Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

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Gewiß, den großen Zielen, die wir ver 
folgen wollen, ist ein Hemmschuh angelegt. 
MgNch erfchàendss MLcrtt. 
(Außer an Sonn- und Festtagen.) 
Wenèàrger M Wochsnblall 
Bezugspreis: 
Vierteljährlich 2 Ji—, frei inS Haus geliefert 
2 Ji 15 Ļ 
für Auswärtige, durch die Post biogen 
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Aeltestes und Belesenstes giltst im Kreise Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnmnnrer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
—s O2 fter Jahrgang. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Liefemug 
dieses Blattes vorbehalten. 
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18. 
Dem Rendsburger Wochenblatt wird 
„Drr Landwirt!)" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen 
der Landwi-rthschaft) gratis beigegeben. 
WO. 259. 
Sonnabend, den 4. Wovember 
1899. 
Unentbehrlich ^ 
für jeden Staatsbürger. 
Das neue 
Biirjikrl. Ģkşkhliiich 
nebst 
Einführnngsgesetz 
(geheftet, 470 Seiten umfassend) 
für Abonnenten des 
„Rendsburger Wochenblattes" 
à 23 Pfg. 
(nach auswärts 10 Pfg. mehr 
für Porto) zu beziehen durch 
die Expedition 
d.Rendsb. Wochenblattes. 
1 
nicht blos auf Stunden berechnet ist. Was 
den Besuch des Kaisers in England betrifft, 
so ist, demselben Blatte zufolge, auch heute 
noch keine definitive Entscheidung getroffen. 
Es sei nicht anzunehmen, daß dieselbe vor 
dem Zusammentreffen des Kaisers mit dem 
Zaren fallen wird. 
Berlin, 2. Nov. In den hiesigen 
Abendblättern wird ein Aufruf des 
Comitees des deutschen Corps in Trans 
vaal veröffentlicht, in welchem dasselbe 
die herzliche Bitte an die deutschen 
Brüder in der alten Heimath und im 
Auslande richtet, ihrer Landsleute zu ge 
denken in der ihnen bevorstehenden ernsten 
Zeit. Durch die englische Verschleppungs 
und Beunruhigungspolitik sei eine ge 
regelte Entwickelung von Handel und 
Wandel geradezu unmöglich und seien 
dadurch viele Angehörige des deutschen 
Corps seit Monaten stellungslos und 
ohne jeden Verdienst. Eine Besserung 
der Lage sei in absehbarer Zeit nicht zu 
erwarten. 
Ier Kriez l» Mchika. 
ist wieder eingetroffen und zum Preise 
von Mļ. 1,20 für Abonnenten dieses 
Blattes zu beziehen von der 
Expedition. 
Morgen-Berichte. 
Berlin, 2. Nov. Die „Nordd. Allg. 
Ztg." schreibt: In einem hiesigen Blatt 
werden unter Berufung auf „amtliche 
Kreise" Angaben verbreitet, durch welche 
die politische Bedeutung der bevorstehenden 
Begegnung des deutschen Kaisers mit dem 
Kaiser von Rußland im Voraus und 
tendenziös abgeschwächt werden soll. 
Sofern bei solchen Ausstreuungen über 
haupt „amtliche Kreise" in Betracht kommen, 
könnten es sicher nicht deutsche, sondern 
fremdländische sein. Es genügt, dies hier 
mit festzustellen. Der Inhalt jener An 
gaben, wonach es sich nur um eine ganz 
flüchtige Begrüßung privaten Charakters 
handeln soll, ist selbstverständlich un 
begründet. — Wie das „Berl. Tagebl." 
berichtet, legt man hier dem Besuch des 
Zaren in Potsdam eine entschieden politische 
Bedeutung bei. Ohne Zweifel würden 
zwischen dem deutschen und dem russischen 
Kaiser und ihren Auswärtigen Ministern 
hochpolitische Erörterungen stattfinden. 
