Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

Scfyîeswig-Bolfteîmfdje 
123. Jahrgang. 
123. Jahrgang. 
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DslķrMg. den 19. 3uni 
lassen. (Hochrufe.) Wir werden sie eine große 
Entschädigung zahlen lassen. (Hochrufe.) Sie 
verlangten von Frankreich 1871 eine große 
Entschädigung. Wir werden sie das Zehnfache 
zahlen lassen. (Anhaltende Hochrufe.) Zwei 
hundert Millionen mal zehn gleich 2000 Pfund 
Sterling." Jedermann war begeistert." 
Diese und ähnliche Worte Churchills, die 
man massenhaft aufstöbern kann, haben wir 
„golden" genannt, weil sie endlich genutzt 
werden sollten, sie in Gold, in Golderspar 
nissen für Deutschland auszuwerten. Sie be 
weisen, daß immer die Möglichkeit bestanden 
hat, selbst in den Zeiten der größten Erbitte 
rung, der wildesten Kriegspsychose, für trag 
bare Kriegstribute auch die Massen der gegne 
rischen Länder zu gewinnen. Und diese Mög 
lichkeiten sind heute noch vorhanden und müs 
sen endlich wahrgenommen werden. 
„Berliner Tageblatt" hält es für unmöglich, 
daß die Regierung versuchen werde, die Auto 
rität des Reichspräsidenten für das Finanz 
programm heranzuziehen, nachdem die Regie 
rung schon aus früheren Anlässen vor dem 
Gebrauch dieser Autorität zu Zwecken des 
politischen Tageskampfes auch ans ihrem 
eigenen Lager nachdrücklichst gewarnt wor 
den sei. Der „Vorwärts" meint, das Reichs 
kabinett habe sich so stark mit Dr. Molden 
hauer solidarisiert, daß sein Rücktritt notwen 
dig den formellen Rücktritt des gesamten Ka 
binetts nach sich ziehen müßte. 
Goldene Worte Churchills. 
Zur Auflegung der Pounganleihe und 
dem größten Geschäft der Weltgeschichte. 
Von Paul Oskar Seidl. 
Die Mobilisierungsanleihe für den Aoung- 
plan ist am 13. Juni 1930 unter der Bezeich 
nung „Internationale Anleihe des Deutschen 
Reichs "im Normalwert von rund 331 Milli 
onen Dollar, im tatsächlichen Wert von jedoch 
nur 300 Millionen Dollar, zur Zeichnung auf 
gelegt worden. Mit diesem weltgeschichtlichen 
Vorgang eröffnet Deutschland seine Zahlun 
gen auf eine Tributabmachung, die planmäßig 
noch auf unseren Kindern, Enkeln und Ur 
enkeln lasten soll. Niemand wird die schwie 
rige Arbeit der deutschen Unterhändler in 
Paris gegen die geschlossene Phalanx der in 
ternationalen Bankiers unterschätzen. Jeder 
mann muß aber im gleichen Augenblick ein 
räumen, daß die Gegenseite durch den hohen 
Zinssatz von 5J4 Prozent — gemessen an der 
internationalen Geldlage — und den lächer 
lich niedrigen Ausgabekurs von 90 Prozent 
für eine Anleihe, hinter der das Deutsche 
Reich und obendrein die Geschütze, Flugzeuge 
und Gasbomben der anderen Seite stehen, die 
drückenden Lasten des Haager Abkommens 
verschärfte und Deutschlands Anleiyemöglich- 
keiten für die nächste Zukunft verschlechterte. 
Es .bleibt dabei nur eine kennzeichnende Ein 
zelheit, daß die amerikanischen Bankiers durch 
die hohe Kommission von 4 Prozent (!) für 
ihre Bemühungen um die Unterbringung der 
Anleihe wiederum den Löwenanteil der ge 
schäftlichen Ausbeute bei dieser Transaktion 
an sich rissen und daß cs der Gouverneur der 
Bank von England, Montagu Norman, gewe 
sen ist, der zunächst diese unverschämte For 
derung bekämpfte und dann klein beigab. 
