Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 3)

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Zur Unterhaltung 
Beklage der Schleswig-Holsteknkschsn LandeszekLung (Nendsburger Tageblatt) 
Mittwoch, den 16. Iulk 
Henry Ford /SchMiMĶchşş Sss FsrtlchMtZ. 
Wir machen beständig die Entdeckung, daß 
es im Universum Dinge gibt, von denen wir 
Sterbliche zuvor nichts wußten. Manche Or 
ganismen kann das bloße Auge nicht wahrneh 
men,- andere vermögen wir mit Hilfe des Mi 
kroskops oder des Teleskops zu entdecken. Was 
wir Tod nennen, wird für uns noch lange nicht 
das Ende bedeuten. 
Junge Leute meinen, es gäbe keine Gele 
genheiten mehr. Nun, die Gelegenheiten in der 
Welt müssen nur wahrgenommen werden. Je 
de Generation hinterläßt als Vermächtnis 
mehr Gelegenheiten, als sie selbst einst gefun 
den hat. Verglichen mit heute, gab es deren 
vor fünfzig Jahr-n erstaunlich wenig. Miau 
denke nur an das Flugzeug, an die Elektrizi 
tät, an das Auto, das Radio, an Handel und 
Wandel von heute an alles, was mit der Ge 
staltung des modernen Lebens verbunden ist. 
Der beste Stahl hat heute eine Tragkraft von 
2000 Pfund,- nach und nach wird er so wider 
standsfähig gemacht werden, daß er zehn mal 
so viel trägt. Der Schlüssel zum Geheimnis der 
Luftschiffahrt (schwerer als die Luft) ist stär 
kere Antriebskraft bei geringem Gewicht. Wie 
Edison sagt: „Wir wissen bis jetzt nur ein Mil 
lionstel von dem, was wir wissen müssen." In 
Wirklichkeit harrt jedes Gebiet menschlichen 
Wissens und menschlicher Erkenntnis noch un 
gezählter Forschungen. Gelegenheit von allen 
Seiten winkt der Jugend, die ernsten Willens 
ist. 
Wir Aelteren können von unsern Kindern 
unendlich mehr lernen, als wir glauben. Ich 
denke nicht, daß wir großen Einfluß auf sie 
haben, aber sie üben einen großen Einfluß aus 
uns aus. Eltern, die nicht jede Gelegenheit 
wahrnehmen, um mit ihren Kindern zusam 
men zu sein, wissen nicht, was sie dadurch ver 
lieren. Man nehme es nur vom Standpunkt 
ihrer eigenen Erziehung, und sie wissen nicht, 
was sie vermissen. Jeder, der seine Zeit mit 
seinen Kindern verbringt, ist entschieden besser 
daran. Und glücklich ist der Erwachsene, den 
Kinder lieben. Eltern, die sich einbilden, „sie 
hätten „zu viel zu tun, um Zeit für ihre Kin 
der zu finden, sind mehr als sonderbare Men 
schen, sie jagen Luftschlössern nach und ver 
missen die Wirklichkeit. Leute, die keine Zeit 
haben, denken nicht. Je mehr Du denkst, um so 
Mehr Zeit hast du. Je lebhafter Du bist, um so 
eifriger zeigst Du Dich interessiert für alles, 
was du tust, und um so weniger vermißt du 
den Schlaf. 
Man fragte mich unlängst, ob nicht in 
meinen bisher erzielten Fortschritten ein Still 
stand eingetreten sei. Nun, ich bin niemals 
„rückständig" gewesen. In Wahrheit habe ich 
allzeit versucht, den Fortschritt selbst noch zu 
übertrumpfen, wie es jeder zu tun versucht, der 
mit der Zeit geht. Um etwas zu vollenden, muß 
man zuerst die Fähigkeit der Vollendung in 
sich fühlen. Ein Problem bewältigen, Herr 
über die Zeit sein, über seine Sinne und sich 
selbst, und alles wird gut gehen. 
Viele Leute in den Vereinigten Staaten 
haben es verstanden, sich lediglich durch Aktien- 
speknlationen große Summen zu erwerben. 
