phantastisch, ging jedoch an die Arbeit und
war tatsächlich zu Anfang 1918 am Ziel. Im
Januar 1918 fand das erste Probeschießen
statt. Am 23. März, 7 Uhr früh, stiegen im
Wald von St. Gobain deutsche Flugzeuge auf
und nebelten die Stellung ein. Am Geschütz
befanden sich die Konstrukteure, Dr. v. Eber
hard und Dr. Rausenberg, zahlreiche Gene
ralstabsoffiziere, an ihrer Spitze der Kaiser,
und Admiral Rogge, der die Bedienung kom
mandierte. Das Geschoß wog 120 Kilogramm.
Seine Anfangsgeschwindigkeit sollte 1600 Mtr.
in der Sekunde betragen. Das Geschoß be
stand aus drei verschiedenen Sprengstoff
ladungen. Zwei andere schwere Geschütze
waren in der Nähe aufgestellt, sie hatten die
Aufmerksamkeit des Feindes abzulenken und
begannen einige Sekunden vor dem ersten
Schuß des Riesengeschützes das Feuer. End
lich ertönte das Kommando: „Feuer!" Nach
fünfzig Schüssen wurde Feuerpause komman
diert. Bei den Stellungen im Bois de
St. Gobain befanden sich fünf Geschütze dieser
Art, von denen eins später durch Rohrkre
pierer außer Gefecht gesetzt und vier voll
ständig verbraucht wurden. Insgesamt wur
den, einschließlich der Modelle, sieben Ge
schütze hergestellt. Wie Oberst Miller in sei
nem aufschlußreichen Buch behauptet, steht
die Herstellung von ähnlichen Geschützen ans
dem Wehrprogramm aller Großmächte. In
der Oeffentlichkeit redet man freilich wohl
weislich nicht davon.
Bunte Welt.
Schlange« als blinde Pasiagiere.
Der Londoner Convent Garden Markt hat
die Reptiliensammlung des Zoologischen Gar
tens neuerdings um eine Lanzenschlange ver
mehrt, die in einer Kiste aus Westiudien ein-
getrosfener Bananen gefunden wurde. Der
Fall ist an sich nicht bedeutsam. Eine junge
Boa constrictor gelangt, in Fruchtkörben ver
borgen, häufig genug nach England. Die Bcr-
waltung des Zoos war deshalb durchaus nicht
überrascht, als sie die Nachricht erhielt, baß
man eine Schlange, die sich um ein Bananen
büschel geringelt hatte, entdeckt habe. Aber
der Wärter, der nach Convent-Garden abge
schickt wurde, um das Reptil in Empfang zu
nehmen, war doch nicht wenig erschrocken, als
er in dem blinden Passagier eine Lanzen
schlange erkannte, eine der gefürchtetsten Gift
nattern, deren Biß unbedingt tödlich ist. Glück
licherweise war das Wetter kalt und das Rep
til infolgedessen erstarrt, so daß der Wärter
den gefährlichen Gast bequem wegschaffen
konnte. Immerhin war es ein Glück, daß sich
vor dem Eintreffen des Wärters niemand
hatte einfallen lassen, die Schlange zu stören,
denn trotz seinem lethargischen Zustand hätte
das amerikanische Mitglied der Familie der
Giftschlangen in ungeschickten Händen recht ge
fährlich werden können. Die Lanzenschlangen
waren seinerzeit in Trinidad eingeführt und
in den dortigen Zuckerrohrpslanzungen aus-
Paul Cnderling
» nta, Mi« Dinti
Copyright 1929 by Karl Köhler u. Co.,
Berlin-Zehlendorf, Mochnower Str. 24.
8) (Nachdruck verboten.)
7.
Ein schwacher Sprühregen rieselte dünn, wie
aus einer leicht verstopften Gießkanne, auf den
Potsdamer Platz.
Georg Dollingen stand, den Rockkragen hochge
klappt, und wartete auf Johanna Reichert. Zwei
Tage lang war sie nicht gekommen, und es war eine
Ewigkeit gewesen. Cs war nichts Bestimmtes aus
gemacht gewesen. Nur so: „Sehen Sle um fünf Uhr
hier nach. Wenn ich mich frei machen kann, komme
ich. Mer, nicht wahr? Wir sind freie Menschen
und üben keinen Zwang aufeinander aus."
