Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

TägLrch erscheinendes Matt. 
(Außer an Sonn- und Festtagen.) 
Màburger M Wochenblatt. 
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Arltrstes und gelesenstes Klatt im Kreise Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
92 fter Jahrgang. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburger Wochenblatt wird 
„Der Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen 
der Landwirthschaft) gratis beigegeben. 
WO. 216. 
Ireitcrg, den 15. September 
1899. 
Morgen-Berichte. 
Berlin, 13. Sept. Der „Lök.-Anz." 
schreibt: Daß für heute oder morgen 
ein Besuch des Zarenpaares thatsächlich 
in Aussicht genommen war, läßt sich an- 
gesichts der plötzlichen Rückkehr deê 
Alexander-Regiments aus dem Manöver 
mit der Weisung, sich zu einer Parade 
in Potsdam bereit zu halten und des 
ebenso plötzlichen Widerrufens der Ordre 
kaum in Abrede stellen. Vielleicht hat 
der gestern eingetretene Witterungsumschlag 
die Reisedispositionen des Zarenpaares 
umgestoßen. 
Berlin, 13. Sept. Folgende Personal 
veränderungen in der Armee werden der 
„Post" aus dem Manöverterrain gemeldet 
Kriegsminister Generalleutnant v. Goßler 
zum General der Infanterie befördert; 
Prinz Maximilian von Baden, Rittmeister 
und Eskadronchef im Garde-Kürassier 
Regiment, zum Major befördert; Prinz 
Joachim Albrecht von Preußen, Rittmeister 
und Eskadronchef im 1. Garde-Dragoner- 
Regiment, als Hauptmann uud Kompagnie« 
chef in das Königin-Augusta-Garde-Gre- 
nadier-Regiment Nr. IV versetzt. 
Stuttgart, 13. Bon aller Frühe bis 
halb 11 Uhr verkündete Kanonendonner 
das Toben des gewaltigen Kriegsspiel, 
kampses beider Armeen in Stuttgarts 
Nähe. Nach der heutigen Beendigung 
des Manövers erhält unsere Stadt Massen- 
einquartirung. Schon stundenlang durch 
ziehen die Bagagen württembergischer, 
badischer und elsässischer Regimenter die 
Stadt. 
Essen, 13. Sept. Ein hiesiger Jour 
nalist ist seit Sonnabend spurlos ver- 
schwunden. Als Grund werden vielfach 
verlorene Wetten, die er auf Dreysus 
Freisprechung abschloß, angeführt. Seine 
Angehörigen befinden sich in Sorge und 
vermuthen, ein Unglück ihm sei zuge 
stoßen. 
Kattowitz, 13. Sept. Eine furchtbare 
Dynamitexplosion fand in der Kohlengrube 
Niwka bei Sosnowice statt. Zwei Berg 
leute wurden in Stücke gerissen, drei 
schrecklich verstümmelt und getödtet, mehrere 
schwer verletzt. 
Köln, 13. Sept. Der diesjährige Ver 
bandstag der deutschen Gewerbe - Vereine 
beschloß, angesichts der Vorgänge der letz. 
ten Tage die Mitglieder des Verbandes 
zu bestimmen, die Pariser Weltausstellung 
nicht zu beschicken, da nach dem Urtheil 
im Dreyfusprozeß es nicht thunlich er 
scheine, der Ausstellung das nöthige Ver 
trauen entgegenzubringen. 
Osnabrück, 13. Sept. Bei dem Jubi- 
läum der Deckstation Badbergen-Osriabrück 
hielt Minister Frhr. v. Hammerfiein eine 
Rede, in der er die Landwirthschaft der 
weitgehendsten Hülfe des Staates versicherte; 
die Landwirthschaft sei eben das festeste 
Fundament des Staatwesens. Die Gerüchte 
über seine angebliche Demission dementirte 
der Minister. 
Dresden, 13. Sept. Die diesjähri 
gen Divisionsmanöver des 12. Armeekorps 
sind abgesagt worden. 
