iten dauernd leidenden Zustand bittet, dem
Thron entsagen zu dürfen. Die Kaiserin-
Wittwe wird das ausschlagen, melden die
„N. CH. D. N." und die Farce wird dann
noch zweimal wiederholt werden, bevor die
Kaiserin-Wittwe ihre Zustimmung zur Ab
dankung Kuang Hsüs giebt. Man erwar
tet seine Entthronung bald. Die
Truppen unter Prinz Ching und Dung Lu
werden in Bereitschaft gehalten. Herzog
Tsai Lau, der Vater des jungen Tu T'süan,
ist ein intimer Freund des Prinzen Ching,
was zu neuen Reibereien zwischen diesem
und Dung Lu führen mag. Angeblich rüsten
die Russen in Mukden (Mongolei) eine grö-
ßere Truppenmacht aus, die nach Peking
gehen soll. Eine andere Lesart, die aus
chinesischen Kreisen stammt, will wissen, daß
russische Truppen Befehl erhalten haben,
von Port Arthur nach Peking zu marschi-
ren. Wie weit diese Nachrichten den That
sachen entsprechen, bleibt abzuwarten. Daß
aber alles in diesem Augenblick einer Krisis
in Peking zustrebt, läßt sich kaum verkennen.
Rußland.
Moskau, 17. Oktbr. Der frühere
Direktor der Eisenbahn Moskau
Archangelsk, Nikiför Arcybaszew, wurde
nach einem langen Verhör vor dem Un
tersuchungsrichter in Haft genommen
Es handelt sich um nicht weniger als
17 Millionen Rubel, die der
fallite Moskauer Millionär Mamontow
als Verwaltungsrathspräsident des genann
ten Bahnnetzes der Eisenbahnkasse ent
nommen und in seine Fabrikunternehmun
gen gesteckt hat.
Oesterreich-Ungarn.
Daily Chronicle meldet aus Wien, daß
die Trauung der Erzherzogin Stefanie
mit dem Grafen Elemer Lonyay in Lon
don am 22. November stattfinden wird.
Dagegen verweigerte Kaiser Franz Joses
die Bewilligung zu einer Vermählung des
Thronfolgers mit der Gräfin Sophia Chotek.
Wien, 18. Okt. Nach der Präsiden^
tenwahl im Reichsrath hielt der Minister
präsident Graf Clary seine Programm
rede. Während dieser brach der Sturm
der Jungczechen gegen das neue
Kabinett los. Sie riefen den neuen
Ministern die Worte „Lügner, Betrüger,
Räubergesindel" zu. Auf Verlangen der
Jungczechen wurde sofort die Debatte
über Clary's Rede eröffnet. Wolf ries
unausgesetzt: „Pfui Fuchs!" Das waren
die ersten Scenen in der neuen Session.
Fuchs wurde mit 264 Stimmen gewählt.
Dänemark.
Kopenhagen, 17. Okt. Mehrere skan
dinavische Lebensversicherungsgesellschaften
find großen Betrügereien zum Opfer ge
fallen. In der schwedischen Fabrikstadt
Eskildstuna wurde vor einigen Togen ein
Arzt, Dr. Pallin, der seit mehreren Jah
ren als Agent für verschiedene große Ver
sicherungsgesellschaften thätig war, ver
haftet. Er hatte ein sehr cinbringliches
Geschäft getrieben, und zwar mit Attesten,
die er für Leute ausfertigte, die so
schwächlich waren, daß keine Gesellschaft
ihr Leben versichern wollte. Er hatte
sogar Unteragenten engagirt, deren Auf
gabe es war, Leute aufzusuchen, welche
entweder unheilbar krank oder dem Trünke
ergeben waren. Diese in ihrer Gesund
heit erschütterten Menschen wurden auf
bedeutende Summen versichert. In seinem
Geldschranke wurden 15 Lebensversiche
rungspolicen gefunden auf Personen, die
alle schwer brustkrank waren. So war
z. B. ein brustkranker Arbeiter, der kaum
ein Jahr noch leben konnte, für 110 000
Kronen versichert. Die betreffenden Policen
hatte Dr. Pallin erworben, indem er den
Versicherten kleine Darlehen gewährte.
