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Täglich erscheinenbes WLcltt.
(Außer aņ Sonn- und Festtagen.)
Hìeļîôsburger M Wochenblatt.
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Bierteljährllch 2 J(—, frei ins Haus geliefert
2 jH 15 1,
für Auswärttge, durch die Post bezöge«
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fuel. Postprovision:c. r jedoch ohne Bestellgeld.
Arllestes nnd grleķenstrs Klatt im Kreise Nendsdnrg.
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
Bei Betriebsstörungen
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dieses Blattes vorbehalten.
ZnsertilMSpreiS: pro Petitzelle 15 1.
92 ster Jahrgang.
Druck und Verlag von dem verantwortlichen Herausgeber H. Möller (H. Gütlein Nächst.), Rendsburg, Mühlenstraße 18.
Dem Rendsburger Wochenblatt wird
„Der Land mirth"
(Zeitschrift für die politischen u. soeialen Jnteresseu
der Landwirthschaft) gratis beigegeben.
Wo. 240.
Ireitclg, den 13. Hctober
1899.
Morgen-Berichte.
London, IS. Oct. (Orig.-Dep. des
Rendsb. Wochenbl.) Aus Prätoria wird
gemeldet, dast der dortige britische
Bgent Befehl erhalten hat, seine
Papiere dem amerikanischen Vertreter
zu übergeben. Letzterer sorgt für den
Schutz der englischen Angehörigen
während des Krieges. Der „Stan
dard" meldet, dass bei Charlstown
die Buren die Grenze des Orange-
staates überschritten hätten. Die
Grenze ist Meilen südlich von
Newcaptow». In Kapstadt ver
kündigte Milner den Kriegszustand
für die ganze Kapkolonie.
New-Iork, 11. Oct. In Venezuela hat
die Waffenruhe aufgehört; die Entscheidungs
schlacht wird ehestens erwartet.
Paris, 10. Oct. Murawiew und Delcassö
conferirten im Elysöe längere Zeitàt Loubet.
Der Präsident wird mit Murawiew vor
dessen Abreise mach wiederholt Besprechungen
haben.
Stettin, 10. Oct. Heute hat im städtischen
Forst unweit ' Glambecksee ein Pistolenduell
zwischen einem Leutnam des 38. Artillerie-
Regiments und einem chilenischen Haupt
mann, commandirt zum 2. Artillerie-Regiment
Hierselbst, stattgefunden. Der Leutnant wurde
durch einen Schuß in den Hals lebens
gefährlich verwundet.
Leipzig, 11. Oct. Die hier tagende
Conşerenz deutscher Steinmetzgeschäfte
beschloß, falls die Gehilfen bis Montag den
neuen Lohntarif nicht anerkennen, eine
Massenaussperrung sämmtlicher Stein
metzen in Sachsen und Thüringen vorzu
nehmen. Die Zahl der in Frage kommenden
Steinmetzen wird über 20 000 betragen.
Münster i. 23., 11. Oct. Die Piano -
forte-Fabrik vonKnake stehtàFlammen.
Die Werkstätten sind zerstört. Zahlreiche
Arbeiter werden beschäftigungslos. Die Fabrik
war erst kürzlich bedeutend erweitert worden.
Der Anhaber befindet sich auf.-einer Reise
in England.
Nürnberg, eil. Oct. Der .evangelische
Bund hielt gestern Vormittag eine ge
schlossene Mitgliederversammlung ab,
worin besonders über die evangelische Be
wegung in Oesterreich berichtet wurde.
Abends sand nach dem Gottesdienste in
der Loremz.Kirche eine von etwa 3000
Personen besuchte öffentliche Versammlung
statt, worin Herr Pastor Buchwald aus
Ļeipzig, Superintendent Truempelmann
aus Magdeburg und Pastor Lutze aus
Weißenfee Ansprachen hielten.
Der Krieg.
