Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

Der Kaffationshof würde dann den Un> 
schuldigen retten und der Wahrheit zum 
Siege verhelfen, die schon in Rennes 
einen tüchtigen Schritt vorwärts gethan habe 
Kochwasser. 
Theilweise große Ueberschwemmungen 
werden aus verschiedenen Theilen des deut 
scheu Reiches gemeldet. Im sächsischen 
Vogtlande ist die durch das Hochwasser 
der Mulde herbeigeführte Verwüstung be 
deutend. Die meisten Unheilsbotschaften 
treffen aber aus Schlesien ein. In Warm- 
brunn erreichte die Hochfluth ungefähr den 
Stand von 1897. 
Die Katzbach ist über die Ufer getreten. 
In Schönau mußten die Häuser am Fluß 
geräumt werden. In Folge Wolkenbruchs 
ist bei Neisse der Karritzfluß ausgetreten. 
Bei Neustadt in Oberschlesien steht das 
Prudnikthal unter Wasser, die dortigen Fa 
brikgebäude sind gefährdet, und die Arbeit 
ist in ihnen eingestellt. 
Die Neiße ist bedeutend gestiegen. Auch 
aus Reichenberg wird gemeldet, daß durch 
anhaltende Regengüsse Hochwassergefahr be 
steht. Die Kirche in Schwengfeld steht 
unter Wasser. Auch im Riesengebirge war 
Gefahr. 
Ber München ist die Isar rapide gestiegen 
und hat den höchsten Stand seit 40 
Jahren erreicht. Auf der von zwei 
Jsararmen gebildeten Kohleninsel, aus der 
sich die Sportausstellung befindet, ist das 
Erdreich mit Bäumen fortgerissen worden 
und ein Haus eingestürzt. Diü übrigen 
Häuser wurden durch die Feuerwehr ge 
räumt. Sämmtliche hölzerne Brücken, 
welche über die Isar führen, sind polizei 
lich gesperrt. Besonders bedroht sind das 
neue Volksbad und die Elektrizitäts 
werke. Eine Reihe von Kellern steht um 
ter Wasser. Auch einzelne Theile der All 
gemeinen deutschen Sportausstellung sind 
gefährdet. Die Isar führt eine große 
Menge von Baumstämmen und Trümmern 
aller Art mit sich. Die Feuerwehr und 
das Militär, soweit letzteres nicht im Ma 
növer ist, sind zur Hilfeleistung an den ge 
fährdeten Punkten bereit. Da noch weiteres 
Steigen des Hochwassers gemeldet wird, 
sind die Bewohner verschiedener Straßen 
veranlaßt worden, die Keller zu räumen. 
Aus allen Theilen Ober-Bayerns und der 
angrenzenden Alpenländer wird ein An 
schwellen der Flüsse gemeldet. Ganz be- 
sonders bedrohlich ist das Hochwasser der 
Salzbach, in deren Gebiet mehrere Brücken 
fortgerissen worden sind und der Eisenbahn 
verkehr theilweise eingestellt werden mußte. 
Wenn das Steigen anhält, droht eine Ka 
tastrophe ähnlich derjenigen von 1897. 
Aus Oesterreich wird ein rapides Stei 
gen der Salzbach, Enns und Traun ge 
meldet. Zwischen Ischl und Ebensee ist der 
Bahn- und Straßenverkehr unterbrochen 
Die Reichsstraße ist in einzelnen Theilen 
zerstört. Der Bahnhof in Ebensee ist über 
schwemmt, ebenso die niedrig gelegenen 
Theile von Ischl, Ebensee und Gmunden. 
Winter, wenn die Wege gefroren sind, dann 
wird's thalwärts gefahren . . das ist Eure 
besondere Aufgabe, Alles zu beaufsichtigen 
Der Hof selbst und was d'rum und d'ran 
ist, kümmert Euch nichts; nur über den 
Pferdestall seid Ihr Herr, den geb' ich Euch 
frei. Sonst gilt mein Wille und wollt Ihr 
'was ändern, so fragt Ihr mich zuerst . 
jetzt kommt", unterbrach sie sich. „Die 
Abendsuppe ist drüben schon angerichtet . 
ich will Euch dem Gesinde zuführen, die 
Hausmagd mag Euch nachher Eure Kammer 
weisen." 
