Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

HägLich ersGeinenbss WLâ 
(Außer an Sonn- und Festtagen.) 
Màburģer 
schenblatt. 
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für Auswärtige, durch die Post bezogen 
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iucl. Postprovision rc., jedoch ohne Bestellgeld. 
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ArUestrs und getesenstes KLatL im Kreise UZAdsvurg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
—£3 DI fter Jahrgang. 
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburger Wochenblatt wird 
„Der Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen 
der Landwirthschast) gratis beigegeben. 
Wo. 274. 
Mittwoch, öen 22. Wo v ember 
1899. 
Its KiWB wegen 
erscheint morgen (Mittwoch) 
kein Wochenblatt. 
Die Expedition. 
Morgen-Berichte. 
Hamburg, 20. Nov. Unweit Deal, an 
der englischen Küste, ist die „P atria" 
im Schleppiau der „Hansa" gesunken 
Der Kapitän, der seinem brennenden 
Schiffe gefolgt war, befindet sich in Deal. 
Breslau, 20. Nov. Im hiesigen Den!- 
fchen Theater stürzte beim Probiren der 
Flugmaschine Direktor von Arnim aus 
beträchtlicher Höhe auf den Jnspicienten 
Fischer, welcher dadurch einen Beinbruch 
erlitt. Direktor von Arnim ist schwer 
am Arm verletzt. 
Wiesbaden, 20. Nov. Der hier als 
Kurgast weilende Landrath I f f l a n d 
aus Posen wurde auf der Straße mit 
einem Messerstich in der Herzgegend todt 
aufgefunden. Da man bei der Leiche 
1400 Mk. und andere Werthsachen vor 
fand, so liegt hier vermuthlich Selbstmord 
vor. 
Newyork, 19. Nov. Der von Santos 
kommende englische Dampfer „I. W 
Taylor" mußte in Quarantäne gehen, 
da der Steward unter verdächtigen Kranke 
heitSerscheinungen gestorben ist und der 
Kapitän sowie der Koch an verdächtigen 
Drüsenanschwellungen leiden. Der Kom 
missar des Gesundheitsamtes erklärte, er 
hege nicht den geringsten Zweifel, daß die 
aus dem Dampser „Taylor" vorgekomme 
nen Krankheitsfälle B e u l e n p e st seien. 
Paris, 20. Nov. Ueber die gestrige 
Feier aus Anlaß der Enthüllung der 
Statue „Triumph der Republik" wird noch 
berichtet, daß dies die größte Kundgebung 
gewesen, die jemals in Paris gesehen 
wurde. 250,000 Delegirte vertraten 1642 
Arbeitergcuppen. Die meisten Delegirten 
erschienen in Arbeiterkleidern. Biele tru 
gen phrygische Mützen. Die Delegirten 
brachten Hochrufe auf die Republik, die 
Justiz, die Freiheit, den Präsidenten Lou 
bet usw. aus, während andere die Ruse 
ausstießen: Nieder mit den Pfaffen! Nieder 
mit der Bourgeoisie! Zwei Drittel der 
Kundgeber sangen die revolutionäre Car 
magnole, blieben aber sonst vollständig 
ruhig. Biel bemerkt wurde die Delega 
tion der „Liga der Menschenrechte," wo 
runter sich auch der frühere Justizminister 
Trarieux befand. Gegen Mitternacht be 
gab sich eine Bande Anarchisten vor das 
Denkmal und rief: „Es lebe die Anarchie! 
Nieder mit der Armee!" Dabei wurden 
14 Verhaftungen vorgenommen. 
Paris, 20. Nov. Gegen Mitternacht 
wurden einige Anarchisten, welche auf 
dem Place de la Nation Rufe wie: 
Nieder mit der Armee, es lebe die 
Anarchie!" ansstteßen, verhaftet. Außer, 
dem wurden nach der „Petite republique" 
30 Personen verhaftet, da sie der Auf 
forderung, weiter zu gehen, nicht nach, 
kamen. Bis auf vier, welche während 
der Vorbeifahrt Loubets Hochruse aus 
Deroulede ausbrachten, wurden die Ver 
hafteten alsbald wieder entlassen. 
Paris, 20. Nov. Dreyfus hat 
nun den Zahlungsauftrag für die Prozeß- 
kosten erhalten, die sich auf 20 822 Francs 
belaufen. Der Auftrag war adreffirt an 
den Herrn „Kapitän" Dreyfus. 
