HägLich ersGeinenbss WLâ
(Außer an Sonn- und Festtagen.)
Màburģer
schenblatt.
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für Auswärtige, durch die Post bezogen
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iucl. Postprovision rc., jedoch ohne Bestellgeld.
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ArUestrs und getesenstes KLatL im Kreise UZAdsvurg.
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
—£3 DI fter Jahrgang.
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburger Wochenblatt wird
„Der Landwirth"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen
der Landwirthschast) gratis beigegeben.
Wo. 274.
Mittwoch, öen 22. Wo v ember
1899.
Its KiWB wegen
erscheint morgen (Mittwoch)
kein Wochenblatt.
Die Expedition.
Morgen-Berichte.
Hamburg, 20. Nov. Unweit Deal, an
der englischen Küste, ist die „P atria"
im Schleppiau der „Hansa" gesunken
Der Kapitän, der seinem brennenden
Schiffe gefolgt war, befindet sich in Deal.
Breslau, 20. Nov. Im hiesigen Den!-
fchen Theater stürzte beim Probiren der
Flugmaschine Direktor von Arnim aus
beträchtlicher Höhe auf den Jnspicienten
Fischer, welcher dadurch einen Beinbruch
erlitt. Direktor von Arnim ist schwer
am Arm verletzt.
Wiesbaden, 20. Nov. Der hier als
Kurgast weilende Landrath I f f l a n d
aus Posen wurde auf der Straße mit
einem Messerstich in der Herzgegend todt
aufgefunden. Da man bei der Leiche
1400 Mk. und andere Werthsachen vor
fand, so liegt hier vermuthlich Selbstmord
vor.
Newyork, 19. Nov. Der von Santos
kommende englische Dampfer „I. W
Taylor" mußte in Quarantäne gehen,
da der Steward unter verdächtigen Kranke
heitSerscheinungen gestorben ist und der
Kapitän sowie der Koch an verdächtigen
Drüsenanschwellungen leiden. Der Kom
missar des Gesundheitsamtes erklärte, er
hege nicht den geringsten Zweifel, daß die
aus dem Dampser „Taylor" vorgekomme
nen Krankheitsfälle B e u l e n p e st seien.
Paris, 20. Nov. Ueber die gestrige
Feier aus Anlaß der Enthüllung der
Statue „Triumph der Republik" wird noch
berichtet, daß dies die größte Kundgebung
gewesen, die jemals in Paris gesehen
wurde. 250,000 Delegirte vertraten 1642
Arbeitergcuppen. Die meisten Delegirten
erschienen in Arbeiterkleidern. Biele tru
gen phrygische Mützen. Die Delegirten
brachten Hochrufe auf die Republik, die
Justiz, die Freiheit, den Präsidenten Lou
bet usw. aus, während andere die Ruse
ausstießen: Nieder mit den Pfaffen! Nieder
mit der Bourgeoisie! Zwei Drittel der
Kundgeber sangen die revolutionäre Car
magnole, blieben aber sonst vollständig
ruhig. Biel bemerkt wurde die Delega
tion der „Liga der Menschenrechte," wo
runter sich auch der frühere Justizminister
Trarieux befand. Gegen Mitternacht be
gab sich eine Bande Anarchisten vor das
Denkmal und rief: „Es lebe die Anarchie!
Nieder mit der Armee!" Dabei wurden
14 Verhaftungen vorgenommen.
Paris, 20. Nov. Gegen Mitternacht
wurden einige Anarchisten, welche auf
dem Place de la Nation Rufe wie:
Nieder mit der Armee, es lebe die
Anarchie!" ansstteßen, verhaftet. Außer,
dem wurden nach der „Petite republique"
30 Personen verhaftet, da sie der Auf
forderung, weiter zu gehen, nicht nach,
kamen. Bis auf vier, welche während
der Vorbeifahrt Loubets Hochruse aus
Deroulede ausbrachten, wurden die Ver
hafteten alsbald wieder entlassen.
Paris, 20. Nov. Dreyfus hat
nun den Zahlungsauftrag für die Prozeß-
kosten erhalten, die sich auf 20 822 Francs
belaufen. Der Auftrag war adreffirt an
den Herrn „Kapitän" Dreyfus.
