Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

iten dauernd leidenden Zustand bittet, dem 
Thron entsagen zu dürfen. Die Kaiserin- 
Wittwe wird das ausschlagen, melden die 
„N. CH. D. N." und die Farce wird dann 
noch zweimal wiederholt werden, bevor die 
Kaiserin-Wittwe ihre Zustimmung zur Ab 
dankung Kuang Hsüs giebt. Man erwar 
tet seine Entthronung bald. Die 
Truppen unter Prinz Ching und Dung Lu 
werden in Bereitschaft gehalten. Herzog 
Tsai Lau, der Vater des jungen Tu T'süan, 
ist ein intimer Freund des Prinzen Ching, 
was zu neuen Reibereien zwischen diesem 
und Dung Lu führen mag. Angeblich rüsten 
die Russen in Mukden (Mongolei) eine grö- 
ßere Truppenmacht aus, die nach Peking 
gehen soll. Eine andere Lesart, die aus 
chinesischen Kreisen stammt, will wissen, daß 
russische Truppen Befehl erhalten haben, 
von Port Arthur nach Peking zu marschi- 
ren. Wie weit diese Nachrichten den That 
sachen entsprechen, bleibt abzuwarten. Daß 
aber alles in diesem Augenblick einer Krisis 
in Peking zustrebt, läßt sich kaum verkennen. 
Rußland. 
Moskau, 17. Oktbr. Der frühere 
Direktor der Eisenbahn Moskau 
Archangelsk, Nikiför Arcybaszew, wurde 
nach einem langen Verhör vor dem Un 
tersuchungsrichter in Haft genommen 
Es handelt sich um nicht weniger als 
17 Millionen Rubel, die der 
fallite Moskauer Millionär Mamontow 
als Verwaltungsrathspräsident des genann 
ten Bahnnetzes der Eisenbahnkasse ent 
nommen und in seine Fabrikunternehmun 
gen gesteckt hat. 
Oesterreich-Ungarn. 
Daily Chronicle meldet aus Wien, daß 
die Trauung der Erzherzogin Stefanie 
mit dem Grafen Elemer Lonyay in Lon 
don am 22. November stattfinden wird. 
Dagegen verweigerte Kaiser Franz Joses 
die Bewilligung zu einer Vermählung des 
Thronfolgers mit der Gräfin Sophia Chotek. 
Wien, 18. Okt. Nach der Präsiden^ 
tenwahl im Reichsrath hielt der Minister 
präsident Graf Clary seine Programm 
rede. Während dieser brach der Sturm 
der Jungczechen gegen das neue 
Kabinett los. Sie riefen den neuen 
Ministern die Worte „Lügner, Betrüger, 
Räubergesindel" zu. Auf Verlangen der 
Jungczechen wurde sofort die Debatte 
über Clary's Rede eröffnet. Wolf ries 
unausgesetzt: „Pfui Fuchs!" Das waren 
die ersten Scenen in der neuen Session. 
Fuchs wurde mit 264 Stimmen gewählt. 
Dänemark. 
Kopenhagen, 17. Okt. Mehrere skan 
dinavische Lebensversicherungsgesellschaften 
find großen Betrügereien zum Opfer ge 
fallen. In der schwedischen Fabrikstadt 
Eskildstuna wurde vor einigen Togen ein 
Arzt, Dr. Pallin, der seit mehreren Jah 
ren als Agent für verschiedene große Ver 
sicherungsgesellschaften thätig war, ver 
haftet. Er hatte ein sehr cinbringliches 
Geschäft getrieben, und zwar mit Attesten, 
die er für Leute ausfertigte, die so 
schwächlich waren, daß keine Gesellschaft 
ihr Leben versichern wollte. Er hatte 
sogar Unteragenten engagirt, deren Auf 
gabe es war, Leute aufzusuchen, welche 
entweder unheilbar krank oder dem Trünke 
ergeben waren. Diese in ihrer Gesund 
heit erschütterten Menschen wurden auf 
bedeutende Summen versichert. In seinem 
Geldschranke wurden 15 Lebensversiche 
rungspolicen gefunden auf Personen, die 
alle schwer brustkrank waren. So war 
z. B. ein brustkranker Arbeiter, der kaum 
ein Jahr noch leben konnte, für 110 000 
Kronen versichert. Die betreffenden Policen 
hatte Dr. Pallin erworben, indem er den 
Versicherten kleine Darlehen gewährte. 