Schon daraus gehe hervor, daß der Besuch 
Es ist jetzt kaum mehr zu bezweifeln, daß 
der Telegraph von Ladysmith nach Süden 
seit gestern früh außer Funktion gesetzt ist, 
daß also die Boeren die Einschließung des 
Generals White auch nach dieser Richtung 
vollzogen haben. Die heute über die Kriegs 
lage in Natal vorliegenden Meldungen ent 
halten nur Nachrichten über die Vorgänge 
am Dienstag, dem letzten Tage vor Schlie 
ßung des eisernen Ringes. Auch! aus 
Betschuanaland, von Kimberley und Mafe- 
king, fehlt seit mehreren Tagen jede Mel 
dung ; Die Vermuthung ist nicht abzuweisen, 
daß die holländischen Ansiedler im Norden 
der Kapkolonie jetzt offen mit ihren Stam 
mesgenossen gemeinsame Sache gemacht und 
die Verbindungen nach den Hafenstädten ab 
geschnitten haben. 
Die Stimmung in London ist 
selbstverständlich! trotz aller Beruhigungs 
reden nach wie vor trübe. Besonders gilt 
das von den Familien, welche Angehörige 
im Felde haben. Recht anschaulich schildert 
dies nachstehende Eorrespondenz des B. L. 
A. vom 31. Oktober: Die Nachricht von der 
furchtbaren Niederlage, die die Boeren den 
Engländern bei Ladysmith bereitet haben, 
hat in London ungeheure Sensation erregt. 
Die große Masse, die durch die fortwähren 
den übereinstimmenden Siegesberichte in ab 
solute Sicherheit gewiegt war, und Trans 
vaal schon als ettt neues Blatt im Lorbeer 
kranz der englischen Armee betrachtete, kann 
das Unglaubliche nicht fassen und versteht 
nicht, daß die stolze britische Armee von 
Leuten die ihr inrmer als zusammengelau 
fenes, schmutziges Gesindel geschildert wor 
den sind, so vollständig hat geschlagen wer 
den können. Noch gestern Abend lauteten 
die Berichte in den Londoner Half Penny- 
Zeitungen recht zuversichtlich, aber heute, 
nachdem jede Hoffnung auf bessere Nach 
richten endgiltig geschwunden ist, nützt auch 
das Vertuschungssystem nichts mehr, und 
selbst die Jingoblätter müssen zugeben, daß 
der Tag von Ladysmith für Englands Heer 
die größte Niederlage bedeutet, die es seit 
über 100 Jahren erfahren hat. Das sind 
schlimme Nachrichten, auch für Tausende 
von Müttern, deren Söhne jetzt für Herrn 
Chamberlain und seinen Freund Rhodes ihr 
Leben lassen müssen. Die Scenen, die 
nach Bekanntwerden der vollen Wahrheit 
in der War Office, in dem Raum, wo die 
Meldungen für das Publikum bekannt ge 
geben werden, sich abspielten, waren er 
schütternd. 
Die englischen Abendblätter veröffentli 
chen folgende Depesche aus L a d y s m i t h 
vom 31. Oktober, Abends: Die Boeren 
rücken in südsüdöstlicher Rich 
tung vorwärts. Ihre Absicht soll 
sein, sich der Eisenbahn bei Co lens o zu 
bemächtigen und die englischen Truppen von 
der Verbindung mit Pietermaritzburg und 
Durban abzuschneiden. 
London, 2. Nov. Die heutigen Blät 
ter stellen fest, daß die Engländer seit Be 
ginn der Feindseligkeiten bis heute 2952 
Todte, Verwundete und Gefangene zu ver 
zeichnen haben. 
London, 2. Nov. Die Blätter be 
klagen sich heftig über die Censur, die täg 
lich strenger werde. Anfangs hätte man sich 
damit begnügt, die Berichte aus Südafrika 
wesentlich abzuändern, jetzt aber lasse man 
diese garnicht mehr durch. — Daily Mail 
giebt noch immer der Zuversicht Ausdruck, 
daß der endgiltige Sieg den Engländern 
gewiß sei. Die letzte Niederlage habe nur 
den Zeitpunkt des Sieges etwas hinausge 
schoben. 