Verdun, 13. Sept. Gestern Abend 
entstand eine heftige Feuersbrunst in 
einem Gebäude, in dem eine Anzahl 
Pferde der manöverirenden Artillerie 
untergebracht war. Mehrere Soldaten, 
die sich an den Rcttungsarbeiten betheilig 
ten, wurden schwer verwundet und in's 
Spital gebracht. Das Gehöft mit den 
Pferden und dem Material der Artillerie 
ist verbrannt. 
Bern, 13. Sept. Auf dem großen St. 
Bernhard ist.letzten Sonntag ein ita 
lienischer Händler, • ein Mjähriger Mann, 
in einem Schn e e st n r m umgekommen. 
Kann: 20 Minuten von: Hospiz wurde er 
als Leiche gefunden. 
Loudo«, 13. Sept. Noch den aus 
Pretoria via Kapstadt und Pietermaritzburg 
vorliegenden Telegrammen über die Ab- 
sichten der Transvaalregierung ist Präsi 
dent Krüger bereit, die englischen 
Forderungen zu bewilligen; er 
wünscht nur eine vorgängige Erklärung 
der englischen Regierung, daß die letzte 
Depesche die Gesammtheit ihrer Ansprüche 
enthält. Auch gegen den Zusammentritt 
der Konferenz hat die Transvaalregierung 
nichts einzuwenden. 
London, 13. Sept. Hier hat sich ein 
Komitee gebildet, welches, außerhalb jeder 
politischen Partei, den Versuch macht, 
einen Krieg mit Transvaal zu verhindern. 
Paris, 13. Sept. Die „Frkf. Ztg." 
meldet: Die Begnadigung Dreyfus' 
scheiterte im gestrigen Ministerrath am 
Widerstande Loubets. Alle Minister, 
selbst Gallifet, traten für die Begnadigung 
ein, aber der Präsident der Republik er 
klärte, daß man eine spätere Zeit schon 
dafür abwarten muffe und daß er die Be 
gnadigung nicht jetzt 'sofort nach dem Ur- 
theil des Kriegsgerichts verfügen könne. 
Weiter meldet dasselbe Blatt: Solange 
das Urtheil gegen Dreyfus nicht rechts 
kräftig geworden ist, dürfte nach dem Er 
gebniß des gestrigen Ministerraths die 
Regierung keinerlei Initiative ergreifen, 
um die offenkundig gewordene Illegalität 
des ersten Dreyfus-Kriegsgerichtes zu 
verfolgen, dagegen wird erwartet, daß 
Frau Dreyfus als Vormund des Ver- 
urtheilten Strafantrag gegen General 
Mercier, Oberst Maurel und andere 
stellt; alsdann würde sich die Regierung 
der Sanktion nicht entziehen. Mathieu 
Dreyfus, der gestern nach Rennes zurück 
gekehrt ist und diesen Strafantrag ein- 
leiten soll, wird seinem Bruder die 
baldige bevorstehende Freilassung an 
gekündigt haben. 
Paris,. 13. Sept. Der „Temps" 
schreibt: Im Ausland fällt man ein 
strenges Urtheil über den Richter 
spruch von Rennes. Die Feinde 
Frankreichs werden sich nicht ändern, aber 
die unbefangen Denkenden, die Frankreich 
nicht hassen, jedoch aufrichtig glauben, 
Frankreich sei entehrt, werden bald wieder 
zu einer zutreffenderen Würdigung der 
Dinge kommen. Deshalb wollen wir in 
Frieden arbeiten, schließlich werden uns die 
Sympathien der Ausländer wieder in gestei 
gertem Maße zu Theil werden. 
Rom, 13. Sept. Der „Messagere" 
veröffentlicht einen Brief des Papstes an 
den Kardinal Richard, in welchem unter 
Hinweis auf die letzten Vorgänge in 
Frankreich die Katholiken zur Mäßigung 
ermahnt werden. 
New syork, 13. Sept. Die „Frkf. Ztg." 
meldet: In Washington hat eine von 
2000 Personen besuchte Messenversamm 
lung ihre Mißbilligung über die Verur- 
theilung des Dreyfus ausgesprochen. 
Urtheil im IreysV-Pklyeß. 
