Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

UgLich erscheinendes WLcrtt. 
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Ģà ŞZ steŗ Jahrgang. 
Druck und Verlag von dein verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburger Wochenblatt wird 
„Der L'andwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interesse» 
der Landwirthschast) gratis beigegeben. 
"Ireitag, den 17. Movember 
1899. 
Morgen-Berichte. 
London, 16 Novbx. (Orig.-Telegr. 
des Rendsb. Wochenbl.) Der auf der 
Fahrt von Rewyork nach Hamburg 
befindliche Dampfer der Hambu rg- 
MMerikanischenPackeLfahrt-Actieu- 
Gefeüfchaft „Patria" ist auf der 
Nordsee in Brand gerathen. 
Sämmtliche 136 Passagiere 
sind vom russischen Dampfer 
„Sirus" gerettet und nach Dover 
gebracht. Der Dampfer) Agnesia 
rettete die gesammteMannschaft. 
Berlin, 15. Noo Drr Kaiser empfing 
gestern vor der Frühstückstafel den General 
der Kavallerie Grafen Haeseler, der sich 
als Vorsitzender der zur Ueberarbeitung 
der Felddienst-Ordnung eingesetzten Kom 
mission meldete. Nachmittags erledigte 
der Kaiser Regierungsangelegenheiten. 
Heute Morgen hörte der Kaiser den 
Bortrag des Chefs des Civilkabinets v. 
Lucanus. Später hielt der Kaiser eine 
Besprechung mit den Ministern v. Miguel, 
Thielen, v. Hammerstein und Brefeld ab. 
Vermuthlich handelte es sich bei dieser 
Besprechung um die Kanalvorlage. 
Berlin, 15. Nov. Die Vorbereitungen 
zur Englandreise des Kaiserpaares sind 
in vollem Gange, mehrere Waggons mit 
Gepäck sind bereits in Kiel eingetroffen 
und werden auf die „Hohenzollern" um 
geladen. Die Ankunft des Kaiserpaares 
in Portsmouth erfolgt am 19. ds., Vor 
mittags 10 Uhr. Wie die „Post" erfährt, 
ist aus Anlaß dieser Reise der erste Of 
fizier der Dacht „Hohenzollern", Koroeîten- 
Kapitän Grimme, zum Flügeladjutanten 
des Kaisers ernannt worden. 
Berlin, 15. Nov. Die „DeutscheWarte" 
schreibt, sie sei zu der Erklärung ermäch 
tigt, daß die Kanalvorlage ganz sicher 
noch in diesem Winter dem Abgeordneten 
hause werde unterbreitet werden. Die 
Regierung sei fest davon überzeugt, daß 
die Vorlage diesmal unter allen Umstän 
den durchgeht und zwar mit einer nicht 
unerheblichen Mehrheit. 
Berlin, 15. Nov. Der Spiritusring 
beschloß die Erhöhung der Preise um 1 
Mk auf 39 Mk. ab 20. November. 
Berlin, 15. Nov. Eine Pulverexplosion 
fand heute Nachmittag bei dem Hofbüchsen 
macher Förster, Taubenstraße 50, statt. 
Das Personal rettete sich, indem es den 
Weg durch die Fenster nahm, wobei sich 
zwei Personen Schnittwunden zuzogen. 
Liverpool, 15. Nov. Eine Feuersbrunst 
zerstörte gestern in den hiesigen Docks eine 
ungeheure Menge Heu, welches nach Süd 
afrika verladen werden sollte. Der Schaden 
wird auf 5 Millionen geschätzt. 
Gent, 15. Novbr. In einer gestern 
Abend hier abgehaltenen Versammlung 
gegen den Transvaalkrieg wurde eine 
Tagesordnung, welche sich gegen die Poli 
rik Chamberlain's richtete, mit großer 
Mehrheit angenommen. 
London, 15. November. Das „Reuter- 
Bureau" verbreitet aus Liverpool denn 
ruhigende Nachrichten über Deutsch-West- 
afrika. Kaufleute aus Liverpool, welche 
Fabriken in den deutschen Distrikten Ba 
tanga und Kribi haben, berichteten, daß 
der Aufstand daselbst allgemein und äußerst 
ernst sei. Die Rebellen gehörten dem 
Stamme der Buli an. Batanga wäre 
von 2000 Eingeborenen überfallen wor 
den, wenn diese nicht der überschwemmte 
Fluß daran gehindert hätte. Englische 
und andere Fabriken an der Küste seien 
geplündert worden. 