Jetzt zweifelt auch in England niemand
mehr daran, daß der Krieg vor der Thür
steht und der Ausbruch der Feindseligkeiten
heute Nachmittag uni 5 Uhr zu erwarten
ist. Das Kabinetsmitglied Lord James of
Hereford hielt gestern in Merdeen eine
Rede, in der er sagte, augenscheinlich habe
die Diplomatie ihre Hilfsmittel erschöpft,
und die Hoffnungen auf Frieden seien durch
die Ueberreichung des Ultimatums seitens
Transvaals thatsächlich zerstört. Nach! der
Rede des Lords beschloß die Versammlung,
der Regierung ihr Vertrauen auszudrücken.
Lord James bemerkte darauf, das Kabinet
werde am Freitag über die Erklärung
Transvaals berathen, die den Krieg be
schleunige und denselben unvermeidlich
mache. Nach anderweiten Nachrichten soll
àr der hier für Freitag avisirte Kabinets-
rath schon gestern stattgefunden und den —
allerdings selbstverständlichen — Beschluß
gefaßt haben, die Forderungen Transvaals
zurückzuweisen. Wie aus London tele,
graphirt wird, erklären die konservativen
Blätter, England sei genöthigt, den Krieg
zu führen. Die Blätter verlangen von der
Regierung, daß der Krieg mit der größten
Schnelligkeit beendet werde. Die liberalen
Blätter drückn die Meinung aus, daß der
Krieg allein der von der englischen Regie
rung befolgten Taktik zuzuschreiben sei. Die
Times erfährt, die Antwort Großbritan
niens ans das Ultimatum der südafÄkani-
schen Republik werde ganz kurz das Be
dauern darüber ausdrückn, daß Präsident
Krüger einen so ernsten Schritt gethan, und
ferner besagen, daß die britische Regierung
zur Zeit dem Präsidenten Krüger Nichts'
weiter mitzckheiten habe.
Köln, 11. Okr. Die „Köln. Ztg."
schreibt zn dem Ultimatum Transvaals:
Nachdem Transvaal zuerst das verhängniß-
volle Wort „Krieg" ausgesprochen, könne
und dürfe England nicht nachgeben. Jedoch
wir wünschen, so sagt das Blatt weiter, den
Buren nickst das Schicksal der Spanier, den
Verlust ihres rechtmäßigen Besitzes. Wie
vor Jahresfrist in Amerika, so erheben sich,
auch m England Stimmen, die zwar den
Krieg als eine unabwendbare NotbweiMg-
keit anerkennen, aber eine den: Rächte der
Buren entsprechende Lösung wünschen, wenn
es hoffentlich bald zum Frieden komme.
Wenn cwglischerseits die Mothwendigķâ der
Vorherrschaft Englands in Südafrika als
das Leitmotiv des Kriegs hingestellt werde,,
so werde jeder kühle Beobachter diese Noth-
Wendigkeit zugeben müssen. Allein die.öf
fentliche Meinung würde es als eine Harb
und ungerechte Gewaltthat betrachten, wenn
größere Einbuße zu machen hätten, als den
Eintritt in einen südafrikanischen Staaten
bund unter englischer Leitung, aber unter
sorgfälUger Wahrung des Selbstbestim
mungsrechtes für die einzelnen Glieder die
ses Bundes.
Nach einer Londoner Depesche der „Berl.
Nennest. Nachr." wird m dortigen amtlichen
Kreisen auf das baldige Eintreffen einer
Kundgebung seitens des Orange-Freistaates
gerechnet, die sich im Einllang mit dem
Transvaalultimatum befindet. Militärische
englische Kreise hegen angeblich in Bezug
auf Natal keine Besorgnis;, da General
White 15 000 Mann zur Verfügung habe.