Paris, 13. Sept. Der gestrige Mini- 
sterraty beschäftigte sich mit der Frage, 
ob der Dreyfusprozeß direkt an den Kassa- 
tionshof zurückzuverweisen sei. Wie der 
„Soir" erfährt, wäre ein dahingehender 
Antrag gegen die Stimmen der Minister 
Monis, Lanessan und Millerand abgelehnt 
worden. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich 
der Ministerrath wirklich über diese Frage 
definitiv schlüssig geworden ist, bevor der 
Spruch des Revisionsraths gefällt ist. 
* * 
* 
Zur Rechtfertigung des Ur 
theils von Rennes wird vereinzelt 
immer noch darauf hingewiesen, daß 
D r e y f u s' Unschuld ja nur Deutschland 
gegenüber erwiesen sei, während er recht 
wohl für Rußland spionirt haben 
könnte. Das ist nun an und für sich 
wohl denkbar, aber das Urtheil von Ren 
nes wird dadurch nicht besser, denn es 
verdammt denAngeklagtenum 
des Bordereaus willen, d. h. 
wegen im Dienste Deutschlands 
verübter Spionage. Soll aber Dreysus 
unter diesem Deckmantel für ein anderes 
Verbrechen bestraft werden, so ist das 
denn doch ein Verfahren, für das der 
Ausdruck Ungeheuerlichkeit wahrhaftig noch 
milde genug wäre. 
Der „Hann. Cour." weist übrigens der 
„D. Tagesztg." nach, daß sie bei der Mit 
theilung des Urtheils die Worte „i m 
Bordereau aufgezähltenund" 
einfach weggelassen hat. Wenn Blätter 
so verfahren können ihren Lesern gegen 
über, so ist dieses ebenso unge 
heuerlich, denn sie begehen, wenn es 
wissentlich geschehen, damit eine Fälschung 
ihren Lesern gegenüber. 
Berlin, 13. Sept. Die „Berl. Nst. 
Nachr." schreiben zn der von den „Hamb. 
Nachr." und auch von anderen deutschen 
und ausländischen Blättern gebrachten An 
deutung, daß Dreyfus militärische Geheim 
nisse nicht an Deutschland sondern an Ruß 
land ausgeliefert habe, es sei doch auffal 
lend, daß die gleiche Version an den ver 
schiedensten Stellen zn gleicher Zeit auf 
tauche. Man könne sich deshalb dem Ein 
druck nicht entziehen, daß noch überraschende 
Enthüllungen zu erwarten seien. Wo so 
viel Rauch sei, müsse doch auch Feuer sein. 
Selbstverständlich würde die Bestätigung 
obiger Behauptung, die Glauben finden 
müsse, an der Verurtheilung des in Rennes 
beliebten Verfahrens nicht das Geringste 
ändern. Dreysus sei in Rennes wegen Ver- 
raths an D e u t s ch l a n d verurtheilt wor 
den, ohne daß auch nur der Schatten eines 
Beweises erbracht worden wäre. Möge es 
deshalb um jene Behauptungen, wie immer 
stehen, so bleibe das Urtheil doch eine Un 
geheuerlichkeit, die noch schandbarer sein 
würde, wenn die Richter auch nur eine 
Ahnung von dem wahren Sachverhalt ge 
habt hätten. — Ganz entschiedenen Ein 
spruch erheben die „Berl. Neuest. Nachr." 
gegen den von englischer Seite gemeldeten 
Versuch, den Fall Dreysus zn einem Ver 
hetzungsfeldzuge Deutschlands. gegen Frank 
reich auszubeuten. Deutschland sei der eng 
lischen Vormundschaft seit Jahrzehnten ent 
wachsen und wisse auch ohne englische Rath 
schläge, wie es seine Beziehungen zu an 
deren Mächten zn gestalten habe. 
