Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 2)

à- .Alm. 
»Mmal nach den: entgleitenden Leben. Kam Got 
tes Friede — kam Frigga, die holde Frau, noch 
einmal zum Abschied ihr ins Haus? Doch wäh 
rend die jungen Bräute sich vor der alten Frau 
neigten, um ihren Segen für das neue Leben zu 
erbitten, holten die Freundinnen ihre Hochzeits- 
geschenke herbei., Auch Krassen hatte eine kleine 
Eabe bereitet, die war verschwenderisch mit bun 
ten Bändern geschmückt, und als Sarah sie in 
ihren Korb legte, umhüllte sie das Kind mit ihrem 
weiten Mantel und küßte es darunter. Dann 
gingen die Bräute wieder fort, still und feierlich, 
wie sie gekommen, und nun war es Moiken lieb, 
datz sie vorhin noch nicht das Oellämpchen ent 
zündet hatte und sie nun ganz im Dunkeln saßen. 
Ihre Augen standen voll Tränen, und ihr Herz 
schlug so voll und warm, datz sie es durch den gan 
zen Körper fühlte. 
Moiken hatte bei sich gemeint, datz die Hoch 
zeit selbst kaum schöner sein könnte als dieser Vor 
abend, doch nun trat der folgende Tag mit ganz 
anderen Ansprüchen auf. Vom frühen Morgen 
an herrschte festliche Unruhe im ganzen Kirchspiel. 
Wer nicht selbst Braut oder Bräutigam im Hause 
hatte, richtete doch auf die eine oder andere Art 
für eine nachbarliche Hochzeit. Moiken ließ alles 
wie im Traum an sich vorüber gehen: das Ee- 
schmücktwerden daheim und das Schmücken der 
Bräute im Nachbarhause, und alle Scherze und 
Neckereien, die — ganz nach altem Brauch — da 
mit zusammenhingen. Das Nahen des stattlichen 
Brautzuges, der Anblick der flotten Jungmännsr 
hoch zu Roß, die drollige Predigt, die Maren, die 
alte Magd, ihnen aus der Eiebelluke hielt — das 
altes glitt nur so an Moikens Sinnen vorüber, 
ohne sie doch ganz zu wecken. 
Erst als sie inmitten der andern Brautjung 
fern vor Uwe Peters Haustür stand, wo die 
Bräute ihren Verlobten in feierlichem Tanz zu 
geführt werden sollten, da — unvermutet und so 
mit nur desto stärker, durchzuckte es Moiken plötz 
lich wie ein heißer Strahl und schreckte sie jäh aus 
der traumhaften Stimmung, die sie vom gestrigen 
Abend her noch immer umfing, denn hellauf juchzte 
eine Geige, wie sie es nur in Paul Cornelsen 
Lunds Händen tun kannte. Moiken halte noch 
nichts davon gehört, daß auch er heimgekehrt war. 
Nun stand er nicht weit von ihr ebenfalls unter 
den Hochzeitsgästen. Er war einen Schritt vor 
getreten, um besier die Arme rühren zu können. 
Nun stand er so rank und schlank vor den derbe 
ren Genossen, den schmalen Kopf mit dem dunklen 
Haar auf die Geige geneigt, der lebhafte Blick 
von einem zum andern springend. Er lachte, als 
er Moikens aufleuchtenden Augen begegnete. 
Alle anderen sahen auf die Bräute, und wer 
nachdenklichen Sinnes war, auch auf ihre Verlob 
ten. Die Bräute hatten ihre Wünsche nach Deut 
schen Hochzeitskleidern begraben müssen; der 
Vater hielt, fest an der alten Tracht. Sie leuch 
teten in Weiß uitd Rot, in Gold und bunten Stei 
nen — ganz nach altem Brauch. Ihre Verlobten 
aber waren nach neuester Pariser Mode gekleidet 
in blaue Röcke aus feinstem vlämischen Tuch, mit 
blitzenden Billanten in den Spitzen an Hals und 
Handgelenken, und ihre weitzgepuderten Perücken 
waren stutzerhaft gekürzt. Die alte und die neue 
Zeit traten sich hier gegenüber. Uwe Peters stand 
mit ernstem Blick daneben, und wer sonst nach 
denklichen Sinnes war, schaute auch hin und wie 
der — von den Bräuten zu ihren Verlobten und 
wieder zurück zu den Bräuten. Moiken aber sah 
nur den Geiger — nur ihn — und versank ganz 
in sein Spiel. 