Dagegen glaubt man, daß der englisches
Heerbefehlshaber an der englischen West-!
grenze von Transvaal sich schwer wird hal
ten und Mäfrking und Vribnrg vor der Ok
kupation der Buren nicht wird schützen kön
nen. Große Befürchtungen bestehen hin
sichtlich eines eventuellen Burenaufstandes
in der Kapkolonie.
London, 11. Okt. Das Ultimatum
seitens Transvaals wird in hiesigen poli
tischen und militärischen Kreisen als that
sächliche Kriegserklärung betrachtet. Die
Forderungen Transvaals haben nià die
geringste Aussicht auf Erfolg. Tie kurze
Zeit, welche Krüger zur Beantwortung ge
geben, decket darauf hin, daß er überzeugt
ist, keine'befriedigende Ackwort zu erhalten.
Keine Regierung könne eine so wichtige?
Frage in so kurzer Zeit erledigen. Allem
Anscheine nach dürften die FerndMgkeiter
checke bereits beginnen.
London, 11. Okt. Das U tu mattn,
'hat trotz - aller Vorbereitung die chiesige'L-
plomatie doch überrascht. Ein starker No
tenwechsel findet angeblich zwischen dein. Ko
lonial- und dem Kriegsministerinm statt.
Salisbury ist schnellstens von seinem Land
aufenthalte nach London zurückgekehrt.und
sandte kurz nach seiner Ankunft àen.Hand
koffer mit wichtigen Schriftstücken nach dem
Königlichen Palast. - .
London, 11. Okt. In dem Minister-
rath, welcher gestern Albend «inberufen wor
den ist, wurde, wie verlautn, beschlossen, die
Forderungen Transvaals vollMndig zu
rückzuweisen. In Folge dessen wird der
Krieg aus regelrechte Weise Herà Nachmit
tag 5 Uhr beginnen. — Die konservativen
Blatter erklären, England sei genöthigt, den
Krieg zu führen. Die Blätter hängen, von
der Regierung, daß der Krieg Ķ der.größ
ten (SchnelliMit beendet werde. Sfe libera
len Blätter drücken die Meinung aus, daß
wenn jetzt der Krieg auslweche. dies allein
der.von der onglifdjeit Regierung befolgten
Taktik zuzuschreiben sei. — Moimingleadet
: Die Herren Cecil Rhodes -und Eham
Grrmà.
Roman von Hermann Heiberg.
(Nachdruck verboten.)
Im Nu wußte er au der anderen Seite
des Tisches das Gespräch an sich Jlt ziehen
und entwickelte einen so anziehenden, von
den Beifallsbezeugungen ßcner begleiteten
Redefluß, daß auch Presto und Jmgjor zum
Zuhören gezwungen wurden.
Er erzählte mit packende« Humor von
einer Jagd in der Lausitz und charakterisirte
die Personen, die dabei zugeKen gewesen,
mit solcher Meisterschaft, daß ihm Graf
Lavard und Graf Knut unter lebhaftem
Gelächter und mit sehr beifällige« Mienen
zutranken.
Aber Axel benutzte auch diese Gelegenheit,
um dem Doktor Presto einen Denkzettel zu
geben.
Indem er Presto lediglich einen anderen
Namen beilegte, entwarf er ein so sprechendes
Bild von dessen äußeren Erscheinung, seinem
Auftreten und Wesen und führte solche Kolben-
schläge gegen dessen Ueberhebung und Er-
îiehungsmangel, daß die Hausdame, Fräulein
Dierville, die offenbar Axels Abneigung gegen
Presto theilte, zunächst mit einem Ausdruck
höchsten Erschreckens, dann aber mit einem
wichen höchster Befriedigung die Lippen
"°rzog.
