Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

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Der WâfrasssNksKgrsfz 
in Wim. 
às âaêķesîKrbrèè. 
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40 Millionen Fronen oller Völker und Rassen 
.bilden die geschlossene Organisation des Interna 
tionalen Frauenbundes der soeben in Wien seine 
Generalversammlung abgehalten hat.. Seit Jah 
ren mehrte sich die Zahl der Länder, die sich den 
Zielen der Frauenbewegung und deren weltum 
spannenden Gedanken des Fortschrittes in der 
Entwicklung erschlossen und Bindung suchten zu 
.gemeinsamer Arbeit. Im Rahmen der Tagung 
fanden mehrere wichtige Konferenzen und öffent 
liche Versammlungen statt, wobei der vom Interna 
tionalen Frauenbund einberufenen Landfrauen- 
konferenz eine besondere Bedeutung zukommt. In 
allen Erdteilen haben sich bereits Landfrauen-Or- 
ganisationen gebildet, aus denen sich in absehbarer 
Zeit eine Weltorganisation konstituieren wird. Von 
Lady Aberdeen begrüßt und unter dem Vorsitz der 
Gräfin Margarete Keyserling!, Deutschland, wurde 
eine Reihe landwirtschaftlicher Probleme erörtert. 
Man hat dabei den Mangel der Organisationen 
der landwirtschaftlichen Bevölkerung hervorgeho 
ben und eine landwirtschaftliche Schulung, Be- 
kanntgebung der neuesten Forschungen durch die 
Vermittlung der Frau, durch Borträge etc. emp 
fohlen. Es konnte auch festgestellt werden, daß sich 
durch den Verdienst und die Arbeit der Landfrau 
Einkommen- und Lebens-Standard verbessert hat. 
Großen Beifall fand der Vortrag von Miß Fry- 
singer vom Landwirtschaftsministerium der Ver 
einigten Stalen. Die Vortragende beleuchtete die 
Markt- undAbsotz-Probleme,Standardisierung land 
wirtschaftlicher Produkte und betonte die Not 
wendigkeit fachlicher Schulung, Bildung und Er- 
holungsmöglichteiten für die Bäuerin zu schaffe». 
700 Delegierte, darunter solche aus den fernsten 
Ländern der Erde waren erschienen, auch promi 
nente Vertreterinnen, bekannt auf dem Gebiet der 
Frauenbewegung, Wissenschaft usw. konnte man 
dort sehen. Wien als Kongreßstadt gab den Ver 
anstaltungen einen anmutigen Rahmen. — Der 
Begrüßungsabend in dem herrlichen Festsaal der 
Hofburg wurde zur Heerschau von Frauen eines 
Lunten Völkergemisches. Bundeskanzler Dr. Scho 
ber konnte mit Recht sagen „Meine Damen und 
nebenbei meine Herren"; neben der Präsidentin, 
Lady Aberdeen, sah man die greise Führerin der 
österreichischen liberalen Frauenbewegung, die 91- 
jährige Marianne Hainisch, und in den Reden, die 
die beiden „Großmütter der Frauenbewegung", wie 
Alice Salomon geäußert haben soll, hielten, wurden 
die Erinnerungen lebendig, die auf Jahrzehnte zu 
rückreichen. Was die zweite Frauengeneralion an 
Arbeit leistete, kam in den Berichten zutage, die von 
den zehn Kommissionen des Internationalen Frau 
enbundes betreffend ihre Tätigkeit, innerhalb der 
letzten Geschäftsperiode erstattet worden sind; es 
wurden aus den großen Fragenkomplexen heraus 
Anträge erstattet, die z. B. besonders was weib 
liche Polizei, Schutz- und Heiratsalter betreffend, 
bemerkenswert sind, ferner die Schaffung eines 
Versicherungssystems für weibliche Auswanderer 
angeregt. Mme. Avril de St. Croix schlägt zum 
Studium die Frage der Ausweisung und Wieder- 
einbllrgerung fremdländischer Protestuierter vor. 