Berlin, 13. Sept. Auch die „Post" 
läßt sich zur Dreyfusaffäre aus, indem sie 
sagt, das Verbrechen, dessen Dreysus be 
zichtigt werde und das irn Urtheile ge 
nannt sei, habe er nicht begangen, aber 
nach dem Materiale, das der Prozeß biete, 
erscheine es doch fraglich, daß Dreysus ganz 
reine Hände habe. Und wenn er, wie ver 
schiedene Blätter wissen wollen, an den Za 
ren Mittheilungen geliefert habe, also an 
den Bundesgenossen Frankreichs, so könne 
man dies wohl kaum als Landesverrath be 
zeichnen. 
* -i- 
* 
Zola veröffentlicht in der „Aurore" 
einen Artikel, überschrieben „Der fünfte 
Akt". Er sagt in demselben, daß er mit 
Entsetzen von der abermaligen Verurthei- 
lung Dreyfus' vernommen habe. Er sage 
jetzt, daß aus Deutschland die Wahrheit 
kommen werde, und er warte darauf und 
wisse es gewiß, daß Deutschland wie mit 
einem Donnerschlag das letzte Wort in 
der Sache sprechen werde. Folgendes sei 
seine Beichte: Schon bald nach dem Pro 
zeß im Jahre 1894 habe er erfahren, daß 
Esterhazy der Verräther sei, daß dieser 
einen ganzen Stapel von Papieren an 
Schwartzkoppen ausgeliefert habe und daß 
viele dieser Papiere von seiner Hand ge 
schrieben seien. Im deutschen Kriegs 
ministerium befinden sich diese Papiere zu 
einer Sammlung vereinigt. Als er be 
merkt habe, daß Dreyfus wieder von dem 
Kriegsgerichte in Rennes verurtheilt wer 
den würde, habe er Labori von seinen 
Erfahrungen Kenntniß gegeben, und La 
bori habe auf seinen Rath beantragt, diese 
Schriftstücke von Deutschland ausliefern 
zu lassen. Das Kriegsgericht habe dies 
verweigert. Jetzt würden sich dem Urtheil 
des Kriegsgerichts neue Thatsachen ent 
gegenstellen, die eine Revision begründe 
ten. Sollte diese nicht zu Stande kom 
men und würde auch die Regierung vor 
derselben zurückschrecken, dann würden die 
Vertheidiger der Wahrheit und des Rechts 
das ihrige thun. Am 23. November 
würden wieder Alle vor dem Gerichte ver 
sammelt sein. Dann würde sein (Zola's) 
Prozeß wieder beginnen. Labori würde 
dann sein Plaidoyer halten. Noch sei 
nichts verloren. Und wenn die Wahrheit 
mit Freiheit und Blut erkauft werden 
müßte, sie würde an den Tag kommen. 
mu 
8) Vom Nome èer AkellutiH. 
Roman von Georg Ho eck er. 
(Nachdruck verboten.. 
Bei niederkrachendem Donnerschlage sah 
Adam den stolzen Hof vor sich liegen; zu 
beiden Seiten die weit ausgedehnten Scheuern 
und Stallgebäude, rückwärts das stattliche 
zweistöckige Wohnhaus. 
Bei neuem Wetterschein durchschritt Adam 
den in tiefer Ruhe liegenden Hofraum und 
trat gleich darauf in den von einer Wand 
lampe erhellten geräumigen Hausflur ein, 
dessen ziegelgepslasterter Boden sorgsam mit 
Sand bestreut war. 
Auch hier herrschte tiefe Stille; nur von 
draußen brüllte der Donner und in den 
Stallungen regte sich das unruhig gewordene 
Vieh. 
Eine Thür öffnete sich; eine Magd er 
schien und schaute ihn neugierig fragend an. 
„Ja so, Ihr seid wohl der neue Ober 
knecht ?" frug sie alsdann, einem Bescheid 
Adams zuvorkommend. 
Dieser nickte und frug nach der Bäuerin. 
„Die Frau ist beim Bauern", berichtete 
die Magd. „Sie hat gesagt, ich soll Euch 
nur in die Wohnstub' führen . . dort mögt 
Ihr warten, bis sie Zeit für Euch hat." 
Dabei hatte die Magd auch schon eine 
Thür zur Rechten geöffnet. 
