WÄoLiG exf&emenbes ^Catt
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Aeltestes und gelelenstes Kiatt im Kreils Rendsburg.
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
—^ S2 stev Jahrgang.
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburger Wochenblatt lvird
„Der Landwirth"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen
der Landwirthschast) gratis beigegeben.
WO. 255.
Dienstag, den Bl. October
1899.
de
Morgen-Berichte.
Kiel, 28. Okt. Die „Hohenzollcrn" soll
am 13. November seebereit sein. Dieselbe
wird für die Reise des Kaisers nach Eng
land auf vier Wochen ausgerüstet.
Berlin, 30. Okt. Wie eine hiesige
Zeitung von maßgebender Stelle melden
kann, steht der Kaiserbesuch in England
völlig fest.
Berlin, 29. Okk. Das große Loos der
Preußischen Klassenlotterie ist diesmal in
die Gegend von Koblenz gefallen.
Berlin, 29. Oktober. Der in Rio
Janeiro verhaftete Mörder Gönczi und
seine Frau befinden sich bereits auf der
Reise nach Hamburg.
Berlin. 29. Oct. Die bekannte Berliner
Schriftstellerin, deren Namen unter denen
literarisch thätiger Frauen einen bevorzugten
Platz einnahm, Franziska von Kapff-
Essenthcr, hat durch Selbstmord geendet.
Sie hat sich gestern gegen Abend durch das
Fenster ihres Zimmers in einem Hotel der
Friedrichstadt aus der Höhe des vierten Stockes
auf das Pflaster des Hofes hinabgestürzt und
wurde als Leiche aufgefunden. Bereits zwei
Tage vorher hatte sie versucht, sich durch den
Genuß von Opium zu vergiften. Bon ihrer
Absicht, sich das Leben zu nehmen, hatte sie
eine Reihe von Personen brieflich Mittheilung
gemacht. Aller guter Wille und alle Be
mühungen, sie von ihrem verhängnißvollen
Beschlusse abzubringen, blieben vergeblich, da
sie sich verborgen hielt. Die begabte Schrift
stellerin hat unter deni Einfluß einer tiefen
seelischen Depression gehandelt, die durch
Krankheit, den Schmerz nothgedrungcncr
Trennung von Gatten und Kindern und
durch pekuniäre Schwierigkeiten, welch' letztere
sich übrigens leicht hätten beheben lassen,
bedingt war.
Berlin, 29. Okt. Der neue Rektor der
Universität, Professor Fuchs, hat einen
Vortrag verboten, den die bekannte Sozial
demokratin Frau Braun-Gizycki im sozial
wissenschaftlichen Studentenverein über das
Thema „Frauenarbeit in Deutschland" halten
sollte. Nach der Begründung ist das Ver
bot erfolgt, weil die litterarischen Leistungen
der Frau Braun einen mehr agitatorischen
Charakter tragen und einen wissenschaftlichen
Werth nicht besitzen.
Karlsruhe, 29. Oct. Der russische Kaiser,
besuch ist verschoben. Das Ministerium hat
die Zeitungen ersucht, einstweilen Notize n
darüber nicht zu veröffentlichen.
Paris, 28. October. Die Blätter heben
wit Befriedigung hervor, daß die deutsche
Regierung bei den großen Schifffahrts
gesellschaften in Hamburg und Bremen vor
stellig geworden ist, nicht mehr in Gibraltar,
sondern in Algier einzulaufen. Es handelt
sich um die Schiffe, welche zwischen New-chork
und Genua kursieren. Ferner wird mit
Freuden anerkannt, daß die großen deutschen
Kohlenfirmen Mittheilung erhalten haben,
ihre Kohlenvorräthe von Malta nach Algier
zu verlegen, um die deutschen Schiffe mit
Kohlen zu versorgen.
Paris, 29. Okt. Ein hervorragendes
Mitglied des Pariser Magistrat«
hat einen seiner Kollegen wegen Betrüge«
angezeigt, weil derselbe Wechsel im Werth
von 75 000 Franks unter dem Namen
seines Freundes in Umlauf gesetzt hatte.
Der Angeklagte hat ein vollständiges Ge-
ständniß abgelegt.