Nicht weniger schien die Gräfin durch
"iese Abfertigung angemuthet. Nachdem sie
Anfangs mit einer Miene des Zweifels, ob
ì" Beschreibung nur zufällig auf Prestö
"asse oder ob Axel jenen bewußt charakterisire,
erschien in der Folge etwas in ihren Zügen,
das Axel nicht nur über ihre Meinungen
'chließlich die beiden Buretzfreistaaten Lin-elberlmn haben..nun ihren Zweck Weicht,
stets gu gerechten, wenn a«ck nicht immer
für den sie gearbeitet haben. Transvaal ist
durch die Nadelstiche und die heuchlerischen
Erklärtmgen, welche durch Thatsachen Lügen
gestraft worden sind, wüthend geworden.
Wir bedauern, daß sich Transvaal entschlos
sen hat, ein Ultimatum abzusenden. —Die
Thatsache wundert uns nicht besonders —
das Gegentheil hätte uns mehr gewundert.
Die Buren saßen wie eine Maus in der
Falle und es ist bewundernswerth, daß sie
nicht schon früher ihre Zähne gezeigt haben.
Ihre bisherige Zurückhaltung liefert den
Beweis, daß sie bis zum letzten Augenblicke
den Ausbruch der Feindseligkeiten zu ver
hüten bedacht waren. -— Daily Chronikle
drück sich in demselben Sinne aus und sagt,
die Buren hätten deswegen so gehandelt,
da sie überzeugt waren, daß sie nicht gleich
zeitig den Frieden und ihre Unabhängig
keit erhalten koirnten.
Pretoria, 11. Okt. Nahezu alle hier
ansässigen Angehörigen fremder Nationa
litäten sind zur Front abgerückt, um für die
Unabhängigkeit Transvaals zu kämpfen.
Gegen hundert britische Unterthanen schwo
ren der Republik Treue. In Transvaal
nnd in dem Oranje-Freistaat herrscht die
größte Begeisterung in Folge der festen
Haltung der Regierung. Aus allen Lagern
-Treffen Telegramme ein, die siegesfreudige
Zuversicht ausdrücken.
In Johannesburg begehen die
Kaffern zahlreiche Eiudruchsdiebstähle, sie
plündern Läden und haben in einzelnen
Fällen auch! die Ladonbesitzer ermordet. —
Nicht weniger als 45 000 Flüchtlinge haben
das Randgebiet, seit Beginn der Krisis der-
lassen.
T«Mtt«àŞn Ptkļàz.
Hannover, 10. Oct. Ten ersten Gegenstand
der heutigen Tagesordnung bildete: Die An
griffe aus Ae G-rundanschauungen und die
taktische Stellungnahme der Partei.
Abg. Bebe l äuHertesich ungefähr folgender
maßen!: Eine Debatte, wie die. in die wir so
eben eirctrctuE, ist für die Partei nichts Neues.
Diskussionen -über das Programm der Partei
hat es stets gegeben und wird es Lets in der
Partei geben. Ich habe einmal gesagt: „Die
Partei befindet sich in einer beständigen geistigen
Msuserung." Dieser Ausspruch hat nicht nur
den Gegnern, sondern auch den Parteigenossen
zu vielfachen Angriffen Anlaß gegeben. Und doch
ist es so. Die Partei hat >ja bekanntlich in den
letzten drei Jahrzehnten mehrfach ihr Programm
geändert. sind Grumdanschcmungen, die für
absolut nsthMndig gehalten wurden, preis
gegeben worden. Es ist selbstverständlich, daß
eine Partei Wie die unsere, die von der heutigen
Staats- und Gesellschaftsordnung die freieste
MeinungsäuHseung verlangt, -auch ihren eigenen
Genossen die freieste Meinungsäußerung ge
statten muß. In der Sozialdemokratie hat stets
die freieste Kritik geherrscht, sie ist die Luft, der
Lebensodem der Partei. Ich habe es daher sehr
bedauert, daß aus der badischen Landeskonferenz
in Karlsruhe ein Beschluß gefaßt wurde, „der
Parteitag solle seine Würde nicht vergessen".
