stun
den des Tages beansprucht; aber ich verlasse mich
darauf, daß die Inspiration, wenn sie etwas wert
ist, es vertragen muß, beiseitegeschoben zu werden
und der Rücksichtslosigkeit standhält, die die gei
stesarme Arbeit der Tage fordert. Kehrt sie trotz
allem wieder und wieder zurück, so kommt der Zeit
punkt, da ich sie an mein Herz drücken und will
kommen heißen kann wie einen geduldigen, und küh
nen Kameraden, dessen Freundschaft mich beglückt.
Dann machen wir uns frei in der Nachtzeit, die
uns gehört. Wieder donnert das Meer gegen die
harte und zerklüftete Küste von Kap Horn oder
wiegt sich unter dem Aequator in träumenden, ster-
nenspiegeln>den Dünungen, wieder erwacht das Le
ben in den Lukafs der Langfahrer und die Barsch
heit und Sehnsucht in den Söhnen »des Meeres, mei
nen Brüdern, und wieder wird der Traum von der
Heimat und langer Trennung, von Glück und Ent
täuschung lebendig.
Als ich „Brandung" schrieb, habe ich oft 66
Stunden ununterbrochen gearbeitet, ohne ordentlich
zu essen und nur angeregt von Kaffee und Tabak
und kalten Bädern, um das Verlangen nach Schlaf
in Schach zu halten. Andere Stimulans brauche ich
nicht, obwohl die Versuchung dazu groß ist. Diese
Anstrengung, diese glückliche Anstrengung kostete
mich eine einjährige Quarantäne, während der ich
keine Zeile schreiben konnte.
In der Literatur stehe ich einsam da. Hinder
nisse und Verzweiflung plünderten mich aus, bis ich
nur das Innerste meiner Seele besaß. Das wollte
nicht sterben, und das rettete mich. Aber ich wurde
heimatlos tn literarischen Kreisen, und noch heute
macht ein Wort wie Literatur mich wild. Ich lebe
mein eigenes Leben, habe seit Jahren kein Theater
stück gesehen und keine Oper gehört, noch jemals ein
Ballet gesehen, obwohl ich das gern tun würde, und
ich habe auch zum Lesen nur sehr wenig Zeit ge
habt; aber in den Bezirken meiner Phantasie lebt
eine wunderliche Schar von Menschen, die ich liebe
— hohe wie niedere, Männer, Frauen un!d Kinder
—, und sie vertrauen mir alles an, was sie wissen,
Gutes und Böses — und als die Töne, von denen ich
träume, höre ich, weil das Meer meinem Blut einen
schimmernden Tropfen Salzwasser geschenkt hat. Das
war seine Gabe.
Mein Stil. Ich kenne nur wenige und einfache
Worte, und wenn an ihnen etwas ist, so liegt das
wohl daran, daß sie in ihrer Schlichtheit übervoll
von Glück darüber sind, ein weniges von der selt
samen Welt fassen zu können, für das die großen
und schönen Worte leichter Platz haben. — Gegen
überflüssige Ausdrücke kämpfe ich in dem Wunsch,
daß die einfachsten Worte meiner Personen die
Essenz ihres Wesens geben sollen. Ein anderer mei
ner Wünsche ist, mich so menschlich und mit solcher
Kraft und Tiefe und Innigkeit auszudrücken, daß die
Obersten des Landes sowohl als auch die arme Frau,
die sich aus Liebe zu ihren Kindern aufreibt, der
Gelehrte sowohl als auch der Mensch, der nur jedes
zweite Wort von dem versteht, .was er lieft, eine
Spur von Freude, Kraft und Liebe während des Le
sens spüren und eine Ahnung bekommen, daß es
sich lohnt, auszuhalten. Das ist der Wunsch eines
wahnsinnigen Mannes, aber er ist schon mehr als
einmal erfüllt worden. Das ist eine große Freude
— aber es ist nicht das Glück. ^
Ich liebe keine konstruierte, oberflächliche Hand
lung in Büchern, weil ich weiß, daß der Sprengstoff
der Seele tief in uns unsere wesentlichsten Gedanken
und Handlungen bestimmt, und ich glaube, daß das
Tiefstgedachte das Allgemeinmenschliche ist. Wenn
es entschleiert wird, tritt die Persönlichkeit erst le
bendig hervor, so daß Papier und Druckerschwärze
vergessen werden im Anblick von Bildern, in denen
der Leser Zug um Zug sich selber wiedererkennt.