Fast 40 Personen sind in diese Sache ver
wickelt, darunter auch mehrere Aerzte, die
alle dieselben Betrügereien wie Pallin
verübt haben. Fünf große Gesellschaften
sind aus diese Weise beschwindelt worden.
Pallin hat alles eingestanden; er ver
sichert jedoch, nur aus Nachlässigkeit ge
handelt zu haben, er habe nicht beabsich
tigt, sich pekuniären Vortheil zu ver-
schaffen. Inzwischen aber hat die Unter
suchung neue Momente zu Tage gebracht.
Ein Privattelegramm berichtet darüber
Folgendes:
Kopenhagen, 18. Okt. Die Betrüge
reien gegen die Versicherungsgesellschaften
in Kopenhagen haben einen viel größeren
Umsang, als bisher vermuthet wurde.
Die Beträge erreichen über eine halbe
Million. Auch mehrere fremde Ge
sellschaften, so die Victoria, Standard,
Gresham sind um bedeutende Summen
beschwindelt. Dr. P a l l i n wird be
schuldigt, mehrere Personen ermordet
zu haben.
Italien.
Campanien, besonders die Umgegend
der Stadt Salerno, wurde von einem
furchtbaren Unwetter heimgesucht. Ein
verheerender Sturmwind, der von Afrika
über das Mittelländische Meer daher
gebraust kam, sing sich in der Bucht von
Salerno, entwurzelte die Oelbäume und
Rebstöcke der Uferberge und warf manche
Häuser über den Haufen. Aus den u n
geheuren Wolkenmassen, die
der Sturm mit sich führte, ergoß sich 12
Stunden lang ein furchtbarer
Sturzregen. Die Bäche verwandelten
sich in reißende Ströme und zerstörten in
kürzester Frist Brücken, Straßen, Eisen
bahnen, Häuser und ganze Dörfer. Die
Einwohner des betroffenen Landstrichs, die
auf die Katastrophe in keinerlei Weise
vorbereitet waren und nie eine solche
Sintfluth miterlebt hatten, glaubten zu
meist, der jüngste Tag sei hereingebrochen
und ließen wehrlos das Unglück über sich
ergehen. In den Dörfern Ponte-Cagnano,
Giffoni, Pellezzano und Sicti kamen
ganze Familien in der Wasserfluth um.
In der Stadt Vietri warf das an
stürmende Wasser eine Seidenspinnerei
über den Haufen und tödtete fünf Ar
beiterinnen. Im Ganzen wurden bis
jetzt vierzig Leichen geborgen, aber
viele Personen werden noch vermißt. Die
obengenannten vier Dörfer sind gänzlich
zerstört. Kein Haus, nicht einmal die
Kirchen, sind stehen geblieben. Auch die
Gärten und Felder mit ihren Oelbäumen,
Rebstöcken und Orangenhaincn sind ver
schwunden. An ihrer Stelle sieht man
jetzt den nackten Felsen. Wer das Un
glück überlebt hat, sieht sich so dem
Elend gegenüber. Gestern noch
reiche Familien sind heute am
Bettelstäbe. Auch in der Stadt
Salerno richtete der Wvlkenbruch schweren
Schaden an, doch hatte man nur 2 Todte
zu. beklagen. Das Wasser reichte zeit
weilig bis zu dem ersten Stockwerk der
Häuser hinan. Am Sonntag hat es sich
verzogen. Aber eine Schlammschicht von
30 Centimenter Höhe bedeckt alle Straßen
der Stadt und das Erdgeschoß der über
schwemmten Häuser.
Inland.
