Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

TägLich erscheinendes WLcrü. 
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Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18. 
Ireitcrg, den 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburger Wochenblatt wird 
„Der Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interesse« 
der Landwirthschast) gratis beigegeben. 
Morgen-Berichte. 
Berlin, 18. Okt. Zum G o u v e r . 
n e u r von Berlin ist der frühere 
Commandeur des V. Armeecorps, seit einem 
halben Jahre commandirender General des 
X. Armeecorps, General der Infanterie 
von Bomsdorst ernannt worden, j 
Berlin, 18. Oct. Im Thiergarten er- 
schoß sich heute der Gymnasiallehrer M e< 
v e s. Der Grund des Selbstmordes soll 
in seiner Versetzung zu suchen sein. 
Königsberg i. Pr., 18. Oct. Wie erst 
jetzt bekannt wird, gerieth am 16. d. M. 
Morgens ein auf dem Bahnhof Seeburg 
von Rothfließ einlaufender Arbeitszug in 
folge böswillig herbei geführ. 
ter falscher Weichen st ellung 
auf eine noch nicht mit Schienen belegte 
Strecke. Die Maschine grub sich in den 
Sandboden ein, während ein mit 40 Per 
sonen besetzter Personenwagen vierter 
Klasse zur Seite geschleudert und zu 
sammengedrückt wurde. Acht Personen 
trugen schwere, zwölf Personen leichte 
Verletzungen davon. Als die Missethäter 
wurden mehrere junge Burschen er- 
mittelt. 
Proßnitz, 18. Oct. Die Straßendemon 
strationen der Tschechen haben sich wieder 
holt. Aus den Häusern deutscher Juden 
riß man die Fenster heraus. Militär 
mußte die Ruhe wiederherstellen, da sich 
die Polizei als zu schwach erwies. 
Leipzig, 17. Oct. Der hochangesehene 
Inhaber einer großen Buntpapier-Fabrik 
der Westvorstadt ist heute früh unter dem 
Verdacht großer Wechselfälschung verhaftet 
worden. Die Höhe der Fälschungen be 
trägt über 400 000 Mk. Mehrere aus 
wärtige Häuser sind stark geschädigt 
Ein auswärtiger Geschäftsmann ist unter 
Verdacht der Mitschuld verhaftet. Die 
Verhaftungen erregen ungeheures Aust 
sehen. 
London, 18. Oct. Der erste Lord des 
Schatzes, Balfour, verliest eine 
k ö n i g l i ch e B o t s ch a f t, in der es 
heißt: Da die Zustände in Südafrika 
nach Ansicht der Königin der Parlaments 
akte gemäß als ein großer Nothfall zu 
betrachten seien, erachte es die Königin 
für angebracht, weitere Mittel für de» 
Militärdienst zu beschaffen. Er glaube 
daher dem Hause mittheilen zu sollen 
daß die Königin im Begriffe stehe, durch 
eine Proklamation die Einreihung 
der Miliz zu befehlen und die 
Milizreferve oder einen Theil derselben 
den die Königin für nöthig erachte, für 
den permanenten Dienst einzuberufen 
Die Berathung der Botschaft ist au' 
morgen vertagt. 
Wien, 18. Oct. Zwischen den Statio 
nen Franzensfeste und Grastein der Bren- 
nerstrecke stieß heute früh ein von Kuf- 
lein kommender Schnellzug mit einem 
Güterzuge zusammen, wobei drei Be- 
amte des Güterzuges g e t ö d t e t und 
der Zugführer des Schnellzuges leicht ver 
letzt wurden. 
Paris, 18. Oct. Eine Depesche an den 
Kolonialminister meldet: Die Hauptleute 
Boulet und Chanoine sind von ihren 
eigenen Leuten erschossen worden. 
Der Kaiser in Hamburg. 
Hamburg, 18. Oktober. 
Der Kaiser ist mit großem Gefolge hier 
eingetroffen und am festlich geschmückten 
Dammthor . Bahnhof von dem präsidiren- 
den Bürgermeister Mönkeberg und dem 
preußischen Gesandten Grafen Metternich 
empfangen worden. Der Monarch bestieg 
sofort die offene Senatskaroffe und begab 
sich, von der Bevölkerung freudigst be 
grüßt, zum Frühstück bei dem Grafen 
Metternich. Das Wetter ist sehr schön. 
Die Straßen und die Schiffe im Hafen 
tragen reichen Flaggenschmuck. 
