3. ş&m.
Sonntags-Ausgabe.
Nr. 260.
zum
Nendsbuŗaer
Diese Unterhaltungs-Beilage wird dem „Rendsburaer
Wochenblatt" einmal wöchentlich (Sonntags) beigegeben.
Sonntag, den 5. November 1899.
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber
Möller <H Kütlein Nachf.), N-'udsburg, Mühlenstr. l2.
Unsere Waive.
Humoreske von Paul A. Kirstein.
(Nachdruck verboten.)
O, sie war noch immer schön, „unsre"
kleine Gustl Rode, — und auch noch
jung trotz ihrer 42 Jahre, nnd trotzdem
sie nun schon bald 25 Jahr die Naiven
am Hoftheater zu X. spielte! Wer sie
auf der Bühne in ihren Backfischrollen
sah, glaubte ihr ihr Alter garnicht, so
allerliebst, so niedlich, so jugendlich sah
sie aus.
Freilich, sie hatte auch ein ganzes
Studium auf die Erhaltung ihrer Reize
verwandt. Von Natur aus schon klein
gebaut, hatte sie doch während der ganzen
Zeit verstanden all' das zu vermeiden,
was ihr Aussehen nur im Geringsten
verändern könnte. Sie aß nnr gerade
das, was zur Erhaltung der Kräfte un
bedingt nöthig war, trank nur in aller
kleinsten Rationen, dafür aber die schwersten
und gesundesten Weine, ging so wenig
als möglich, um nur nicht nach oben zu
wachsen, aber grade noch so viel, um
auch das in die Breite gehen zu ver
hindern, und dreimal des Tages frottirte
sie sich sorgfältig Gesicht und Hals, um
nur jedes Fältchen, jeden Riß in der
Haut, der für ihr Alter sprechen könnte,
zu verwischen. Dafür war sie dann auch
die ewig Jugendliche geblieben; die jungen
Mädchen fanden sie reizend, die jungen
Herren schwärmten für sie, und 'die
älteren behaupteten gradezu krampfhaft der
ganzen Welt gegenüber: Es gebe nur
eine wahrhaft entzückende Naive, das
wäre ihre „Gustl" I
Das behaupteten sie nun schon
so und so viele Jahre.
Ach, und „unsre" Gustl fühlte sich selbst
noch so jung, so jugendlich — sie
wußte manchmal gar nicht, was sie vor
Uebermuth alles anstellen sollte, und wenn
sie dann so in ihrem reizenden weißen
Jäckchen, mit dem winzigen Barett auf
dem Kopf an schönen Tagen über die
Promenade trippelte, dann kam es wohl
manchmal vor, daß sie den entgegen
kommenden Herrn Blicke zuwarf, Blicke!
— — Ja ... . Meiner Seel'
alles naiv, ganz wie die Kinder thun!
Nnr wenn sie des Abends eine neue
große Rolle gespielt hatte, und viel
Proben vorangegangen waren, dann fühlte
sie sich am andern Morgen doch recht,
recht matt, ja bisweilen sehr unglücklich.
Es war doch eigentlich schrecklich, daß sie
alte Person es hörte doch Nie
mand — sich noch in kurzen Röckchen mit
Hangezöpfen vor einem häufig recht kind-
lichen Publikum zum Narren machen
mußte! Jedoch — sie dachte es größten-
theils nur, aber wohl war ihr nicht dabei,
ganz und gar nicht.
Sie nannte eine solche Stimmung immer
die Tributforderungen ihres Alters.
Bei einer solchen Tributforderung also,
erhielt sie eines Morgens einen Brief
von ihrer Schwester, die in einer Fabrik-
stadt an einen ehrsamen Beamten ver-
heirathet war, worin ihr diese mittheilte,
daß ihr Sohn auf der Durchreise nach L.
käme, und gern ein paar Tage bei der
Tante verweilen möchte.
Gustl seufzte! Auch das noch! Tanten
gefühle! Grade hente Morgen. Tanten-
gefühle gleich ja beinahe Muttergesühle!
Entsetzen packte sie, so alt
war sie denn noch nicht.
Aber was Hals's, sie konnte ihrer
Schwester diese Bitte nicht gut abschlagen.
Sie schrieb also, er solle nur kommen, der
Herr Neffe, sie würde ihn mit offenen
Armen aufnehmen. Wahrscheinlich weil
er da leichter wieder herauskonnte!
