Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

liner eigentlich von ihren Etadtvätern verlangen 
können. 
Papier! Papier! Papier! 
Ein Hauptmerkmal der gesamten Huginschen 
Dichtungen sind die köstlichen Naturstimmungen. 
Die Naturbilder nehmen daher auch in ihrer 
Lyrik einen breiten Raum ein und zeigen die 
echte „Hineinschau-Phaniasie" der Dichterin. 
Eine prächtige Schilderung der Landschaft der 
schleswig-holsteinischen Ostseeküste haben wir in 
dem Gedicht „Morgen": 
„Mit mildem, weich-verschwommenem Blau 
Umschließt der Himmel rings die Welt — 
Herbstgoldene Welt — 
Weit, weit hinein in heimatduft'ges Land 
Dringt frei mein Blick, 
Und goldnes Feld schiebt hinter Feld sich fort, 
Und bläulich zieht sich Knick um Knick hindurch. 
Nur ganz von Fern des Erntevolkes Stimmen, 
Sonst ist so heilig still die Luft . . ." 
Regensburg?" — „Ja, Ellen macht die Ausnahme- 
prüfung ins Gymnasium." — „So, so, nächstes 
Jahr kommt meine Irma auch dazu. Ich weiß 
aber noch nicht, ob ins Gymnasium oder in die 
Realschule. Bei den Mädchen soll man halt doch 
auch ein bisserl drauf schaun, welche Mützenfarbe 
ihnen gut steht." 
Drollige Geschichten. 
Das große Hindernis. 
Einer Bürgersfrau aus Rhein,göheim von der 
Schwergewichtsklasse wurde, da sie dringend nach 
einer Wohnung suchte, zum dritten Mal eine Woh 
nung zugewiesen, die sie jedoch wie die beiden vor 
hergehenden wieder ausschlug. Sie wurde nun vor 
das Eemeindehaupt zitiert, der ihr gründlich die 
Leviten las: „Ja, Katrin, was fallt denn dir net 
ei, meenscht mer sin grad for dich do?" Aber die 
Katrin läßt sich nicht einschüchtern und meint: 
„Beigermeeschter, die Wohnung,e hette mer schon 
gehaßt, wann aber 's for mein Hinnere zu klä is, 
taugt mer e ganze Villa nix." 
Zn die Falle gegangen. 
Bei einer Verhandlung gegen vier Burschen 
aus Traunstein wegen Wilddieberei waren als 
Beweismittel vier Gewehre, die man im Walde 
gefunden hatte, auf den Eerichtstisch gelegt wor 
den. Die Wilddiebe jedoch leugneten hartnäckig 
und wollten die vier Gewehre nicht als die ihrigen 
anerkennen. Man mußte die vier Burschen frei 
sprechen und eben wollten sie schon den Eerichts- 
jaal verlassen, da rief ihnen der Vor!sitzende nach: 
„Eure Gewehre könnt ihr jetzt mitnehmen!" Die 
vier ließen sich das nicht zweimal sagen und jeder 
nahm ein Gewehr an sich. Erft das schallende Ge 
lächter der Zuhörer belehrte sie, daß sie sich nun 
zum Schluß doch verraten hatten. 
Sonderbare Wege. 
In einer Reutlinger Zeitung war folgendes 
Inserat zu lesen: „Gefunden wurde ein künstliches 
Gebiß und kann abgeholt werden bei der Latrinen 
verwaltung." 
Beste Qualität. 
Ein Hausierer wandert von Haus zu Haus, 
Zahnstocher, das Päckchen zu 25 Pfennig, anbie 
tend. Als sich eine brave Hausfrau über den hohen 
Preis entsetzt, meint der Hausierer gutmütig: 
„Enä Frau, so guate ham 's no nia ghabt. Die 
ham's überall jahrlang, da bricht eahna koana ab." 
„Die Wirtschaft ist das Schicksal!" 