Der Trinkspruch, den der Kaiser 
bei dem Festmahle im R a t h h a u s e aus 
brachte, hatte folgenden Wortlaut: 
„Es gereicht Mir zur besonderen Freude, an 
dem heutigen historischen Gedenktage wieder in 
Ihrer Mitte weilen ju können. Ich fühle Mich 
gleichsam erfrischt und neu gestärkt, so oft Ich 
von den Wogen des frisch sprudelnden Lebens 
einer Hansastadt umspült werde. 
Es ist ein feierlicher Akt, dem wir soeben bei 
gewohnt, als wir ein neues Stück schwimmen 
der Wehrkraft des Vaterlandes seinem Element 
übergeben konnten. Ein Jeder, der ihn mit 
gemacht, wird wohl von dem Gedanken durch 
drungen gewesen sein, daß das stolze Schiff bald 
seinem Berufe übergeben werden könne; wir be 
dürfen seiner dringend, und bitter noth ist uns 
eine starke deutsche Flotte. Sein Name erinnert 
uns an die erste glanzvolle Zeit des alten Reiches 
und seines mächtigen Schirmherrn. Und auch 
in jene Zeit fällt der allererste Anfang Ham 
burgs, wenn auch nur als Ausgangspunkt für 
die Missionsthätigkeit im Dienste des gewaltigen 
Kaisers. 
Jetzt ist unser Vaterland durch Kaiser Wil- 
Helm den Großen neu geeint und im Begriff 
sich nach außen hin herrlich zu entfalten. Und 
gerade hier, inmitten dieses mächtigen Handels 
emporiums, empfindet man die Fülle und Spanne 
kraft, die das deutsche Volk durch seine Ge 
schlossenheit seinen Unternehmungen zu verleihen 
im Stande ist. Aber auch hier weiß man es 
am höchsten zu schätzen, wie nothwendig ein 
kräftiger Schutz und die unentbehrliche Stärkung 
unserer Seestreitkräfte für unsere auswärtigen 
Jntereffen sind. Doch langsam nur greift das 
Gefühl hierfür im deutschen Vaterlande Platz, 
das leider noch zu sehr seine Kräfte in frucht 
losen Parteiungen verzehrt. 
„Mit tiefer Besorgniß habe Ich beobachten 
müssen, wie langsame Fortschritte das Interesse 
und politische Verständniß für große iveltbeive- 
gende Fragen unter den Deutschen gemacht hat. 
Blicken wir um uns her — wie hat seit einigen 
Jahren die Welt ihr Antlitz verändert. Alte 
Weltreiche vergehen, und neue find im Entstehen 
begriffen. Nationen sind plötzlich im Gesichts 
kreis der Völker erschienen und treten in ihren 
Wettbewerb mit ein, von denen kurz zuvor der 
Laie noch wenig bemerkt hatte. Ereignisse, die 
umwälzend wirken auf dem Gebiete internatio 
naler Beziehungen sowohl wie auf dem Gebiete 
des national-ökonomischen Lebens der Völker und 
die in alten Zeiten Jahrhunderte zum Reifen 
brauchten, vollziehen sich in wenigen Monden. 
Dadurch sind die Aufgaben für unser deutsches 
Reich und Volk in mächtigem Umfange gewachsen 
uud erheischen für Mich und Meine Regierung 
ungewöhnliche und schwere Anstrengungen, die 
nur dann von Erfolg gekrönt sein können, wenn 
einheitlich und fest, den Parteiungen entsagend, 
die Deutschen hinter uns stehen. Es muß dazu 
aber unser Volk sich entschließen, Opfer zu bringen, 
vor allem muß es ablegen seine Sucht, das 
Höchste in immer schärfer sich ausprägenden Partei 
richtungen zu suchen. Es muß aufhören, die 
Partei über das Wohl d es Ganzen zu stellen, 
es muß seine alten Erbfehler eindämmen, alles 
zum Gegenstand ungezügelter Kritik zu machen, 
und es muß vor den Grenzen Halt machen, die 
ihm seine eigensten, vitalsten Jntereffen ziehen, 
denn gerade diese alten politischen Sünden rächen 
ich jetzt schwer an unseren Seeinteressen und 
unserer Flotte. Wäre ihre Verstärkung Mir in 
den ersten acht Jahren Meiner Regierung trotz 
inständigen Bittens und Warnen nicht beharrlich 
verweigert worden, wobei sogar Hohn und Spott 
Mir nicht erspart .'geblieben sind, wie anders 
würden wir dann unseren blühenden Handel und 
unseren überseeischen Interessen fördern können! 
