Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

WÄoLiG exf&emenbes ^Catt 
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—^ S2 stev Jahrgang. 
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburger Wochenblatt lvird 
„Der Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen 
der Landwirthschast) gratis beigegeben. 
WO. 255. 
Dienstag, den Bl. October 
1899. 
de 
Morgen-Berichte. 
Kiel, 28. Okt. Die „Hohenzollcrn" soll 
am 13. November seebereit sein. Dieselbe 
wird für die Reise des Kaisers nach Eng 
land auf vier Wochen ausgerüstet. 
Berlin, 30. Okt. Wie eine hiesige 
Zeitung von maßgebender Stelle melden 
kann, steht der Kaiserbesuch in England 
völlig fest. 
Berlin, 29. Okk. Das große Loos der 
Preußischen Klassenlotterie ist diesmal in 
die Gegend von Koblenz gefallen. 
Berlin, 29. Oktober. Der in Rio 
Janeiro verhaftete Mörder Gönczi und 
seine Frau befinden sich bereits auf der 
Reise nach Hamburg. 
Berlin. 29. Oct. Die bekannte Berliner 
Schriftstellerin, deren Namen unter denen 
literarisch thätiger Frauen einen bevorzugten 
Platz einnahm, Franziska von Kapff- 
Essenthcr, hat durch Selbstmord geendet. 
Sie hat sich gestern gegen Abend durch das 
Fenster ihres Zimmers in einem Hotel der 
Friedrichstadt aus der Höhe des vierten Stockes 
auf das Pflaster des Hofes hinabgestürzt und 
wurde als Leiche aufgefunden. Bereits zwei 
Tage vorher hatte sie versucht, sich durch den 
Genuß von Opium zu vergiften. Bon ihrer 
Absicht, sich das Leben zu nehmen, hatte sie 
eine Reihe von Personen brieflich Mittheilung 
gemacht. Aller guter Wille und alle Be 
mühungen, sie von ihrem verhängnißvollen 
Beschlusse abzubringen, blieben vergeblich, da 
sie sich verborgen hielt. Die begabte Schrift 
stellerin hat unter deni Einfluß einer tiefen 
seelischen Depression gehandelt, die durch 
Krankheit, den Schmerz nothgedrungcncr 
Trennung von Gatten und Kindern und 
durch pekuniäre Schwierigkeiten, welch' letztere 
sich übrigens leicht hätten beheben lassen, 
bedingt war. 
Berlin, 29. Okt. Der neue Rektor der 
Universität, Professor Fuchs, hat einen 
Vortrag verboten, den die bekannte Sozial 
demokratin Frau Braun-Gizycki im sozial 
wissenschaftlichen Studentenverein über das 
Thema „Frauenarbeit in Deutschland" halten 
sollte. Nach der Begründung ist das Ver 
bot erfolgt, weil die litterarischen Leistungen 
der Frau Braun einen mehr agitatorischen 
Charakter tragen und einen wissenschaftlichen 
Werth nicht besitzen. 
Karlsruhe, 29. Oct. Der russische Kaiser, 
besuch ist verschoben. Das Ministerium hat 
die Zeitungen ersucht, einstweilen Notize n 
darüber nicht zu veröffentlichen. 
Paris, 28. October. Die Blätter heben 
wit Befriedigung hervor, daß die deutsche 
Regierung bei den großen Schifffahrts 
gesellschaften in Hamburg und Bremen vor 
stellig geworden ist, nicht mehr in Gibraltar, 
sondern in Algier einzulaufen. Es handelt 
sich um die Schiffe, welche zwischen New-chork 
und Genua kursieren. Ferner wird mit 
Freuden anerkannt, daß die großen deutschen 
Kohlenfirmen Mittheilung erhalten haben, 
ihre Kohlenvorräthe von Malta nach Algier 
zu verlegen, um die deutschen Schiffe mit 
Kohlen zu versorgen. 
Paris, 29. Okt. Ein hervorragendes 
Mitglied des Pariser Magistrat« 
hat einen seiner Kollegen wegen Betrüge« 
angezeigt, weil derselbe Wechsel im Werth 
von 75 000 Franks unter dem Namen 
seines Freundes in Umlauf gesetzt hatte. 
Der Angeklagte hat ein vollständiges Ge- 
ständniß abgelegt. 
