Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

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Montag, den 12. Mai 
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Nr. 110 
Zur Unterhaltung 
Beilage der Schlsswig-Holstelnkschen Landeszeļtung (Rendsburger Tageblatt) 
lob, 
E, 
Das üim meines Lebens. 
Irrfahrten und Abenteuer eines Wcltwanderers. 
Bon Kurt Fab er. 
Auf einer feiner Abenteurcrfahrkcn hat den 
Weltwandcrer Dr. Kurt Fnbcr fein Todesschicksal 
ereilt. Er durchstreifte zuletzt das Nordwest-Terri 
torium Kanadas. Schon lange vermißt, suchten 
nach ihm kanadische Polizeisoldaten und fanden sei 
nen Leichnam in der Wildnis am Ufer des Hay Ri 
ver, von Wölfen angefressen. Offenbar war er . ans 
einer Kanu-Fahrt durch die Flußläufe der Wildnis 
begriffen. 
Kurt Faber war eine der merkwürdigsten deut- 
dem bald wieder Heimweh folgte, trieben ihn durch 
fchcn Aberteurer-Raturen. Undrnst und Fernweh 
alle Länder und über alle Meere der Erde, durch 
mehr als zwei Jahrzehnte hindurch. Auf allen 
feinen Fahrten hat er die größten Strapazen und 
Entbehrungen erduldet und dutzendmal wurde er 
von einer gütigen Vorsehung ans drohender Todes 
gefahr gerettet. Eine gewandte Feder, ein außer 
gewöhnliches Gedächtnis und eine glänzende Beob- 
achtungsgabe machen feine Erlebnis-Schiiderungen in 
feinen Büchern so reizvoll und lebendig. 
Nachstehend geben, wir den Teil einer Lebens 
skizze aus Kurt Fabers Feder wieder. 
Die Wahrheit ist oftmals seltsamer als die Er 
findung, und wenn man nur ein wenig daran halt, 
so kann man manches erleben in diesem Kino des 
Lebens. Mein Kino wenigstens ließ an Buntheit 
und Vielgestaltigkeit nichts zu wünschen übrig. 
Der Anfang war in Mühlhausen im Elsaß. 
Mein Vater war dort Professor an der Ober 
realschule, die auch ich mit Mühe und Not nicht ein 
mal ganz absolvierte. Recht wenig interessierte şch 
mich für Mathematik und — solche Dinge. Desto 
mehr aber für Robinson und Lederstrumpf, und 
was dann noch an Interesse übrig geblieben war, 
dos absorbierte der olle ehrliche Kapitän Marryat 
und selbstverstäirdlich auch Karl May. Mein Vater, 
der diese Lesewut nur mit einem -nassen und einem 
heiteren Auge mit ansah, gab mich bei einem Buch 
händler in Freiburg r. Br. in die Lehre. Aber oh! 
um diese Feuerbrände der Jugend, die man hinter 
die Schreibtische stellt, damit das brennende Fern 
weh ihrer Seele verdorre! Es kam, wie cs kom 
men mußte, und eures Tages war ich doch in 
Amerika. 
Es war mein Glück, daß ich gleich zu allem 
Anfang einem sehr gutmütigen Farmer auf Long 
Island in die Hände lief. Er behandelte mich wie 
feinen eigenen Sohn und predigte mir, wie die 
andern in Deutschland, das Evangelium voni geru 
higen Leben. Rach zwei Monaten — und das war 
schon ein Rekord der Seßhaftigkeit in all den lan 
gen Wanderjahren, die nunmehr folgten — ging 
cs per Schiff durch den mexikanischen Golf nach 
Texas. Wir landeten im Hafen von Galveston, und 
was man dort zu sehen bekam an Negern, Mexika 
nern und sonstigen interessanten Eaballeros, das 
entsprach schon mehr dem Bilde, das ich mir einst 
von Amerika gemacht gemacht hatte. Inzwischen 
fand ich eine Stelle als Wärter im Spital. Dann 
betätigte ich mich beim Baumwollpflücken, dann bei 
einem Zuckerbäcker, dann als Buchhändler, dann 
in einer Oelmühle und dann — aber es gäbe eine 
Reihe, so lang wie ein Tag ohne Sonne, wenn 'ch 
eine vollständige Liste aufstellen wollte von den Be 
rufen, in denen ich mich betätigt habe unter der 
Texas-Sonne. Zuletzt war ich noch Aufseher im 
Kreisirrenhause von San Antonio. Und das war 
von allen Geschäften, die ich bisher ausgeübt hatte, 
das merkwürdigste. Eines Tages erschien Billy 
Bones auf der Bildfläche. 