„Doch meine Hoffnungen, daß der Deutsche 
ich ermannen werde, sind noch nicht geschwunden, 
denn groß und mächtig schlägt die Liebe in ihm 
zu seinem Vaterlande. Davon zeugen die Ok 
toberfeuer, die er heute noch auf Bergeshöhen 
anzündet und mit denen er auch das Andenken 
an die herrliche Gestalt des heute geborenen 
Kaisers in der Erinnerung mitfeiert. Und in 
der That, einen wundervollen Bau hat Kaiser 
Friedrich mit seinem großen Vater und dessen 
großen Paladinen errichten helfen und uns als 
Deutsches Reich hinterlassen. In herrlicher 
Pracht steht es da, ersehnt von unseren Vätern 
und besungen von unseren Dichtern! 
„Nun wohlan, statt wie bisher in ödem Zank 
sich darüber zu streiten, wie die einzelnen Kammern, 
Säle, Abtheilungen dieses Gebändes aussehen 
oder eingerichtet werden sollen, möge unser 
Volk in idealer Begeisterung, wie die Oktober 
feuer auflodernd, seinem idealen zweiten Kaiser 
nachstreben und vor allem an dem schonen Bau 
sich freuen und ihn schützen helfen. Stolz au 
seine Größe, bewußt seines inneren Werthes 
einen jeden fremden Staat in seiner Entwickelung 
achtend, die Opfer, die seine Weltmachtstellung 
verlangt, mit Freuden bringend, dem Parteigeist 
entsagend, einheitlich und geschlofien hinter 
seinen Fürsten und seinem Kaiser stehend, so 
wird unser deutsches Volk auch den Hansastädten 
ihr großes Werk zum Wohle unseres Vater 
landes fördern helfen. Das ist Mein Wunsch 
zum heutigen Tage, mit dem Ich Mein Glas 
erhebe auf das Wohl Hamburgs." 
Der Krieg in Südafrika 
Pretoria, 18. Oct. General Cronj 
forderte am 16. d. M. die Frauen und 
Kinder von Mas eking auf, die Stadt 
zu verlassen, und eröffnete Montag Nach 
mittag das Bombardement. Eine Er 
widerung erfolgte nicht. — Am 16. d. 
M. besetzten die Buren Tauugs, 40 
Meilen südlich von Vryburg, ohne Wider- 
land. 
Vor Mafeking befinden sich 9000 Buren. 
Die englischen Vorposten sind zurückge 
drängt worden. Mafeking ist vollständig 
solirt. Für morgen wird das Resultat 
des Angriffes auf Mafeking, welcher 
gestern begonnen hat, erwartet. 
Johannesburg, 15. Oct. An der West 
grenze der Republik fanden gestern ver- 
chiedene Gefechte bei einem Punkte 
nördlich von Mafeking statt, wo die Buren 
die Bahnlinie unterbrochen hatten. Die 
Buren nahmen mehrere Dörfer ein, da 
runter Lobatsi, wo sie sich der Telegraphen 
tation bemächtigten und die Telegraphisten 
gefangen nahmen. Ein von Rodesia 
kommender gepanzerter Zug feuerte auf 
die Buren, die das Feuer erwiderten. 
Mehrere Koffern sollen getödtet sein. 
Lager bei Glencoe, 18. Oct. Die 
Vorposten der Buren sind 7 Meilen von 
hier gesehen worden. Ein Treffen steht 
bevor. 
Die „Times" melden, die vom Parla 
ment verlangte Summe für die Ereignisse 
n Südafrika werde ungefähr 10 Millionen 
Pfund betragen. Dieselben werden nicht 
als Kreditvotum gefordert, sondern als 
Supplement zum Armeeetat. — Die Buren 
lagen in der Nacht zum Dienstag bei 
Glencoe. Die Kolonne Jouberts befindet 
ich in der Nähe von Dannhauser und 
bewegt sich langsam nach Süden. Durch 
die Besetzung von Newcastle gelangten die 
Buren in den Besitz vortrefflicher Borräthe 
Der deutsche Reichspostdampfer „Kaiser" 
hat die für Tranvaal bestimmten 4000 
Kisten Munitionen in Port Said ausge 
laden, um die Beschlagnahme durch britische 
Kreuzer im Rothen Meere zu vermeiden 
Aus dem „Kaiser" sollen sich auch deutsche 
Offiziere befinden, die nach Transvaal 
gehen. — „Morning Post" melden aus 
Ladysmith, daß sich die Basutos gegen den 
Oranje-Freistaat erhoben haben. — Die 
Engländer zerstörten den Brückenübergang 
von Hopetown, da die Farmer in dieser 
Gegend alle zum Afrikanderbund gehören 
— Wie verlautet, wird Präsident Krüger 
ein Circular an die Mächte versenden, in 
welchem er seine Haltung rechtfertigt. 