Fast 40 Personen sind in diese Sache ver 
wickelt, darunter auch mehrere Aerzte, die 
alle dieselben Betrügereien wie Pallin 
verübt haben. Fünf große Gesellschaften 
sind aus diese Weise beschwindelt worden. 
Pallin hat alles eingestanden; er ver 
sichert jedoch, nur aus Nachlässigkeit ge 
handelt zu haben, er habe nicht beabsich 
tigt, sich pekuniären Vortheil zu ver- 
schaffen. Inzwischen aber hat die Unter 
suchung neue Momente zu Tage gebracht. 
Ein Privattelegramm berichtet darüber 
Folgendes: 
Kopenhagen, 18. Okt. Die Betrüge 
reien gegen die Versicherungsgesellschaften 
in Kopenhagen haben einen viel größeren 
Umsang, als bisher vermuthet wurde. 
Die Beträge erreichen über eine halbe 
Million. Auch mehrere fremde Ge 
sellschaften, so die Victoria, Standard, 
Gresham sind um bedeutende Summen 
beschwindelt. Dr. P a l l i n wird be 
schuldigt, mehrere Personen ermordet 
zu haben. 
Italien. 
Campanien, besonders die Umgegend 
der Stadt Salerno, wurde von einem 
furchtbaren Unwetter heimgesucht. Ein 
verheerender Sturmwind, der von Afrika 
über das Mittelländische Meer daher 
gebraust kam, sing sich in der Bucht von 
Salerno, entwurzelte die Oelbäume und 
Rebstöcke der Uferberge und warf manche 
Häuser über den Haufen. Aus den u n 
geheuren Wolkenmassen, die 
der Sturm mit sich führte, ergoß sich 12 
Stunden lang ein furchtbarer 
Sturzregen. Die Bäche verwandelten 
sich in reißende Ströme und zerstörten in 
kürzester Frist Brücken, Straßen, Eisen 
bahnen, Häuser und ganze Dörfer. Die 
Einwohner des betroffenen Landstrichs, die 
auf die Katastrophe in keinerlei Weise 
vorbereitet waren und nie eine solche 
Sintfluth miterlebt hatten, glaubten zu 
meist, der jüngste Tag sei hereingebrochen 
und ließen wehrlos das Unglück über sich 
ergehen. In den Dörfern Ponte-Cagnano, 
Giffoni, Pellezzano und Sicti kamen 
ganze Familien in der Wasserfluth um. 
In der Stadt Vietri warf das an 
stürmende Wasser eine Seidenspinnerei 
über den Haufen und tödtete fünf Ar 
beiterinnen. Im Ganzen wurden bis 
jetzt vierzig Leichen geborgen, aber 
viele Personen werden noch vermißt. Die 
obengenannten vier Dörfer sind gänzlich 
zerstört. Kein Haus, nicht einmal die 
Kirchen, sind stehen geblieben. Auch die 
Gärten und Felder mit ihren Oelbäumen, 
Rebstöcken und Orangenhaincn sind ver 
schwunden. An ihrer Stelle sieht man 
jetzt den nackten Felsen. Wer das Un 
glück überlebt hat, sieht sich so dem 
Elend gegenüber. Gestern noch 
reiche Familien sind heute am 
Bettelstäbe. Auch in der Stadt 
Salerno richtete der Wvlkenbruch schweren 
Schaden an, doch hatte man nur 2 Todte 
zu. beklagen. Das Wasser reichte zeit 
weilig bis zu dem ersten Stockwerk der 
Häuser hinan. Am Sonntag hat es sich 
verzogen. Aber eine Schlammschicht von 
30 Centimenter Höhe bedeckt alle Straßen 
der Stadt und das Erdgeschoß der über 
schwemmten Häuser. 
Inland. 