London, 2. Nov. Obgleich bis jetzt 
über die Taktik des Generals Buller in 
Südafrika nichts bekannt ist, wird trotzdem 
in Kreisen, welche mit dem Kriegsministe 
rium in Verbindung stehen, versichert, daß 
Buller es damit bewendet sein lassen werde, 
dem General White größere Verstärkungen 
zuzusenden, um die Boeren in Respekt zu 
halten. An der Spitze der übrigen Trup 
pen werde Buller dann sofort in westlicher 
Richtung gegen den Oranjefreistaat vorge 
hen. Nur von dieser Seite aus sei freies 
Gelände zum Vordringen vorhanden. Von 
Bloemfontein werde er alsdann nach Pre 
toria weitermarschiren. 
Bei einem Bankett in Edinburg sagte 
Lord Roseberry im Hinblick auf die 
Niederlage bei Ladysmith: Es sei möglich, 
daß England in diesem .Kriege noch andere 
Bataillone verlöre, daß noch! andere Offi 
ziere ihr Leben opfern und Millionen auf 
gewendet werden müßten, von deren Zahl 
man sich keine Vorstellung machen könne; 
das aber sei sicher, England könne von dem 
Unternehmen, das es begonnen habe, nicht 
ablassen, später würden die Verantwortlichs- 
keiten festzustellen sein, für den Augen 
blick aber müsse die gesammte Nation sich 
auf Diejenigen verlassen, die die Leitung 
der Angelegenheiten des Landes in der 
Hand haben. 
Die Nachrichten von den Siegen der 
Boeren riefen in Kapstadt große Auf 
regung hervor; die Afrikander verhehlen 
ihre Freude nicht. Gouverneur Milner ist 
über ihre Haltung in Unruhe. Bei den 
Kämpfen verlor General White gegen 
3500 Mann an Todten, Verwundeten 
und Gefangenen. 
Ein zweiter Sieg wurde durch die 
Oranjeboeren unter General Lucas 
Meyer erfochten, der Colenso nahm, somit 
die Rückzugslinie des Generals White ab 
schnitt, der übrigens verwundet sein soll. 
Die Einschließung von Ladysmith ist vollen 
det; die Boeren sind Herren der Bahn nach 
Pietermaritzburg und Durban. 
Die „Times" veröffentlichen in einer 
zweiten Ausgabe folgendes Telegramm aus 
de Aar vom 1. November: Meldungen aus 
Burghersdorp zufolge stehen seit Montag- 
Abend 3000 Boeren in Bcthulie bei der 
Brücke, die über den Oranjefluß führt. 
Die Abendblätter melden, in Pieterma 
ritzburg seien Nachrichten eingetroffen, daß 
die Boeren einen Theil des Zululandes be 
setzt hätten, sowie daß Pomeroy, 50 Meilen 
von Greytown, genommen sei. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Newyork, 3. Nov. Admiral D e 
w e y zeigt seine Verlobung mit Mrs. 
Hazen, der Wittwe des 1885 verstorbenen 
Generals Hazen an. Admiral Dewey war 
in erster Ehe mit einer Miß Goodwin ver- 
hcirathet, die im Jahre 1872 starb; aus 
dieser Ehe stammt sein Sohn Georg. Mrs. 
Hazen ist eine Jugendfreundin des Siegers 
von Manila und eine der glänzendsten Er 
scheinungen der Washingtoner Gesellschaft. 
Sie ist katholisch, und die Trauung wird im 
December durch den Kardinal Gibbons, den 
Erzbischof von Baltimore, erfolgen. 
England. 
London, 3. Nov. Das englische 
Dragoner-Regiment Kaiser: 
i l h e l m s ist nicht sehr glücklich bei sei 
ner Abfahrt gewesen. Zunächst sollte, so 
entnehmen wir einem Bericht der „Voss. 
Ztg.", das Transportschiff bereits 24 Stun 
den eher seeklar sein, aber die Arbeiter wur 
den nicht rechtzeitig fertig, obwohl Tag und 
Nacht geschafft wurde und obwohl die Leute 
pro Tag 40 Mark bekamen. Nach der Lohn 
zahlung waren hundert von ihnen „ar 
beitsunfähig" und mußten durch andere er 
setzt werden. Als diese Schwierigkeit über 
wunden und das Schiff fertig war, den Pro 
viant für die Pferde einzunehmen, zeigte 
sich, daß das gelieferte Heu ganz miserab 
les und gesundheitsgefährlichcs Zeug war. 