Endlich führten die Bestmänner die Bräute 
ihren Verlobten zu, die nun mit ihnen den Rei 
gentanz eröffneten. Schnell hatte jede Brautjung 
fer einen Tänzer gefunden, nur Moiken vergaß 
sich und blieb neben dem Geiger stehen, wie ge 
bannt von der sprudelnden Tonfolge, die unter 
seinem Bogen hervorströmte. 
Als der Tanz beendet war, wurde Moiken 
von den andern Brautjungfern fortgezogen. Sie 
fuhr mit zur Kirche und stand mit den andern 
hinter den Bräuten im Altarraum. Sic sah die 
wehenden Fahnen und hörte das Jauchzen, 
Schießen und Lärmen, das den wieder heimkeh- 
trank mit den andern, sang und lachte, aber das 
alles war nicht so richtig Hochzeit. Das war ein 
Fest wie andere Feste auch, kaum höher zu wer 
ten als etwa der Petritag. Hochzeit — hohe Zeit 
wurde erst wieder, als endlich die Geige wieder 
klang. 
Die Hochzeit im Hause Musiolini. 
Donnerstagvormittag um 11 Ilhr 30 Minuten 
fand in Rom die kirchliche Trauung der Tochter 
des Diktators, Edda Musiolini, mit Galeazzo 
Eiano, dem Sohn des Verkehrsministers, statt, der 
zurzeit Attaches bei der italienischen Botschaft am 
Vatikan ist. Die Trauung fand in der zu Beginn 
dieses Jahrhunderts von Pius X. in der Dia No 
mentana erbauten Kirche St. Giuseppe statt, die 
unweit der Villa Torlonia liegt, die seinerzeit dem 
Duce und seiner Familie von dem Fürsten Torlo 
nia als Wohnsitz überlassen wurde. An der Hoch 
zeit, die im engsten Familien- und Freundeskreise 
gefeiert wird, nehmen etwa 100 Personen teil. 
Die Trauzeugen der Braut waren Arnolds Mus 
solini, der bekanntlich das faschistische Hauptorgan 
„Popolo d'Jtalia" leitet, uird Fürst Eiovanno 
Torlania; für den Bräutigam unterschrieb die 
Hochzeitsurkunde der italienische Außenminister 
Grands und Graf de Vecchi, der italienische Bot 
schafter am Vatikan. Bemerkenswert ist, daß sich 
das junge Paar unmittelbar nach der kirchlichen 
Trauung, dem römischen Brauch entsprechend, nach 
St. Peter begeben wird, um vor dem Apostelgrab 
zu beten. Ein Empfang durch den Papst findet 
nicht statt. Wohl aber hat Pius XI. anläßlich der 
Hochzeit Edda Mussolinis einen Rosenkranz aus 
Gold und Malachit überreichen und dem jungen 
Paar durch den päpstlichen Nuntius den apostoli 
schen Segen erteilen lassen. Ebenso hat das ita 
lienische Königspaar bereits vor einigen Tagen 
bei einem persönlichen Empfang dem Brautpaar 
ein kostbares Geschenk übergeben. Auch der Gou 
verneur von Rom, die faschistische Partei, der Se 
nat, die faschistische Kammer, sämtliche Regierungs- 
Mitglieder, dis Redaktion des „Popolo d'Jtalia" 
und die Provinz Forli, in der Mussolini geboren 
ist. haben reiche Geschenke in der Villa Torlonia 
abgegeben. Erwähnt sei, daß auch der Herzog von 
Aosta, der Vetter des Königs, der ein glühender 
Anhänger Mussolinis ist, zwei große Bronzelöwen 
überreichen ließ. Mittwochnachmittag fand in dem 
prächtigen alten Garten der Villa Torlonia ein 
großer Empfang statt, den Mussolini seiner Toch 
ter gab. An diesem nahm neben sämtlichen Mi 
nistern, Unterstaatssekretären und der Partei- 
Hierarchie u. a. auch das gesamte diplomatische 
Korps teil. 
Bunte Welt. 
Die Vögel verlassen Paris. 