Vor einem niederbayerischen Amtsgericht wur 
de kürzlich ein Zeuge von dem Vorsitzenden ge 
fragt, in welcher Weife er sich über den Leumund 
des Angeklagten äußern könne. Der Zeuge 
meinte: „In wirtschaftlicher Beziehung ist der An 
geklagte ganz brav." Als der Vorsitzende fragte, 
was er denn unter „wirtschaftlicher Beziehung" 
verstehe, war der Zeuge ganz erstaunt über den 
Bildungsmangel des Vorsitzenden und erklärte: 
„No ja, in wirtschaftlicher Beziehung dös is, wenn 
ma im Wirtshaus beinandsttzt!" 
Armer Obcrhirte! 
In einer höheren Lehranstalt in Freising 
schrieb ein Schüler bei einem Aufsatz über die 
Schönheiten des Domberges u. a. folgendes: 
in rotem Ornat schreitet der Oberhirte seg-. 
nend durch die Reihen seiner Gläubiger." 
Die mordende Leiche. 
In einer Amberger Zeitung konnte man vor 
kurzer Zeit folgendes lesen: „In Haugenrieb ver 
starb dieser Tage die Frau des Bauern Jacob 
Beslmeisl unter mysteriösen Umständen. Man 
vermutete anfänglich, daß ihr Mann sie ermordet 
habe; bei der Sektion der Leiche stellte sich jedoch 
das Gegenteil heraus." 
Bunte Welt. 
Das ist die Hauptsache. 
Im Eisenbahnabteil sitzt eine Dame mit ihrem 
Töchterchen, eine zweite Dame ihr gegenüber. Es 
entwickelt sich folgendes Gespräch: „Fahren S' nach 
Papier! Papier! Papier! 
Wie wir dem „Tägl. Korr." entnehmen, um 
faßt die gedruckte Vorlage für die nächste Stadt 
verordnetensitzung der Stadt Berlin 152 (in Buch 
staben: hundertzweiundfünfzig) Quartseiten. Es 
wird innerhalb und außerhalb Berlins feit Mona 
ten über die seltsame Wirtschaft in Amtsstellen 
Berlins geklagt; uns scheint, daß man auch die 
Papierverschwendung in den Kreis derjenigen Ge 
genstände einbeziehen sollte, die künftig mit mehr 
Sparsamkeit zu bewirtschaften sind; denn bei 152 
Quartseiten Vorlage wird doch wohl kein Mensch 
mehr glauben, daß nur einer der 226 Stadtverord 
neten in der Lage gewesen sei, sich auf die Sitzung 
mit jener Sorgfalt vorbereiten, die die Ber- 
Rarkosc mit Rum. 
Den Teilnehmern des Kongresses, den das 
englische Institut für Gesundheitspflege in Port- 
mouth veranstaltet, ist Gelegenheit geboten, die 
Verhältnisse, unter denen die Chirurgen der engli 
schen Flotte vor 125 Jahren arbeiten mußten, mit 
denen zu vergleichen, wie sie heute an Bord der 
modernen Schlachtschiffe bestehen. Der Admiral 
Sir Keyes, der den Kongreß im Namen 
der Flotte begrüßte, hat zu diesem Zweck 
die Delegierten zur Besichtigung des Ho 
spitals oder, richtiger gesagt, des Verbandplatzes 
von Nelsons Schlachtschiff „Victory" eingeladen. 
Sie erhalten dort ein instruktives Bild der Ver- 
wundeienpflege jener Zeit, als „dem Arzt kein 
anderes Betäubungsmittel als ein Schluck Rum 
und kein anderes Heilmittel als ein Teerpflaster" 
zur Verfügung stand. Dem Besuch des Schlacht 
schiffes soll sich dann die Besichtigung des mit allen 
Errungenschaften der modernen Technik ausge 
rüsteten Hospitals eines britischen Kriegsschiffes 
und des Marinelazaretts in Haslar anschließen. 
Zum Lächeln und Lachen 
Kein Zweifel mehr. 
Lotte ist sechzehn Jahre alt, Lotte mutz kochen 
und haushalten lernen. Lotte hat einen Pud 
ding gekocht. 
„Woran sehe ich denn nun, ob er gut ist?" 
fragt Lotte die Mama. 
„Stecke ein Messer hinein, und wenn es rein 
herauskommt, ist der Pudding gut," sagt die er 
fahrene Mama. 