Kopenhagen, 28. Oct. Bon den fremden 
Versicherungs-Gesellschaften, die, wie kürzlich 
gemeldet, durch Schwindeleien Pallins gelitten 
haben, wurden „Standard" um 54 000, 
„Union" um 20 000, „Gresham" um 30000, 
„Royal Belge" um 1500 Kronen beschwindelt. 
Kopenhagen, 28. Oct. Wie es hier ver 
lautet, wird der König, der in letzter Zeit 
gekränkelt hat, den Winter an der Riviera 
mit der russischen Kaiscrinwittwe verbringen. 
Die Dacht „Polarstern" soll sic nach Nizza 
bringen. Die russische Kaiserinwittwe bleibt 
hier, bis die Frage geordnet ist. 
Der neue Flotterrplsn. 
Die „Nordd. Allg. Ztg.", die „Berl. N. 
Nachr." und andere Blätter überraschten 
gestern Abend die Welt mit einem neuen 
F l o t t e n p l a n. 
Der neue Plan geht dahin, in der er 
sten Periode, die den zweiten Theil des ge 
genwärtigen Sextennats darstellt, drei große 
Schiffe zu bauen. Da für fünf große Schiffe 
Ersatzbautcn vorgesehen sind, werden zwei 
Ersatzbauten in die folgende Periode von 
1904 bis 1911 geschoben. Es würde also in 
der ersten Periode jährlich ein großes Schiff 
auf Stapel gelegt. Auf die zweite Periode 
kommen dann Ersatzbauten, die aber den: 
neuen Plan nicht zur Last fallen, sondern 
ohnehin nach dem alten Plan gebaut werden 
müßten. Dasselbe gilt für die dritte Pe 
riode. Die eigentliche Wirkung des neuen 
Flottenplanes setzt also erst mit 1904 ein, 
und der Grundgedanke ist dahin zusammen 
zufassen, daß das bestehende Flottengesetz 
prolongirt wird bis zum Jahre 1917 mit 
der Wirkung, daß aus dem Bestände nach 
Ablauf des Sexhennats aus einer Flotte mit 
einem Schlachtschiff -Doppel geschwader 
organisch durch Ersatzbau für acht minder- 
werthe Küstenpanzer und nur 10 neue Li 
nienschiffe, die Wehrkraft zur See verdop 
pelt wird und diese Verdoppelung in der 
Hauptwirkung bereits 1911 eintritt. 
Die Durchführung dieses Bauprogramms 
setzt eine Erhöhung der jährli 
chen S ch i f f s b a u q u o t e von jetzt 
durchschnittlich 60 auf durchschnittlich etwa 
85 Millionen Mark voraus. Die 
jährlichen sonstigen einmaligen Ausgaben 
würden sich von 9 auf 12 Millionen Mark 
erhöhen, die fortdauernden Ausgaben wür 
den sich jährlich um 5 Millionen erhöhen. 
Der neue Plan verlangt also gegen bisher 
eine Erhöhung des Marineetats von 150 
auf 183 Millionen. 
Die in Aussicht genommene Verdoppe 
lung der Schlachtflotte schließt aber nicht 
blos eine zifferrnäßige Verstärkung der 
Flotte ein, sondern giebt derselben einen 
ganz anderen Charakter. Die Schlacht 
flotte nach dem Flottengesetz sollte der Ver 
theidigung der Nordsee und Ostsee dienen, 
der Verhinderung einer Blockade, und wurde 
in jeder Beziehung als für diesen Zweck 
ausreichend dargestellt. Das neue Doppel 
geschwader bezweckt aber offenbar, die Mög 
lichkeit zu schaffen, neben den Krcnzergc 
schwadern auch Panzergeschwader in andere 
Welttheile zu senden zur Offensive 
gegen große S e e m ä ch t e. Es haw 
dclt sich dabei also nicht mehr wie bei den 
Auslandsschiffen der Kreuzergeschwader um 
den Schutz des Handels, sondern um eine 
Betheiligung an Weltkriegen zur See durch 
Schaffung einer Kriegsflotte ersten Ranges. 
Ein solches Bedürfniß war bisher von Sei 
ten der Regierung entschieden in Abrede 
gestellt worden. 
Mit der Schaffung von Panzergcschwa- 
dern für überseeische Kriege ist es aber al 
lein nicht gethan. Solche Panzerschiffe setzen 
Kohlen st ationen voraus auf ihrem 
Wege, wie wir sie nirgends besitzen. Ebenso 
erheischen solche Geschwader für den Fall 
nothwendiger Reparaturen oder Beschädi 
gungcn iur Kriege eigne Docks, wie 
wir sie auch in keinem Welttheile besitzen. 