Berlin, 18. Oct. Offiziöse Organe
verbreiten die Nachricht, daß Minister
v. Miguel kein schriftliches Ent-
laffungsgesuch eingereicht habe. Es habe
aber eine mündliche Aussprache
zwischen dem Kaiser und Miguel statt
gefunden. Miguel habe sich „bereit er
klärt", zurückzutreten, „falls er das Ber-
trauen seines Monarchen nicht mehr be
säße." . Der Kaiser habe darauf Miguel
verständigt, daß er dessen Verbleiben im
Amt wünsche. — Manche glauben, daß
die Regierungskrisis nur vertagt ist.
— Zur Kanalvorlage verbreitet
das „Berl. Tagebl." eine wunderbare
Nachricht. Es werde „in parlamentarischen
Kreisen" der Plan erörtert, um alle finan
ziellen Bedenken niederzuschlagen, für den
Massen-Güterverkehr die Einführung ein
heitlicher Tarife für Kanäle und Eisen-
bahnen herbeizuführen und den Stück
güterverkehr den Eisenbahnen zu sichern.
Das ist, schreibt die „Frs. Ztg.", ja
ein v o l l st ä n d i g e r U n s i n n. Tarife
m die Kanalbeförderung können über
haupt nicht festgesetzt werden, da diese
Normirung Sache der Kanalschifffahrt ist.
Der Staat setzt nur die Abgaben für die
Benutzung der Kanäle fest. Aber auch
abgesehen davon würde eine Normirung
der Kosten des Kanalprojekts in Höhe der
Eisenbahntarife überhaupt den ganzen
Nutzen des Kanalbaues illusorisch machen.
— Für den Mittellandkanal hat
der frühere Minister des Innern, Ober
präsident von Westfalen, Frhr. v. d. Reck e,
am Montag beim Festessen zur Einweihung
des Münsterschen Hafens für den Dort-
mund-Emskanal eine Lanze eingelegt. Frhr.
v. d. Recke erklärte: „Jeder möge es
sich zur Devise machen: Die Fort-
füh rung und Ergänzung des Kanals
muß und wird gebaut werden! Diese
Hoffnung und Ueberzeugung dürfen wir
um so zuversichtlicher hegen, als alle wissen,
daß man dabei einen mächtigen Protektor
habe."
Berlin, 18. Okt. (Prozeß gegen den
Klub der Harmlosen". 13. Verhandlungs
tag.) Nach Eröffnung der Sitzung gelangt
zunächst eine Anzahl Aktenstücke zur Ver
lesung, unter denen sich auch das Erkennt
niß gegen Wolfs und den bekannten Falsch
spieler Reuter in Sachen Prins-Reichenheim
befindet. Oberstaatsanwalt Jsenbiel theilt
dann mit, daß ihm vom Grafen von Zedlitz
die Meldung zugegangen sei, daß er sich,
von einer norwegischen Reise zurückgekehrt,
gegenwärtig in Berlin aufhalte und dem
Gericht zur Verfügung stelle. Er, der Ober
staatsanwalt, habe aber jetzt kein Inter
esse mehr an diesem Zeugen. Die Verthei
diger behalten sich ihre Anträge vor. Der
Beamte Krüger von der „Deutschen Bank"
und die Geliebte von Kayser's, Frau Voigt,
werden nochmals eingehend vernommen
über das Bankkonto der Frau Voigt. Das
Gericht vermuthet, daß hierauf die Einzah
lungen des Herrn von Kayser von seinen
Spielgewinnen erfolgt sind. Oberstaatsan
walt Jsenbiel fragt hierauf die Zeugin, ob
sie es auf ihren Eid nehme, daß unter diesen
Einzahlungen irgend 4velche Geldgeschenke
des Angenagten sich nicht befanden. Die
Zeugin bejaht dies. Es wird dann noch
mals der Regierungsreferendar von Kar-
dorfs aufgerufen und vom Angeklagten
gefragt, ob er, Zeuge, ihm nicht einmal
auf der Friedrichstraße gerathen habe, doch
endlich das Spiel zu meiden. Zeuge von
Kardorff bestätigt dies. Rechtsanwalt
Schachtel richtet an den Zeugen noch eine
Reihe von Fragen über die üblichen Spie
regeln in jenen Gesellschaftskreisen. Im
weiteren Verlaufe seiner Vernehmung be
zeichnet es Zeuge von Kardorff als einen
besonderen Akt des Vertrauens, wenn das
Korps „Saxonia" gegen Herrn von Kay
ser keinerlei Schritte unternommen habe.
