Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

Hägttch erscheinendes Wtcrtt. 
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Anzeigen für die Tagesnunrmer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
ŞZ steŗ Jahrgang. 
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem RendSburger Wochenblatt wird 
„Äcr Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interesse« 
der Landwirthschaft) gratis beigegeüen. 
WO. S79. 
Mittwoch, öcn 29. November 
1899. 
Ar 75 Wiche 
(mit der Post geliefert 90 Pfg.) kostet 
für den Momt December 
das 
ItiilishmPk SoifcitlWf“ 
mit dem sfeitigen, trefflich redigirten 
und unseren heimischen Verhältnissen Rech 
nung tragenden 
„ĻandwLrth" 
sowie für die Damen das Blatt 
„Mode mtd Mirrr". 
Bestellungen für den Monat December 
nehmen schon jetzt für den Landbezirk alle 
Postämter und Landbriefträger, für die 
Stadt die Expedition jederzeit entgegen. 
Da das 
Wochenblatt 
unbestritten seit Jahren weitaus das 
verbreitetste Blatt dieser Gegend in der 
Stadt und auf dem Lande ist, empfehlen 
wir dasselbe bei dieser Gelegenheit speciell 
für KciîjiliļchŞ-Äzchkii 
aller Art dem geehrten Publikum bestens. 
Das Blatt wird in KM" übe» 4000 
Gxsmplaren außer in der Stadt spe 
ciell in den Kreisen Rendsburg, Schleswig, 
Eckernförde u. Kiel täglich gelesen und bietet 
daher jedem Inserenten die Garantie für 
weiteste Verbreitung seiner Anzeigen. 
Hochachtungsvoll 
RedactiBN mrö Expedition des 
Rendsh. WscherMattes. 
it IM Srftfiïff 
ist wieder eingetroffen und zum Preise 
von Mk. 1,20 für Abonnenten dieses 
Blattes zu beziehen von der 
Expedition. 
Morgen-Berichte. 
Köln a. Rh., 27. Nov. Die „Köln. 
Ztg." erfährt aus zuverlässiger Haager 
Quelle, daß die Königin Wilhelmina und 
deren Mutter übermorgen nach Blijsingen 
fahren, um dort das deutsche Kaiserpaar 
zu begrüßen. Die beiden Königinnen haben 
ihre Absicht dem Kaiserpaare telegraphisch 
mitgetheil und daraufhin vom Kaiser und 
von der Kaiserin eine herzliche Dankdepesche 
erhalten. Eine für den 30. November 
anberaumte Abendgesellschaft ist abgesagt 
worden. 
Berlin, 27. Nov. Den „B. N. N/ 
wird aus London telegr.aphirt: Unter 
richtete Kreise rechnen mit der Möglichkeit, 
daß Lord Salisbury theils mit Rücksicht 
auf seine erschütterte Gesundheit, theils 
durch die schwere Gemüths-Depression, die 
der Tod seiner Frau für ihn zur Folge 
hatte, in absehbarer Zeit von der Leitung 
der Geschäfte zurücktreten wird. Als sein 
muthmaßlicher Nachfolger im Minister- 
Präsidium gilt der Herzog von Devonshire. 
Das Staatssekretariat des Aeußeren dürfte 
Lord Rosebery angeboten werden. Man 
glaubt, daß er es annehmen werde, um 
so mehr, als in der letzten Zeit neben 
einer zunehmenden Entfremdung zwischen 
ihm und der liberalen Partei eine wach 
sende Annährung zwischen ihm und Joseph 
Chamberlain stattgefunden hat. 