„Well," sagte er, „du bist ein Grünhorn. Wenn 
man kein Geld hat zum Eisenbahnfähren, so fährt 
man eben schwarz." Da er sich selbst als Mentor 
anbot, machten wir gleich die Probe aufs Exempel 
und jagten fort an bei Tag und Nacht durch lange 
Wochen und Monate, in den Güterwagen und auf 
den Kohlentendern, auf den Puffern und auf den 
Wagendächern über die endlos lange Strecke der 
südlichen Pazifikbahn bis nach San Franzisko. 
Aber der Appetit kommt mit dem Essen. Nie 
wieder ist ein Mensch mit größeren Passionen, mit 
wilderer Wanderlust wie ich nach San Franzisko 
gekommen. Es war gerade im Frühjahr, und die 
Walfischfänger rüsteten sich zur Ausreise nach dem 
Eismeer. So etwas hatte ich noch nie gesehen, 
von so etwas hatte ich noch nicht einmal in den 
Büchern gelesen. Da roch man die See, das schmeckte 
nach Abenteuern. Ich stand am Kai und schaute auf 
das wilde, fremde Leben, und ain andern Tage — 
ja, wer auf Abenteuer ausgeht, der wird sie auch er 
leben, und mehr als ihm lieb ist! 
Wir fuhren durchs Beringsmeer und durch die 
Beringsstraße ins nördliche Eismeer, im Norden 
von Alaska, und fingen die Walfische vor Banks 
land und Wrangelland. Wir, ließen uns im Eise 
cinfrieren und überdauerten drei endlose Winter- 
nächte auf der He.rschelinsel. Der Hunger stellte sich 
ein, und an seine Rockschöße hatte sich der Skorbut 
gehängt. Als nach niehr als drei Jahren die Not 
am höchsten gestiegen war, da beredete ich die Sache 
mit einem Eskiino. Mit Hundeschlitten zogen wir 
entlang der Küste bis zur Mündung des großen 
Mackenzieflusses und von dort mit Booten und Ka- 
noes mit den Indianern durch die endlosen Ur 
wälder des kanadischen Nordwestterritoriums; alles 
in allem eine Strecke von mehr als viertausend Ki 
lometern bis zur nächsten Eisenbahnstation an einer 
Zweiglinie der kanadischen Pazisikbahn. In dein 
Buche „Unter Eskimos und Walfischfängern" habe 
ich von jenen Abenteuern erzählen dürfen.*) Zehn 
tausende haben sie seither gelesen und viele haben 
mir in langen Briefen ihre Meinung darüber 
gesagt. 
Nicht lange nach Llbschluß dieses Eismeeraben 
teuers fand mich das Geschick als gestrandeter Ma 
trose in Australien. Dem Segelschiffe, mit dem 
ich von San Franzisko herübergekommen war, hatte 
ich gleich bei der Ankunft den Laufpaß gegeben, da 
ich mir Berge und Wunder versprochen hatte von 
den Goldminen in den Blue Mountains. In der 
heißen Sonne tippte ich über die graugrün schim 
mernden Weideflächen im Innern von Neusüd 
wales. Es war nichts mit dem Goldminen . Im 
Hafen von Sydney lag ein Dampfer mit der 
schwarz-weiß-roten Flagge, die mir so verlockend 
zunickte, daß ich es mit dem Heimweh zu tun be 
kam. Stehenden Fußes ging ich an Bord, wo ich 
als Heizer musterte. Drei Monate später wurde 
ich abbezahlt im Hafen von Akarseille. Es waren 
die drei schwersten Monate meines Lebens. Wer 
noch nie im Roten Meere Heizer gewesen, der weiß 
nicht, was harte Arbeit ist. Nach sechs Jahren war 
ich endlich wieder zu Hause, verbrannt von der 
Tropensonne, versengt von der Glut der Feuer im 
Heizraum, und meine Mutter mochte wohl Ursache 
haben, wenn sie bedenklich den Kopf schüttelte beim 
Anblick des verlorenen Sohnes :„Na, du siehst aber 
schön aus!" 