Berlin, 18. Oct. Offiziöse Organe 
verbreiten die Nachricht, daß Minister 
v. Miguel kein schriftliches Ent- 
laffungsgesuch eingereicht habe. Es habe 
aber eine mündliche Aussprache 
zwischen dem Kaiser und Miguel statt 
gefunden. Miguel habe sich „bereit er 
klärt", zurückzutreten, „falls er das Ber- 
trauen seines Monarchen nicht mehr be 
säße." . Der Kaiser habe darauf Miguel 
verständigt, daß er dessen Verbleiben im 
Amt wünsche. — Manche glauben, daß 
die Regierungskrisis nur vertagt ist. 
— Zur Kanalvorlage verbreitet 
das „Berl. Tagebl." eine wunderbare 
Nachricht. Es werde „in parlamentarischen 
Kreisen" der Plan erörtert, um alle finan 
ziellen Bedenken niederzuschlagen, für den 
Massen-Güterverkehr die Einführung ein 
heitlicher Tarife für Kanäle und Eisen- 
bahnen herbeizuführen und den Stück 
güterverkehr den Eisenbahnen zu sichern. 
Das ist, schreibt die „Frs. Ztg.", ja 
ein v o l l st ä n d i g e r U n s i n n. Tarife 
m die Kanalbeförderung können über 
haupt nicht festgesetzt werden, da diese 
Normirung Sache der Kanalschifffahrt ist. 
Der Staat setzt nur die Abgaben für die 
Benutzung der Kanäle fest. Aber auch 
abgesehen davon würde eine Normirung 
der Kosten des Kanalprojekts in Höhe der 
Eisenbahntarife überhaupt den ganzen 
Nutzen des Kanalbaues illusorisch machen. 
— Für den Mittellandkanal hat 
der frühere Minister des Innern, Ober 
präsident von Westfalen, Frhr. v. d. Reck e, 
am Montag beim Festessen zur Einweihung 
des Münsterschen Hafens für den Dort- 
mund-Emskanal eine Lanze eingelegt. Frhr. 
v. d. Recke erklärte: „Jeder möge es 
sich zur Devise machen: Die Fort- 
füh rung und Ergänzung des Kanals 
muß und wird gebaut werden! Diese 
Hoffnung und Ueberzeugung dürfen wir 
um so zuversichtlicher hegen, als alle wissen, 
daß man dabei einen mächtigen Protektor 
habe." 
Berlin, 18. Okt. (Prozeß gegen den 
Klub der Harmlosen". 13. Verhandlungs 
tag.) Nach Eröffnung der Sitzung gelangt 
zunächst eine Anzahl Aktenstücke zur Ver 
lesung, unter denen sich auch das Erkennt 
niß gegen Wolfs und den bekannten Falsch 
spieler Reuter in Sachen Prins-Reichenheim 
befindet. Oberstaatsanwalt Jsenbiel theilt 
dann mit, daß ihm vom Grafen von Zedlitz 
die Meldung zugegangen sei, daß er sich, 
von einer norwegischen Reise zurückgekehrt, 
gegenwärtig in Berlin aufhalte und dem 
Gericht zur Verfügung stelle. Er, der Ober 
staatsanwalt, habe aber jetzt kein Inter 
esse mehr an diesem Zeugen. Die Verthei 
diger behalten sich ihre Anträge vor. Der 
Beamte Krüger von der „Deutschen Bank" 
und die Geliebte von Kayser's, Frau Voigt, 
werden nochmals eingehend vernommen 
über das Bankkonto der Frau Voigt. Das 
Gericht vermuthet, daß hierauf die Einzah 
lungen des Herrn von Kayser von seinen 
Spielgewinnen erfolgt sind. Oberstaatsan 
walt Jsenbiel fragt hierauf die Zeugin, ob 
sie es auf ihren Eid nehme, daß unter diesen 
Einzahlungen irgend 4velche Geldgeschenke 
des Angenagten sich nicht befanden. Die 
Zeugin bejaht dies. Es wird dann noch 
mals der Regierungsreferendar von Kar- 
dorfs aufgerufen und vom Angeklagten 
gefragt, ob er, Zeuge, ihm nicht einmal 
auf der Friedrichstraße gerathen habe, doch 
endlich das Spiel zu meiden. Zeuge von 
Kardorff bestätigt dies. Rechtsanwalt 
Schachtel richtet an den Zeugen noch eine 
Reihe von Fragen über die üblichen Spie 
regeln in jenen Gesellschaftskreisen. Im 
weiteren Verlaufe seiner Vernehmung be 
zeichnet es Zeuge von Kardorff als einen 
besonderen Akt des Vertrauens, wenn das 
Korps „Saxonia" gegen Herrn von Kay 
ser keinerlei Schritte unternommen habe. 
