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St. 73
Drittes Blatt
Donnerstag,
Z. %ml\
Betty Wehrle-Genhart
Kreuzrpege der Liebe
Carl DuncRer-Verlag. Berlin W 62
14) (Nachdruck verboten.)
„Sie wissen nicht, was für eine Verantwortung
Sie übernehinen. Eines schönen Tages bereuen S'e
Ihr Versprechen. Und dann? Was wird aus Su-
zette, wenn ich vielleicht nicht mehr am Leben bin?
Verzeihen Sie meine Befürchtungen, ich bin so vol
ler Sorgen um die Zukunft meines Kindes. Mit
nehmen kann ich dasselbe ja nicht. Der Arzt erklärt
große Reisen für gefährlich, da Suzettes Gesundheit
noch 'mmer sehr zart ist. Ich glaube daher doch. . .
.und Sie werden meine Gründe verstehen . . daß
das Martenkloster . . ."
„Rein, das glaube ich ganz entschieden nicht",
erklärte Lutte Rettberg energisch. „Ich sage Ihnen
noch einmal — Suzette wird bei mir eine Heimat
finden auf Lebenszeit. Sollte ich einmal drei Jahre
lang kein Lebenszeichen von Ihnen erhalten. >'o
würde ich annehmen. Sie feien gestorben und da-
raufhin das Kind auf meinen gesetzlichen Namen
adoptieren. Sind Sie so zufrieden?"
„Ja. Darauf könnte ich eingehen," erwiderte
Fleure nach sekundenlangem Zögern. „Und was
die finanzielle Frage anbetrifft. .
Lutte Rettberg mochte eine abwehrende Hand-
bewegung.
„Bitte, kein Wort darüber", ruft sie eisig. „Ich
habe genug zum Leben und Suzette hat ja das Ver
mögen ihres verstorbenen Vaters. Don Ihrem
Gelde wün'che ich nichts. Daß Suzette einmal
meine Erbin ist, versteht sich von selbst."
„Ganz wie Sie wünschen. Fräulein Rettberg",
erwidert diese kühl. „Ich werde also unverzüglich
Weisung geben, daß Suzettes Garderobe gepackt und
in Ihr Hotel geschickt wird. Wann darf ich kommen.
Um mich von der Kleinen zu verabschieden?"
„Wann Sie wollen. — Nun muß ich aber gehen.
Das Kind könnte erwachen und ängstlich werden in
der fremden Umgebung. Adjeu Madame . . ." Lutte
Rettberg neigt steif den Kopf und geht an der
Schwägerin vorbei der Türe zu. Der junge Mann
begleitet sie respektvoll und diesem gibt sie, einem
raschen Impulse folgend, warm und fest die Hand.
*
Fleure beugt sich über ihr krankes Kind und
küßt es auf die Stirn.
„Also, leb wohl, Suzette. Sei deiner Tante
gehorsam und denke zuweilen an deine Mama di"
du lange, lange nicht mehr siehst."
„Ich darf bei Lu-Tantchen bleiben — immer?"
fragt Suzette fast atemlos. Sie getraut sich noch
gar nicht, an dieses Glück zu glauben.
„Vorläufig wenigstens", erwidert die schöne
Frau, in der plötzlich ein unerklärliches Gefühl auf
steigt. Was ist ihr nur? Hat sie zu tiefst in ihrem
Herzen auf Widerstand bei der Kleinen gewartet —
gehofft? Unsinn — Fleure ärgert sich über sich
selbst. Sie kann doch froh sein, daß sich Suzette so
fügiam in die Trennung von ihr ergibt. Nur —
fügsam? Leuchtet dem Kinde nicht vielmehr das
helle Glück aus den Augen? Glück darüber, daß an
die Stelle der schönen, gefeierten Mutter diese ha
gere, steife Frau mit dem harten Männergesicht tritt
. . . Jäher Haß gegen diese Frau steigt auf in ihr.
Noch immer hat sie Zeit, ihr Wort zurückzunehmen.
„Fleure!" erklingt da die Stimme ihres Man
nes. Er steht unter der halbgeöffneten Tür des
Zimmers und traut sich nicht herein, aus Besorgnis,
das kranke Kind durch sein unvermutetes Erscheinen
aufzuregen. Fleure glaubt, leise Trauer aus feiner
Stimme zu hören. Trauer darüber, daß sie . . . die
Mutter. . .