(Heiterkeit.) Die Genossen, die diesen Beschluß
gefaßt haben, müssen entweder noch sehr junge
Genossen sein, oder sie haben sich um das
Wesen der Partei sehr wenig gekümmert. Als
ob der Parteitag nicht stets seine Würde gewahrt
hätte. Dem Karlsruher Delegirten aus dem
vorjährigen Parteitage wurde allerdings gesagt,
daß er ein „Rauhbein" sei. Vielleicht wollen
die Karlsruher Genossen mit ihrem Beschluß
sagen, daß ihr Delegirter kein „Rauhbein" ist.
Ich habe gesagt, solange die Partei besteht haben
wir Debatten über das Parteiprogramm gehabt,
allein ick bemerke, keine ist von solcher Be
deutung gewesen wie die heutige, und zwar
ganz besonders, weil es sich um die Schrift eines
Mannes handelt, der sich insbesondere unter der
Zeit des Sozialisten-Gesetzes große Verdienste
um die Partei erworben hat und der nicht unter
uns sein kann, da er Gefahr läuft, sobald er den
deutschen Boden betritt, verhaftet und schwer
prozessirt zu werden.
Es ist bekannt, daß die von B e r n st e i n auf
gestellten Theorien schon auf dem vorjährigen
Parteitage in Stuttgart zu sehr lebhaften De
batten Anlaß gegeben gaben. Nach Beendigung
des Parteitages beschwerte sich Bernstein, daß er
mißverstanden worden sei. Ich habe deshalb
Bernstein geschrieben: Wenn Du mißverstanden
worden bist, dann schreibe eine Broschüre, aber
so klar und verständlich als möglich. Obwohl
Bernstein das gerade Gegentheil von dieser
meiner Bitte gethan hat, so ist es trotzdem
nothwendig, daß der Parteitag dazu Stellung
nimmt. Bernstein sagt u. a.: Wir sind soweit
gekommen, daß wir mit Marx und Engels heute
alles beweisen können. Das heißt also mit.
anderen Worten: Alles, was Marx und Engels-,
gesagt haben, taugt nichts. Wie ein so klarer
Kops wie Bernstein zu einer solchen Aeußerung
kommen kann, ist mir absolut unerklärlich.
Bernstein sagt weiter in seiner Broschüre: Marx
und Engels haben sich zu dem Blanquismus
bekannt, d. h. also mit anderen Worten: Marx
und Engels wollten ebenso wie Blanqui die
heutige Gesellschaft plötzlich durch eine Revolution
überrumpeln und so für die Arbeiter die politische
und ökonomische Macht erobern. Es kann keinem
Zweifel unterliegen: Was Darwin für die Natur
wissenschaft, das ist Marx für die nationalökono
mische Wissenschaft. Und einem solchen Manne
traut man zu: er wollte eine Gesellschassphase
überspringen und durch eine künstliche Revolution
die heutige Staats- und Gesellschaftsordnung
stürzen. Bernstein sagt: die Prophezeiung des
kommunistischen Manifestes, daß die Zahl der
Besitzenden imnier mehr abnehmen wird, ist nicht
eingetroffen. Bernstein hat nur das Wesen der
Statistik verkannt. Es ist richtig, die Zahl der
Kleinbetriebe ist um 61 pCt. gewachsen, die
größte Zahl der Kleinarbeiter sind Proletarier
im vollsten Sinne des Wortes und sind noch
viel schlechter gestellt als die Lohnarbeiter.
Bernstein behauptet, auch die Zahl der mittleren
Betriebe, d. h. derjenigen, die bis fünf Leute
beschäftigen, hat zugenommen. Auch dies ist
richtig. Bernstein vergißt nur, daß diese Leute
ihre Selbständigkeit nur aufrechterhalten können
durch die größte Ausnutzung des Lehrlingswesens,
er vergißt ferner, daß in der Statistik unter
den selbständigen Betrieben, die bis fünf Leute
beschäftigen, eine große Zahl Hausindustriellen
sind, die gar nicht selbständig genannt werden
können. Es ist aber auch bekannt, daß eine
bezüglich Prestos belehrte, soņdern die auch
sagten, daß sie ihm deshalb durchaus nicht
gram sei.