Zeuge wendet sich dann gegen Herrn von
Manteuffel, der zu ihm bei der ersten Ver
nehmung gesagt habe, er habe Herrn von
Kroecher gewarnt, und dennoch verkehre er
mit Wolfs. Herr von Manteuffel habe den
Eindruck hervorrufen wollen, als ob die An
geklagten mit Wolfs unter einer Decke steck
ten. Zeuge von Manteuffel bestreitet dies.
Auf Veranlassung der Vertheidigung wird
nochmals Graf Königsmark über das Ver
schwinden des Oberkellners Montaldi be
fragt. Er bestreitet, zu Herrn von Man
teuffel gesagt zu haben, es sei ihm mitge
theilt worden, v. Kroecher und v. Schacht
meyer hätten denselben mit 300 Mk. über
die Grenze geschafft. Zeuge von Manteuffel
entgegnet, ein Irrthum sei ausgeschlossen;
er habe sich sofort Notizen gemacht. Es
folgt die nochmalige Vernehmung des Zeu
gen von Recum, welcher bekundet, bei seiner
ersten Vernehmung auf dem Polizeipräsi
dium habe Herr von Manteuffel die Her
ren von Kroecher, von Kayser und von
Schachtmeyer verdächtigt, indem er sagte,
die Herren hätten mit dem Falschspieler
Wolfs unter einer Decke gesteckt. Zeuge von
Manteuffel stellt die Sache etwas anders
dar, während Zeuge von Recum bei seiner
Darstellung verbleibt. Justizrath Tr.
Sello beantragt, einen Herrn Petersohn in
Breslau zu vernehmen, der die Glaubwür
digkeit des Bicekonsuls a. D. Moos er
schüttern soll. Der Gerichtshof beschließt je
doch, diese Vernehmung abzulehnen, weil
für den Gerichtshof die Aussage des Zeu
gen Moos nur so weit von Bedeutung
sei, als sie mit den eigenen Angaben v.
Kaysers übereinstimmen. Nachdem noch
die Aussagen einiger kommissarisch vernom
mener Zeugen verlesen worden waren, be
antragt Rechtsanwalt Schachtel die Ver
lesung von einer Anzahl an den Ange
klagten von Kayser ergangene Einladungs
karten, um zu beweisen, daß derselbe seine
freie Zeit nicht etwa blos dem Spielen wid
mete, sondern in den vornehmsten Kreisen
gesellschaftliche Pflichten erfüllte. Außer ver
schiedenen Hofansagen, befinden sich unter
den Einladungen solche vom Grafen Posa-
dowsky, Staatssekretär von Stephan, Mi
nister von Schelling, von Lucanus, Dr.
Bosse, Bronsart von Schellendorff, Admiral
v. d. Goltz, Minister von Bötticher, von
Lucius, Frhr. von Stumm, Anton von
Werner, Bankpräsident Koch, von Hanse
mann, von Berlepsch, Prinz von Hohen-
zollern. Alsdann richtet der Präsident an
die Parteien die Frage, ob sie an die Zeu
gen noch Fragen zu stellen hätten. Die Ver
theidigung macht von diesem Anheimstel--
len einen ausgedehnten Gebrauch. Aus die
Frage des Justisraths Sello, ob Consul a.
