Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

phantastisch, ging jedoch an die Arbeit und 
war tatsächlich zu Anfang 1918 am Ziel. Im 
Januar 1918 fand das erste Probeschießen 
statt. Am 23. März, 7 Uhr früh, stiegen im 
Wald von St. Gobain deutsche Flugzeuge auf 
und nebelten die Stellung ein. Am Geschütz 
befanden sich die Konstrukteure, Dr. v. Eber 
hard und Dr. Rausenberg, zahlreiche Gene 
ralstabsoffiziere, an ihrer Spitze der Kaiser, 
und Admiral Rogge, der die Bedienung kom 
mandierte. Das Geschoß wog 120 Kilogramm. 
Seine Anfangsgeschwindigkeit sollte 1600 Mtr. 
in der Sekunde betragen. Das Geschoß be 
stand aus drei verschiedenen Sprengstoff 
ladungen. Zwei andere schwere Geschütze 
waren in der Nähe aufgestellt, sie hatten die 
Aufmerksamkeit des Feindes abzulenken und 
begannen einige Sekunden vor dem ersten 
Schuß des Riesengeschützes das Feuer. End 
lich ertönte das Kommando: „Feuer!" Nach 
fünfzig Schüssen wurde Feuerpause komman 
diert. Bei den Stellungen im Bois de 
St. Gobain befanden sich fünf Geschütze dieser 
Art, von denen eins später durch Rohrkre 
pierer außer Gefecht gesetzt und vier voll 
ständig verbraucht wurden. Insgesamt wur 
den, einschließlich der Modelle, sieben Ge 
schütze hergestellt. Wie Oberst Miller in sei 
nem aufschlußreichen Buch behauptet, steht 
die Herstellung von ähnlichen Geschützen ans 
dem Wehrprogramm aller Großmächte. In 
der Oeffentlichkeit redet man freilich wohl 
weislich nicht davon. 
Bunte Welt. 
Schlange« als blinde Pasiagiere. 
Der Londoner Convent Garden Markt hat 
die Reptiliensammlung des Zoologischen Gar 
tens neuerdings um eine Lanzenschlange ver 
mehrt, die in einer Kiste aus Westiudien ein- 
getrosfener Bananen gefunden wurde. Der 
Fall ist an sich nicht bedeutsam. Eine junge 
Boa constrictor gelangt, in Fruchtkörben ver 
borgen, häufig genug nach England. Die Bcr- 
waltung des Zoos war deshalb durchaus nicht 
überrascht, als sie die Nachricht erhielt, baß 
man eine Schlange, die sich um ein Bananen 
büschel geringelt hatte, entdeckt habe. Aber 
der Wärter, der nach Convent-Garden abge 
schickt wurde, um das Reptil in Empfang zu 
nehmen, war doch nicht wenig erschrocken, als 
er in dem blinden Passagier eine Lanzen 
schlange erkannte, eine der gefürchtetsten Gift 
nattern, deren Biß unbedingt tödlich ist. Glück 
licherweise war das Wetter kalt und das Rep 
til infolgedessen erstarrt, so daß der Wärter 
den gefährlichen Gast bequem wegschaffen 
konnte. Immerhin war es ein Glück, daß sich 
vor dem Eintreffen des Wärters niemand 
hatte einfallen lassen, die Schlange zu stören, 
denn trotz seinem lethargischen Zustand hätte 
das amerikanische Mitglied der Familie der 
Giftschlangen in ungeschickten Händen recht ge 
fährlich werden können. Die Lanzenschlangen 
waren seinerzeit in Trinidad eingeführt und 
in den dortigen Zuckerrohrpslanzungen aus- 
Paul Cnderling 
» nta, Mi« Dinti 
Copyright 1929 by Karl Köhler u. Co., 
Berlin-Zehlendorf, Mochnower Str. 24. 
8) (Nachdruck verboten.) 
7. 
Ein schwacher Sprühregen rieselte dünn, wie 
aus einer leicht verstopften Gießkanne, auf den 
Potsdamer Platz. 
Georg Dollingen stand, den Rockkragen hochge 
klappt, und wartete auf Johanna Reichert. Zwei 
Tage lang war sie nicht gekommen, und es war eine 
Ewigkeit gewesen. Cs war nichts Bestimmtes aus 
gemacht gewesen. Nur so: „Sehen Sle um fünf Uhr 
hier nach. Wenn ich mich frei machen kann, komme 
ich. Mer, nicht wahr? Wir sind freie Menschen 
und üben keinen Zwang aufeinander aus." 