Das kam alles so geschäftsmäßig, so klar 
und zielbewußt heraus, daß Adam nichts 
dagegen zu sagen wußte. Sie ging wieder 
an ihm vorüber, der Ausgangsthür zu, das 
Knäblein bei der Hand führend. 
Dann wendete sie sich plötzlich wieder. — 
„Noch eins!" fügte sie hinzu. „Ich halt 
auf Ordnung im Haus. Um 10 Uhr Nachts 
ist jeder in seiner Kammer im Hof; den 
Sonntag habt Ihr frei bis Mitternacht, 
den Lohn zahl' ich Euck jedes Vierteljahr 
und ebenso wollen wir es mit der Auf 
kündigung halten. 
Nun öffnete sie wirklich die Thür und 
ging voran, Adam das Nachfolgen über 
lassend. Dieser war roth im Gesicht ge 
worden und ein gewaltiger Zorn regte sich 
in seinem Innern. Er konnte an den 
Worten der Bäuerin, so selbstbewußt und 
bestimmt dieselben auch klangen, nichts aus 
zusetzen haben; es war ihr gutes Recht, 
ihn mit der im Hofe herrschenden Haus- 
Ordnung bekannt zu machen und ihm deren 
pünktliche Befolgung anzubefehlen. Aber 
dennoch fühlte sich Adam in seiner Ehre 
gekränkt; das Herrische, Hochfahrende in 
Evas Umgangsweise war es, was ihm 
das Blut in die Wangen trieb. Der Säge- 
müller hat Recht; man wurde nicht warm 
bei dieser seltsamen, hochmüthigen Frau, 
welche mit soviel ausgesprochener Gering 
schätzung zu ihm sprach, bei jedem Worte 
ihn den zwischen ihnen bestehenden Unter 
schied nur zu deutlich fühlen laffend. 
Adam biß ingrimmig die Zähne aufein 
ander und folgte der Bäuerin dann auf den 
Gang hinaus. 
(Fortsetzung folgt.) 
Mehrere Brücken sind fortgerissen worden. 
Der Regen hält überall an. In den über 
schwemmten Orten mußten die Einwohner 
zum Theil ihre Wohnungen verlassen. 
München, 13. Sept., Wends 6 Uhr. 
Der Eisenbahnverkehr nach Kufstein wird 
voraussichtlich wegen Hochwassers mehrere 
Tage unterbrochen sein, die Nord- und Süd- 
Expreßzüge verkehren nur bis München, 
die Küfsteiner Schnellzüge nur bis Rosen 
heim. Der Orientexpreßzug wird nur bis 
Salzburg durchgeführt. In München 
wurde der Betrieb der elektrischen Trambah 
nen Nachmittags eingestellt, da das städti 
sche Elektrizitätswerk znm Theil über 
schwemmt ist. Eine amtliche Bekanntma 
chung besagt, daß voraussichtlich für heute 
Abend die elektrische Beleuchtung unterblei 
ben muß. Die Isar steigt weiter. Aus al 
len Theilen Oberbayerns kommen betreffs 
der Gebirgsflüsse gleiche Nachrichten. In 
Toelz stürzte die große Brücke zwischen 
Toelz und Krankenheil-Toelz ein. In Te 
gernsee und Schliersee mußten zahlreiche be 
drohte Häuser geräumt werden. In Rosen 
heim-Wasserburg stehen die äußeren Stadt 
theile unter Wasser. Die Bahn Freilassing- 
Reichenhall-Berchtesgaden ist unterbrochen. 
Zwischen den Trümmern und Holzstämmen, 
die die Isar durch München mitführt, wur 
den zwei männliche Leichen und einige 
Thierleichen gefunden. Der Regen hält 
ohne Unterbrechung an. 