Nach zehn Minuten kommt Lotte: 
„Der Pudding muß sogar wunderbar gewor 
den sein; ich habe gleich alle schmutzigen Messer 
hineingesteckt und sie sämtlich rein herausbekom 
men 
Drastischer Vergleich. 
„Können Sie diese Schriftzüge entziffern?" 
„Nein, entweder ist das chinesisch, oder ein 
Arzt hat's geschrieben." 
Eine treue Seele. 
„Nun, wie sind Sie denn mit der neuen Uhr 
zufrieden, die Sie bei mir gekauft haben?" 
„Nach einer Seite hin außerordentlich gut. Die 
Uhr ist wirklich zuverlässig und anhänglich wie 
ein Freund." 
„Wußte ich, meine Uhren sind alle gut!" 
„Ja, wenn ich gehe, dann geht sie auch, und 
stehe ich, gleich bleibt die treue Seele auch stehen." 
„Dem Herrn, den ich eben so höflich grüßte, 
bin ich viel schuldig geworden." 
„Ein Wohltäter?" 
„Nee, bloß mein Hauswirt." 
Geleitet von Schachmeister Brinckmann. 
Eine verzwackte Kombination! 
a b c d e t g ii 
Weiß: Dr. L. Schwarz: Brinckmann. 
Allzuviel war in der Tarrasch-Aera im Schach 
von Methode, Stratagemen, von aufgeplusterten 
Theorien die Rede, allzuwenig von der be 
rückenden Romantik der Kombination, dem Mit 
reißenden des Abenteuers! Schach ist kein rein 
logisches Problem, sondern mehr noch das Problem 
des Kampfes mit seinen kühnen Entwürfen, sei 
nem Auf und Ab, seinem unsicheren Ende. Die 
Phantasie, das starke Gefühl spielen durchaus 
erste Geigen in diesem Orchester erhebender An 
triebe. 
Die Kombination, die aus obiger Stellung 
entspringt, wird — so hoffen wir — ihrer scharfen 
Pointen wegen das Gefallen unserer Leser finden. 
1. 8-3—05 Sf6Xd5! 
Ein unerwartetes Damenopfer, das in seinen 
letzten Konsequenzen keineswegs auszurechnen 
war, sondern zum guten Teil aus dem richtigen 
Gefühl für die Möglichkeiten dargebracht wurde. 
2. Lg5Xe7 Ke8Xe7 
3. Lc4Xd5 Lc8—g4 
Das ist der Angelpunkt der Kombination. Tie 
Antwort k2—Î3 verbietet sich für Weiß wegen ÜXk3. 
Die Dame muß also schon die Flucht ergreifen. 
Aber wohin? Auf Dck3 würde Le2, Dc3, Lf3 mit 
der Doppeldrohnng TXs2 und Se2+ folgen, auf 
Del nicht weniger schrecklich IR3! Es bleibt der 
weißen Jungfrau also lediglich die finstere Ecke bl. 
4. Ddl—bl Sd4—e2+ 
5. Kgl—hl Tg8—h8 
6. g2—g3 Lg4-f3+ 
7. Khl—h2 Ta8—gS! 
Jetzt ist der schwarze Aufmarsch beendet. Alle 
Figuren wirken beim entscheidenden Ansturm 
mit. 
8. Kb2—h3 
Um dem auf li4 drohenden Einbruch vorzubeu 
gen. Es zeigt sich jedoch, daß es keinen Widerstand 
mehr gibt. 
8. Th8Xh4! -1- 
9. g3Xh4 
Oder KXh4 Th8+ usw.! 
9. Se2—14+ 
10. Kh3—h2 Tg8—g24- 
11. Kh2—ht Tg2—g4-i- 
12. Khl—h2 Tg4Xh4-(- 
;; .nebst Matt im nächsten Zuge. 
Paul Enderlmg 
Hi Slita Breiter mis 
Copyright 1929 by Karl Köhler u. Co., 
Berlin-Zehlendorf, Machnower Str. 24. 
(Nachdruck verboten.) 