Rotterdam, 15. Nov. Heute früh 1 
Uhr 29 Min. fuhr der Blissinger Schnell 
zu g bei dichtem Nebel in der Station 
Capelle auf den wartenden Schnellzug 
Rotterdam-Emmerich auf. Der Zusammen 
stoß war furchtbar, fünf Personen 
wurden getödtet und 2 9 ver 
letzt. Die Verwundungen von 15 der 
letzteren sind tödlich. Das Unglück ent 
stand dadurch daß, der die Post von London 
mitführende Zug, von Vlissingen kommend, 
in voller Fahrt dem zweiten Zuge in die 
Flanke fuhr. Dem Vernehmen nach ist 
von den Passagieren des Postzuges niemand 
getödtet oder verletzt. 
Triest, 15. Nov. Der Kapitän des 
Loyddampsers „Berenice" meidet aus Porto 
Praya (Capverdische Inseln), daß der 
Steward unter Pestsymptomen erkrankt 
ist. 
Budapest, 14. Nov. Der auch im Aus 
lande allgemein bekannte Akrobat Emerich 
Olah wurde heute in der Nähe der 
Hauptstadt während eines Ausfluges von 
seinem Kollegen Dalida ermordet. 
Das Mordmotiv ist künstlerische Rivalität, 
weil Olah für das nächste Jahr zu den 
internationalen Ringkämpfen in Paris 
engagirt war. 
Lissabon, 15. Nov. Eine Berliner 
Werthsendung in Höhe von mehr 
als 2 5 0,000 Mk. ist durch einen hier 
verübten P o st r a u b verlustig gegangen. 
Bon den Dieben fehlt bis jetzt jede Spur. 
Graf Macedo, der portugisische Gesandte 
in Madrid, hat von hier aus die Nach 
richt erhalten, daß auf der hiesigen Haupt 
post sieben Berliner Creditbriese, die für 
eine Lissaboner Bank bestimmt waren, ge 
raubt worden sind. Diese sieben Briefe, 
zwei in Höhe von 100,000 Mk., ein von 
60,000 Mk., ein von 40,000 Mk., zwei 
von je 30,000 Mk. und ein von 21,455 
Mk. waren von einer Berliner Bank in 
einem eingeschriebenen Briefe an die er 
wähnte Lissaboner Bank abgeschickt worden. 
Das Berliner Haus, welches als Absender 
der genannten Sendung erwähnt wird, ist 
die Filiale der Dresdner Bank. 
Lissabon, 15. Nov. Der kürzlich aus 
Oporto hier eingetroffene Bakteriologe 
Pestana ist an der Pest gestorben. 
Deutschen Reichstag. 
Der Reichstag trat heute in die zweite Be 
rathung des Postgesetzes ein. Das Haus ge 
währte ungefähr dapelbe Bild wie gestern, nur 
waren vielleicht ein paar Abgeordnete weniger 
und em paar Besucher auf den Tribünen mehr 
anwesend. Zur Entwickelung großer Gesichts 
punkte kommt es bei zweiten Lesungen nur in 
seltenen Fällen; der heutige gehörte nicht dazu. 
Die Debatte begann mit der Berathung des 
Postzeitungstarifs. Es lagen verschiedene Ab 
änderungsanträge zu den Beschlüffen der 
Commission vor, von denen der einschneidendste 
der des Centrums aus Einführung eines Zonen- 
tarifes ist. Es sollen danach zwei Zonen ge 
schaffen werden, dre erste bis 75 Klm. vom Er 
scheinungsorte, die zweite darüber hinaus. 
Abg. Marcour begründete den Antrag 
mit dem Hinweis, daß die kleinen Blätter in 
der Provinz, die im Allgemeinen nur in einem 
beschränkten Gebiete verbreitet wären, gegen die 
Konkurrenz der große>i gestärkt werden müßten, 
daran hätten alle Parteien -in gleichmäßiges 
Interesse, eine Behauptung, gegen die sich der 
sozialdemokratische Abgeordnete Dietz wandte. 
Er constatirte einen Gegensatz zwischen der 
bürgerlichen und der soüaldemokratischen Presse 
und meinte, die letztere bedürfe keiner Stärkung, 
weil sie nach richtigen Grundsätzen geleitet 
werde. 
