UgLich erscheinendes WLcrtt.
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Jnscrtionspreis: pro Peützeile 15 ş.
Mo. Ş70.
Aeltestes mrd KlatL im Kreise Kendsvnrg.
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Ģà ŞZ steŗ Jahrgang.
Druck und Verlag von dein verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburger Wochenblatt wird
„Der L'andwirth"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interesse»
der Landwirthschast) gratis beigegeben.
"Ireitag, den 17. Movember
1899.
Morgen-Berichte.
London, 16 Novbx. (Orig.-Telegr.
des Rendsb. Wochenbl.) Der auf der
Fahrt von Rewyork nach Hamburg
befindliche Dampfer der Hambu rg-
MMerikanischenPackeLfahrt-Actieu-
Gefeüfchaft „Patria" ist auf der
Nordsee in Brand gerathen.
Sämmtliche 136 Passagiere
sind vom russischen Dampfer
„Sirus" gerettet und nach Dover
gebracht. Der Dampfer) Agnesia
rettete die gesammteMannschaft.
Berlin, 15. Noo Drr Kaiser empfing
gestern vor der Frühstückstafel den General
der Kavallerie Grafen Haeseler, der sich
als Vorsitzender der zur Ueberarbeitung
der Felddienst-Ordnung eingesetzten Kom
mission meldete. Nachmittags erledigte
der Kaiser Regierungsangelegenheiten.
Heute Morgen hörte der Kaiser den
Bortrag des Chefs des Civilkabinets v.
Lucanus. Später hielt der Kaiser eine
Besprechung mit den Ministern v. Miguel,
Thielen, v. Hammerstein und Brefeld ab.
Vermuthlich handelte es sich bei dieser
Besprechung um die Kanalvorlage.
Berlin, 15. Nov. Die Vorbereitungen
zur Englandreise des Kaiserpaares sind
in vollem Gange, mehrere Waggons mit
Gepäck sind bereits in Kiel eingetroffen
und werden auf die „Hohenzollern" um
geladen. Die Ankunft des Kaiserpaares
in Portsmouth erfolgt am 19. ds., Vor
mittags 10 Uhr. Wie die „Post" erfährt,
ist aus Anlaß dieser Reise der erste Of
fizier der Dacht „Hohenzollern", Koroeîten-
Kapitän Grimme, zum Flügeladjutanten
des Kaisers ernannt worden.
Berlin, 15. Nov. Die „DeutscheWarte"
schreibt, sie sei zu der Erklärung ermäch
tigt, daß die Kanalvorlage ganz sicher
noch in diesem Winter dem Abgeordneten
hause werde unterbreitet werden. Die
Regierung sei fest davon überzeugt, daß
die Vorlage diesmal unter allen Umstän
den durchgeht und zwar mit einer nicht
unerheblichen Mehrheit.
Berlin, 15. Nov. Der Spiritusring
beschloß die Erhöhung der Preise um 1
Mk auf 39 Mk. ab 20. November.
Berlin, 15. Nov. Eine Pulverexplosion
fand heute Nachmittag bei dem Hofbüchsen
macher Förster, Taubenstraße 50, statt.
Das Personal rettete sich, indem es den
Weg durch die Fenster nahm, wobei sich
zwei Personen Schnittwunden zuzogen.
Liverpool, 15. Nov. Eine Feuersbrunst
zerstörte gestern in den hiesigen Docks eine
ungeheure Menge Heu, welches nach Süd
afrika verladen werden sollte. Der Schaden
wird auf 5 Millionen geschätzt.
Gent, 15. Novbr. In einer gestern
Abend hier abgehaltenen Versammlung
gegen den Transvaalkrieg wurde eine
Tagesordnung, welche sich gegen die Poli
rik Chamberlain's richtete, mit großer
Mehrheit angenommen.
London, 15. November. Das „Reuter-
Bureau" verbreitet aus Liverpool denn
ruhigende Nachrichten über Deutsch-West-
afrika. Kaufleute aus Liverpool, welche
Fabriken in den deutschen Distrikten Ba
tanga und Kribi haben, berichteten, daß
der Aufstand daselbst allgemein und äußerst
ernst sei. Die Rebellen gehörten dem
Stamme der Buli an. Batanga wäre
von 2000 Eingeborenen überfallen wor
den, wenn diese nicht der überschwemmte
Fluß daran gehindert hätte. Englische
und andere Fabriken an der Küste seien
geplündert worden.