Dennoch beunruhigte ihn ihr Wegbleiben:
fühlte sie denn nicht, wie er sich nach ihr sehnte, wie
der ganze Tag nur Wert hatte durch diese Stunden
des Beisammenseins? Er war doch nicht mehr jung
und unbefangen genug, um auch in der enttäuschten
Erwartung die Wonne süßen Schmerzes zu fühlen
und zu durchkosten. Wo war sie in diesem Augen
blick?
Cr sah sie durch fremde Straßen eilen, deren
Namen er nicht wußte ... Er sah sie im Vorzimmer
eines Arztes stehen, den er nicht kannte, und ge
duldig Patienten anhören, die die Sprechstunden
wieder verlängerten ... Er sah sie inmitten einer
verständnislosen Familie, die ihm ftemd war . . .
Aber, wo er sie auch sah, — sie war nicht schuld am
Fernbleiben. Sie dachte an ihn, sie wollte zu ihm,
ihre Gedanken zogen eine Brücke zu ihm, bunt und
leicht wie der Regenbogen, der bald aufziehen
mußt«.
Es war Sonnabend und der Platz füllte sich.
Warum war Johanna nicht unter diesen vielen jun
gen Mädchen, die wie ein Schwarm vom Wind ver
wehter farbiger Schmetterlinge über die Straßen
wirbelten? Und plötzlich kam ihm der dunkle Ge
danke: das Geschick hott« ihn wieder einmal genarrt,
es hatte ihm Johanna Reichert nur gezeigt, wie es
ihm so vieles gezeigt hatte, ohne zu gewähren. Es
hatte die Decke der Himmelswölbung aufgestoßsn
und ihm die Herrlichkeit gewiesen, um dann die
Wolkenwand wieder vorzuziehen und int tropfen
den Regenfall alles zu verschleiern. Sie würde
gesetzt worden, in der Hoffnung, daß dadurch
den Sklaven die Lust genommen würde, einen
Fluchtversuch zu wagen. Aber die menschen
freundliche Absicht der Plantagenbesitzer, sich
einen billigen Wachdienst zu schaffen, rächte
sich auf eine unvorhergesehene Weise. Die
Reptilien vermehrten sich so ungeheuerlich
schnell, daß sie bald eine Landplage wurden
und man sich gezwungen sah, zu ihrer Bcrtil-
gung Schlangensperber einzuführen. Damit
kam man aber aus dem Regen in die Traufe,
denn auch die Sperber vermehrten sich so stark,
daß es bald unmöglich wurde, Hühner zu
halten.
Märchen in Portugal.
Fünf Jahre lang war Picoa in Portugal einer
der beliebtesten Ausflugsorte, weil es bekannt war,
daß man dort in klaren Nächten auf einem Felsen
veritable Meerjungfern beobachten koirnte. Dieser
Tage aber wurde ganz unvermittelt der Besitzer des
Hotels, Bernardo, verhaftet. Infolge einer Indis
kretion hatte nämlich die Polizei in Lissabon erfah
ren, daß es seine Töchter und zwei Dienstmädchen
waren, die dort, mit den Beinen in künstlichen Fisch
schwänzen steckend, sonst „mit nichts an" erfolg
reich bemüht gewesen waren, den Fremdenverkehr
und damit den Konsum des Hotels zu heben.
Kunst und Wissenschaft
Tonfilme für Schwerhörige.