Die Pariser Vogelfreunde haben eine unlieb 
same Entdeckung machen müssen. Der Lärm der 
Straßen, das ununterbrochene Getute der Auto 
hupen, das Rasseln der Räder und Quietschen der 
Bremsen sind den gefiederten Sängern allmählich 
zu arg geworden. In ihrer Ruhe gestört, haben 
sie Paris verlassen, und die Erweiterung der Ver 
kehrswege, die das Abholzen der alten Bäume be 
dingt, haben dazu beigetragen, die Abwanderung 
der Vögel zu beschleunigen. Es wird den Tieren 
immer schwerer gemacht, ein schützendes Obdach 
zu finden, und auch die Ernährungsfrage gestaltet 
sich immer problematischer. Aber die Vögel ver 
schwinden nicht nur aus Paris, auch draußen auf 
dem Lande ist ihre Zahl infolge der verstärkten 
Abholzung in fortschreitender Abnahme begriffen. 
Die Vogelfreunde, die diese Entwicklung der Dinge 
mit größter Sorge verfolgen, Haben sich im Inter 
esse des Vogelschutzes jetzt zu einer Liga zusam 
mengeschlossen. Man ist der Ansicht, daß die Vögel 
dem Lande erhalten bleiben könnten, wenn für 
eine genügende Zahl von Nistgelegenheiten Sorge 
getragen würde. Man hat bisher schon etwa 1500 
dieser Zufluchtsstätten in Gestalt von Nistkästen 
geschaffen und die Eigentümer der in Frage kom 
menden Besitzungen verpflichtet, die Vögel un 
behelligt zu lasten. Man hat sich aber damit nicht 
begnügt, sondern außerdem in den Räumen wäh 
rend der Wintersaison Nistkästen angebracht und 
Maßnahmen für die Fütterung getroffen. Auch in 
Paris selbst sind Versuche nach dieser Richtung im 
Gange. So sucht man beispielsweise im Park 
Monceau Sperlings und Amseln wieder heimisch 
zu machen. Vier Futterplätze sind dort bereits ein 
gerichtet und weitere sollen auch in anderen Parks 
der Stadt geschaffen werden. Kurz, man tut alles 
Mögliche, um die Vögel an Paris zu fesseln. 
Der Traum vom roten Golde. 
Ein Landmann aus der Gegend von Holbäk auf 
Seeland, der sich in unausgesetzten finanziellen 
Schwierigkeiten befand und demnächst seinen Hof 
hätte verlassen müssen, ist in diesen Tagen ein rei 
cher Man geworden. 'In einer der letzten Nächte 
war er gegen seine Gepflogenheit in Schlaf gefallen 
und hatte einen eigenartigen Traum, in welchem eine 
unbekannte Stimme ihm zuraunte, er werde rotes 
Gold finden, wenn er auf einer bestimmten Stelle 
seines Landes graben werde. Am nächsten Tage 
grub er an dem bestimmten Ort und fand kein Gold, 
dafür aber eine starke Ader des wertvollen Rötel 
lehms, die sich über sein ganzes Land in einer Aus 
dehnung von 40 Tonnen und in einer Dicke von 
mehreren hundert Fuß hinzog. Der Lehmfund wird 
sicher die Basis einer blühenden Ziegeleiindustrie 
werden, und der arme Landmann ist ein gemachte! 
Mann. 
Zum Lächeln und Lachen 
Im Warenhaus. 
„Ich möchte 'n Stehkragen für meinen Vater!" 
„Solchen, wie ich habe?" 
„Ne — 'n saubern!" 
* 
Sie: „Der Arzt sagt, ich brauche Klimawechsel!" 
Er: „Dos trifft sich ja gut. Nach dem Wetter 
bericht kann er schon morgen eintreten." 
* 
„Sie kennen mich erst zwei Tage und machen 
mir schon einen Antrag?" - 
„Nein, mein Fräulein, ich kenne Sie seit lan 
gem! Ich bin der Angestellte, der Ihr Konto auf 
der Bank führt." 
Achach-Lcke. 
Geleitet von Schachmeister Brinckmann. 
Kiel. Holtenauerftraße 228. 
lAnschr. an d. Adresse.) 
Nachdruck verboten. 
Aufgabe 
von Bebensee-Lübeck 
(Urdruck). 
Weiß: Kc3, Tb6, Ba2, c5. 
Schwarz: Ka4, Ba6. 
Matt in 3 Zügen. 
Eine hübsche Miniatur des jugendlichen Verfassers! 