D. Moos, der Verfasser der in der „Deut
schen Warte" und in ber „Berl. Morgen
post" erscheinenden Artikel über die Spie-
lerafsäre sei, erwidert Zeuge, daß er zum
Theil das Material dazu geliefert habe. Er
erkläre übrigens, daß er bereits gegen Herrn
Petersohn in Breslau wegen seiner unrich
tigen Behauptungen Klage eingereicht
habe. Die Vertheidiger erklären, daß sie
auf alle weiteren Beweismittel verzichten,
sprechen aber den Wunsch aus, daß sie vor
Beginn der Plaidoyers eine Pause wün
schen. Der Präsident vertagt den Beginn
der Playdoyers auf Sonnabend, den 21.
d. M., früh 9 Uhr.
Das Berliner Fremdenblatt schreibt: Die
„l u n g e Welt", die im „Harmlo-
en-Prozeß" Zeugniß ablegte, scheint
sich während ihres mehr oder minder un
freiwilligen Aufenthaltes in Berlin recht
gut zu „amüsiren". Eine kleine Episode,
die sich hinter den Koulissen abspielte, spricht
dafür. Einem Zeugen, der von außerhalb
gekommen war und nach dem vierten Tage
im allseitigen Einverständniß der Gerichts-
saktoren wieder entlassen wurde, wurden in
der Gerichtskasse an Reisegeld und Auf
wands-Entschädigung 143 Mark ausgezahlt.
„Was!" rief der Herr, „n u r 143 Mk.!"
„Das ist der gesetzlich zulässige höchste
Satz!" erwiderte der Beamte. — „Aber was
meinen Sie denn," fuhr der Zeuge fort,
mich haben die paar Tage schon vier
tausend Mark gekostet!" — Daß diese
Aeußerung in das Gebiet des „kalten Auf
schnittes" fällt, ist nicht gut anzunehmen,
denn der Zeuge ist ein „adeliger Kavalier",
deshalb läßt sie den Schluß zu, daß wäh
rend des anfänglich sensationellen und jetzt
recht „harmlosen" Spielerprozesses in Ber
lin recht fleißig — weitergespielt wird.
■ — Zu dem endlosen Spielerprozeß
in Berlin schreibt die „Deutsche Tagesztg.":
Es scheint vielen Kreisen die Empfindung
ganz abhanden gekommen zu
sein, daß Unsittlichkeit, Dirnenthum, Ehe
bruch an sich und unter allen Umstünden
schmutzige Verbrechen sind, —
Verbrechen an der eigenen Seele, am Hause
und an der Gesammtheit. Die vornehme
Gesellschaft hält auf reine Leibwäsche und
schmutzlose Fingernägel, den häßlichsten
Schmutz der gemeinen Sünde gegen
das 6. Gebot läßt sie sich lächelnd gefallen.
Der deutsche Adel hält auf seines Wappen
schildes Reinheit; dafür, daß dieses Wap
penschild durch gemeine Sinnlichkeit mit
dem dicksten Schmutze überzogen wird,
scheint kaum mehr Verständniß vorhanden
zu sein. Wer einen Falscheid geschworen
hat, wird verfehmt. Und mit Recht! Wer
als Ehebrecher einen Meineid geschwo
ren hat, bleibt nach wie vor das geachtete
Glied der Gesellschaft. Das einzige, was
vermieden werden muß, ist der Skan
dal. So lange die schmutzige Sünde ver
hüllt bleibt, ist sie salonfähig. — Hier muß
angesetzt, eingegriffen, ausgeschnitten wer
den, wenn es besser werden soll. Der junge
Mann, der im Dirnenthum seine Kraft und
Zeit vergeudet, sein Herz verödet, seine
Seele tobtet, der Ehebrecher, der in des
Hauses keusches Heiligthum frevelnd dringt
oder den am Altare geschworenen Eid ver
brecherisch bricht, ist ein Lump und
muß als solcher betrachtet und aus der Ge
sellschaft gewiesen werden. Wenn das ge
schähe, so würde zwar die Sünde nicht aus
der Welt geschafft, aber doch viel mehr ge
mieden werden, als heute, wo sie das
Brandmal nur dann trägt, wenn sie zum
Skandal wird. Hier, in dieser laxen 5l«f
fassung liegt die Gesammtschuld, liegt die
Schuld des Volks und der Gesellschaft.