Nach einem Jahr ging es schon wieder fort 
nach Buenos Aires. 
Seitdem führte ihn fein Unruhgeist noch durch 
manche Länder der Erde. Wir nennen feine Reise 
von Konstantinopel noch Indien, Südafrika, Fidschi- 
inseln, Australien, Sibirien, Japan. Iin Jahre 1929 
schloß sich dann seine Kanada-Reise an, von der er 
nicht mehr in sein geliebtes Heimatland zurückkehren 
sollte. 
baut. Eine vorzunehmende amtliche Zählung 
der Storchuestere dürfte eine erfreuliche Ver 
mehrung dieser gefiederten Freunde ergeben. 
Die Unsterblichen der Tafel. 
In Paris gibt es eine Akademie der Gastro 
nomie, die in scherzhafter Form der großen fran 
zösischen Akademie nachgebildet ist. . Sie besteht 
wie diese aus 40 Mitgliedern. Größtenteils find 
es Künstler und Schriftsteller, deren einzige aka 
demische Tätigkeit darin besteht, sich abwechselnd in 
den -besten Restaurants von Paris zu versammeln 
und dort viel und gu-t zu essen. 
Jetzt ist Ministerpräsident Tardieu ob seiner 
allgemein anerkannten Verdienste um die franzö 
sische Kunst des guten Essens einstimmig zu-m Mit 
glied dieser Akademie gewählt worden. 
*) Vor kurzem erschien die 21. Auflage. Verlag von 
Robert Lutz Nachfolger, Otto Schramm in Stuttgart. 
Wdt 
Vermehrung der Reiher und Störche. 
Auf den Höhen bei Driftsethe befindet sich 
im Walde eine alte Reiher-Kolonie. Man 
kann in diesem Jahre die Beobachtung machen, 
daß sich die Reiher hier in ihrem Bestände ver 
mehrt haben. Auch die Störche haben in ganz 
Nord-Hannover ihren Bestand erhöht. Bon 
allen Seiten kommen Meldungen, daß längst 
verwaiste Storchnester in diesem Jahre wieder 
besetzt wurden. An verschiedenen Orten ha 
ben neue Storchenpaare sogar neue Nester eg- 
»Schneeflocken" aus Rohgrrmmfl 
Während bisher der rohe Milchsaft der Eum- 
mibäume durch Räuchern oder durch Chemikalien 
zur Gerinnung und.in Fladenform in den Handel 
gebracht wurde, wird jetzt in Sumatra ein ande 
res Verfahren zur Aufarbeitung des Rohsaftes 
benützt. Der Milchsaft wird aus einem Behälter 
unter starkem Druck einem Zerstäuber zugeführt, 
der aus einem umgekehrten, sich rasch drehenden 
Metallkogel besteht. Der feine Flüssigkeiisregen 
wird in einem Betonraum von je 10 Meter Sei 
tenlange von hocherhitzter Luft getrocknet, so daß 
die festen Bestandteile trocken in Form einer 
Schneeflocken gleichenden Masse zu Boden sinken. 
Sie werden dann zu Ballen gepreßt und verschifft. 
Tum Lächeln und Luchen. 
Das Echo. 
„Und ein Echo jibt's hier jarnich?"' fragte der 
Berliner den Bergführer. 
„Doch, rufen S' mal recht lant: «Zwoa — 
Maß — Bier"!" 
Der Fremde brüllte durch die zwei Hände 
und wartete . . . „Kein Echo! Nichts!" 
„Doch! Fre'ili! Schaun S' nur: da kommt 
der Wirt mit zwoa Maß!" 
Im Klang dasselbe. 