Rotterdam, 15. Nov. Heute früh 1
Uhr 29 Min. fuhr der Blissinger Schnell
zu g bei dichtem Nebel in der Station
Capelle auf den wartenden Schnellzug
Rotterdam-Emmerich auf. Der Zusammen
stoß war furchtbar, fünf Personen
wurden getödtet und 2 9 ver
letzt. Die Verwundungen von 15 der
letzteren sind tödlich. Das Unglück ent
stand dadurch daß, der die Post von London
mitführende Zug, von Vlissingen kommend,
in voller Fahrt dem zweiten Zuge in die
Flanke fuhr. Dem Vernehmen nach ist
von den Passagieren des Postzuges niemand
getödtet oder verletzt.
Triest, 15. Nov. Der Kapitän des
Loyddampsers „Berenice" meidet aus Porto
Praya (Capverdische Inseln), daß der
Steward unter Pestsymptomen erkrankt
ist.
Budapest, 14. Nov. Der auch im Aus
lande allgemein bekannte Akrobat Emerich
Olah wurde heute in der Nähe der
Hauptstadt während eines Ausfluges von
seinem Kollegen Dalida ermordet.
Das Mordmotiv ist künstlerische Rivalität,
weil Olah für das nächste Jahr zu den
internationalen Ringkämpfen in Paris
engagirt war.
Lissabon, 15. Nov. Eine Berliner
Werthsendung in Höhe von mehr
als 2 5 0,000 Mk. ist durch einen hier
verübten P o st r a u b verlustig gegangen.
Bon den Dieben fehlt bis jetzt jede Spur.
Graf Macedo, der portugisische Gesandte
in Madrid, hat von hier aus die Nach
richt erhalten, daß auf der hiesigen Haupt
post sieben Berliner Creditbriese, die für
eine Lissaboner Bank bestimmt waren, ge
raubt worden sind. Diese sieben Briefe,
zwei in Höhe von 100,000 Mk., ein von
60,000 Mk., ein von 40,000 Mk., zwei
von je 30,000 Mk. und ein von 21,455
Mk. waren von einer Berliner Bank in
einem eingeschriebenen Briefe an die er
wähnte Lissaboner Bank abgeschickt worden.
Das Berliner Haus, welches als Absender
der genannten Sendung erwähnt wird, ist
die Filiale der Dresdner Bank.
Lissabon, 15. Nov. Der kürzlich aus
Oporto hier eingetroffene Bakteriologe
Pestana ist an der Pest gestorben.
Deutschen Reichstag.
Der Reichstag trat heute in die zweite Be
rathung des Postgesetzes ein. Das Haus ge
währte ungefähr dapelbe Bild wie gestern, nur
waren vielleicht ein paar Abgeordnete weniger
und em paar Besucher auf den Tribünen mehr
anwesend. Zur Entwickelung großer Gesichts
punkte kommt es bei zweiten Lesungen nur in
seltenen Fällen; der heutige gehörte nicht dazu.
Die Debatte begann mit der Berathung des
Postzeitungstarifs. Es lagen verschiedene Ab
änderungsanträge zu den Beschlüffen der
Commission vor, von denen der einschneidendste
der des Centrums aus Einführung eines Zonen-
tarifes ist. Es sollen danach zwei Zonen ge
schaffen werden, dre erste bis 75 Klm. vom Er
scheinungsorte, die zweite darüber hinaus.
Abg. Marcour begründete den Antrag
mit dem Hinweis, daß die kleinen Blätter in
der Provinz, die im Allgemeinen nur in einem
beschränkten Gebiete verbreitet wären, gegen die
Konkurrenz der große>i gestärkt werden müßten,
daran hätten alle Parteien -in gleichmäßiges
Interesse, eine Behauptung, gegen die sich der
sozialdemokratische Abgeordnete Dietz wandte.