Damit eröffnet sich, eine geradezu 
uferlose Perspektive für die Stei 
gerung der Ausgaben. 
In dem Flotten-Artikel ist der Gedanke 
ausgesprochen, daß ein derartiges Pro. 
gramm ohne neue Steuern durch 
führbar sei. Bis zur Begründung dieser 
Anschauung möchte daran sehr zu zweifeln 
sein, denn es sind die ungeheuren Kosten 
für Kohleustationen, Docks, Reparaturen, 
Vermehrung der Beamten-Pensionen usw. 
usw. noch gar nicht zu berechnen. Außerdem 
glaubt man im Publikum, daß bei der Ma 
rine viel erspart werden könnte, was jetzt 
nicht g espart wird. 
Wie das Deutsche Reich und insbesondere 
der deutsche M i t t e l st a n d die 
neuen Lasten erschwingen soll, 
bleibt eine offene Frage. Aus 
alles das wird später mehrfach zurückzu 
kommen sein. Der Deutsche opfert willig 
alles zur Wehr und Ehre seines Vater 
lands ; wenn aber nichts mehrda ist, 
dann läßt sich nichts mehr 
opfern. 
Der Krieg irr Sü-asMa. 
Sowohl auf dem westlichen wie auf dem 
östlichen Kriegsschauplätze werden von 
beiden Seiten Vorbereitungen getroffen zu 
einem Hauptschlage, aber die Ent 
scheidung ist nach Lage der Sache erst 
heute oder in den nächsten Tagen voraus 
zusehen. Am ehesten dürsten bedeutungs 
volle Ereignisse bei Mafeking und Kim- 
berley zu erwarten sein; bei Ladysmith 
betrachten sich beide Gegner zunächst mehr 
aus der Ferne. 
Die Boeren erklärten, die Engländer 
seien bei Newcastle und Dundee besiegt, 
ihr General gefangen und eine Million 
Pfund von England für seine Auslieferung 
geboten. Weitere Meldungen trafen von 
Modder River ein über heftige Kämpfe 
um Mafeking. Der größte Theil des 
Commandos von Modder River ging zur 
Boerenarmee in Kimberley. Man er 
wartet Verstärkungen von Cronjes Com 
mandos, woraus der Angriff auf Kimber- 
ley erfolgen soll. Gegenwärtig wird die 
Zahl der Truppen um Kimberley auf 
über 1000 Mann geschätzt. Der Common 
baut Prinsloos versucht, die Ackerbürger 
des Distrikts zu rekrutiren. Nach drei 
tägiger Arbeit gelang es den Boeren, die 
Brücke bei Modder River theilweise zu 
zerstören. In Windsorton befahlen die 
Boeren die Schließung aller Branntwein 
schänken. Man sah Ackerbürger des 
Distrikts unter den Boerentruppen. Bei 
Taungs haben 600 Boeren ein Lager 
aufgeschlagen. Das Land zwischen Dry- 
harts und Taungs Bridge ist total ver- 
heert. Die offizielle Korrespondenz mit 
dem Bürgermeister von Vryburg beweist, 
daß sich Vryburg übergab, weil ein Theil 
der Einwohner Partei für den Feind 
nahm. Die Boeren eroberten dort 
Munition, welche die Polizeitruppe zu 
rückließ. Der Commandant Schoemann 
besetzte Krokodilpoort und zerstörte die 
dortige Bahnbrücke. 