Rom, 20. Nov. Ungeheures Aufsehen 
erregt in Neapel die Verhaftung des 
Sohnes des Generalîtaats- 
a n w a l t s am Caffationshofe, Senators 
Detavani, auf Veranlassung des eigenen 
Vaters. — Dem Sohne des Lyceum- 
professors Genovesi war das Elternhaus 
verboten. Als er trotzdem zurückkehrte, 
wurde er wegen Hausfriedensbruchs ver 
haftet. 
Rom, 20. Novbr. Wie das „B. T." 
berichtet, hätte Reichsgerichtsrath 
M i t t e l st ä d t durch Selbstmord 
geendet. Er suchte in Italien Linderung 
für sein schweres nervöses Leiden, das 
sich indessen nur verschlimmerte. Am 
Sonnabend-Abend benutzte er die kurze 
Abwesenheit seiner Frau, um sich eine 
Kugel in den Mund zu schießen. Er war 
sofort todt. In einem langen Abschieds- 
schreiben bat Mittelstadt seine Frau und 
Kinder um Verzeihung für den Schmerz, 
den er ihnen bereitet. Das Leben sei 
ihm durch seine Krankheit unerträglich 
geworden. Die Leiche wird nach Deutsch 
land übergeführt werden. 
Iur KaiseTreise. 
Portsmouth, 20. Nov. Die „Ho- 
henzollern" traf mit der Kaiserlichen Fa 
milie uur 7 Uhr früh vor Portsmouth ein 
und wurde von der Torpedoboot-Flotille 
eingeholt. Es herrscht hier so dichter Ne 
bel, wie er dieses Jahr noch nicht beobach 
tet wurde, und das Wetter ist sehr kalt. 
Es war unmöglich, die „Hohenzollern" oder 
die britische Flotte zu sehen, welche den 
deutschen Kaiser begrüßen sollte. Auch als 
die „Hohenzollern" unter donnernden Sa 
lutschüssen in den Hafen einlief, war der 
Nebel noch äußerst dicht. Die Stadt selbst 
hat keinerlei Festschmuck angelegt, aber zahl 
reich>e Zuschauer erwarteten die Ankunft des 
Kaiserpaares, bei dessen Landung lebhafte 
Begrüßungsrufe laut wurden. 
In Windsor geht man dem Eintreffen 
des Kaiserpaares mit begreiflicher Span 
nung entgegen. Im Schloß war, dem B. 
L. Ä. zufolge, heute früh bereits alles für 
den Empfang bereit; rührend ist die Freude 
der greisen Königin, mit der sie das Wie 
dersehen mit ihren Enkeln und Urenkeln er 
wartet. Gestern Nachmittag ließ sie sich 
noch, begleitet von der Prinzessin Beatrice, 
im Fahrstuhl durch! alle Gemächer der Gäste 
fahren und inspizirte alles, bis in die klein 
sten Einzelheiten. Alle bewundern die 
Rüstigkeit und Geistesfrische der Herrscherin, 
womit sie an dem außergewöhnlichen Er 
eigniß Antheil nimmt. 
Ser Stieg in Siiiafrifa. 
Endlich gestehen die englischen offiziösen 
Berichte ein, daß die Boeren überall be 
deutende Fortschritte gemacht haben, daß sie 
Aliwal-North, Burghersdorp 
und Co lesberg genommen haben; nur 
in Bezug auf Ladysmith wird noch geschwie 
gen. 
Nach einem Telegramm der Times aus 
Lourenco Marques vo>n 19. d. M. melden 
die Standard and Diggers News vom 17. 
November, daß unter den englischen Ge 
fangenen in Pretoria einige Fälle von 
Skorbut vorgekommen seien, und daß 
diese Gefangenen nad) der Wasserfall-Farm 
geschafft seien. Dasselbe Blatt meldet, daß 
die britischen Truppen in Lady smith 
an: T y p h u s leiden, und daß die Aus 
dünstungen der Stadt entsetzlich seien. 
Aus M a f e k i n g wird gemeldet, daß 
die Boeren ihre Geschütze 400 Meter näher 
an die Stadt herangerückt haben. Das 
Bombardement dauert fort. — Ein aktives 
Vorgehen der britischen Truppen scheint 
einzig und allein bei Kimberley in Aussicht 
genommen zu sein, das zu entsetzen sie ernst 
hafte Anstalten machen. Wenigstens wird 
dem Reuter'schen Bureau aus Oranje-River 
Station vom 16. d. M. gemeldet: Alle Vor 
bereitungen für die Zusammenziehung der 
zum Entsätze von Kimberley bestimmten 
Truppen sind jetzt beendet. Lord Methuen 
erwartet nur noch die Ankunft der Ver 
stärkungen. 