Kopenhagen, 28. Oct. Bon den fremden
Versicherungs-Gesellschaften, die, wie kürzlich
gemeldet, durch Schwindeleien Pallins gelitten
haben, wurden „Standard" um 54 000,
„Union" um 20 000, „Gresham" um 30000,
„Royal Belge" um 1500 Kronen beschwindelt.
Kopenhagen, 28. Oct. Wie es hier ver
lautet, wird der König, der in letzter Zeit
gekränkelt hat, den Winter an der Riviera
mit der russischen Kaiscrinwittwe verbringen.
Die Dacht „Polarstern" soll sic nach Nizza
bringen. Die russische Kaiserinwittwe bleibt
hier, bis die Frage geordnet ist.
Der neue Flotterrplsn.
Die „Nordd. Allg. Ztg.", die „Berl. N.
Nachr." und andere Blätter überraschten
gestern Abend die Welt mit einem neuen
F l o t t e n p l a n.
Der neue Plan geht dahin, in der er
sten Periode, die den zweiten Theil des ge
genwärtigen Sextennats darstellt, drei große
Schiffe zu bauen. Da für fünf große Schiffe
Ersatzbautcn vorgesehen sind, werden zwei
Ersatzbauten in die folgende Periode von
1904 bis 1911 geschoben. Es würde also in
der ersten Periode jährlich ein großes Schiff
auf Stapel gelegt. Auf die zweite Periode
kommen dann Ersatzbauten, die aber den:
neuen Plan nicht zur Last fallen, sondern
ohnehin nach dem alten Plan gebaut werden
müßten. Dasselbe gilt für die dritte Pe
riode. Die eigentliche Wirkung des neuen
Flottenplanes setzt also erst mit 1904 ein,
und der Grundgedanke ist dahin zusammen
zufassen, daß das bestehende Flottengesetz
prolongirt wird bis zum Jahre 1917 mit
der Wirkung, daß aus dem Bestände nach
Ablauf des Sexhennats aus einer Flotte mit
einem Schlachtschiff -Doppel geschwader
organisch durch Ersatzbau für acht minder-
werthe Küstenpanzer und nur 10 neue Li
nienschiffe, die Wehrkraft zur See verdop
pelt wird und diese Verdoppelung in der
Hauptwirkung bereits 1911 eintritt.
Die Durchführung dieses Bauprogramms
setzt eine Erhöhung der jährli
chen S ch i f f s b a u q u o t e von jetzt
durchschnittlich 60 auf durchschnittlich etwa
85 Millionen Mark voraus. Die
jährlichen sonstigen einmaligen Ausgaben
würden sich von 9 auf 12 Millionen Mark
erhöhen, die fortdauernden Ausgaben wür
den sich jährlich um 5 Millionen erhöhen.
Der neue Plan verlangt also gegen bisher
eine Erhöhung des Marineetats von 150
auf 183 Millionen.
Die in Aussicht genommene Verdoppe
lung der Schlachtflotte schließt aber nicht
blos eine zifferrnäßige Verstärkung der
Flotte ein, sondern giebt derselben einen
ganz anderen Charakter. Die Schlacht
flotte nach dem Flottengesetz sollte der Ver
theidigung der Nordsee und Ostsee dienen,
der Verhinderung einer Blockade, und wurde
in jeder Beziehung als für diesen Zweck
ausreichend dargestellt. Das neue Doppel
geschwader bezweckt aber offenbar, die Mög
lichkeit zu schaffen, neben den Krcnzergc
schwadern auch Panzergeschwader in andere
Welttheile zu senden zur Offensive
gegen große S e e m ä ch t e. Es haw
dclt sich dabei also nicht mehr wie bei den
Auslandsschiffen der Kreuzergeschwader um
den Schutz des Handels, sondern um eine
Betheiligung an Weltkriegen zur See durch
Schaffung einer Kriegsflotte ersten Ranges.
Ein solches Bedürfniß war bisher von Sei
ten der Regierung entschieden in Abrede
gestellt worden.