Der Staatssekretär im Reichspostamt v. Pod - 
b i e l s k i bekämpfte den Antrag Marcour au.s 
finanziellen Gründen; der Einnahmeausfall 
würde zu groß sein, ein Rückgang der Ein 
nahme aber müsse schon im Hinblick auf die 
Besserstellung der Beamten vermieden werden. 
Auch der Abg. O e r t e l (cons.) wendet sich 
gegen den Antrag und tritt im Uebrigen für 
Annahme der Kommisstonsbeschlüsse ein. Der 
kleinen Presse könne vielleicht durch das vom 
Abg Dietz vorgeschlagene Mittel, die Bestell 
gebühr nach der Häufigkeit des Erscheinens ab 
zustufen, geholfen werden. Im Allgemeinen 
verliert sich die Debatte, obwohl die Worte 
Recht und Billigkeit oft zu hören sind, in tech 
nischen Einzelheiten. Mit großer Lebhaftigkeit 
tritt für den Antrag Marcour der Abg. Das 
bach ein. 
stätigt, doch sind wir auch aus dieser 
Quelle schon früher mit annähernder 
Sicherheit bedient worden, als die 
Presse, welche ihre Nachrichten über 
London empfängt. Es wird also ab 
zuwarten sein, ob unsere obige Meldung 
verfrüht war oder nicht; jedenfalls ist die 
Lage der Engländer in Ladysmith eine 
sehr bedrohliche. 
Uebrigens wird der „Dtsch. Warte" 
drathlich aus London berichtet: Joubert 
berennt seit 48 Stunden von allen Seiten 
Whites Lager mit der gesammien Ar 
tillerie und Infanterie. Ladysmith steht 
in Flammen. Nur zwei Marine 
geschütze antworten noch der schweren 
Burcn-Artillerie. White vertheidigt ver 
zweifelt das Hochplateau des Lagers. 
Heute wird der E n t s ch e i d u n g s - 
sturm erwartet. 
Dem „Standard" wird aus Ladysmith 
gemeldet: Die schwersten Leiden einer 
Belagerung sind uns bis jetzt noch er 
spart geblieben, aber wir haben schon 
viel durchgemacht, ein Laib Brot kostet 
3 Shilling. 
Der Korrespondent der „Times" in 
Mafeking beschreibt in einem vom 28. Oct. 
datirten Bericht einen Bajonettangriff einer 
Schwadron des Betschuanaland-Regiments 
auf die Buren: Als die Engländer die Brust 
wehrverschanzungen der Buren genommen 
hatten, feuerten sie Salven auf den 
Feind und griffen ihn in der Front mit 
blanker Waffe an, während ein Geschütz 
der Polizei der Kapkolonie durch Flanken- 
seuer sie unterstützte. Die Buren machten 
einen verzweifelten Versuch, den vor 
dringenden Feind zurückzutreiben; aus ihren 
weiter zurück gelegenen Berschanzungen 
wurde ein furchtbares Feuer eröffnet. 
Durch das Aufblitzen der Gewehrschüsse 
war die ganze Position beleuchtet. Nach 
dem die Umgehung der Front und der 
Berschanzungen des Feindes ausgeführt 
war, zog sich die Schwadron unter dem 
Schutze des Flankenfeuers der Kappolizei 
zurück. Aus Seite der Engländer wurden 
sechs Mann getödtet, mehrere verwundet; 
die Verluste der Buren werden auf 100 
Todte und Verwundete geschätzt. 
Ier Krieg iss Siikfrifa. 
Unsere gestrige Amsterdamer Nach 
richt, daß Ladysmith gefallen sei, 
finden wir sonst bis jetzt nirgends be- 
Ansland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Ncwyork, im November. Ein neuer 
R i e s e n t r u st wird von dem bekannten 
Millionär Rockefeller und mehreren 
anderen Magnaten der amerikanischen 
Hochfinanz und Industrie geplant. -Es 
handelt sich darum, den gesammten 
Schiffsbau in den Vereinigten Staa- 
ten in ein e H a n d zu bringen 
und bereits soll die große Werst „Cramp's 
Ship Building Compagny" und mehrere 
der ersten anderen Institute dieser Art in 
Philadelphia, San Franzisco, Chikago, 
Boston, Newyork sich prinzipiell einver 
standen mit dem Plane erklärt haben. 