Rom, 18. Oct. Mehrere Mächte be 
schloffen, Militärbevollmächtigte in das 
englische Hauptquartier zu entsenden. Die 
englische Regierung hat dazu ihre Ein 
willigung gegeben. 
Wieder Samoa. 
Nachdem der Staatssekretär des Auswär 
tigen Amtes Graf von Bülow dem Kolo 
nialrath Mittheilung aus den schwebenden 
Verhandlungen wegen der Neuregelung der 
Verhältnisse auf Samoa gemacht hat, be 
ginnt dieses Thema wieder einen breiteren 
Raum in der öffentlichen Diskussion einzu 
nehmen. Daß die Mehrheit des Kolonial 
raths gegen eine Aufgabe unserer dortigen 
Stellung nichts einzuwenden hat, falls uns 
von England gleichwerthige Entschädigun 
gen für diesen Verzicht eingeräumt würden, 
haben wir bereits mitgetheilt- Ob dieser 
Standpunkt auch von denjenigen Kreisen in 
Deutschland gebilligt werden wird, welche 
Ar die Behandlung der Samoa-Frage we 
niger politische und wirthschaftliche Gesichts 
punkte gelten lassen wollen, sondern die 
Wahrung unserer nationalen Würde hier 
Ar einzig maßgebend erklären, bleibt ab 
zuwarten. In England giebt man sich jetzt 
den Anschein, als Hütte man dort durchaus 
keine Eile mit dieser Frage. In Deutschland 
kann inan es jedoch nrindestens ebenso gut 
aushalten, und gegen die Unterstellung, als 
wollte man hier die kriegerischen Verwicke 
lungen in Südafrika dazu benutzen, um 
England zu einem „schlechten Handel" über 
Samoa zu drangen, bedarf es erst keiner 
ausdrücklichen Verwahrung. 
Die Times bemerkt, England habe, außer 
aus allgemeinen Gründen, keinen Wunsch 
Ar sein Arrangement über Samoa; die 
Sache sei nicht von höchster Wichtigkeit für 
England, es könne die Dinge lassen, wie sie 
seien, falls Deutschland es wünsche. Einige 
Deutsche dächten, sie könnten die Störungen 
in Südafrika benutzen, um England zu 
einem schlechten Handel zu verschüchtern; 
doch unterstütze die deutsche Regierung die 
ses Manöver nicht. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Vom Pekinger Hofe giebt der in 
Shanghai erscheinende „Ostas. Lloyd" 
nach der chinesischen „Allg. Ztg." folgende 
sensationellen Mittheilungen wieder: Die 
Kaiserin-Wittwe will einen Sohn des Her 
zogs Lan (der aus kaiserlichem Blute 
stammt) adoptiren und ihn zum Kaiser 
ausrufen. Innerhalb des Kaiserlichen Hau 
ses herrscht großer Zwiespalt in der Sache. 
Die „North China Daily News" bestäti 
gen die Nachricht und nennen Pu T'süan, 
einen neunjährigen Knaben, als den in 
Aussicht genommenen Thronerben. An 
geblich ist Kuang Hsü gezwungen worden, 
der Kaiserin-Wittwe eine Denkschrift zu 
überreichen, worin er mit Rücksicht auf sei- 
mm 
Greàde. 
Roman von Hermann Heiberg. 
(Nachdruck verboten.) 
Ocrebye und der große Forst Mönkegjor 
lagen in derselben Wegrichtung. 
Nachdem Graf Dehn diesen, scharf trabend, 
nach Verlauf einer halben Stunde erreicht 
hatte, durcheilte er ihn von einen, Ende 
zum anderen, hielt auch auf einem mitten 
im Gehölz auf einer Anhöhe befindlichen 
Pavillon an und sah sich hier nach Jmgjor 
um. Aber es war nichts von ihr zu be 
merken, und er nahm daher, rasch entflossen, 
die Richtung nach Oerebye. 