Ueber die Thätigkeit der Di 
plomatie hinter den Kulissen anläßlich 
der Transvaalkrisis erhält die 
Voss. Ztg." aus London folgende inter 
essante Meldungen. Laffans Bureau will 
aus guter Pariser diplomatischer Quelle 
wissen, die hauptsächlichsten Kontinental 
mächte hätten die britische Regierung be 
nachrichtigt, daß, falls der Südafrikakrieg 
günstig für Großbritanien 
ausfalle, sic sich für befugt halten wer 
den, auch Stimme beim schließlichen Frie 
densschlüsse zu haben, da sie wichtige kom 
merzielle und finanzielle Interessen in 
Transvaal und im Oranjefreistaat, wo viele 
ihrer Unterthanen wohnen haben. Ueber 
diesen Punkt herrsche völliges Ein 
vernehmen unter den H a u p t m ä ch- 
ten, Deutschland mit einbegriffen, und es 
werde bezweckt, Entschädigungen zu 
verlangen, falls England seine Herrschaft 
über ganz Südafrika ausdehne. Als Er 
gebniß der Konferenz zwischen Minister 
Delcassee und den Vertretern Rußlands, 
Spaniens und der Unionstaaten sei that 
sächlich beschlossen worden, daß Frank 
reich, Rußland und Spanien den Präsi 
denten Mac Kinley ersuchen werden, seine 
guten Dienste als Vermittler zwischen 
Großbritanien und der Südafrikanischen 
Republik anzubieten. Nach einer Washing 
toner Meldung des „Daily Chronicle" soll 
die Unions-Regierung jedoch die offizielle 
Erklärung abgegeben haben, sie würde sich 
an keiner Einmischung in Transvaal bethei- 
ligen und kein für die britischen Interessen 
feindseliges Verfahren einschlagen. 
Ausland. 
Oesterreich-Ungerrn. 
Die Vermählung der K r o ņ p r i n - 
zessin Wittwe Stephanie soll, 
wie aus Wien gemeldet wird, bereits am 
3. November in der österreichisch-ungari 
schen Botschaft zu London stattfinden. 
Die Vorbereitungen zu ihrer Wiederver 
mählung, sowie zu ihrer Uebersiedlung 
von Laxenburg in das Schloß ihres künfti 
gen Gemahls nach Bodrog-Olaszi trifft 
die Kronprinzessin persönlich. Gegenwär 
tig ist sie damit beschäftigt, ihre werth- 
vollen Gegenstände, darunter Silberzeug 
und dergleichen, die nicht zum Inventar 
des Schlosses, sondern zu ihrem Privat 
ei genthum gehören, zu sondern und für 
die Absendung bereit zu halten. Der 
Tag der Abreise ist noch nicht bekannt. 
Bezüglich des Hofstaates der Kronprinzessin- 
Wittwe ist die Anordnung getroffen, daß 
derselbe mit dem Tage, an welchem die 
Kronprinzessin-Wittwe das Schloß Laxen 
burg verläßt, als aufgelöst zu betrachten 
ist. Eine der drei Hofdamen, Gräfin 
Sidonie Chotek, wurde bereits der Tochter 
der Kronprinzessin, der Erzherzogin Elisa 
beth, welche in wenigen Wochen ihren 
eigenen Hofstaat erhält, als Hofdame zu 
getheilt. Wie aus Brüssel gemeldet wird, 
hat der König von Belgien die seiner 
Tochter bisher ausgesetzte Apanage nicht 
weiterzahlen und ihr auch nicht die Fort 
führung des Titels „königliche Hoheit" 
gestatten wollen. 
17 
Grevikde. 
Roman von Hermann Heiberg. 
(Nachdruck verboten.) 
Indem Graf Dehn alles zusammenfaßte, 
was ihm an Kraft und Selbstbeherrschung 
zu Gebote stand, auch zu einem ruhigen 
Ton und zu äußerster Sachlichkeit sich zwang, 
vbschon die vor Erregung zitternde Stimme 
fast versagen wollte, entgegnetc er: 
„Es wird eine Zeit kommen, Comteffe 
Lavard, in der sie erkennen werden, wie 
richtig meine Urtheile über die in Betracht 
kommende Person waren. Sie werden auch, 
ich weiß es, die unverdiente, ungeheure 
Kränkung, die Sie mir eben zugefügt haben, 
abbitten. Ihr gerechtes Herz wird Sic da 
zu drängen! — Doch lassen wir ruhen, was 
ich nur gezwungen berührte, und nur eine 
Frage gestatten Sie mir noch an Sie zu 
richten: Wollen Sie mir eine Unterredung 
gewähren, wenn sich herausstellt, daß der 
Mann, dem Sie im Begriff sind, Ihr Lcbens- 
glück zu opfern, Sie täusche?" 
„Weshalb —? Welchen Zweck soll das 
haben?" 
„Liegt Ihnen nicht daran, Comteffe, 
°twaiges Unrecht gegen mich gut zu machen? 