Das allein, fürchte ich, ist das Motiv gewesen, 
das zur Konzern- oder Trustbildung geführt 
hat. Diesen Vorgang konnte man so oft in der 
letzten Zeit in Amerika beobachten. Aber may 
vergißt dabei, daß derartige Verschmelzungen 
von Industrieunternehmen nicht der Blühe 
wert sind, wenn nicht gleichzeitig die Kosten 
des Verbrauchers verringert werden. Es ge 
hört zu den problematischen Charaktereigen 
schaften des Menschen, daß er, wenn er auf 
irgend einem Arbeitsgebiet viel „Geld ge 
macht" hat, sich neue Gebiete zu erobern 
wünscht, mit denen er nicht vertraut ist. Seine 
neue Betätigung mag grundverschieden von 
der früheren sein, es mögen*Bankgeschästc, es 
mag der Sport sein. Die Anhäufung großer 
Reichtümer scheint die Menschen unruhig, 
schwankend und verwirrt zu machen, sie sind 
nicht mehr damit zufrieden, lediglich ihren 
alten Beruf auszufüllen, der ihre Arbeit zur 
Genüge belohnte. 
Die „Generation der Alten" sollte niemals 
Verzicht leisten. Die Welt braucht ihre reichen 
Erfahrungen. Ich ziehe es vor, eine erhebliche 
Zahl meiner Angestellten durch die „Alten" 
vertreten zu lassen. Männer im Alter von 35 
bis 60 Jahren, und auf manchen Gebieten so 
gar noch ältere, sind uns erwünscht. Sic er 
weisen sich nicht nur zuverlässiger als der 
Durchschnitt der jungen Leute, sondern auch 
fähig und berufen, Jüngeren ein gutes Bei 
spiel zu geben und ihnen ihre Erfahrungen 
mitzuteilen. Die meisten Menschen werden 
darin übereinstimmen, daß wir aus der Welt 
um der Erfahrung willen da sind. Aber was 
die meisten nicht erkennen, ist die sittliche Not- 
wcndigkeit, daß man seinen Mitmenschen hel 
fen muß, Nutzen bringende Erfahrungen zu 
sammeln. 
Was z. B. Rußland dringend benötigt, 
sind Autos, Lastwagen und neue Straßen. Der 
Traktor ist das Mittel, den Bodenreichtum zu 
heben. Stehen Rußland genügend Kraftwagen 
zur Verfügung, so wird es sich mit Eifer an 
den Bau neuer Verkehrsftraßen machen, und 
das würde das gesamte Transportwesen revo 
lutionieren. 
Wir hoffen, daß unser neues Unterneh 
men in Südamerika, der Anbau von Kautschuk 
pflanzungen, einen neuen und weiteren Auf 
schwung dieses Erdteils zur Folge haben wird. 
In Brasilien, parallel zum Tapajosstrom, be 
arbeiten wir zur Zeit eine Million Morgen 
Land, um es für die Gummipflanzungen zu 
kultivieren. So dürfen wir in jene entlegenen 
Gebiete Südamerikas den Fortschritt der mo 
dernen Zivilisation bringen. Auch Aerzte, 
Krankenpflegerinnen, Lehrer und Wissenschaft 
ler werden wir nach Sen Pflanzungen entsen 
den. Moderne Gebäude werden entstehen. Mit 
neuzeitlichem Gesundheitswesen wollen wir 
öic dortige Bevölkerung vertraut machen. Sie 
wird das Transportwesen kennen lernen. Wir 
werden in Kürze amerikanisches Leben von 
heute nach Brasilien verpflanzen und die Be 
völkerung amerikanische Methoden lehren. 
Und wie es sich von selbst verstehen dürfte: 
wir werden Millionen von Löhnen ausgeben, 
die der Bevölkerung wiederum eine neue Kaus- 
krast verschaffen werden. 