Berlin, 27. Nov. Gegenüber der 
Meldung der „Berliner Korrespondenz", 
es sei nicht beabsichtigt, Berlin in mehrere 
Kommunen zu zerlegen, versichert die 
„Köln Volksztg.", daß der Plan noch im 
mer bestehe. Vielleicht werde man nach der 
Kaiserreise der Frage näher treten, da auch 
London wegen seines großen Umfanges in 
mehrere Verwaltungsbezirke getheilt sei, 
und dort die Decentralisation noch wei 
ter durchgeführt werden solle. Wenn der 
Minister des Innern demnächst den Auftrag 
erhalte, einen diesbezüglichen Gesetzentwurf 
auszuarbeiten, dann möge er sich nicht wun 
dern. Es sei unbedingt zuverlässig, daß ge 
wisse, sehr vornehme Kreise die Theilung 
Berlins aus politischen Rücksichten wün 
schen. Das Dementi habe nur das Eine 
festgestellt, daß das Ministerium das In 
nern mit der Sache noch nicht beschäftigt 
sei. — 
Köln, 27. Nov. Die „Köln. Ztg." 
schreibt unter der Ueberschrift „Bevorste 
hende Neuwahlen": Daß die Regierung sich 
nicht darüber klar sein sollte, daß eine Auf 
lösung des Landtages unvermeidlich! ist, hal 
ten wir um so mehr für ausgeschlossen, weil 
bekanntlich schon nach deni ersten Verlust 
der Kanalschlacht die gewichtigste Stimme 
in der Regierung sich- für die Auflösung 
des Landtages ausgesprochen und sich erst 
gefügt hatte, nachdem versichert worden 
war, daß mit der Politik der Sammet- 
handschuhe ein rascherer und besserer Er 
folg zu erzielen sein wird. Nach dem aber 
maligen Verlust einer zweiten Kanalschlacht 
wird die aussichtslose Politik der Sammet 
handschuhe schnell über Bord geworfen wer 
den. Das Blatt fordert die Regierung auf, 
eiu klares und unzweideutiges Programm 
aufzustellen und die Wähler aufzufordern, 
zu diesem Programm bei den Neuwahlen 
Stellung zu nehmen. 
Breslau, 27. November. Der „Bresl. 
Gen.-Anz." meidet: Anläßlich der heute 
stattgefundenen Einweihung des neuen 
schlesischen Museums für Alterthümer 
und Kunstgewerbe ernannte die philo 
sophische Fakultät der Universität Breslau 
zu Ehren-Doktoren den Oberbürgermeister 
und Mitglied des Herrenhauses Georg 
Bender, den Geh. Sanitätsrath Dr. 
Wilhelm Grempler und den Stadt 
ältesten Heinrich von Korn, welcher eine 
halbe Million Mark zum Bau des 
Museums gestiftet hat. 
BrcSlau, 27. Nov. Am 26. November 
verstarb dem Bresl. Gen.-Anz." zufolge in 
Domnowitz die älteste Frau Schlesiens, die 
Veteranenwittwe Rosina Nowack, geb. Obitz, 
im Alter von 107 Jahren, 7 Monaten und 
sechs Tagen. 
Karlsruhe, 27. Nov. Der sozialdemo 
kratische Abgeordnete Geck aus Offenburg 
hat sein Reichstags- und Landtagsmandat 
niedergelegt. 
Belgrad, 27. Nov. Der Bürger 
meister Nikola Stesanovic wurde vom 
Amte enthoben wegen Abschlusses eines 
Anlehenvertrages über zehn Millionen 
Francs für die Belgrader Gemeinde, 
ohne vorher die Zustimmung der Re 
gierung eingeholt zu haben. Der Ber- 
trag wurde abgeschlossen. Der Vertrag 
wurde mit der Langus às credit franşa ise 
abgeschlossen. 
Riga, 26. November. Hier wüthete ein 
furchtbarer Sturm. Das Wasser 
stieg um acht Fuß und überschwemmte 
mehrere Straßen. Biele Fahrzeuge und 
Holzflöße wurden fortgerissen. Die Park 
anlagen sind stark beschädigt; auch der 
übrige Sachschaden ist groß. 
Genna, 27. Nov. Ein Brand ist auf 
dem deutschen Kriegsschiffe „Loreley" im 
Hafen von Genua ausgebrochen. Es wird 
gemeldet, daß derselbe bedenklicher gewesen 
sei, als zuerst angenommen wurde. Eine 
Anzahl Seeleute wurden unter Deck vom 
Feuer überrascht und betäubt, 2 wurden 
in bedenklichem Zustande von einem italienischen 
Matrosen mit Lebensgefahr gerettet. Ebenfalls 
rettete der Kapitän des Schiffes 2 Leute. 