Freilich konnte er, wenn er seinen Ritt 
soweit ausdehnte, nicht zum Frühstück in 
Rankholm zurück sein. Aber das ungeduldige 
Verlangen, festzustellen, ob wirklich Jmgjor 
und der Doktor beisammen seien, ließ das 
in ihm aufsteigende Bedenken, ohne Ent 
schuldigung fortzubleiben, rasch zurückdrängen. 
Unterwegs, während er dahin galoppirte, 
bestürmten ihn seine Gedanken. 
War's nicht im Grunde eine Thorheit, 
sich auf ein Mädchen zu kapriziren, das ihm 
so entschieden auswich? 
Und war's, wenn^ er wirklich ihre Zu 
neigung gewann, wünschens- und lohnens- 
werth, ein weibliches Wesen solcher Art an 
sich zu fesseln? Er hatte sich eine ganz 
andere Vorstellung von der jungen Dame 
gemacht, von welcher ihm sein Vater ge 
sprochen. 
Er hatte ein mit Schönheit, Sanftmuth 
und Liebenswürdigkeit verbindendes junges 
Mädchen zu finden erwartet und sah sich! 
einer fanatischen Vertreterin der neuen Ideen 
gegenüber. 
Und dann redeten doch wieder andere 
Stimmen, und sie flüsterten ihm zu, daß 
Nummern überall zu finden seien, daß er 
es hier mit einem charakterstarken und trotz 
aller Schroffheit warm fühlenden, edel- 
denkenden Wesen zu thun habe. Von einem 
solchen bevorzugt, gar auscrwählt zu werden, 
erschien ihm des Ringens werth. 
Und diese Vorstellung gab dann seinen 
Gedanken wieder eine andere Richtung. 
In Ocrebye angelangt, hielt Graf Dehn 
vor demselben Gasthofe, in dem er kurz vorher 
mit Jmgjors Vater und dem Grafen Knut 
eingekehrt war, und schon während des Ein 
tritts in die gemüthlichen Vorräume des 
Gebäudes warf er die Frage hin, ob Jemand 
aus Schloß Rankholm anwesend sei. 
Der sorgfältig rafirte, höfliche Oberkellner 
nickte bejahend. 
„Ja wohl, Herr Graf, Comtesse von 
Lavard ist vor einer halben Stunde ange 
kommen." 
„So — so!?" fiel Axel lebhaft ein 
„Und — und — ist sie im Hotel?" 
„Nein, Herr Graf! Sie ist auch nach 
dem Landhof gegangen 
„Nach dem Landhof? Was ist das?" 
„Der Landhof ist ein öffentliches Lokal. 
Um ein Uhr spricht da der Volksredner 
Jens Uesholm. Sämmtliche Einwohner und 
Bauern der Umgegend sind hingelaufen 
„In der That? Ist man diesen Lehren 
hier so zugeneigt? Und die Landarbeiter? 
Werden sie dabei sein? Die haben doch 
sicher um diese Zeit keine Erlaubniß von 
ihren Gutsherren —?" 
„Sie haben sic sich genommen, Herr Graf. 
Die Sache ist schon lange im Gange. Das 
giebt überhaupt gewiß noch ein böses Nach- 
Piel —" 
Diese Auskunft bestimmte Axel, nach rasch 
eingenommenen Imbiß den Weg nach dem 
Landhof zu nehmen. 
Nun war's auch zweifellos: — Presto 
und Jmgjor — beide würden dort an 
wesend sein! — 
Der Landhof lag mitten in der Stadt, 
aber nicht unmittelbar an der Hauptstraßen 
linie. Man mußte eine große Allee durch 
messen, um das auf einer sanft empor 
steigenden Anhöhe belegene, eine weite Um 
schau bietende Vergnügungslokal zu erreichen 
Es war auch ersichtlich, daß die Ein 
wohner etwas Besonderes dahinzog. 
Dicht gedrängte Gruppen von Bürgern, 
Bauern und Feldarbeitern bewegten sich 
durch den Baumgang, alle waren in Eile, 
und aus der Umgegend kam noch fortwährend 
neuer Zuzug. 
Axel beschloß, sich einen Platz drinnen zu 
suchen, auf dem er möglichst unbeachtet zu 
schauen konnte. Da er aber der Gelegen 
heit unkundig war, redete er einen älteren 
Bürger in dänischer Sprache an und er 
kundigte sich nach der inneren Einrichtung 
des LandhofeS. 