Entsetzt sah Jutta ihn an. Hatte er vorhin 
wirklich nicht zugehört? Sie wollte auffahren, aber 
sie bezwang sich. Cs gab ja auch noch andere Deu 
tungen bei diesem rätselhaften und widerspruchs 
vollen Mann, der ihr Dater war. 
So stammelte sie nur, hin und her geworfen 
von Glück und Beschämung: „Er wird antwor 
ten... er wird kommen... er wird bauen..." 
Ein kleines Klirren wurde vernehmbar: die 
kleine Bronzemünze war aus ihres Vaters Hand 
auf den Boden gerollt. Hatte seine Hand doch ge 
zittert? 
Sie bückte sich eilig. Als sie dabe-' an seinen 
Kopf stieß, lachte sie leicht auf. Dann umfingen ihre 
Hände Reinhagens Wangen und sie küßte ihn wie 
der. Sie konnte nicht anders. 
„Ob du willst oder nicht —", sagte sie dabei, 
weinend vor Glück und Zärtlichkeit. Dann Prang 
sie auf und rannte hinaus, wie beschämt. Sie ver 
gaß ganz die Münze. 
Als sie die Treppe zur Halle zur Hälfte hinun 
tergelaufen war, blieb sie plötzlich stehen, beide 
Hände jäh an die Brust gepreßt. 
Unten stand Georg Dollingen und seine Augen 
flehten ihr entgegen. 
Ihre Knie begannen zu zittern, als sie ihn be 
trachtete. Mein Gott, wie blaß sah er aus! Wie 
zerwühlt war sein Gesicht! 
Es dauerte lange, unendlich lange, bis er 
lprach. „Verzeihung, ich komme nur ... ich komme 
.. aber können wir das nicht wo anders be 
sprechen?" 
Sce nickt nur, zu keinem Worte fähig, und ging 
sangsam, sich am Geländer haltend, die Treppe hin 
ab, dann dicht an ihm vorüber, zum nächsten Zim 
mer, dessen Tür sie öffnete. Es war das japanisch« 
Zimmer, wo damals Vorheck auf sic eingesprochen 
hatte. 
Als er ihr Kleid streifte, schoß ein glühendes 
Rot in sein Gesicht, und er folgte ihr nach kurzem 
Zögern, als bereue er, nun mit ihr allein zu sein. 
Sie blieb mitten im Zimmer stehen, die Hand 
aus den Teetisch stützend. Warum schwieg er noch 
mmer? 
Sein Kopf war gesenkt, als er endlich begann: 
„Ich hätt« n'chi gedacht, daß wir uns noch einmal 
wiedersehen würden... daß wir uns hier wieder 
sehen würden... aber ich hielt es für meine Pflicht, 
Ihnen und Ihrem Vater gegenüber..." 
„Pflicht?" unterbrach sie ihn mit zuckenden 
Lippen. „Nur Pflicht?" 
Seine Hand machte eine bittende Gebärde: 
mach' es mir nicht noch schwerer, als es ist!" 
„Sie haben für mich getan", fuhr seine rauhe, 
des Redens entwöhnte Stimme fort, „was kein an 
derer Mensch für mich getan hätte — und wahr 
scheinlich noch mehr, als ich weiß. Sie sind die Ein 
zige gewesen, die an mich geglaubt hat, in dieser 
grauenvollen Zeit. Ich werde immer Ihr Schuld- 
ner bleiben... ich will Ihrer dankbar noch in mei 
ner letzten Stunde gedenken, auch wenn sie viel 
später kommt, als ich es hoffe, als ich es inbrünstig 
hoffe..." 
Ihr Ohr fing seine Worte nicht auf; sie sah nur 
immer sein zerquältes Gesicht, in dem tiefstes Lei 
den seine Spur gegraben hatte. Was sollten ihr da 
seine „russischen" Gedanken! Helfen wollte sie ihm; 
ihr Blut zog sie zu ihm. 
„Aber", fuhr Georg Dollingen dunkel fort, „Sie 
werden begreifen, daß ich nur hierher kommen 
konnte, um Abschied zu nehmen..." 