Das ist jene Art des Werkschaffens, das 
ich der Mühe wert halte. Man hat gerade erst 
begonnen, die Elektrizität in den Dienst der 
Menschheit zu stellen. Wir befinden uns erst 
im Anfangsstaöium auf dem Gebiete der elek 
trischen Kraft. Die Elektrizität kann das Leben 
des Volkes revolutionieren. Sie kann die Last 
von den Schultern der Arbeiter nehmen. Sie 
kann der Hausfrau den großen Teil ihrer Ar 
beit abnehmen. Und man hat eben erst begon 
nen, die Landwirtschaft zu elektrisieren. Dort 
liegen vielleicht die größten Entwicklungsmög- 
lichkeiten der Elektrizität. Eisenbahnen sind 
ein Beispiel für eine Industrie, die sich über 
lebt hat. Die Eisenbahnindustrie hat es nicht 
verstanden, genügend Vorsorge zu treffen. Es 
wird die Zeit kommen, da nur noch schweres 
Rohmaterial mit der Eisenbahn transportiert 
wird oder auch Material, das nicht leicht be 
schädigt werden kann. Ohne Frage werden 
elektrische Betriebsanlagen die Kraft ersetzen, 
mit der bisher die Eisenbahn getrieben wurde: 
den Dampf. Eebnso werden wir im Laufe der 
Zeit gewaltige Luftschiffe erhalten, die sowohl 
zahlreiche Passagiere als auch wertvolle Frach 
ten befördern können. 
Witz AZIK Wàhâ 
ŞkimLS. 
Von Dr. Abulhasan Mansnr. 
Das taubstumme und blinde Mädchen. 
Einst saß ein Mann am User eines Flusses 
und spielte, den Stock in der Hand, mit dem ruhi 
gen Wasser, das hoheitsvoll an ihm vorbeifloß. 
Der Tag war heiß, und die Nähe des kühlen 
Wassers tat wohl. Da sah er einen Apfel, der 
sich ihm schwimmend näherte. Er fischte ihn her 
aus und aß ihn. 
Kaum hatte er den Apfel gegessen, als ihm 
einfiel, daß der Apfel ihm eigentlich gar nicht 
gehört, und daß er ein großes Unrecht begangen 
habe, indem er sich das Eigentum eines anderen 
ohne weiteres aneignete. Sein Gewissen quälte 
ihn, er stand auf, ging flußaufwärts, um den Be 
sitzer des Apfels ausfindig zu machen, ihn um 
Verzeihung zu bitten oder ihm den vielfachen 
Preis zu bezahlen. 
Als er an einem prachtvollen Garten vorbei 
kam, sagte er zu sich: Aus diesem Garten muß 
der Apfel stammen. Er ging hinein und erkun 
digte sich nach dem Besitzer. 
„Ich habe einen Apfel aus Deinem Garten 
gegessen und komme jetzt reuevoll zu Dir. Ver 
zeih' mir oder lasse Dir einen vielfachen Preis 
dafür zahlen." 
„Hm", jagte da der reiche Gartenbesitzer. „Die 
Sünde ist eigentlich zu groß, um ohne weiteres 
verziehen zu werden. Aber ich stelle Dir eine Be 
dingung, und wenn Du sie zu erfüllen bereit bist, 
werde ich Dir die Missetat verzeihen. Ich habe 
nämlich eine Tochter, die taub, stumm und blind 
ist, und deshalb habe ich es bisher noch nicht ge 
wagt, -sie zu verheiraten. Wenn Du aber sie zur 
Frau nehmen willst, so hast Du Deine Sünde 
gebüßt!" . . i D, 
Schweren Herzens nahm der junge Mann 
diese Bedingung an, weil er sein Gewissen anders 
nicht beruhigen konnte, nahm die Tochter des Gar 
tenbesitzers zur Frau und fuhr mit ihr nach Haufe. 
Als sich die Braut zuhause entschleierte, ent 
deckte er, daß er anstatt einer häßlichen, verkrüp 
pelten Frau ein bildhübsches Mädchen ins Heim 
geführt hatte. Er wollte nicht glauben, daß sie 
die richtige Tochter des Mannes fei, und glaubte 
an eine Verwechselung. 