Außerdem war das Heu feucht z u s a m - 
mengepackt und ist in diesem Falle 
außerordentlich zur Selbstentzündung ge 
neigt. Wäre also das Heu. ohne besondere 
Prüfung angenommen worden, so hätten 
Schiff und Mannschaft ständig in der aller 
größten Gefahr geschwebt. Inzwischen ist 
neues Heu eingenommen worden und die 
Mannschaften und Pferde konnten einge 
schifft werden. Für den Abmarsch der Sol 
daten war ein besonderer Musikmarsch der 
Soldaten komponirt worden, der neben 
dem „Rule Britannia", die „Wacht am 
Rhein" (eine Aufmerksamkeit für den kaiser 
lichen Chef des Regiments), sowie das alte 
Auld Lang Syne" und die Nationalhymne 
enthielt. 
London, 2. Nov. Der „Globe" ant 
wortet auf die Verlautbarung der neuen 
Flotten Pläne : „Jede Vergrößerung 
der deutschen Flotte wird mit Verstär 
kungen unserer eigenen erwi 
dert werden. Unsere Rivalen mögen 
ihren Flotten noch viele Schiffe hinzufügen. 
Großbritannien wird doch immer die eigent 
liche Herrin der See bleiben." 
Ein Streik der Blinden ist in 
Loudon ausgebrochen. Man schreibt 
darüber: Die blinden Arbeiter, die von 
einer philanthropischen Gesellschaft zur 
Herstellung aller möglichen Sachen und 
Sächelchen gebraucht werden, haben die 
Arbeit niedergelegt. Sie beklagen sich in 
bitteren Worten über die niedrigen Ar 
beitslöhne, die sie kaum vor dem Ver 
hungern schützen. Seit Jahren ist ihnen 
eine Ausbesserung der Löhne versprochen 
worden, ohne daß man bisher Wort ge 
halten hätte. Eine große Anzahl von 
Londoner Wohlthätigkeits - Gesellschaften 
hat theils für, theils gegen die Blinden 
Partei genommen. 
Oesterreich-Ungarn. . 
Budapest, 1. Nov. Die Studenten setzten 
heute Abend die Demonstrationen wegen 
Srevivde. 
Roman von Hermann Heiberg. 
(Nachdruck verboten.) 
Am nächsten Spätnachmittage empfing 
Jmgjor, im Einverständniß mit ihrer Mutter, 
den Doktor Presto im Wegwärterhäuschcn. 
Heute eilte sie ihm nicht entgegen. Sie 
saß, das Haupt auf die Hanv gestützt, am 
offenen Fenster und starrte hinaus. Einer 
bemerkte sie, Graf Dehn. Wissend, daß 
heute die Zusammenkunft mit Presto statt 
finden werde, hatte er sich nach einem vor 
hergegangenen Spaziergang dahin begeben, 
und sah Jmgjor dort sitzen. — 
Prestos Eintritt entriß sic ihren trüben 
Gedanken. 
Unruhig ging's durch ihre Glieder, ihr 
Herz klopfte stürmisch. Sie wußte es, daß 
jetzt die Entscheidung kommen würde. 
Aber in Presto war bereits alles gefestigt. 
Das unbedacht geschlossene Bündniß wieder 
zu lösen, beschäftigte ihn allein. 
Graf Knut hatte ihm einen Brief ge 
sandt. Durch dessen Inhalt war er belehrt 
worden, daß Jmgjor nichts zu erwarten 
habe, daß ihm die Zukunft, hielt er an ihr 
fest, eine unerträgliche Last aufbürden werde. 
In solcher innerer Vcrfaffung hatten bei 
der Mienen etwas äußerst Unfreies. Prestö 
knüpfte sogleich an die Zeilen des Grafen 
Knut an. Er erzählte ihr, was sie schon 
von Lucile wußte, und gab sich sehr be 
drückt. 
„Was ist uns Geld und Gut, wenn wir 
) einigen Herzens sind, Erik!" fiel Jmgjor 
Aber es bleibt uns das lebendige Wort für 
die Sache, dadurch für das große Werk zu 
wirken, es zu fördern!" 