Ueber Kamps gegen Mädchenhandel, aber auch über 
Kindeswohlfahrt, Volkshygiene, Lichtspielwesen u. 
a. m. wird gesprochen und selbst die Frauenstimm 
rechtalliance, deren Präsidentin Mrs. Corbett Ash 
by, eine der bedeutendsten und sympathischsten Er 
scheinungen des Kongresses ist, muß infolge ihres er 
weiterten Programms, das auf staatsbürgerliche 
Frauenarbeit übergreift, zu einer Art Arbeitstei 
lung und -Vereinigung mit dem Internationalen 
Frauenbund gelangen! Von großem Interesse sind 
die Berichte der Delegierten des Völkerbundes, be 
sonders auch der Vortrag, den in einer privaten 
Wirtschaftskonferenz unter Vorsitz des Handels 
ministers Dr. Michael Hainisch Sir Arthur Salier 
vom Völkerbundssekretariat über „Wirtschaftliche 
Faktoren und Weltfrieden" hielt. Vom Jnter- 
nätionalen Arbeitsamt war Mlle. Mundt entsandt; 
man konnte klar die Bedeutung der Fühlung von 
Frauenbewegungen mit diesen großen internatio 
nalen Zentren erkennen. — Großen Eindruck auf 
die Oefsentlich-keit machte der Abend der Jugend, 
die als dritte Generation auf den Plan trat, als 
Rednerinnen Alice Salomon, Mme. Pichon Lan- 
drey. Miß Cristitsch und eine begabte junge Oester 
reicherin, Fräulein Christel Beck-Mauagetta; die 
Themen der Reden in Frageform, das letzte Thema 
„Was wir jungen von der Frauenbewegung er 
warten?" — Abgeklärt hingegen klangen die Rü 
den am Abend des 3. Juni: „Frauen als Vermitt 
lerinnen internationaler Verständigung", Dr. Va 
leria Parker (amerikanische Nationalökonomin), 
Mlle. Shebeko, ehemaliges Reichstagsmitglied (Po 
len), Miß Cornelia Sorabji, Rechtsanwältin (In 
dien), die glänzende Rcdnerin Prinzessin Cantacu- 
zene (Rumänien) und Gertrud Bänmer mit einem 
hervorragenden Referat, behandelten das aktuelle 
Thema. Daurch olle Referate zog der Friedens 
gedanke, im Einklang mit der „goldenen Regel" 
des Internationalen Frauenbundes. „Tu du an 
dern, wie du willst, daß man dir tue.* — An diesem 
Abend kam auch das englische Parlamentsmitglied 
Mr. Clive Morrifon-Bell zum Wort, der ein 
Modell gefchafen hat, das in proportioneller Veran 
schaulichung die Zollschranken, zeigt, die die Völker 
voneinander trennen. Dieses Modell war im 
Vestibül der Hofburg zu besichtigen. — Alan kann 
dem Kongreß auch die große optische Wirkung nicht 
absprechen, die er auf die Oefsentlichkeit ausübte; 
dem tiefer Blickenden bleibt die Frage offen, wie 
wird die Entwicklung der Zukunft fen?, wo sich 
die sogenannten Frauenfragen immer mehr ver 
zweigen. Daß da die weltanschauliche Einstellung 
nicht übersehen werden kann, lehrt bereits die Ge 
genwart; im Hinblick auf weltanschauliche Ein 
stellung hat die katholische Fraucnovganisation Oe 
sterreichs, die kurz vorher au dem katholischen in 
ternationalen Fvauenkongreß in Rom teilgenom 
men hat, von einer offiziellen Beteiligung an dem 
Wiener Kongreß abgesehen. — Zu dem Frauenhand 
buch, das vom Bund österreichischer Frauenver 
eine gelegentlich dieses Kongresses langer Hand vor 
bereitet, herausgegeben wurde, hat die sozialdemo 
kratische Frauenbewegung ein ihren eigenen Stand 
punkt vertretendes sozialistisches Gegenstück ge 
wissermaßen als Begrüßung des Kongresses erschei 
nen lassen. — In verschiedener Form ist also An 
regung von dieser großen Frauentagung ausge 
gangen, und eine Reihe offizieller Empfänge, 
künstlerischer Darbietungen, interessanter in die 
Togungsmaterie einschlägiger Besichtigungen haben 
das bunte bewegte Bild dieser letzten Wiener Kon 
greßzeit noch verschönt und es ist zu hoffen, daß 
damit den Frauenfvagen und vor allem der Völker 
verständigung ein neuer Erfolg beschieden sein wird. 