Dennoch beunruhigte ihn ihr Wegbleiben: 
fühlte sie denn nicht, wie er sich nach ihr sehnte, wie 
der ganze Tag nur Wert hatte durch diese Stunden 
des Beisammenseins? Er war doch nicht mehr jung 
und unbefangen genug, um auch in der enttäuschten 
Erwartung die Wonne süßen Schmerzes zu fühlen 
und zu durchkosten. Wo war sie in diesem Augen 
blick? 
Cr sah sie durch fremde Straßen eilen, deren 
Namen er nicht wußte ... Er sah sie im Vorzimmer 
eines Arztes stehen, den er nicht kannte, und ge 
duldig Patienten anhören, die die Sprechstunden 
wieder verlängerten ... Er sah sie inmitten einer 
verständnislosen Familie, die ihm ftemd war . . . 
Aber, wo er sie auch sah, — sie war nicht schuld am 
Fernbleiben. Sie dachte an ihn, sie wollte zu ihm, 
ihre Gedanken zogen eine Brücke zu ihm, bunt und 
leicht wie der Regenbogen, der bald aufziehen 
mußt«. 
Es war Sonnabend und der Platz füllte sich. 
Warum war Johanna nicht unter diesen vielen jun 
gen Mädchen, die wie ein Schwarm vom Wind ver 
wehter farbiger Schmetterlinge über die Straßen 
wirbelten? Und plötzlich kam ihm der dunkle Ge 
danke: das Geschick hott« ihn wieder einmal genarrt, 
es hatte ihm Johanna Reichert nur gezeigt, wie es 
ihm so vieles gezeigt hatte, ohne zu gewähren. Es 
hatte die Decke der Himmelswölbung aufgestoßsn 
und ihm die Herrlichkeit gewiesen, um dann die 
Wolkenwand wieder vorzuziehen und int tropfen 
den Regenfall alles zu verschleiern. Sie würde 
gesetzt worden, in der Hoffnung, daß dadurch 
den Sklaven die Lust genommen würde, einen 
Fluchtversuch zu wagen. Aber die menschen 
freundliche Absicht der Plantagenbesitzer, sich 
einen billigen Wachdienst zu schaffen, rächte 
sich auf eine unvorhergesehene Weise. Die 
Reptilien vermehrten sich so ungeheuerlich 
schnell, daß sie bald eine Landplage wurden 
und man sich gezwungen sah, zu ihrer Bcrtil- 
gung Schlangensperber einzuführen. Damit 
kam man aber aus dem Regen in die Traufe, 
denn auch die Sperber vermehrten sich so stark, 
daß es bald unmöglich wurde, Hühner zu 
halten. 
Märchen in Portugal. 
Fünf Jahre lang war Picoa in Portugal einer 
der beliebtesten Ausflugsorte, weil es bekannt war, 
daß man dort in klaren Nächten auf einem Felsen 
veritable Meerjungfern beobachten koirnte. Dieser 
Tage aber wurde ganz unvermittelt der Besitzer des 
Hotels, Bernardo, verhaftet. Infolge einer Indis 
kretion hatte nämlich die Polizei in Lissabon erfah 
ren, daß es seine Töchter und zwei Dienstmädchen 
waren, die dort, mit den Beinen in künstlichen Fisch 
schwänzen steckend, sonst „mit nichts an" erfolg 
reich bemüht gewesen waren, den Fremdenverkehr 
und damit den Konsum des Hotels zu heben. 
Kunst und Wissenschaft 
Tonfilme für Schwerhörige. 