Dem Korrespondenten des „Berk. Lok.- 
Anz." zufolge, soll in der That die Artil 
lerie der Boeren mäßig sein und den Eng 
ländern nur wenig schaden. Die Geschosse 
crepirten vor Ladysmith sehr selten, so von 
elf Granaten nur drei. Desto wirksamer er 
wies sich das englische Granatfener der bei 
den betheiligten Feldbatterien, welche von 
ihrer Flankenstellnng aus schließlich die 
Boeren zu schleunigem Rückzüge zwangen, 
während die englische Cavallerie attakirte 
und dabei die Weichenden gar zu ungestüm 
verfolgte. Denn plötzlich erhielten die Boe 
ren Hilfe, und sofort stand wieder das Ge 
recht. Hitziger wie vorher wurde gefeuert. 
General Bullcr soll vor seiner Abreise 
aus London die Worte gesprochen haben: 
Von dem Tage an, wo ich in 
Kapstadt lande, wird nach: vier 
' ochen die britische Flaggein 
Pretoria wehen!" 
K a p st a d t, 21. Nov. Die Einwohner 
von Alimal-North begrüßten mit Begeiste 
rung die Truppen des Oranje-Freistaates, 
als sie in die Stadt einzogen. — Eine Mel 
dung aus Colesberg berichtet, daß ein Pan 
zerzug in der Nähe von Newers sich zweier 
Munitionswagen, welche den Boeren ge 
hörten, bemächtigt hat. — Aus Klapdar 
wird gemeldet, daß 1000 Boeren nach dem 
Süden aufgebrochen sind. 
Die „Köln. Ztg." erhält einen Bericht 
aus Kapstadt, welcher besagt, dem unpartei 
ischen und mit den Verhältnissen vertrauten 
Beobachter, der Gelegenheit gehabt, die vor 
zügliche Ausrüstung, die vollständige 
Kriegsbereitschaft und die Kampfbereitschaft 
der Boeren zu sehen, wird die Hoffnung der 
Engländer auf einen Waffenerfolg wenig be 
gründet erscheinen lassen und dies um so 
mehr, da England seine geharnischte Hal 
tung Transvaal gegenüber in ganz unbe 
greiflicher Weise nicht durch eine rechtzeitige 
Truppenentsendung gedeckt und hiermit den 
Boeren Gelegenheit gegeben hat, in geschick 
ter Weise den Waffenkampf zu beginnen, als 
sie noch in der Uebermacht waren. Durch 
das Eingreifen der Offensive haben sich nun 
die Boeren strategische Vortheile gesichert, 
die wett zu machen, ungeheure Opfer an bri 
tischen Truppen erfordern wird. Der Ge 
währsmann fügt hinzu: zu einer allge 
meinen Erhebung in: Oranjefrei 
staat sei alles bereit. 
London, 20. Nov. Nachrichten aus 
Natal zufolge liegen heute nähere Details 
über die Kämpfe vor Ladysmith vor. Die 
Boeren sollen auf allen Punkten zurückge 
schlagen sein. Sie sollen 700 Todte und 
Verwundete haben. „Daily News" schließt 
mit den Worten: „Ladysmith wird jetzt un 
behelligt gelassen; wir können nun Monate 
lang Stand halten." — „Daily Mail 
meldet aus Lourenco Marquez, daß 10 000 
Boeren den Anmarsch Bullers .erwarten. 
Tie Generale Joubert und Louis Botha 
seien mit starken Abtheilungen ausgerückt, 
um ihn aufzuhalten. Butler dürfte de Aar 
zum Hauptquartier wählen. 
Queenstown, 18. Nov. Tie tele 
graphische Verbindung mit der Stadt 
Jamestown ist seit heute abgeschnitten. 
Nach einer Meldung aus Pretoria erhielt 
Präsident Steifn eine Depesche des Rich 
ters Hertzog mit der Meldung, daß er ge 
mäß seiner Instruktion die Orte B a r - 
k l y W e st, Douglas und G r i q u a - 
town in Besitz genommen und 
dort eine Verwaltung eingerichtet habe. 
Deutsche« Reichstag. 
105. Sitzung. 
Berlin, 20. Nov. 
Zweite Berathung des Gesetzentwurfs betr. 
