Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

Nr. 147 
Zur Unterhaltung 
Beilage der Schleswļg.Holsteînķschen LandesMung (Rendsburger Tageblatt) 
Donnerstag, den 26. Juni 
Em« Lwemnösiebftgjührige 
fährt ins Morgeņîand 
sie 
und trifft nur gute, helfende Menschen. 
Diese kleine Episode muß man erzählen, 
wirkt irgendwie versöhnend und sie paßt so ganz 
zu diesen Sommerabenden, an denen die Menschen 
-viel netter zu sein scheinen, und die Welt viel schö 
ner aussieht. Sie klingt fast ein wenig unglaub 
lich und ist doch wahr. Sie steht vor uns, wie ein 
letztes Ueberbleibfel einer Welt, die mit dem Jahre 
1930 nichts mehr zu tun hat. 
Da lebt in Harlaching bei München Kreszentia 
Perty, eine Zweiundsiebzigjährige. ganz allein mit 
ihrem Hund, dem „Alaxl". Bon Beruf ist sie Kunst- 
stickerin. Ein ganzes Menschenleben lang haben 
ihre flinken Finger Wunder über Wunder auf nüch 
terne weiße Decken gezaubert. Und während diese 
Hände ihre mühevolle Arbeit verrichten, blieb ihr 
viel Zeit zum Nachdenken. Und immer, wenn sie 
eine neue Arbeit zur Hand nahm, dann strichen ihre 
Finger sanft über den weichen Stoff und sie war 
ein wenig verträumt, wenn sie darüber nachdachte, 
wohin dieses neue Kunstwerk kommen würde. 
So hat sie ihr Leben verbracht. Glücklich, an- 
spruchslos und zufrieden. Zufrieden, wenn sie sich 
nur Luftschlösser malen konnte, im Winter an die 
weiße Zimmerdecke, im Sommer an das Firmament. 
Bald war ein kleines Sümmchen erspart, sie konnte 
sich ein Häuschen bauen lassen. Sie selbst mochte 
den Baumeister und Tag für Tag freute sie sich über 
die Fortschritte ihrer Arbeit. Und als sie eingezogen 
war und einen kleinen Garten angelegt hatte, 
träumte sie wieder von großen Reisen und von der 
Welt, die sie nicht kannte. Ihr Hund, der Maxl, 
saß neben ihr und pflegte ganz melancholisch zu 
„ werden. Und wenn der Himmel blau war und die 
'* Schäferwölkchen nach dem Süden zogen, dann stau 
len die beiden am niederen Gartenzaun und die 
Blicke der Frau folgten den dahineilenden Seglern. 
„Siehst Maxl", so mag sie wohl gesagt haben, „mit 
denen müßten wir mitfliegen können". Und ein 
bißchen traurig zogen die beiden dann zu ihrem 
Häuschen. 
Endlich hatte sie ein paar Geldscheine gespart 
und wagte ihre erste Reise. Ganz benommen kam 
sie zurück, nur von dem einen Wunsch beseelt, vor 
ihrem Tode noch einmal m fremde Länder zu pil 
gern. Jahrelang sparte sie. Immer flinker ging 
die Arbeit von der Hand, ein Schein nach dem an 
deren wanderte in die kleine Reisekasse. Und eines 
Tages stand sie in einem Reisebüro. Verlangte 
Fahrkarten und ließ sich Prospekte geben. Vielleicht 
mag ihr etwas bange gewesen sein, ober sie ließ sich 
nichts anmerken. 400 Mark, damit wollte sie eine 
fünfwöchentliche Reise unternehmen. Und es würde 
reichen, so versicherte man ihr, wenn sie ganz, ganz 
knapp rechnen würde. „Ob allerdings auch der 
Maxl . . 
Nein, der Maxl mußte mit. Ohne den Maxi 
fährt sie nicht nach Palästina zum heiligen Grabe 
und nach Aegypten zu den Pyramiden. Am näch 
sten Tage war sie abgereist. Mit kindlichem Opti 
mismus als Reisegepäck war sie in die Welt gefah 
ren. In eine Welt, die sonst nur von Menschen 
besucht wird, die mit großen Brieftaschen kommen 
und keine Ahnung von der Existenz der kleinen 
Kunststickerin in Harlaching bei München hoben. 