Rom, 20. Nov. Ungeheures Aufsehen
erregt in Neapel die Verhaftung des
Sohnes des Generalîtaats-
a n w a l t s am Caffationshofe, Senators
Detavani, auf Veranlassung des eigenen
Vaters. — Dem Sohne des Lyceum-
professors Genovesi war das Elternhaus
verboten. Als er trotzdem zurückkehrte,
wurde er wegen Hausfriedensbruchs ver
haftet.
Rom, 20. Novbr. Wie das „B. T."
berichtet, hätte Reichsgerichtsrath
M i t t e l st ä d t durch Selbstmord
geendet. Er suchte in Italien Linderung
für sein schweres nervöses Leiden, das
sich indessen nur verschlimmerte. Am
Sonnabend-Abend benutzte er die kurze
Abwesenheit seiner Frau, um sich eine
Kugel in den Mund zu schießen. Er war
sofort todt. In einem langen Abschieds-
schreiben bat Mittelstadt seine Frau und
Kinder um Verzeihung für den Schmerz,
den er ihnen bereitet. Das Leben sei
ihm durch seine Krankheit unerträglich
geworden. Die Leiche wird nach Deutsch
land übergeführt werden.
Iur KaiseTreise.
Portsmouth, 20. Nov. Die „Ho-
henzollern" traf mit der Kaiserlichen Fa
milie uur 7 Uhr früh vor Portsmouth ein
und wurde von der Torpedoboot-Flotille
eingeholt. Es herrscht hier so dichter Ne
bel, wie er dieses Jahr noch nicht beobach
tet wurde, und das Wetter ist sehr kalt.
Es war unmöglich, die „Hohenzollern" oder
die britische Flotte zu sehen, welche den
deutschen Kaiser begrüßen sollte. Auch als
die „Hohenzollern" unter donnernden Sa
lutschüssen in den Hafen einlief, war der
Nebel noch äußerst dicht. Die Stadt selbst
hat keinerlei Festschmuck angelegt, aber zahl
reich>e Zuschauer erwarteten die Ankunft des
Kaiserpaares, bei dessen Landung lebhafte
Begrüßungsrufe laut wurden.
In Windsor geht man dem Eintreffen
des Kaiserpaares mit begreiflicher Span
nung entgegen. Im Schloß war, dem B.
L. Ä. zufolge, heute früh bereits alles für
den Empfang bereit; rührend ist die Freude
der greisen Königin, mit der sie das Wie
dersehen mit ihren Enkeln und Urenkeln er
wartet. Gestern Nachmittag ließ sie sich
noch, begleitet von der Prinzessin Beatrice,
im Fahrstuhl durch! alle Gemächer der Gäste
fahren und inspizirte alles, bis in die klein
sten Einzelheiten. Alle bewundern die
Rüstigkeit und Geistesfrische der Herrscherin,
womit sie an dem außergewöhnlichen Er
eigniß Antheil nimmt.
Ser Stieg in Siiiafrifa.
Endlich gestehen die englischen offiziösen
Berichte ein, daß die Boeren überall be
deutende Fortschritte gemacht haben, daß sie
Aliwal-North, Burghersdorp
und Co lesberg genommen haben; nur
in Bezug auf Ladysmith wird noch geschwie
gen.
Nach einem Telegramm der Times aus
Lourenco Marques vo>n 19. d. M. melden
die Standard and Diggers News vom 17.
November, daß unter den englischen Ge
fangenen in Pretoria einige Fälle von
Skorbut vorgekommen seien, und daß
diese Gefangenen nad) der Wasserfall-Farm
geschafft seien. Dasselbe Blatt meldet, daß
die britischen Truppen in Lady smith
an: T y p h u s leiden, und daß die Aus
dünstungen der Stadt entsetzlich seien.
Aus M a f e k i n g wird gemeldet, daß
die Boeren ihre Geschütze 400 Meter näher
an die Stadt herangerückt haben. Das
Bombardement dauert fort. — Ein aktives
Vorgehen der britischen Truppen scheint
einzig und allein bei Kimberley in Aussicht
genommen zu sein, das zu entsetzen sie ernst
hafte Anstalten machen. Wenigstens wird
dem Reuter'schen Bureau aus Oranje-River
Station vom 16. d. M. gemeldet: Alle Vor
bereitungen für die Zusammenziehung der
zum Entsätze von Kimberley bestimmten
Truppen sind jetzt beendet. Lord Methuen
erwartet nur noch die Ankunft der Ver
stärkungen.
