îâgKch sŗschSìnsndss WLcrtt.
Aê»dàmer
(Außer an Sonn- und Festtagen.)
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iucl. Postprovision re., jedoch ohne Bestellgeld.
ochenblatl
ZnserrionsvreiS: pro VeÜtzeile 15 ş.
Aelteftes und geLefeustrs Zimt im Kreise Neudsvurg.
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
Ş2 stet 4 Jahŗgmtg.
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburger Wochenblatt wird
„Der Landwirth"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen JnteressM
der Landwirthschast) gratis beigegeben.
Mo. 286.
Donnenstcrg, den 7. Decenrvev
1899.
Morgen-Berichte.
Berlin, 5. Dezember. In der An
Gelegenheit des Dr. Preuß erfährt die
„Rat. Ztg." zuverlässig, daß die juristische
Fakultät der Berliner Universität ihr
disziplinarisches Vorgehen aus eigenem
Antriebe und ohne Kenntniß eines von
dem Freiherrn v. Mirbach ergangenen
Schreibens beschlossen und auch unab
hängig von irgend einer äußeren Ein
wirkung zu Ende geführt hat. Die
„9£at. Ztg." bestätigt indessen, daß ein
Schreiben an den Rektor der Universität
seitens des Herrn v. Mirbach in der
Preuß'schen Angelegenheit in der That
ergangen ist.
Konstantinopel, 5. Dez. Die „Frks.
Ztg." meldet: Die drei Hauptunterzeichner
der s. Z. der englischen Botschaft über«
reichten kurdischen Sympathieadress- wur
den am Sonnabend auf Anordnung des
Palais verhaftet. Der Botschafter b'Connor
hat gegen die Verhaftung energisch pro-
testirt und die Freilassung gefordert. Der
Botschafter machte ferner den Minister
des Aeußeren darauf aufmerksam, daß der
Sultan ihm in der letzten Audienz sein
Wort verpfändet habe, die sUnterzeichner
unbehelligt zu lassen. Trotzdem dürfte
die Einmischung b'Conrwrs zurückgewiesen
werden.
Kahla, 5. Dez. Der wegen der be
kannten Riesendefraudation von 300 000
Mark verhaftete Buchhalter des früheren
hiesigen Spar- und Borschußvereins, Zecke
jun., hat sich in: Landgerichtsgefängniß in
Altenburg erhängt.
Breölau, 5. Dez. Heute Nachmittag
trat bei starkem Sturm heftiges Schnee
treiben unter Gewittererscheinungen ein.
Königsberg, 5. Dez. Bei dem z. Zt.
hier herrschenden starken Nordwestfturm
wurde, wie die Blätter melden, der
Haffwehrdamm bei Agilla und der
Treideldamm zwischen Jnwendt und
Nemonien durchbrochen. Agilla, Jnwendt,
Nemonieņ und Gilge Hetzen tief unter
Wasser. Der Schaden und die Gefahr
ist gros.
Wien, 5. Dezember. Der Antrag des
Abg. Kaiser auf völlige Streichung
des § 14 der Verfassung wurde vom
Parlamentsausschuß zur Abänderung des
8 14 mit 20 gegen 12 Stimmen an
genommen.
Paris, 5. Dezember. Der Minister
des Innern hat die Beschlagnahme eines
Liedes über die Königin von England
angeordnet und dessen Absingung ver
boten.
Kopenhagen, 5. Dez. Infolge eines
Brandes im Hauptleitungskanal trat heute
Nacht eine Störung in der Hauptstation
des elektrischen Lichtbetriebes ein. In
ganz Kopenhagen erlosch die elektrische
Beleuchtung ; am meisten sind die Zeitungs
druckereien von der Störung betroffen.
Der Brand wurde bald gelöscht. Die
Betriebsunterbrechung dürfte mehrere
Tage andauern.
Irr Arier is glltfHh.
Dor beste Beweis, daß die englischen Sie
gesnachrichten über die Schlacht am Mod
derstusse theils erlogen, theils übertrieben
waren, ist die Thatsache, daß General Me
thuen sich nicht von der Stelle rührt.