Bisher war cs den Schwerhörigen zwo 
möglich, im Lichtspieltheater den Vorführun 
gen beizuwohnen und den gleichen Genuß 
davon zu haben, wie die übrigen Theaterbe 
sucher. Mit dem Auftauchen des Tonfilmes 
aber hat sich dies geändert. Der Schwer 
hörige ist in den meisten Fällen nicht in der 
Lage, das gesprochene Wort oder den Gesang 
Hu verstehen, und muß sich mit dem Betrach 
ten der Vorgänge auf der Leinwand begnü 
gen. Dieser Tatsache hat eines der größten 
Pariser Filmtheater, der Patamount-Palast, 
Rechnung getragen. In dem Theater wurde 
eine Reihe von besonderen Plätzen für 
Schwerhörige eingerichtet die als solche ge 
kennzeichnet sind. An jedem dieser Stühle 
befindet sich eine besonders konstruierte Ver 
stärkervorrichtung, die es dem Schwerhöri 
gen ermöglicht, den Tonfilm lautstark mit 
zuhören. Es wäre zu wünschen, daß eine 
solche Einrichtung, die mit keinen allzu 
großen Kosten verknüpft ist, auch bei uns 
eingeführt wird. 
Ei« jugendlicher Komponist. 
Ein lljähriger dänischer Knabe, Viggo 
Synnestvedt, hat einen „Marche militaire" 
komponiert, der so großen Anklang gefunden 
hat, daß er in das ständige Musikrepertoire 
der Gardekapellc in Kopenhagen aufgenom 
men worden ist. 
Wie schnell wächst ein Walfisch? 
Man sollte annehmen, daß das größte 
Säugetier der Welt, das 23 bis 30 Meter lang 
wird, Jahrzehnte braucht, um so groß zu wer 
den. Aber man wußte es nicht genau, ob diese 
Annahme auch stimmte, denn sie paßte nicht 
recht zu den Beobachtungen der Walfischfün- 
ger. Die Engländer haben nun im vorigen 
Jahre eine Expedition in den Sütatlantik ge 
schickt, die das Leben der Walfische erforschen 
und vor allem die für den Walfischfang wich 
tigen Daten des Alters und Wachsens feststel 
len sollte. Die Berichte der Expedition liegen 
jetzt vor und die Resultate sind teils recht 
überraschend. 
Die Walfische sind Wandertiere wie die 
Zugvögel. Während des Winters aus der süd 
lichen Halbkugel, verschwinden sie aus den Ge 
wässern von Süd-Georgien, durchqueren den 
Ozean und begeben sich an die Küste von Afri 
ka. Im folgenden Frühling kehren sie zurück. 
In den wärmeren Gewässern des Winters 
kommen die jungen Walfische zur Welt. Bei 
der Geburt sind sie etwa 7 Meter lang. Ein 
Walsischweibchen gebärt alle zwei Jahre ein 
Junges, und zwar in den Monaten April bis 
Mai. Sie säugt es bis zum Dezember. Die 
Milch ist sehr fett, enthält aber weder Eiweiß 
noch Zucker. Im Dezember, nach Beendigung 
der Säugezeit, ist das Walfischjunge bereits 16 
Meter lang. Im Mai des folgenden Jahres 
ist das Tier aber bereits ausgewachsen und 
geschlcchtsreif. Es hat dann eine Länge von 
23 bis 23 Metern erreicht. Das größte Säuge 
tier der Welt wächst also in einem Jahre sich 
bis zur vollen Reife aus und hält damit zwei 
fellos den Wachstumsrekord in jeder Bezie 
hung. 
Die diesjährigen norwegische« 
Eismeerexpeditivnen. 
Das norwegische Storting hat in diesem 
Winter 110 000 Kronen für Eismeerunter 
suchungen bewilligt, und es sollen nicht we 
niger als drei Expeditionen daraufhin nord 
wärts gehen, eine nach Grönland, eine nach 
der Bäreninsel und eine nach Franz-Josephs- 
Lanö. Die Grönlandexpedition soll die Ost 
küste Grönlands von Scoresbysund soweit 
nördlich hinaufgehen, wie man kommen kann. 
Unterwegs soll sie die 18 Mann, die zu zweien 
an verschiedenen Stellen der Küste überwin 
tert haben, ablösen. Die Expedition nach der 
Bäreninsel ist eine Vermessungsexpedition, 
die am 1. Juli in See geht. Die dritte Ex 
pedition wird erst vorbereitet. 
Zum Cächeln und Aachen 
Okkasio». 
Meine Frau bietet mir in meinem Ar 
beitszimmer verschiedentlich und recht intensiv 
ein Stück Kuchen an, das ich zum Schluß mit 
den Worten ablehne: „Quäl' mich doch nicht!" 
Da ruft Dorettchen aus dem Nebenzimmer: 
„Mutti, quäl' mich!" 