Niemand ahnt etwas von dem Kampf, der sich
in dieser Minute abspielt in ihrer Seele. Fleure
fühlt — dies ist die Scheidestunde zwischen ihr und
Suzette. nicht nur für jetzt, sondern für — ewig.
Ein Würgen sitzt in ihrer Kehle. In ihrem Geilte
sieht sie, wie sie sich über ihr Kind wirft, es küßt,
streichelt, um Vergebung bittet für jede Sekunde,
in der sie versäumte, ihr Mutter zu sein .... In
Wahrheit aber steht sie ungerührt da, denn über
dem Strahl, der sich lachend Bahn brechen will n
'hrem Herzen, steht grell . . . grausam . . . flam
mend ein hartes Wort: — Später
„Ich komme sofort", ruft sie ihrem Gatten zu
und da schließt sich die Türe wieder. Keine Senti
mentalitäten jetzt. Ihr Weg liegt klar vor ihr.
„Werde ein braves Mädchen, Suzette. Lerne
fleißig und . . nun klingt noch mühsam verhal-
tenes Schluchzen durch ihre Stimme, „. . , und ver
giß in deinem Gebete deine Mutter nicht . .
Suzette nickt. Strahlend, selig.
„Lebe wohl. Mama. Biel Glück auf die Reise!"
Der tiefe Kinderblick streift nur flüchtig das Antlitz
d^r Mutter und wendet sich der Tunte zu, welche am
Fußende des Bettes steht.
„Erzählst du mir die Geschichte noch fertig, vom
Rumpelstilzchen, wenn wir wieder allein sind Lu-
Tantchen?" ,
Fleure rafft sich auf. Auf was wartet sie noch?
Will sie hier mehr ernten, als sie gesät hat? Einen
. langen Blick noch wirft sie auf das Kind.
Dann gleitet sie lautlos aus dem Zimmer.
Zweiter Teil.
Sufel.
Direktor Langbein, Oberlehrer am Mädchen-
Gymnasium zu Rotheuburg, stellt das zum dritten
mal geleerte Weinglas auf den ovalen Sofatisch,
fährt sich mit der feiten Rechten über den kahlen,
wie eine Billardkugel glänzenden Schädel und mek-
kert mit einem zärtlichen Blick auf die halbgefüllte
Weinflasche, die in einem Kühler vor ihm steht:
„Nun aber endlich zur Sache, Fräulein Mar
bach. Sonst glauben Sie am Ende noch, das fei die
Ursache meines Besuches bei Ihnen. Also kurz und
gut — Ihre Adoptivtochter Susanne . . ."
„Noch ein Gläschen gefällig, Herr Direktor?"
Der Herr Direktor scheint diese Frage nicht zu
hören. Mit schwimmenden Aeuglein blickt er an
Fräulein Marbach vorbei und studiert mit nachdenk
lich gerunzelter Stirn ein altes Oelgemälde.
„Spitzweg —?" murmelt er zweifelnd. Dann
fährt er ganz erschrocken zusammen. „Aber —
Fräulein Marbach! Muß denn Ihr Wein heute un
bedingt alle werden? Sie wissen jedenfalls nicht,
daß ich fast Abstinent bin. Fast! Nur an ganz be
sonderen Tagen leiste ich mir einen guten Tropfen.
Um nun aber zur Sache zu kommen — Ihre
Sufel ..."
„Prost, Herr Direktor!" sagte Tante Lu und
läßt zur Aufmunterung ihr Glas an das seine klin
gen. „Sie haben richtig geraten", fährt sie fort und
blickt auf das Bild. „Spitzweg. Und echt."
„Alle Achtung!" Direktor Langbehn ergreift
mit einer fo schwungvollen Handbewegung sein
Glas, als fühle er sich moralisch dazu verpflichtet,
auf das Wohl des großen Meisters zu trinken. „Ja,
die Alten, die konnten noch was. Ist es nicht e>ne
Schande für unser Zeitalter, daß wir unserer Nach
welt einmal Schmierereien überliefern, gegen
welche Zeichnungen von Hottentotten Kunstwerke
sind. Wir treiben rettungslos einem Abgrund ent-'
gegen .. . Kubismus . . . Dadaismus . . . Kanniba
lismus . . .", der Direktor fährt sich mit der Hand
über die Stirne, auf der plötzlich große Schweiß
tropfen stehen. „Also, Fräulein Marbach, ich bin
hier, um eine sehr ernste Angelegenheit ... ja. wie
war es doch gleich? ... . ich wollte . . . ." Seine
Stimme verliert sich in undeutlicheni Murmeln.
