Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

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Roman von Charles Carey. 
Der Vorfall in Onyx Court. 
Kapitel 1. 
«re Schauspielerin und die 
Rubinen. 
An einem nebligen, regnerischen Novem- 
öernachmittag traf ich in Onyx Court, dem 
Landsitze von Frau Van Suyden bei Wheaton 
am Hudson, zu einem Wochenendbesuche ein. 
Die Wolken hingen niedrig, und ein ununter 
brochener feiner Regen hüllte die Landschaft 
in ein langweiliges Grau. 
Aber selbst so bot sich der alte Landsitz, der 
hoch auf einem Hügel liegt, von wo aus er 
den Fluß meilenweit beherrscht, in seiner 
ganzen Schönheit dar. Meine Stimmung, ge 
drückt durch den trüben Herbsttag, hob sich, als 
wir die Allee zu dem stattlichen Gebäude im 
Kolonialstil hinauffuhren. 
Meine Ankunft fiel gerade in die Tee- 
stunde, und so hatte ich Gelegenheit, die Ge 
fährten meines Wochenendes gleichsam außer 
Dienst zu beobachten. 
Es war ein wohliger Unterschied zwischen 
dem kalten Regen draußen und der warmen 
Halle mit ihrem großen Holzfeucr, dessen Re 
flexe tanzende Lichter und Schatten über die 
getäfelten Wände warfen und auf die Herren 
und Damen, die umhersaßen, schwatzten und 
Tee tranken. 
Ich wurde herzlich durch die gute, etwas 
kurzsichtige, philiströse Frau Van Suyden be 
grüßt. (Sie verwechselte mich wohl im Augen 
blick mit einer anderen Dame.) Der Traum 
ihres Lebens war ein „Salon", in dem Ge 
sellschaft und Kunst sich harmonisch vereinen 
sollten, und dessen Führung sie übernehmen 
wollte. Bis jetzt war es ihr nur gelungen, ihr 
Haus mit Begabten und Undankbaren zu fül 
len, die nicht zueinander paßten,- aber mit der 
Ausdauer und Begeisterung derer, die sich 
einer verlorenen Sache widmen, verfolgte sie 
ihr Ziel'. 
Nachdem ich sie auf ihren Irrtum betreffs 
meiner Person aufmerksam gemacht hatte, 
nickte ich ein paar bekannten Herren freund 
schaftlich zu und nahm die mir gereichte Tasse 
an. Ich wollte mich gerade in einen Stuhl 
fallen lassen, als-durch die große Halle Elida 
Ueats, die kalifornische Schauspielerin, die 
letzte Saison solches Aufsehen in London er 
regt hatte, in elegantem Teekleid aus Chiffon 
und Spitzen, eintrat. Ich habe sie schon als 
Kind gekannt, aber ich bin mir dessen völlig 
bewußt, daß sie nur deshalb so viel aus mir 
Macht, weil sie hier in Amerika zeigen will. 
daß sie mit meiner Cousine, Lady Southsea, 
bekannt ist. 
Meine englischen Verbindungen sind, wie 
ich hier beiläufig erwähnen möchte, ausneh 
mend gut. Infolge meines blauen Blutes bin 
ich imstande, meine Stellung als „eine kleine 
Schwester der Reichen" aufrechtzuerhalten und 
mir ein ungewisses Brot durch Malen von 
Stilleben zu verdienen,- denn ich habe sonst 
nicht das geringste feste Einkommen. 
Aber, um auf Elida Neats zurückzukom 
men: man sage über ihr. Spiel, was man will, 
ihre Schönheit ist nicht wegzuleugnen; fie ist 
von jener liebenswürdigen Art, welche weder 
Tadel noch lautes Lob zuläßt Sie besitzt auch 
ein so kindlich einschmeichelndes Wesen, daß 
man ihr nichts abschlagen kann, was sie sich 
einmal in den Kopf gesetzt har. 
Es fiel mir auf, daß sie mich ungewöhn 
lich zärtlich begrüßte, und meine dunkle Vor 
ahnung wurde bestätigt, als etwa eine Stunde 
später, während ich mit meiner Dinertoilette 
beschäftigt war) leise au meine Tür geklopft 
wurde, und Elida strahlen und lächelnd ein 
trat. 