Es war wie ein hohes Lied der Nächstenliebe, 
was sie in den fünf Wochen ihrer Reise erlebte. 
In Jaffa, wo sie hilflos auf der Straße stand, 
nahm ein Prior sich ihrer an und sorgte für ihr 
Wohl. 
In Jerusalem, wo sie keinen Menschen nach der 
deutschen Kolonie fragen konnte, wurde sie weder 
übervorteilt, noch verlor man die Geduld mit ihr. 
Am See Gethsemane nahm der Pater Sichet sich 
ihrer an, nachdem brave Leute der Verirrten den 
Weg gezeigt hatten. Und als sie den Pensionspreis 
zahlen woute, wies er das Geld zurück. 
Als sie hilflos vor einem Meldezettel in fran 
zösischer Sprache saß, setzte sich jemand zu ihr und 
füllte die Rubriken aus. 
In Kairo hatte sie sich nachts verirrt, der 
freundliche Inhaber des Hotels „Windsor" nahm 
sie zu einem Spottpreis auf und sorgte am nächsten 
Tage dafür, daß sie wieder zurückfahren konnte. 
Ja, und der Maxl fand überall Freunde, die sich 
um ihn sorgten und ihn betreuten. 
So war es überall, wohin die beiden kamen. 
Es würde zu weit führen, alles aufzuzählen. Ueber- 
all fanden sie freundliche Menschen, die ihnen hal 
fen. Alle waren so gut zu ihr, daß die alte Frau 
ganz verlegen wurde. Und sie, die mit Optimismus 
und einem unendlich großen Glauben an die Men 
schen hinausgefahren war in die Welt, kam wohl 
behalten wieder zurück und stellt ganz sachlich fest: 
Alle Menschen sind gut! 
Die Franzosen veranstalten gerade jetzt eine 
„Woche der Güte". Eine Woche des Glaubens an 
alles Gute in menschlichen Herzen, inmitten von 
einundfünfzig Wochen der Gleichgültigkeit oder gar 
des Haffes. Es ist ein hübscher und zckìter Einfall. 
Die Geschichte unserer Frau Perty ist auch ein klei 
ner Beitrag zu diesem Kapitel. 
Kurt Feder. 
VrmLe idt 
Eine Eorch-Fock-Halle in Finkenwärder 
Gorch Fock, der im Kriege gefallene Seemann 
und plattdeutsche Dichter, erhält in Finkenwärder, 
dem Ort. wo er gelebt und geschrieben hat, eine 
Gedächtnishalle. Es ist eine Turnhalle, die nach 
einem Entwurf des Hamburgischen Oberbaudirek 
tors Schumacher in unterelbischem Klinker errichtet 
wurde. Eine lebensgroße Seemannsfigur mit den 
Gesichtszügen Eorch Focks, die von dem Hamburger 
Bildhauer Richard Knöhl geschaffen wurde, 
schmückt den Haupteingang und bezeugt, daß diese 
Halle ein Ehrenmal Finkenwärders für seinen 
Heimatdichter sein will. 
Der mangelhafte „Führer durch Edinburg". 
Die schottische Hauptstadt hatte zur Hebung des 
Fremdenverkehrs einen „Führer durch Edinburg" 
herausgegeben. Den kaufte sich kürzlich unter an 
deren Besuchern der Metropole Schottlands auch 
ein Londoner Bankier, weil er an Hand der Ent 
fernungsangaben feine Zeit einteilen wollte. So 
stellte er einen auf die Sekunde genau ausgearbeite 
ten Operationsplan auf, rechnete neun Minuten für 
diesen, elf für jenen Weg und beraumte die Konfe 
renzen mit seinen Geschäftsfreunden dement 
sprechend an. Doch die ganze Einteilung wuvde 
durch einen unvorhergesehenen Umstand über den 
Haufen geworfen: Die im Führer angegebenen Zei 
ten waren zu knapp gerechnet. Schon zur ersten 
Konferenz kam >der Engländer zu spät, zur zweiten 
noch mehr, und beim dritten Geschäftsfreunde fand 
er nur eine bedauernde Absage vor: „Ich konnte 
nicht länger auf Sie warten." Achnlich ging es ihm 
noch an anderen Stellen, und das Ergebnis der ver 
schiedenen mißglückten Besprechungen war, daß dem 
Londoner mehrere Geschäftsabschlüsse entgingen. Er 
machte die Stadt Edinburg für den Schaden ver 
antwortlich. Tatsächlich gab das Gericht der Klage 
statt und sprach dem Minkier eine Entschädigung 
von rund 10 000 Alark zu. In der schottischen 
Hauptstadt ist heute kein einziger amtlicher „Führer 
durch Edinburg" zu kaufen. 