„Wirst Du aber gegen den Willen der 
Deinigen Dich aufraffen können, Jmgjor? 
Wird Dir nicht die Reue kommen? Alle 
Brücken brichst Du hinter Dir ab! Hier 
in Kneedeholm können wir nicht bleiben. 
Ich muß erst einen neuen Wirkungskreis 
suchen, wieder einen Erwerb finden. Dann 
erst können wir an eine Verbindung denken. 
Was willst Du in der Zwischenzeit be 
ginnen? Wir sollen beide leben! Ick bin 
ohne Mittel! Deshalb betonte ich die Noth 
wendigkeit, Deinen Adoptivvater wenigstens 
zur Herausgabe eines Bruchtheils seines Ver 
mögens zu bewegen. Nach des Grafen Knut 
Bericht wird er sich dazu nicht verstehen. WaS 
aber soll dann werden?" 
Jmgjor hatte Prestö mit starrem Ausdruck 
zugehört. So kalt, so nüchtern, so voller 
Bedenken hatte er gesprochen, so gefühllos 
das alles vorgebracht! So ganz anders 
hatte nun, da sie ein armes Geschöpf war, 
ärnier als irgend eine Bauerstochter in 
Kneedeholm, seine Rede gelautet! Statt der 
bisherigen stürmischen Worte, statt des zärt 
lichen Flehens, statt der Bctheuerungen und 
Bitten, ihm zu folgen, ihm zu glauben und 
zu vertrauen, alles leicht zu nehmen, nur 
ihr künftiges Glück und die großen Ziele 
ins Auge zu faffen — saß nun ein feiger 
Schwächling ihr gegenüber. Ach, noch weit 
mehr! Und diese furchtbare Erkenntniß trieb 
ihr das Blut gegen das ohnehin erregte 
Herz. 
Jedes Wort hatte die Absicht verrathen, 
sie so rasch wie möglich wieder von sich ab 
zuthun, rückgängig zu machen, was er hundert 
fällig betheuert hatte. 
Dennoch beschloß sie, zu ihrer völligen 
Heilung den Becher auszukosten. 
Sie sprach, sich zur Fassung und zu einem 
freundlichen Gleichmuth zwingend: 
„Ich denke anders als Du, Erik! Liebe 
kennt keine Berge und Abgründe. Sie über 
windet alles. Ich würde Jegliches geduldig 
auf mich nehmen, wüßte ich mir dadurch den 
Sieg zu erringen. Aber Du bist nicht frei, 
es sei denn, daß der Inhalt dieser Briefe —" 
hierbei zog sie die Zuschriften seiner Braut 
hervor — „Klarheit in Deine Angelegenheit 
bringt." 
Nachdem sie dies vorausgesandt, auch gleich 
eine Erklärung hinzugefügt hatte, auf welche 
Weise sie in den Besitz der Schriftstücke ge 
langt sei, bat sie ihn, sie zu öffnen und den 
Inhalt vorzulesen. 
Mit Augen, die nur zu deutlich seine un 
geheure Verwirrung verriethen, sah Prestö 
auf die beiden Briefe. Aber ebenso rasch 
umspielte ein verächtlich überlegener Zug 
seine Lippen. 
„Das ist gar nicht Jngeborgs Handschrift. 
Sicher hat ein Schuft irgend ein Bubenstück 
ersonnen, darauf berechnet, Deine Meinung 
über mich irre zu führen! Und ein sehr 
plumpes ist es zudem, da diese Briefe von 
Kopenhagen adressirt find, während meine 
Braut, wie ich Dir sagte, gar nicht mehr 
dort ist, sondern sich irgendwo in Frankreich 
befindet." 
Im ersten Augenblick wurde Jmgjor bei 
dieser sicheren Sprache stutzig. In ihrem 
Herzen wollte cs noch einmal aufkeimen; 
der niederschmetternde Eindruck seiner kühlen 
Sprache von vorhin wich, eine selige Hoff 
nung bemächtigte sich ihrer. Aber dann sah 
sie ihm wieder ins Angesicht, und was sie 
darin erblickte, das belehrte sie ebenso rasch 
eines anderen. 