Dem Korrespondenten des „Berk. Lok.-
Anz." zufolge, soll in der That die Artil
lerie der Boeren mäßig sein und den Eng
ländern nur wenig schaden. Die Geschosse
crepirten vor Ladysmith sehr selten, so von
elf Granaten nur drei. Desto wirksamer er
wies sich das englische Granatfener der bei
den betheiligten Feldbatterien, welche von
ihrer Flankenstellnng aus schließlich die
Boeren zu schleunigem Rückzüge zwangen,
während die englische Cavallerie attakirte
und dabei die Weichenden gar zu ungestüm
verfolgte. Denn plötzlich erhielten die Boe
ren Hilfe, und sofort stand wieder das Ge
recht. Hitziger wie vorher wurde gefeuert.
General Bullcr soll vor seiner Abreise
aus London die Worte gesprochen haben:
Von dem Tage an, wo ich in
Kapstadt lande, wird nach: vier
' ochen die britische Flaggein
Pretoria wehen!"
K a p st a d t, 21. Nov. Die Einwohner
von Alimal-North begrüßten mit Begeiste
rung die Truppen des Oranje-Freistaates,
als sie in die Stadt einzogen. — Eine Mel
dung aus Colesberg berichtet, daß ein Pan
zerzug in der Nähe von Newers sich zweier
Munitionswagen, welche den Boeren ge
hörten, bemächtigt hat. — Aus Klapdar
wird gemeldet, daß 1000 Boeren nach dem
Süden aufgebrochen sind.
Die „Köln. Ztg." erhält einen Bericht
aus Kapstadt, welcher besagt, dem unpartei
ischen und mit den Verhältnissen vertrauten
Beobachter, der Gelegenheit gehabt, die vor
zügliche Ausrüstung, die vollständige
Kriegsbereitschaft und die Kampfbereitschaft
der Boeren zu sehen, wird die Hoffnung der
Engländer auf einen Waffenerfolg wenig be
gründet erscheinen lassen und dies um so
mehr, da England seine geharnischte Hal
tung Transvaal gegenüber in ganz unbe
greiflicher Weise nicht durch eine rechtzeitige
Truppenentsendung gedeckt und hiermit den
Boeren Gelegenheit gegeben hat, in geschick
ter Weise den Waffenkampf zu beginnen, als
sie noch in der Uebermacht waren. Durch
das Eingreifen der Offensive haben sich nun
die Boeren strategische Vortheile gesichert,
die wett zu machen, ungeheure Opfer an bri
tischen Truppen erfordern wird. Der Ge
währsmann fügt hinzu: zu einer allge
meinen Erhebung in: Oranjefrei
staat sei alles bereit.
London, 20. Nov. Nachrichten aus
Natal zufolge liegen heute nähere Details
über die Kämpfe vor Ladysmith vor. Die
Boeren sollen auf allen Punkten zurückge
schlagen sein. Sie sollen 700 Todte und
Verwundete haben. „Daily News" schließt
mit den Worten: „Ladysmith wird jetzt un
behelligt gelassen; wir können nun Monate
lang Stand halten." — „Daily Mail
meldet aus Lourenco Marquez, daß 10 000
Boeren den Anmarsch Bullers .erwarten.
Tie Generale Joubert und Louis Botha
seien mit starken Abtheilungen ausgerückt,
um ihn aufzuhalten. Butler dürfte de Aar
zum Hauptquartier wählen.
Queenstown, 18. Nov. Tie tele
graphische Verbindung mit der Stadt
Jamestown ist seit heute abgeschnitten.
Nach einer Meldung aus Pretoria erhielt
Präsident Steifn eine Depesche des Rich
ters Hertzog mit der Meldung, daß er ge
mäß seiner Instruktion die Orte B a r -
k l y W e st, Douglas und G r i q u a -
town in Besitz genommen und
dort eine Verwaltung eingerichtet habe.
Deutsche« Reichstag.
105. Sitzung.
Berlin, 20. Nov.
Zweite Berathung des Gesetzentwurfs betr.