Zeuge wendet sich dann gegen Herrn von 
Manteuffel, der zu ihm bei der ersten Ver 
nehmung gesagt habe, er habe Herrn von 
Kroecher gewarnt, und dennoch verkehre er 
mit Wolfs. Herr von Manteuffel habe den 
Eindruck hervorrufen wollen, als ob die An 
geklagten mit Wolfs unter einer Decke steck 
ten. Zeuge von Manteuffel bestreitet dies. 
Auf Veranlassung der Vertheidigung wird 
nochmals Graf Königsmark über das Ver 
schwinden des Oberkellners Montaldi be 
fragt. Er bestreitet, zu Herrn von Man 
teuffel gesagt zu haben, es sei ihm mitge 
theilt worden, v. Kroecher und v. Schacht 
meyer hätten denselben mit 300 Mk. über 
die Grenze geschafft. Zeuge von Manteuffel 
entgegnet, ein Irrthum sei ausgeschlossen; 
er habe sich sofort Notizen gemacht. Es 
folgt die nochmalige Vernehmung des Zeu 
gen von Recum, welcher bekundet, bei seiner 
ersten Vernehmung auf dem Polizeipräsi 
dium habe Herr von Manteuffel die Her 
ren von Kroecher, von Kayser und von 
Schachtmeyer verdächtigt, indem er sagte, 
die Herren hätten mit dem Falschspieler 
Wolfs unter einer Decke gesteckt. Zeuge von 
Manteuffel stellt die Sache etwas anders 
dar, während Zeuge von Recum bei seiner 
Darstellung verbleibt. Justizrath Tr. 
Sello beantragt, einen Herrn Petersohn in 
Breslau zu vernehmen, der die Glaubwür 
digkeit des Bicekonsuls a. D. Moos er 
schüttern soll. Der Gerichtshof beschließt je 
doch, diese Vernehmung abzulehnen, weil 
für den Gerichtshof die Aussage des Zeu 
gen Moos nur so weit von Bedeutung 
sei, als sie mit den eigenen Angaben v. 
Kaysers übereinstimmen. Nachdem noch 
die Aussagen einiger kommissarisch vernom 
mener Zeugen verlesen worden waren, be 
antragt Rechtsanwalt Schachtel die Ver 
lesung von einer Anzahl an den Ange 
klagten von Kayser ergangene Einladungs 
karten, um zu beweisen, daß derselbe seine 
freie Zeit nicht etwa blos dem Spielen wid 
mete, sondern in den vornehmsten Kreisen 
gesellschaftliche Pflichten erfüllte. Außer ver 
schiedenen Hofansagen, befinden sich unter 
den Einladungen solche vom Grafen Posa- 
dowsky, Staatssekretär von Stephan, Mi 
nister von Schelling, von Lucanus, Dr. 
Bosse, Bronsart von Schellendorff, Admiral 
v. d. Goltz, Minister von Bötticher, von 
Lucius, Frhr. von Stumm, Anton von 
Werner, Bankpräsident Koch, von Hanse 
mann, von Berlepsch, Prinz von Hohen- 
zollern. Alsdann richtet der Präsident an 
die Parteien die Frage, ob sie an die Zeu 
gen noch Fragen zu stellen hätten. Die Ver 
theidigung macht von diesem Anheimstel-- 
len einen ausgedehnten Gebrauch. Aus die 
Frage des Justisraths Sello, ob Consul a. 