Inzwischen bereitete sie sich nun aus
seinen Empfang vor. Sie entfernte der
Schwester zuliebe, die geschrieben hatte,
ihr Sohn wäre noch ein gänzlich un
verdorbener Student — alles aus dem
Zimmer, was nnr irgend an ihr jugend
liches, allein ungebundenes Bühnenleben
erinnern konnte und richtete sich schweren
Herzens auf ein mehrtägiges Dasein als
Tante ein."
Ach nein, es war zum Verzweifeln!
Wenn man sich so jung fühlt, schon
Taute sein zu müssen! Tante! — Tante!
Warum nicht gar gleich Großmutter?
Sogar draußen auf dem Corridor
hatte sie noch für ihn, den „Neffen" ein
neues Schild anmachen müssen, mit ihrem
richtigen Namen. Er sollte ja nicht
wissen, daß sie — oh! oh! — Schau
spielerin war. Was hätten die Leute zu
Haufe dazu gesagt? Die Schwägerin
des Kreisrichters — Schauspielerin!
Nein, das ging doch nicht. Das war
gänzlich unmöglich.
Da hingen nun die beiden Schilder
friedlich nebeneinander. „Gustl Rode,
Hofschauspielerin" und Fräulein Augusta
Rodenburger, Privatiere." Sie ärgerte
sich ordentlich, als sie Mittags aus der
Probe kam. Wer war sie denn eigentlich,
die Gustl oder die Au — gus — ta? —
Ach, sie war wütend.
Und das Alles, weil sie mit Gewalt
Tante sein sollte.!
Na, wie's auch sei, ein paar Tage
dauerte es noch, bis er kam, da konnte
sie sich doch zur Hälfte noch „Gustl"
fühlen, wenn sie sich auch langsam auf
die „Augusta" vorbereiten mußte!
Aber die Zeit verging auch, nun waren
es noch nur noch drei Tage, nur noch
zwei, nun sollte er gar schon am andern
Tage da sein.
Verstimmt saß sie in der Vorahnung
des nahenden Unheils in ihrem behaglich
dekorirteu Boudoir und ließ das blonde,
unfrisierte Köpfchen hängen. Was war
zu thun? Ach, die Chokolade war schon
ganz kalt geworden und das weichgekochte
Ei, das da melancholisch hoch oben aus den
Becher thronte, fing auch schon an, blau
vor Aerger zu werden, weil es nicht ge
gessen wurde. Aber Gustl kümmerte sich
heute nicht darum. Sie war unglücklich
heute, sehr unglücklich! Wozu nur diese
Neffen blos auf der Welt sind? seufzte
sie im tragischen Naiventon. Was nützten
ihr da ihre Jugend, ihre Triumphe?
Tante mußte sie doch sein.
Und während sie noch so von der
Menschheit ganzem Jammer angepackt
wurde, klingelte es. Na, das konnte er
wenigstens noch nicht sein, aber morgen
... um dieselbe Zeit . . .
Brrr Es war kaum aus
zudenken!
Das Dienstmädchen meldete, ein junger
Herr wäre draußen, der das gnädige
Fräulein gern sprechen möchte.
„Wie sieht er denn aus?" fragte
Gustl, „anständig?"
„Ja — ah! Nicht wie'n, ....
„Hm, hm. Ich weiß schon." Sie über
legte." Sollte sie ihn empfangen? Ach
ja, der brachte ihr vielleicht etwas Zer
streuung, die konnte sie grade jetzt gut
gebrauchen.
„Sagen Sie dem Herrn, ich lasse
bitten. Ich bin gleich wieder zurück."
Damit lief sie ins Nebengemach um sich
für den Besuch ein wenig zurechtzu
stutzen.
Ein Weilchen war nun alles ganz
still im Zimmer. Eine Fliege surrte
geschäftig hin und her und da sie augen
blicklich nichts besseres wußte, setzte sie
sich frech an deu Rand der Chokoladen-
tasse und versuchte da zu naschen. Bald
aber bereute sie schon dieses kühne Unter
fangen. Es kostete Mühe sich wieder
loszumachen. Die Chokolade hielt sie an
ihren kleinen Füßchen fest, und als es
ihr dann endlich gelungen war, flog sie
mit einem Gebrumme, das in der Fliegen
sprache ungefähr so viel, wie: „Verflucht
und zugenäht" heißt, wieder an's Fenster
und versuchte sich an den Scheiben dort
aus Aerger und Verzweiflung den un
glücklichen Fliegenschädel einzurennen.