Das Kaiserpaar bei dem 
Pàzerr vom Wales» 
Nach den bisherigen Arrangements wird 
die Kaiserfamilie heute, Dienstag, 2 Uhr 
Nachmittags, die „Hohenzollern" in Port 
Viktoria besteigen, die Nacht über dort blei 
ben und am Mittwoch um 7 Uhr früh ab 
fahren. Nach Meldungen aus Sandring 
ham trägt der Besuch dort einen streng pri 
vaten Charakter. Bei der Ankunft wurde 
das Kaiserpaar am Bahnhof von der Prin 
zessin von Wales, dem Herzogpaar von 
Jork, der Prinzessin Viktoria von Wales 
und den Nachbarn Sir W. und Lady Oft 
folkes aus HMngton empfangen. Der 
Prinz von Wales reichte der Kaiserin die 
Hand beim Aussteigen; die Kaiserin küßte 
die Prinzessin von Wales, der Kaiser küßte 
ihre Hand. Im Schloß bewohnt das Kai 
serpaar die Queens-rooms auf der West 
seite. Abends fand ein Diner mit Musik 
statt. Zu den Gästen gehörten das Her 
zogspaar v. Jork, das Prinzenpaar Charles 
von Dänemark, der Herzog v. Cambridge, 
Prinz Albert von Schleswig-Holstein, Lord 
Wolseley, Bischof Creighton von London, 
Lord Acton, Sir Frank Lascelles und das 
Gefolge des Kaiserpaares. Gestern besich 
tigte der Kaiser bei herrlichem Wetter den 
Sandringhamer Grundbesitz und die Wirth 
schaft. Zum Gottesdienst in der malerischen, 
kleinen Kirche waren viele Leute aus der 
Umgegend auf Fahrrädern, Motorwagen 
und anderen Gefährten gekommen, um das 
Kaiserpaar zu sehen. 
Die Daily Mail erfährt über den Abschied 
in Windsor, die Königin begleitete das Kai 
serpaar bis oben an die Freitreppe am 
Schloßportal, dann sagte sie mit Thränen 
und Küssen Adieu. Der Kaiser beugte das 
Knie und küßte die Hand der Großmutter 
mit Ehrfurcht. Kaum hatte er sich dann auf 
gerichtet und begonnen die Treppe hinab 
zusteigen, als, wie von gemeinsamem Im 
pulse getrieben die Königin die Arme aus 
streckte und der Kaiser zurückflog, unl sie 
noch einmal zu umarmen. 
Der Stieg in Misriki. 
Das Eiltsatzhrer für Kimberley. 
London, 27. Nov. Nach einer hier 
eingegangenen Depesche Lord Methuen's ist 
derselbe am 25. November bei Tagesanbruch 
vorgerückt und bei Graspan auf eine feind 
liche Abtheilung von 2500 Mann mit 5 
Geschützen und 2 Mitrailleusen gestoßen. 
Um 6 Uhr früh kam es zum Gefecht. Die 
Batterien eröffneten das Feuer und schossen 
mit Schrapnells, bis die Höhen verlassen 
schienen. Hierauf gingen die Seesoldaten 
und die Infanterie im Sturme vor. Nach- 
einem heftigen Kampfe, der bis 10 Uhr 
dauerte, wurden die Höhen genommen. Tie 
Boeren zogen sich in der Richtung auf den 
Punkt zurück, wo das 9. Lancersregiment 
Aufstellung genommen hatte, um sie abzu 
schneiden. Im Augenblicke der. Absendung 
des Telegramms ist das Ergebniß dieser 
Bewegung noch unbekannt. Die Artillerie 
benutzte sofort den Rückzug der Boeren. Bei 
dem Beginn des Gefechts griffen 500 Boe 
ren die englische Nachhut an. Me Garde 
brigade schlug sie aber zurück und deckte die 
Flanken. Die Marinebrigade focht mit 
größter Tapferkeit und erlitt große Ver 
luste. Einzelheiten sind noch unbekannt. Die 
Boeren leisteten hartnäckigen Widerstand 
und müssen große Verluste erlitten haben. 