Mit der Schaffung von Panzergcschwa-
dern für überseeische Kriege ist es aber al
lein nicht gethan. Solche Panzerschiffe setzen
Kohlen st ationen voraus auf ihrem
Wege, wie wir sie nirgends besitzen. Ebenso
erheischen solche Geschwader für den Fall
nothwendiger Reparaturen oder Beschädi
gungcn iur Kriege eigne Docks, wie
wir sie auch in keinem Welttheile besitzen.
Damit eröffnet sich, eine geradezu
uferlose Perspektive für die Stei
gerung der Ausgaben.
In dem Flotten-Artikel ist der Gedanke
ausgesprochen, daß ein derartiges Pro.
gramm ohne neue Steuern durch
führbar sei. Bis zur Begründung dieser
Anschauung möchte daran sehr zu zweifeln
sein, denn es sind die ungeheuren Kosten
für Kohleustationen, Docks, Reparaturen,
Vermehrung der Beamten-Pensionen usw.
usw. noch gar nicht zu berechnen. Außerdem
glaubt man im Publikum, daß bei der Ma
rine viel erspart werden könnte, was jetzt
nicht g espart wird.
Wie das Deutsche Reich und insbesondere
der deutsche M i t t e l st a n d die
neuen Lasten erschwingen soll,
bleibt eine offene Frage. Aus
alles das wird später mehrfach zurückzu
kommen sein. Der Deutsche opfert willig
alles zur Wehr und Ehre seines Vater
lands ; wenn aber nichts mehrda ist,
dann läßt sich nichts mehr
opfern.
Der Krieg irr Sü-asMa.
Sowohl auf dem westlichen wie auf dem
östlichen Kriegsschauplätze werden von
beiden Seiten Vorbereitungen getroffen zu
einem Hauptschlage, aber die Ent
scheidung ist nach Lage der Sache erst
heute oder in den nächsten Tagen voraus
zusehen. Am ehesten dürsten bedeutungs
volle Ereignisse bei Mafeking und Kim-
berley zu erwarten sein; bei Ladysmith
betrachten sich beide Gegner zunächst mehr
aus der Ferne.
Die Boeren erklärten, die Engländer
seien bei Newcastle und Dundee besiegt,
ihr General gefangen und eine Million
Pfund von England für seine Auslieferung
geboten. Weitere Meldungen trafen von
Modder River ein über heftige Kämpfe
um Mafeking. Der größte Theil des
Commandos von Modder River ging zur
Boerenarmee in Kimberley. Man er
wartet Verstärkungen von Cronjes Com
mandos, woraus der Angriff auf Kimber-
ley erfolgen soll. Gegenwärtig wird die
Zahl der Truppen um Kimberley auf
über 1000 Mann geschätzt. Der Common
baut Prinsloos versucht, die Ackerbürger
des Distrikts zu rekrutiren. Nach drei
tägiger Arbeit gelang es den Boeren, die
Brücke bei Modder River theilweise zu
zerstören. In Windsorton befahlen die
Boeren die Schließung aller Branntwein
schänken. Man sah Ackerbürger des
Distrikts unter den Boerentruppen. Bei
Taungs haben 600 Boeren ein Lager
aufgeschlagen. Das Land zwischen Dry-
harts und Taungs Bridge ist total ver-
heert. Die offizielle Korrespondenz mit
dem Bürgermeister von Vryburg beweist,
daß sich Vryburg übergab, weil ein Theil
der Einwohner Partei für den Feind
nahm. Die Boeren eroberten dort
Munition, welche die Polizeitruppe zu
rückließ. Der Commandant Schoemann
besetzte Krokodilpoort und zerstörte die
dortige Bahnbrücke.