Aber auch das gelang ihr nicht. Da ließ
sie sich in philosophischer Ruhe auf der
Zuckerschale nieder und versüßte sich dort
mit Behagen ihr schwergeprüftes Dasein.
Da, plötzlich ... ein leises Scharren
vor der Thür. Es klopft, es
klopft nochmals nie
mand öffnet. Er klopft zum dritten
Male wieder keiner. Na, da
öffnet man eben alleine! Erst schüchtern
und dann — mit einem gewissen ver
gnügten Ruck, es war ja niemand da!
Der Betreffende, ein junger blonder
Herr mit schön srisirtem Kopf und spitz
gedrehtem Schnurrbart bleibt verwundert
an der Thür stehen.
„Donnerwetter, das sieht ja famos hier
aus! — Ich wette hier wohnt die kleine
Schauspielerin!" — Langsam tritt er
näher, und betrachtet die verschiedenen
Bilder und Schleifen.
„Alle Wetter, ist eigentlich ein un
verschämtes Schwein I Komme hieher um'ne
alte Tante zu besuchen, und •— und —
kann mittler allerliebsten jungen Schau
spielerin Na, die auf der Kneipe
werden sich schön fuchsen! Hahahaha!"
Und bei dem Gedanken lacht er aus
vollem Hals los.
„Aber mein Herr, was erregt denn
hier so ungeheuer ihre Heiterkeit?" unter
brach ihn auf einmal eine unerwartete
Stimme.
„O . . . . meine Gnädigste, entschuldigen
Sie, ich -dachte blos — he .... die
Jugenderinnerung — — — — meine
Jugend — zeit . . . ." Er wollte eigent
lich „Freunde" sagen und in dieser Ver
wirrung machte er der eintretenden
Gustl eine recht steife Verbeugung.
„Na ja, ich weiß schon." Jetzt lachte
sie selber. „Ihre Jugendzeit!" Dabei
winkte sie ihm aber Platz zu nehmen.
„Gnädigste, — wenn ich sagte: Jugend
zeit, so meinte ich selbstverständlich meine
. . . ." Er stockt schon wieder, setzt sich
aber, nach vergeblichen Versuchen fortzu
fahren, endlich nieder.
„Lustigkeit, nicht wahr? Sehen Sie,
das gefällt mir. Ich bin auch immer
lustig. Vergnügt zu sein, das ist doch
das Schönste vom ganzen Leben." Und
dabei reichte sie ihm wie zur Verzeihung
ihre kleine, schön gepflegte Hand hinüber,
und er, er kann nicht anders, er muß sie
küssen, leidenschaftlich küssen. Sie aber
entzieht sie ihm.
„O — stürmisch sind sie ja auch?!
Ganz wie unsere professionsmäßigen Lieb
haber, wenn sie sich mal recht in's Zeng
legen wollen, — doch mir scheint
— auch immer an falscher Stelle!" und
sie drohte ihm lächelnd mit dem Finger.
„Aber, mein vcrehrtestes Fräulein, wer
sollte, wenn er soviel Schönheit, soviel
Jugend — — —"
Hast Du's gehört Frau Schwester?
Und da — Tante!
„ — — — soviel Anmuth beisammen
sicht — wer sollte da nicht von der
wildesten Leidenschaft, von dem heiligsten
Feuer, von der — — —"
„Genug, genug," wehrte sie ihm lachend
ab. sie machen mir ja ganz angst und
bange mit Ihren Komplimenten."
Und dann setzte sie ihm ein Glas Wein
vor und nöthigte ihn zuzugreifen und
spielte mit so viel Grazie und Humor
die liebenswürdigste Wirthin, daß ihnen
dabei Beiden entging, daß sie sich ja noch
nicht einmal vorgestellt hatten.
Aber was schadete das! Unsere kleine
Gustl plauderte auch zu interessant, sie
nahm einen ordentlich mit ihrer Liebens
würdigkeit gefangen, man verlor ihr
gegenüber gänzlich das Gefühl, als ob
mau sie jemals nicht gekannt hätte, und
das merkte der flotte Student nur allzu
sehr an sich selbst. Er schwatzte ihr von
allen möglichen Dingen, erzählte ihr von
seinen Studentenstreichen, von seinen
Liebhabereien, von seinen Mensuren und,
weiß Gott, von alles noch. Und sie
hörte das mit an und amüsirte sich
köstlich darüber. Sie kam ordentlich auch
in die Erzählerwuth und kramte nun
aus, aus ihrem Bühnenleben, aus
ihren Wanderjahren und von ihren
vielen anfänglichen Mißerfolgen. — Da
gerieth er aber ordentlich in Wallung
darüber.