„Du liebes Ding", sprudelte sie hervor, 
ihre Wangen gegen die meine drückend, „ich 
war in meinem ganzen Leben nicht so froh, 
dich zu sehen, wie heute. Der Herr hat dich 
sicherlich als Antwort auf mein Gebet zu mir 
gesandt." 
Dann fuhr sie mit Nachdruck fort, ohne 
weiter auf irgendeine Bemerkung zu warten: 
„Weißt du, meine Liebe, daß ich vor dem 
Wendepunkt meines Geschickes stehe, vor der 
seltensten Chance meines ganzen Lebens, die 
wenn ich sie richtig ergreife, mir dauerndes 
Glück bringen muß? Wenn du mir helfen 
willst, Gwendolen Eustacia Bramblestone, so 
wird das auch für dich viel bedeuten. Ver 
sprich mir, daß du es willst, wie eine liebe, 
alte Freundin, die du mir ja bist." 
Sie schlang ihre Arme um mich. „Es ist 
solch glücklicher Fall", bat sie schmeichelnd, 
„man wird nicht jeden Tag zu einer Onyx- 
Court-Gesellschaft geladen." 
„Das ist vielleicht recht gut", warf ich trok- 
ken ein, „da schon ein einziger Besuch genügt 
zu haben scheint, dir den Kopf zu verdrehen." 
Ich stritt mich gerade mit einem widerspensti 
gen Druckknopf herum, und ein Schatten von 
Gereiztheit mag in meiner Stimme gelegen 
haben. 
„Oh, das verstehst du nicht", schmollte 
Elida; „du kannst zu jeder Zeit eine Einla 
dung in diese Häuser erlangen. Wenn du auch 
so arm bist wie eine Kirchenmaus und nicht 
gerade berückend schön" — die Unverschämt 
heit! — „so hast du doch eine Menge aristokra 
tischer Verwandten, und man kennt in New 
York deine ausgezeichnete Fähigkeit, zu plau 
dern. Du amüsierst sie, und sie kümmern sich 
den Kuckuck drum, daß du seit zehn Jahren 
ihre Diners mit derselben alten, vertragenen 
schwarzen Spitzenfahne schmückst. Aber mit 
mir ist das eine andere Sache. Gelegenheiten 
dieser Art sind in meinem Kalender Selten 
heiten, und ich mutz das Heu einfahren, so 
lange die Sonne scheint. Ja, schon die Tat 
sache, daß eine Frau „Van" mich aufgenom 
men hat, sollte eigentlich genügen, um mein 
Broadway - Engagement um einen ganzen 
Monat zu verlängern, wenn ich mich ent 
schließe, es auszuposaunen." 
„Ist es möglich, daß dein Propaganda 
chef das noch nicht getan hat?" fragte ich un 
gläubig. „Dann laß es auf alle Fälle sofort 
machen. Vergeude keine Zeit, das Publikum 
JCein aiidetet 
heißt der neue spannende Roman aus der Feder des bekannten Schriftstellers Charles 
Carey, der in der heutigen Ausgabe der Landeszeitung beginnt. 
Der Roman findet seine Fortsetzung in der neuen „Großen Illustrierten" der 
Landeszeitung, die ab 1. August regelmäßig als Beilage unseres Blattes erscheinen wird. 
Diese Beilage, in hervorragendem Kupfertiefdruck ausgeführt, enthält auf 16 Seiten 
großen Formats regelmäßig 50 bis 60 Bilder, zeitgemäße Aufsätze aus allen Gebieten 
des Lebens und den äußerst spannenden Roman. 
Schon im Juli erhalten unsere Leser einige Probenummcrn dieser prächtigen Beilage. 
wissen zu lassen, daß Elida Neats, die schöne 
Kalifornierin, die London im Sturm nahm, 
vierzehn Tage, — sage vierzehn Tage, es 
klingt intimer, ganz als gehörtest du zur Fa 
milie —, vierzehn Tage Gast in Onyx Court, 
bei Frau Hermann Van Suyden war, die 
warme Freundschaft und Bewunderung für 
sie empfindet. Der Erfolg dieser Reklame 
würde selbst den anspruchsvollsten Manager 
befriedigen." 