Das Kind. 
„Papa, wie heißt ein Huhnvater?" 
„Hahn." 
„Und eine Huhnmutter?* 
„Henne." 
„Und ein Huhnkind?" 
„Küken." 
„Da gibt es wohl überhaupt kein Huhn, 
das man Huhn nennt. 
9" 
Deutsche Tüchtigkeit. 
Ein „wahres Geschichtchen" aus einer 
oberschlesischen Volksschule wird in Reclqms 
Universum erzählt: Der „Graf Zeppelin" hatte 
seine Weltreise beendet, und am Tage der Lan 
dung gab es schulfrei. Daraufhin wurde ein 
Aufsatzthema gegeben, das die „Zeppelin-Fe 
rien" behandeln sollte. Willi entledigt sich sei 
ner Aufgabe also: „Vor drei Wochen hat der 
„Graf Zeppelin" seine Weltreise angetreten. 
Gestern ist er glücklich zurückgekehrt. Vor 
Freuden hatten wir Zeppelin-Ferien. Da 
durch zeigen wir Deutschen unsere Tüchtig 
keit." 
4 
Friedliche Revolutionäre. 
„Wie nennt man eine Vereinigung, deren 
einziges Bestreben der Umsturz ist, mit einem 
passenden Wort?" — „Kegelklub!" 
Sd?ad?=(2cFe. 
Geleitet von Schachmeister Brinckmann. 
Kiel. Holtenauerstraße L28. 
(Anschr an d. Adresse.) 
Wettkampf Ahnes—Brinckmann. 
Die Kieler Phase des Wettkampfes hat dem 
Berliner eine 4 : 2-Führung gebracht. Er konnte 
dem etwas untrainierten Brinckmann die ersten 
beiden Partien abnehmen, in der .zweiten fiel der 
Sieg allerdings erst an ihn, nachdem dieser ein 
Remisangebot des Gegners abgelehnt hatte und 
beim Forcieren des Angriffes strauchelte. Die fol 
genden vier Partien zeigten dann durchgängig 
eine leichte Ueberlcgenheit des Kielers, ohne daß 
es jedoch bei der zähen, finessereichen Verteidigung 
von Ahnes zum Gewinn ausgereicht hätte. In der 
dritten Partie stand Brinckmann nach «nein un- 
gemein scharfen Angriff unmittelbar vor einem Er 
folge, aber unter dem Drucke der Zeitnot fand er 
nicht den rechten Weg und mutzte schließlich mit 
einem schmerzlichen Remis zufrieden fein. Mit 
welcher Erbitterung gekämpft wurde, zeigte gerade 
diese Partie. Neun lange Stunden währte sie 
und umspannte 88 Züge! Erst dann — bei beider 
seitiger völliger Blutleere — wurde sie unent 
schieden gegeben. 
Das überhaupt war die Signatur aller sechs 
Partien: Kamps. Im Schach spiegelt sich das Leben 
wider, es gilt, unter dem Einsatz aller Kräfte und 
Ueberwindung berghoher Widerstände einem Ziele 
zuzustreben. Nicht die Gesetze der Logik allein 
gelten hier, sondern mehr vielleicht noch die Ge 
setze der Psychologie. So sind die großen Matadore 
des Schachs in erster Linie Psychologen gewesen, 
ihre Erfolge wurzelten nicht zuletzt in der Fähig 
keit, sich in die Eigenart der gegnerischen Persön 
lichkeit und deren Gedankengänge hineinzufühlen. 
Allen voran der Philosoph Lasker. 
Ahnes hat sich also in dem Kieler Abschnitt des 
Wettkampfes eine 4 : 2-Führung erstritten, die ihm 
gestattet, den kommenden Dingen gelassen entge- 
ge uz »sehen. Die beiden letzten Partien werden am 
17. und 18. Mai in Berlin gespielt. Brinckmann 
muß also sein Fahrzeug höchste Fahrt laufen las 
sen, wenn er seinen Gegner einholen will. Mög 
lich ist es jedenfalls, wenn man die letzten vier 
Partien einer Borausiaae zu Grunde legt. A. B 
heute nicht kommen, wie sie gestern und vorgestern 
nicht gekommen war. Es hatte keinen Zweck, zu 
warten. Sie würde niemals wiederkommen . . . 