„Guck nur die Kinder an, wie sie über der 
Rätselecke brüten und Zahlen raten. Da haben 
wir Erwachsenen doch ganz andere Sorgen." 
„Tjaja. Während die Kinder sich bemühen, 
Zahlen zu raten, müssen wir uns bemühen, Raten 
zu zahlen." 
Paul Cnderling 
Copyright 1929 by Karl Köhler u. Co., 
Berlin - Zehlendorf, Machnower Str. 24 
3) (Nachdruck verboten.) 
Sie stimmte in sein mattes Lachen ein, weil sie 
fühlte, daß er es erwartete. Es würde also wieder 
ein verlorener Abend werden, ein Abend, angefüllt 
mit überlegten, lauwarmen Worten, mit Scherzen, 
die ein vorsichtig tastendes, um Entschuldigung bit 
tendes Lächeln und eine graziöse Handbewcgung 
schon eine Piertelstunde vorher ankündigte. Ein 
Abend mit Männern, die im Grunde so leblos wa 
ren wie die toten Künstler und Kulturen, von denen 
sie sprachen. 
Ehe Reinhagen ging, sagte er plötzlich: „Ist dir 
das Leben hier nicht ein wenig eintönig, Jutta?" 
Sie erschrak, als hätte er eben ihre Gedanken 
ausgesprochen, und verneinte eifrig. 
„Vielleicht möchtest du reisen?", fuhr er zögernd 
fort. - 
Sie wehrte ab, hastig, fast erschreckt. „Ich fühle 
mich hier so wohl wie nirgends. Ich habe es doch 
oft erprobt. Die Luft hier ist für mich die ge 
sündeste." 
Er schien sie gar nicht gehört zu haben. Seine 
Stimme klang müde, als er hinzusetzte: „Ich habe 
manchmal das Gefühl, als hätte ich nicht das Talent 
zum Vater einer so großen Tochter." 
Das scheue, fast hilflose Lächeln entwaffnete sie 
vollends. Sie sagte so burschikos wie möglich: „Ich 
bin ganz zufrieden mit dir, Vater..." Aber das 
Weinen war ihr näber als das Lachen. 
Er räusperte sich, unmutig, wie ihr schien. „So, 
so. Das ist wohl eine ganz gute Zensur. Die Väter 
müssen heutzutage wohl froh sein, wenn sie so etwas 
hören... Also reisen willst du nicht? Du könntest 
eventuell deine Freundin Felicitas mitnehmen. Frau 
Keller meint übrigens auch, daß dir eine Luftver 
änderung gut täte." 
„Die Keller ist eine Krankheitsfauatikerin , 
fiel Jutta ein. Sie hatte die Hausdame, die immer 
mit leidforschendem Gesicht herumstrich, nie leiden 
mögen. 
„Nun, man kann ja mal mit Dr. Dombrowsky 
sprechen." 
„Tue das, Vater. Er wird dir dasselbe sagen 
wie ich." 
Sie atmete auf, als sie draußen Büllingshovens 
fröhliche Stimme hörte. Wenn er dablieb, würde 
alles menschlicher werden. Sie amüsierte sich schon 
jetzt über seine forcierte Aufmerksamkeft und seine 
hochgezogenen Augenbrauen, wenn das Gespräch zu 
soigniert wurde — und wie lustig war sein freund 
schaftliches Augenzwinkern zu ihr herüber, die er als 
Mitverich-worene kannte! 
Er brachte wirklich etwas vom Lärin und 
Rhythmus des Rennplatzes in den stillen Raum. 
„Ein Erlebnis, mein sehr verehrter Herr Rein 
hagen. Famos, diese Raserei, dieser Wahnsinn der 
Menge. Muß es nicht bei den ollen Griechen io 
ähnlich gewesen sein?" 
Reinhagen zog die Stirn kraus. Er verwies: 
„Das Wesentliche der Antike wurde in der Stille 
geboren — wie zu allen Zeiten." 
Als sich der Perlenvorhang der Tür hinter ihm 
geglättet hatte, finsterte Büllingshoven mit un 
glücklichem Gesicht: „Ich habe wohl wieder ins Fett- 
näpfchen getreten, wie?" 