Anders aber Jmgjor, in per es sichtlich
vor Aufregung kochte.
Ganz abweichend von ihrer bisherige«
stummen Gleichgültigkeit gegen die Vorgänge
ihrer Umgebung, brach sie das Schweigen
und mischte sich in das Gespräch, .indem sie
nicht nur spöttisch Zweifel an der Wahr
scheinlichkeit der von Axel erzählte« Vor
gänge äußerte, sondern auch zum .effenen
Angriff vorging.
„Die Personen, die Sie uns schilderten,
Herr Graf, sind, wie ich es gar nicht be
zweifle, wirklich lebende Menschen, und Sie
erreichen Ihren Zweck, zu beweisen, daß
Sir scharf zu beobachten verstehen. Aber
Sie beweisen auch, daß Sie besser in fremde
Spiegel zu schauen vermögen, als in den
eigenen. Letzterer schafft nacksichtige Urtheile.
Diejenigen, die sich anmaßen, über andere
den Stab zu brechen, vergeffen allzu oft bei
ihren Borträgen, daß sick den Zuhörern
eine nicht zu^ ihrem Vortheil ausfallende
Betrachtung über ihre EinseiLigkeit auf
drängt —"
„Sie haben vollkommen Recht, gnädigste
Comtesse —" entgegnete Axel auf die her
ausfordernde Rede mit vollendeter Höflich
keit. „Nur glaube ich, daß ich diese Un
vollkommenheit, oder, wie Sie liebenswürdig
äußern, diese Einseitigkeit, mit fast allen
nieincn Mitbrüdern und Mitschwestern theile.
— Nur eine Ausnahme giebt's — ich spreche
nicht, um Komplimente zu sagen, gnädigste
Comteffe — und diese fand ich hier auf
Schloß Rankholm. Sie stub's! Sie geben
jedem, waS ihm zukommt und gelangen sicher
völlig milde klingenden RichterspvücheN!"
Der Eindruck cdieser Rede war ein sehr
verschiedener.
Jmgzors Wangen bedeckten sich mit der
BAffe des Zorns. Die schwarze« Augen
in ihrem bleiche« Angesicht mit dem braun-
röthlichem Haar funkelten unheimlich. Der
Doktor .aber, zugleich erregt an einem Brot
kügelchen cknetend, riß den Mund jähzornig
zur Seite. Die anderen standen vorläufig
noch unter dem Eindruck, daß es sich viel-
mehr um eine scharf zugespitzte Neckeroi
handelte, als daß jene -sich bekämpfen wollten.
Der Graf äußerte -sich auch in diesem
Sinne, indem er hinwarf:
„So, Jmgjor! Nun weißt Du, aus
welchen Himmelshöhen Du zu uns hinabge
stiegen bist. Werde noch.etwas milder und
Du kannst einst als Heilige verehrt werden!"
Und die Gräfin warf Axel einen ihrer
forschenden Blicke zu, einen jener, durch den
fie zugleich verrieth, daß ihr Interesse für
Axel sich immer mehr steigerte.
Wie sehr übrigens diese Zurückweisung
Jmgjor getroffen hatte, bewies ihr ferneres
Verhalten bei Tisch. Sie hörte zwar auch
erner dem zu, was ihr der Doktor vortrug,
aber ihre Gedanken waren offenbar nur halb
oder gar nicht bei der Sache. Sie sann
ichtlich über einen Racheakt nach und mußte
doch ihren heißen Drang bezähmen, weil sie
Axel auf diese höfliche Abfertigung nicht
beizukommen vermochte.