Schutz des, gewerblichen Arbeits
verhältnisses.
Am Bundesrathstische: Staatssekretär Graf
Posadowsky, die Minister Brefeld und v. Rhein
baben.
Das Haus ist gut besucht.
§ 1 lautet: Wer es unternimmt, durch
körperlichen Zwang, Drohung, Ehrverletzung oder
Verrusserklärung Arbeitgeber oder Arbeitnehmer
zur Theilnahme an Vereinignngen oder Verab
redungen, die eine Einwirkung auf Arbeits-
oder Lohnverhältniste bezwecken, zu bestimmen
oder von der Theilnahme an solchen Ver
einigungen oder Verabredungen abzuhalten, wird
mit Gefängniß bis zu einem Jahre bestraft.
Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist aus
Geldstrafe bis zu eintausend Mark zu erkennen.
Die Abgg. B ü s i n g (natlib.) und Genossen
beantragen, an die Stelle des K 1 zwei Artikel
zu setzen, deren erster die Erlaubniß zur Ver
bindung aller inländischen Vereine ausspricht,
während der zweite Artikel die bekannten Ab
änderungen der KZ 152 und 153 der Gewerbe
ordnung enthält.
Für einen liberalen Mann gehöre beinahe
Muth dazu, auch nur einen Theil der Vorlage
anzunehmen. Ein Theil seiner Freunde halte es
nicht für richtig, die Vorlage rundweg abzu
lehnen. Sein Antrag entspreche der Meinung
eines großen Theils des deutschen Volkes, be
gegne aber auch großem Mißtrauen, als ob er
aus einseitiger Vertretung der Interessen der
Unternehmer hervorgegangen sei. (Sehr richtig!
bei den Sozialdemokraten.) Das Recht der
persönlichen Freiheit könne nicht gewahrt werden,
wenn es nicht staatlichen Schutz erhält; andern
falls mache man den ersten Schritt zum sozial
demokratischen Zwangsstaat. (Zustimmung bei
den Nationalliberalen, Widerspruch bei den
Sozialdemokraten.) Die Sozialdemokratie sei
eine geschworene Gegnerin der individuellen
Freiheit. (Unruhe links, Glocke des Präsidenten.)
Seine Frakiion wolle weiter nichts als den
Ausschluß jeden Zwanges aus der modernen
Arbeiterbewegung. Das sei der einzige Ge
danke, den sie der Vorlage entnommen habe,
alles andere verwerfe sie ebenso wie der große
Theil des Hauses.
Abg. Frhr. v. Stumm (Reichsp.) befür
wortet seinen Antrag, wonach im Falle der
Annahme des Antrages Büsing die Strafsätze
verschärft werden sollen. Statt „drei Monate
Gefängniß bezw. 300 Mk." soll gesetzt werden:
„einem Jahre resp. eintausend Mk." Der An
trag will ferner bestimmen, daß Gefängnißstrase
nicht unter drei Monaten eintritt, wenn die
Handlung gewohnheitsmäßig begangen ist, sowie
ferner, daß es zur Verfolgung keines Antrages
bedürfe Redner beantragt ferner die Ueber,
36
Grevinde.
Roman von Hermann Heiberg.
(Nachdruck verboten.)
Nack Tisck, während wir des Kaffees im
Salon warteten, machte sich Madame Etienne
an Jmgjor heran, prüfte eine Handarbeit,
mit der sie beschäftigt war, lobte die Sorg
falt der Ausführung und fragte fie, ob sie
nicht Lust habe, sie einmal in Paris, wo
sie fürder wohnen werde, zu besuchen. Sie
habe dort ein sehr schönes Haus, und sicher
würde sich Jmgjor vortrefflich in der Stadt
des Vergnügens amüfiren.
Es folgte dann noch eine Beschreibung
der Räume und der kostbaren Einrichtung,
und überhaupt war sie bemüht, Jmgjor einen
möglichst großartigen Eindruck von ihren
Einkünften und ihrer gesellschaftlichen Stel
lung beizubringen.
Sie bewies, indem sie diese Mittel an
wendete, Jmgjors Zuneigung zu gewinnen,
allerdings eine sehr geringe Fähigkeit,
Charaktere zu beurtheilen. Es war mir
begreiflich, daß sie nicht erkannt hatte, daß
dergleichen für dieses ernste, reife und in
seinem innersten Wesen einfach geartete Wesen
gar kein Lockmittel sein werde.