Adam trat in ein geräumiges Gemach, 
in welchem eine große Hängelampe hell 
brannte. Das erste, was dem Eintretenden 
auffiel, war die halb städtische Einrichtung 
bes Zimmers, in welchem sogar ein Klavier 
dicht fehlte. Wohl stand in der Mitte des 
Zimmers der übliche Eichentisch mit der 
dwißgescheuerten Platte! aber nicht Schemel 
umgaben ihn nach der Ortsfitte, sondern 
Rohrstühle mit hohen Lehnen umstanden den 
Tisch. 
Auf einem der Stühle saß ein Knabe, 
ebenfalls halb städtisch mit einem Sammet 
kittel bekleidet. Der blickte kaum beim Ein 
tritt Adams auf, sondern beschäftigte sich 
mit einer Schiefertafel, die er vor sich auf 
dem Tische liegen hatte und mit einem Holz 
griffel wacker bearbeitete. Es war ein hübsches, 
aufgewecktes Kind, der Mutter nach geartet; 
schwarze Löckchen fielen in die weiße Stirn, 
die Augen blickten tiefdunkel, aber sanfter 
und ruhiger, wie die der Tölzbacherin. 
Die Magd hatte die Thür hinter Adam 
geschlossen; dieser war mit dem Knaben 
allein im Zimmer. Von draußen drang 
durch die festverwahrten Fensterläden das 
dumpfe Donnergrollen; im Raume selbst tickte 
eine mächtige Standuhr. Sonst war alles 
still — — und dieses Schweigen legte sich 
Adam beklemmend auf die Brust. Das war 
so ganz anders, wie in der Sägemühle; ihm 
fehlte ordentlich in diesem Augenblicke das 
dröhnende, herzliche Lachen Stichlings, die 
ganze herzliche Art und Weise der biederen, 
wohlmeinenden Leute. 
Unschlüssig drehte Adam den Hut zwischen 
den Händen; am liebsten wäre er wieder 
gegangen. Ein Groll stieg in seinem Herzen 
auf; er wußte selbst nicht, worüber eigentlich. 
Dann schaute der Knabe plötzlich von 
seiner Schiefertafel auf. 
„Du, komm 'mal her!" sagte er und 
blickte den neben der Thür stehen Gebliebenen 
mit großen Augen an. 
„Was soll's?" frug Adam in wenig 
freundlichem Tone, ohne sich von der Stelle 
zu rühren. „Erst biet' mir die Zeit, wie's 
Brauch ist. Hast's nicht von mir vorhin 
gehört?" 
„Du bist doch der neue Oberknecht?" frug 
der Knabe verwundert darauf. 
„Der bin ich freilich." 
„Und ich bin Willi Tölzbacher!" sagte 
das kaum vierjährige Kind mit viel Selbst 
bewußtsein in Haltung und Miene. 
„Deswegen ist man doch artig und bietet 
die Zeit!" sagte Adam; er ging aber doch 
näher an das Kind heran und bot diesem 
die Hand. 
Willi schaute ihn verständnißlos und wie 
in aufsteigendem Trotze an. Aber er gab 
ihm keine Hand. 
„Kannst Du ein Pferd zeichnen?" frug 
er mit feiner Stimme; seine Sprache war 
dabei gänzlich dialektfrei. 
Nun mußte Adam lächeln. — „Ich denke 
wohl", sagte er und setzte sich neben das 
Kind, das krause, sich wirr kreuzende Linien 
auf die Tafel gemalt hatte. „Aber ich 
hab's nur mit artigen Kindern gern zu thun, 
das merk' Dir . . jetzt gieb mir 'mal erst 
eine Hand!" 
Der Knabe sah ihm trotzig in die Augen; 
dann aber legte er rasch die zierliche Rechte 
in Adams Hand. 
„Nun mal' mir aber auch ein Pferd!" 
begehrte er ungeduldig. 
Andächtig verfolgte er dann den Zeichen 
stift in Adams Hand; dieser war ein leid 
licher Zeichner und es gelang ihm darum, 
die Zufriedenheit seines kleinen Auftrag 
gebers zu erwerben. 