Er constatirte einen Gegensatz zwischen der
bürgerlichen und der soüaldemokratischen Presse
und meinte, die letztere bedürfe keiner Stärkung,
weil sie nach richtigen Grundsätzen geleitet
werde.
Der Staatssekretär im Reichspostamt v. Pod -
b i e l s k i bekämpfte den Antrag Marcour au.s
finanziellen Gründen; der Einnahmeausfall
würde zu groß sein, ein Rückgang der Ein
nahme aber müsse schon im Hinblick auf die
Besserstellung der Beamten vermieden werden.
Auch der Abg. O e r t e l (cons.) wendet sich
gegen den Antrag und tritt im Uebrigen für
Annahme der Kommisstonsbeschlüsse ein. Der
kleinen Presse könne vielleicht durch das vom
Abg Dietz vorgeschlagene Mittel, die Bestell
gebühr nach der Häufigkeit des Erscheinens ab
zustufen, geholfen werden. Im Allgemeinen
verliert sich die Debatte, obwohl die Worte
Recht und Billigkeit oft zu hören sind, in tech
nischen Einzelheiten. Mit großer Lebhaftigkeit
tritt für den Antrag Marcour der Abg. Das
bach ein.
stätigt, doch sind wir auch aus dieser
Quelle schon früher mit annähernder
Sicherheit bedient worden, als die
Presse, welche ihre Nachrichten über
London empfängt. Es wird also ab
zuwarten sein, ob unsere obige Meldung
verfrüht war oder nicht; jedenfalls ist die
Lage der Engländer in Ladysmith eine
sehr bedrohliche.
Uebrigens wird der „Dtsch. Warte"
drathlich aus London berichtet: Joubert
berennt seit 48 Stunden von allen Seiten
Whites Lager mit der gesammien Ar
tillerie und Infanterie. Ladysmith steht
in Flammen. Nur zwei Marine
geschütze antworten noch der schweren
Burcn-Artillerie. White vertheidigt ver
zweifelt das Hochplateau des Lagers.
Heute wird der E n t s ch e i d u n g s -
sturm erwartet.
Dem „Standard" wird aus Ladysmith
gemeldet: Die schwersten Leiden einer
Belagerung sind uns bis jetzt noch er
spart geblieben, aber wir haben schon
viel durchgemacht, ein Laib Brot kostet
3 Shilling.
Der Korrespondent der „Times" in
Mafeking beschreibt in einem vom 28. Oct.
datirten Bericht einen Bajonettangriff einer
Schwadron des Betschuanaland-Regiments
auf die Buren: Als die Engländer die Brust
wehrverschanzungen der Buren genommen
hatten, feuerten sie Salven auf den
Feind und griffen ihn in der Front mit
blanker Waffe an, während ein Geschütz
der Polizei der Kapkolonie durch Flanken-
seuer sie unterstützte. Die Buren machten
einen verzweifelten Versuch, den vor
dringenden Feind zurückzutreiben; aus ihren
weiter zurück gelegenen Berschanzungen
wurde ein furchtbares Feuer eröffnet.
Durch das Aufblitzen der Gewehrschüsse
war die ganze Position beleuchtet. Nach
dem die Umgehung der Front und der
Berschanzungen des Feindes ausgeführt
war, zog sich die Schwadron unter dem
Schutze des Flankenfeuers der Kappolizei
zurück. Aus Seite der Engländer wurden
sechs Mann getödtet, mehrere verwundet;
die Verluste der Buren werden auf 100
Todte und Verwundete geschätzt.
Ier Krieg iss Siikfrifa.
Unsere gestrige Amsterdamer Nach
richt, daß Ladysmith gefallen sei,
finden wir sonst bis jetzt nirgends be-
Ansland.
Außereuropäische Gebiete.
Ncwyork, im November. Ein neuer
R i e s e n t r u st wird von dem bekannten
Millionär Rockefeller und mehreren
anderen Magnaten der amerikanischen
Hochfinanz und Industrie geplant. -Es
handelt sich darum, den gesammten
Schiffsbau in den Vereinigten Staa-
ten in ein e H a n d zu bringen
und bereits soll die große Werst „Cramp's
Ship Building Compagny" und mehrere
der ersten anderen Institute dieser Art in
Philadelphia, San Franzisco, Chikago,
Boston, Newyork sich prinzipiell einver
standen mit dem Plane erklärt haben.