Literatur. 
Im Verlage der Wiener Sckachzcituug ist jetzt 
das Kongretzbuch über das große internattonale 
Schachmeistertnrnier in Karlsbad 1929 erschienen. 
Die Bearbeitung des reichen Stoffes hat in den 
Händen von Becker, Brinckmann, Kmoch, Nimzo- 
wltfch, Spielmann, Tartakomer gelegen. Man kann 
das umfangreiche und mit peinlichster Sorgfalt 
herausgegebene Buch getrost als einen Durch 
schnitt durch die Schachgegenivart bezeichnen. Es 
bietet über alle Gebiete des praktischen Spiels 
wertvollste Aufschlüsse und Anregungen. Wir kön 
nen cs nur nachdrücklichst empfehlen. 
Betty Wehrte-■ Genhart 
Kreuzriege der Liebe 
Carl Duncker-Verlag. Berlin W. 62 
32) (Nachdruck verboten.) 
Geschmeidig glitt sie zur Tür und drehte das 
Licht des großen Leuchters aus. Weiches Dämmer 
licht herrschte nun in dem behaglichen Raume. Nur 
die mattrosa verschleierte Lampe auf dem Kamin- 
i^ms warf ihren Schein auf die verführerisch schöne 
Frauengestalt, die regungslos im Sessel ruhte. 
„Sie werden mich wieder malen, Harry... und 
alles wird fein, wie einst..." flüsterte sie. Ihre 
Hand stahl sich in die feine. Cr fand nicht die Kraft, 
sie abzuschütteln. „Verzeihst du mir nun, daß ich 
gekommen bin? Verdammst du mich nun nicht mehr, 
weil ich mich nicht losreißen konnte von dir? Ich 
durfte meine Pläne fa nicht verraten, als ich dich 
jeweils besuchte, durfte nicht gesehen, daß mein Auf 
enthalt in Bucheneck war. Du hättest mich durch 
schaut und mein Vorhaben vereitelt..." 
„Das hätte ich bestimmt", murmelte er vor 
sich hin. 
„Siehst du?" Sie lachte leise auf. „Und jetzt 
bist du doch zufrieden, daß alles so gekommen ist. 
Du wirst Neues schaffen aus dem unerschöpflichen 
Quell deiner Kunst und ich werde dabei deine Ge 
fährtin sein. Du mußt es ja endlich satt haben, 
steife, langweilige Madonnen zu malen." 
„Madonnen —!" Er sah auf, als erwache er 
aus einem bösen Traume. „O Gott... o Gott!" 
Er sprang auf, schüttelte den fürchterlichen Alp, der 
auf ihm gelastet, ab. Er stürzte zum Fenster, riß 
bie Flügel auf und ließ die kühle Nachtluft um seine 
fiebernde Stirne streichen. 
„Meine „Mater dolorosa"..." Er würgte ein 
Stöhnen herunter, das qualvoll aufsteigen wollte 
aus seiner Brust. „O, Sufanne ... Susanne ..." 
Er hatte das Gefühl, als müsse er diesen geliebten 
Namen hinausschreien ins Dunkel der Nacht. War 
es nicht, als sei sie soeben bei ibm gewesen, als 
hätte sie ihm ihre reinen Hände gereicht, um ihm 
emporzuhelfen aus dem Sumpf, in dem er in seiner 
zerrissenen Stimmung, in seinem Jammer um sein 
verpfuschtes Leben, beinahe rettungslos versunken 
wäre? 
Er blickte mit nüchternen Augen in das Zim 
mer zurück. Auch Rahel hotte sich erhoben. Ein 
bö'es Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Was hatte sie 
getan? Sie hatte ihn an jenes blonde Mädchen 
erinnert, dessen Antlitz er als „Mater dolorosa" auf 
der Leinwand verewigt hatte. Es war feine Schü 
lerin, wie er sagte, doch sie hatte dieselbe immer nur 
von ferne gesehen, da sic Gründe genug hatte, sich 
etwas zurückzuhalten. Warum nur mußte sie ihn in 
dreier kostbaren Minute an diese sanfte, kühle 
Mondscheinprinzessin erinnern? Nun hatte sie das 
Netz, das sie so fein um ihn gesponnen, mit unvor 
sichtiger Hand zerstört... 