— Angesichts der offenkundigen That
fache, daß die gerichtliche Verhandlung des
Spielerprozesses den Ergebnissen der Bor
Untersuchung in keiner Weise entspricht,
häuft man in einem Theile der Presse Vor
würfe gegen die Kriminalpolizei
als solche. Das ist unseres Erachtens
schreibt die „D. Tagesztg.", nach Kenntniß
der Sachlage durchaus unberechtigt.
Daß der Kriminalkommissar von Manteuf
fel vielleicht seine Befugnisse überschritten
und nicht immer ganz einwandfrei gehandelt
hat, mag zugegeben werden. Die Leitung
der Kriminalpolizei ist aber dafür nicht ver-
antwortlich zu machen; denn sie war, nach'
dem Herr von Manteuffel dem Untersu
chungsrichter zur Verfügung gestellt worden
war, gar nicht in der Lage, ihm
Direktiven zu geben. Wenn also
Vorwürfe mit einigem Rechte erhoben wer
den können, so dürfen sie sich nicht gegen
das Institut der Kriminalpolizei richten,
sondern lediglich gegen diejenigen Stellen,
welche die Untersuchung führten
und die Verhandlung vorbereiteten. Zu die
sen Stellen gehörte aber die Kriminalpo
lizei nicht.
Magdeburg, 17. Oct. Gestern Abend
durchfuhr am Bahnübergänge in Suden
burg ein Wagen der elektrischen Straßen
bahn die geschlossene Schranke und stieß
aus einen eben vorbeifahrenden Zug. Der
Vorderperron des Straßenbahnwagens
wurde weggerissen, die beiden auf dem
selben befindlichen Angestellten verletzt. Der
Unfall geschah infolge Versagens der elek-
irischen Bremsvorrichtung des Straßen
bahnwagens. Auch zwei Fahrgäste erlitten
Verletzungen. 5 Güterwagen des Eisen-
bahnzuges wurden beschädigt.
Heidelberg, 14. Oktbr. Der Bürger-
ausschuß in H a n d s ch u h s h ei m sprach
sich mit allen gegen eine Stimme für den
Anschluß dieses 3500 Einwohner zäh
lenden Ortes an die Stadtgemeinde Heidel
berg aus.
Einen „Königin Augusta-Marsch" hat
Prinz Joachim Albrecht, der zweite Sohn
des Prinzregenten von Braunschweig,
komponirt und dem Königin Augusta.
Regiment, in dem der Komponist jetzt mit
der Führung der 1. Kompagnie beauf
tragt ist, gewidmet.
In Arnswalde wurde der Kandidat
der Rechte Schmidt auf Anordnung
der Staatsanwaltschaft verhaftet und
in das Gerichtsgesängniß zu Landsberg a.
W. eingeliefert. Der junge Mann, der
sich gegenwärtig im Hause seiner Eltern
auf das Referendar-Examen vorbereitete,
steht in dem schweren Verdacht, an dem
vor einiger Zeit verübten Ueber fall
auf ein junges Mädchen aus Schön-
feld bei Arnswalde betheiligt gewesen zu
sein. Unter dem gleichen Verdachte ist
bereits der Handlungsgehülfe Giese in
Arnswalde verhaftet und in Untcrsuchungs-
hast genommen worden. Die Verhandlung
in dieser Sache wird demnächst vor der
Strafkammer zu Landsberg stattfinden.