9 Uhr Wends. In Folge besonderer 
Maßnahmen gelang es, für die Stadt die 
elektrische Beleuchtung zur Hälfte durchzu 
führen. Der Verkehr der elektrischen Tram 
bahnen blieb eingestellt. Heute Nachmittag 
stürzte beim Englischen Garten die über die 
Isar nach Bogenhausen führende eiserne 
Brücke ein; da sie seit Vormittag abgesperrt 
war, kamen dabei keine Menschen zu Scha 
den. In Rosenheim, wo einzelne Stra 
ßen unter Wasser stehen, wurde ein Fuhr 
mann mit seinem Fuhrwerk vom Wasser 
weggerissen. Bei Prien am Chiemsee ist 
ein Haus eingestürzt. Wasserburg am Inn 
ist vollständig unter Wasser, der Verkehr 
ist nur mit Kähnen möglich. Bad Aibling 
ist theilweise überschwemmt. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Newyork, 12. Septbr. Der Fall des 
„amerikanischen Dreyfus" ruft 
in den Vereinigten Staaten immer größere 
Erregung hervor. Die Sache liegt nur 
gerade entgegengesetzt wie in 
Frankreich, denn dieser „Dreyfus" ist 
zweifellos schuldig, und die Regierung 
will ihm nichts thun, weil er gedroht hat, 
onst eine Anzahl hochstehender Betrüger 
aus dem Kriegsministerium namhaft zu 
machen. Die Angelegenheit des Capitän 
Carter, der wegen Unterschlagung von 
2'/2 Millionen Dollars zu fünf Jahren 
Gefängniß verurtheilt und sich durch die 
Flucht in einen anderen Staat der Ab 
büßung der Strafe entzog, beschäftigt die 
Bevölkerung. Mac Kinley weigert sich, 
Schritte zu thun, ihn festnehmen zu lassen; 
er ist überzeugt, daß nicht der Capitän, 
andern mehrere Beamte des Kriegs 
ministeriums die Schuldigen sind. Ein 
neuer Proceß wird eingeleitet, und man 
nimmt an, das General Otis schwer com- 
womittirt ist. Es ist hierbei zu bemerken, 
daß die amerikanische Preffe den Capitän 
Carter im Gegensatz zu Mac Kinley ein- 
timmig für schuldig hält, nur wird er 
klärt, es gäbe zweifellos noch weit 
größere Diebe in der Armee 
leitung. 
England. 
London, 12. Sept. Die Agitation für 
den Boycott der Weltausstellung 
wächst rapid in allen englischen Industrie- 
Centren. Dieselbe ist nicht mehr einzelnen 
Firmen überlassen, sondern nimmt den 
Charakter der großen Combination an. 
Auch nehmen die Handelskammern die 
Angelegenheit auf. Die Friedens- und 
Schiedsgerichts-Gesellschaft hier protestirte 
jedoch in einer Versammlung gegen die 
Boycott-Bewegung. Die „Times" warnt 
ernstlich vor Uebereilung und sägt, der 
öffentliche Indignations-Ausbruch erheische 
Sympathie, doch sei es unweise, Frank 
reich zu verurtheilen, bis es feststehe, daß 
nichts zur Beseitigung des in Rennes ver 
übten Unrechts geschehen könne. Sicher 
werde osficiell kein Schritt zum Boycott 
gethan werden. — Es scheint, daß Eng 
land und Transvaal sich noch weiter 
aufs Diplomatisiren verlegen werden. Eng 
land hat gar kein Interesse daran, den 
Ausbruch des Krieges zu beschleunigen, 
bevor Hilfskräfte aus Indien herbeigeholt 
ind. Meldungen aus Kapstadt besagen, 
nach dort aus Pretoria eingegangenen, 
allerdings nichtamtlichen Berichten werde 
Transvaal die in der Chamberlain-Ulti 
matum enthaltenen Bedingungen annehmen. 
Auch ein Bloemfonteiner Blatt schreibt, 
daß die Regierung von Transvaal die 
Einladung zur Konferenz nach Kapstadt 
annehmen werde. Man wird also zunächst 
noch verhandeln, aber zugleich rüsten. 