Ueber die Thätigkeit der Di
plomatie hinter den Kulissen anläßlich
der Transvaalkrisis erhält die
Voss. Ztg." aus London folgende inter
essante Meldungen. Laffans Bureau will
aus guter Pariser diplomatischer Quelle
wissen, die hauptsächlichsten Kontinental
mächte hätten die britische Regierung be
nachrichtigt, daß, falls der Südafrikakrieg
günstig für Großbritanien
ausfalle, sic sich für befugt halten wer
den, auch Stimme beim schließlichen Frie
densschlüsse zu haben, da sie wichtige kom
merzielle und finanzielle Interessen in
Transvaal und im Oranjefreistaat, wo viele
ihrer Unterthanen wohnen haben. Ueber
diesen Punkt herrsche völliges Ein
vernehmen unter den H a u p t m ä ch-
ten, Deutschland mit einbegriffen, und es
werde bezweckt, Entschädigungen zu
verlangen, falls England seine Herrschaft
über ganz Südafrika ausdehne. Als Er
gebniß der Konferenz zwischen Minister
Delcassee und den Vertretern Rußlands,
Spaniens und der Unionstaaten sei that
sächlich beschlossen worden, daß Frank
reich, Rußland und Spanien den Präsi
denten Mac Kinley ersuchen werden, seine
guten Dienste als Vermittler zwischen
Großbritanien und der Südafrikanischen
Republik anzubieten. Nach einer Washing
toner Meldung des „Daily Chronicle" soll
die Unions-Regierung jedoch die offizielle
Erklärung abgegeben haben, sie würde sich
an keiner Einmischung in Transvaal bethei-
ligen und kein für die britischen Interessen
feindseliges Verfahren einschlagen.
Ausland.
Oesterreich-Ungerrn.
Die Vermählung der K r o ņ p r i n -
zessin Wittwe Stephanie soll,
wie aus Wien gemeldet wird, bereits am
3. November in der österreichisch-ungari
schen Botschaft zu London stattfinden.
Die Vorbereitungen zu ihrer Wiederver
mählung, sowie zu ihrer Uebersiedlung
von Laxenburg in das Schloß ihres künfti
gen Gemahls nach Bodrog-Olaszi trifft
die Kronprinzessin persönlich. Gegenwär
tig ist sie damit beschäftigt, ihre werth-
vollen Gegenstände, darunter Silberzeug
und dergleichen, die nicht zum Inventar
des Schlosses, sondern zu ihrem Privat
ei genthum gehören, zu sondern und für
die Absendung bereit zu halten. Der
Tag der Abreise ist noch nicht bekannt.
Bezüglich des Hofstaates der Kronprinzessin-
Wittwe ist die Anordnung getroffen, daß
derselbe mit dem Tage, an welchem die
Kronprinzessin-Wittwe das Schloß Laxen
burg verläßt, als aufgelöst zu betrachten
ist. Eine der drei Hofdamen, Gräfin
Sidonie Chotek, wurde bereits der Tochter
der Kronprinzessin, der Erzherzogin Elisa
beth, welche in wenigen Wochen ihren
eigenen Hofstaat erhält, als Hofdame zu
getheilt. Wie aus Brüssel gemeldet wird,
hat der König von Belgien die seiner
Tochter bisher ausgesetzte Apanage nicht
weiterzahlen und ihr auch nicht die Fort
führung des Titels „königliche Hoheit"
gestatten wollen.
17
Grevikde.
Roman von Hermann Heiberg.
(Nachdruck verboten.)
Indem Graf Dehn alles zusammenfaßte,
was ihm an Kraft und Selbstbeherrschung
zu Gebote stand, auch zu einem ruhigen
Ton und zu äußerster Sachlichkeit sich zwang,
vbschon die vor Erregung zitternde Stimme
fast versagen wollte, entgegnetc er:
„Es wird eine Zeit kommen, Comteffe
Lavard, in der sie erkennen werden, wie
richtig meine Urtheile über die in Betracht
kommende Person waren. Sie werden auch,
ich weiß es, die unverdiente, ungeheure
Kränkung, die Sie mir eben zugefügt haben,
abbitten. Ihr gerechtes Herz wird Sic da
zu drängen! — Doch lassen wir ruhen, was
ich nur gezwungen berührte, und nur eine
Frage gestatten Sie mir noch an Sie zu
richten: Wollen Sie mir eine Unterredung
gewähren, wenn sich herausstellt, daß der
Mann, dem Sie im Begriff sind, Ihr Lcbens-
glück zu opfern, Sie täusche?"
„Weshalb —? Welchen Zweck soll das
haben?"
„Liegt Ihnen nicht daran, Comteffe,
°twaiges Unrecht gegen mich gut zu machen?
