Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

îâgKch sŗschSìnsndss WLcrtt. 
Aê»dàmer 
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Ş2 stet 4 Jahŗgmtg. 
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburger Wochenblatt wird 
„Der Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen JnteressM 
der Landwirthschast) gratis beigegeben. 
Mo. 286. 
Donnenstcrg, den 7. Decenrvev 
1899. 
Morgen-Berichte. 
Berlin, 5. Dezember. In der An 
Gelegenheit des Dr. Preuß erfährt die 
„Rat. Ztg." zuverlässig, daß die juristische 
Fakultät der Berliner Universität ihr 
disziplinarisches Vorgehen aus eigenem 
Antriebe und ohne Kenntniß eines von 
dem Freiherrn v. Mirbach ergangenen 
Schreibens beschlossen und auch unab 
hängig von irgend einer äußeren Ein 
wirkung zu Ende geführt hat. Die 
„9£at. Ztg." bestätigt indessen, daß ein 
Schreiben an den Rektor der Universität 
seitens des Herrn v. Mirbach in der 
Preuß'schen Angelegenheit in der That 
ergangen ist. 
Konstantinopel, 5. Dez. Die „Frks. 
Ztg." meldet: Die drei Hauptunterzeichner 
der s. Z. der englischen Botschaft über« 
reichten kurdischen Sympathieadress- wur 
den am Sonnabend auf Anordnung des 
Palais verhaftet. Der Botschafter b'Connor 
hat gegen die Verhaftung energisch pro- 
testirt und die Freilassung gefordert. Der 
Botschafter machte ferner den Minister 
des Aeußeren darauf aufmerksam, daß der 
Sultan ihm in der letzten Audienz sein 
Wort verpfändet habe, die sUnterzeichner 
unbehelligt zu lassen. Trotzdem dürfte 
die Einmischung b'Conrwrs zurückgewiesen 
werden. 
Kahla, 5. Dez. Der wegen der be 
kannten Riesendefraudation von 300 000 
Mark verhaftete Buchhalter des früheren 
hiesigen Spar- und Borschußvereins, Zecke 
jun., hat sich in: Landgerichtsgefängniß in 
Altenburg erhängt. 
Breölau, 5. Dez. Heute Nachmittag 
trat bei starkem Sturm heftiges Schnee 
treiben unter Gewittererscheinungen ein. 
Königsberg, 5. Dez. Bei dem z. Zt. 
hier herrschenden starken Nordwestfturm 
wurde, wie die Blätter melden, der 
Haffwehrdamm bei Agilla und der 
Treideldamm zwischen Jnwendt und 
Nemonien durchbrochen. Agilla, Jnwendt, 
Nemonieņ und Gilge Hetzen tief unter 
Wasser. Der Schaden und die Gefahr 
ist gros. 
Wien, 5. Dezember. Der Antrag des 
Abg. Kaiser auf völlige Streichung 
des § 14 der Verfassung wurde vom 
Parlamentsausschuß zur Abänderung des 
8 14 mit 20 gegen 12 Stimmen an 
genommen. 
Paris, 5. Dezember. Der Minister 
des Innern hat die Beschlagnahme eines 
Liedes über die Königin von England 
angeordnet und dessen Absingung ver 
boten. 
Kopenhagen, 5. Dez. Infolge eines 
Brandes im Hauptleitungskanal trat heute 
Nacht eine Störung in der Hauptstation 
des elektrischen Lichtbetriebes ein. In 
ganz Kopenhagen erlosch die elektrische 
Beleuchtung ; am meisten sind die Zeitungs 
druckereien von der Störung betroffen. 
Der Brand wurde bald gelöscht. Die 
Betriebsunterbrechung dürfte mehrere 
Tage andauern. 
Irr Arier is glltfHh. 
Dor beste Beweis, daß die englischen Sie 
gesnachrichten über die Schlacht am Mod 
derstusse theils erlogen, theils übertrieben 
waren, ist die Thatsache, daß General Me 
thuen sich nicht von der Stelle rührt. 
Der Korrespondent der Daily Chronicle 
sendet eine Depesche aus dem Feldlager am 
Modder River worin er sagt, daß die Macht 
der Boeren in der Schlacht 10 000 Mann 
betrug. Die Boeren schossen mit außeror 
dentlicher Treffsicherheit, und die Engländer 
wurden einfach? niedergemäht, beson 
ders die Jnfanteriebrigäde wurde schrecklich 
znsammengehauen. In der Nacht zogen die 
die Boeren sich zurück, nahmen aber ihre 
Kanonen mit sich?. 