Elida sah mich mit einem rätselhaften 
Blick an. „Mein Propagandachef", sagte sie 
langsam und deutlich, „hat meinen strengen 
Instruktionen zufolge noch mit keinem Worte 
meinen Aufenthaltsort erwähnt." 
Bor Erstaunen ließ ich meinen Druckknopf 
in Ruhe. Was konnte nur der Grund sein für 
diese Reserve, die gar nicht zum Handwerk 
paßte? 
„Ich habe einen viel größeren Coup in 
Aussicht", rief sie triumphierend. Dann, sich 
vorsichtig umsehend, zog sie aus ihrer Bluse 
ein kleines flaches Paket, das ich sofort als 
ein Juwelenkästchen erkannte. 
Fortsetzung dieses spannenden Romans 
in der neuen „Großen Illustrierten" der 
Landeszeitung". Probenummer erscheint im 
Jnli. 
Lieber nicht. 
„Für einen Zahn ziehen verlangen Sie fünf 
Mark! Das ist doch kolossal viel Geld für die paar 
Sekunden, die es dauert!" 
„Wenn Sie wünschen, will ich Ihnen auch gern 
den nächsten Zahn etwas langsamer ziehen!" 
Der Unglücksrabe. 
. . Ich weiß gar nicht, Tantchen, was du 
»gegen Dr. B. hast? Er ist doch so ein netter Mensch, 
und alle Welt findet seine Vorträge äußerst inter 
essant ..." 
. . Ja, aber mich regen sie nun einmal auf, 
diese ewigen Unglücksfälle. Erst der Untergang des 
weströmischen Kaiserreiches, dann der Zusammen 
bruch der spanischen Weltherrschaft und nun wieder 
die Ermordung Cäsars . . . Kann er denn nicht 
'mol über etwas anderes sprechen? Man wagt 
sich ja kaum noch aus dem Hause." 
Ein lieber Schwiegersohn. 
Schwiegermutter: „Mein lieber Oskar, es ist 
ja nicht notwendig, daß du mich nach dem Bahn 
hof begleitest. Ich werde allein auch zur rechten 
Zeit kommen." 
Schwiegersohn: „Laßt mich nur mitgehen, lie 
be Mama, ich möchte es durchaus nicht gerne haben, 
daß du den Zug versäumtest." 
Boshaft. 
Herr (zu einem sehr jugendlichen Glatzkopf): 
„Sagen Sie, hoben Sie keine Haare mehr, oder ha- 
den . Sie noch keine?" 
Die Atlantikmädels. 
6) 
Roman von G. Meerstedt. 
(Nachdruck verboten.) 
Sie nahm die kleine Kitty liebevoll in ihren 
Arm. „Ich will dir einen Vorschlag machen, Kitty. 
Wir tauschen einmal die Rollen. Erst habe ich das 
Warenhaus ausprobiert, jetzt kannst du es mal ver 
suchen. Und erst habe ich mich über ein nettes El 
ternhaus gefreut, jetzt sollst du dich auch mal freuen. 
Meine Stube wird leer, wenn die Girls am Ersten 
weggehen. Da braucht sie gar nicht erst kalt zu 
werden. Wenn ich ausziehe, ziehst du ein. Du 
glaubst gar nicht, wie liebevoll mein Muttchen ist. 
Und es wird den beiden Alten dann auch weniger 
hart ankommen, wenn gleich ein Tochterersatz da 
ist. Morgen früh aber stiefele ich zu Herrn Gold- 
tree und setze ihm so zu, daß er dich irgendwo in 
seinem Warenhause unterbringt." 
„Bravo!", sagte Hela. Sie erkannte diese 
zweite Energie in der Girltruppe durchaus an. 
Und wirklich brachte es Mary am nächsten Mor 
gen fertig, die kleine Kitty bei Goldtree unterzu 
schmuggeln. 