Patente auf Pflanzen. 
Nach einem Gesetzentwurf, der zurzeit in den 
Bereinigten Staaten zur Annahme vorliegt, kann 
der Züchter einer neuen Pflanzenvarietät darauf 
ebensogut ein Patent erhalten wie auf eine Ma 
schine oder chemische Verbindung. Dieser Schutz 
wird sich, wie die „Umschau" mitteilt, indessen nur 
auf Pflanzen erstrecken, die durch nicht sexuelle, 
d. h. vegetative Mittel fortgepflanzt werden. Va 
rietäten, die durch Samen fortgepflanzt werden, 
sind nicht eingeschlossen, selbst wenn sie neu sind. 
Eine weitere Ausnahme ist für die durch Knollen 
fortgepflanzten Pflanzen gemacht, da die Züchter 
bestimmter Klassen und Feldfrücht« dies beantrag 
ten. Das Gesetz wird bei seinem Erscheinen keine 
rückwirkende Kraft haben, und ebenso sollen ihm 
Pflanzen nicht unterliegen, die länger als zwei. 
Jahre im öffentlichen Gebrauch waren. 
20»-Jayrfeier einer deutschen Schule in 
Böhmen. 
Die deutsche Volksschule in Zinmvald bei 
Taplitz-Schönau im Erzgebirge feierte am 
Sonntag die Feier ihres 200jährigen Be 
stehens. Die deutsche Schule in Zinnwald 
gehört zu den ältesten Schulen in Böhmen. 
Zwischen zwei Feuern. 
Dis Feuerwehr von Mexiko City ist dabei. 
Mittel für ein Denkmal zum Gedächtnis der 40 
Kameraden zu sammeln, die in Ausübung ihrer 
Berufspflicht vor 10 Jahren unter eigenartigen 
Umständen ihr Leben einbüßten. Der Revoluti 
onsführer Zapata hatte damals kurze Zeit die 
Stadt in feinem Besitz und benutzte nun diese 
Herrschaft, um eine Miliz aus Indianern zu bil 
den, die er aus den tropischen Landbezirken der 
Niederung rekrutiert hatte. Es war eine Truppe, 
die aus Naturkindern bestand, dis nie vorher eine 
Stadt gesehen hatten. Eines Tages wurde Feuer 
alarm gegeben. Aus verschiedenen Stadtvierteln 
raffelten Spritzen und Mannschaftswagen heran, 
die in aller Hast nach der Brandstelle fuhren. Beim 
Anblick dieser behelmten Feuerwehrleute, der ga 
loppierenden Pferde und unter dem Eindruck des 
Lärms der Sirenen glaubten die Indianer nichts 
anderes, als daß es sich hier um eine militärische 
Aktion des Feindes handele. Die Nothäute gaben 
daher Alarm und eröffneten das Feuer auf die 
unglücklichen Feuerwehrleute, von denen über 40 
tot am Platze blieben. Was inzwischen aus dem 
Feuer wurde, wird nicht berichtet. Man darf aber 
annehmen, daß es in aller Ruhe ausbrennen 
konnte, da die zu seiner Bekämpfung herbeieilende 
Wehr nicht mehr zur Aktion kam. 
lum Lächeln mb Lachen. 
Nie verlegen. 