Wenn die Boeren ihre Kanonen mitneh 
men konnten, so haben sie jedenfalls keinen 
fluchtähnlichen Rückzug angetreten. 
Der Times-Korrespondent hat für den 
„Erfolg" eine herrliche Phrase erfunden. Er 
meint: Tie Nacht.fiel herab auf einen „un 
entschiedenen Sieg". Mit dem „unentschie 
den" hat er Recht, denn alle Berichte stim 
men darin überein, daß die Boeren erst 
Nachts ihre Stellungen verließen und alle 
Geschütze mitnahmen, was nicht nach einer 
Flucht aussieht. Der Times zufolge verlo 
ren die Engländer ein Maximgeschütz und 
viele Leute. Erst am anderen Morgen, als 
sie die feindliche Stellung verlassen fanden, 
wagten sie xs, den Fluß zu überschreiten. 
Ter Operatimisplan.des Generals Bul 
ker im Norden der Kapkolonie soll nunmehr 
aufgegeben worden sein. Buller hatte ge 
hofft, durch das Erscheinen der Colonne 
Lord Methuens, die Boeren an den Modder 
River zu locken, wo auch? General. Gatacre 
in Eilmärschen den Boeren in den Rücken 
fallen und sic umzingeln sollte, um ihnen 
den Rückzug nach Bloemfontein aļ zuschnei 
den. Die Revolte der .Afrikander in der 
Kapkolonie hat diesen Plan zum Scheitern 
gebracht und die .englische Armee Zur Nn- 
thätigkeit verurtheilt. 
L o n d o n, 5. Dec. Daily Mail meldet 
aus Pietermaritzburg.: Alle Zweifel, daß 
Joubert noch? lebt, sind beseitigt. Mr Wal 
lace, ein hervorragender Gutsbesitzer vom 
Mapi-Fluß, und andere haben ihn gesehen 
und.mit ihm gesprochen. 
Weitere Nachrichten melden: 
London, 5. Dec. Der „Cape Times" 
in Kapstadt wird aus Mafeking gemeldet, 
daß General Cronje mit vielen Truppen 
und 100 Wagen von Mafeking abgerückt 
sei. Die Belagerung sei praktisch aufge 
hoben, obwohl der Feind ein unregelmäßi 
ges Gewehr- und Granatfeuer unterhält. 
Sonstige, bis zum 22. v. M. eingelaufene 
Berichte erwähnen von einer Aufhebung der 
Belagerung Mafekings nichts. — „Daily 
Telcgr." meldet aus Eastcourt, daß am 
Donnerstage die Brücke von Colenso völlig 
zerstört worden sei. Tie Nachricht von die 
sem Vernichtungswert wurde durch elektri 
sches Licht von Eastcourt nach Ladysmith 
übermittelt. Cavallerie-Patrouillen gelang 
ten bis in die unmittelbare Nähe von Co 
lenso. Die Boeren befinden sich in starker 
Zahl auf Groblens Kloos. Wie weiter be 
richtet wird, soll heftiges Feuern in der 
Richtung nach Ladysmith gehört werden. 
Die Frere-Brücke dürste in vier Tagen her 
gestellt sein. — Man erwartet in militärisch 
unterrichteten Kreisen bis Mittwoch eine 
entscheidende Aktion vom General Buller. 
— Dem „Standard" wird aus Kapstadt 
gemeldet, daß das Kapnsinisterium eins 
seiner Mitglieder, wie man vermuthet, den 
Justizminister Salomon, nach London zu 
entsenden beabsichtigt, damit dieser seine 
Ansichten betreffs der Regelung der Ver 
hältnisse nach dem Kriege den: Kabinette 
unterbreite. Es heißt, die Führer der Hol 
länderpartei machen eifrige Anstrengungen, 
um nach beendetem Feldzüge wenigstens die 
Unabhängigkeit des Oranjefreistaates zu ret 
ten. Merriman soll in diesem Sinne in 
England wirken. . 