„Abschied?" wiederholte sie erregt, bereit, zu 
ihm zu gehen und ihn zu halten. 
„Es muß sein. Das begreifen Sie doch? Als 
ich Sie noch unter dem anderen Namen kannte, un 
ter den anderen Bedingungen, da hatte ich eine 
wahnsinnige schöne Hoffnung . .aber nun ist so viel 
in mir zerstört worden ... ich bin nur noch ein Frag 
ment meines einstigen Wesens ... und Sie dage^-u 
... " Sein Blick irrte, ohne sie zu treffen, über --en 
Reichtum des Zimmers, diese erlesenen Kostbarkei 
ten, die doch nur ein kleiner Bruchteil vom Hause 
Reinhagen waren. Seine Stimme wurde fester: 
„Es ist zuviel zwischen uns, als daß ich mir dessen 
nicht bewußt werden müßte, auch wenn ich nicht se 
hen wollte. Sie stehen so hoch über mir." 
Unsinn! — dachte Jutta, aber sie biß sich auf 
die Lippen. Sie sah, daß er wund war und ver 
zweifelt. Sie sah aber auch, daß aus jedem seiner 
verzweifelten Worte seine Liebe sprach, seine sehn 
süchtige, herbe Monnesliebe. Lang'tm fühlte sie sich 
erstarken: er gehörte so zu ihr wie sie zu ihm. Nie 
hatten zwei Menschen so zueinander gestrebt. 
Er sprach weiter in einem Sturzbach von Wor 
ten, immer neue Gründe für seinen Abschied an 
gebend — und jeder neue Grund war nur ein Be 
weis mehr dafür, wie unlösbar er mit ihr verbun 
den war. „Sie werden begreifen —" Er schloß 
unvermittelt mit diesem Wort, das er am häufigsten 
gebrauchte. 
Jutta lächelte unter Tränen, als sie endlich 
entgegnete: „Rein, ich begreife nichts von alledem. 
Ich kann Ihrem Gedankcngang gar nicht folgen. 
Sie stellen mich ja viel zu hoch. Als Johanna Rei 
chert — Sie müssen mir die Verkleidung schon ver 
zeihen —" 
„O, verzeihen!" wehrte er ab. 
„— oder als Jutta Reinhagen — ich bin ein 
Mädchen, weiter nichts! Aber da ist doch noch eins: 
der Neubau, Sie haben den Brief meines Vaters 
noch bekommen?" 
„Ja, und er hat mich anfangs sehr ftoh ge 
macht." 
„Aanfangs?" forschte sie angstvoll. Sie hatte 
geglaubt, 'damit die Brücke gefunden zu haben. Seine 
Arbeit — die mußte ihn doch halten. Wie hatte er 
doch damals, in dem Kaffeehaus der Leipziger 
Straße, gestrahlt, als er die Möglichkeit sah, daß 
seine Pläne àstalt gewinnen konnten! Warum 
richtete ihn jetzt nicht der Gedanke auf, wo die Ver 
wirklichung sicher war?" 
„Ich kann die Arbeit nicht übernehmen", sagte 
er mit Anstrengung. 
„Warum nicht?" 
„Sie ist mir nicht wegen Eines Könnens über 
tragen worden —" 
„O, wenn es dos ist!" rief sie lebhaft. „Aber 
mein Dater hat sich selber dafür entschieden, ohne 
vorher ein Wort darüber mit mir zu sprechen. Erst 
vor wenigen Minuten erfuhr ich davon. Ich schwöre 
es Ihnen, und Sie werden mir doch glauben?" 
„Ich kann es dennoch nicht", antwortete er gc- 
guält. „Sie werden begreifen..." Und er setzte 
leise hinzu: „Lassen Sie mich gehen!" 
Da begriff sie, daß er ihr näher war als je, 
näher selbst als damals, da er sie auf den Strand 
getragen. „Leicht wie eine Wolke am Sommerhim 
mel und schwer wie eine Welt voll Liebe —* O, 
sie hatte es gut behalten! 