Ein Antiquitätenhändler, der allerhand kuriose 
Sachen feilbot, erklärt einem Kunden: „Hier ist das 
Schwert, womit Bileam seinen Esel zu töten 
drohte." 
„So. ich l)ob« nie davon gehört, daß Bileam 
ein Schwert hatte; in der Bibel steht bloß, daß er 
sich ein Schwert wünschte." 
„Richtig ja, Sie haben recht, dies ist das Schwert, 
das er sich gewünscht hat." 
Musikalische Ohrfeigen. 
Bei einer Körperverletzungsklage, die »or 
einem Wiener Gericht verhandelt wird, soll 
eine Zeugin darüber aussagen, ab sie deut 
lich gehört habe, daß mehrere Ohrfeigen ge 
fallen seien. „Ob'r, Hochs Gericht," beteuerte 
sie mit schönem Eifer: „I sag' Ähna, dös war's 
reinste Schallplatt'nkonzert . . 
Die Beweise. 
„Der Wagen läuft noch wie'n neuer — 120 
Kilometer auf glatter Strecke!" 
„Na, na? Ist das nicht 'n bißchen hochge- 
griffen?" 
„Ne, ne! Ich würde es selbst nicht glauben, 
aber sich mal hier, hier sind die Strafmandate!" 
Nach dem Erfolg. 
Junger Dramatiker: „Nehmen Sie freundlichst 
Platz, Herr Regisseur! Sie waren ja in meinem 
Erstlingswerk die tragende Kraft!" 
„Seien Sie froh, sonst wären Sie jetzt in« 
leidtragende." 
Optische Täuschung 
Hausherr (der stark bekneipt nach Hause kommt 
und in seinem Rausch sein Kind in der Wiege mehr 
fach sicht): „Nanu — seit wann ist denn in meinem 
Hause eine Kleinlkinderbewahranftalt!" 
Vorschlag zur Güte. 
Student: „Nachtrat, wollen wir 'n Kompagnie» 
Geschäft machen?" 
„Das müßte was schönes geben!" 
Student: „Na, kriegen Sie nicht für jeden 
entdeckten Brand zwei Mark Gratifikation?" 
„Stimmt!" 
Student: „Dann melden Sie also meinen 
Brand, und wir teilen uns das Geld!" 
Eine SchulstaöL im Walöe. 
Bon Dr. Walther Hötting. 
Der schrille Ton einer elektrischen Klingel tönt 
weithin durch den Wald. Von allen Seiten eilen 
auf neu angelegten Straßen Kinder in das von 
düsteren Kiefern umrahmte Schulgebäude, denn 
das Klingelzeichen bedeutet, daß nur noch wenige 
Minuten an 9 Uhr fehlen. Betritt man das In 
nere der Waldschule van Berlin-Zehlendorf, so be 
grüßt den Besucher vielstimmiger Lärm aus den 
Klaffenzimmern. Freundliche Bilder bedecken die 
Wände, und als besondere Neuerung fällt die 
Kleiderablage auf; damit die regenfeuchten Ueber- 
kleider nicht in den Klassenzimmern aufgehängt 
werden, hat man auf den Korridoren breite, luf 
tige Kleiderablagen geschaffen, die durch Gitter 
abgeschlossen werden können. 
Wie der freundliche Rektor mitteilt, wurden 
durch den Bau einer großen Häuserkolonie die 
anderen Schulen des Ortes so unerträglich über 
füllt, daß man es als Erlösung empfand, zunächst 
wenigstens 13 Klaffen, die 4 Jahrgängen der 
Grundschule entsprechen, mit etwa 600 Kindern 
unter 15 Lehrkräften in die neue Waldschule ab 
zweigen zu können. Aber die halbvollendeten 
Bauten neben der Schule beweisen, daß damit nur 
ein erster Schritt zur Verwirklichung eines groß 
zügigen Entwurfes getan worden ist, nach dem 
dort eine ganze Waldschulstadt mit Grundschulen, 
höheren Lehranstalten und Fachschulen entstehen 
soll. Man will eine Zentralberufsschule für die 
gärtnerischen Berufe errichten, und außerdem wird 
die ganze Anlage in enge Verbindung mit den 
vorhandenen großen Sportanlagen und den Grün 
flächen Berlins gebracht werden. Die ganze Bau 
art wird der Lage im Wald angepaßt. Man er 
richtet daher keine mächtigen Zwingburgen des 
Unterrichtsdrills, sondern nach den Freiflächen ge 
öffnete Häusergruppen in ländlicher Bauart und 
mit nur einem Obergeschoß. 