D. Moos, der Verfasser der in der „Deut 
schen Warte" und in ber „Berl. Morgen 
post" erscheinenden Artikel über die Spie- 
lerafsäre sei, erwidert Zeuge, daß er zum 
Theil das Material dazu geliefert habe. Er 
erkläre übrigens, daß er bereits gegen Herrn 
Petersohn in Breslau wegen seiner unrich 
tigen Behauptungen Klage eingereicht 
habe. Die Vertheidiger erklären, daß sie 
auf alle weiteren Beweismittel verzichten, 
sprechen aber den Wunsch aus, daß sie vor 
Beginn der Plaidoyers eine Pause wün 
schen. Der Präsident vertagt den Beginn 
der Playdoyers auf Sonnabend, den 21. 
d. M., früh 9 Uhr. 
Das Berliner Fremdenblatt schreibt: Die 
„l u n g e Welt", die im „Harmlo- 
en-Prozeß" Zeugniß ablegte, scheint 
sich während ihres mehr oder minder un 
freiwilligen Aufenthaltes in Berlin recht 
gut zu „amüsiren". Eine kleine Episode, 
die sich hinter den Koulissen abspielte, spricht 
dafür. Einem Zeugen, der von außerhalb 
gekommen war und nach dem vierten Tage 
im allseitigen Einverständniß der Gerichts- 
saktoren wieder entlassen wurde, wurden in 
der Gerichtskasse an Reisegeld und Auf 
wands-Entschädigung 143 Mark ausgezahlt. 
„Was!" rief der Herr, „n u r 143 Mk.!" 
„Das ist der gesetzlich zulässige höchste 
Satz!" erwiderte der Beamte. — „Aber was 
meinen Sie denn," fuhr der Zeuge fort, 
mich haben die paar Tage schon vier 
tausend Mark gekostet!" — Daß diese 
Aeußerung in das Gebiet des „kalten Auf 
schnittes" fällt, ist nicht gut anzunehmen, 
denn der Zeuge ist ein „adeliger Kavalier", 
deshalb läßt sie den Schluß zu, daß wäh 
rend des anfänglich sensationellen und jetzt 
recht „harmlosen" Spielerprozesses in Ber 
lin recht fleißig — weitergespielt wird. 
■ — Zu dem endlosen Spielerprozeß 
in Berlin schreibt die „Deutsche Tagesztg.": 
Es scheint vielen Kreisen die Empfindung 
ganz abhanden gekommen zu 
sein, daß Unsittlichkeit, Dirnenthum, Ehe 
bruch an sich und unter allen Umstünden 
schmutzige Verbrechen sind, — 
Verbrechen an der eigenen Seele, am Hause 
und an der Gesammtheit. Die vornehme 
Gesellschaft hält auf reine Leibwäsche und 
schmutzlose Fingernägel, den häßlichsten 
Schmutz der gemeinen Sünde gegen 
das 6. Gebot läßt sie sich lächelnd gefallen. 
Der deutsche Adel hält auf seines Wappen 
schildes Reinheit; dafür, daß dieses Wap 
penschild durch gemeine Sinnlichkeit mit 
dem dicksten Schmutze überzogen wird, 
scheint kaum mehr Verständniß vorhanden 
zu sein. Wer einen Falscheid geschworen 
hat, wird verfehmt. Und mit Recht! Wer 
als Ehebrecher einen Meineid geschwo 
ren hat, bleibt nach wie vor das geachtete 
Glied der Gesellschaft. Das einzige, was 
vermieden werden muß, ist der Skan 
dal. So lange die schmutzige Sünde ver 
hüllt bleibt, ist sie salonfähig. — Hier muß 
angesetzt, eingegriffen, ausgeschnitten wer 
den, wenn es besser werden soll. Der junge 
Mann, der im Dirnenthum seine Kraft und 
Zeit vergeudet, sein Herz verödet, seine 
Seele tobtet, der Ehebrecher, der in des 
Hauses keusches Heiligthum frevelnd dringt 
oder den am Altare geschworenen Eid ver 
brecherisch bricht, ist ein Lump und 
muß als solcher betrachtet und aus der Ge 
sellschaft gewiesen werden. Wenn das ge 
schähe, so würde zwar die Sünde nicht aus 
der Welt geschafft, aber doch viel mehr ge 
mieden werden, als heute, wo sie das 
Brandmal nur dann trägt, wenn sie zum 
Skandal wird. Hier, in dieser laxen 5l«f 
fassung liegt die Gesammtschuld, liegt die 
Schuld des Volks und der Gesellschaft. 