Schutz des, gewerblichen Arbeits 
verhältnisses. 
Am Bundesrathstische: Staatssekretär Graf 
Posadowsky, die Minister Brefeld und v. Rhein 
baben. 
Das Haus ist gut besucht. 
§ 1 lautet: Wer es unternimmt, durch 
körperlichen Zwang, Drohung, Ehrverletzung oder 
Verrusserklärung Arbeitgeber oder Arbeitnehmer 
zur Theilnahme an Vereinignngen oder Verab 
redungen, die eine Einwirkung auf Arbeits- 
oder Lohnverhältniste bezwecken, zu bestimmen 
oder von der Theilnahme an solchen Ver 
einigungen oder Verabredungen abzuhalten, wird 
mit Gefängniß bis zu einem Jahre bestraft. 
Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist aus 
Geldstrafe bis zu eintausend Mark zu erkennen. 
Die Abgg. B ü s i n g (natlib.) und Genossen 
beantragen, an die Stelle des K 1 zwei Artikel 
zu setzen, deren erster die Erlaubniß zur Ver 
bindung aller inländischen Vereine ausspricht, 
während der zweite Artikel die bekannten Ab 
änderungen der KZ 152 und 153 der Gewerbe 
ordnung enthält. 
Für einen liberalen Mann gehöre beinahe 
Muth dazu, auch nur einen Theil der Vorlage 
anzunehmen. Ein Theil seiner Freunde halte es 
nicht für richtig, die Vorlage rundweg abzu 
lehnen. Sein Antrag entspreche der Meinung 
eines großen Theils des deutschen Volkes, be 
gegne aber auch großem Mißtrauen, als ob er 
aus einseitiger Vertretung der Interessen der 
Unternehmer hervorgegangen sei. (Sehr richtig! 
bei den Sozialdemokraten.) Das Recht der 
persönlichen Freiheit könne nicht gewahrt werden, 
wenn es nicht staatlichen Schutz erhält; andern 
falls mache man den ersten Schritt zum sozial 
demokratischen Zwangsstaat. (Zustimmung bei 
den Nationalliberalen, Widerspruch bei den 
Sozialdemokraten.) Die Sozialdemokratie sei 
eine geschworene Gegnerin der individuellen 
Freiheit. (Unruhe links, Glocke des Präsidenten.) 
Seine Frakiion wolle weiter nichts als den 
Ausschluß jeden Zwanges aus der modernen 
Arbeiterbewegung. Das sei der einzige Ge 
danke, den sie der Vorlage entnommen habe, 
alles andere verwerfe sie ebenso wie der große 
Theil des Hauses. 
Abg. Frhr. v. Stumm (Reichsp.) befür 
wortet seinen Antrag, wonach im Falle der 
Annahme des Antrages Büsing die Strafsätze 
verschärft werden sollen. Statt „drei Monate 
Gefängniß bezw. 300 Mk." soll gesetzt werden: 
„einem Jahre resp. eintausend Mk." Der An 
trag will ferner bestimmen, daß Gefängnißstrase 
nicht unter drei Monaten eintritt, wenn die 
Handlung gewohnheitsmäßig begangen ist, sowie 
ferner, daß es zur Verfolgung keines Antrages 
bedürfe Redner beantragt ferner die Ueber, 
36 
Grevinde. 
Roman von Hermann Heiberg. 
(Nachdruck verboten.) 
Nack Tisck, während wir des Kaffees im 
Salon warteten, machte sich Madame Etienne 
an Jmgjor heran, prüfte eine Handarbeit, 
mit der sie beschäftigt war, lobte die Sorg 
falt der Ausführung und fragte fie, ob sie 
nicht Lust habe, sie einmal in Paris, wo 
sie fürder wohnen werde, zu besuchen. Sie 
habe dort ein sehr schönes Haus, und sicher 
würde sich Jmgjor vortrefflich in der Stadt 
des Vergnügens amüfiren. 
Es folgte dann noch eine Beschreibung 
der Räume und der kostbaren Einrichtung, 
und überhaupt war sie bemüht, Jmgjor einen 
möglichst großartigen Eindruck von ihren 
Einkünften und ihrer gesellschaftlichen Stel 
lung beizubringen. 
Sie bewies, indem sie diese Mittel an 
wendete, Jmgjors Zuneigung zu gewinnen, 
allerdings eine sehr geringe Fähigkeit, 
Charaktere zu beurtheilen. Es war mir 
begreiflich, daß sie nicht erkannt hatte, daß 
dergleichen für dieses ernste, reife und in 
seinem innersten Wesen einfach geartete Wesen 
gar kein Lockmittel sein werde. 