Wenigstens besagt ein Telegramm aus 
Johannesburg: Die Kriegsrüstungen dauern 
vrt. Die Thore von Johannesburg sind 
befestigt worden; Wälle werden aufge 
worfen und mit Vertheidigungsgräben der 
sehen. 
Frankreich. 
Einen Mißerfolg der Parise 
Weltausstellung beginnt man 
wie der „Magdeb. Ztg." aus Paris ge 
meldet wird, in französischen Regierungs 
kreisen, welche durch die Nachrichten über 
die Erregung im Auslande peinlich be 
rührt find, bereits ernsthaft zu fürchten 
Nach den Meldungen, welche aus goer 
schiedenen Ländern neuerdings eingetroffen 
sind, ist diese Befürchtung auch sehr ge 
rechtfertigt. Neuerdings haben m e h r e r 
große englische Firmen ihre 
theiligung an der Pariser Weltausstellung 
aufgegeben. Einer der königlichen 
Kommissare für die Pariser Weltausstellung 
Alderman Stephens in Newcastle hat er 
klärt, er wolle mit der Ausstellung nichts 
mehr zu thun haben, wenn Dreyfus nicht 
in Ehren freigesprochen werde. In 
Oe st erreich geht die Agitation gegen 
die Beschickung der Pariser Meltaus 
stellung hauptsächlich vom Klub der 
Wiener Industriellen aus, wo in den 
nächsten Tagen ein Aktionskomitee ge 
bildet werden soll. Auch die deutsch 
böhmischen Industriellen sind sehr ent 
schieden gegen die Theilnahme an der 
Ausstellung. Eine offizielle Regierungs 
kommission für die Ausstellung sucht vor 
läufig definitive Beschlüsse hintanzuhalten 
In der Schweiz wird die Einberufung 
einer Aussteller-Versammlung nach Zürich 
geplant, welche das weitere Vorgehen 
mit den Ausstellern der übrigen Schwerz 
vereinbaren soll. Namentlich die Groß 
industriellen finden, Frankreich biete keine 
rechtlichen Garantieen mehr für den 
Schutz der Aussteller. 
Inland. 
st 
— Der Kaiser machte während sei 
nes vorjährigen Aufenthaltes in Romin 
ten auf einer ihm vorgelegten Eisenbahn 
karte mit Kreide einen Strich über Thorn, 
Gerdauen, Angerburg und Goldap und be 
merkte, daß er künftig auf dieser Strecke 
nach Gr.-Rominten fahren werde, um 
ein Jagdrevier zu gelangen. Vom Gr. 
Nominier Bahnhof gedenkt der Kaiser über 
den Waldort Jodupp und längs dem 
genannten „F-Gestell", da dieses der 
nächste Weg ist, nach Rominten (Theer 
bude) zu fahren. Während die ganze pro 
jektirte Bahnstrecke Goldap-Stallupönen erst 
im Jahre 1902 fertig sein soll, wird die 
Strecke von Goldap bis Gr.-Rominten au- 
Wunsch des Kaisers um ein Jahr früher 
'ahrbar. Auf dem neu zu bauenden Bahn 
hof Rominten wird für den Kaiser ein Ern 
ofangsgebäude mit entsprechenden Zimmern 
und eine verdeckte Halle zur Unterbringung 
des Kaiserzuges gebaut. 
- Vom Kaiser selbst gezeichnet 
st nach dem „Lokalanzeiger" der Entwirr' 
der Bugverzierung, welche der als Ersatz 
des Kreuzers „Deutschland" bestimmte 
Panzerkreuzer „Fürst Bismarck" er 
1 alt en soll. Die Verzierung ist eine Büste 
Bismarcks mit dem Kürassierhelm und 
der Unterschrift: „Wir Deutschen fürchten 
Gott, sonst nichts auf der Welt." 
Mit Bezug auf die Entwickelung 
der Dinge in Preußen schreibt das 
Berl. Tagebl." wörtlich: 
„Das Gefühl der Schadenfreude 
bis zur Stunde der e i n z i g e G e - 
w i n n, den die L i b e r a l e n aus dem 
neuen Stande der Dinge zu ziehen ver 
mochten." 