— Angesichts der offenkundigen That 
fache, daß die gerichtliche Verhandlung des 
Spielerprozesses den Ergebnissen der Bor 
Untersuchung in keiner Weise entspricht, 
häuft man in einem Theile der Presse Vor 
würfe gegen die Kriminalpolizei 
als solche. Das ist unseres Erachtens 
schreibt die „D. Tagesztg.", nach Kenntniß 
der Sachlage durchaus unberechtigt. 
Daß der Kriminalkommissar von Manteuf 
fel vielleicht seine Befugnisse überschritten 
und nicht immer ganz einwandfrei gehandelt 
hat, mag zugegeben werden. Die Leitung 
der Kriminalpolizei ist aber dafür nicht ver- 
antwortlich zu machen; denn sie war, nach' 
dem Herr von Manteuffel dem Untersu 
chungsrichter zur Verfügung gestellt worden 
war, gar nicht in der Lage, ihm 
Direktiven zu geben. Wenn also 
Vorwürfe mit einigem Rechte erhoben wer 
den können, so dürfen sie sich nicht gegen 
das Institut der Kriminalpolizei richten, 
sondern lediglich gegen diejenigen Stellen, 
welche die Untersuchung führten 
und die Verhandlung vorbereiteten. Zu die 
sen Stellen gehörte aber die Kriminalpo 
lizei nicht. 
Magdeburg, 17. Oct. Gestern Abend 
durchfuhr am Bahnübergänge in Suden 
burg ein Wagen der elektrischen Straßen 
bahn die geschlossene Schranke und stieß 
aus einen eben vorbeifahrenden Zug. Der 
Vorderperron des Straßenbahnwagens 
wurde weggerissen, die beiden auf dem 
selben befindlichen Angestellten verletzt. Der 
Unfall geschah infolge Versagens der elek- 
irischen Bremsvorrichtung des Straßen 
bahnwagens. Auch zwei Fahrgäste erlitten 
Verletzungen. 5 Güterwagen des Eisen- 
bahnzuges wurden beschädigt. 
Heidelberg, 14. Oktbr. Der Bürger- 
ausschuß in H a n d s ch u h s h ei m sprach 
sich mit allen gegen eine Stimme für den 
Anschluß dieses 3500 Einwohner zäh 
lenden Ortes an die Stadtgemeinde Heidel 
berg aus. 
Einen „Königin Augusta-Marsch" hat 
Prinz Joachim Albrecht, der zweite Sohn 
des Prinzregenten von Braunschweig, 
komponirt und dem Königin Augusta. 
Regiment, in dem der Komponist jetzt mit 
der Führung der 1. Kompagnie beauf 
tragt ist, gewidmet. 
In Arnswalde wurde der Kandidat 
der Rechte Schmidt auf Anordnung 
der Staatsanwaltschaft verhaftet und 
in das Gerichtsgesängniß zu Landsberg a. 
W. eingeliefert. Der junge Mann, der 
sich gegenwärtig im Hause seiner Eltern 
auf das Referendar-Examen vorbereitete, 
steht in dem schweren Verdacht, an dem 
vor einiger Zeit verübten Ueber fall 
auf ein junges Mädchen aus Schön- 
feld bei Arnswalde betheiligt gewesen zu 
sein. Unter dem gleichen Verdachte ist 
bereits der Handlungsgehülfe Giese in 
Arnswalde verhaftet und in Untcrsuchungs- 
hast genommen worden. Die Verhandlung 
in dieser Sache wird demnächst vor der 
Strafkammer zu Landsberg stattfinden. 