„Herr Goldtree", sagte sie keck im Vollbewußt- 
sein ihrer Künstlerwürde, „ich weiß, Sie haben ein 
goldenes Herz —" 
„Wollen Sie doch lieber wieder Strümpfe be: 
mir verkaufen, kleine Mary?" Herr Goldtree war 
hocherfreut. „Die Neue schlägt sowieso nicht ein —" 
„Nein, Herr Goldtree. Aber da ist so ein armes 
Ding, dessen gebrochenem Bein ich mein Unterkom 
men bei den Atlantik-Girls zu danken habe. Wenn 
Sie mit meiner Nachfolgerin nicht zufrieden sind, 
geben Sie der Kleinen den Posten. Für Gewissen 
haftigkeit garantiere ich. Und eine Kunst ist es ja 
schließlich nicht, die ausgezeichneten Strümpfe der 
Firma Goldtree an die Frau zu bringen —" 
,,Na, Mary, mit dem Mundwerk kommen Sie 
wenigstens nicht unter die Räder. Was mir ein 
Trost ist." In der Stimme des kleinen, kugeligen 
Herrn Goldtree ist viel Wärme. 
„Und die Kleine schicken Sie mir! Wenn sie 
sich nicht gar zu dumm anstellt, soll sie den Posten 
haben mit achtzig Mark. — Ihnen zu Liebe. Und 
wenn ich darüber Pleite gehen sollte —" 
Am Einunddreißigsten, als die Girls zum letzten 
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—uic Kußhände unter die Zuschauer des „Olympia" 
zerteilt hotten, hatte Mary eine Begegnung, an die 
sie immer noch im neuen Engagement denken mußte. 
Als sie beim Abgang hinaushüpften, hatte einer ?n 
der Kulisse gestanden, dessen Gesicht sich ihr so deut 
lich und schorf einaeprägt hatte, daß sie, wenn sie die 
Augen schloß, des Fremden Bild gleich einer Photo 
graphie vor sich sah. Er war groß und schlank, 
hatte ein schmales Gesicht, graue Augen und blon 
des, seitlich gescheiteltes Haar. Er sah nicht aus, 
als ob er zur Zunft gehörte. Aber auch nicht wie 
ein reicher Kavalier, der auf seine Freundin wartet. 
Dazu waren seine Augen zu ernst. Der Blick zu 
orgenvoll grüblerisch. Mary hatte sich noch nie um 
eines Mannes Micke gekümmert. Und auch noch 
nie um Angelegenheiten, die so weit weg von ihr 
lagen. An dem Abend waren zuerst nur neun Girls 
in der Garderobe gewesen, die sich schwatzend ab 
schminkten. Hela kam zehn Minuten später. Sie 
agte beiläufig, daß sie einen alten Bekannten ge 
troffen habe. — Mary wußte genau, daß das der 
Fremde war. Und das war ihr nicht so ganz recht. 
Hela war an dem Abend stiller und nachdenklicher 
als sonst. Sie drückte sich tm Eisenbahnwagen in 
eine Ecke und tat so, als ob sie schlief. Mary wußte 
genau, daß sie wachte. Schlafende Leute haben nicht 
einen so gespannt nachdenklichen Zug im Gesicht. 
Mary hätte Hela gern einmal nach dem Fremden 
gefragt. Aber sie kannte ihre Art. Bei aller Kame 
radschaftlichkeit hielt Hela doch auf einen gewissen 
Abstand zwischen sich und den anderen. Uner 
wünschte Fragen ließ sie mit eisigem Gesicht unbeant 
wortet. Sämtliche Girls waren der Meinung, daß 
Hela manchmal ein Benehmen wie eine Gräfin 
hatte. —• Wiewohl keines der Girls aus eigener Er 
fahrung wußte, wie sich denn nun eine Gräfin be 
nahm. Sie fühlten nur eine gewisse Ueberlegen- 
heit Helas. Doch als unangenehm hatte sie noch kei 
ner empfunden. 
Ueber der Alster brauten Novembernebel. Durch 
Hamburgs Straßen und Fleete kroch es grau. Ab 
wechselnd regnete es. Und abwechselnd goß es. Als 
Hamburger Dreckwetter faßten es die zusammen, die 
keine Einheimischen waren, aber mitunter in Ham 
burg zu tun hatten. 