"st es nicht dock möglich, daß Sie mich
«nd mein Thun falsch beurtheilen? Jst's
^ann nicht eine natürliche Pflicht, mir eine
Genugthuung zu gewähren? Sic wollen
Ewe Priesterin der Wahrheit, der Güte, der
Gerechtigkeit, der Menschenliebe sein und
fallen schon beim erstenmal stolpern, wo
^ie pie Probe auf Ihr Ich zu bestehen
haben?"
Jnigjor biß erst die Zähne zusammen,
^nn sagte sie:
„Wohlan, ich bin bereit Sic zu hören,
wenn sich das vollzieht, was Sie hoffen —
was Sie aus dieser Hoffnung sogar zur
Gewißheit erheben. Sie wird Ihnen zwar
nie werden, und wenn doch, so werde ich,
das sei gesagt, nie Ihre Freundin werden,
geschweige mehr —"
„Also, wenn Prestö Sie betrog, in diesen
heilig ernsten Stunden Sie betrog, so bleibt
er immer doch ein Gott und ich ein Un
würdiger, Comteffe?"
Jmgjor reckte den Oberkörper, und in
ihrem in der Erregung sich unwillkürlich
öffnenden Munde blitzten die Zähne. Dann
sagte sie heftig, und er hörte, wie sie mit
ihrem mit dem weißen Scidenschuh bekleideten
Fuß ungeduldig den Fußboden berührte.
„Ich wiederhole Ihnen, Herr Graf, daß
Prestö mich nicht betrügen wird, daß er ein
Ehrenmann, daß er ein anderer Mann ist
als die, welche sich anmaßen, über ihn zu
Gericht zu sitzen!"
„Wohlan, Comteffe! Wenn Sie so reden,
so steht Meinung gegen Meinung! Ich be
haupte, daß der Mann innerlich in dem
selben Augenblick von Ihnen abfallen wird,
wo er erfährt, daß Sie nicht die Tochter
des Grafen, daß Sie aus Rankholm ver
bannt und enterbt sind. Und da Sie nun,
trotz aller meiner fügsamen Bitten, den
Frieden mir abschlagen, so will ich fürder
gegen diesen Mann rücksichtslos kämpfen!
Ich will Sie kuriren, jetzt kuriren gegen
Ihren Willen!"
Diesmal entgegnetc Jmgjor nichts. Sie
vermochte eS nicht, weil plötzlich eine Blut-
welle ihrem Munde entströmte. Die Serviette,
die sie zum Munde führte, wurde von einem
unheimlichen Roth gefärbt. Schrecken er
griff die Umsitzenden, und ehe noch Graf
Dehn helfen, sich um sie bemühen oder gar
am Aufstehen hindern konnte, hatte sie den
Saal verlassen.
* *
rļ-
Lange waren die Klänge der Violinen,
der Flöten und Baßgeigen verklungen. Seit
einer Stunde waren sogar die Lichter in
dem mächtigen Rankholmer Schloß mit all'
seinen zahlreichen Räumen erloschen, und
alles lag in einem tiefen, festen Schlaf. Nur
zwei Personen wachten noch, sie fanden
keinen Schlaf, und er floh sie, weil eine
der anderen unruhvoll gedachte. Freilich
geschah's mit sehr verschiedenen Empfindungen.
Jmgjor haßte nunmehr den Mann, der
in ihr Leben und in ihre Pläne einen solchen
Eingriff gethan. Sie haßte ihn, obsckon
ihr vorurtheilfreies Ich ihr zuflüsterte, daß
sie ein Unrecht begehe. Als er damals in
Oerebye die Rede gehalten, hatte sie bei
sich gedacht, welch' ein werthvoller Mann er
sei. Aber sie wollte ihm schon deshalb
keine Gefolgschaft leisten, weil sie — wie
sie sich vorredete — nichts Halbes, sondern
etwas Ganzes erstreben mußte. Ueberdies
lag sie in dem Banne Prestös, der sie mit
den stärksten Fäden an sich zog, sie so
fesselte, daß sic nicht zu entrinnen vermochte
Der Sohn des Unterdrückten, der, gleich
ihr, aufräumen wollte mit dem Unrecht, ge
hörte zu ihr, und nun, nachdem sie ver
nommen, daß sie selbst von jenem abstammte,
welche die Armuth treibt, ihr Brot zu suchen,
wo und wie sie es finden, fühlte sie sich
zwiefach mit Prestö verknüpft, hundertfältig
mit ihm verbunden.