Wir finden diese Aeußernng im höchsten 
Grade unnobel. 
Berlin, 13. Sept. Die „Dtsch 
Tgsztg." reproducirt einen Artikel der 
Korrespondenz des Bundes der Landwirthe, 
welcher den Standpunkt der Bundes 
leitung kennzeichnet. Der Inhalt des 
Artikels deckt sich im wesentlichen mit 
dem bereits bekannten Standpunkt der 
Agrarier in der Kanalsrage und in wirth 
schaftlichen Angelegenheiten. Es sei Auf 
gabe des Bundes, in unveränderter Königs 
treue und Vaterlandsliebe, mit uner 
schütterlicher Ruhe und kühler Besonnen 
heit weiter zu schaffen an dem mühsamen 
Werke der Sammlung und Kräftigung 
der staatserhaltenden Elemente. 
Der 9. 9. 99. oder die Sammelwuth 
oder der Sturm auf die P 0 st - 
ä m t e r 9 und 99, ausgeführt von den 
vereinigten Postkartensammlern Berlins 
und verwandten Berussgenoffen, wird für 
lange Zeit in der Erinnerung der Post 
beamten haften, die an diesen Aemtern 
in den denkwürdigen Stunden 9 bis 10 
Uhr Dienst hatten. Bei dem Postamt 
99 in der Schicklerstraße fand am Sonn 
abend um die angegebene Zeit ein solcher 
Andrang statt, daß ein Wachtmeister und 
mehrere Schutzleute den Verkehr ordnen 
mußten. An jeder Straßenecke, auf jedem 
Hausflur sah man Leute stehen, die 
ihre nach allen Windrichtungen adressirten 
Postkarten für die Auslieferung vorbe 
reiteten. Aus dem Postamte 9 am Pots 
damer Bahnhof war der Ansturm nicht 
geringer. Die Leute sammeln sich in 
Menge an dem Briefkasten an, um ihre 
kostbare Last dem Postamt anzuvertrauen. 
Die Stimmung der Masse war die einer 
gemüthlichen Selbstperfiflage, und man 
machte sich allerseits über die Marotte 
der Sammelwuth lustig. Das Postamt 
hatte sich auf den Sturm der Mafien wohl 
vorbereitet; man war auf Tausende gefaßt, 
aber Zehntausende kamen. Immer neue 
Sortirer wurden ins Treffen geführt, neue 
Stempeler, die den seltenen Stempel auf 
drücken sollten, aus den Plan geschafft. — 
Der Redaktion der „Vosi. Ztg." wurde 
eine frisch angekommene Postkarte aus 
aus Berlin vorgelegt, die nicht w e Ni 
ger a l s 6 8 „Neunen" trägt. Das 
Kunststück wurde durch übermäßige Fran- 
kirung mit Drei - Psennigmarken fertig 
gebracht. 
— Auch ein Mädchenhandel. In der 
„Rhein.-Wests. Ztg." lesen wir Folgendes: 
Der Inhaber einer Kellnerinnen - Agentur in 
Ostdeutschland, den wir dieser Tage durch eine 
Vertrauensperson ausfragen ließen, gab dersel 
ben auf Grund von Postanweisungs-Abschnitten, 
Telegrammen und einzelnen Briefen folgendes 
Bild von der Geschäftsthätigkeit solcher Agen 
turen. Der Agent sagte: „Ich verschaffe Kell 
nerinnen Stellungen am Platze, in Berlin, Bres 
lau, in den Ost- nnd Nordseebädern u. s. w. 
Das Geschäft ist durchweg ein recht gutes. Am 
Platze bekomme ich für eine Kellnerin allerdings 
nur 5—10 Mk. Provision, von den Berliner 
Restaurants schon 30—50 Mk., von Restaurants 
im Westen, in Badeorten u. s. w. 60—73 Mk." 