"st es nicht dock möglich, daß Sie mich 
«nd mein Thun falsch beurtheilen? Jst's 
^ann nicht eine natürliche Pflicht, mir eine 
Genugthuung zu gewähren? Sic wollen 
Ewe Priesterin der Wahrheit, der Güte, der 
Gerechtigkeit, der Menschenliebe sein und 
fallen schon beim erstenmal stolpern, wo 
^ie pie Probe auf Ihr Ich zu bestehen 
haben?" 
Jnigjor biß erst die Zähne zusammen, 
^nn sagte sie: 
„Wohlan, ich bin bereit Sic zu hören, 
wenn sich das vollzieht, was Sie hoffen — 
was Sie aus dieser Hoffnung sogar zur 
Gewißheit erheben. Sie wird Ihnen zwar 
nie werden, und wenn doch, so werde ich, 
das sei gesagt, nie Ihre Freundin werden, 
geschweige mehr —" 
„Also, wenn Prestö Sie betrog, in diesen 
heilig ernsten Stunden Sie betrog, so bleibt 
er immer doch ein Gott und ich ein Un 
würdiger, Comteffe?" 
Jmgjor reckte den Oberkörper, und in 
ihrem in der Erregung sich unwillkürlich 
öffnenden Munde blitzten die Zähne. Dann 
sagte sie heftig, und er hörte, wie sie mit 
ihrem mit dem weißen Scidenschuh bekleideten 
Fuß ungeduldig den Fußboden berührte. 
„Ich wiederhole Ihnen, Herr Graf, daß 
Prestö mich nicht betrügen wird, daß er ein 
Ehrenmann, daß er ein anderer Mann ist 
als die, welche sich anmaßen, über ihn zu 
Gericht zu sitzen!" 
„Wohlan, Comteffe! Wenn Sie so reden, 
so steht Meinung gegen Meinung! Ich be 
haupte, daß der Mann innerlich in dem 
selben Augenblick von Ihnen abfallen wird, 
wo er erfährt, daß Sie nicht die Tochter 
des Grafen, daß Sie aus Rankholm ver 
bannt und enterbt sind. Und da Sie nun, 
trotz aller meiner fügsamen Bitten, den 
Frieden mir abschlagen, so will ich fürder 
gegen diesen Mann rücksichtslos kämpfen! 
Ich will Sie kuriren, jetzt kuriren gegen 
Ihren Willen!" 
Diesmal entgegnetc Jmgjor nichts. Sie 
vermochte eS nicht, weil plötzlich eine Blut- 
welle ihrem Munde entströmte. Die Serviette, 
die sie zum Munde führte, wurde von einem 
unheimlichen Roth gefärbt. Schrecken er 
griff die Umsitzenden, und ehe noch Graf 
Dehn helfen, sich um sie bemühen oder gar 
am Aufstehen hindern konnte, hatte sie den 
Saal verlassen. 
* * 
rļ- 
Lange waren die Klänge der Violinen, 
der Flöten und Baßgeigen verklungen. Seit 
einer Stunde waren sogar die Lichter in 
dem mächtigen Rankholmer Schloß mit all' 
seinen zahlreichen Räumen erloschen, und 
alles lag in einem tiefen, festen Schlaf. Nur 
zwei Personen wachten noch, sie fanden 
keinen Schlaf, und er floh sie, weil eine 
der anderen unruhvoll gedachte. Freilich 
geschah's mit sehr verschiedenen Empfindungen. 
Jmgjor haßte nunmehr den Mann, der 
in ihr Leben und in ihre Pläne einen solchen 
Eingriff gethan. Sie haßte ihn, obsckon 
ihr vorurtheilfreies Ich ihr zuflüsterte, daß 
sie ein Unrecht begehe. Als er damals in 
Oerebye die Rede gehalten, hatte sie bei 
sich gedacht, welch' ein werthvoller Mann er 
sei. Aber sie wollte ihm schon deshalb 
keine Gefolgschaft leisten, weil sie — wie 
sie sich vorredete — nichts Halbes, sondern 
etwas Ganzes erstreben mußte. Ueberdies 
lag sie in dem Banne Prestös, der sie mit 
den stärksten Fäden an sich zog, sie so 
fesselte, daß sic nicht zu entrinnen vermochte 
Der Sohn des Unterdrückten, der, gleich 
ihr, aufräumen wollte mit dem Unrecht, ge 
hörte zu ihr, und nun, nachdem sie ver 
nommen, daß sie selbst von jenem abstammte, 
welche die Armuth treibt, ihr Brot zu suchen, 
wo und wie sie es finden, fühlte sie sich 
zwiefach mit Prestö verknüpft, hundertfältig 
mit ihm verbunden. 