Aber nicht ein einziges Mal richtete fie
das Antlitz ihm zu, und ebenso verharrte
der Doktor in einer feindselig stummen Ab
wehr. Axel wußte sich auch in der Folge
lediglich den übrigen zuzuwenden, blieb bis
zum Tafclschluß in einer lebhaften Eon
versation mit jenen und -entging dadurch
der Pflicht, Höfiichkeitsakte gegen Jmgjor zu
üben. und irgend welche Notiz von seinem
Gegenüber zu nehmen.
Nach Tisch empfahl sich der Doktor, in
dem er Krankenbesuche vorschützte, und auch
Jmgjor verschwand. Erst beim Thee, den
sie zu bereiten hatte, erschien fie wieder.
Sie hatte aus irgend einer Laune nun
mehr Wieder ein schwarzes Kleid angelegt
und sah in diesem mit ihrem bleichen, kalt-
stummen Gesicht wie eine trotzige Büßerin
aus.
„Wo warst Du, Jmgjor?" forschte die
Gräfin, bie mit den drei Herren nach Tisch
einen Spaziergang im Park unternommen,
päter eine Partie Boston gespielt und diese
jetzt eben beendigt hatte.
„Ich bin nach Mönkegjor durch den Wald
^.ritten —" gab Jmgjor kurz zurück.
Als sich Axel noch vor dem Schlafen
gehen und allgemeinen Aufbruch Jmgjor
näherte — sie saß mit einem Buch für sich
in einer durch eine Hängelampe erleuchteten
Ecke des Cabinetts — und fie fragte, welche
Lektüre fie so sehr beschäftigte, entgegnete
re tonlos und ohne seinen auf das Buch
gerichteten Bewegungen zu entsprechen und
cs ihm zur Prüfung anzubieten:
„Ich lese Geist in der Natur von Oer-
ked —"
„Und eine so schwere Lektüre fesselt Sie?"
„Mich fesselt olles, was mich über die
einseitige Enge des Daseins zu erheben ver
mag!"
„Sie betonen Ihre Worte so stark! Haben
Sie bereits so unerfreuliche Erfahrungen
gemacht, Comtesse?"
Aber sie gab auf diese Frage keine Ant
wort. Sie zuckte nur die Achseln. — Aber
deshalb trieb's ihn, die Schranke gewaltsam
zu durchbrechen, die sie trennte.
Sanft sprechend, sagte er:
„Ich würde gern Ihre Freundschaft er
ringen, Comtesse! Aber Sie weichen mir
schroff aus. Sie gebrauchen sogar Waffen gegen
mich. Ich sinne über die Gründe nach,
die Sie so handeln lassen. Giebt's keinen
Weg, der uns zusammenführen könnte?"
Indem sie ihn kalt und unbeugsam an
blickte. sagte fie kurz und hart im Ton:
„Nein, keinen, Graf Dehn!"
Nach diesen Worten benutzte fie einen
Anruf von Fräulein Merville, machte eine
kühl entschuldigende Geste, stand auf und
entfernte sich rasch.
Er aber schaute ihr nach, umfing mit
einen Blicken die Psychegestalt, seufzte auf
und trat zu den übrigen zurück.
Die Herren waren eben im Nebenzimmer
beschäftigt, die Gräfin aber, die zu einer
Handarbeit gegriffen, erhob bei seiner An
näherung den Kopf und sagte mit liebens
würdiger Milde:
„Ja, leicht ist, lieber Graf, diese Festung
nicht zu nehmen. Wären wird beide in
gleichem Alter, wäre cs Ihnen bequemer
geworden!"
„Ich besitze also Ihr Wohlwollen, ver
ehrteste Frau Gräfin? Darf ich Ihre Worte
o deuten?" stieß Axel heraus.
„Ja,Ş Graf Dehn!" Sie sprachs und
treckte ihm gütig die Hand entgegen.
Und Axel ergriff sie und drückte einen
esten Kuß auf die weiße, weiche Fläche, die
unter der Berührung seiner Lippen leicht zu
beben schien. (Forts, folgt.)