Jedes neue Werk — auch das kleinste — beginne
ich, als wäre es mein erstes, und arbeite daran, als
sollte es mein letztes werden.
Das Meer. Ein besonderes Verwandtschafts-
verhAtnis habe ich zum Meer. Es ist mir ein
Freund, dessen Seele alles Menschliche umfaßt —
alles Wahre. Ich glaube, daß es mich liebt, und ich
kann es nur wiederlieben. Als ich von der Fort
setzung meines Berufes auf See ausgeschlossen
wurde, vergingen zwölf Jahre, bis ich das Meer
wiedersah. An diesem Tage weinte ich vor Glück,
und es schien mir wert, zu sterben.
In meinem Verhältnis zu Menschen lehne ich
den Begriff Abstammung und soziale Stellung ab
und erkenne nur das an, was sich durch Geist äußert.
Damit meine ich nicht Intelligenz, sondern den Geist,
der das „Wesen der Liebe" ausdrückt und überall da
zu finden ist, wo Menschen sind. Er ist nach meiner
Meinung, mit einem biblischen Ausdruck „das Salz
der Erde", und ich freue mich, so oft ich ihm be>gegne.
Denn wenn es Verdammnis und Seligkeit gibt,
glaube ich, daß es der Weg zur Seligkeit ist.
Im übrigen meine ich, daß wir Menschen alz
Einzelwesen nicht ganz unmöglich sind; aber 'il
Scharen sind wir fürchterlich. Eine grausame De,
mütigung erlitten wir, als wir bei der Aufführung
des Turmbaues zu Babel nach Sprachen eingeteilt
wurden und später Nationen wurden. Eine genial«!
Art, unseren Versuch zu bestrafen, das Höchste durch!
anderes als unseren Geist zu erreichen.
Ich beneide den nicht, der Erfolg hat; denn Er^
folg kann ein gefährlicher Angriff auf die Seele!
sein. Widerstände aber eine Gabe, die fast -das Lebe»
selber wert ist. Ich glaube, daß die härtesten Zeiten!
für das Wachstum des Geistes oft die Leichtesten sinit
— In den härtesten Zeiten habe ich dos Beste ge->l
schrieben, was ich vermochte (es war nicht gut genügt
—- und so wird es, glaube ich, immer bleiben. Des,
halb wünsche ich mir keine angenehmen und beqne»
men LebensverhWnisse, denn ich fürchte, daß nie ins
Seele sie nicht überleben könnte. In dieser Der-
bindnng will ich meine Ansicht von Armut und!
Reichtum erklären. Nur wer keine Liebe hat, ist
arm, und nur wer alles entbehren kann, ist reich.
Aber ich bin floh über glückliche Tage in den«
Heim, das ich mein nennen kann, wenn Scherz und
Fest und Kinderlachen und Töne und frohe Gesich
ter den Ernst, meinen Bruder, überstrahlen — und
zeigt er von neuem seine strengen Züge, so grüße 'ch
ihn vertraut. Denn ich liebe diesen Wechsel. Er ist
der gesegnete und verfluchte Rhythmus des Daseins
und spendet Wachstum.
Dieses sind unvollkommene Andeutungen der
Verhältnisse, unter denen meine Dichtung entsteht
Sie sind nicht ungewöhnlich, sind schlecht geschildert
und ich bin darauf gefaßt, gründlich mißverstanden
zu werden; ober auch Mißverständnis ist eine deck
Gaben des Lebens, die, wenn sie nicht bitter macht
ein größerer Reichtum fein kann als Verständnis.
Damit mag es genug sein. Es ist nicht viet
Die meisten Kämpfenden kennen etwas Aehnliches
aus dem Alltagsleben; aber ich bin auch nur ein
Mann, der unterwegs ist. Aeußerlich erlebe ich nichts
Großes, ober meine Seele hat ein Geheimnis, das
einen anspruchsvolleren Menschen unsaßlich reich
machen würde.
Von Knud Andersen, dem Verfasser dieser rei,
zenden Skizze erschienen im Verlage Westermann,
Braunschweig, die bekannten Romane: „Das Meer",
„Brandung" und „Perlmutter".