Hamburg, 17. Oct. Ein Riesenwerk 
hat nunmehr die hier domilizirte Aktien 
gesellschaft vollendet. Das Konsortium 
erwarb vor etwa drei Jahren die zwischen 
dem Reiherstieg und Köhlbrand belegene 
Elbinsel.Neuhos, die Privatbesitz der Familie 
v. Grote war und einen Preis von 2 '/ 2 
Millionen Mark bedang. Die Gesellschaft 
hat das Terrain der Insel für die Anlage 
von industriellen Etablissements hergerichtet 
und stellt nunmehr das Terrain in einzel 
nen „Blocks" zum Verkauf. Um den 
Zugang zu den Blocks auf die bequemste 
Weise zu ermöglichen, ist mitten durch die 
Insel ein Schiffahrtskanal gezogen, von 
dem Seitenkanäle ausgehen und recht 
winkelig nach allen einzelnen Parzellen 
führen. Die Rohstoffe für etwaige Fabriken 
können somit theilweise sogar ohne jede 
Umladung an Ort und Stelle geschafft 
werden. Auch eine Eisenbahnanlage führt 
auf das Terrain, so daß dieses sowohl 
mit der Bahn als auch mit der Elbe in 
direkter Verbindung steht. 
Die beiden Gastwirth vereine in 
Hamburg beschloffen in ihren gestern ab 
gehaltenen getrennten Versammlungen, be 
züglich des S p i r i t u s r i n g e s, mit diesem, 
speziell mit der „Centrale für Spiritus- 
verwerthung" nichts zu thun haben zu 
wollen und nur von ringfreien Spiritus- 
fabrikanten resp. Destillateuren zu beziehen. 
lc. Hamburg, 17. Oct. Zu der Liebes 
tragödie in Meiendorf bei Alt-Rahl 
stedt, worüber wir bereits mehrfach be 
richtet haben, ist noch mitzutheilen, daß 
das angebliche Artistengeschwisterpaar, 
das sich bekanntlich im Krankenhause zu 
Wandsbek befindet, bereits eine recht be 
wegte Vergangenheit hinter sich hat. 
Hinze sowohl als auch die Günther sind 
vorbestraft; letztere wegen Betrugs, 
Hehlerei und gewerbsmäßiger Unzucht, 
darunter mit sechs Monaten Gefängniß. 
Beide werden sich nach ihrer Herstellung 
wegen Betrugs vor Gericht zu verant 
worten haben. Sie hatten sich nämlich 
vor einigen Wochen in dem hiesigen 
Hotel „Thüringer Hof" einlogirt, sind 
dann aber unter Hinterlassung der con- 
trahirten Schuld verschwunden. Die Ham 
burger Behörde hat noch weitere Nach 
forschungen in dieser Angelegenheit an 
gestellt. 
Provinzielles. 
Man beabsichtigt, die der Stadt Altona 
gehörigen Ländereien beim sogenannten 
Windberg, unweit Eidelstedt, zu einem 
Stadtpark umzugestalten. Umfangreiche 
Anforstungen sind bereits vorgenommen. 
Von dem sehr hochgelegenen Terrain hat 
man einen recht hübschen Ausblick. 
Bei dem Altonaischen Unterstützungsin 
stitut sind Gesuche um Bewilligung von 
insgesammt 110 000 Mk. aus dem Fonds 
für gemeinnützige Zwecke eingegangen, 
während die zur Verfügung stehende 
Summe nur 40 000 Mk. beträgt. 
In einer Wirthschaft in Ottensen kehrten 
zwei Freunds ein. Als der Eine sich nieder 
setzen wollte, zog der Andere rasch den 
Stuhl fort. Der Manu fiel zu Boden 
und erlitt einen Beinbruch. Außerdem 
hat ihm der Schreck vollständig die Sprache 
geraubt. 
Ein räuberischer Ueberfall wurde 
in der Nacht zum Sonntag auf den 
Straßenbahnschaffner Dütsch in Bahren- 
feld, als er seine Kasse zum Depot bringen 
wollte, von drei Strolchen gemacht. Der 
Schaffner, früher Polizeibeamter, faßte 
jedoch den einen Räuber und warf ihn 
zu Boden und hielt ihn fest, bis Hülfe 
kam. Die beiden anderen Diebe sind 
entflohen, ohne indeß einen Erfolg erlangt 
zu haben. Leider erhielt der Ueber- 
iallene mehrere Verletzungen. 