Die Frau aber begriff und sagte: „Du 
brauchst Dich gar nicht wundern, ich bin dieselbe 
taubstumme und blinde Frau, von der mein Va 
ter Dir erzählt hat. Ich bin wirklich taub, stumm 
und blind gegen alle Untugenden. Ich bin die 
einzige Erbin meines steinreichen Vaters und das 
schönste Mädchen weit und breit. Mein Vater 
hatte geschworen, mich nur an -einen Mann zu 
verheiraten, dessen Herzensbildung und Moral ihn 
weit über seine Mitmenschen stellten. Du bist der 
Mann gewesen, nach dem er lange gesucht hat." 
Der Arme und der Dieb. 
In einer Nacht trat ein Dieb in das Haus 
eines Armen. 
Der Mann war noch wach, und als er den 
Dieb hin- und hersuchen sah, sagte er: „Mein 
Freund! Was Du bei mir in der Nacht suchst, 
habe ich am Tage vergeblich gesucht!" 
Der Dieb lachte und verließ das Haus. 
Unterschied zwischen einem Spaßmacher und einem 
Esel. 
Der verwöhnte Hofnarr machte seine Witze, 
auch wenn Seine Majestät nicht in der Laune 
war, sie anzuhören. 
Einmal wollte der König Ernst machen, nä 
herte sich dem Narren und sagte: „Sage, Clown! 
Was ist der Unterschied zwischen Dir und einem 
Esel?" 
Der Hofnarr maß die Entfernung zwischen sich 
und dem König mit der Hand und sagte: „Zwei 
Ellen. Majestät!" 
Kalif und Bettler. 
Ein Bettler kam zu dem Torwächter des 
mächtigen Kalifen Moawia und bat um Einlaß. 
„Wen darf ich melden?" fragte der Torhüter. 
„Den Bruder des Kalifen", antwortete der 
Mann. 
Der Torhüter ging in den Palast und meldete 
den Fremden. 
„Laß ihn herein!", sagte Moawia, und als der 
Bettler ihm gegenüberstand, fragte er, wie er da 
zu komme, sich als seinen Bruder auszugeben. 
„Es ist wahr, Moawia! Wir stammen beide von 
Adam und Eva", erwiderte der Bettler. 
„Recht hast Du!", sagte Moawia und schenkte 
ihm eine Kupfermünze. 
„Was? Einen Pfennig willst Du Deinem 
Bruder schenken?", sagte der Bettler empört. 
„Gewiß, Bruder!" erwidert Moawia. „Wenn 
ich jedem meiner Brüder von Adam und Eva 
einen geschenkt hätte, so wäre dieser Pfennig für 
Dich nicht übrig geblieben!" 
Lackschuhe für bis russischen Bauer». 
Es passieren immer wieder in der Sow 
jetrepublik die seltsamsten Dinge, die man nicht 
für möglich halten würde, wenn sich die Sow 
jetblätter nicht selber zum Sprachrohr dieser 
Zustände machten. So waren die Bauern ge 
wisser Distrikte von Moskau aus aufgefordert 
worden, für eine möglichst ergiebige Ernte an 
Zuckerrüben zu sorgen. Schön, sagten die Bau 
ern, aber dann sollen die Sowjetfabrikanten 
uns allerhand Artikel liefern, die wir dringend 
brauchen, besonders Stiefel und Sonnnerkittel. 
Damit war man in Moskau einverstanden, und 
so wurden eine Anzahl Fabriken angewiesen, 
den Sowjetagenten auf dem Lande die ge 
wünschten Artikel zur Verfügung zu stellen, 
um sic dann unter die Bauern, als Entgelt für 
die zu liefernden Zuckerrüben, zu verteilen. 
Groß war aber die Wut und die Enttäu 
schung der Bauern, als die so sehnlichst begehr 
ten Artikel ankamen. Die Fabrikanten hatten 
in der Eile alles zusammengepackt, mas sie 
gern los sein wollten. Für die Bauern, mein 
ten sie wohl, sei auch das unpassendste Zeug 
gut genug. So kamen an einer Stelle dicke 
Winterjacken zum Vorschein, wo man auf dün 
ne Sommerkittel gehofft hatte. Eine andere 
Sendung enthielt Ueberschuhe, mit denen die 
Bauern erst recht nichts anzufangen wußten. 
