Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

Zweites Blatt. 
MeààrM Wochenblatt 
Zweirrndnennzigster Jahrgang. 
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nachf.), Rendsburg. 
Zs«. 260 
Sonntag, den 5. November 
1800. 
Ausland. 
Rußland. 
Aus S e r a j e w o wird den „B. N. N." 
geschrieben: „Dieser Tage befand sich ein 
noch nicht achtzehnjähriges, als brav, flei 
ßig und sittsam geschildertes bosnisches 
Mädchen Milka Minkovic, auf der Ankla 
gebank des hiesigen Kreisgerichtes unter der 
furchtbaren Anklage des Mordes. Das 
Mädchen, Tochter der Bauersleute Minko 
vic in Dzimrija, Bez. Rogatica, das zu 
Hause keine Henne tödten sehen konnte, hatte 
einen Mann ermordet, der es unter fürch 
terlichen Drohungen gezwungen hatte, ihm 
aus dem Elternhause zu folgen, der es sei 
ner Ehre beraubt hatte und in die Fremde 
schleppen wollte. Jovo Stica, ein verheira- 
theter 45jähriger Mann, Vater von meh 
reren Kindern, diente im Hause Minkocic 
als Knecht. Er stand in dem Rufe eines 
Don Juans und richtete seine Augen auch 
alsbald auf die schöne Tochter seines Herrn. 
Am 21. November v. I. forderte er Milka 
auf, niit ihm aus dem Walde Holz zu ho 
len. Milka kehrte Tags darauf allein aus 
dem Walde heim; Stica blieb seitdem ver 
schollen. Es hieß, er sei nach Serbien ge 
gangen. Als aber die Familie des Ab 
wesenden die Anzeige von seinem Verschwin 
den erstattete, wurde durch die Erhebungen 
der Verdacht erweckt, daß Stica von Milka's 
Vater Milan und Bruder Risto bei Seite 
geschafft worden sei. Als die Gendarmen 
erschienen und die beiden Männer verhaf 
ten und fesseln wollten, schrie Milka ent 
setzt auf: „Bindet um Gotteswillen nicht 
Milan und Risto! Ich werde Euch alles 
sagen!" Und nun legte sie vor den Gen 
darmen das Geständniß ab, daß sie ganz 
allein den Knecht ermordet habe. Er habe 
sie in den Wald gelockt, um sie über die 
nahe Grenze nach Serbien zu entführen. 
Als sie sich weigerte, weiter zu gehen, habe 
er sein Messer gezogen und gedroht, ihre 
Hände und ihre Nase abzuschneiden. Nach 
dem Milka Minkovic, durch die Drohungen 
gezwungen, mit ihm den ganzen Tag durch 
die Wälder der serbischen Grenze zu ge 
wandert war, machte Jovo Stica, als es 
dämmerte, auf einer kleinen Lichtung Halt 
und zündete ein Feuer an, bei dem er ein 
schlief. Verzweifelt saß Milka neben dem 
Fürchterlichen und gedachte voll Abscheu der 
Zärtlichkeiten, mit denen er sie während des 
ganzen Weges gequält hatte. Sie mußte sich 
befreien; leise zog sie ihm das Messer aus 
deni Gürtel, schlich sich hinter ihn und 
durchschnitt ihm mit einem Schnitte den 
Hals, um dann eilig zu fliehen. Einige 
Wochen nach diesem Geständnisse fanden 
Forsthüter im Urwalde nahe der serbischen 
Grenze die Leiche des Ermordeten. Die An 
geklagte ist ein geradezu schön zu nennen 
des Mädchen. Die in die landesübliche 
Tracht gekleidete Gestalt ist jugendlich, 
schlank und ebenmäßig; aus einem fein ge 
schnittenen, zarten Gesicht, das von dich 
tem schwarzen Haar umrahmt ist, blicken 
große, tiefdunkle Augen; die sanfte, weiche 
Stimme, die Art des Sprechens, die be 
scheidenen, ruhigen Geberden verstärken den 
sympathischen Eindruck. Der Gerichtshof 
füllte ein freisprechendes Urtheil, 
da er annahm, die Angeklagte habe die 
That unter unwiderstehlichem Zwange ver 
übt. — 
Inland. 