Mr. Rockefeller, der sowieso schon nicht
sehr zugänglich ist, verweigert über das
neue Projekt jede Auskunft, es ist aber
als sicher anzunehmen, daß das was bis
jetzt über die Verhandlungen und über
die gedachte Organisation des neuen Trusts
bekannt wurde, auf Wahrheit beruht.
Gerüchtweise verlautet außerdem, der
Schiffsbautrust werde mit dem Stahl- und
Eisentrust und anderen dieser enormen
industriellen und kommerziellen Vereini
gungen Hand in Hand arbeiten, was na
türlich von eminentem Vortheil für beide
Theile sein könnte; für diese Gerüchte
fehlt es indessen noch an einer positiven
Unterlage, während die Monopolisirung
des gesammten amerikanischen Schiffsbaues
anscheinend der Verwirklichung entgegen
geht.
Z Oesterreich-Ungarn.
Der Baukrach in Budapest hat wieder
neue Opfer gefordert. Heute fallirten die
Baufirma Gebr. Horcher & Jlgner mit
300000 Fl. und die Firma Kristoffy &
Nemeth mit 200000 Fl. -;J. ,M
Belgien.
Brüssel, 15. Nov. Vor einigen Tagen
wurde der griechische Vicekonsul
Theophilados in Mecheln nebst seiner
Geliebten in Brüssel verhaftet, weil
ihm mehrere Unterschlagungen zur Last
gelegt wurden. Die sehr eifrig betriebene
Untersuchung hat nun aber ergeben, daß
man mit diesem Vicekonsul Hand aus eine
Bande hochgestellter Fälscher gelegt hat,
welche in allen europäischen Hauptstädten
mit unerhörter Kühnheit gearbeitet haben.
Die letzten Checkfälschungen bei der Ant-
werpener Centralbank im Betrage von
30 000, bei einer Pariser Bank von
150 000, bei einer rumänischen Bank von
50 000 Franken wurden von dieser Bande
verübt, der jener Mechelner Vicekonsul
Griechenlands angehörte. Ferner trieb
sie Versicherungen zufällig untergehender
Schiffe und Orüensschacher u. s. w. Die
belgische Behörde wird Theophilados,
dessen Helfer namentlich in Antwerpen
von der Polizei gesucht werden, wahr
scheinlich nach Bukarest ausliefern, wo
man bereits alle Fäden dieser fast beispiel
losen Betrugsaffären in Händen haben
soll.
Antwerpen, 15. Nov. Die Krisis
in der D i a m a n t - I n d u st r i e nimmt
32
Grevinde.
Roman von Hermann Heiberg.
, (Nachdruck verboten.)
Im Rankholmer Palais hielt man Fa-
milienrath und dessen Gegenstand war, wie
so oft, Jmgjor.
Nur ein Mittel gab's, von dessen An
wendung Lucile und die Gräfin noch etwas
erwarteten. Sie schöpften aus dem Um
stande, daß in dem damaligen Gespräch der
Geschwister in Rankholm ohne, Zweifel ein
starkes Interesse Jmgjors für Axel zum
Ausdruck gelangt, die Hoffnung, , er, Axel,
werde durch einen klugen Anlauf vielleicht
doch noch ihr Herz in einem für ihn günstigen
Sinne rühren können. Daß in ihm die
alten Gefühle nicht erloschen seien, hatte er
gleich bei der ersten zwischen ihm und den
Damen stattgefundencn Unterredung erklärt.
Er hatte geäußert, daß ihn eine grenzenlose
Sehnsucht beherrsche, sobald wie möglich in
Jmgjors Nähe zu gelangen. Und dieser
Drang hatte sich bis ins Ungemestcne ver
stärkt, als Lucile ihm nun auch — alle Be
denken, die sie früher mit Rücksicht auf sich
selbst abgehalten — eröffnet hatte, was in
jener Unterhaltung für ihn zu Tage ge
treten war.