Von dem Heroldsamt in Berlin ist ver 
langt worden, das Elmshorner Stadt 
wappen abzuändern, eventl. dessen Ur 
sprung nachzuweisen. Nun hat ein hiesi 
ger Tischlermeister einen Meisterbrief aus 
dem Anfang dieses Jahrhunderts vorge 
zeigt, der bereits das jetzige Wappen 
(Neffelblatt mit durchgelegtem Flußarm) 
trage. Die städtischen Kollegien glauben 
daraufhin zur Beibehaltung des Wappens 
berechtigt zu sein. 
Wie die Heider Marktpolizei am letzten 
Sonnabend den Kartoffeln feilbietenden 
Landleuten mittheilte, dürfen vom nächsten 
Sonnabend an die Kartoffeln nur nach 
Gewicht (200 Pfund) verkauft werden, 
nicht mehr, wie es sonst üblich war nach 
Maaß (alte Tonne). 
Die Straßenverwaltnng in Heide be 
willigte 100 000 Mk. für Straßenpfla- 
terung. 
Als Rendant der neugegründeten städ 
tischen Sparkasse zu Kellinghusen wurde 
der dortige Stadtkassirer Krohne gewählt. 
Die Sparkaffenräume werden im Rath- 
hause hergerichtet. 
Die Einnahme an Wechselstempel- 
teuer im Ober-Postdireklionsbezirk Kiel 
betrug für die Zeit vom 1. April bis 
zum Schluß des Monats September 
71351 Mk., gegen 67 414 Mk. in dem 
selben Zeitraum des Vorjahres. 
Ein durchgehendes Fuhrwerk überfuhr 
in der Wilhelmstraße zu Flensburg einen 
Kinderwagen. Das darin befindliche Kind 
des Buchhalters Schulz war sofort todt. 
Flensburg, 16. Oct. Pastor Paulsen 
in Kropp war vom Schöffengericht in 
Schleswig wegen öffentlicher Beleidigung 
des Badedirektors Scharfenort ans Sylt 
durch einen Artikel im „Kropper Kirchl. 
Anzeiger" zu 200 Mk. Geldbuße ver 
urteilt, dagegen wegen Zusendung eines 
Briefes beleidigenden Inhalts freigesprochen 
worden. Die hiesige Strafkammer II be 
stätigte das schöffengerichtliche Urtheil be 
züglich der erkannten Geldbuße, ver- 
urtheilte den Pastor Paulsen aber auch 
wegen der im Briefe enthaltenen Be 
leidigung zu 100 Mk. Geldbuße. 
Um dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch 
zu genügen, hat sich nach Beschluß der 
Aktionäre die Sparkasse in Bredstedt 
in eine Genossenschaft mit beschränkter 
Haftpflicht verwandelt. Sie durften sich 
mit beschränkter Haftpflicht begnügen, da 
ein Reservekapital von 300000 Mk. bei 
einem Umsatz von reichlich einer Million 
hinreichende Bürgschaft gewährt. — Unser 
Kreditverein, eine Genoffenschaft mit un 
beschränkter Haftpflicht, hat die Sparkaffe 
in der Geldsuche insofern überboten, als 
er sür Einlagen schon vom 1. Oktober 
d. Js. ab 4 pCt. gewährt, während die 
Sparkaffe erst vom 1. Januar 1900 ab 
den Zinsfuß für Einlagen auf 4pCt. erhöht. 
Wie schon berichtet, ist die Badesaison 
auf Sylt trotz großartigen Besuchs nicht so 
segensreich ausgefallen, denn Konkurse sind 
hier an der Tagesordnung. Man spricht 
von einem Dutzend flauer Existenzen unter 
Hotelwirthcn und Geschäftsinhabern. 
Die Bürgermei st erpo st en in 
kleinen Städten scheinen sehr begehrt zu 
sein. Um den Bürgermeisterposten in 
Bevensen der durch Weggang des Bürger 
meisters v. Borcke nach Weffelbnren frei 
ist, haben sich nicht weniger als 8 5 Per 
sonen beworben. Bürgermeister von 
Borcke, welcher bereits seit reichlich 
einer Woche in Weffelbnren weilt, hat bis 
jetzt die Bestätigung noch nicht gesunden. 
Die Geschäfte desselben werden unterdessen 
von dem stellvertretenden Bürgermeister,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.