Bisher war cs den Schwerhörigen zwo
möglich, im Lichtspieltheater den Vorführun
gen beizuwohnen und den gleichen Genuß
davon zu haben, wie die übrigen Theaterbe
sucher. Mit dem Auftauchen des Tonfilmes
aber hat sich dies geändert. Der Schwer
hörige ist in den meisten Fällen nicht in der
Lage, das gesprochene Wort oder den Gesang
Hu verstehen, und muß sich mit dem Betrach
ten der Vorgänge auf der Leinwand begnü
gen. Dieser Tatsache hat eines der größten
Pariser Filmtheater, der Patamount-Palast,
Rechnung getragen. In dem Theater wurde
eine Reihe von besonderen Plätzen für
Schwerhörige eingerichtet die als solche ge
kennzeichnet sind. An jedem dieser Stühle
befindet sich eine besonders konstruierte Ver
stärkervorrichtung, die es dem Schwerhöri
gen ermöglicht, den Tonfilm lautstark mit
zuhören. Es wäre zu wünschen, daß eine
solche Einrichtung, die mit keinen allzu
großen Kosten verknüpft ist, auch bei uns
eingeführt wird.
Ei« jugendlicher Komponist.
Ein lljähriger dänischer Knabe, Viggo
Synnestvedt, hat einen „Marche militaire"
komponiert, der so großen Anklang gefunden
hat, daß er in das ständige Musikrepertoire
der Gardekapellc in Kopenhagen aufgenom
men worden ist.
Wie schnell wächst ein Walfisch?
Man sollte annehmen, daß das größte
Säugetier der Welt, das 23 bis 30 Meter lang
wird, Jahrzehnte braucht, um so groß zu wer
den. Aber man wußte es nicht genau, ob diese
Annahme auch stimmte, denn sie paßte nicht
recht zu den Beobachtungen der Walfischfün-
ger. Die Engländer haben nun im vorigen
Jahre eine Expedition in den Sütatlantik ge
schickt, die das Leben der Walfische erforschen
und vor allem die für den Walfischfang wich
tigen Daten des Alters und Wachsens feststel
len sollte. Die Berichte der Expedition liegen
jetzt vor und die Resultate sind teils recht
überraschend.
Die Walfische sind Wandertiere wie die
Zugvögel. Während des Winters aus der süd
lichen Halbkugel, verschwinden sie aus den Ge
wässern von Süd-Georgien, durchqueren den
Ozean und begeben sich an die Küste von Afri
ka. Im folgenden Frühling kehren sie zurück.
In den wärmeren Gewässern des Winters
kommen die jungen Walfische zur Welt. Bei
der Geburt sind sie etwa 7 Meter lang. Ein
Walsischweibchen gebärt alle zwei Jahre ein
Junges, und zwar in den Monaten April bis
Mai. Sie säugt es bis zum Dezember. Die
Milch ist sehr fett, enthält aber weder Eiweiß
noch Zucker. Im Dezember, nach Beendigung
der Säugezeit, ist das Walfischjunge bereits 16
Meter lang. Im Mai des folgenden Jahres
ist das Tier aber bereits ausgewachsen und
geschlcchtsreif. Es hat dann eine Länge von
23 bis 23 Metern erreicht. Das größte Säuge
tier der Welt wächst also in einem Jahre sich
bis zur vollen Reife aus und hält damit zwei
fellos den Wachstumsrekord in jeder Bezie
hung.
Die diesjährigen norwegische«
Eismeerexpeditivnen.
Das norwegische Storting hat in diesem
Winter 110 000 Kronen für Eismeerunter
suchungen bewilligt, und es sollen nicht we
niger als drei Expeditionen daraufhin nord
wärts gehen, eine nach Grönland, eine nach
der Bäreninsel und eine nach Franz-Josephs-
Lanö. Die Grönlandexpedition soll die Ost
küste Grönlands von Scoresbysund soweit
nördlich hinaufgehen, wie man kommen kann.
Unterwegs soll sie die 18 Mann, die zu zweien
an verschiedenen Stellen der Küste überwin
tert haben, ablösen. Die Expedition nach der
Bäreninsel ist eine Vermessungsexpedition,
die am 1. Juli in See geht. Die dritte Ex
pedition wird erst vorbereitet.
Zum Cächeln und Aachen
Okkasio».
Meine Frau bietet mir in meinem Ar
beitszimmer verschiedentlich und recht intensiv
ein Stück Kuchen an, das ich zum Schluß mit
den Worten ablehne: „Quäl' mich doch nicht!"
Da ruft Dorettchen aus dem Nebenzimmer:
„Mutti, quäl' mich!"