„Wie geht's Deinem Vater?" frug er 
während des Malens. „Ist schon ein Arzt 
im Haus gewesen?" 
„Weiß nicht! sagte Willi kurz darauf. 
Erstannt blickte ihn Adam von der Seite 
an. War es möglich, daß sich wirklich so 
herzlose Gleichgiltigkeit hinter der so an 
ziehend erscheinenden Gestalt des Kindes 
verbarg? Unwillkürlich mußte Adam an den 
verflossenen Nachmittag denken; ihn schauerte 
es noch, wenn er die selbstbewußte, kühle 
und gefaßte Haltung der Mutter des Knabens 
überdachte. 
„Du weißt doch, daß Dein armer Vater 
gestürzt ist?" frug Adam darauf. „Du 
hast ihn doch lieb?" 
Das Kind schaute ihn nur verständnißlos 
an; es war, als ob eine solche Frage ihm 
noch niemals gestellt worden sei. 
Adam athmete gepreßt auf; vie Luft im 
Zimmer wollte ihm immer drückender und 
schwüler vorkommen. Von draußen dröhnte 
der Donner. Unwillkürlich schob Adam die 
Tafel weit von sich und stand auf. 
Im selben Augenblick öffnete sich die 
Thür und die stolze gebietende Gestalt Frau 
Evas trat in's Zinimcr. Sie trug ein 
leichtes helles Hausgewand, das ihre schwel 
lenden Formen knapp umspannte und eben 
falls wider den dörflichen Brauch verstieß. 
„Nun, da seid Ihr ja!" sagte sie, während 
es in ihren mächtigen Augen zurückhaltend 
aufleuchtete. Sie neigte leicht den Kopf und 
gab dann Adam eine Hand. 
„Wie steht's mit dem Bauern?" frug 
Adam sogleich. Hoffentlich hat sich's zum 
Guten gewendet?" 
„Er hat einen Schaden auf der Brust 
davongetragen", berichtete die Bäuerin — 
und wieder klang ihre Stimme eisig. „Der 
Doktor war schon da; er meint, er würd' 
meinen Mann davon bringen, aber freilich 
bedürft' es vieler Pflege — nun, an der 
soll's nimmer fehlen, wenngleich für du 
ersten Monate an ein Aufstehen nicht denke 
ist!" 
„O, das ist schlimm!" stammelte Adam 
theilnahmsvoll. 
Eva schob die Achseln hoch. — „Er hätt- 
mir die Zügel lassen sollen, meinte sie blos 
„Es wär' nicht so weit gekommen." 
Sie ging an Adam vorüber und auf den 
Knaben zu, der sich wieder vor die Schiefer 
tafel gesetzt hatte und die Zeichnung Adams 
aufmerksam betrachtete. 
„Schau, Mutter, das hat mir unser Ober 
knecht gemacht!" sagte er. 
Die Bäuerin war an ihn herangetreten 
und fuhr ihm nun leicht mit der Hand 
über die kurzen Locken. Einen flüchtigen 
Blick warf sie alsdann auf die Tafel. 
„So habt Ihr schon Freundschaft ge 
schlossen?" sagte sie. „Recht so! Merkt's 
Euch, Adam, es ist nur klug, wenn Ihr 
Euch mit Willi gut stellt . . ich hab' nur 
ihn — er ist mein einzig' Glück auf der 
Welt!" 
In plötzlich mächtig hervorbrechender Leiden 
schaft vergrub sie eine Sekunde lang ihr 
Gesicht in den Locken des Knaben. 
„Meine Mutter hat mich lieb!" sagte 
dieser stolz und selbstbewußt zu Adam. „Wenn 
Du mir immer ein Pferd zeichnest, dann 
hab' ich Dich auch lieb . ." 
Die Bäuerin hatte sich neben ihm nieder 
gelassen; nun winkte sie Adam, näher zu 
treten. 
„Ich muß Euch doch sagen, was Ihr zu 
thun habt", sagte sie, ohne Adam zum 
Niedersitzen einzuladen. „Mein Mann hat 
viel Holz gekauft; das wird eben in den 
Bergen geschlagen . . im Spätjahr un 
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