Da war ihm dann die Auskunft sehr 
erwünscht, daß sich eine große Gallcrie rings 
um den Saal ziehe, und daß man sie durch 
einen vorhandenen, gesonderten Eingang be 
treten könne. 
Und so machte er es. Unter der Führung 
seines Begleiters, eines ehrsamen Klempner 
meisters, betrat er die Gallcrie und fand 
bald einen Platz, von dem aus er den 
Redner ins Auge fassen und die Zuhörer- 
chaft genügend übersehen konnte. 
Vorläufig wogte unten noch alles durch 
einander. Menschen drängten sich, Stühle 
wurden eingeschoben. DaS Geräusch leb 
haften Schwatzens erfüllte den Raum; nur 
der Redner selbst war noch nicht sichtbar. 
Aber endlich erschien er, von dem brausen 
den Zuruf der Versammelten empfangen, 
und sprach mit einer lauten, wohlklingenden 
Stimme über das von ihm angekündigt: 
Thema. 
Und was er sagte, machte Eindruck, weil 
er seine Worte geschickt zu wählen wußte, 
weil er niemals den ruhigen Ton verließ, 
und weil er mit solcher Ueberzeugung von 
der Berechtigung der Forderungen und von 
der zweifellosen endlichen Erreichung des zu 
erstrebenden Zieles sprach, daß er die Zu 
hörerschaft völlig in seinen Bann schlug 
Zum Schluß entwickelte er, was zunächst 
zu geschehen habe, und eben das deckte sich 
genau mit dem Inhalt des Gespräches, das 
zwischen Jmgjor und Lucile stattgefunden 
hatte. 
Nachdem der Redner, ein Mann mit blond- 
h ellcm Bart, tiefliegenden, dunklen Augen 
und blaffen Zügen, unter nicht enden wollen 
dem Beifall der Versammelten seine An 
sprache beendet hatte, erklärte ein Bauer, 
der als Präsident der Versammlung vor 
stand, daß nunmehr die Redefreiheit eröffnet 
sei und daß zunächst Herr Doktor Prcstö 
aus Kneedeholm das Wort nehmen werde 
Und Presto bestieg — aus einer Seiten 
loge tretend, woselbst nunmehr Graf Dehn 
auch Jmgjor entdeckte — sogleich die Redner 
bühne und hielt unter dem lautlosen Auf 
horchen der Menge ebenfalls einen Vortrag. 
Und Jmgjor, die Graf DehnIfortdauernd 
'chars beobachtete, folgte diesem mit funkelnden 
Augen und gespanntester Miene. Sie hing 
gleichsam an seinem Munde, sie verschlang 
eine Worte. 
Presto sprach über den Landadel, und 
ein Bortrag zündete deshalb noch mehr, 
weil er aus dem Munde eines ^Mannes 
kam, der selbst unter ihm lebte. 
Nachdem er denselben Vorschlägen, die 
Jens Uesholm gemacht, das Wort geredet 
und die Jnscenirung solcher werkthätigen 
Reformen noch des Näheren beleuchtet hatte, 
trat er zurück und begab sich unter dem 
Jubelruf der Arbeiter und Landbevölkerung 
auf seinen Platz zurück.H 
Hatte es schon bisher in Graf Dehn ge- 
gährt, hatte er sich förmlich zurückhalten 
müffen, das Wort zu verlangen und Ues- 
holms Ausführungen entgegen zu treten, 
durch seine Auslassungen das Erreichbare 
von dem absolut Unverständigen und des 
halb Unerreichbaren zu scheiden, so glühte es 
ihm jetzt in den Adern, Presto heimzuführen. 
is hielt ihn auch nicht. Völlig unbe 
kümmert um das theils neugierige, theils 
feindselige Mustern derjenigen, durch deren 
Reihen er sich drängte, trat er vor den von 
ihm vorher ins Auge gefaßten Präsidenten 
und ersuchte diesen, ihm das Wort ertheilen 
zu wollen. 
Des Dänischen war er so gut Herr wie 
des Deutschen und Französischen. Dennoch 
leitete er die ihm von dem Leiter der Ver 
sammlung gewährte Rede mit einer Ent 
schuldigung ein, wenn er sich etwas unvoll 
kommen ausdrücken werde. FM ; MM 
r 
(Fortsetzung folgt.) 
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