Als er so weit in seinen Gedanken war, tippte 
das stumpfe Ende eines Damenschirms auf seine 
Schulter. Er fuhr herum und sah in junge gold 
braune Augen. Er war so durchwirbelt von Glück, 
daß er zu grüßen vergaß. 
„Woran dachten Sie", fragte sie lächelnd. „Ich 
beobachtete Sie nämlich schon ein Weilchen. Sie 
machten ein Gesicht, als ob Sie mich das Gruseln 
lehren wollten. 
Er sah sie groß an. „Ich dachte an Sie und daß 
Sie nie wiederkommen würden." 
Ein schwaches Erröten flog über ihr Gesicht. 
„Ich kannte erst heute fort. Es lag nicht an nur. 
Und beinahe wäre es auch heute nichts geworden." 
In leichterem Tone fuhr sie fort: „Aber nun bin >ch 
ja da und Sie auch. Denken wir nun mal deutsch. 
Was machen wir?" 
„Wollen wir hinaus ins Freie?" 
„Famos!" entfuhr es ihr, und sie lochte über 
sein verdutztes Gesicht. „Sie finden mich reichlich 
burschikos, wie? Aber daran muffen Sie sich ge 
wöhnen, wie andere auch. Es ist viel Bubiges in 
mir." 
„Es ist viel Weibliches m Ihnen", verbesserte 
er ernst und kam sich gleich darauf entsetzlich pedan 
tisch vor. 
In vollgestopften Wagen, eng aneinander ge 
drückt, durchsausten sie die unterirdischen Straßen 
der Untergrundbahn. Sie kamen irgendwo zum 
Borschein, bestiegen eine Bahn, die trödelnd durch 
langweilige Dorstädte raffelte, und landeten nach 
unendlicher Zeit in Tegel. Als sie im abgetrampel- 
ten Wald gingen, entlang der Wasserfläche, begann 
der Himmel aufzublauen. 
„Wir haben Glück, Herr Dollingen. Der Him 
mel liebt uns." 
Er liebt die Liebenden — wollte er zitieren, 
aber er wagte es nicht; sie konnte bisweilen schon 
verdammt kühl und ablehnend dreinschauen. So 
fragte er nur, ob sie rudern wollten. 
Die Boote des Uferrestourants waren noch zu 
feucht. So warteten sie bei einem graubraunen Kaf 
fee, der sich Mokka nannte, bis die mächtig ausglü 
hende Sonne nachhalf. 
„Was haben Sie heute den ganzen Tag ge 
macht?" 
„Gearbeitet", antwortete er vergnügt. „Aber 
nicht zu heftig. In der Hauptsache have ich auf Sie 
gewartet." 
„O du lieber Gott, so bin ich am Ende schuld, 
daß bas Haus schief wird, an dem Sie bauen?" 
„Dafür werden schon die Hypotheken sorgen, 
die darauf kommen." 
Sie rührte in der Brühe und zwang sich zu klei 
nen Schlucken. „Was täten Sie, wenn Sie reich 
wären?" fragte er plötzlich. 
Er lächelte: das war so eine richtige Klein-Mäd- 
chen-Frage. Das träumten sie wohl alle hier. 
„Wenn ich reich wäre? Wie sollte ich wohl dazu 
kommen?" 
Aber sie beharrte auf seiner Antwort. 
„Nun, dann würde ich ein eigenes Architekten- 
büro errichten und Herrn Vordeck freundlich Balet 
sagen. Ich würde Häuser bauen — das Schönste 
und Natürlichste, was es gibt. Ich würde wie ein 
Teufel arbeiten —" 
„Und dann?" In ihren Augen lag ein klein 
wenig Koketterie, die ihn verwirrt machte. 
Er neigte den Kopf, als er entgegnete: „Und 
dann würde ich um eine werben, die ich liebe." Er 
hatte das sichere Gefühl, daß sie jetzt aufstehen 
würde. 
Aber sie fragte nur: „Erst dann?" 
Sah sie nicht enttäuscht aus? Hatte ihre Stim 
me nicht geschwankt? Aber da fragte sie schon ruhig, 
in dem sachlichen Ton, der ihr bisweilen eigen war 
und der einen Raum vor sie legte: „Was macht un 
ser Neubau? Die Billa, wissen Sie, für diesen 
Sammler aus Dahlem — da war es doch wohl?" 