Der Korrespondent der Daily Chronicle
sendet eine Depesche aus dem Feldlager am
Modder River worin er sagt, daß die Macht
der Boeren in der Schlacht 10 000 Mann
betrug. Die Boeren schossen mit außeror
dentlicher Treffsicherheit, und die Engländer
wurden einfach? niedergemäht, beson
ders die Jnfanteriebrigäde wurde schrecklich
znsammengehauen. In der Nacht zogen die
die Boeren sich zurück, nahmen aber ihre
Kanonen mit sich?.
Wenn die Boeren ihre Kanonen mitneh
men konnten, so haben sie jedenfalls keinen
fluchtähnlichen Rückzug angetreten.
Der Times-Korrespondent hat für den
„Erfolg" eine herrliche Phrase erfunden. Er
meint: Tie Nacht.fiel herab auf einen „un
entschiedenen Sieg". Mit dem „unentschie
den" hat er Recht, denn alle Berichte stim
men darin überein, daß die Boeren erst
Nachts ihre Stellungen verließen und alle
Geschütze mitnahmen, was nicht nach einer
Flucht aussieht. Der Times zufolge verlo
ren die Engländer ein Maximgeschütz und
viele Leute. Erst am anderen Morgen, als
sie die feindliche Stellung verlassen fanden,
wagten sie xs, den Fluß zu überschreiten.
Ter Operatimisplan.des Generals Bul
ker im Norden der Kapkolonie soll nunmehr
aufgegeben worden sein. Buller hatte ge
hofft, durch das Erscheinen der Colonne
Lord Methuens, die Boeren an den Modder
River zu locken, wo auch? General. Gatacre
in Eilmärschen den Boeren in den Rücken
fallen und sic umzingeln sollte, um ihnen
den Rückzug nach Bloemfontein aļ zuschnei
den. Die Revolte der .Afrikander in der
Kapkolonie hat diesen Plan zum Scheitern
gebracht und die .englische Armee Zur Nn-
thätigkeit verurtheilt.
L o n d o n, 5. Dec. Daily Mail meldet
aus Pietermaritzburg.: Alle Zweifel, daß
Joubert noch? lebt, sind beseitigt. Mr Wal
lace, ein hervorragender Gutsbesitzer vom
Mapi-Fluß, und andere haben ihn gesehen
und.mit ihm gesprochen.
Weitere Nachrichten melden:
London, 5. Dec. Der „Cape Times"
in Kapstadt wird aus Mafeking gemeldet,
daß General Cronje mit vielen Truppen
und 100 Wagen von Mafeking abgerückt
sei. Die Belagerung sei praktisch aufge
hoben, obwohl der Feind ein unregelmäßi
ges Gewehr- und Granatfeuer unterhält.
Sonstige, bis zum 22. v. M. eingelaufene
Berichte erwähnen von einer Aufhebung der
Belagerung Mafekings nichts. — „Daily
Telcgr." meldet aus Eastcourt, daß am
Donnerstage die Brücke von Colenso völlig
zerstört worden sei. Tie Nachricht von die
sem Vernichtungswert wurde durch elektri
sches Licht von Eastcourt nach Ladysmith
übermittelt. Cavallerie-Patrouillen gelang
ten bis in die unmittelbare Nähe von Co
lenso. Die Boeren befinden sich in starker
Zahl auf Groblens Kloos. Wie weiter be
richtet wird, soll heftiges Feuern in der
Richtung nach Ladysmith gehört werden.
Die Frere-Brücke dürste in vier Tagen her
gestellt sein. — Man erwartet in militärisch
unterrichteten Kreisen bis Mittwoch eine
entscheidende Aktion vom General Buller.
— Dem „Standard" wird aus Kapstadt
gemeldet, daß das Kapnsinisterium eins
seiner Mitglieder, wie man vermuthet, den
Justizminister Salomon, nach London zu
entsenden beabsichtigt, damit dieser seine
Ansichten betreffs der Regelung der Ver
hältnisse nach dem Kriege den: Kabinette
unterbreite. Es heißt, die Führer der Hol
länderpartei machen eifrige Anstrengungen,
um nach beendetem Feldzüge wenigstens die
Unabhängigkeit des Oranjefreistaates zu ret
ten. Merriman soll in diesem Sinne in
England wirken. .