Soviel bis jetzt bekannt ist, sind 31 Boeren 
gefallen und 48 verwundet. Auf einem 
Platze lagen 50 Pferdeleichen. Tie eng 
lische Kolonne wird einen Tag bei Gras 
pan bleiben, um zu rasten und um die Vor- 
räthe und Munition zu erneuern; sie ist 
bereit, alle Schwierigkeiten zu überwinden. 
— Bezüglich des Gefechts vom Donnerstag 
sagt das Telegramm Methuens noch: Wir 
wissen, das; 81 Boeren gefallen sind. Wir 
haben 64 Wagen der Boeren verbrannt, 750 
Geschosse, 50 000 Patronen und eine große 
Menge Pulver vernichtet. Die Artillerie 
der Boeren kommandirte Major Albrecht, 
während Dolivry den Oberbefehl führte. 
In Amsterdam eingetrosfene Meldungen 
bestätigen laut „B. T.", daß in den jüng 
sten Tagen ein Briefwechsel zwischen dem 
Präsidenten Krüger und dem Asrikander- 
führer Hofmeyr stattgefunden habe. Letzterer 
habe einen Waffenstillstand zur Einleitung 
von Friedensverhandlungen vorgeschlagen, 
Krüger habe jedoch abgelehnt, da ein Waf 
fenstillstand England nur gestatten würde, 
seine Rüstungen zu vollenden. 
London, 27. Nov. Aus Durban 
wird gemeldet: Das neunte Lanzenreiter- 
Regiment, welches von Mooi-River abge 
sandt wurde, um einen Aufklärungsritt zu 
machen, ist noch immer nicht eingetroffen. 
Man befürchtet, daß das Regiment von den 
Boeren aufgerieben oder gefangen genom 
men ist. Die gesammte Presse spricht ihren 
Unwillen über diesen voraussichtlichen Ver 
lust aus und macht die Heeresleitung da 
für verantwortliche Dieselbe sei anscheinend 
in denselben Fehler verfallen, wie bei 
Elandslaagte. 
London, 27. Nov. Aus Queens 
town melden die „Times", daß die Boeren 
Barkly East erobert und 300 Gewehre, so 
wie eine große Menge Munition erbeutet 
haben. 
London, 27. Nov. Beim Kriegsamt 
ist eine Depesche von General Buller aus 
Pietermaritzburg von gestern eingegangen, 
die Folgendes besagt: Die unter dem Be 
fehl des Generals Hildyard stehende Bri 
gade rückte am 23. November von Eastcourt 
gegen den Feind vor, der auf dem Willow 
Grange beherrschenden Beaconhill Stel 
lung genommen hatte. Das Vorgehen von 
unserer Seite hatte zur Folge, daß sich der 
Feind zurückzog. Die Bahnverbindung, so 
wie der Telegraph zwischen Eastcourt und 
Weston wurde wiederhergestellt. Die Eng 
länder hatten 14 Todte und 50 Verwundete. 
Hildyard rückte nach einer Stellung in der 
Nähe von Frere; er hofft den Feind, der> 
3) 
Frische Luft! 
Novelle von Carl Kern. 
(Nachdruck verboten). 
Als man von dem kleinen Spaziergang 
zurückkehrte, näherte sich der Inspektor Willi 
und nahm ihn in einer die Schafe betreffen 
den Angelegenheit in Anspruch. . Willi ent 
schuldigte sich und ging mit ihm in den 
Schafstall. Mama Römer war mit Tante 
Roßbach bereits in Haus getreten, als Maxe 
an der Seite ihres Vaters am Atelier vor 
überkam. 
Sie mußte in der Erinnerung an das, 
was sie vorhin dort gesehen hatte, lachen. 
„Was stimmt Dich denn so heiter, Kind?" 
fragte Papa. 
„Ach, weißt Du, ich habe mich heut' 
Nachmittag kostbar amüsirt hier drin", war 
die Antwort. „Es lohnte sich eigentlich, 
daß Du Dir auch einmal die Kunstwerke 
beschaust, die Willi verübt." 
„Weshalb nichtI . . . Wir wollen hier 
warten, bis der Junge herankommt, dann 
mag er uns die Bude aufmachen." 
Beide blieben an der Thür des Ateliers 
stehen. 