Mr. Rockefeller, der sowieso schon nicht 
sehr zugänglich ist, verweigert über das 
neue Projekt jede Auskunft, es ist aber 
als sicher anzunehmen, daß das was bis 
jetzt über die Verhandlungen und über 
die gedachte Organisation des neuen Trusts 
bekannt wurde, auf Wahrheit beruht. 
Gerüchtweise verlautet außerdem, der 
Schiffsbautrust werde mit dem Stahl- und 
Eisentrust und anderen dieser enormen 
industriellen und kommerziellen Vereini 
gungen Hand in Hand arbeiten, was na 
türlich von eminentem Vortheil für beide 
Theile sein könnte; für diese Gerüchte 
fehlt es indessen noch an einer positiven 
Unterlage, während die Monopolisirung 
des gesammten amerikanischen Schiffsbaues 
anscheinend der Verwirklichung entgegen 
geht. 
Z Oesterreich-Ungarn. 
Der Baukrach in Budapest hat wieder 
neue Opfer gefordert. Heute fallirten die 
Baufirma Gebr. Horcher & Jlgner mit 
300000 Fl. und die Firma Kristoffy & 
Nemeth mit 200000 Fl. -;J. ,M 
Belgien. 
Brüssel, 15. Nov. Vor einigen Tagen 
wurde der griechische Vicekonsul 
Theophilados in Mecheln nebst seiner 
Geliebten in Brüssel verhaftet, weil 
ihm mehrere Unterschlagungen zur Last 
gelegt wurden. Die sehr eifrig betriebene 
Untersuchung hat nun aber ergeben, daß 
man mit diesem Vicekonsul Hand aus eine 
Bande hochgestellter Fälscher gelegt hat, 
welche in allen europäischen Hauptstädten 
mit unerhörter Kühnheit gearbeitet haben. 
Die letzten Checkfälschungen bei der Ant- 
werpener Centralbank im Betrage von 
30 000, bei einer Pariser Bank von 
150 000, bei einer rumänischen Bank von 
50 000 Franken wurden von dieser Bande 
verübt, der jener Mechelner Vicekonsul 
Griechenlands angehörte. Ferner trieb 
sie Versicherungen zufällig untergehender 
Schiffe und Orüensschacher u. s. w. Die 
belgische Behörde wird Theophilados, 
dessen Helfer namentlich in Antwerpen 
von der Polizei gesucht werden, wahr 
scheinlich nach Bukarest ausliefern, wo 
man bereits alle Fäden dieser fast beispiel 
losen Betrugsaffären in Händen haben 
soll. 
Antwerpen, 15. Nov. Die Krisis 
in der D i a m a n t - I n d u st r i e nimmt 
32 
Grevinde. 
Roman von Hermann Heiberg. 
, (Nachdruck verboten.) 
Im Rankholmer Palais hielt man Fa- 
milienrath und dessen Gegenstand war, wie 
so oft, Jmgjor. 
Nur ein Mittel gab's, von dessen An 
wendung Lucile und die Gräfin noch etwas 
erwarteten. Sie schöpften aus dem Um 
stande, daß in dem damaligen Gespräch der 
Geschwister in Rankholm ohne, Zweifel ein 
starkes Interesse Jmgjors für Axel zum 
Ausdruck gelangt, die Hoffnung, , er, Axel, 
werde durch einen klugen Anlauf vielleicht 
doch noch ihr Herz in einem für ihn günstigen 
Sinne rühren können. Daß in ihm die 
alten Gefühle nicht erloschen seien, hatte er 
gleich bei der ersten zwischen ihm und den 
Damen stattgefundencn Unterredung erklärt. 
Er hatte geäußert, daß ihn eine grenzenlose 
Sehnsucht beherrsche, sobald wie möglich in 
Jmgjors Nähe zu gelangen. Und dieser 
Drang hatte sich bis ins Ungemestcne ver 
stärkt, als Lucile ihm nun auch — alle Be 
denken, die sie früher mit Rücksicht auf sich 
selbst abgehalten — eröffnet hatte, was in 
jener Unterhaltung für ihn zu Tage ge 
treten war. 