Hamburg, 17. Oct. Ein Riesenwerk
hat nunmehr die hier domilizirte Aktien
gesellschaft vollendet. Das Konsortium
erwarb vor etwa drei Jahren die zwischen
dem Reiherstieg und Köhlbrand belegene
Elbinsel.Neuhos, die Privatbesitz der Familie
v. Grote war und einen Preis von 2 '/ 2
Millionen Mark bedang. Die Gesellschaft
hat das Terrain der Insel für die Anlage
von industriellen Etablissements hergerichtet
und stellt nunmehr das Terrain in einzel
nen „Blocks" zum Verkauf. Um den
Zugang zu den Blocks auf die bequemste
Weise zu ermöglichen, ist mitten durch die
Insel ein Schiffahrtskanal gezogen, von
dem Seitenkanäle ausgehen und recht
winkelig nach allen einzelnen Parzellen
führen. Die Rohstoffe für etwaige Fabriken
können somit theilweise sogar ohne jede
Umladung an Ort und Stelle geschafft
werden. Auch eine Eisenbahnanlage führt
auf das Terrain, so daß dieses sowohl
mit der Bahn als auch mit der Elbe in
direkter Verbindung steht.
Die beiden Gastwirth vereine in
Hamburg beschloffen in ihren gestern ab
gehaltenen getrennten Versammlungen, be
züglich des S p i r i t u s r i n g e s, mit diesem,
speziell mit der „Centrale für Spiritus-
verwerthung" nichts zu thun haben zu
wollen und nur von ringfreien Spiritus-
fabrikanten resp. Destillateuren zu beziehen.
lc. Hamburg, 17. Oct. Zu der Liebes
tragödie in Meiendorf bei Alt-Rahl
stedt, worüber wir bereits mehrfach be
richtet haben, ist noch mitzutheilen, daß
das angebliche Artistengeschwisterpaar,
das sich bekanntlich im Krankenhause zu
Wandsbek befindet, bereits eine recht be
wegte Vergangenheit hinter sich hat.
Hinze sowohl als auch die Günther sind
vorbestraft; letztere wegen Betrugs,
Hehlerei und gewerbsmäßiger Unzucht,
darunter mit sechs Monaten Gefängniß.
Beide werden sich nach ihrer Herstellung
wegen Betrugs vor Gericht zu verant
worten haben. Sie hatten sich nämlich
vor einigen Wochen in dem hiesigen
Hotel „Thüringer Hof" einlogirt, sind
dann aber unter Hinterlassung der con-
trahirten Schuld verschwunden. Die Ham
burger Behörde hat noch weitere Nach
forschungen in dieser Angelegenheit an
gestellt.
Provinzielles.
Man beabsichtigt, die der Stadt Altona
gehörigen Ländereien beim sogenannten
Windberg, unweit Eidelstedt, zu einem
Stadtpark umzugestalten. Umfangreiche
Anforstungen sind bereits vorgenommen.
Von dem sehr hochgelegenen Terrain hat
man einen recht hübschen Ausblick.
Bei dem Altonaischen Unterstützungsin
stitut sind Gesuche um Bewilligung von
insgesammt 110 000 Mk. aus dem Fonds
für gemeinnützige Zwecke eingegangen,
während die zur Verfügung stehende
Summe nur 40 000 Mk. beträgt.
In einer Wirthschaft in Ottensen kehrten
zwei Freunds ein. Als der Eine sich nieder
setzen wollte, zog der Andere rasch den
Stuhl fort. Der Manu fiel zu Boden
und erlitt einen Beinbruch. Außerdem
hat ihm der Schreck vollständig die Sprache
geraubt.
Ein räuberischer Ueberfall wurde
in der Nacht zum Sonntag auf den
Straßenbahnschaffner Dütsch in Bahren-
feld, als er seine Kasse zum Depot bringen
wollte, von drei Strolchen gemacht. Der
Schaffner, früher Polizeibeamter, faßte
jedoch den einen Räuber und warf ihn
zu Boden und hielt ihn fest, bis Hülfe
kam. Die beiden anderen Diebe sind
entflohen, ohne indeß einen Erfolg erlangt
zu haben. Leider erhielt der Ueber-
iallene mehrere Verletzungen.