London, '5. Dez. Die Blätter brin
gen zahlreiche Einzelheiten über das Ge
fecht bei Modder River, bedauern lebhaft
den Mangel an Artillerie und Kavallerie
und verlangen, daß diese Truppengattungen
unverzüglich beschafft werden.
London, 5 Dec. „Daily Mail" rech
net ans, .daß die Streitmacht der Boeren
am Tugelaflusse 25 bis 30 000 Mann be
tragen habe. Die Verluste seien seit Beginn
des Krieges durch Heranziehung von Frei
willigen ans der.Kapkolonie ersetzt worden,
sodaß die Boeren heute noch ebenso stark
seien, wie zu Beginn des Krieges.
Meldungen des.Reuterischen Bureaus ans
Lourenco Marques vom 30. November: Ein
gestern inPretoria eingegangener amtlicher
Bericht des Generals Dele re:, besagt, daß
sein Kommando am Morgen des 28. No
vember von einer starken feitifc^en Streit
macht am Wodderfluß, 25 Weilen von Kim
berley, angegriffen wurde. Es entwickelte
sich ein heftiger Kampf, der 12 Stunden
dauerte. General Cro.nje und General De-
larey hatten starke Stellungen inne; die
Freistaatboeren waren verstärkt worden.
Telarey meldet weiter, er habe 17 Mann an
Todten und Verwundeten verloren, darun
ter seinen ältesten Sohn; die Verluste der
Freistaatboeren seien ihm unbekannt. Tie
Boeren hätten sich bei Eintritt der Dunkel
heit langsam in ihre Stellungen zurückge
zogen, nachdem die Engländer sie daran ge
hindert hatten, sich den Weg nach Kimber
ley zu erzwingen.
Die ŞtèMmuAst in Frankreich.
P a r i Z, 5. Dec. Chamberlain's Rede
in Leicester hat einem. Theil der französi
schen Presse in hellste Aufregung gebracht,
und man hört kriegerische Fanfaren, die an
die Tage von Faschoda erinnern. Frank
reich, erklärt z. B. der „Gaulois", ist
gezwungen, von neuem die . Frage
eines bewaffneten Zusammen
stoßes mit England in's Auge
zu fassen. D?en Zeitpunkt dieses Kon
flikts rückt der „Gaulois" an das Ende des
Transvaalkriegs, als mögliches Kampfob
jekt bezeichnet er Madagaskar, was
um so bemerkenswerther ist, als die fran
zösische Presse bisher bekanntlich geleugnet
hat, durch Madagaskar an dem Verlauf der
Tinge in Südafrika interessirt zu sein.
Sache der französischen Regierung sei es,
die Kolonien gegen die Gefahr eines Hand
streichs zu schützen, und einige jüngst getrof
fene Maßregeln, über die man sich heftig
gestritten babe,^weil man sie nicht verstand,
sollten in der That diesem so spät als noth
wendig erkannten Zwecke dienen. Der
„Gaulois" fordert dann seine Landsleute,
offenbar im Hinblick auf Deutschland, zum
Maßhalten im Ausdruck ihrer Sympathien
?und Antipathien auf. Die Zeiten, wo
Frankreich für alle Schwachen und Unter
drückten eintreten konnte, seien vorüber,
Frankreich habe für seine eigenen nationalen
Interessen zu sorgen. „Wenn es diese In
teressen erfordern, daß wir uns mit Eng-
England im Kampfe messen, so wollen
wir uns mannhaft auf diesen Kampf vor
bereiten, unsere Flotte verstärken, uns Bun
desgenossen sichern und in den Krieg
ziehen."
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Ncwyork, 4. Dec. Eine neue amerikani-
sche Verrücktheit. Ein amerikanischer Pro
fessor hat ausgerechnet, daß im Ver
laufe eines Jahrhunderts
Ä6560 Genies in Amerika allein zu Grunde
gehen. Er meint nämlich, daß in Ame. ucl
rife im Durchschnitt täglich ein schöpfe«. Stefan!"
Der Krènzesimlllî-Kitzer.
Eine vergnügte Garnison-Geschichte.