Eifrig stürzte er sich auf das unverfängliche 
Thema. „Jede freie Stunde habe ich daran gearbei 
tet. Sie werden zufrieden sein. Deii Grundriß 
brauchte ich nur wenig zu ändern. Und die Zwischen 
halle, die Vermittlung von Wohnraum und Samm 
lung, ist, glaube ich, in Ihrem Sinne gelöst. Pabmen- 
gewölbe, ganz schmal, wie im Artushof zu Danzig 
— na. Sie werden ihn nicht kennen. Die Wände 
für Gobelins gedacht. Ihre Rischen habe ich fallen 
gelassen. Sie hätten die Fläche zu sehr zerrissen." 
„Sicherlich ist es so noch viel schöner." 
Ein Schotten flog über sein Gesicht. „Ich komme 
Ihnen setzt wohl wie ein rechter Don Quichote vor, 
nicht wahr?" 
„Ich habe den Don Quichote immer für die 
edelste Gestalt der Literatur gehalten." 
„Ra also", meinte sie lachend. 
„Das ist aber nicht mein Ziel, Fräulein Jo 
hanna." 
„Vielleicht haben Sie aber mit Ihrem Entwurf 
Glück?" 
„Das bezweifle ich eben. Wenn dieser Herr 
Reinhagen nicht einmal von dem berühmten Dor- 
beck befriedigt ist, diesem Stolz aller Fachkongresse, 
dann wird er mich, den Unbekannten, aller Wahr» 
scheinlichkeit nach rausschmeißen. Und ich könnte 
es ihm nicht eininal sonderlich übelnehmen." 
„Aber ich", sagte sie ehrlich entrüstet. 
Er nahm dankbar ihre Hand, die sie ihm ließ. 
Sie fuhr nach einer kurzen verlegenen Pause 
fort: „Wissen Sie was? Senden Sie den Plan mir 
zu. Vielleich>t können wir das Ding so drehen. 
M i ch wird er nicht rausschmeißen." 
Sie war entzückend, wenn sie berlinerte, und 
darum ärgerte Dollingen sich auch nicht über ihre 
Anmaßung. Er ließ ihre Hand und sagte mit einem 
resignierenden Achelzucken: „Sie stellen sich dos alles 
sehr leicht vor." 
Sie beugte sich zu ihm vor. „Nun lachen Sie 
innerlich über das dumme, dreiste Ding, das ich bin. 
Aber Sie werden bald ernster dreinschauen. Mir ist 
nämlich in diesen Tagen eingefallen, daß ich ein« 
Freundin habe, oder sagen wir eine Bekannte, die 
ins Haus Reinhagen kommt." 
„Sie?" fragte er mit einer Verwunderung, die 
sie eigentlich verletzen mußte. 
Sie hatte seinen Zwischenruf wohl gar nicht ge- 
hört. „Sie ist Schauspielerin und liest dort aus 
neuerer Literatur vor. Die könnte schon vermitteln, 
und ich will sie gern überreden." 
„Auf solchen krummen Wegen soll ich ans Ziel 
komlnen? Fräul. Johanna, so was liegt mir eigent 
lich gar nicht." 
Wider sein Erwarten schien sein Einwand sie 
zu befriedigen. „Man könnte es immerhin ver- 
sucheii. Und es ist doch besser, als wenn es in Ihrem 
Pulte verstaubt." 
Er nickte. Natürlich hatte sie recht, wie sie im 
Grunde immer recht hatte. Es war schon etwas ge- 
wonuen, wenn dieser Reinhagen auf ihn aufmerk 
sam wurde. Er konnte nicht dauernd im Dunkel 
bleiben, und jetzt, wo sein Leben durch dies Mädchen 
erst einen Sinn bekommen hatte, erst recht nicht. 
„Topp. Abgemacht. Ich schicke es Ihnen. Aber 
wie ist Ihre Adresse?" 
.Sie zögerte. „An meine Adresse geht es nicht 
Ein Postamt wäre wohl das Richtige." 
„Dos ist mir zu unsicher." 
„Ich verspreche Ihnen, die Papiere noch am 
gleichen Tage abzuholen." 
„Aber an welches?" / 
(Fortsetzung folgt).
	        
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