Olga Rudel-Zeynek. 
Berlin: Die Generalversammlung às Ver 
bandes Deutscher Erzähler wählte u. a. 2 Frauen 
als Beisitzerinnen und zwar Vicki Baum und Clara 
Vieüig. 
Vereinigte Staaten: Die Landwirtschaftliche 
Fakultät an der Universität Wisconsin stiftete 1909 
fünf jährliche Preise für Persönlichkeiten, die sich 
während des Jahres besonders um die Landwirt- 
ichaft verdient gemacht haben. Dieses Jahr emp 
fingen zwei Frauen Preise: Mrs. Meredith, wel 
che die Familienfarm nach dem Tode ihres Gatten 
allein leitete und besonders die Viehzucht ent 
wickelte; ihre Tiere erhielten mehrfach Preise auf 
Ausstellungen; — ferner Mrs. Hamrahan, die eine 
Farm in äußerst schlechtem Zustand übernahm und 
sie zu hoher Blüte brachte. 
London: Wie berichtet, wird die Londoner 
Polizei demnächst acht Frauen für den Detektiv 
dienst anstellen. Diese Detektivinnen werden sich 
mit von Frauen verübten Verbrechen besassen und 
außerdem in Fällen von Mädchenhandel sowie beim 
Verkauf von Rauschmitteln Untersuchungen durch 
führen. 
BuchcmpfchlkMA. 
Führende Frauen Europas. Im Verlag <£. 
Reinhardt, München, erschien der zweite Band des 
von Elga Kern herausgegebenen Werkes, das 
Selbstdarstellungen bedeutender Frauen aus den 
verschiedensten Ländern und Arbeitsgebieten ent 
hält. (Preis 7.50 Rm.) Dieser Band umfaßt 25 
Beiträge; man trifft aus Namen, die man im ersten 
Band vermißte, so namentlich Ricarda Huch, die 
eine einfache sachliche Schilderung ihres Werdegangs 
gegeben hat. Enrica von Handel-Mazetti findet 
Worte über das unbeschreibliche Glück des Schaf 
fenden, die ihr alle schöpferischen Frauen nach 
fühlen werden. Eine reizvolle kleine Dichtung ist 
die Jugend- und Heimatschilderung der Französin 
Colette. Die Chemikerin Professor Andronikow- 
Wrangcll gibt eine Rückerinnernng an die Bolsche- 
wlstenherrschaft in den baltischen.Provinzen, die 
die Forscherin in schwere Gefahr brachte. Marianne 
Hainisch, die mehr als 90 jährige österreichische 
Frauenführerin, die Moskauer Physiologiepro 
fessorin Lena Stern, Helene Vacaresco, die rumä 
nische Völkerbundsdelegierte, Margherita Sar- 
fatti, die Bigraphin Mussolinis, die tschechische 
Senatorin Plaminkowa seien besonders erwähnt. 