3s ^Von Heinrich Lee.
(Nachdruck verboten )
Frau von Pahlen hatte mit ToLter auf
der Durchreise in Berlin einen Verwandten-
.Lesuch gemacht und der Ton, den Fräulein
Lucy auf das Wort „Berlin" verlegte,
kennzeichnete den unauslöschlichen Eindruck'
den sie mit dem Stubenmädchen Minna
gemeinschaftlich von der Friedrichstraße und
dem Aquarium gewonnen hatte, zur Genüge.
„Nun fang mir wieder mit Berlin an",
sagte Frau von Pahlen — „und die Lieute
nantreden sollst Du mir lassen. Jetzt setz
Dich und trink!"
Fräulein Lucy warf einen prüfenden Blick
in die Tasse. „Bouillon", sprach sie, den
Mund verziehend.
„Kann ich wohl noch 'n Cognac trinken,
Mama?" fragte sie dann bittend und etwas
furchtsam „das dumme Eisenbahncoupce!
Ganz lappig macht's einen im Munde."
„Du hast doch auf der ganzen Fahrt das
Zeug getrunken", antwortete Frau von
Pahlen mit noch erhöhter Stimme.
„Doch blos noch einen einzigen Schluck.
Mama!"
„Du nimmst Dir aber ein Stück Zucker
dazu", kapitulirte Frau von Pahlen refignirt,
um dem Kinde ihrer Sorgen die Ruhe ru
geben.
Mit einem hastigen Griff entnahm Fräulein
Lucy dem Reisenecessaire die Flasche, warf
Noch einen flüchtigen scheuen Blick auf die
Dtama, wo sie sich vergewiffcrte, daß diese
völlig mit der Bouillon beschäftigt war, setzte
dann die Flasche Wohlgemuth an den Mund
sches Gehirn infolge geringer Anerkennung
oder mangelhafter Unterstützung der Ver<
lumpung oder dem Wahnsinn anheimfalle.
Der betreffende Professor beabsichtigt nun,
um dem Uebel zu steuern, die Gründung
eines „Genieheims" als Zufluchtstätte für
die heruntergekommenen großen Intellekte
Amerikas. Das Heim, das allerdings
noch zur guten Hälfte der Phantasie ge
hört, soll nach dem Plan des unterneh
menden Amerikaners besondere Aparte-
ments für die Genies auf den ver
schiedenen Gebieten der Kunst und Wissen
schaft haben, so daß beispielsweise das
Philologische Genie mit dem poetischen und
das mathematische mit dem malerischen
nicht in Konflikt zu kommen braucht.
England.
London, 5. Dez. Die Zeitungen melden,
Chamberlain sei unpäßlich. Der Grund
der Unpäßlichkeit wird nicht angegeben.
(Vielleicht eine politische Krankheit? Red.)
Salisbury geht es besser, er verrichtet
wieder die Geschäfte. Balfour besuchte
ihn gestern in Hatfield. Höchst amüsant
wäre es, wenn Lord Salisbury bliebe
und Chamberlain ginge.
Oeşierreich-Ungarn.
Budapest, 4. Dez. Der „B. L. A."
meldet: Die heutige Reichslagssitzung
begann ruhig, endigte aber so stürmisch,
wie schon seit Jahren keine. Minister-
Präsident Szell beantwortete eine Inter
pellation in der Angelegenheit der
Meldung der Reservisten, welche in den
Kontrollversammlungen den Aufruf auf
Ungarisch mit „Jelen" beantworteten.
Szell sprach unter fortwährendem
kolossalen Lärm des Hauses. Man
unterbrach ihn und brachte Hochrufe aus.
Szell sagte: „Von 410.000 gemeldeten
Reservisten wurden 17 verurtheilt,
9 Mann wurde die Strafe nachgesehen'
Die Armeesprache ist die deutsche, und
die Befehle seines Offiziers muß jeder
Soldat ohne zu klügeln befolgen."
Darauf entstand ein furchtbarer Spektakel;
Rufe wie: „Ungarns Ministerpräsident
beschimpft die ungarische Sprache!"
„OesterreichischerLandsknecht!" „Schande!"