„Ach, was seh ich da!" rief Maxe aus. 
„Er hat ja vorhin in der Eile vergeffen 
den Schlüssel abzuziehen! Um so besser." 
Sie schloß auf und betrat den Kunst 
tempel. Der Vater folgte ihr. 
„Dort ist sein Meisterwerk", sagte sie 
und deutete mit dem Sonnenschirm auf die 
Venus. 
Herr Antonius brach in ein Gelächter 
aus, das seinen ganzen Körper in Thätigkeit 
setzte. . . . 
„Stellt das eigentlich ein Münchener 
Schänkmädel oder eine Berliner Engros- 
Schlachtcrfrau vor?" fragte er, nachdem er 
wieder einigermaßen zu Athem gekommen 
war. 
„Aber Papa!" sagte Maxe verweisend, 
„entgeht Dir denn ganz und gar dieser 
uranidcnhafte Gesichtsausdruck? Kannst Du 
auch nur einen Augenblick — —" 
Hier unterbrach das junge Mädchen sich 
selbst durch einen Schrei und fuhr voll Ent 
setzen von der Gestalt der Göttin zurück, 
vor der sie sich postirt hatte. 
Es war aber auch Grund vorhanden, 
zu erschrecken und sich zu entsetzen. Maxe 
hatte, während sic zu ihrem Vater sprach, 
nach Art der Bänkelsänger an dem Gesicht 
der „Göttin" hcrumgczeigt, und dabei wollte 
es das Unglück, daß ihre Schirmspitzc in 
eine unrichtige Position zur Nase der Venus 
gerieth. . . Ein leiser Knax . . ein klappern 
des Geräusch auf den Steinfliesen des Fuß 
bodens . . und der thönerne Gcsichtserker 
lag zerschellt an der Erde. 
„Oh weh!" rief Herr Antonius. „Un 
glückliche, was hast Du gethan!" 
Das junge Mädchen war einige Sekunden 
faffungslos. Dann aber dachte sic in ihrem 
praktischen Berliner Sinn: „'s ist nichts so 
schlimm, als man wohl denkt — wenn man's 
nur recht erfaßt und lenkt!" . . . 
Neben der naturalistischen Göttin war 
noch ein Vorrath von einigermaßen feuchtem 
Baumaterial. Schnell cntschloffen streifte 
Maxe die Handschuhe ab, legte sie nebst 
Hut und Schirm bei Seite und holte aus 
einer Ecke der Kunstremise eine Stehleiter 
herbei, die sie vor der Venus aufrichtete. 
Dann griff fie mit keckem Finger in die 
Thonmasse und begann einen Kloß zu formen, 
von dem sie sich einbildete, daß man ihn 
mit einigem Aufwand von gutem Willen für 
eine menschliche Nase halten könne. 
Vorsichtig erstieg sie sodann die Leiter, 
indem sie ihr Kunstwerk sorgsam zwischen 
Daumen und Zeigefinger hielt. 
„Na, nun ziele aber auch richtig, damit 
das Ding nicht schief zu sitzen kommt", 
sagte ihr Vater, der sehr vergnügt dabei 
stand. 
Maxe gab sich die redlichste Mühe, ihre 
Sache möglichst gut zu machen, aber die 
neue Nase wollte nicht recht haften. 
„Gott, das ist ja entsetzlich!" rief fie 
ungeduldig aus. „Was mach' ich denn 
blos? . . Halt! . . So wird's gehen . . 
Lang' mir doch mal ein Glas Waffcr her 
auf, Papa!" 
Herr Antonius ging zur Wasserflasche, 
die er nahm, um ein Glas vollzugießen und 
warf dabei natürlich den Glasstöpsel an die 
Erde, der dort zerbrach. 
„Der muß einen Sprung gehabt haben", 
meinte Herr Römer und trug das Wasser 
seiner Tochter hinüber. 