„Nein," rief er, „das ist ja gar nicht
möglich! Ein so gottbegnadetes Talent
wie Sie, konnte doch ja niemals verkannt
werden!"
„Und doch war es so, mein lieber
Freund!"
„Aber —" er sprang auf von seinem
Sessel — „sahen denn diese Menschen
nicht, hörten sie denn nicht! Wie kann
man denn eine solche Fülle zu Herzen
gehender Laute, eine solch köstliche Schalk-
Hastigkeit, eine so entzückende Naivetät,
eine so reizende Erscheinung gepaart
mit so wunderbarem Spiel an sich vorüber-
gehen -lassen, ohne nicht begeistert in die
Hände zu klatschen, ohne nicht zu wünschen,
für immer das holdselige Bild anschauen
zu dürfen! O das ist unverzeihlich!"
Und hingerissen, gekränkt von diesem Un-
recht, vergaß er in der Hitze des Gefechts
feinen alten Platz und ließ sich auf ein
mal an ihrer Seite, auf der Chaiselongue
nieder. Sie ließ es auch ganz
ruhig zu, und rückte nur ein klein wenig
beiseite, bis er sich endlich wieder beruhigt
hatte. Und dann saßen sie beide fast
Schulter an Schulter bei einander und
plauderten nnd lachten —
Da — die Hand hatte es ihm wieder
angethan! Und er streichelte sie zärtlich,
hinüber, herüber und als sie das schweigend
zuließ, nahm er sie in die seine, und
daun küßte er sie wieder und drückte sie,
und dann — glaube ich — ja sogar
ziemlich wahrscheinlich — drückte sie wohl
etwas wieder, und da
Surr, surr, surr machte die Fliege und
wollte sich vor Aerger wieder den Kopf
einstoßen, da küßten sie sich schon auf den
Mund.
Na und wie! Aber Tante!!!
O, dann errötete sie doch etwas! Sich
so zu vergessen! Sie wendete das Köpfchen
ab. Aber da schmeichelte er so lieb, so
zärtlich, sprach ihr so süße berauschende
Worte — nein sie konnte ihm nicht böse
sein, er war doch ein zu lieber Mensch!
Und sie sollte Tante sein! Wo sich so
eben noch ein junger hübscher Mann so
mir nichts Dir nichts in sie verliebt hatte!
O nein, Frau Schwester, das wollen wir
denn doch nicht einführen I
Er aber sank in seiner Liebesseligkeit
zu ihren Füßen nieder, und barg seinen
Kopf in ihrem Schooße. Sie strich ihm
leise über die vollen blonden Locken, leise
und zärtlich!
Ich weiß nicht der „Strich"
hatte doch schon eher etwas Mütterliches
an sich!
Aber dann hub er seine großen Augen
wieder zu ihr auf:
„Nein. Gustl, wer das gestern geahnt
hätte, als ich Dich so schwärmerisch auf
der Bühne bewunderte, daß ich heute
schon so nah, so selig bei Dir sein würde!"
„Ja mein lieber — —" Ach, nun
wußte sie nicht, wie er hieß. Das war
peinlich, aber zu fragen genierte sie sich
jetzt doch. Er merkte es kaum In sei
ner Verliebtheit plapperte er ruhig weiter.
„Wenn ich gewußt hätte, das ich Dich,
Du Einzig-Geliebte, Du Unerreichte, hier
treffen würde, dann hätte ich mich doch
nicht solange nötigen lassen zu der alten
Tante zu reisen!"
„Wa — as?"
„Dann wäre ich gekommen, und sollte
es mitten in der Nacht bei Sturm und
Regen sein! Ja sogar bei einem Erdbeben
wäre ich zu Dir gekommen, denn ich liebe
Dich ja, liebe Dich wie . . . ." Und er
wollte ihren Mund wieder haschen, sie
küssen
Sie aber wehrte ihm ab.
„Zu — wem wollten st Du
reisen?" stotterte sie verwirrt.
„Na zu meiner Tante, einer fürchter
lichen alten Jungfer!" Sie starrte ihn
noch immer entsetzt an. „Dem Fräulein
Rodenburger, bei dem Du hier wohnst,
mein Engel!"