Reichthum und Wohlleben umgaben Jmgjor,
aber reizten sie durchaus nicht. Ihre Pflicht
stellte fie stets über das Vergnügen, und
auch die Freuden des Daseins suchte sie
lediglich im Verkehr mit der Natur, mit
guten, treuherzigen Menschen, in der Pflege
geistiger Dinge und im Verkehr mit Thieren,
mit Vögeln, Pferden und Hunden, die sie
zärtlich liebte und pflegte.
Tanzen, Kokcttiren, den Großen nachzu
machen, früh schon die Dame zu spielen,
sich sinnliche Aufregungen zu verschaffen und
den nichtigen Vergnügungen nachzujagen,
hatte für Jmgjor keinen Reiz.
Und demgemäß antwortete sie auch.
„Nein, nein, gnädige Frau. Ich bleibe
lieber hier in der Heimath!" entgegnete sie
nach ihrer Art, kurz und ohne für die durch
diese Einladung zum Ausdruck gelangte
Artigkeit einen besonderen Dank an den Tag
zu legen. Auch ließ sie absichtlich das „du"
und die „Tante" dabei außer Acht. —
„Meinst Du denn nicht, daß es für
Dich vortheilhaft wäre, neues zu sehen, zu
lernen, Dich zu vervollkommnen, zu erkennen,
daß es noch eine andere größere Welt giebt,
als das Pünktchen Rankholm! Hältst Du
Dich bereits für vollendet?" warf die Frau,
hämisch im Ton, hin.
Sie vermochte ihren Aerger über diese
Unbiegsamkcit, über diese offenkundig hervor
tretende Gleichgiltigkeit gegen ihre Person
nicht zu bezähmen.
Schier bersten aber wollte sie, als Jmgjor,
sich äußerlich sanft fügend, und nur die
Schultern bewegend, einer Antwort auswich.
Sie warf schroff gereizt hin:
„Nun, Kind! Antworte! Hältst Du Dich
für so vollkommen?"
„Nein, gewiß nicht, gnädige Frau. Aber
ich möchte Reisen nur in Begleitung meiner
Eltern unternehmen. Wenn sie nicht dabei
sind, wenn ich mit ihnen nicht zusammen ge
nießen darf, haben sie keinen Reiz für mich!"
Diese Erwiderung klang aus dem Munde
einer Dreizehnjährigen recht altklug. Sic
war nicht artig, aber Inhalt und Form
waren zur Belehrung über die Stellung,
welche Jmgjor ihrer Mutter gegenüber ein
nahm und einzunehmen entschlossen war,
weise gewählt.
Diese ihre Antwort traf auch Madame
dergestalt, daß sie alle Klugheit außer Acht
laffend, mit boshaft funkelnden Augen her
ausstieß: „Na ja! Dann mache, wenn Du
alles bester weißt, wie Dn's willst!" Wo
rauf fie dann Jmgjor sitzen ließ, sich mit
einer gemacht gleichgiltigcn Miene zu mir,
und als dann gerade mein Mann in den
Salon trat, mit schmeichelnder Liebens
würdigkeit an ihn wandte und zu einer
Partie Schach aufforderte.
Und was ich, obschon ich mir nichts
merken ließ, dann sah, das gab mir, neben
der Ueberlegung, daß cs keine bessere Ge
legenheit geben könnte, die Stimmung der
Mutter gegen ihr Kind zu unserm Vortheil
auszunutzen, den Entschluß, noch an diesem
Tage mit den Dingen unter allen Umständen
aufzuräumen.
Mit meinem Manne war fie wie eine
Braut. Sic sah ihn fortwährend zärtlich
an, umschmeichelte ihn, und suchte ihn über
haupt immer mehr in ihre Netze zu ziehen.
Auf mich, auf die Kinder, die ich dann auch
möglichst bald fortsandte, auf Graf Knut,
der zum Plaudern gekommen, nahm sie gar
keine Rücksicht.
Sic folgte einerseits rücksichtslos ihren
eitlen Plänen, nämlich de n Mann, der einst
ihr erlegen, abermals dauernd in Fesseln zu
schlagen, und andererseits ihrem rachsüchtigen
Bestreben, mir möglichst unangenehme Em
pfindungen zu bereiten.