„Schmach!" tönten durcheinander. Abg.
Barabas sagte: „Des Kriegsministers
von Krieghammer Verordnung ist ein
Revolver, gerichtet auf die ' ungarische
Jugend, und der Ministerpräsident
Ungarns hat sich der Soldateska an-
geschlossen. Hinter der Verordnung steht
nicht ein verfassungstreuer König, sondern
ein Imperator. Wenn der König die
Uniform als Soldat anzieht, verschwindet
uns der Krönungsmante! des heiligen
Dieser Angriff auf die
und nahm auf diese Werse.einen h-rzlMen
Schluck. In dieser selben Sekunde àr
glitten die mütterlichen Augen über sie.
„Nun trinkst Du wohl .gar aus -der
Flasche'!" rief Frau von Pahlen voll Ver
zweiflung.
„Doch blos ein Sattelschlnck, Mama",
erwiderte.Fräulein Lucy erschreck
kleinlaut.
bleibt dabei", sprach Frau von
Pahlen nach einer Pause mit kategorischer
Bestimmtheit, „wie's Onkel Malthus in
Berlin gesagt hat. Zum Oktober kommst
Du mir nach Ranstädt zu Pastors. Das
ist nicht mehr zum Aushalten mit Dir."
„Mama!" schrie Fräulein Lucy, die Hände
faltend, mit Entsetzen auf. Aber unbarm
herzig fuhr Frau von Pahlen in ihrer Rede
şoŗt: „Hier unter den Offizieren -kommst
Du noch ganz außer Rand und Band. Bei
den Pastorstöchtern wirst Du lernen, was
sich für ein junges Mädchen schickt."
„Dre Pastormädel, Mama!" fiel Fräulein
Lucy mit einer herzbrechenden Stimme ein.
.Nun heule blos", sagte Frau von Pahlen
ungerührt.
In der That traten Fräulein Lucy die
Thränen jetzt in die Augen. „Mit der
Tine von früh bis spät für die schwarzen
Negerkinder Strümpfe stricken", schluchzte fie
bitter. „Und die Pastorin. Jeden Freitag
Mohrrüben zu Mittag und alles in Ranstädt
blos Civil. Nicht ein einziger lumpiger
Lieutenant. Da kann ich doch gleich ins
Damenstift gehen und eine alte Jungfer
werden."
.Jetzt trinkst Du endlich Deine Bouillon",
befahl Frau von Pahlen, ohne diese Klagen
einer Silbe der Erwiderung für
werth zu erachten.
Stumm, mit verwundeter Seele nahm
Fräulein Lucy an dem Tische Platz und griff
zu ihrer Taffe.
Wir schmeicheln uns, der schönen Leserin
durch den soeben geschilderten Auftritt von
dem gegenseitigen Verhältnisse der beiden
und etwasj Damen Pahlen einen anschaulichen Begriff
gegeben zu haben. Fräulein Lucy's Erziehung
war infolge des frühen Todes ihres Vaters den
Händen ihrer Mutter allein überlassen gewesen.
Die ausschließlich soldatische Umgàng des
Pahlen'schen Hauses — selbst Minna diente
grundsätzlich nur in Offiziersfamilien — ferner
der Umstand, daß die Pahlen'schen ' Ver
wandten, zu denen Lucy zuweilen auf Be
such geschickt worden war, gleichfalls sämmt
lich zu der Armee gehörten, und endlich das
angeborene Blut halten Fräulein Lucy all
gemach in jene Verfaffung verbracht, die
man in manchem Casino bezüglich junger
Damen mit dem Ausdrucke „verlieutenantet"
bezeichnet. Seitdem Fräulein Lucy mit ab
geschlossenem Confirmations - Unterricht die
Schule verlassen und seit dem letzten Winter
den ersten Cotillon getanzt hatte, war ihre
militärische Entwickelung zum Höhepunkt ge
diehen. Inzwischen war der Pastor Merkel,
ein frommer, aber strenger Herr, der sie
eingesegnet hatte, ein Freund des verstorbenen
Herrn von Pahlen und des ganzen Pahlen-
scken Stammes, nach dem benachbarten Ran
städt in eine gute Pfründe versetzt worden,
und die Berathung der Frau von Pahlen
in Berlin mit Onkel Malthus, ihrem Bruder,
dem Majoratsherrn und dem Vormund
Lucy's, harte die Erwägung gezeitigt, das
in der Entartung begriffene Kind zu besserer
Zucht nach Ranstädt in die Pastoren-
familie zu schicken. Als Fräulein Luch das
Resultat der Konferenz bekannt gegeben
wurde, zog sie auf der Stelle das Taschen
tuch hervor, und ihren Augen entstürzten
wahre Bäche. Ihr schluchzend und unter
heißen Schwüren gespendetes Versprechen,
sich fortan ändern zu wollen, hatten die an
gedrohte Exekution wieder in eine gewiffe
Ferne gerückt. Auch fühlte Frau von Pahlen's
mütterliches Herz noch immer ein Bedenken
von ihrem einzigen Kinde sich zu trennen.