Auch wenig genannte Namen findet man, denn dis 
Herausgeberin sieht es als ihre Hauptaufgabe an, 
der Allgemeinheit zu zeigen, daß es auf allen Kul 
turgebieten Frauen gibt, die Spitzenleistungen voll 
bringen, also häufig solche, die außerhalb ihres 
Fachkreises unbekannt sind. Die Schwierigkeit der 
Auswahl zeigt sich natürlich auch in diesem Band; 
immer werden die verschiedenen Richtungen, Be 
strebungen, Weltanschauungen finden, daß sie nicht 
genügend oder überhaupt noch nicht berücksichtigt 
sind. Auch ist der Begriff der „Führenden Frau" 
nicht auf die Mehrzahl anwendbar. Doch bleibt 
dem Leser der Eindruck tapferen zielsicheren Stre- 
bens und bedeutender Leistungen und das ist schließ 
lich das Wesentliche. Johanna Dewitz. 
Vsm Màè Schàihess 
LàrrSwà. 
Die Jahresberichte der kolonialen Frauenver 
eine zeigen, daß Rendsburg verhältnismäßig große 
Ortsgruppen besitzt. Gewiß ist darum auch hier für 
Schriften Interesse, die vom Leben und Wirken 
Deutscher im fernen Ausland berichten. Eine be- 
sondere Stellung in diesem Schrifttum nehmen 
die Werke Albert Schweitzers ein. Und wer seine 
Werke, Zwischen Wasser und Urwald, Mitteilungen 
aus Lambarene; Aus meiner Kindheit und Ju 
gendzeit; Perfall und Wiederaufbau der Kultur. 
Beckfche Verlagsbuchhandlung, München, kauft, hilft 
mit au seinem Lebenswerk, denn ihr Erlös fü. | 
diesem zu. Wer ist denn Albert Schweitzer und wer 
ist sein Werk? In dieser Zeit der Skandale und 
der Geldgier wirkt es fast wie ein Wunder, seine 
Geschichten zu hören. Und wir Deutsche dürfet 
stolz und dankbar sein, daß „er unser ist". Albert 
Schweißer wurde schon frühzeitig Professor der 
Theologie — den Dr. phil. hatte er sich auch schon 
erworben — an der Universität Straßbuvg. Außer 
dem war und ist er einer der besten Orgelspieler 
Deutschlands, ein hervorragender Bachkenner, Ver 
fasser eines in 3 Sprachen übersetzten Buches über 
Ioh. Seb. Bach. Mit 30 Jahren fängt er an, neben 
seiner Lehrtätigkeit auch noch Medizin zu studieren 
und wird 1913 Dr. med. Und dann — gibt er 
alles in Deutschland auf, seinen Lehrstuhl, seine 
Musik, seine Schriftstellerei, Heimat und Freunde, 
um nach Zentral-Afrika zu gehen und dort den 
Kranken zu helfen, von deren großer Not er gehört 
hatte. Das Gleichnis vom reichen Mann und ar 
men Lazarus läßt ihn nicht mehr los: vier Euro 
päer mit allen Mitteln der Wissenschaft sind der 
reiche Mann, die Schwarzen, zumal die Zentral- 
Asrikas, in der Heimat der Schlafkrankheit, leiden 
Not körperlich und seelisch wie der arme Lazarus. 
Es ist für Schweitzer ein Gebot christlicher Nächsten 
liebe, zu helfen, wo die Not am größten ist. Alles, 
was sein Bach-Buch und seine Orgelkonzerte ein 
gebracht haben, widmet er seinem Hilfswerk, das 
durch die Güte vieler Freunde in Deutschland und 
anderer Länder für mehrere Jahre sichergestellt ist, 
und schisst sich mit seiner Frau, die die Kranken 
pflege erlernt hat, 1913 nach Lambarene im Kon- 
gogebiet ein, wo ihm auf dem Gebiet der franzö 
sischen Missionsstation ein Haus zur Verfügung ge- < 
stellt wird. Von seinem ersten Arbeitsja.hr be 
richtet sein Buch: Zwischen Wasser und Urwald, 
weiteres schildert er in den „Mitteilungen aus 
Lambarene". Er findet so erdenklich viel Not vor, 
daß seine Tage immer zu kurz für alle Arbeit sind. 