Selbst bei der Regelung dieser unterge 
ordneten Frage ergab sich ähnlich wie beim 
Tawesvertrag ein anderes Mal, daß die bei 
spiellose Geschäftswut Amerikas den Truck ge 
gen uns verstärkte und unsere Gesamttagc 
verschlimmerte. Das geschieht wiederum bei 
einem Vertrage, dessen Durchführbarkeit, ganz 
abgesehen von nationalen, politischen, morali 
schen, ethischen Vorstellungen und Wünschen, 
rein sachlich, rein finanziell kein ernsthafter 
Beurteiler des In- und Auslandes für mög 
lich hält, dessen Zusammenbruch nur die 
Kühnsten und Vertrauensvollsten erst nach 
einem Jahrfünft erwarten. 
Winston Churchill bestätigte im englischen 
Unterhaus erst kürzlich wieder bei der Bera 
tung zur Flottenkonferenz seinen Mut zur 
Indiskretion im rechten Augenblick. Bon In 
diskretionen — unter Zugrundelegung des 
Maßstabs, daß er zu den gegnerischen Aus 
ländern gehört, die eigentlich zur Verteidi 
gung der Kriegspolitik und der Friedens 
schlüsse bis zur vollendeten Idiotie verurteilt 
wären — wimmeln auch die zahlreichen Er 
innerungsschriften, die Churchill über den 
Krieg und die Friedensschlüsse verbreitet hat. 
In den wegen ihres Freimutes und ihrer 
Anfrichigkeit verdienstvollen Memoiren Chur 
chills wird offenherzig auch über die mög 
lichen Tributzahlungen Deutschlands gespro 
chen. Geben mir ihm das Wort: 
„Am Abend des Waffenstillstandes" .... 
speiste Churchill mit Lloyd George und meint: 
„. . . . war meine eigene Stimmung geteilt 
zwischen der Sorge um die Zukunft und dem 
Wunsche, dem gefällten Gegner zu helfen. Das 
Gespräch berührte die großen Eigenschaften 
des deutschen Volkes, den furchtbaren Kampf, 
den die Teutschen gegen drei Vierteile der 
Welt ausgefochten hatten, und die Unmöglich 
keit, Europa ohne ihre Hilfe wieder aufzu 
bauen." 
„Jene, die im Kriege am allerwenigsten 
geleistet hatten, waren ... die lautesten in 
der Erörterung der Buße der Besiegten." Das 
ist gegen einen vornehmen Parteigenossen ge- 
i chtct, der tu e'ner Wahlversammlung er 
klärte: „Wir werden die deutsche Zitrone aus 
pressen, daß die Kerne quieken!" 
Churchill berichtet über Lloyd George, daß 
diesem ein Gutachten von Lord Cunliffe, dem 
Gouverneur der Bank von England, vorlag 
und dieser eine jährliche Zahlung durch die 
feindlichen Mächte (nicht Deutschland) allein 
von 12 000 Millionen, den Zinsen eines Ka 
pitals im Gegenwartswert von 24 000 Milli 
onen Pfund, also 480 Milliarden Mark, be 
fürwortete, und sagt dazu: „Lloyd George 
hatte diesen schwindelerregenden Bericht vor 
Augen, als er seine Rede in Bristol hielt. Er 
nahm ihn nicht zur Kenntnis. Ungeachtet der 
öffentlichen Leidenschaften und des Gutachtens 
des Bankgouverneurs gab er eine zurückhal 
tende und vorsichtige Erklärung ab." 
„Ein Ausschuß von hohen Finanzbeamten, 
mit dem tiefen Wissen ihrer Abteilung aus 
gerüstet, hatte bereits berichtet, daß auf 30 
Jahre verteilt ein Gesambetrag von 2000 
Millionen Pfund Sterling (also 40 Milliarden 
Goldmark) eine vernünftige und praktisch er 
reichbare Summe darstelle, die Deutschland 
zahlen könne." (Wir leisteten nach amtlicher 
Schätzung bis zum 1. September 1929 rund 33 
Milliarden Mark und — mutzten uns trotz 
dem noch im Haag den Aonngplan aufladen 
lassen.) 