Bon einem zweiten bedeutsamlichen Grunde
den unsere gespannte Leserin sogleich er
fahren wird, vorläufig nicht zu reden. Unter
solchen Verhältnissen also saßen die beiden
Damen nunmehr am trauten Frnhstückstisch,
wieder im lieben Heim, den Reisestaub noch
nicht ganz abgeschüttelt, und tranken ihre
Bouillon.
Nach einer Pause ergriff Fräulein Lucy,
an einem gerösteten Brötchen mit Schinken
kauend, von neuem das Wort:
„Du, Mama", sagte sie, „ein neuer Oberst
ist bei den Ulanen. Der Petermann hat
mir's erzählt. Er kommt von der Garde
und noch ein ganz junger Schnaufer. Erst
Anfangs vierzig. Und der alte Oberst Bülau
um die Ecke. Die Majorin hat's schon im
Frühjahr gesagt. Und nu die vier Mädchens.
Leid können einem die armen Würmer doch
thun."
Das geht doch Dich nichts an", er
widerte Frau von Pahlen.
„Ich soll mich um überhaupt nichts
kümmern", bemerkte Fräulein Luch etwas
zaghaft. Alsdann glitt ihr Blick auf das
Blumenbouquet an dem Fenster.
„Ein Bouquet?" sprach fie ziemlich gleich
gültig, „gerade die Regimentsfarben. Ganz
nett. Von wem ist es denn, Mama?" -?^
Auf diese Frage sah Frau von Pahlen
lhre Tochter mit einem bedeutungsvollen
Blick an.
„Vielleicht wirst Du's errathen", erwiderte
fie mit Nachdruck.
„Errathen?" versetzte Fräulein Lucy ver
wundert. Dann huschte plötzlich ein er
freutes Lächeln über ihr Gesicht.
„Von Herrn von Stubben?"
„Das räthst Du also gleich", sagte Frau
von Pahlen befriedigt.
Sofort nahmen Fräulein Lucy's Züge,
als hätte sie eine Uebereilung begangen,
wieder den Ausdruck des Gl-ichmuths, ja
der Kälte und des Spottes an.
„Ach! Veilchen! Das ist doch nichts Be
sonderes", sagte fie.
„Schämst Du Dich gar nicht?" entgegnete
Frau von Pahlen mit Unwillen und Strenge
— „verdienen thust Du seine Aufmerksam
keit gewiß nicht. Ein Mensch wie er und
ein Ding wie Du!"
„Ich? Ich will doch aber nichts von
ihm", protestirte Fräulein Lucy. Mir kommt
er vor wie ein Consistorialrath. Mehr als
ein Commißmensch, mehr als ein Diensthuber
ist er doch nicht. Wenn die andern lustig
ind, dann sitzt er zu Hanse und schreibt
Artikel für das Militär-Wochenblatt. Jm-
poniren kann er einem doch nicht."
Die anfängliche leidenschaftliche Erregung,
mit der Fräulein Luch gesprochen, machte
bei den letzten Worten wieder einer großen
Neberlegenhcit und Verächtlichkeit Platz. '
„Weil ein Ding, wie Du", erwiderte
Frau wn Pahlen scharf „nur das Aeußere,
das Oberflächliche an einem Menschen steht.