Da ich die Antwort, die Jmgjor ihr ge
geben, nicht gerügt hatte, wußte fie mich
einverstanden. Das genügte, um den schon
in ihr lodernden, heftigen Ingrimm gegen
mich noch mehr anzufachen.
Nachdem endlich, nach Verlauf peinlicher
Abendstunden, die Uhr elf geworden, Graf
Knut sich empfohlen, und auch jene sich zum
Aufbruch zu rüsten anschickten, erklärte ich,
noch aufbleiben und Briefe schreiben zu
wollen.
Mein Mann erhob auch keinen Wider
spruch, befahl der herbeigerufenen Kammer-
jungfer, Madame Etienne in ihre Gemächer
zu geleiten, und begab sich, — mir in der
gereizten Stimmung, die ihn während dieser
Zeit stetig beherrschte, nur eine kühle, gute
Nacht wünschend, — ebenfalls in seine
Räume.
Ich aber that nicht, wie ich vorgegeben hatte,
sondern warf mich aufs Horchen, und sobald ich
hörte, daß die Jungfer sich wieder aus Ma-
dames Gemächern entfernt, ich auch abge
wartet, daß Frederik die Lichter im Flur
und auf den Corridorcn gelöscht hatte, ent
zündete ich eine Wachskerze, schritt an die
Thür meiner Widersachcrin und klopfte.
Ein lebhaftes: „Wer ist da?" erfolgte.
„Ich, Lucile, bin's! Bitte, öffnen Sie!"
aab ich zurück.
„Ah! Sie. liebe Gräfin! Ich komme
gleich —" Und so geschah's. Ich fand sie
halb angekleidet, forderte sie auf mir Ge
hör zu schenken, und setzte mich alsdann ihr
gegenüber. —
Alles, was ich auf dem Herzen hatte,
sagte ich, nicht gehässig, aber entschieden,
klar und knapp. Ich betonte, was wir ge
wollt, was geworden, wie fie sich dazu ver
halten habe, was sie ohne Zweifel beab
sichtigte, wie sie meinen Gatten wirder um
garnen wolle und welche beleidigende Rolle
gegen mich, und welche aussichtslose gegen
ihre Tochter sie spiele. —
Ich deckte ihr rücksichtslos ihr Inneres
ans, baute ihr aber wiederum auch Brücken,
indem ich sie durch ihre verlorene Jugend
zu entschuldigen strebte.
Aber ich nahm auch von der Thatsache,
daß sie ihres Kindes Herz schon im Vor
aus verloren habe und es bei ihrer Veran
lagung, ihren Lcbcnsgewohnheiten und An
schauungen nie gewinnen werde, nichts zurück.
Sodann bot ich ihr, vorher noch betonend,
daß ich eher fie oder mich tödten, als daß
ich es — schon um der Kinder willen leiden
werde —, daß mein Mann zu ihr zurück
kehre, eine erhebliche Geldsumme für ihren
Verzicht auf Jmgjor und ihre Nimmer-
wiedcrkehr an.
___ Noch zögerte sie, fie erging sich in einen
Schwall von Worten, in denen sie sich als
eine Heilige, und mich als eine ebenso klein
Veranlagte, wie thöricht eifersüchtig Geartete
hinzustellen suchte. Zuletzt aber, als ich ihr
einen großen Theil des von mir in die Ehe
gebrachten Vermögens anbot, unterlag sie
ihrer Habgier. Die ungeheure Summe löschte
alle wirklichen und komödienhaften Regun
gen in ihrer Seele wie mit einem Regen»
guß aus. Sie nahm auch die von mir als
erforderlich hingestellten Nebenbedingungen
ohne Einwand an. Ich erklärte, ihr die
Hälfte gleich anweisen, den Rest aber, von
dem ihr die Nutznießung der Zinsen werden
solle, erst nach einer Prüfung von zehn
Jahren auszahlen zu wollen. Wenn sic
sich während dieser Zeit ein einzigesmal
meinem Mann oder ihrer Tochter ohne
meine Zustimmung wieder nähere, gehe sie
desselben verlustig. (Schluß folgt.)