„Es ist nun wohl Zeit, sich zurückzuziehen, 
Schwester Rahel", sagte der Maler kalt. „Sie haben 
morgen nur zu bestimmen, wann der Wagen vor 
fahren soll, der Sie nach Bucheneck zurückbringt." 
Da war es mit'ihrer Selbstbeherrschung vorbei. 
„Niemals werde ich dieses Haus freiwillig ver 
lassen. Und wenn Sie Gewalt anwenden wollen — 
mm probieren Sie es. Sie werden mich dann ken 
nen lernen. Ihre liebe Gattin wird dann erfahren, 
daß Sie über ihr Wiederkommen nicht erfreut, son 
dern entsetzt sind — daß Sie bereits die Scheidung 
eingeleitet hatten. Ha, ha, ha, — nun staunen Sie? 
Nicht wahr, ich bin gut unterrichtet! Und daß Sie 
draußen im Walde, in den verschwiegenen vier 
Wänden Ihres Ateliers ein schönes blondes Mäd 
chen verborgen halten. Soll ich hinaufgehen und 
Ihrer Frau diese allerliebsten Neuigkeiten verkün 
den, sie gleichzeitig um meine Entlassung Litten, da 
es mir unmöglich fei, unter einem solchen Dache zu 
leben? Sie sprechen nicht, Harry Thorn? Ah — 
Sie scheinen doch vorzuziehen, daß ich schweige ... 
und dafür — bleibe! Freilich, ein zweites Mal wol 
len Sie Ihre Frau wohl nicht mehr ins . i. Irren 
haus ..." 
Sie stieß einen Schrei aus. Er hatte sich auf sie 
gestürzt und schleuderte sie wie ein giftiges Reptil 
zur Erde. Schwer keuchend blickte er auf sie nieder. 
Seine Hände waren geballt, er mußte feine ganze 
Kraft zusammenreißen, um seinem Zorne nicht noch 
mehr Luft zu machen. Run hatte sie ihn ja glücklich 
in den Händen, die erbärmliche Schlange. Denn 
das wußte er genau — seiner armen Frau ein zwei 
tes Mal ein Leid zufügen, das brachte er nicht über 
sich. 
Längst hatte er das Zimmer verlassen, als sich 
Rahel erhob. Ihr Antlitz glich dem einer Meduse. 
Aus ihren Augen loderte unbezähmbarer Haß. 
„Zum zweiten Mal traf mich dein Schlag", 
murmelte sie vor sich hin. „Den dritten Schlag 
wirft du erhalten. Und dieser Schlag ... trifft dich 
ms... Herz!" 
* 
„Komm herein, Iürg — nun darfst du dir deine 
Braut ansehen." Frau Professor Hollen, welcke 
immer wieder etwas herumzuzupfen und zu ordnen 
fand an Kranz und Schleier, ließ ihren ungeduldi 
gen Sohn endlich eintreten. 
„Aber das bitte ich mir aus — gehe etwas scho 
nungsvoll um mit Susanne. Später kannst du sie 
ja in deine Arme nehmen, so viel du willst, aber 
jetzt hab acht ans diese weiße Pracht." 
Damit drückte sie die Tür hinter sich zu und ließ 
das Brautpaar allein. 
„Meine Susanne..." stammelte Iürg Holten 
in tiefer Bewegung. Er hielt sie an beiden Händen 
und schaute sie an, wie eine Erschcniung aus einer 
anderen Welt. „Susanne! Ich glaube, du weißt 
gar nicht, wie schön du bist. Und alle diese Schön 
heit gehört nun mir..." 
Er zog das blonde, myrtengeschmückte Haupr 
an sich und küßte den bebenden, blaßroten Mund. 
Sie sah in seine Augen, in denen eine Welt voll 
Liebe lag. Wie gut er war, wie treu! Und sie siand 
vor ihm mit leeren Händen ... so bettelarm... 
Und nicht nur arin war sie — sie war auch 
schlecht. Sie trat mit dem Bilde eines andern im 
Herzen vor den Altar und heuchelte Gefühle, die sie 
nicht empfand, llkur endlich fort von Rothenburg, 
fort, um nicht mehr in der dumpfen Angst leben zu 
müssen, dem Geliebte» wieder zu begegnen. Gott 
lob — er kam nicht zur Hochzeit. Iürg, der ihn 
persönlich einladen wollte, kam mit dem Bericht 
zurück, der Maler sei auf unbestimmte Zeit verreist. 