„Daß ich die Tage der Qual von ihnen nehmen darf, 
das ist es, was ich als die größte Gnade empfinde, 
denn der Schmerz ist ein schlimmerer Herr als der 
Tod." Die Bescheidenheit, die auch aus diesen 
Zeilen spricht, ist der Grundzug seines Charakters, 
er ist das Werkzeug, Gott gibt Kraft und Gnade. 
Er ist nicht nur Arzt, er ist auch Missionar. Er 
sieht, was ein Europäer ohne eigenen Augenschein 
nie glauben würde, wie grausig das Leben der 
armen Menschen ist, die ihre Tage in Furcht vor 
Fetischen verbringen. Da hält er es für Menschen 
pflicht, den primitiven Völkern eine neue Weltan 
schauung zu bringen. Auch der größte Skeptiker, 
meint Schweitzer, würde an Ort und Stelle Freund 
Ban Kerr Leide« emes 
weiblichen Genres. 
Vigee Le Brun, wohl die berühmteste fran 
zösische Malerin, hat in ihrem Leben eine große 
Anerkenung, aber auch viel Neid, Mißgunst und 
Verleumdung erlebt. In ihren Lebenserinnerungen 
klagt sie immer wieder über die Verleumdungen, die 
man gegen sie ausstreute. Das unglaublichste war 
wohl die Behauptung, ihre Bilder feien gar nicht 
von ihr, sondern von einem männlichen Maler, 
M. Menageot, obschon dieser eine völlig entgegen 
gesetzte Art zu malen hatte. Auch malte Vigee 
Le Brun vor allem Portraits, und alle diese Per 
sonen, die ihr gesessen hotten, waren Zeugen ihres 
Schaffens. Man sieht, in welchem Maße sich die 
Bosheit über die Leistungen einer Frau auswirken 
kann. „Obgleich ich das harmloseste Geschöpf war, 
das je existierte", schreibt die Malerin selbst, „so 
hatte ich doch Feinde; nicht allein waren mir einige 
Frauen böse, daß ich nicht so häßlich war wie sie, 
auch mehrere Maler konnten es mir nicht verzei 
hen, daß ich eine große Zugkraft auf das Publikum 
ausübte — und daß meine Bilder teurer bezahlt 
wurden als die ihren. Daraus folgte, daß man mir 
tausenderlei Dinge nachsagte, von denen mich eines 
tief betrübte. Kurze Zeit vor Ausbruch der Revo 
lution malte ich M. de Calonne und stellte sein 
Portrait im Salon aus; ich hatte den Minister 
sitzend, bis zur halben Höhe der Beine gemalt, was 
Mademoiselle Arnault, als sie es betrachtete, zu 
dem Ausspruch veranlaßte: „Madame Le Brun hat 
ihm die Beine abgeschnitten, damit er am Platze 
bleibt." Leider war dies witzige Wort nicht das 
einzige, zu dem mein Bild Anlaß gab, ich sah mich 
bei dieser Gelegenheit Verleumdungen der schlimm 
sten Art ausgesetzt. Zuerst wurden tausend abge 
schmackte Geschichten über die Bezahlung des Bil 
des in Umlauf gesetzt. Die einen behaupteten, der 
Generalkontrolleur hätte mir eine große Anzahl 
in Kassenscheinen eingewickelter Bonbons zugeschickt, 
andere sagten, daß ich in einer Pastete eine Sum 
me Geldes, groß genug, um den Staatsschatz zu 
ruinieren, erhalten, schließlich tausend Lesarten, 
von denen eine so lächerlich war als die andere. 