Graf Dehn hatte die Neigung der Fa 
milie, den Aufenthalt in Kopenhagen noch 
um etwas zu verlängern, mit allen Mitteln 
zu befestigen und durch Unterredungen mit 
dem Grafen auch dessen Widerstand gegen 
seine Pflegetochter wesentlich zu mildern ge 
wußt. Er hatte in förmlicher Weise um 
Jmgjors Hand bei dem Grafen angehalten 
und von ihm die Erlaubniß erwirkt, nach 
şeinem Ermessen die Schritte zu thun. 
Zunächst verabredete er mit Lucile, die 
sich seinen Plänen mit liebenswürdigem Eifer 
widmete, die nun, nachdem ihr Herz durch 
einen anderen Mann, den sie hingebend 
liebte, ausgefüllt war — alle Bedenken und 
eifersüchtigen Regungen abgestreift hatte, daß 
sie Jmgjor sogleich besuchen und ihr unter 
besonderer Begründung die Bitte vorlegen 
solle, Axel empfangen zu wollen. Lucile 
ging auch sogleich ans Werk. 
Sie ließ sich, vorher noch einige die 
Trauer angehende Besorgungen erledigend, 
in der Lavard'schen Equipage nach Jmgjors 
Wohnung fahren und fand ihre Schwester 
in der vordem erwähnten Gcmüthsver- 
finsterung an ihrem Arbeitstisch. 
Als die durch Gebines Anmeldung aus 
ihrem dumpfen Sinnen Emporschreckende 
Lucile vor sich sah, legte sie die Feder rasch 
und verlegen bei Seite, auch schob sie ihr 
Tagebuch, in das sie etwas hincingeschrieben, 
unter andere Papiere. Freilich erlitt der 
Schwestern Begegnung sogleich wieder eine 
Unterbrechung. Man schickte nach Jmgjor, 
und diese eilte unter sanftem Ausdruck ihrer 
Schwester Zustimmung erbittend, über die 
Straße an das Krankenbett einer armen 
Frau. 
Und weil Jmgjor eine längere Weile 
fortblieb, griff Lucile nach einem auf dem 
Tisch liegenden Buch und fand in diesem 
einige von Jnigjors Hand herrührende, 
offenbar für das Tagebuch bestimmte, zu 
fällig hier hineingerathene Niederschriften, 
die ihr Jntercffe fesselten. Sie lauteten: 
„Eine einzige That des Edelmuths und eine 
einzige Unvorsichtigkeit sind genügend, um 
einem Menschen für immer bei der Menge 
den Stempel seines Werthes oder seines 
Unwerthes aufzudrücken. Vielleicht verdienten 
sie beides nicht. Zu allem gehört Glück, 
aber auch dazu, für etwas anderes zu gelten, 
als man ist." 
Und noch eine Betrachtung hatte Jmgjor 
auf die andere Seite geschrieben, die Lucile 
las, bevor ihre Schwester wieder ins Zimmer 
trat: „Gehemmte Liebe gleicht einem ver 
geblich nach einer Flamme ringenden Feuer. 
Wie dort unter kämpfendem Rauch, unheim 
lichem Schwelen und Qualmen der Gegen 
stand zu Asche verglimmt, so hier allmählich 
unter dumpfen Qualen die Seele." 
Gleich darauf trat Jmgjor wieder ins 
Gemach. 
„Ich komme", hub Lucile an und richtete 
einen liebenswürdigen Blick auf ihreSchwester, 
„um Dich um etwas zu bitten: Graf Dehn 
möchte Dich sprechen! Er beruft sich darauf, 
daß Du ihm einst eine Unterredung zuge 
sagt habest, und daß er, da er von dieser 
keinen Gebrauch gemacht, noch Anrechte auf 
Deine Zuvorkommenheit besitze. Wann willst 
Du ihn empfangen, liebe Jmgjor?" 
Zunächst fuhr Jmgjor zusammen, und 
ihre Wangen verfärbten sich. Wie von 
einer schweren Denklast bedrückt, senkten sich 
ihre Augenlider, und die Finger griffen, 
unter dem Druck der Erregung, in die Hand 
flächen. 
„Wann wünscht Graf Dehn die Unter 
redung?" warf sie tonlos hin. „Und wo?" 
„Nun — bei Dir — oder besser — bei 
uns!" 
Jmgjor schüttelte den Kopf. 