Er öffnete, da er sich durch ein Erheben 
unbeobachteter glaubte, mit derselben Unruhe, 
die sie vorher an ihm wahrgenommen, einen 
der Briefe, und sie sah in seinen Zügen 
ein jähes Erschrecken schon beim Lesen der 
ersten Zeilen. 
Und da kam ihr ein Entschluß! 
Durch eine zutraulich gelassene Miene 
von ihm die Erlaubniß zum Studium des 
Schreibers erzwingend, löste sic das Couvert, 
nahm das mehrere Seiten umfassende Schrift 
stück heraus und durchflog den Inhalt. 
Und als sic dann die Lectüre beendet 
hatte und in demselben Augenblick Prestö, 
die Comödie fortsetzend, in Worten der Em 
pörung über den Grafen Dehn ausbrach, 
sprang Jmgjor, ihrer Empfindungen nicht 
mehr Herr, empor und richtete einen von 
Verachtung erfüllten Blick auf den Mann. 
„Genug, genug! Nicht noch mehr des 
fürchterlichen Spiels der Lüge und der Ver 
nichtung meines Herzens!" brachs's aus 
ihrem Munde hervor. „Füge der Schänd 
lichkeit der doppelten Untreue, der Berech 
nung und unlauteren Gesinnung, füge der 
Entwürdigung Deiner selbst nicht noch eine 
neue hinzu! — Wisse denn: Diese Briefe 
sind keine Fälschungen! Den Betrug, die 
Verworfenheit begingst Du, indem Du ihre 
Echtheit leugnetest! Das, was hier ge 
schrieben steht, was durch die Thränen eines 
fürchterlichen Schmerzes fast verwischt wurde, 
ist das unverfälschte Produkt der Zuckungen 
einer verrathenen Seele. Dennoch hätte 
ich Dir das vergeben, dennoch wäre ich 
friedlich von Dir geschieden, dennoch wärest 
Du ohne Vergeltung durchs Leben gegangen, 
wenn Du nicht jetzt, in dieser heilig ernsten 
Stunde, mit solcher Larve mich zu betrügen, 
auf andere einen Verdacht zu werfen gesucht 
hättest. Das war die Handlung einer nie 
drigen, erbärmlichen Natur. Das und Deine 
zögernde, bedenkliche Sprache von vorhin, 
beweisen mir, daß Du nichts anderes warst 
und bist, als ein berechnender Egoist, ein 
Comödiant, daß Du alles und jegliches, 
Liebe für mich und Enthusiasmus für die 
großen Ideen nur heucheltest, um mein Geld 
an Dich zu bringen! So, und nun gehe! 
Was Dir werden soll, werde ich überlegen! 
Nach Deinem Verhalten werde ich das Maaß 
abmessen!" 
Aber was Jmgjor erwartete, geschah nicht. 
Statt Erschütterung oder gar Zorn an 
den Tag zu legen, bewegte Prestö den Kopf 
und machte eine Miene, als ob eine arme, 
kranke Irre soeben geredet habe. 
„Wenn Sie glauben, daß Sie sich in mir 
getäuscht haben, Comtesse Lavard, so bin ich 
noch weit mehr enttäuscht. Auf bloße Ein 
drücke hin fällen Sie Urtheile und bedienen 
sich gegen einen Ehrenmann einer Sprache, 
die, wäre sie aus dem Munde eines Mannes 
gedrungen, nur hätte durch den Degen die 
verdiente Zurückweisung erfahren können. 
Ich hielt Sie für ein edles Wesen. Ihre 
gelegentlichen Schroffheiten betrachtete ich als 
das Unvermögen, der Entrüstung über die 
die Welt erfüllenden Ungerechtigkeiten Herr 
zu werden, als ein Ergebniß Ihres zielbe- 
bewußtcn, von Grundsätzen getragenen 
Charakters. Was soll mir im ehelichen Zu 
sammenleben werden, wenn Sie jetzt schon 
eine solche Sprache führen, wenn Sie s 
wenig Ihr Ich zu beherrschen vermöge» °
	        
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