Berlin, 2. Novemb. Raubanfälle und 
schwere Verbrechen sind leider an der Ta 
gesordnung und so wird die Ruhe der 
Großstadt kaum mehr aufgerüttelt, wenn 
davon die Rede ist. Daß aber der 15jährige 
Laufbursche Franz Wegener heute 
vor Gericht stand unter der Anklage, seine 
eigene Großmutter, die ihm nur 
Gutes erwiesen, zu ermorden, ist doch Vie 
len Anlaß gewesen, sich zu besinnen. Der 
Junge zeigte vor Gericht eine Rohheit, die 
erschreckend war. Der Angeklagte macht 
einen seinem jugendlichen Alter entsprechen 
den, völlig unentwickelten Eindruck und sieht 
so unschuldig drein, daß man ihm eine so 
furchtbare That kaum zutrauen kann. Die 
gegen ihn erhobene Anklage lautet auf 
schweren Raub, versuchten Mord und Dieb 
stahl. In einer Nachtragsanklage wurde 
er noch einer Unterschlagung von 100 Mark 
beschuldigt. Einen Mitleid erregenden Ein 
druck machte die alte, völlig geschwächte und 
matronenhaft aussehende Großmutter, die 
von zwei Angehörigen in den Gerichtssaal 
geführt werden mußte und ihren linken Arm 
noch in einem Gipsverbande trägt. Der 
gänzlich verlotterte Bengel gab, ohne irgend 
ein Zeichen der Reue, seine unglaubliche 
That zu. Er hatte seinem Arbeitgeber 100 
Mark, die ihm dieser zum Wechseln anver 
traut hatte, unterschlagen und das Geld 
mit lüd erlich en Frauenzim 
mern v e r j u ch h e i t. Nach drei Ta 
gen war er mittel- und obdachlos. Er begab 
sich nun zu seiner Großmutter, die im 
Hause Luisenstraße 4 eine kleine Wohnung 
mit zwei Schlafburschen theilte. Der An 
geklagte erzählte, daß er am folgenden Tage 
nach Hamburg reisen wollte, und bat für 
die Nacht um Obdach. Die Großmutter 
nahm ihn auf, sie räumte ihn: ihr Bett 
ein und schlief selbst auf dem Sofa. Am 
folgenden Morgen standen beide vor sie 
ben Uhr auf und nahmen in der Küche ge 
meinschaftlich den Kaffee ein. Sodann be 
gaben sich die beiden Schlafburschen ans 
Arbeit. Die alte Frau hatte noch in der 
Küche zu schaffen, während der Angeklagte 
in der Vorderstube blieb. Plötzlich öffnete 
dieser die Thür, stürzte in die Küche und 
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22 
Greoi« de. 
Roman von Hermann Heiberg. 
(Nachdruck verboten.) 
Nach diesen Worten wollte sich Presto 
entfernen. Aber sie, die ihm zugehört und 
dagestanden, als ob sich ihr Körper in Stein 
verwandelt habe, sagte nach tiefem Athem- 
holen: 
„Waren diese Briefe nicht von Ihrer 
Braut, so sind Sie von dem Bergehen dieser 
Vorspiegelung entlastet! Ich glaube Ihnen 
aber nicht und werde forschen. Eine andere 
Hand mag sie geschrieben haben, der Inhalt 
stammt von ihr. Behalte ich aber Recht, 
spielten Sie auch diese Comödie, die mit 
Licbesschwürcn begann, auf Lüge sich weiter 
baute und die Sie nun, weil meine Armuth 
Sic enitäuschte, noch eben wieder in plumpcster 
Art erneuerten, indem Sie sich den Mantel 
der Unschuld umhängten und die plötzliche 
Erkenntniß meines Unwerthes als Vorwand 
nahmen — so will ich Gott anflehen, daß 
Sie Ihre Strafe dafür finden mögen! So, 
und nun ersuche ich Sie, sich zu entfernen! 
Dies ist mein Gebiet und mein Heim! Noch 
heule schließe ich gegen Sie meine Thür und 
mein Herz. Sie haben alle Rechte an 
Jmgjor, genannt Jmgjor Lavard, verloren, 
aus diesem Spiel davongetragen nur ihre 
Verachtung und — waren Sie ganz ein 
Schurke — ihren Haß!" 