Der Gedanke, Schulen mitten im Wald zu er 
richten und das Nützliche des Unterrichts mit dem 
Angenehmen des Landaufenthaltes zu verbinden, 
ist verhältnismäßig neu, wenn man auch in den 
letzten Jahren viel für seine Verwirklichung ge 
tan hat. Vorbildlich war wohl die 1904 gegrün 
dete Waldschule in Eharlottenburg, die von Päda 
gogen und Schulmännern geschaffen wurde, um die 
Kinder während des Unterrichts den ungünstigen 
Einflüssen der städtischen Umgebung zu entziehen. 
Die dort untergebrachten Kinder sind besonders 
ausgewählt; sie stammen aus den ärmsten Schich 
ten, sind von Lungen- und Herzkrankheiten, Ra 
chitis, Blutarmut oder Skrofulöse bedroht, also 
Kinder, die infolge ihrer körperlichen Leiden nur 
schwer beim Lernen vorwärtskommen und meist 
nicht nur gesundheitlich, sondern auch sittlich ge 
fährdet sind. Wurden doch durch häusliche Besuche 
der Lehrkräfte und durch Niederschriften in Schul 
aufsätzen erschütternde Tatsachen festgestellt! Von 
einer Gruppe von 108 Kindern hatten nur 21 ein 
eigenes Bett, alle anderen schliefen mit Familien 
mitgliedern zusammen, zum Teil sogar mit Kran 
ken. Daher wurde dafür gesorgt, daß die besonders 
gefährdeten Kinder auch nachts in der Schule ver 
bleiben können. Sie werden den ungünstigsten 
Einflüssen des häuslichen Milieus und der Straße 
entzogen und statt dessen in gesunder Waldluft un 
tergebracht, regelmäßig ausreichend ernährt, zu 
geregelter Lebensweise und planmäßigem Wechsel 
zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Arbeit und 
Spiel angehalten. Körperliche und geistige Er 
ziehung sollen organisch verbunden, dem Bedürf 
nis nach Licht und Luft soll Rechnung getragen 
werden. Für diese • heruntergekommenen Kinder 
genügt es nicht, daß man einfach das Schulgebäude 
in den Wald verlegt, vielmehr müssen die Schüler 
den größten Teil des Tages im Freien zubringen. 
Trotzdem wird der Unterricht in den eigentlichen 
Lehrfächern nicht vernachlässigt. Wenn die Kinder 
nach sechs- bis zwölfmonatlichem Aufenthalt in der 
Waldschule wieder in die städtische Lehranstalt 
zurückkehren, dann sollen — so will es der Ehr 
geiz der Lehrer — alle versetzt werden. Die Zahl 
der Unterrichtsstunden — Kurzstunden von 40 
Minuten — beträgt daher nur 8 bis 24 wöchent 
lich. 