Graf Dehn hatte die Neigung der Fa
milie, den Aufenthalt in Kopenhagen noch
um etwas zu verlängern, mit allen Mitteln
zu befestigen und durch Unterredungen mit
dem Grafen auch dessen Widerstand gegen
seine Pflegetochter wesentlich zu mildern ge
wußt. Er hatte in förmlicher Weise um
Jmgjors Hand bei dem Grafen angehalten
und von ihm die Erlaubniß erwirkt, nach
şeinem Ermessen die Schritte zu thun.
Zunächst verabredete er mit Lucile, die
sich seinen Plänen mit liebenswürdigem Eifer
widmete, die nun, nachdem ihr Herz durch
einen anderen Mann, den sie hingebend
liebte, ausgefüllt war — alle Bedenken und
eifersüchtigen Regungen abgestreift hatte, daß
sie Jmgjor sogleich besuchen und ihr unter
besonderer Begründung die Bitte vorlegen
solle, Axel empfangen zu wollen. Lucile
ging auch sogleich ans Werk.
Sie ließ sich, vorher noch einige die
Trauer angehende Besorgungen erledigend,
in der Lavard'schen Equipage nach Jmgjors
Wohnung fahren und fand ihre Schwester
in der vordem erwähnten Gcmüthsver-
finsterung an ihrem Arbeitstisch.
Als die durch Gebines Anmeldung aus
ihrem dumpfen Sinnen Emporschreckende
Lucile vor sich sah, legte sie die Feder rasch
und verlegen bei Seite, auch schob sie ihr
Tagebuch, in das sie etwas hincingeschrieben,
unter andere Papiere. Freilich erlitt der
Schwestern Begegnung sogleich wieder eine
Unterbrechung. Man schickte nach Jmgjor,
und diese eilte unter sanftem Ausdruck ihrer
Schwester Zustimmung erbittend, über die
Straße an das Krankenbett einer armen
Frau.
Und weil Jmgjor eine längere Weile
fortblieb, griff Lucile nach einem auf dem
Tisch liegenden Buch und fand in diesem
einige von Jnigjors Hand herrührende,
offenbar für das Tagebuch bestimmte, zu
fällig hier hineingerathene Niederschriften,
die ihr Jntercffe fesselten. Sie lauteten:
„Eine einzige That des Edelmuths und eine
einzige Unvorsichtigkeit sind genügend, um
einem Menschen für immer bei der Menge
den Stempel seines Werthes oder seines
Unwerthes aufzudrücken. Vielleicht verdienten
sie beides nicht. Zu allem gehört Glück,
aber auch dazu, für etwas anderes zu gelten,
als man ist."
Und noch eine Betrachtung hatte Jmgjor
auf die andere Seite geschrieben, die Lucile
las, bevor ihre Schwester wieder ins Zimmer
trat: „Gehemmte Liebe gleicht einem ver
geblich nach einer Flamme ringenden Feuer.
Wie dort unter kämpfendem Rauch, unheim
lichem Schwelen und Qualmen der Gegen
stand zu Asche verglimmt, so hier allmählich
unter dumpfen Qualen die Seele."
Gleich darauf trat Jmgjor wieder ins
Gemach.
„Ich komme", hub Lucile an und richtete
einen liebenswürdigen Blick auf ihreSchwester,
„um Dich um etwas zu bitten: Graf Dehn
möchte Dich sprechen! Er beruft sich darauf,
daß Du ihm einst eine Unterredung zuge
sagt habest, und daß er, da er von dieser
keinen Gebrauch gemacht, noch Anrechte auf
Deine Zuvorkommenheit besitze. Wann willst
Du ihn empfangen, liebe Jmgjor?"
Zunächst fuhr Jmgjor zusammen, und
ihre Wangen verfärbten sich. Wie von
einer schweren Denklast bedrückt, senkten sich
ihre Augenlider, und die Finger griffen,
unter dem Druck der Erregung, in die Hand
flächen.
„Wann wünscht Graf Dehn die Unter
redung?" warf sie tonlos hin. „Und wo?"
„Nun — bei Dir — oder besser — bei
uns!"
Jmgjor schüttelte den Kopf.