Unbeirrt stapften die Hamburgerinnen im Re 
gendreß — ein Witzbold hatte einmal behauptet, 
damit käme jeder echte Hamburger gleich zur Welt 
— durch diese Schokoladenland-schaft. Alles ist Ge 
wohnheit. Wo andere ausglitschten, da traten sie 
fest und sicher auf. Allerdings leben die großen, 
schlanken, blonden Hamburgerinnen, die, welche die 
eigentliche Rasse der alten Hansestadt vertreten, auf 
ziemlich großem Fuße. 
Kitty hauste jetzt an Marys Stelle mit Hann 
lore Wand au Wand im Warenhause. Und das 
gefiel ihr besser, als Girl zu fein. Sie war eigent 
lich nie recht ein Tanzgirl gewesen. Die gewisse 
Leichtigkeit im Mut hatte ihr dazu gefehlt. Wenn 
die anderen Mädels sich auf eine neue Stadt freu 
ten, dann bedauerte sie immer heimlich, daß sie nicht 
seßhaft sein konnte. Nicht einmal die hübschen Ko 
stüme vermochten sie zu reizen. Natürlich war ne 
eitel wie jedes andere Mädel. Aber nach der bür 
gertichen Seite hin. Die schlichte Art der Hambnr 
gerin, sich zu kleiden, gefiel ihr. Ihr gefielen über 
haupt Hamburg und die Hamburger. 
Wenn Kitty hätte wählen können, niemals wäre 
sie eine Tänzerin geworden. Aber es hatte sie kei 
ner gefragt, ob sie Lust dazu hatte. Als Schulmädel 
hatte sie im Weihnachtsmärchen mitgetanzt. Daraus 
war die Aufnahme in eine sogenannte Ballettschule 
gefolgt, wie es so viele gibt. Die Eltern brauchen 
kein Lehrgeld für die Kinder zu zahlen, aber die 
kleinen Ballettschülerinnen sind verpflichtet mitzu 
wirken, wenn den Lehrmeistern irgendwo ein Ver 
dienst winkt. Dafür bekommen sie dann ein paar 
Groschen. Und die brauchten Kittys Eltern. Na 
mentlich aber ihr Stiefvater, der immer zu spät 
kam, wenn irgendwo Arbeit ausgeboten wurde. 
Dann gab es allemal ein großes Gejammer über das 
ewige unverdiente Pech. Und das Ende vom Lied 
war stets: „Wenn doch Kitty erst aus der Schule 
wäre, damit sie etwas verdienen könnte!" Und wo 
anders konnte eine Vierzehnjährige etwas verdie 
nen, als bei einer Tanztruppe. 
Auf diese Weise kam Kitty zu den Atlantik- 
Girls. Ihre Mutter war zu schwach und zu krank, 
um dem entgegensteuern zu können, und sie selbst 
zu gutmütig, von klein auf zu sehr gedrillt auf dies 
Helfenmüssen. 
Nun freute sie sich, daß sie in den grauen Ham 
burger Wintertagen in dem behaglich durchwärmten 
Warenhanse des Herrn Goldtree Strümpfe verkau 
fen durfte. Unter dem ganz besonderen Schutz 
Herrn Goldtrees, der für die Kleine, die nicht, wie 
die anderen Mädels, ständig Flausen im Kopfe 
hatte, eine Schwäche hatte. 
Zwar verstand sie das mit dem Beinpräsentis- 
rcn beim Strümpfeverkauf nicht so wie Mary. Aber 
sie war von einer unerschöpflichen Geduld dem Pu 
blikum gegenüber, von einer unbeirrbaren Liebens 
würdigkeit, selbst zu der unangenehmsten Kundin, 
daß man schließlich doch etwas kaufte, wenn man 
nicht das gefunden hatte, woraus man eigentlich 
ausgegangen war. 
Abends strebte dann Kitty schnell heim zu den 
Dettmanns. Es war zum ersten Mal in ihrem 
kleinen, bescheidenen Leben, daß sie die Behaglichkeit 
eines geordneten Hausstandes genoß. Und sie 
schwelgte darin. Sie fand den alten, schlecht be 
leuchteten Gang urgemütlich. Sie mochte es so 
gern, wenn die Steigen quietschten und knarrten. 