— Zum Beweise legte der Agent die Postkoupons 
vor, die er in einer Woche im August erhalten 
hatte. Es waren 38 Stück; er hatte also allein 
in einer Woche nach außerhalb 38 Abschlüffe ge 
macht. „Das Geschäft ist übrigens sehr ein 
fach", fuhr der Agent fort, „eine zeitraubende 
Korrespondenz wird nie geführt, die Abschlüsse 
erledigen sich meist auf dem Drahtwege. Da 
heißt es einfach: „Gewünscht 1, 2 oder 3 Kisten." 
Oder es wird depeschirt: „Mittelstarke, starke, 
schwache oder dicke Kiste senden", ferner: „feine, 
elegante Kiste nöthig". Kisten sind nämlich in 
unserer Geschäftssprache Kellnerinnen." Bei wei 
terer Befragung des Agenten ergab sich, daß 
die Reisekosten für eine Kellnerin stets der be 
treffende Restaurateur trägt, der das Mädchen 
engagirt. Das ist aber auch fast alles, was der 
betreffende Restaurateur für das Mädchen tĢut 
Denn Gehalt zahlt er nicht. Die Kell 
nerin muß eben den Gast durch ihre weiblichen 
Reize fesseln und im Zusammenhang damit fort 
während „animiren", zu deutsch gesagt rupfen, 
und nur dafür erhält sie vom Wirthe eine Be 
lohnung, meist in Prozenten. Diese Prämien 
oder „Provisionen" zusammen mit den Trink 
geldern sind ihre Einnahmen. Natürlich bringen 
es viele derartige Kellnerinnen zu einer Virtuo 
sität im „Animiren" und jeder Wirth einer Ani- 
mirkneipe bemüht sich, eine solche Virtuosin zu 
erhalten. Dann depeschirt er: „Brauche Gold 
kiste." Diese „Goldkisten" werden so lange als 
möglich im Lokale gehalten, und ist der Wirth 
noch ledig, so läßt er sich öfters schleunigst diese 
Goldkiste antrauen. Sonst bleiben gute Gold 
listen oft bis zu einem Jahre und länger in 
einem Lokale, während die anderen Kellnerinnen 
fortwährend wechseln und aus dem Grunde un 
unterbrochen wechseln müffen, weil die Gäste stets 
neue Gesichter sehen wollen. Man liest auch be- 
tändig in den Annoncen solcher Kneipen: „Voll- 
tändig neue Bedienung." Dieser unaufhörliche 
Wechsel der Kellnerinnen ist die Hauptursache der 
glänzenden Einnahmen der Agenten. Viele Kell 
nerinnen wechseln jeden Monat ihre Stellungen 
und jedesmal bezieht der Agent seine Vermitte 
lungsprovision. Vielleicht fragt man: Woher 
kommen alle die Mädchen, die sich als Kellne 
rinnen hergeben? Es sind dies (Bayern ist hier 
bei auszunehmen; dort trägt das Kellnerinnen 
wesen einen ganz anderen Charakter) theilweise 
leichtsinnige, arbeitsscheue Mädchen, denen die 
Beschäftigung als Verkäuferinnen, Schneiderin 
nen, Dienstmädchen u. s. w. nicht behagte. Aber 
viele Wirthe von Animirkneipen kapern direkt 
hübsche, junge und unerfahrene Mädchen, sobald 
diese als Wäscherinnen, Austrägerinnen von 
Schneidergeschäften oder aus anderen geschäft 
lichen Ursachen zu den Kellnerinnen in die Re 
taurants gesandt werden. Viele Kellnerinnen- 
Agenten sind auch ehemalige Stellenvermittler 
für weibliches Personal oder betreiben das Ge 
schäft noch immer zum Schein neben ihrem eigent 
lichen Gewerbe oder unterhalten scheinbar ein 
Vermittelungsbureau für Stellensuchende aller 
Art, während sie in Wirklichkeit sich fast aus 
schließlich mit der Placirung von Kellnerinnen 
befaßen. 
Es wird hohe Zeit, daß dieses Ver 
mittlerwesen unter die strengste Aussicht 
gestellt wird, denn was in den obigen 
Darlegungen geschildert wird, ist nichts 
anderes als eine Form des Mädchenhan 
dels und in gewissen Fällen auch der 
Seelenverkäuserei. 