London, '5. Dez. Die Blätter brin 
gen zahlreiche Einzelheiten über das Ge 
fecht bei Modder River, bedauern lebhaft 
den Mangel an Artillerie und Kavallerie 
und verlangen, daß diese Truppengattungen 
unverzüglich beschafft werden. 
London, 5 Dec. „Daily Mail" rech 
net ans, .daß die Streitmacht der Boeren 
am Tugelaflusse 25 bis 30 000 Mann be 
tragen habe. Die Verluste seien seit Beginn 
des Krieges durch Heranziehung von Frei 
willigen ans der.Kapkolonie ersetzt worden, 
sodaß die Boeren heute noch ebenso stark 
seien, wie zu Beginn des Krieges. 
Meldungen des.Reuterischen Bureaus ans 
Lourenco Marques vom 30. November: Ein 
gestern inPretoria eingegangener amtlicher 
Bericht des Generals Dele re:, besagt, daß 
sein Kommando am Morgen des 28. No 
vember von einer starken feitifc^en Streit 
macht am Wodderfluß, 25 Weilen von Kim 
berley, angegriffen wurde. Es entwickelte 
sich ein heftiger Kampf, der 12 Stunden 
dauerte. General Cro.nje und General De- 
larey hatten starke Stellungen inne; die 
Freistaatboeren waren verstärkt worden. 
Telarey meldet weiter, er habe 17 Mann an 
Todten und Verwundeten verloren, darun 
ter seinen ältesten Sohn; die Verluste der 
Freistaatboeren seien ihm unbekannt. Tie 
Boeren hätten sich bei Eintritt der Dunkel 
heit langsam in ihre Stellungen zurückge 
zogen, nachdem die Engländer sie daran ge 
hindert hatten, sich den Weg nach Kimber 
ley zu erzwingen. 
Die ŞtèMmuAst in Frankreich. 
P a r i Z, 5. Dec. Chamberlain's Rede 
in Leicester hat einem. Theil der französi 
schen Presse in hellste Aufregung gebracht, 
und man hört kriegerische Fanfaren, die an 
die Tage von Faschoda erinnern. Frank 
reich, erklärt z. B. der „Gaulois", ist 
gezwungen, von neuem die . Frage 
eines bewaffneten Zusammen 
stoßes mit England in's Auge 
zu fassen. D?en Zeitpunkt dieses Kon 
flikts rückt der „Gaulois" an das Ende des 
Transvaalkriegs, als mögliches Kampfob 
jekt bezeichnet er Madagaskar, was 
um so bemerkenswerther ist, als die fran 
zösische Presse bisher bekanntlich geleugnet 
hat, durch Madagaskar an dem Verlauf der 
Tinge in Südafrika interessirt zu sein. 
Sache der französischen Regierung sei es, 
die Kolonien gegen die Gefahr eines Hand 
streichs zu schützen, und einige jüngst getrof 
fene Maßregeln, über die man sich heftig 
gestritten babe,^weil man sie nicht verstand, 
sollten in der That diesem so spät als noth 
wendig erkannten Zwecke dienen. Der 
„Gaulois" fordert dann seine Landsleute, 
offenbar im Hinblick auf Deutschland, zum 
Maßhalten im Ausdruck ihrer Sympathien 
?und Antipathien auf. Die Zeiten, wo 
Frankreich für alle Schwachen und Unter 
drückten eintreten konnte, seien vorüber, 
Frankreich habe für seine eigenen nationalen 
Interessen zu sorgen. „Wenn es diese In 
teressen erfordern, daß wir uns mit Eng- 
England im Kampfe messen, so wollen 
wir uns mannhaft auf diesen Kampf vor 
bereiten, unsere Flotte verstärken, uns Bun 
desgenossen sichern und in den Krieg 
ziehen." 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Ncwyork, 4. Dec. Eine neue amerikani- 
sche Verrücktheit. Ein amerikanischer Pro 
fessor hat ausgerechnet, daß im Ver 
laufe eines Jahrhunderts 
Ä6560 Genies in Amerika allein zu Grunde 
gehen. Er meint nämlich, daß in Ame. ucl 
rife im Durchschnitt täglich ein schöpfe«. Stefan!" 
Der Krènzesimlllî-Kitzer. 
Eine vergnügte Garnison-Geschichte. 
3s ^Von Heinrich Lee. 