Mehrmals schon hatte sie vorgehabt, ihrem Ver 
lobten alles zu gestehen, damit wenigstens Klarheit 
herrschte zwischen ihnen. Aber sie war zu feige 
dazu, nicht wegen sich ,sondern wegen ihm. Sic 
wußte, wie ihn ihre Beichte treffen würde und des 
halb schwieg sie und schwor sich, ihm eine gute Frau 
zu sein — trotz alledem ... 
„Habe Geduld mit nur, Iürg", bat Susanne, 
die aufsteigenden Tränen niederkämpfend. „Ich 
weiß, du hältst mich für viel besser, als ich bin." 
„Schweig davon, kleine Sufcl. Bin ich ein Herr 
gott?" Er lachte und streichelte sanft über ihr ge 
neigtes Haupt. „Die Hauptsache ist doch, daß wir 
uns lieben. Wir werben nun alles zusammen tra 
gen, Freude und Leid..." 
Wie im Traum schritt Susanne an seiner Seite 
hinunter, wo die Gäste ihrer harrten. Dann schritt 
der Hochzeitszug durch den alten Garten, wo im 
lauen Herbstwind die goldenen Blätter tanzten. Der 
Himmel lachte in seidigem Blau, durch die fast ent 
laubten Bäume brach sich die Sonne sieghast Bahn 
und entlockte den nickenden Georginen am Weg und 
den bockstieline» Akàn à festliches Leuchten. 
fannes Augen schweiften mit verlorenem Ausdruck 
über die herbstliche Blumenpracht. 
„Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, 
Die letzten, bunten Astern trag herbei..." 
Susanne stützte sich schwer auf den Arm des 
Verlobten. Ihre Kräfte drohten sie zu verlassen. 
Es war Sünde, in dieser heiligen Stunde an das 
Vergangene zu denken. Und doch ... und doch.. > 
„Und laß uns wieder von der Liebe reden, 
Wie einst ... im Mai ..." 
Ach, ihres Lebens Mai lag auch zurück. In 
grauer Ferne. 
„Was ist dir, Liebste?" fragte Iürg, besorgt in 
ihr schneeblasses Antlitz blickend.' 
Sie schüttelte in leiser Abwehr den Kopf und 
überließ ihm ihre Rechte, die er mit festem Druck 
umschloß. 
Da zitterte tief und voll der erste Glockenton 
von der nahen Marienkirche herüber — die ganz« 
Lust füllte sich mit jauchzend anschwellenden Klän 
gen. Hochzeitsglocken... 
Und daun fiel vor Gottes Angesicht das feie:-' 
liche „Ja" von beider Lippen. Don dem Manne 
laut und freudig. Leise, scheu, von der blassen 
Braut, welche fast zusammenbrach bei dieser ersten 
großen Lüge ihres jungen Lebens. 
Ein einziges Mal während der heiligen Hand 
lung blickte Susanne aus. Sie war nicht überrascht, 
als sie Harry Thorn gewahrte. Längst hatte sir 
feine Nähe gefühlt. Ihr Herz schlug in dumpfen 
Schlägen. — Neben dem Geliebten saß eine schlanke, 
dunkle Frau. Sie trug Rosen in den Händen und 
starric unverwandt herüber zu ihr. Eine geheimnis 
volle Gewalt zwang Susanne, den Blick her Frem- 
den zu erwidern. 
Jubelnde Orgelklänge gaben den Neuvcrmähl- 
ten das Geleit aus der Kirche. Susanne ließ sih 
draußen umarmen und beglückwünschen. Sie wollte 
nicht um sich sehen — sie wußte — 
Und da stand er auch schon vor ihr. 
„Nehmen Sie meine innigsten Wünsche entge 
gen, Frau Susanne." Nur sekundenlang ruhten 
seine heißen Lippen auf ihrer Hand. Beide fühlten, 
wie es wie ein Feuerstrom hin und her wogte zwi 
schen ihnen. 
„Darf ich Sie mit meiner Gattin bekannt ma 
chen?" Cr wandte sich an die Frau an seiner Seite- 
Susanne Holten war meine Schülerin, von der ich 
dir erzählt« und die nun leider aus meinem Ge 
sichtsfeld verschwinden wird. Wie du weißt, lernte 
sie bei mir mit großem Erfolg." 
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