Diese löste behutsam die künstliche Nase 
wieder ab, nahm dann den Mund voll 
Wasser und spie cs der hehren Göttergcstalt 
ins Gesicht, gerade auf den wunden Nasen 
stumpf drauf — ungefähr in derselben 
Weise, wie man die Gardinen beim Auf 
hängen zu bespritzen pflegt. Nachdem die 
Künstlerin dies Manöver einige Male wieder 
holt hatte, begann das Material an der 
verletzten Stelle sich zu erweichen, und bei 
einem neuen Versuch, ihr eigenes Kunstpro 
dukt dem göttlichen Weibe ins Gesicht zu 
mauern, hatte Maxe entschieden mehr Glück 
als zuvor. 
Frohlockend drückte sie die Nase kräftig 
an, — so kräftig, daß die ganze Venus ins 
Schwanken gerieth. Erschreckt schlang ihr 
Maxe den Arm um den Hals, um sie zu 
halten. Aber unglücklicher Weise beugte sie 
sich dabei auf ihrer Leiter so weit vor, daß 
sie ihr eigenes, persönliches Gleichgewicht 
verlor. 
— — Ein furchtbares Gepolter, ein 
angstvoller, markdurchdringender Schrei einer 
auffallend hohen Sopranstimme, — das 
Klirren einer Fensterscheibe, durch die ein 
Stück Arm der Venus flog — — und Herr 
Antonius sah die Göttin, die Leiter, seine 
Tochter Maxe und die Scherben des Wasser 
glases zu einem gemeinsamen Trümmerhaufen 
vereinigt. 
Halb zu Tode erschrocken stürzte er sich 
auf den Schutt, um sich dasjenige, was zu 
der Person seiner Tochter gehörte, daraus 
zusammen zu suchen. 
Als es ihm gelungen war, Maxe hervor 
zuziehen, erwies sich, daß von Allem, was 
umgefallen war, sie sich noch am besten er 
halten hatte: die Venus war in tausend 
Stücken — die Sprossen der zerbrochenen 
Leiter lagen durcheinander — und zwischen 
den Thonklumpen blinkten die Scherben des 
Glases . . nur Maxe befand sich noch in 
einem Stück beisammen. — 
Obiges furchtbare Gepolter nebst dem be 
legten, markdurchdringenden Schrei hatten 
sämmtliche Hausbewohner alarmirt. Willi 
erschien als der erste auf der Unglücksstätte. 
. . Seine Göttin in Stücken . . seine 
Verwandte anscheinend zu Tode verletzt, 
vielleicht schon in den letzten Zügen — das 
war ein Schauspiel, bei dem er zunächst 
nichts Besseres zu thun wußte, als sich mit 
beiden Händen in die Haare fahren. 
Als Herr Römer ihn so dastehen 
rief er ihm in nicht gerade sonderlich sck 
der Weise zu: er solle ihm ein wen 
hilflich sein, solle mit anfassen und da 
mehreren Wunden blutende ohnmi 
Mädchen auf das Sopha tragen helft 
Willi sprang herzu und zeigte die , 
Bereitwilligkeit, doch konnte er lange 
darüber ins Klare kommen, wo er die 
letzte schicklicher Weise berühren dürfe. 
Endlich griff er aufs Gerathewo! 
Maxe wurde auf dem stark ausgcse 
Ledersopha zurechtgelegt und tüchtig 
Wasser bespritzt, was ihr schließlich ft 
genehm wurde, daß sie die Augen auf 
und durch ein unverständliches Laller 
Rückkehr in die böse und doch so - 
Welt anzeigte. 
„Sie hat fich's Gehirn beschädigt! 
hat die Sprache verloren!" rief Herr 
tonius verzweifelnd aus. 
„Acy, es wird ja nicht so schlimm 
Onkel", tröstete Willi, ich bin auch ma 
den Kopf gefallen und. habe eine 
Weile nicht ordentlich reden können, 
giebt sich schon wieder. W 
. . Rasch zum Doktor!" ° rief er ei 
jetzt hereindringenden Leuten zu. „Er 
sofort herauskommen! Franz soll die ļ 
nehmen und auf die Gäule einhauen, 
ihnen das Fell vom Leibe springt. M 
fort! Dalli!" 
* ^ * 
Die Verletzungen, die das junge Mä 
erlitten hatte, erwiesen sich zwar in 
Folge als nicht gerade gefährlich; imm 
aber mußte Maxe etwa eine Woche 
das Bett hüten, was keine Annehmlich!
	        
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