„Sie wollten?" fragt Tante Lu liebenswürdig.
„Ich weiß es — nicht mehr . . lispelt er mit
einem träumerischen Blick auf das zun> viertenmal
geleerte Glas. „Ich bedauere, daß ich nicht schon
längst einmal einen Besuch bei Ihnen . . ."
„Sie sind zu liebenswürdig, Herr Direktor",
lächelt Tante Lu. sanft wie ein Lamm. „Auch meine
Suiel behauptete immer:
Der Herr Direktor ist ein Mann,
Für den man rasend schwärmen kann."
„Ja?" meint er mit einem hilflosen Lächeln.
„Spricht sie denn öfters so in Reimen, die Su
sanne?"
„Wenn Sufel von ihrem verehrten Direktor
spricht, kommt sie stets in dichterischen Schwung",
erklärt Tante Lu, in deren Augen tausend Kobolde
ihr loses Spiel treiben.
„Sie scherzen", gluckst er. „Ja — die Susanne.
Ich sagte ja immer — es steckt was in ihr. Meine
Kolleginnen sind eben . . . keine . . . Menschenken
ner."
„Das glaube ich auch", muß Tante Lu zugeben.
„Was — glaube?" schrie er plötzlich erbost und
puterrot im Gesicht. „Wenn i ch sage, es sind keine
Menschenkenner, s o s i n d es eben keine. Sie sollen
mir nur wieder kommen, mit ihrem Gezeter, dis
Misses und Mamsellen. Ich will ihnen dann eins
singen . . . Mehlami'eln stud's allesamt . . . Reb
hühner und Schneegänse . . ." Der Herr Direktor
hat die Weinflasche aus dem Kühler gezogen und
schlägt bei jedem dieser Kosenamen mit gesteigerter
Dehemenz auf den Tisch. „Hab' ich nicht recht?"
„Vollkommen recht", flötete Tante Lu, indem sie
ihm die Flasche mit sanfter Gewalt entwindet. Jetzt,
wo sie die gefährliche Unterredung mit List und Ge
walt über allerlei Klippen auf ihre Mühle gelenkt
hat, darf sie wohl ruhig fragen, was der Direktor
eigentlich von ihr will.
„Bei Süsels außerordentlicher Begabung",
sondiert sie vorsichtig weiter, „ist es mir eigentlich
ein Rätiel. . ."
„Ja! Ja!" In stürmisch hervorbrechender Be
geisterung für das verkannte, schwarze Schaf, er
greift er in Ermangelung der Weinflasche gleich
den eisgefüllien Kühler und läßt ihn in voller Wucht
auf die Tischplatte niedersausen. „Sie verstehen
das Mädel eben nicht, diese vertrockneten, alten Rü
ben — sie haben keinen Sinn mehr für Humor.
Wenn mir das passiert wäre — gelacht hätte ich,
gelacht — wie eben nur einer lachen kann, der d»e
Jugend versteht. . . und selbst noch jung ist, um —",
er bricht ab und lächelt selig vor sich hin.
Tante Lu unterbricht die Stille mit keinem
Wort. Jetzt wird's ja wohl kommen, denkt sie. Und
es kam.
„Schleppt das Eör kiloweise Modellierton in
der Schulmappe mit." Der Direktor lacht schallend
auf. Dann beugt er sich etwas vor und flüstert ge
heimnisvoll: „Hören Sie auf den guten Rat eines
erfahrenen Mannes. Sie sollten das Mädel aus
bilden lassen, fei es im Malen oder in der Plastik.
(Fortsetzung folgt.)
Ausverkauf der Bücherstube
KdnifSuöle Nuner £0
Î0-507 anflier u. Konsfgew srîis
Ģeschäļts - tcäļļnustĢ)
Seit geehrten Einwohnern von
Okterrrnfeld, Rendsburg u. Umgegend
gebe ich bekannt, daß ich mich in Osterrönfeld
an der Eiienbabnbrücke
als Maler niedergelassen hade.
Ich bitte um gefälligen Zuspruch.
Hochachtungsvoll (*
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