Kahla, 13. Sept. Die Eröffnung des 
Konkurses über den hiesigen Vor 
chußverein hat die Gemüther in einen 
Zustand von Erregung gesetzt, der sich in 
Straßenkundgebungen Luft zu 
'chaffen suchte. Das empörte Publikum, in 
der Mehrzahl Landwirthe, forderte mit Un 
gestüm Geld und verlangte — Spitzbuben 
und Betrüger waren die gelindesten Aus 
drücke — Rechtfertigung von den Schuldi 
gen. Es kan: soweit, daß sämmtliche Anf- 
ichtsrathsmitglieder flüchten mußten. 
Kaufmann Undeutsch hielt sich am Mitt 
woch bis Mitternacht in der Küche ver- 
teckt, weil er Sorge um sein Leben 
rng. Auch Hoffmann sen. aus Löbschütz 
üchte in einem benachbarten Hause Schutz 
zegen seine Verfolger. Die Unruhen setzten 
sich auf der Straße weiter fort; eure zahl 
lose Menge Einwohner hatte sich auf km 
Markte versammelt, die gleichsam das Rath 
haus belagerten, um den Hauptschuldigen 
Undeutsch, von dem mm: wußte, daß er 
!ich darin verborgen hatte, nicht ungerupft 
davonkommen zu lassen. Unter sogenann 
ten Kanonenschüssen und Loslassen anderer 
Feuerwerkskörper wurk die Bewegung so 
heftig, wie sie Kahla nicht einnral 1848, 
too es bekanntlich recht stürmisch zuging, 
kannte. Eine Abordnung verlangte vom 
Amtsgericht die Verhaftung aller Aufsichts- 
rathsmitglieder, die aber wegen Mangels 
eines Antrages abgewiesen wurde. Nach 
dem sich die Straßenunruhen bis zu Un- 
deutsch's Wohnung fortgesetzt hatten, gelang 
es erst, die Ordnung wieder herzustellen. 
Die Hauptschuld des unglücklichen Ereig 
nisses wird nach dem „Erfurter Allgem. 
Anz." dem hannoverschen Bankleiter und 
Senator Dr. Glackemeyer zugeschrieben, der 
es verstand, als Gläubiger Depotwechsel in 
gsiuz bedeutender Höhe an sich zu ziehen^ 
die jetzt von den Banken zur Einlösung 
präsenUrt werden. 
Wrescheu, 12. Sept. In Borzykowo 
sind eine Frau und ein zweijähriges Kind 
an Pilzvergiftung gestorben; der 
Ehemann ist schwer erkrankt. Ein drei 
Tage altes Kind wurde von der Frau im 
Bett erdrückt. 
Bon», 12 Sept. Auf dem hiesigen 
F r i e d h 0 f e wurde eine Dame von 
einem bis jetzt unbekannten Strolch an. 
gefallen und aufgefordert, ihre Baarschaft 
herauszugeben. Als die Dame sich wei- 
gerte, dies zu thun, erklärte der Strolch, 
er werde sie ermorden, falls sie das Geld 
nicht herausgebe. Die Dame gab hierauf 
ihre Börse mit 33 Mark Inhalt her, 
worauf der Attentäter flüchtete. 
Aus der kaiserlichen Schatulle 
sind, wie das „B. aus Marienbnrg 
meldet, für jedenGiebel der niedergebrannten 
Lauben, der in der früheren alterthüm- 
lichen Weife wieder hergestellt wird, 1000 
Mark bewilligt worden. 
Würzburg, 12. Sept. Jnnungsmüde 
werden die hiesigen Handwerksmeister. 
Nachdem erst vor Kurzem die Schneider 
meister aus Mangel an Mitgliedern und 
Geld ihre Innung auslösten, haben jetzt 
auch die Friseure an den Magistrat das 
Ansuchen auf Auflösung ihrer Innung 
gestellt. Von einer Zwangsinnung wollen 
die Meister gar nichts wissen. 
Dem berüchtigten Einbrecher Heinrich 
Cornehl aus Volksdorf gelang es, am 31. 