Jutta ließ sich lachend tin Sessel nieder. „Selbst 
verständlich. Aber begreifen Sie nicht, daß das hier 
Ihre Aufgabe ist?" ^ 
„O weh! Das verspricht nicht allzuviel für 
nieine Zukunft." Er setzte sich ihr gegenüber. „Solche 
Leute pflegen nicht auf die Dauer beliebt zu sein." 
„Auf alle Fälle sind Sie mein Freund, solange 
S-e so bleiben." 
„Das genügt mir, Fräulein Jutta." 
Sic wurde plötzlich ernst. „Ist es nicht entsetz 
lich, daß ich Jutta heiße? Wie darf man einem 
Menschen einen Namen für sein ganzes Leben mit 
geben? Und gibt es so etwas wie „Jutta" denn 
überhaupt?" 
„Es gibt schon Entsetzlicheres, verlassen Sie sich 
darauf. Und übigens hat es im Mittelalter ja die 
sen Namen gegeben." 
„Im Mittelalter", wiederholte sie achselzuckend. 
Sie blickte an ihrer sportgestählten Gestalt herunter, 
an dem kurzen Rock, der das halbe Knie frei ließ, 
an ihren schlanken, nervigen Beinen. „Was habe ich 
mit dem Mittelalter zu tun? Hätte man mich nicht 
verbrannt, wenn ich so über den Ratsplatz gelaufen 
wäre?" 
„Bestimmt. Aber das konnte Ihr Herr Pater 
bei Ihrer Geburt unmöglich voraussehen. Denn, so 
jung Sie auch sind, — bei Ihrer Geburt war die 
Frau doch noch nicht gar so weit vo-m Mittelalter 
entfernt." 
„Also Sie machen auch in Kulturgeschichte! 
Rauchen Sie lieber eine von meinen Zigaretten. 
Ich rauche übrigens nur in meines Vaters Abwesen 
heit. Da. Und nun seien Sic nicht galant. Jeder 
zündet sich selber an." 
Eine Weile rauchten sie schweigend. „Seien Sie 
ì froh", begann Büllingshoven, „daß Sie nicht Elisa- 
bvant getauft sind. Einer meiner Vorfahren war so 
benamst." 
„Natürlich, und Sybille, Kunigunde, Barbara, 
Ursula und was es sonst noch in fettfleckigeu Perga- 
meutschmökern gibt... Daß sich der Standesbeamte 
nicht gesträubt hat!" 
„In unserem geliebten Rußland kann man jetzt 
Lenina und Trotzkina genannt werden. Im übri 
gen ist es wohl richtiger, einen alten Namen mit 
neuem Leben zu füllen als -darüber zu weinen, wie?" 
„Ich weine ja auch nicht. Aber wenn ich im 
Sportdreß im Motorkarren über den Kurfürsten- 
dainm knattere und dann plötzlich daran denke, daß 
ich Jutta heiße, könnte ich umschmeißen."« 
„Richt gar so jungenhaft", mahnte er. 
„Verliere ich an edler Weiblichkeit?", höhnte 
Jutta. 
„Vielleicht. Auf alle Fälle wäre es schade — 
Sie sind der Jutta allerlei Weiblichkeit schuldig — 
und anderen auch." 
„Wem?", fragte sie kampflustig. 
Er rauchte einige Züge, ehe er antwortete: „Das 
wevden Sie wohl wissen..." 
Verwundert empfand sie, daß btc Plauderei jäh 
lings ein ernster Unterton unterbrach. Wärmn? 
Was war mit ihrem alten Freund? Hatte feine 
Stimme nicht gezittert? Und was bedeuteten diese 
suchenden, unruhigen Augen? 
Sie fühlte sich verwirrt und unsicher. Draußen 
klingelte es. Sie hörte Stimmengem-urinel, das 
wieder verschwand. Der Diener hatte also ihrer 
Weisung gemäß -die gelehrten Herren gleich in die 
inneren Räume zu ihrem Vater geführt. 