„Als ich den Wählern von Dundee gegen 
überstand, blieb ich fest bei dem Vorschlage der 
Finanzbeamten und trachtete die Sache so gut 
wie möglich herauszustreichen. Ich sagte: 
„Wir werden sie eine Entschädigung zahlen 
Wir haben schon einmal darauf hingewiesen, 
daß es sich bei den jetzigen Vorgängen in Berlin 
um einen Machtkampf zwischen Parteien und Re- 
gierungsautorität handelt, soweit man die grund 
sätzliche Frage ins Auge faßt. In diesen Ausein 
andersetzungen dreht sich nun die parlamentarische 
Kugel im Kreise, und wir kommen von einer gro 
ßen Koalition über den Frühjahrsanlauf der star 
ken Hand zu einer neuen großen Koalition, die 
allerdings die Sozialdemokratie erst nach Neu 
wahlen will, weil sie glaubt, eine gute Vorbedin 
gung für Wahlen zu haben, nachdem sie sich von 
der eigenen Verantwortung entlastet hat. Wir 
bringen weiter oben ein humoristisches Bild. 
das die Vorgänge in satirischer Weise fest 
hält und namentlich die Flucht der Parteien vor 
Verantwortung drastisch darstellt und den letzten 
in beneidenswerter Lage — im Sinne des Par 
teiismus beneidenswert — zurückläßt. Diese Flucht 
vor Verantwortung ist deshalb um so bemerkens 
werter, weil sie eben vor der Wahlkampfbecndi- 
gung in Sachsen besonders nötig ist, weil sonst die 
Berliner Taten und die sächsischen Reden im 
Kampf um die Massenstimmen in einem so starken 
tatsächlichen Gegensatz stehen würden, daß selbst 
ein sehr eingeschrumpftes Gehirn diesen Zwiespalt 
erkennen würde. 
Wie die Dinge* nun weiter laufen werden, 
bleibt abzuwarten. Orakelt wird genug, warten 
wir also ab. was der Alte in Neudeck sagen wird. 
Er wird sich hoffentlich nicht zu einem Fangball 
der widerstreitenden Interessen machen. 
Moldenhaucrs Verteidigung. 
Moldcnhaucr hatte im Reichsrat sein 
Programm wie folgt verteidigt: 
Dies Gesamtprogramm läuft darauf hin 
aus, auf der ganzen Linie zu einer sparsame 
ren Wirtschaft zu gelangen. Daher die Vor 
schläge zur Verringerung des Beamtcnappa- 
rates und der Reform der Verwaltung, die 
in engem Zusammenhang mit den Vorschlägen 
zur Reichsreform gebracht werden sollen. Da 
her die Vorschläge zur Reform der Arbeits 
losen- und Krankenversicherung, die nur die 
erste Etappe ans dem Wege einer großen Re 
form der Sozialversicherung überhaupt sein 
können. Daher auch die Notwendigkeit, das 
Lohnproblem als solches anzugreifen. Die 
Regierung habe gezeigt, daß sie durchaus ge 
willt sei, in dieser Frage ernst zu machen. Das 
zeige die Verbindlichkeitserklärung des Oeyn- 
hausener Schiedsspruches. Es müsse der Ver 
such gemacht werden, ans dem ganzen Gebiete 
der Prodnktion zu einer Senkung der Löhne 
und Preise zu gelangen. Die Regierung wer 
de alles, was in ihrer Kraft stehe, tun, um die 
ses Ziel zu erreichen. In diesem Zusammen 
hang könne dann aber auch nicht an dem größ 
ten Ausgabenposten, den Gehältern, vorbeige 
gangen werden. Es handele sich deshalb nicht 
um ein einseitiges Notopfer, das von einer 
bestimmten Gruppe verlangt werde, sondern 
um einen Versuch, in Wirtschaft und Verwal 
tung die Ansgaben zu senken und damit auch 
zu einer Senkung des Preisniveans zu ge 
langen. Unter diesem Gesichtspunkt einer ge 
meinsamen Aktion und einer Auswirkung aus 
die Preise halte er das Vorgehen der Reichs- 
regicrung für tragbar. Lehne man cs ab, so 
bleibe nur die Möglichkeit, entweder den Etat 
ungedeckt zu lassen oder zu Steuern zu grei 
sen. 
Der Reichsrat lehnte das Moldenhauer- 
sche Programm ab. 
Erklärung der Sozialdemokratischen Reichs- 
tagssraktion. 
Die Sozialdemokratische Reichstagsfrak 
tion teilt mit: Die Soz. Reichstagssraktion hat 
Politischer Tageshumor- 
Welch trauriges Los, nur mit den papieren 
nen Steuervorlagen bekleidet in der Einsam 
keit ausgesetzt zu werden! 
Eine Kabinettskrise. 
Die parlamentarische Kugel 
läuft im Kreise. 