Voll ingrimmiger Auflehnung biß sic die
Zähne zusammen, als sie sich in diesen
Stunden der Nacht der letzten Worte ihres
Gegners erinnerte.
Er würde im Fall Prestö mittheilen, wer
sie sei, ihn wiffen laffen, daß ihr Erbe in
Gefahr stehe, sicher ihr verloren ginge, wenn
sie ihm, Prestö folge.
Sic zitterte vor der Wirkung seiner Aus
lassungen aus denselben Gründen, die sie
veranlaßt hatten, an Prestö die Forderung
zu stellen, ihr die Beweise zu geben, daß
er — ohne Zwang und Unrecht — frei sei.
Ihr Verstand und die Klarheit ihres
Geistes standen auf gleicher Stufe mit der
Tiefe und der Güte ihres Herzens, die sie
trieben, sich selbstlos in den Dienst der
Unterdrückten zu stellen.
Einmal, als sie sich vorstellte, Graf Dehn
könnte wirklich Recht behalten, gerieth sie
in eine solche Aufregung, daß ihr Herz in
stürmischer Aufwallung pochte.
Wenn auch Presto einer der Millionen
Durchschnittskreaturen, wenn auch er einer
der erbärmlichen Nützlichkeitsmenschen war,
wenn wirklich nur ihr Stand, ihre Schön
heit und ihr großer Reichthum ihn hatte
reden und gar als Schurken gegen seine
Braut handeln laffen, dann '— dann —!
Sie athmete tief, tief auf, und ihre Rechte
ballte sich, als ob sie eine Waffe faffe.
Sie wußte nicht, was geschehen werde;
ihr grauste vor sich selbst.
Unter solchen starken seelischen Erregungen
und Kämpfen, denen sich die irrenden Ge
danken über ihre Geburt unruhvoll hinzuge-
scllten, tastete der Tag mit noch müdem
Licht an die Scheiben der Fenster und mahnte
sie an Zeit, Umstände und die noch zu er
füllenden Aufgaben.
Sich rasch aufraffend, rückte sie sich an
den Schreibtisch, stützte, noch einmal ihre
Gedanken sammelnd, das Haupt und schrieb
sodann mit fester Hand einen langen Brief
erregten Inhalts an Prestö, in welchem sie
ihn am Schluß ersuchte, nur auf das zu
hören, was sie ihm selbst mittheilen werde,
legte dieses Schreiben im Flur in eine ver
steckte Ecke, aus welcher der von ihr ins
geheim beauftragte Diener jeden Morgen in
der Frühe vorhandene Briefe an sich zn
nehmen und sogleich zu besorgen hatte, und
schlüpfte alsdann in ihr Bett.
Und als eben gerade das Gesinde sich
wieder unten im Hause zu rühren begann,
fand sie endlich die Ruhe, nach welcher der
erschöpfte Körper verlangte. —
Anders Axel.
Durch sein Gehirn wälzten sich die Vor
stellungen über Geschehenes und Künftiges,
und lediglich die Uebcrlcgung, auf welche
Weise er das ausführen könne, was er sich
nunmehr als Ziel vorgesetzt hatte, beschäftigte
seine Gedanken.
Er wollte sich vorläufig von der Familie
Lavard nicht trennen, Prestö als den ent
larven, der er nach den von ihm in jener
Nacht gewonnenen, nunmehr mit Luciles
Behauptungen übereinstimmenden Ansichten
war, und Jmgjor nicht nur zu heilen, sondern
mit ihrer Familie vollständig auszusöhnen
suchen. — Ob ein Preis ihm zufiel, mußte
sich finden. Seine Liebe und sein über
zeugungsstarker Sinn ließen ihn nicht ver
zweifeln.
* *
*
Die kommenden Tage verfloffen den Rank-
holmer Schloßbewohnern unter allerlei Vor
bereitungen zu der Kopenhagens Reise. Auch
erledigte der Graf dringliche Gutsgeschäftx