Tatsache ist, daß M. de Calonne mir viertausend 
Francs in Kassenscheinen in einer Dose schickte, vie 
auf zwanzig Louisdor geschätzt wurde. Einige von 
denen, die zugegen waren, als ich die Dose erhielt, 
leben noch und können es bestätigen; mau wunderte 
sich sogar über die geringe Summe, da ich nur kurz 
zuvor von M. de Beaujon, den ich in derselben 
Größe gemalt hatte, achttausend Francs erhielt, 
ohne daß jemandem eingefallen wäre, diesen Preis 
zu hoch zu finden. Jdessen wurde dies Thema von 
böswilligen Menschen immer wieder zu neuen 
Klatschereien ausgesponnen. Man beschuldigte mich 
in Schmähschriften, mit M. de Calonne in intimen 
Verhältnissen zu leben. Ein gewffser Gorsas, der, 
wie man mir sagte, ein wütender Jakobiner sein 
sollte, den ich aber niemals gesehen habe, stieß 
schreckliche Lästerungen über mich ans". Die Ma 
lerin war um so betroffener über die Verleumdun 
gen, als sie ein ziemlich einfaches Leben führte und 
Herr de Calonne ihr auch nie verführerisch erschien, 
„denn er trug von Amts wegen eine Perücke. Eine 
Perücke! Stellen Sie sich nur einmal vor, wie ich, 
mit meiner Liebe für das Malerische, mich an eine 
Perücke hätte gewöhnen sollen! Ich habe stets ein 
Grauen davor gehabt, so daß ich eine sehr reiche 
Heirat ausschlug, nur weil der Bewerber eine Pe 
rücke trug, und nur ungern malte ich solche Her 
ren." Die Künstlerin war mit einem Manne ver 
heiratet, der sich des ganzen Geldes, das sie ver 
diente, bemächtigte, ohne es nötig zu haben. Sie 
hatte oft nicht mehr als 6 Francs in ihrem Besitz, 
obfchon sie große Summen mit ihren Bildern ver 
diente. Doch lassen wir die Malerin mit den ei 
genen Worten der Erinnerung sprechen: „Im Jahre 
1788 malte ich das Bald des schönen Prinzen Lu- 
bomirski, damals ein Jüngling; seine Tante, die 
Prinzessin Lubomirfta, schickte mir dafür zwölf- 
tausend Francs, ich bat Herrn Le Brun. mir zwei 
Louis davon zu lassen, er schlug es mir indessen 
ab und behauptete, er bedürfe der ganzen Summe, 
um gleich einen Wechsel -damit einzulösen. Ge 
wöhnlich kassierte übrigens M. Le Brun das Geld 
selbst ein und versäumte sehr oft, es mir zu sagen. 
Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich — es 
war im September 1789 — das Geld für ein Por 
trait erhalten, es war das von Bailley de Cruffol, 
der mir hundert Louis schickte. Glücklicherweise 
war mein Gatte nicht zu Hause, so konnte ich die 
Summe behalten, die mir nur wenige Tage später 
(den 5. Oktober) dazu -diente, noch Rom zu gehen." 