Mai 1897 aus dem Hamburger Zuchi- 
hause zu entspringen. Bisher wollte es 
nicht gelingen, ihn wieder zu fassen. Nun 
mehr ist es aber unter Mitwirkung des 
Distriksofficianten Reichert in Farmsen 
gelungen, den gefährlichen Patron dingfest 
zu machen. Er wurde in Aachen ver 
haftet. Cornehl will längere Zeit im 
Auslande gewesen sein, doch nimmt man 
an, daß er an einer Reihe inzwischen vor. 
gekommener frecher Einbruchsdicbstähle be> 
theiligt ist. 
Hamburg, 12. Sept. Labori, der Ver» 
theidiger von Dreyfus, hat als Knabe 
von acht Jahren kurze Zeit in Hamburg 
am Grindel mit seinen Eltern gewohnt 
und auch dort die Schule besucht. Seine 
Eltern siedelten bald wieder nach Frank- 
reich über. — Auf dem am Sonntag hier 
abgehaltenen antisemitischen Parteitag 
kündigte, wie der Holst. Cour. gleicher- 
weise berichtet., Liebermann von Sonnen- 
berg seinen eventuellen Rücktritt von 
der Parteileitung an, falls seine Anficht 
über die weitere Parteitaktik nicht Billi 
gung finde. Er empfahl fernere Selbst- 
ländigkeit der Partei, doch müsse die 
Verhetzung zwischen verwandten Parteien 
und Gruppen, insbesondere mit dem 
Bund der Landwirthe, den Konservativen 
und den Christlich-Socialen aufhören. 
Auch mit den Nationalliberalen, soweit 
ie in nationaler Beziehung die Bestrebun 
gen des Dr. Lehrs (des bekannten All 
deutschen), in wirthschastlicher die des Abg. 
v. Hehl vertreten, lasse sich vielleicht auch 
ein freundnachbarliches Verhältniß an- 
bahnen. Als Ziel schwebe ihm ein 
wrmelles Wahlbündniß auf der Grundlage 
der Sicherung des gegenseitigen Besitz, 
standes vor, zur Eroberung socialdemo- 
kratischer Wahlkreise. Giese-Berlin sprach 
ich gegen den Pacificirungsplan, Graf 
Reventlow-Wulfshagen dafür aus. Da 
gegen sprachen noch Vielhaben und Zimmer- 
mann.^— Schließlich wurden Liebermann 
und Zimmermann wieder in den Partei 
vorstand gewählt. 
lc. Hamburg, 13. Sept. Zwei lang. 
jährige Beamte der Kommerz- und Dis 
konto-Bank sollen sich. ihre Vertrauens- 
tellung mißbrauchend, verschiedene Verun« 
reuungen zu Schulden kommen lasten haben. 
Der Verlust der Bank ist noch nicht fest, 
gestellt, dürste aber nicht groß sein. 
Provinzielles. 
Altona, 12. Septbr. Wir berichteten 
jüngst über in Submission ver 
gebene Malerarbeiten mit den eingeliefer 
ten Preisen, die ganz unbegreiflich ab 
wichen, theilweise zu Schleuder 
preisen angeboten waren. Den Zu- 
chlag erhielten in allen Fällen die 
Winde st fordernden. Wie sie auf 
chre Kosten kommen, ist eine andere Frage. 
Ein Meister wollte, als er den Zuschlag 
erholten hatte, die Ausführung der Arbeit 
ablehnen. Er sah ein, daß er sich gründ 
lich verrechnet hatte, aber es war zu spät. 
Nach eurer Ministerialverfügung muß 
der Zuschlag bem Mindestfordernden er- 
ttjeiU werden, wenn er leistungsfähig ist, 
d. h. wenn er unter Umständen etwas 
zuzusetzen hat. Ist das der Fall — und 
bei diesem Meister ist es so — dann ist 
® er ^nbeftforbernbe verpflichtet, den 
"schlug anzunehmen, und, wenn er ihn 
dennoch ablehnt, so läßt die Eisenbahn- 
Verwaltung die Arbeit auf seine Kosten 
ausführen. Da es dann noch theurer
	        
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