Reichthum und Wohlleben umgaben Jmgjor, 
aber reizten sie durchaus nicht. Ihre Pflicht 
stellte fie stets über das Vergnügen, und 
auch die Freuden des Daseins suchte sie 
lediglich im Verkehr mit der Natur, mit 
guten, treuherzigen Menschen, in der Pflege 
geistiger Dinge und im Verkehr mit Thieren, 
mit Vögeln, Pferden und Hunden, die sie 
zärtlich liebte und pflegte. 
Tanzen, Kokcttiren, den Großen nachzu 
machen, früh schon die Dame zu spielen, 
sich sinnliche Aufregungen zu verschaffen und 
den nichtigen Vergnügungen nachzujagen, 
hatte für Jmgjor keinen Reiz. 
Und demgemäß antwortete sie auch. 
„Nein, nein, gnädige Frau. Ich bleibe 
lieber hier in der Heimath!" entgegnete sie 
nach ihrer Art, kurz und ohne für die durch 
diese Einladung zum Ausdruck gelangte 
Artigkeit einen besonderen Dank an den Tag 
zu legen. Auch ließ sie absichtlich das „du" 
und die „Tante" dabei außer Acht. — 
„Meinst Du denn nicht, daß es für 
Dich vortheilhaft wäre, neues zu sehen, zu 
lernen, Dich zu vervollkommnen, zu erkennen, 
daß es noch eine andere größere Welt giebt, 
als das Pünktchen Rankholm! Hältst Du 
Dich bereits für vollendet?" warf die Frau, 
hämisch im Ton, hin. 
Sie vermochte ihren Aerger über diese 
Unbiegsamkcit, über diese offenkundig hervor 
tretende Gleichgiltigkeit gegen ihre Person 
nicht zu bezähmen. 
Schier bersten aber wollte sie, als Jmgjor, 
sich äußerlich sanft fügend, und nur die 
Schultern bewegend, einer Antwort auswich. 
Sie warf schroff gereizt hin: 
„Nun, Kind! Antworte! Hältst Du Dich 
für so vollkommen?" 
„Nein, gewiß nicht, gnädige Frau. Aber 
ich möchte Reisen nur in Begleitung meiner 
Eltern unternehmen. Wenn sie nicht dabei 
sind, wenn ich mit ihnen nicht zusammen ge 
nießen darf, haben sie keinen Reiz für mich!" 
Diese Erwiderung klang aus dem Munde 
einer Dreizehnjährigen recht altklug. Sic 
war nicht artig, aber Inhalt und Form 
waren zur Belehrung über die Stellung, 
welche Jmgjor ihrer Mutter gegenüber ein 
nahm und einzunehmen entschlossen war, 
weise gewählt. 
Diese ihre Antwort traf auch Madame 
dergestalt, daß sie alle Klugheit außer Acht 
laffend, mit boshaft funkelnden Augen her 
ausstieß: „Na ja! Dann mache, wenn Du 
alles bester weißt, wie Dn's willst!" Wo 
rauf fie dann Jmgjor sitzen ließ, sich mit 
einer gemacht gleichgiltigcn Miene zu mir, 
und als dann gerade mein Mann in den 
Salon trat, mit schmeichelnder Liebens 
würdigkeit an ihn wandte und zu einer 
Partie Schach aufforderte. 
Und was ich, obschon ich mir nichts 
merken ließ, dann sah, das gab mir, neben 
der Ueberlegung, daß cs keine bessere Ge 
legenheit geben könnte, die Stimmung der 
Mutter gegen ihr Kind zu unserm Vortheil 
auszunutzen, den Entschluß, noch an diesem 
Tage mit den Dingen unter allen Umständen 
aufzuräumen. 
Mit meinem Manne war fie wie eine 
Braut. Sic sah ihn fortwährend zärtlich 
an, umschmeichelte ihn, und suchte ihn über 
haupt immer mehr in ihre Netze zu ziehen. 
Auf mich, auf die Kinder, die ich dann auch 
möglichst bald fortsandte, auf Graf Knut, 
der zum Plaudern gekommen, nahm sie gar 
keine Rücksicht. 
Sic folgte einerseits rücksichtslos ihren 
eitlen Plänen, nämlich de n Mann, der einst 
ihr erlegen, abermals dauernd in Fesseln zu 
schlagen, und andererseits ihrem rachsüchtigen 
Bestreben, mir möglichst unangenehme Em 
pfindungen zu bereiten. 