Die Künstlerin malte auch ein großes Bild der 
Königin Marie Antoinette mit ihren Kindern. Der 
König wollte ihr das'Ordensband des Saint-Michel 
verleihen, das nur an Künstler und Gelehrte ersten 
Ranges verliehen wurde. „Gerade damals hef 
teten sich die gehässigsten Verleumdungen an meine 
Person, ich fürchtete daher, daß durch eine so hohe 
Auszeichnung der bereits erregte Neid den Gipfel 
punkt erreichen würde, und von Dankbarkeit durch 
drungen bat mich dennoch M. dÄngevilliers, alles 
aufzubieten, um den König von dem Vorhaben ab 
zubringen, mir die hohe Gunst zu gewähren". — 
Obschon Bigee Le Brun einfach lebte, wurde ihr 
gern Verschwendung unterstellt. Don einem kleinen 
Fest, das ihr 15 Francs gekostet hatte, erzählte 
man zuerst in Paris, daß es 20 000 Francs ge 
kostet hätte, allmählich brachte das Gerücht es sogar 
auf 80 000 Francs. Einen ihrer Pariser Ver 
leumder, den sie persönlich nie gesehen, von dessen 
ungünstigen Reden sie aber gehört, traf sie in Pe 
tersburg. Er besuchte eine Freundin, bei der sie 
sich gerade aufhielt und sie versteckte sich hinter dem 
Vorhang. Die Freundin brachte nur die Rede auf 
Vigee Le Brun, da trat diese hervor und sagte: 
„Mein Herr, Sie kennen also Madame Le Brun 
sehr gut?" Er ist nun gezwungen, Ja zu sagen — 
„Das ist doch seltsam", fahre ich fort, „denn ich, 
mein Herr, bin Madame Le Brun, dieselbe, die Sie 
verleumdet haben, und ich sehe Sie heute zum 
erstenmal in meinem Leben." Diese Worte machten 
einen solchen Eindruck auf ihn, daß ihm die Knie 
schlotterten. Er nahm seinen Hut, ging hinaus 
und ward seitdem nicht wieder gesehen, denn in den 
besten Häusern wurde der Befehl erteilt, ihn an der 
Tür abzuweisen. In Petersburg fand die Künst 
lerin viel Beifall, die große Katharina unterstützte 
sie, aber ihr Günstling Zuboff, ein Mann von 21 
Jahren, verfolgte sie mit seinem Haß. Die Malerin 
malte das Bild der beiden Enkelinnen der Kaiserin 
Katharina in einfacher griechischer Gewandung. 
Darauf ließ der Günstling Zuboff ihr sagen, daß 
Ihre Majestät an der Kostümierung Anstoß ge 
nommen hätte. Das Bild wurde nun ganz verän 
dert, dann erst erfuhr die Malerin, daß Zuboff ihr 
einen Streich gespielt habe. Es blieb aber nicht bei 
diesem einen, Vigee Le Brun erzählt noch einen 
andern: „Um das Portrait der Großfürstinnen und 
andere meiner Arbeiten zu sehen, kamen eine 
Menge Menschen zu mir. Da ich nicht meine gan- 
zen Vormittage verlieren wollte, hatte ich den 
Sonntag dazu bestimmt, mein Atelier zu zeigen, wie 
ich es stets in allen Ländern, in denen ich gewesen, 
getan. Meine Wohnung lag dem Palast gegen 
über, alle diejenigen also, die der Kaiserin ihre 
Aufwartung gemacht, hatten nur nötig, ihre Wa 
gen wenden zu lassen, um gleich darauf vor meiner 
Tür halten zu lassen. Zuboff, der augenscheinlich 
nicht begreifen konnte, daß man sich in Massen zu 
einer Malerin begab, um Bilder bei ihr anzusehen, 
sagte eines Tages zu Ihrer Majestät: „Sehen S''e 
nur, Madame, man macht auch Madame Le Brun 
den Hof, sicherlich sind es Stelldicheine, die man sich 
bei ihr gibt". Zu meinem Gluck glitt die böse 
Rede an dem hohen (Seifte, an den sie gerichtet, ab. 
Die Kaiserin schenkte den Worten ihres Günstlings, 
in denen so viel Ungeschicklichkeit und Hinterlist 
lagen, keine Aufmerksamkeit, aber der Prinz von 
Nassau hate sie vernommen und teilte sie mir gleich 
mit, so entrüstet war er darüber". — Die Verleum 
dungen, denen die qroße Malerin ausgesetzt war, 
haben ihr manches Mal „das Berühmtsein" verlei 
det, besonders, so lagt sie selbst, wenn man das Un 
glück hat, Frau zu sein. Und hat man denn je 
erlebt, daß ein großer Ruf, welcher Art er auch sei, 
nicht Mißgunst hervorgerufen hätte? 
Dr. M. Vaerting.
	        
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