(Nachdruck verboten ) 
Frau von Pahlen hatte mit ToLter auf 
der Durchreise in Berlin einen Verwandten- 
.Lesuch gemacht und der Ton, den Fräulein 
Lucy auf das Wort „Berlin" verlegte, 
kennzeichnete den unauslöschlichen Eindruck' 
den sie mit dem Stubenmädchen Minna 
gemeinschaftlich von der Friedrichstraße und 
dem Aquarium gewonnen hatte, zur Genüge. 
„Nun fang mir wieder mit Berlin an", 
sagte Frau von Pahlen — „und die Lieute 
nantreden sollst Du mir lassen. Jetzt setz 
Dich und trink!" 
Fräulein Lucy warf einen prüfenden Blick 
in die Tasse. „Bouillon", sprach sie, den 
Mund verziehend. 
„Kann ich wohl noch 'n Cognac trinken, 
Mama?" fragte sie dann bittend und etwas 
furchtsam „das dumme Eisenbahncoupce! 
Ganz lappig macht's einen im Munde." 
„Du hast doch auf der ganzen Fahrt das 
Zeug getrunken", antwortete Frau von 
Pahlen mit noch erhöhter Stimme. 
„Doch blos noch einen einzigen Schluck. 
Mama!" 
„Du nimmst Dir aber ein Stück Zucker 
dazu", kapitulirte Frau von Pahlen refignirt, 
um dem Kinde ihrer Sorgen die Ruhe ru 
geben. 
Mit einem hastigen Griff entnahm Fräulein 
Lucy dem Reisenecessaire die Flasche, warf 
Noch einen flüchtigen scheuen Blick auf die 
Dtama, wo sie sich vergewiffcrte, daß diese 
völlig mit der Bouillon beschäftigt war, setzte 
dann die Flasche Wohlgemuth an den Mund 
sches Gehirn infolge geringer Anerkennung 
oder mangelhafter Unterstützung der Ver< 
lumpung oder dem Wahnsinn anheimfalle. 
Der betreffende Professor beabsichtigt nun, 
um dem Uebel zu steuern, die Gründung 
eines „Genieheims" als Zufluchtstätte für 
die heruntergekommenen großen Intellekte 
Amerikas. Das Heim, das allerdings 
noch zur guten Hälfte der Phantasie ge 
hört, soll nach dem Plan des unterneh 
menden Amerikaners besondere Aparte- 
ments für die Genies auf den ver 
schiedenen Gebieten der Kunst und Wissen 
schaft haben, so daß beispielsweise das 
Philologische Genie mit dem poetischen und 
das mathematische mit dem malerischen 
nicht in Konflikt zu kommen braucht. 
England. 
London, 5. Dez. Die Zeitungen melden, 
Chamberlain sei unpäßlich. Der Grund 
der Unpäßlichkeit wird nicht angegeben. 
(Vielleicht eine politische Krankheit? Red.) 
Salisbury geht es besser, er verrichtet 
wieder die Geschäfte. Balfour besuchte 
ihn gestern in Hatfield. Höchst amüsant 
wäre es, wenn Lord Salisbury bliebe 
und Chamberlain ginge. 
Oeşierreich-Ungarn. 
Budapest, 4. Dez. Der „B. L. A." 
meldet: Die heutige Reichslagssitzung 
begann ruhig, endigte aber so stürmisch, 
wie schon seit Jahren keine. Minister- 
Präsident Szell beantwortete eine Inter 
pellation in der Angelegenheit der 
Meldung der Reservisten, welche in den 
Kontrollversammlungen den Aufruf auf 
Ungarisch mit „Jelen" beantworteten. 
Szell sprach unter fortwährendem 
kolossalen Lärm des Hauses. Man 
unterbrach ihn und brachte Hochrufe aus. 
Szell sagte: „Von 410.000 gemeldeten 
Reservisten wurden 17 verurtheilt, 
9 Mann wurde die Strafe nachgesehen' 
Die Armeesprache ist die deutsche, und 
die Befehle seines Offiziers muß jeder 
Soldat ohne zu klügeln befolgen." 
Darauf entstand ein furchtbarer Spektakel; 
Rufe wie: „Ungarns Ministerpräsident 
beschimpft die ungarische Sprache!" 
„OesterreichischerLandsknecht!" „Schande!" 
„Schmach!" tönten durcheinander. Abg. 