Das Kind.
„Papa, wie heißt ein Huhnvater?"
„Hahn."
„Und eine Huhnmutter?*
„Henne."
„Und ein Huhnkind?"
„Küken."
„Da gibt es wohl überhaupt kein Huhn,
das man Huhn nennt.
9"
Deutsche Tüchtigkeit.
Ein „wahres Geschichtchen" aus einer
oberschlesischen Volksschule wird in Reclqms
Universum erzählt: Der „Graf Zeppelin" hatte
seine Weltreise beendet, und am Tage der Lan
dung gab es schulfrei. Daraufhin wurde ein
Aufsatzthema gegeben, das die „Zeppelin-Fe
rien" behandeln sollte. Willi entledigt sich sei
ner Aufgabe also: „Vor drei Wochen hat der
„Graf Zeppelin" seine Weltreise angetreten.
Gestern ist er glücklich zurückgekehrt. Vor
Freuden hatten wir Zeppelin-Ferien. Da
durch zeigen wir Deutschen unsere Tüchtig
keit."
4
Friedliche Revolutionäre.
„Wie nennt man eine Vereinigung, deren
einziges Bestreben der Umsturz ist, mit einem
passenden Wort?" — „Kegelklub!"
Sd?ad?=(2cFe.
Geleitet von Schachmeister Brinckmann.
Kiel. Holtenauerstraße L28.
(Anschr an d. Adresse.)
Wettkampf Ahnes—Brinckmann.
Die Kieler Phase des Wettkampfes hat dem
Berliner eine 4 : 2-Führung gebracht. Er konnte
dem etwas untrainierten Brinckmann die ersten
beiden Partien abnehmen, in der .zweiten fiel der
Sieg allerdings erst an ihn, nachdem dieser ein
Remisangebot des Gegners abgelehnt hatte und
beim Forcieren des Angriffes strauchelte. Die fol
genden vier Partien zeigten dann durchgängig
eine leichte Ueberlcgenheit des Kielers, ohne daß
es jedoch bei der zähen, finessereichen Verteidigung
von Ahnes zum Gewinn ausgereicht hätte. In der
dritten Partie stand Brinckmann nach «nein un-
gemein scharfen Angriff unmittelbar vor einem Er
folge, aber unter dem Drucke der Zeitnot fand er
nicht den rechten Weg und mutzte schließlich mit
einem schmerzlichen Remis zufrieden fein. Mit
welcher Erbitterung gekämpft wurde, zeigte gerade
diese Partie. Neun lange Stunden währte sie
und umspannte 88 Züge! Erst dann — bei beider
seitiger völliger Blutleere — wurde sie unent
schieden gegeben.
Das überhaupt war die Signatur aller sechs
Partien: Kamps. Im Schach spiegelt sich das Leben
wider, es gilt, unter dem Einsatz aller Kräfte und
Ueberwindung berghoher Widerstände einem Ziele
zuzustreben. Nicht die Gesetze der Logik allein
gelten hier, sondern mehr vielleicht noch die Ge
setze der Psychologie. So sind die großen Matadore
des Schachs in erster Linie Psychologen gewesen,
ihre Erfolge wurzelten nicht zuletzt in der Fähig
keit, sich in die Eigenart der gegnerischen Persön
lichkeit und deren Gedankengänge hineinzufühlen.
Allen voran der Philosoph Lasker.
Ahnes hat sich also in dem Kieler Abschnitt des
Wettkampfes eine 4 : 2-Führung erstritten, die ihm
gestattet, den kommenden Dingen gelassen entge-
ge uz »sehen. Die beiden letzten Partien werden am
17. und 18. Mai in Berlin gespielt. Brinckmann
muß also sein Fahrzeug höchste Fahrt laufen las
sen, wenn er seinen Gegner einholen will. Mög
lich ist es jedenfalls, wenn man die letzten vier
Partien einer Borausiaae zu Grunde legt. A. B
heute nicht kommen, wie sie gestern und vorgestern
nicht gekommen war. Es hatte keinen Zweck, zu
warten. Sie würde niemals wiederkommen . . .