Wenn die Petroleumlampen auf den einzelnen 
Treppenabsätzen wie kleine Sterne leuchteten. Und 
wenn ihr Frau Dettmann droben mit herzlich 
freundlicher Miene die Tür öffnete und sie genau so 
umsorgte, als handele es sich um ihre Mary. Herr 
Dettmann schaute von seiner Zeitung auf, wenn sie 
in die niedrige Stube trat: „Na, Mädel, müde? 
Was macht der Fuß?" Und Kitty sagte: „Es geht 
alles wunderschön, Vater Dettmann", selbst wenn 
ihr Fuß bei Witterungsumschlag oder vom vielen 
Stehen wirklich einmal schmerzte. 
„Es ist ein rechter Segen", sagten die beiden 
Alten so manches Mal, wenn wieder ein Abend in 
Frieden und Wohlbehagen vorüber war, „daß un 
sre Mary für Ersatz gesorgt hat. So ganz allein 
wär's doch ein bißchen trübselig. Und halten hät 
ten wir die Mary doch nicht können, dazu dachte sie 
zu selbständig. Es wäre auch unrecht, jemand auf 
halten zu wollen, der sich mehr vom Leben ver- 
,spricht, als wir ihm bieten können — selbst wenn 
es das eigene Kind ist." Und sie lasen schnell noch 
einmal Marys letzten Brief. 
Kitty aber stand jeden Abend noch eine Weile 
an ihrem Mansardenfenster und, genoß den Frieden 
der stillen Dächer, die so unregelmäßig zueinander 
-standen wie in einem mittelalterlichen Städtchen. 
Manchmal lag blausilbern der Mondschein darauf. 
Manchmal glänzten sie regennaß. Manchmal war 
auch durch eine Dachluke eine Katze herausgekrochen 
und erging sich auf den Firsten. 
Und dann zog Kitty den Vorhang herunter 
und kuschelte sich ins Bett. Manchmal tickte noch ein 
Holzwurm, der in den Jahrhunderte alten Dach 
sparren Hausrechte genoß. Oder ein Mäuschen 
-sprang keck und ungeniert. Und schon halb !m 
Schlaf, freute sich Kitty auf das Morgen. Das hatte 
sie sonst nie getan. — 
Bei Frau Obersekretär Prätorius ging es we 
niger behaglich zu. Sie war ein ein wenig unzu 
friedener Mensch, weil sie zeitlebens der Hochmuts 
teufel gestochen hatte. Hannelore hatte wirklich kein 
teichtes Leben, seit Cora Drews „ordinär" varfü- 
mierter Brief in Referendar Karstens Iungge ellen- 
stube geflattert war. Die Frau Obersekretär meinte, 
'daß Hannelore es an Aufmerksamkeit gegenüber 
dem Referendar habe fehlen lassen. „Ein unbemit 
teltes Mädchen muß klug sein", war stets der End 
punkt ihrer mütterlichen Ermahnungen — „beson 
ders dann, wenn sie aus gutem Hause stammt und 
kann." 
Hanelore wurde dann immer g-anz beklommen 
zumute. Sie dacht an ihren Werftarbeiter, der 
schließlich nach der Mutter Begriffen noch weniger 
als ein x-beliebiger war. Und dabei konnte er sich 
benehmen. Besser als der Herr Referendar Kar 
stens. Karstens schlug ihrer Mutter und ihr ge 
genüber immer einen sehr befehlshaberischen Ton 
an. Daß ihre Mutter das nicht fühlte! Daß sie 
sich so aussichtslos demütigen.ließ! Es war Hanne, 
lore unbegreiflich. 
(Fortsetzung folgt.) 
Gegen üblen Mundgeruch, nach längerer Mundruhe und 
nach dem Rauchen benutze man zum Desodorieren und Aro- 
matisieren des Atenis eine Spülung mit dem herrlich er 
frischenden Chlorodont-Mundwasjel. Flasche 1. -oil. 
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