Voll ingrimmiger Auflehnung biß sic die 
Zähne zusammen, als sie sich in diesen 
Stunden der Nacht der letzten Worte ihres 
Gegners erinnerte. 
Er würde im Fall Prestö mittheilen, wer 
sie sei, ihn wiffen laffen, daß ihr Erbe in 
Gefahr stehe, sicher ihr verloren ginge, wenn 
sie ihm, Prestö folge. 
Sic zitterte vor der Wirkung seiner Aus 
lassungen aus denselben Gründen, die sie 
veranlaßt hatten, an Prestö die Forderung 
zu stellen, ihr die Beweise zu geben, daß 
er — ohne Zwang und Unrecht — frei sei. 
Ihr Verstand und die Klarheit ihres 
Geistes standen auf gleicher Stufe mit der 
Tiefe und der Güte ihres Herzens, die sie 
trieben, sich selbstlos in den Dienst der 
Unterdrückten zu stellen. 
Einmal, als sie sich vorstellte, Graf Dehn 
könnte wirklich Recht behalten, gerieth sie 
in eine solche Aufregung, daß ihr Herz in 
stürmischer Aufwallung pochte. 
Wenn auch Presto einer der Millionen 
Durchschnittskreaturen, wenn auch er einer 
der erbärmlichen Nützlichkeitsmenschen war, 
wenn wirklich nur ihr Stand, ihre Schön 
heit und ihr großer Reichthum ihn hatte 
reden und gar als Schurken gegen seine 
Braut handeln laffen, dann '— dann —! 
Sie athmete tief, tief auf, und ihre Rechte 
ballte sich, als ob sie eine Waffe faffe. 
Sie wußte nicht, was geschehen werde; 
ihr grauste vor sich selbst. 
Unter solchen starken seelischen Erregungen 
und Kämpfen, denen sich die irrenden Ge 
danken über ihre Geburt unruhvoll hinzuge- 
scllten, tastete der Tag mit noch müdem 
Licht an die Scheiben der Fenster und mahnte 
sie an Zeit, Umstände und die noch zu er 
füllenden Aufgaben. 
Sich rasch aufraffend, rückte sie sich an 
den Schreibtisch, stützte, noch einmal ihre 
Gedanken sammelnd, das Haupt und schrieb 
sodann mit fester Hand einen langen Brief 
erregten Inhalts an Prestö, in welchem sie 
ihn am Schluß ersuchte, nur auf das zu 
hören, was sie ihm selbst mittheilen werde, 
legte dieses Schreiben im Flur in eine ver 
steckte Ecke, aus welcher der von ihr ins 
geheim beauftragte Diener jeden Morgen in 
der Frühe vorhandene Briefe an sich zn 
nehmen und sogleich zu besorgen hatte, und 
schlüpfte alsdann in ihr Bett. 
Und als eben gerade das Gesinde sich 
wieder unten im Hause zu rühren begann, 
fand sie endlich die Ruhe, nach welcher der 
erschöpfte Körper verlangte. — 
Anders Axel. 
Durch sein Gehirn wälzten sich die Vor 
stellungen über Geschehenes und Künftiges, 
und lediglich die Uebcrlcgung, auf welche 
Weise er das ausführen könne, was er sich 
nunmehr als Ziel vorgesetzt hatte, beschäftigte 
seine Gedanken. 
Er wollte sich vorläufig von der Familie 
Lavard nicht trennen, Prestö als den ent 
larven, der er nach den von ihm in jener 
Nacht gewonnenen, nunmehr mit Luciles 
Behauptungen übereinstimmenden Ansichten 
war, und Jmgjor nicht nur zu heilen, sondern 
mit ihrer Familie vollständig auszusöhnen 
suchen. — Ob ein Preis ihm zufiel, mußte 
sich finden. Seine Liebe und sein über 
zeugungsstarker Sinn ließen ihn nicht ver 
zweifeln. 
* * 
* 
Die kommenden Tage verfloffen den Rank- 
holmer Schloßbewohnern unter allerlei Vor 
bereitungen zu der Kopenhagens Reise. Auch 
erledigte der Graf dringliche Gutsgeschäftx
	        
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