Als er so weit in seinen Gedanken war, tippte
das stumpfe Ende eines Damenschirms auf seine
Schulter. Er fuhr herum und sah in junge gold
braune Augen. Er war so durchwirbelt von Glück,
daß er zu grüßen vergaß.
„Woran dachten Sie", fragte sie lächelnd. „Ich
beobachtete Sie nämlich schon ein Weilchen. Sie
machten ein Gesicht, als ob Sie mich das Gruseln
lehren wollten.
Er sah sie groß an. „Ich dachte an Sie und daß
Sie nie wiederkommen würden."
Ein schwaches Erröten flog über ihr Gesicht.
„Ich kannte erst heute fort. Es lag nicht an nur.
Und beinahe wäre es auch heute nichts geworden."
In leichterem Tone fuhr sie fort: „Aber nun bin >ch
ja da und Sie auch. Denken wir nun mal deutsch.
Was machen wir?"
„Wollen wir hinaus ins Freie?"
„Famos!" entfuhr es ihr, und sie lochte über
sein verdutztes Gesicht. „Sie finden mich reichlich
burschikos, wie? Aber daran muffen Sie sich ge
wöhnen, wie andere auch. Es ist viel Bubiges in
mir."
„Es ist viel Weibliches m Ihnen", verbesserte
er ernst und kam sich gleich darauf entsetzlich pedan
tisch vor.
In vollgestopften Wagen, eng aneinander ge
drückt, durchsausten sie die unterirdischen Straßen
der Untergrundbahn. Sie kamen irgendwo zum
Borschein, bestiegen eine Bahn, die trödelnd durch
langweilige Dorstädte raffelte, und landeten nach
unendlicher Zeit in Tegel. Als sie im abgetrampel-
ten Wald gingen, entlang der Wasserfläche, begann
der Himmel aufzublauen.
„Wir haben Glück, Herr Dollingen. Der Him
mel liebt uns."
Er liebt die Liebenden — wollte er zitieren,
aber er wagte es nicht; sie konnte bisweilen schon
verdammt kühl und ablehnend dreinschauen. So
fragte er nur, ob sie rudern wollten.
Die Boote des Uferrestourants waren noch zu
feucht. So warteten sie bei einem graubraunen Kaf
fee, der sich Mokka nannte, bis die mächtig ausglü
hende Sonne nachhalf.
„Was haben Sie heute den ganzen Tag ge
macht?"
„Gearbeitet", antwortete er vergnügt. „Aber
nicht zu heftig. In der Hauptsache have ich auf Sie
gewartet."
„O du lieber Gott, so bin ich am Ende schuld,
daß bas Haus schief wird, an dem Sie bauen?"
„Dafür werden schon die Hypotheken sorgen,
die darauf kommen."
Sie rührte in der Brühe und zwang sich zu klei
nen Schlucken. „Was täten Sie, wenn Sie reich
wären?" fragte er plötzlich.
Er lächelte: das war so eine richtige Klein-Mäd-
chen-Frage. Das träumten sie wohl alle hier.
„Wenn ich reich wäre? Wie sollte ich wohl dazu
kommen?"
Aber sie beharrte auf seiner Antwort.
„Nun, dann würde ich ein eigenes Architekten-
büro errichten und Herrn Vordeck freundlich Balet
sagen. Ich würde Häuser bauen — das Schönste
und Natürlichste, was es gibt. Ich würde wie ein
Teufel arbeiten —"
„Und dann?" In ihren Augen lag ein klein
wenig Koketterie, die ihn verwirrt machte.
Er neigte den Kopf, als er entgegnete: „Und
dann würde ich um eine werben, die ich liebe." Er
hatte das sichere Gefühl, daß sie jetzt aufstehen
würde.
Aber sie fragte nur: „Erst dann?"
Sah sie nicht enttäuscht aus? Hatte ihre Stim
me nicht geschwankt? Aber da fragte sie schon ruhig,
in dem sachlichen Ton, der ihr bisweilen eigen war
und der einen Raum vor sie legte: „Was macht un
ser Neubau? Die Billa, wissen Sie, für diesen
Sammler aus Dahlem — da war es doch wohl?"