Den Gipfel aber bildete eine stattliche Reihe 
schöner glänzender Tanzs^snhc, die man jetzt 
nach Schluß der Wintersaison, natürlich gern 
abschob. 
Mit der Zuckerrübenernte wird es unter 
diesen Umständen gehapert haben. Woran aber 
natürlich nur die „störrischen Bauern" schuld 
sind. 
€iss BsftZch ösi GEfwö àà 
Zum 4». Todestag am 16. Juli. 
Von Prof. Dr. Eduard Engel. 
Es ging die Sage, Keller empfange keinen ihm 
Fremden; käme einer, so würde er schon an der 
Schwelle von dem schatzhütcnden Drachen Regula, 
Kellers ebenso unnahbarer Schwester, abgewie 
sen; gelänge es dennoch einem Besucher, vorge 
lassen zu werden, so flöge er bald unsanft wieder 
zur Tür hinaus. Dergleichen hatte auch ich ver 
nommen, als ich im September 1884 in die Schweiz 
reiste; aber ich brannte vor Verlangen, den größ 
ten lebenden deutschen Dichter, den größten euro 
päischen, von Angesicht zu schauen, obwohl ich sonst 
nie aus menschliche Sehenswürdigkeiten ausgewe 
sen war, wenn sie nicht ungesucht meinen Lebens 
weg kreuzten. Eine leise Hoffnung schöpfte ich 
daraus, daß ich ein Jahr zuvor eine eingehende 
Besprechung des „Sinngedichtes" für mein „Ma 
gazin" geschrieben und von Keller ein Kärtchen 
mit einem Dankwort für die Zusendung des Hef 
tes bekommen hatte. Paul Heyse, den Freund 
Kellers, hatte ich um ein Wort der Einführung 
gebeten: er lehnte freundlich ab: Es wäre mir 
schmerzlich, wenn er Sie trotzdem nicht empfinge: 
aber er wird Sie ohne mich empfangen, er ist nicht 
so arg. 
So schrieb ich an Keller aus der Schweiz, daß 
ich es wagen wolle, an dem und dem Tage an 
seine Tür zu klopfen; bat nicht um Antwort, kam 
in Zürich an und stieg beklommen das Trepplein 
zu seiner über der Straße gelegenen Wohnung 
hinauf. Die alte Regula öffnete die Haustür —: 
durchaus kein Drache, wer durfte solche Nachrede 
führen? Ein zartes, feindurchrunzeltes Altmäd 
chengesicht; ernst, aber nicht ungütig; die Stimme 
leise, höflich: „Ich werde zusehn, ob der Herr 
Staatsschreiber (nicht: mein Bruder) noch schläft." 
Sie nahm nreine Karte, kam wieder: „Der Herr 
Staatsschreiber läßt bitten, ein wenig zu war 
ten, er kommt alsbald." 
Ich trat in ein behagliches Zimmer, die „gute 
Stube"; gediegene Möbel, keine modischen. Ich 
setzte mich ans einen rotgepolsterten Stuhl am 
Fenster, blickte ans die Straße, — da trat der Herr 
Staatsschreiber ein. 
Er hatte geschlafen, war frisch, mit 65 Jahren, 
gut gelaunt, reichte mir liebreich die Hand, setzte 
sich aus den Stuhl mir gegenüber, und das Ge 
spräch begann. Es lief so hurtig, daß es mir nicht 
die Ruhe ließ, Kellers Leibliches aufnehmend zu 
betrachten. Ich habe einen starken Gesamteindruck 
erhalten; er weicht von den beiden bekanntesten 
Bildern, dem von Stauffer und dem Lichtbild 
im zweiten Bande meiner Deutschen Literatur 
geschichte ab, namentlich durch die leuchtende Be 
lebung des auf mich gerichteten teilnehmenden 
Blickes. Da er saß, fiel mir die Kürze seiner 
Beine nicht auf; ich sah einen Mann in statt 
licher Mittelgröße mir gegenüber sitzen. 