Ihre Augen blitzten in aufkommendem Ueber- 
mui. „So, Sie wollen nun gehen, womöglich auf 
Nimmerwiedersehen. Wissen Sie auch, was in die 
sem Zimmer vor einiger Zeit geschehen ist? Es war 
gerade am Abend des Tages, wo man so schändlich 
mit Ihnen umging. Sehen Sie sich genau um! 
Spüren Sie nicht etwas?" 
„Japanisch", stammelte er. „Wunderschön, 
diese Satsumavase ... und dies hier ist wohl ein 
Utamaro oder ein Hireofhige? Aber..." 
„Ja, aber fühlen Sie nicht, daß ein schlechter 
Geruch im Zimmer ist? So nach ranzigen Gefllh- 
len? Schnuppern Sie mal! Riecht es nicht nach 
dem Schweiß eines häßlichen, dicken Mannes, der 
mir — mir! — von Liebe stammelt, der bittet, 
droht und verspricht, und alles gleich ekelhaft? 
Riecht es nicht nach Borbeck?" 
Er fuhr zusammen, wie unter einem unvermu 
teten Schlag. „Borbeck?" grollte er auf. „Er 
wagte es? Er wagte es?" 
„Ja, denken Sie, er erlaubte sich das." Ihre 
Stimme wurde leiser, lockender, sie wurde girrend 
und schmeichelnd: „Was hätten Sie getan, wenn Sie 
dazugekommen wären?" 
Aus keuchender Brust rangen sich die Worte: 
„Ich glaube, ich hätte ihn niedergeschlagen, diesen 
Menschen." 
Da ging Jutta die wenigen Schritte, die sie 
noch von ihm Kennten, und blieb dicht vor ihm 
stehen. „Und mit welchem Recht?" 
Georg Dollingen sah sie an, zum ersten Mai 
in dieser Stunde sah er sie voll an. Ihre goldbrau 
nen Augen schimmerten dicht vor ihm zwischen dem 
blonden Haarvorhang. Ihr Mund wölbte sich ihm 
entgegen. Seine Züge entspannten sich jäh. In 
seine Augen kam ein tiefes Leuchten. 
„Weil ich dich liebe", sagten seine Angen. 
„Weil ich dich liebe", sagte nun auch sein Mund. 
„Weil ich dich liebe..." 
Als sie eine Weile in seinen Armen gelegen 
hatte — und er hielt sie ganz zart und vcrsichttg, 
wie einen sehr wertvollen, sehr zerbrechlichen Ge 
genstand — fragte sie ihn unter Küssen, lachend und 
weinend vor Glück: „Und nun baust du unser 
Haus?" 
„Es soll das schönste werden." 
„Und andere Häuser?" 
„Immer neue." 
„Ganze Straßen?" 
„Ganze Städte?" 
. „So ist es recht." Sie lehnte sich an ihn und 
machte sich ganz klein. „Ich will nämlich furchtbar 
stolz auf meinen Monn sein können." 
Ehe er etwas entgegnen konnte, ging eine Tür 
auf. die Matte teilte sich, und Reinhagen stand im 
Zimmer. 
Er schien gar nicht zu bemerken, wie sie auseiu- 
anderfuhren, ging auf Georg zu und sagte mit sei 
ner reservierten Höflichkeit: „Herr Dollingen, nicht 
wahr? Es freut mich, daß ich endlich das Ver 
gnügen habe. Ich erwarte Sie schon lange." 
Jutta sah ihren Pater an und begriff plötzlich, 
daß er längst alles gewußt hatte, daß er sich viel 
leicht viel mehr um sie gesorgt hatte, als sie je ahnen 
würde. Sie verstand mit einem Male, daß 'eine 
Rätsel sich alle mit seinem Wesen erklärten und daß 
er ein Meister des Lebens war — nur eben aus seine 
Art. 
Sie griff rasch nach seiner Linken, und da wäh 
rend ihrer Ueberlegung die Hand ihres Paters noch 
begrüßend in Georgs Hand lag, hielten sie einander 
nun zu dritt wie Verbündete und gegen das Leben 
Verschworene: der „bekannte Sammler und Wissen 
schaftler", der junge Architekt und Jutta, die nichts 
war, als ein Mädchen... 
Ende!
	        
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