„Was habe ich noch bei Euch zu thun,
Lucile? Wir haben uns doch für alle Zeiten
auseinander gesetzt."
„Nur Du hast es, Jmgjor! Nachdem Du
von Deinem Eigensinn, öffentlich zu sprechen,
Abstand genommen, ist Papa wieder ver
söhnlich gestimmt. Du wirft ihm sogar ganz
die Alte sein, wenn —"
„Ja, ich weiß: Wenn ich allem — allem
entsage! — Ach, Lucile —" setzte das see
lisch tief bedrückte, junge Mädchen an, brach
in Schluchzen aus und fiel, wie damals in
Rankholm von ihren Gefühlen übermannt,
neben ihrer Schwester nieder. Und hier
blieb sie liegen, und erst als Lucile mit
rührender Güte immer von neuem auf sie
einsprach, erhob sie sich und fand wieder
Halt und Fähigkeit zum Sprechen.
„Du zeihst mich des Mangels an Liebe
zu Euch!" stieß Jmgjor heraus, hielt in
der Beklemmung den Athem an und ließ
ihn dann langsam wieder der Brust ent
weichen.
„Und doch schwöre ich Dir, daß ich Euch
allen die größten Opfer bringen würde, die
ein Mensch zu bieten vermag, daß ich Euch
über alles liebe! Wie viele Nächte habe
ich durchgeweint, daß ich so beschaffen, daß
ich nicht bin, wie Ihr wünscht! Ach, könnte
ich diesen Drang nach Höherem, Befreiendem,
könnte ich dies Allgemeingefühl für meine
Schwestern und Brüder in der Welt aus
meiner Brust reißen, mich, wie andere, in
engeren Grenzen glücklich fühlen, dort für
meine Art volle Befriedigung finden, ich
würde Gott auf den Knieen danken! In
solchem Sinne — ich bitte — Lucile —
fasse mein Naturell auf und so mühe Dich,
den Eltern immer wieder mein Wesen zu
erklären. Denket, daß der Schöpfer Euch
so erschaffen hätte! Dann werdet Ihr mich
leichter begreifen." —
„Ja — ich will's, meine liebe, arme
Jmgjor! Aber nun, ich bitte, ertheile mir
eine Antwort für Graf Dehn —"
„Da ich ihm mein Wort gab, will ich
es halten, Lucile! Nur weiß ich nicht, wo
es geschehen kann! Er muß also warten oder
hierherkommen. Wann wollt Ihr reisen?"
„Die Trauer macht es erforderlich, daß
wir wieder nach Rankholm übersiedeln. Nur
um Deinetwillen haben wir unsere Abschieds
visiten noch aufgeschoben. Wir möchten den
Condolenzbesuchern entgehen, mit denen man
schon beginnt. Auch andere Gründe sprechen
dafür, nachdem Curbière abgereist ist. Nur
Graf Dehn will seinen Aufenthalt noch einige
Zeit ausdehnen und dann — nach der
Lausitz zurückkehren. Er hat die Abficht,
jetzt das Gut, das ihm sein Onkel vererbt
hat, selbst zu übernehmen."
„Was will er denn noch hier?" Jmgjor
sprach's mit ihrer alten Schroffheit.
Statt zu antworten, griff Lucile nach dem
Schriftstück, das sie in dem Buch gefunden,
und sagte: „Lasse mich Dir als Erwiderung
vorlesen, was Du geschrieben hast, Jmgjor!"
Und Lucile las: „Gehemmte Liebe gleicht
einem vergeblich nach einer Flamme ringen
den Feuer. Wie dort unter kämpfendem
Schwelen, unheimlichem Rauch und Qualmen,
der Gegenstand zu Asche verbrennt, so hier
unter dumpfen Qualen allmählich 'die —
Seele."
Jmgjor schloß erst die Augen. Bläffe
zog über ihre Wangen. Dann neigte sie
das Haupt, reichte ihrer Schwester still die
Hand und sagte: „Also morgen Mittag,
Lucile, erwarte ich des Grafen Besuch. Wir
werden dann für immer einen Abschluß her
halten."
Lucile sah erschrocken empor. Einen so