Wovon haben wir gesprochen? Ich habe lei 
der nichts aufgezeichnet, aber vom häufigen Er 
zählen, z. B. an Paul Heyse, weiß ich noch alles. 
Er begann mit reiner Freude, das grade in Ber 
lin seine „Geschichten zu gefallen schienen"; denn 
von seinem Berliner Aufenthalt sprach er mit 
leuchtenden Augen. Als ich ihm sagte, daß ich 
Franz Dnncker gut gekannt, wurde er fast fröh 
lich, und ich war ihm dadurch wie vertraut. Er 
frug nach dem kleinen Hause hinter der klniversi- 
tät, in dem er gewohnt, ob es noch stehe, und 
strahlte halbjugendlich, als ich ihm berichtete, daß 
das Haus wenig umgebaut aussehe, daß dort ein 
Wirt wundermild kargbegüterto Studenten speise, 
in seiner „Akademischen Vierhalle", daß ich selbst 
im Vorbeigehen dort zuweilen etwas äße. „Wis 
sen Sie, daß ich in jenem Hanse „Romeo und Ju 
lia auf dem Dorfe" geschrieben habe?" Auf mein 
Erstaunen —: „Ja, ich wohnte in einer Stube 
oben, unten war eine Schmiede oder eine Werk 
statt, wo Metall verarbeitet wurde; ich glaube, 
ein Instrumentenmacher arbeitete darin, und von 
dem hatte ich die Bude gemietet. Beim Hämmern 
unter mir habe ich meine Geschichte geschrieben, 
der Lärm hat mich gar nicht gestört, eher beflü 
gelt; ich wußte ja, drunten wird rechtschaffen ge 
arbeitet, also mußte ich Schreiberlein dadrüber 
auch meine Schuldigkeit tun. Ja das war eine 
feine Zeit!" 
lind nun konnte ich ihm der frohen Wahr 
heit gemäß berichten, daß seine Berliner Geschichte 
grads in Berlin dis begeistertsten Bewunderer 
habe, daß er überhaupt der Dichtungsheilige für 
Berlin geworden sei; ich sprach von Erich Schmidt, 
von Brahm. — „Na, Sie dürfen doch auch sich sel 
ber nennen; Ihr Aussatz im „Magazin" (er war 
wohl der erste über das „Sinngedicht" gewesen) 
hat mir sanft getan." — Ob ich mich dabei ge 
freut habe — ? 
Ich wagte die Frage, ob er eine neue Arbeit 
auf dem Amboß habe; unser Gespräch von der 
Schmiede hatte mir den Amboß eingegeben. Da 
seufzte, da stöhnte er: „Ja, wohl, auf dem Amboß, 
aber das Ding wird nicht heiß, es sprühen keine 
Funken, es will nicht fließen." Ich frug nicht nach 
dem Stoff, aber er fügte selbst hinzu: „Es ist aus 
dem heutigen Leben, aus der Schweiz, aus dem 
Handel und Wandel, alles weltlich, wenig 
Poesie." Er war nnfroh über fein Werk, — es 
hieß „Martin Salander", doch das erfuhr ich erst 
nachher. 
Ich erhob mich nach einer guten Stunde, er 
wollte mich noch dabehalten, lud mich auf den 
Abend in die „Meise" ein, — ich mußte ablehnen. 
Mußte ich? Damals glaubte ich an ein Mutz; es 
wird keins gewesen sein; jedenfalls keins, das sich 
an zwingender Gewalt şşît Kellers Einladung 
messen konnte. Von meinen vielen Unterlassungs 
sünden war wohl die ärgste, die dümmste, daß ich 
an jenem Abend der „Weise" fernbleiben 
„mutzte". 
Aus Eduard Engels neuestem Werk: 
Menschen und Dinge. Koehler u. Amelang G. 
ni. b Leipzig. Eanzleinenband 10 Mark.
	        
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