„Was habe ich noch bei Euch zu thun, 
Lucile? Wir haben uns doch für alle Zeiten 
auseinander gesetzt." 
„Nur Du hast es, Jmgjor! Nachdem Du 
von Deinem Eigensinn, öffentlich zu sprechen, 
Abstand genommen, ist Papa wieder ver 
söhnlich gestimmt. Du wirft ihm sogar ganz 
die Alte sein, wenn —" 
„Ja, ich weiß: Wenn ich allem — allem 
entsage! — Ach, Lucile —" setzte das see 
lisch tief bedrückte, junge Mädchen an, brach 
in Schluchzen aus und fiel, wie damals in 
Rankholm von ihren Gefühlen übermannt, 
neben ihrer Schwester nieder. Und hier 
blieb sie liegen, und erst als Lucile mit 
rührender Güte immer von neuem auf sie 
einsprach, erhob sie sich und fand wieder 
Halt und Fähigkeit zum Sprechen. 
„Du zeihst mich des Mangels an Liebe 
zu Euch!" stieß Jmgjor heraus, hielt in 
der Beklemmung den Athem an und ließ 
ihn dann langsam wieder der Brust ent 
weichen. 
„Und doch schwöre ich Dir, daß ich Euch 
allen die größten Opfer bringen würde, die 
ein Mensch zu bieten vermag, daß ich Euch 
über alles liebe! Wie viele Nächte habe 
ich durchgeweint, daß ich so beschaffen, daß 
ich nicht bin, wie Ihr wünscht! Ach, könnte 
ich diesen Drang nach Höherem, Befreiendem, 
könnte ich dies Allgemeingefühl für meine 
Schwestern und Brüder in der Welt aus 
meiner Brust reißen, mich, wie andere, in 
engeren Grenzen glücklich fühlen, dort für 
meine Art volle Befriedigung finden, ich 
würde Gott auf den Knieen danken! In 
solchem Sinne — ich bitte — Lucile — 
fasse mein Naturell auf und so mühe Dich, 
den Eltern immer wieder mein Wesen zu 
erklären. Denket, daß der Schöpfer Euch 
so erschaffen hätte! Dann werdet Ihr mich 
leichter begreifen." — 
„Ja — ich will's, meine liebe, arme 
Jmgjor! Aber nun, ich bitte, ertheile mir 
eine Antwort für Graf Dehn —" 
„Da ich ihm mein Wort gab, will ich 
es halten, Lucile! Nur weiß ich nicht, wo 
es geschehen kann! Er muß also warten oder 
hierherkommen. Wann wollt Ihr reisen?" 
„Die Trauer macht es erforderlich, daß 
wir wieder nach Rankholm übersiedeln. Nur 
um Deinetwillen haben wir unsere Abschieds 
visiten noch aufgeschoben. Wir möchten den 
Condolenzbesuchern entgehen, mit denen man 
schon beginnt. Auch andere Gründe sprechen 
dafür, nachdem Curbière abgereist ist. Nur 
Graf Dehn will seinen Aufenthalt noch einige 
Zeit ausdehnen und dann — nach der 
Lausitz zurückkehren. Er hat die Abficht, 
jetzt das Gut, das ihm sein Onkel vererbt 
hat, selbst zu übernehmen." 
„Was will er denn noch hier?" Jmgjor 
sprach's mit ihrer alten Schroffheit. 
Statt zu antworten, griff Lucile nach dem 
Schriftstück, das sie in dem Buch gefunden, 
und sagte: „Lasse mich Dir als Erwiderung 
vorlesen, was Du geschrieben hast, Jmgjor!" 
Und Lucile las: „Gehemmte Liebe gleicht 
einem vergeblich nach einer Flamme ringen 
den Feuer. Wie dort unter kämpfendem 
Schwelen, unheimlichem Rauch und Qualmen, 
der Gegenstand zu Asche verbrennt, so hier 
unter dumpfen Qualen allmählich 'die — 
Seele." 
Jmgjor schloß erst die Augen. Bläffe 
zog über ihre Wangen. Dann neigte sie 
das Haupt, reichte ihrer Schwester still die 
Hand und sagte: „Also morgen Mittag, 
Lucile, erwarte ich des Grafen Besuch. Wir 
werden dann für immer einen Abschluß her 
halten." 
Lucile sah erschrocken empor. Einen so
	        
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