Wie verläuft nun der Tag in einer solchen 
Schule? Die Kinder sammeln sich in der Frühe 
an einer Station der Stadtbahn und werden von 
dort von Lehrkräften zum Schulgebäude im Grü 
newald geführt, das 2,5 Hektar bedeckt und eine 
große Speisehalle für 270 Kinder, einen saalarti 
gen Tagesraum mit 50 Betten im Obergeschoß, 
viele offene Baracken als Lehrzimmer, Liegehal 
len. eine Schnitzhalle mit Werkzeugen, einen 
Schulgarten, ein Luftbad und ein Planschbecken 
besitzt, das von den Lehrkräften und den Eltern 
der Schüler in gemeinsamer Arbeit geschaffen 
wurde. Gleich nach der Ankunft bekommen die 
Kinder ein erstes Frühstück; dann legen sie alle 
überflüssige Kleidung ab, zumindest Schuhe und 
Strümpfe, und gehen zu ihren Klassen. Soweit 
es die Witterung erlaubt, sitzt man im Freien 
vor einer Tafel oder unter einem Holzdach. Die 
Lehrer sind nicht an einen strengen Unterrichtsplan 
gebunden, sie können ihn nach Gutdünken, je nach 
Stimmung und Witterung .festsetzen. Dem Vor 
mittagsunterricht folgt das Mittagessen und eine 
Ruhepause von 2 Stunden, dann wechseln Spiel, 
Wiederholen auf Aufgaben und allerlei Betäti 
gungen im Freien. In praktischer Weife wird Na 
turkunde getrieben: da gibt es Bienenstöcke für 
künftige Imker und einen großen Schulgarten, in 
dem jedes Kind ein eigenes kleines Beet besitzt, 
das unter Aufsicht eines Gärtners mit Gemüse 
und Obst bepflanzt wird. In einer besonderen 
Halle können sich die Knaben ihrer Vastelleiden- 
schaft widmen, anders buddeln nach Herzenslust 
auf Sandplätzen. Vor der abendlichen Heimkehr 
in die Stadt wird noch ein kleines Abendbrot aus 
geteilt, dann geht es unter Gesang gemeinsam 
zur Bahn. Nur 50 Kinder bleiben ständig 
draußen. Eine Schulärztin überwacht den gesund 
heitlichen Erfolg des Aufenthaltes, sorgt auch für 
Einhaltung von Liegekuren, für die richtige Diät 
und das Einnehmen des Lebertrans oder anderer 
Nährmittel. Dis Kosten für die Verpflegung be. 
tragen täglich 90 F und werden zur Hälfte, in 
manchen Fällen sogar vollständig, von der Stadt 
getragen. Der Unterricht wird auch im Winter 
fortgeführt, so daß seit Bestehen der Schule be 
reits 6000 Kinder ihre Segnungen genoffen. 
Aehnlichs Schulen sind nach dem Krieg in vielen 
Staaten entstanden. “ 
Eine weitere Ausdehnung erfuhren die Wald 
schulen durch die Landschulheime, deren es 1919 
erst 5 gab, während ihre Zahl jetzt auf etwa 200 
angestiegen ist, die sich zu einem Verein zusammen 
geschlossen haben. Am nachdrücklichsten setzte man 
sich für sie in Hamburg ein, kräftig unterstützt von 
den Behörden, so daß diese Stadt jetzt ungefähr 
35 Heime besitzt. In diesen Heimen wurden in 
einem Jahr 9355 Kinder untergebracht. Besitzer 
der Heime sind gewöhnlich Vereinigungen von 
Eltern, die durch vieljährige Werbe- und Sam 
meltätigkeit die Bausteine für die Anstalten zu 
sammengetragen haben. Durchschnittlich kostet ein 
Heim 30 000 <M, doch schwankt der Preis in den 
weitesten Grenzen, von wenigen Tausend bis zu 
100 000 Ji. Gewöhnlich wird das Gebäude für 
100 Schüler berechnet. Manche Heime werden nur 
über das Wochenende und in den Ferien in An 
spruch genommen, die meisten während der Schul 
zeit. indem gleichzeitig 2 bis 3 Klaffen, etwa in 
5 Parteien von April bis Oktober, auf 10 bis 20 
Tage das Heim besuchen. Es sind dies keineswegs 
verkappte Ferien, denn auch hier wird der Unter 
richt tatkräftig fortgeführt, wobei allerdings die 
sich auf Wanderungen darbietenden Unterrichts 
stoffe besonders berüchtigt werden. Die körp« - 
lichen Erfolge können erst nach längerer Zeit, nach 
2 bis 6 Monaten, festgestellt werden; häufig wird 
das Wachstum angeregt, wobei durch die erhöht« 
Eßlust auch das Körpergewicht rasch ansteigt. Das 
Ziel, allen Schülern einen längeren Aufenthalt 
in den Schullandheimen zukommen zu lassen, ist 
aber nur zu erreichen, wenn mit kommunaler Un 
terstützung überall entsprechende Einrichtungen ge 
schaffen werden.
	        
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