Von dem Heroldsamt in Berlin ist ver
langt worden, das Elmshorner Stadt
wappen abzuändern, eventl. dessen Ur
sprung nachzuweisen. Nun hat ein hiesi
ger Tischlermeister einen Meisterbrief aus
dem Anfang dieses Jahrhunderts vorge
zeigt, der bereits das jetzige Wappen
(Neffelblatt mit durchgelegtem Flußarm)
trage. Die städtischen Kollegien glauben
daraufhin zur Beibehaltung des Wappens
berechtigt zu sein.
Wie die Heider Marktpolizei am letzten
Sonnabend den Kartoffeln feilbietenden
Landleuten mittheilte, dürfen vom nächsten
Sonnabend an die Kartoffeln nur nach
Gewicht (200 Pfund) verkauft werden,
nicht mehr, wie es sonst üblich war nach
Maaß (alte Tonne).
Die Straßenverwaltnng in Heide be
willigte 100 000 Mk. für Straßenpfla-
terung.
Als Rendant der neugegründeten städ
tischen Sparkasse zu Kellinghusen wurde
der dortige Stadtkassirer Krohne gewählt.
Die Sparkaffenräume werden im Rath-
hause hergerichtet.
Die Einnahme an Wechselstempel-
teuer im Ober-Postdireklionsbezirk Kiel
betrug für die Zeit vom 1. April bis
zum Schluß des Monats September
71351 Mk., gegen 67 414 Mk. in dem
selben Zeitraum des Vorjahres.
Ein durchgehendes Fuhrwerk überfuhr
in der Wilhelmstraße zu Flensburg einen
Kinderwagen. Das darin befindliche Kind
des Buchhalters Schulz war sofort todt.
Flensburg, 16. Oct. Pastor Paulsen
in Kropp war vom Schöffengericht in
Schleswig wegen öffentlicher Beleidigung
des Badedirektors Scharfenort ans Sylt
durch einen Artikel im „Kropper Kirchl.
Anzeiger" zu 200 Mk. Geldbuße ver
urteilt, dagegen wegen Zusendung eines
Briefes beleidigenden Inhalts freigesprochen
worden. Die hiesige Strafkammer II be
stätigte das schöffengerichtliche Urtheil be
züglich der erkannten Geldbuße, ver-
urtheilte den Pastor Paulsen aber auch
wegen der im Briefe enthaltenen Be
leidigung zu 100 Mk. Geldbuße.
Um dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch
zu genügen, hat sich nach Beschluß der
Aktionäre die Sparkasse in Bredstedt
in eine Genossenschaft mit beschränkter
Haftpflicht verwandelt. Sie durften sich
mit beschränkter Haftpflicht begnügen, da
ein Reservekapital von 300000 Mk. bei
einem Umsatz von reichlich einer Million
hinreichende Bürgschaft gewährt. — Unser
Kreditverein, eine Genoffenschaft mit un
beschränkter Haftpflicht, hat die Sparkaffe
in der Geldsuche insofern überboten, als
er sür Einlagen schon vom 1. Oktober
d. Js. ab 4 pCt. gewährt, während die
Sparkaffe erst vom 1. Januar 1900 ab
den Zinsfuß für Einlagen auf 4pCt. erhöht.
Wie schon berichtet, ist die Badesaison
auf Sylt trotz großartigen Besuchs nicht so
segensreich ausgefallen, denn Konkurse sind
hier an der Tagesordnung. Man spricht
von einem Dutzend flauer Existenzen unter
Hotelwirthcn und Geschäftsinhabern.
Die Bürgermei st erpo st en in
kleinen Städten scheinen sehr begehrt zu
sein. Um den Bürgermeisterposten in
Bevensen der durch Weggang des Bürger
meisters v. Borcke nach Weffelbnren frei
ist, haben sich nicht weniger als 8 5 Per
sonen beworben. Bürgermeister von
Borcke, welcher bereits seit reichlich
einer Woche in Weffelbnren weilt, hat bis
jetzt die Bestätigung noch nicht gesunden.
Die Geschäfte desselben werden unterdessen
von dem stellvertretenden Bürgermeister,