Barabas sagte: „Des Kriegsministers 
von Krieghammer Verordnung ist ein 
Revolver, gerichtet auf die ' ungarische 
Jugend, und der Ministerpräsident 
Ungarns hat sich der Soldateska an- 
geschlossen. Hinter der Verordnung steht 
nicht ein verfassungstreuer König, sondern 
ein Imperator. Wenn der König die 
Uniform als Soldat anzieht, verschwindet 
uns der Krönungsmante! des heiligen 
Dieser Angriff auf die 
und nahm auf diese Werse.einen h-rzlMen 
Schluck. In dieser selben Sekunde àr 
glitten die mütterlichen Augen über sie. 
„Nun trinkst Du wohl .gar aus -der 
Flasche'!" rief Frau von Pahlen voll Ver 
zweiflung. 
„Doch blos ein Sattelschlnck, Mama", 
erwiderte.Fräulein Lucy erschreck 
kleinlaut. 
bleibt dabei", sprach Frau von 
Pahlen nach einer Pause mit kategorischer 
Bestimmtheit, „wie's Onkel Malthus in 
Berlin gesagt hat. Zum Oktober kommst 
Du mir nach Ranstädt zu Pastors. Das 
ist nicht mehr zum Aushalten mit Dir." 
„Mama!" schrie Fräulein Lucy, die Hände 
faltend, mit Entsetzen auf. Aber unbarm 
herzig fuhr Frau von Pahlen in ihrer Rede 
şoŗt: „Hier unter den Offizieren -kommst 
Du noch ganz außer Rand und Band. Bei 
den Pastorstöchtern wirst Du lernen, was 
sich für ein junges Mädchen schickt." 
„Dre Pastormädel, Mama!" fiel Fräulein 
Lucy mit einer herzbrechenden Stimme ein. 
.Nun heule blos", sagte Frau von Pahlen 
ungerührt. 
In der That traten Fräulein Lucy die 
Thränen jetzt in die Augen. „Mit der 
Tine von früh bis spät für die schwarzen 
Negerkinder Strümpfe stricken", schluchzte fie 
bitter. „Und die Pastorin. Jeden Freitag 
Mohrrüben zu Mittag und alles in Ranstädt 
blos Civil. Nicht ein einziger lumpiger 
Lieutenant. Da kann ich doch gleich ins 
Damenstift gehen und eine alte Jungfer 
werden." 
.Jetzt trinkst Du endlich Deine Bouillon", 
befahl Frau von Pahlen, ohne diese Klagen 
einer Silbe der Erwiderung für 
werth zu erachten. 
Stumm, mit verwundeter Seele nahm 
Fräulein Lucy an dem Tische Platz und griff 
zu ihrer Taffe. 
Wir schmeicheln uns, der schönen Leserin 
durch den soeben geschilderten Auftritt von 
dem gegenseitigen Verhältnisse der beiden 
und etwasj Damen Pahlen einen anschaulichen Begriff 
gegeben zu haben. Fräulein Lucy's Erziehung 
war infolge des frühen Todes ihres Vaters den 
Händen ihrer Mutter allein überlassen gewesen. 
Die ausschließlich soldatische Umgàng des 
Pahlen'schen Hauses — selbst Minna diente 
grundsätzlich nur in Offiziersfamilien — ferner 
der Umstand, daß die Pahlen'schen ' Ver 
wandten, zu denen Lucy zuweilen auf Be 
such geschickt worden war, gleichfalls sämmt 
lich zu der Armee gehörten, und endlich das 
angeborene Blut halten Fräulein Lucy all 
gemach in jene Verfaffung verbracht, die 
man in manchem Casino bezüglich junger 
Damen mit dem Ausdrucke „verlieutenantet" 
bezeichnet. Seitdem Fräulein Lucy mit ab 
geschlossenem Confirmations - Unterricht die 
Schule verlassen und seit dem letzten Winter 
den ersten Cotillon getanzt hatte, war ihre 
militärische Entwickelung zum Höhepunkt ge 
diehen. Inzwischen war der Pastor Merkel, 
ein frommer, aber strenger Herr, der sie 
eingesegnet hatte, ein Freund des verstorbenen 
Herrn von Pahlen und des ganzen Pahlen- 
scken Stammes, nach dem benachbarten Ran 
städt in eine gute Pfründe versetzt worden, 
und die Berathung der Frau von Pahlen 
in Berlin mit Onkel Malthus, ihrem Bruder, 
dem Majoratsherrn und dem Vormund 
Lucy's, harte die Erwägung gezeitigt, das 
in der Entartung begriffene Kind zu besserer 
Zucht nach Ranstädt in die Pastoren- 
familie zu schicken. Als Fräulein Luch das 
Resultat der Konferenz bekannt gegeben 
wurde, zog sie auf der Stelle das Taschen 
tuch hervor, und ihren Augen entstürzten 
wahre Bäche. Ihr schluchzend und unter 
heißen Schwüren gespendetes Versprechen, 
sich fortan ändern zu wollen, hatten die an 
gedrohte Exekution wieder in eine gewiffe 
Ferne gerückt. Auch fühlte Frau von Pahlen's 
mütterliches Herz noch immer ein Bedenken 
von ihrem einzigen Kinde sich zu trennen. 