So endete Jmgjor, die Hand ausstreckend; 
und er, der Mann, der noch vor wenigen 
Tagen erklärt hatte, daß nie einer ein weib 
liches Wesen so selbstlos geliebt habe, daß 
ihm das Leben nichtig und werthlos ohne 
ihren Besitz sei, verließ, kalt verächtlich auf 
sie herabblickend, das Gemach. — 
* * 
Da Jmgjor in den letzten Tagen ihrer 
Familie fern geblieben war, erschien's nicht 
auffallend, daß sie sich auch an dem dieser 
aufregenden Scene folgenden Tage zurück 
hielt. 
Sie war erst gegen Morgen in einen 
durch seelische Erschöpfung geförderten langen, 
bleiernen Schlaf gesunken, und als sie um 
die Mittagsstunde erwachte, war ihr Ge 
mach erfüllt von leuchtendem Herbstsonnen- 
schcin. 
Aber mit dem Wiedereintritt in die Welt 
der Wirklichkeit stürmten auch die schweren 
Gedanken auf sie ein, und von der Er 
innerung an das am vergangenen Tage Ge 
schehene überwältigt, starrte sie vor sich hin. 
So war denn nun das Band zwischen 
ihr und jenem Mann dennoch und endgiltig 
zerrissen; so hatte doch der Recht behalten, 
der sich gegen ihren Willen in ihr Leben 
gedrängt hatte! Noch mehr: Alle hatten 
Recht behalten, und so rasch hatte sich die 
Prüfung der Unwürdigkeit Prestos voll 
zogen, daß zunächst nur der schamvolle 
Gedanke sic beherrschte, ihrer Umgebung die 
Thatsache zu verheimlichen. 
Plötzlich war alles anders geworden. 
Die Enthüllung ihrer Geburt halte sie 
belehrt, daß sie geringere Rechte besaß als 
Lucile, in der sie eine Schwester zu sehen 
sich gewöhnt hatte. Plötzlich war sie eine 
nur Geduldete da, wo sie bisher das Lavard- 
sche Scepter geschwungen. 
Ihrer Pflegemutter hatte sie sich demüthig 
unterzuordnen, statt ihr wie bisher mit 
stummer oder offener Auflehnung zu begegnen. 
Da sie sich verdeutlicht hatte, mit welcher 
Selbstentäußerung diese an ihr, dem Adoptiv- 
kmdc, gehandelt, verwandelte sich ihre Minder 
achtung in Hingebung und Bewunderung. 
Aber gerade aus all diesen Ursachen und 
weil sie ein heftiges Unmuthsgefühl gegen 
ihren Pflegevater ergriffen, deshalb sich ihrer 
bemächtigt hatte, weil sie sich sagte, daß er 
einer Lucile niemals so hart, so grausam 
begegnet sein würde, daß nur ihr das ge 
worden, weil er sie als eine Halbwürdige 
betrachtete — verstärkte sich in ihr der Ent 
schluß einer Trennung von den Ihrigen. 
Zudem vermochte sic sich durch eine an 
dauernde Entfernung von der Familie der 
Gefahr zu entziehen, dem Werben des Grafen 
Dehn dennoch zu unterliegen. Ihr Stolz 
verbot ihr, ihm je zu zeigen, daß sie etwas 
für ihn empfand. Sie wollte eine Liebe zu 
dem nicht aufkommen lassen, der sie sein 
Uebergewicht in solcher Weise hatte fühlen 
lassen. 
Auch war ihre Begeisterung für die große 
Sache trotz der gemachten Erfahrungen nicht 
vermindert. Diese Erfahrungen mußten sie, 
wie sie sich sagte, nur von neuem belehren, 
wie sehr den Besitzenden zu mißtrauen sei. 
Die Armen und Elenden würden sie nie 
mals enttäuschen, und wenn doch, so ver 
dienten sie lediglich Mitleid, weil ihnen die 
Erziehung nicht wie jenen geworden, weil 
ein zarteres Empfinden ihnen erst eingeflößt 
werden mußte. 
Sie wollte in ihren Pflegevater dringen, 
ihr eine Freiheit zu gewähren, in der sie 
wenigstens im Kleinen ihre Menschenliebe 
zu bethätigen vermochte, sie wollte ihn zwin 
gen, sie abzulösen von Verhältnissen, die 
ihrer Natur zuwiderliefen. Sie wollte nicht 
in Prunkgemächern wohnen, sie wollte keine 
Genüsse, keine kostbaren Gewänder und Ver 
gnügungen. Sie wollte überhaupt keinen 
Ueberfluß, sondern ein auf Arbeit und hilf 
reiches Menschenthum gerichtetes Leben. Sie
	        
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