Büllingshoven, der ihren Gedanken gefolgt zu 
fein schien, sagte: „Sie wollen nicht im Mittelalter 
leben und Ihr Vater nicht in der heutigen Zeit. In 
welcher lebt er eigentlich?" Und, als sie nur mit 
einem leichten Achselzucken antwortete, setzte er hin 
zu: „Ich begreife eins nicht: wie Ihr Vater in dieser 
Zeit sein Vermögen retten konnte — in dieser Zeit!" 
Baron Büllingshoven konnte schon darüber 
verwundert sein: er und die Seinen hatten alles 
verloren. Ihre Güter bei Riga waren längst auf 
geteilt, ehe sie der große Sturm über die deutsche 
Reichsgrenze wehte. Jetzt biß er sich tapfer und 
mühsam durch, und sein einziger Trost war der An 
blick der in der großen Inflation zerschmolzenen 
Vermögen anderer gewesen. Aber das war nur ein 
schwacher Trost. — 
„Mein Bater hat es gar nicht gerettet. Weiß 
ist doch sein Finanzberater. Sie sind seit zwanzig 
Jahren befreundet." 
Er dachte an dos Gespräch, das er auf der Her- 
Fahrt mit dem Bankier geführt hatte, und lächelte 
flüchtig. Aber dann sagte er ernst: „Wenn Ihr Va 
ter eine so ganz anders geartete Natur wie We>ß 
so lange halten kann, muß mehràaft in ihm fein, 
als wir ahnen." 
Jutta sah ihn überrascht an. „Daran habe ich 
noch gar nicht gedacht. Sie sind sehr gescheit, mein 
Freund." 
„Danke", quittierte er lachend, „ich hab« sv 
meine lichten Mmnente." 
„Vielleicht haben sie sich beide zu gut ergänzt. 
So was hält doch auch zusammen?" 
„Ja. Aber wohl mehr in der Ehe, soviel ich 
davon verstehe." 
Unwillkürlich blickte Jutta nach dem Porträt 
ihrer Mutter, die sie nie gekannt. Das kleine 
ovale Pastellbi-ld hing im Halbdunkel der Nische. 
Vielleicht war es ein Symbol und Mutter hatte 
auch in der Ehe immer im Halbdunkel gestanden. 
2lber sie wollte ins Licht... sie wollte ans Licht... 
Die Stimmen neuer Gäste hallten herüber. 
„Das ist der Mann mit bcr Maya-Kultur", sagte 
Jutta wie für sich. 
„Hat Ihr Herr Vater als Sammler und Wissen 
schaftler eine Spezialität? Ich bin nie dahinter 
gekommen." 
„Kein kluger Mensch hat eine Spezialität", 
antwortete sie bestimmt. „Die Welt ist doch viel zu 
vielseitig." " 
„Und der Mensch auch." 
„Das ist er auch", beharrte sic. „Keiner kennt 
den anderen. Ahnen Sie denn, wie vielseitig ich 
zum Exempel bin?" 
Büllingshoven schmunzelte. Me kleine Jutta 
kam sich wohl höllisch interessant vor? „Natürlich", 
sagte er so ernsthaft wie möglich. 
„Kunstgehilfin und Sportlerin! Machen Sie 
nicht auch in Frohnau beim Polo mit?" 
„Ach, dos ist doch unwesentlich. Das liegt an 
der Oberfläche. Schade, daß die Männer an uns 
immer nur die Oberfläche sehen!" 
Run lachte er doch. „Ra, Fräulein Jutta, wenn 
die i^erfläche so hübsch ist wie bei Ihnen —." 
„Pfui. Galanterien! Und ich habe es doch so 
streng verboten." Sie fuhr sich über die Wangen, 
als könne sie so das dumme Erröten abwischen. 
Und dann sagte sie unverinitteli: „Wenn man exi 
stieren will, muß man zwei Leben leben." 
„Zwei Leben?" wiederholte er fast erschreckt. 
Ja, ein Mann könnte das wohl. Aber eine Frau?" 
„Ist sie denn ein so besonderes Wesen?" 
„Ich hoffe und ich bitte darum." 
(Fortsetzung folgt.) 
* • 
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