Ein Kabinett der großen Koalition als Ende des Frühlingsanlaufs? 
T-U. Berlin, 18. Juni. 
Ueber dis Sitzung des 
Reichskablnetts am Mittwoch, dis bis gegen 20 
Uhr dauerte, wurde folgende amtlichs Mitteilung 
ausgegeben: „Das Reichskabinett beschäftigte sich 
in seiner heutigen Sitzung mit dem angebotenen 
Rücktrittsgesuch des Reichsfinanzministers Dr. 
Moldenhauer und bat ihn einmütig, von diesem 
Gesuch Abstand zu nehmen. Da der Reichsfinanz 
minister demgegenüber auf seinem Rücktrittsgesuch 
beharrte, wird der Reichskanzler hierüber dem 
Herrn Reichspräsidenten Vortrag halten." 
Reichspräsident v. Hindenbnrg weilt zurzeit 
bekanntlich auf seinem Gut Neudeck in Ostpreußen. 
Wie die Telegraphen-Union erfährt, wird Reichs 
kanzler Dr. Brüning baldmöglichst mit dem Reichs 
präsidenten Fühlung nehmen. Reichsfinanzmini 
ster Dr. Moldenhauer amtiert zunächst noch weiter. 
Dem Ergebnis des Vortrages des Reichs 
kanzlers Brüning beim Reichspräsidenten 
sieht man im Reichstag mit größter Span 
nung entgegen. Dem Vernehmen nach ist 
Brüning nach wie vor überzeugt, daß das 
Teckungsprogramm der Regierung im wesent 
lichen richtig sei und durchgeführt werden 
müsse, wenn auch vielleicht unter Abänderung 
von Einzelheiten. In dieser Hinsicht ist es als 
bemerkenswert zu verzeichnen, daß neuer 
dings als Mittel zum Ausgleich des Haus 
halts auch andere als die bisherigen bespro 
chen werden. So soll durch eine Vereinbarung 
zwischen der Regierung und den Beamtenvcr- 
bänden ein Gehaltsabbau besprochen werden, 
so daß die Möglichkeiten weiterer Abstriche 
im Haushalt gegeben sind. Wer der Nachfol 
ger Moldenhauers sein wird, ist zur Zeit 
noch ungeklärt. Möglicherweise kommt Brü 
ning selbst als Nachfolger in Frage. Ange 
sichts des Ernstes der Lage erscheint es jedoch 
nicht ausgeschlossen, daß das Kabinett in sei 
ner Gesamtheit zurücktritt und an seine Stelle 
eine Neubildung erfolgt, die wohl wieder 
Brüning übernehmen würde. In diesem Falle 
würde allerdings ein Kabinett der großen 
Koalition gebildet werden. 
Bon den Berliner Blättern wird allge 
mein darauf hingewiesen, daß es notwendig 
ist, die Krise, die durch das Rücktrittsgesuch 
des Reichsfinanzministers Dr. Moldenhaner 
entstanden ist, möglichst bald zu beenden. Die 
„DAZ." betont außerdem die Notwendigkeit 
einer gleichzeitigen Umgestaltung des Dek- 
kungsprogramms. Als etwaiger Nachfolger 
Moldenhaucrs wird der preußische Finanz- 
minister Dr. Höpker-Aschoff genannt. Auch 
die „Germania" hält mit Rücksicht auf die ge 
samtpolitische Lage eine beschleunigte Klärung 
der Krise für unbedingt erforderlich. 
Die „Börsenzeitung" spricht die Erwar 
tung aus, daß der Nachfolger Moldenhauers, 
ohne von diesem oder jenem Minister behin 
dert zu werden, den steuerpolitischen Weg des 
Finanzministers verläßt und neue Bahnen 
einschlägt. Das Blatt verzeichnet außerdem 
das unbestätigte Gerücht, daß sich Dr. Kaas 
unter der Hand bei der Sozialdemokratie er 
kundigt haben soll, ob sie nach einem etwaigen 
Sturze der Regierung Brüning geneigt sei, 
an einer Regierung der Großen Koalition 
teilzunehmen. Die Sozialdemokraten sollen 
geantwortet haben: „Ja, aber erst nach Neu 
wahlen." ^Ter „Lokalanzeiger" weist darauf 
hin, daß Staatssekretär Meißner vom Büro 
MUL 
PipSfiSls
	        
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