Da ich die Antwort, die Jmgjor ihr ge 
geben, nicht gerügt hatte, wußte fie mich 
einverstanden. Das genügte, um den schon 
in ihr lodernden, heftigen Ingrimm gegen 
mich noch mehr anzufachen. 
Nachdem endlich, nach Verlauf peinlicher 
Abendstunden, die Uhr elf geworden, Graf 
Knut sich empfohlen, und auch jene sich zum 
Aufbruch zu rüsten anschickten, erklärte ich, 
noch aufbleiben und Briefe schreiben zu 
wollen. 
Mein Mann erhob auch keinen Wider 
spruch, befahl der herbeigerufenen Kammer- 
jungfer, Madame Etienne in ihre Gemächer 
zu geleiten, und begab sich, — mir in der 
gereizten Stimmung, die ihn während dieser 
Zeit stetig beherrschte, nur eine kühle, gute 
Nacht wünschend, — ebenfalls in seine 
Räume. 
Ich aber that nicht, wie ich vorgegeben hatte, 
sondern warf mich aufs Horchen, und sobald ich 
hörte, daß die Jungfer sich wieder aus Ma- 
dames Gemächern entfernt, ich auch abge 
wartet, daß Frederik die Lichter im Flur 
und auf den Corridorcn gelöscht hatte, ent 
zündete ich eine Wachskerze, schritt an die 
Thür meiner Widersachcrin und klopfte. 
Ein lebhaftes: „Wer ist da?" erfolgte. 
„Ich, Lucile, bin's! Bitte, öffnen Sie!" 
aab ich zurück. 
„Ah! Sie. liebe Gräfin! Ich komme 
gleich —" Und so geschah's. Ich fand sie 
halb angekleidet, forderte sie auf mir Ge 
hör zu schenken, und setzte mich alsdann ihr 
gegenüber. — 
Alles, was ich auf dem Herzen hatte, 
sagte ich, nicht gehässig, aber entschieden, 
klar und knapp. Ich betonte, was wir ge 
wollt, was geworden, wie fie sich dazu ver 
halten habe, was sie ohne Zweifel beab 
sichtigte, wie sie meinen Gatten wirder um 
garnen wolle und welche beleidigende Rolle 
gegen mich, und welche aussichtslose gegen 
ihre Tochter sie spiele. — 
Ich deckte ihr rücksichtslos ihr Inneres 
ans, baute ihr aber wiederum auch Brücken, 
indem ich sie durch ihre verlorene Jugend 
zu entschuldigen strebte. 
Aber ich nahm auch von der Thatsache, 
daß sie ihres Kindes Herz schon im Vor 
aus verloren habe und es bei ihrer Veran 
lagung, ihren Lcbcnsgewohnheiten und An 
schauungen nie gewinnen werde, nichts zurück. 
Sodann bot ich ihr, vorher noch betonend, 
daß ich eher fie oder mich tödten, als daß 
ich es — schon um der Kinder willen leiden 
werde —, daß mein Mann zu ihr zurück 
kehre, eine erhebliche Geldsumme für ihren 
Verzicht auf Jmgjor und ihre Nimmer- 
wiedcrkehr an. 
___ Noch zögerte sie, fie erging sich in einen 
Schwall von Worten, in denen sie sich als 
eine Heilige, und mich als eine ebenso klein 
Veranlagte, wie thöricht eifersüchtig Geartete 
hinzustellen suchte. Zuletzt aber, als ich ihr 
einen großen Theil des von mir in die Ehe 
gebrachten Vermögens anbot, unterlag sie 
ihrer Habgier. Die ungeheure Summe löschte 
alle wirklichen und komödienhaften Regun 
gen in ihrer Seele wie mit einem Regen» 
guß aus. Sie nahm auch die von mir als 
erforderlich hingestellten Nebenbedingungen 
ohne Einwand an. Ich erklärte, ihr die 
Hälfte gleich anweisen, den Rest aber, von 
dem ihr die Nutznießung der Zinsen werden 
solle, erst nach einer Prüfung von zehn 
Jahren auszahlen zu wollen. Wenn sic 
sich während dieser Zeit ein einzigesmal 
meinem Mann oder ihrer Tochter ohne 
meine Zustimmung wieder nähere, gehe sie 
desselben verlustig. (Schluß folgt.)
	        
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