Bon einem zweiten bedeutsamlichen Grunde 
den unsere gespannte Leserin sogleich er 
fahren wird, vorläufig nicht zu reden. Unter 
solchen Verhältnissen also saßen die beiden 
Damen nunmehr am trauten Frnhstückstisch, 
wieder im lieben Heim, den Reisestaub noch 
nicht ganz abgeschüttelt, und tranken ihre 
Bouillon. 
Nach einer Pause ergriff Fräulein Lucy, 
an einem gerösteten Brötchen mit Schinken 
kauend, von neuem das Wort: 
„Du, Mama", sagte sie, „ein neuer Oberst 
ist bei den Ulanen. Der Petermann hat 
mir's erzählt. Er kommt von der Garde 
und noch ein ganz junger Schnaufer. Erst 
Anfangs vierzig. Und der alte Oberst Bülau 
um die Ecke. Die Majorin hat's schon im 
Frühjahr gesagt. Und nu die vier Mädchens. 
Leid können einem die armen Würmer doch 
thun." 
Das geht doch Dich nichts an", er 
widerte Frau von Pahlen. 
„Ich soll mich um überhaupt nichts 
kümmern", bemerkte Fräulein Luch etwas 
zaghaft. Alsdann glitt ihr Blick auf das 
Blumenbouquet an dem Fenster. 
„Ein Bouquet?" sprach fie ziemlich gleich 
gültig, „gerade die Regimentsfarben. Ganz 
nett. Von wem ist es denn, Mama?" -?^ 
Auf diese Frage sah Frau von Pahlen 
lhre Tochter mit einem bedeutungsvollen 
Blick an. 
„Vielleicht wirst Du's errathen", erwiderte 
fie mit Nachdruck. 
„Errathen?" versetzte Fräulein Lucy ver 
wundert. Dann huschte plötzlich ein er 
freutes Lächeln über ihr Gesicht. 
„Von Herrn von Stubben?" 
„Das räthst Du also gleich", sagte Frau 
von Pahlen befriedigt. 
Sofort nahmen Fräulein Lucy's Züge, 
als hätte sie eine Uebereilung begangen, 
wieder den Ausdruck des Gl-ichmuths, ja 
der Kälte und des Spottes an. 
„Ach! Veilchen! Das ist doch nichts Be 
sonderes", sagte fie. 
„Schämst Du Dich gar nicht?" entgegnete 
Frau von Pahlen mit Unwillen und Strenge 
— „verdienen thust Du seine Aufmerksam 
keit gewiß nicht. Ein Mensch wie er und 
ein Ding wie Du!" 
„Ich? Ich will doch aber nichts von 
ihm", protestirte Fräulein Lucy. Mir kommt 
er vor wie ein Consistorialrath. Mehr als 
ein Commißmensch, mehr als ein Diensthuber 
ist er doch nicht. Wenn die andern lustig 
ind, dann sitzt er zu Hanse und schreibt 
Artikel für das Militär-Wochenblatt. Jm- 
poniren kann er einem doch nicht." 
Die anfängliche leidenschaftliche Erregung, 
mit der Fräulein Luch gesprochen, machte 
bei den letzten Worten wieder einer großen 
Neberlegenhcit und Verächtlichkeit Platz. ' 
„Weil ein Ding, wie Du", erwiderte 
Frau wn Pahlen scharf „nur das Aeußere, 
das Oberflächliche an einem Menschen steht.
	        
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