Eifrig stürzte er sich auf das unverfängliche
Thema. „Jede freie Stunde habe ich daran gearbei
tet. Sie werden zufrieden sein. Deii Grundriß
brauchte ich nur wenig zu ändern. Und die Zwischen
halle, die Vermittlung von Wohnraum und Samm
lung, ist, glaube ich, in Ihrem Sinne gelöst. Pabmen-
gewölbe, ganz schmal, wie im Artushof zu Danzig
— na. Sie werden ihn nicht kennen. Die Wände
für Gobelins gedacht. Ihre Rischen habe ich fallen
gelassen. Sie hätten die Fläche zu sehr zerrissen."
„Sicherlich ist es so noch viel schöner."
Ein Schotten flog über sein Gesicht. „Ich komme
Ihnen setzt wohl wie ein rechter Don Quichote vor,
nicht wahr?"
„Ich habe den Don Quichote immer für die
edelste Gestalt der Literatur gehalten."
„Ra also", meinte sie lachend.
„Das ist aber nicht mein Ziel, Fräulein Jo
hanna."
„Vielleicht haben Sie aber mit Ihrem Entwurf
Glück?"
„Das bezweifle ich eben. Wenn dieser Herr
Reinhagen nicht einmal von dem berühmten Dor-
beck befriedigt ist, diesem Stolz aller Fachkongresse,
dann wird er mich, den Unbekannten, aller Wahr»
scheinlichkeit nach rausschmeißen. Und ich könnte
es ihm nicht eininal sonderlich übelnehmen."
„Aber ich", sagte sie ehrlich entrüstet.
Er nahm dankbar ihre Hand, die sie ihm ließ.
Sie fuhr nach einer kurzen verlegenen Pause
fort: „Wissen Sie was? Senden Sie den Plan mir
zu. Vielleich>t können wir das Ding so drehen.
M i ch wird er nicht rausschmeißen."
Sie war entzückend, wenn sie berlinerte, und
darum ärgerte Dollingen sich auch nicht über ihre
Anmaßung. Er ließ ihre Hand und sagte mit einem
resignierenden Achelzucken: „Sie stellen sich dos alles
sehr leicht vor."
Sie beugte sich zu ihm vor. „Nun lachen Sie
innerlich über das dumme, dreiste Ding, das ich bin.
Aber Sie werden bald ernster dreinschauen. Mir ist
nämlich in diesen Tagen eingefallen, daß ich ein«
Freundin habe, oder sagen wir eine Bekannte, die
ins Haus Reinhagen kommt."
„Sie?" fragte er mit einer Verwunderung, die
sie eigentlich verletzen mußte.
Sie hatte seinen Zwischenruf wohl gar nicht ge-
hört. „Sie ist Schauspielerin und liest dort aus
neuerer Literatur vor. Die könnte schon vermitteln,
und ich will sie gern überreden."
„Auf solchen krummen Wegen soll ich ans Ziel
komlnen? Fräul. Johanna, so was liegt mir eigent
lich gar nicht."
Wider sein Erwarten schien sein Einwand sie
zu befriedigen. „Man könnte es immerhin ver-
sucheii. Und es ist doch besser, als wenn es in Ihrem
Pulte verstaubt."
Er nickte. Natürlich hatte sie recht, wie sie im
Grunde immer recht hatte. Es war schon etwas ge-
wonuen, wenn dieser Reinhagen auf ihn aufmerk
sam wurde. Er konnte nicht dauernd im Dunkel
bleiben, und jetzt, wo sein Leben durch dies Mädchen
erst einen Sinn bekommen hatte, erst recht nicht.
„Topp. Abgemacht. Ich schicke es Ihnen. Aber
wie ist Ihre Adresse?"
.Sie zögerte. „An meine Adresse geht es nicht
Ein Postamt wäre wohl das Richtige."
„Dos ist mir zu unsicher."
„Ich verspreche Ihnen, die Papiere noch am
gleichen Tage abzuholen."
„Aber an welches?" /
(Fortsetzung folgt).