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—92 ster Jahrgang.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburger Wochenblatt wird
„Der Landwirt!)"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen
der Landwi-rthschaft) gratis beigegeben.
Wo. 214.
Mittwoch, öen 13. September
1899.
Morgen-Berichte.
Berlin, 11. Sept. Das „Berl. Tgbl."
enthält massenhaft Zuschriften, welche
gegen eine Betheiligung Deutschlands
an der Pariser Weltausstellung protestiren.
Die Agitation gegen dieselbe nimmt auch
bereits feste Gestalt an. Wie das ge
nannte Blatt erfährt, wird in der Sitzung
der Berliner Stadtverordnetenversamm
lung der Antrag eingebracht werden, die
Stadt Berlin möge von der auf der
Pariser Weltausstellung geplanten Sonder-
ausstellung Abstand nehmen. — Der
„Voss. gtg." zufolge ist hier bereits ein
Ausschuß in der Bildung begriffen, der
gegen die Beschickung der Ausstellung
durch die deutsche Industrie und Kunst
wirken soll. Einzelne unserer ersten und
berühmtesten Firmen sollen bereits die
Erklärung abgegeben haben, daß sie ihre
Anmeldungen zurückziehen.
Paris, 11. Sept. Nach einer Depesche
aus Toulouse wird eine Unterredung mit
dem Kommandanten Carrisre veröffent
licht, der im Prozeß Dreysus als Regie
rungskommissar fungirte. Die „Agence
Havas" hebt daraus folgenden Passus
hervor: „Dreysus hat 5 Jahre Depor
tation abgebüßt. Ich für meine Person
wüßte nicht, weshalb man ihm diese nicht
anrechnen sollte. Ich glaube, daß man
das Gesetz im weitesten Sinne auslegen
und Dreysus begnadigen wird.
Es wäre das beste Mittel, der Agitation
ein Ende zu machen und daher das Beste,
was man thun könnte. Was die Degra
dation betrifft, so genügt die eine; man
wird sicherlich die Sache so einrichten, daß
man ihn nicht ein zweites Mal degradirt."
Rennes, 11. Sept. Die Mitglieder des
Kriegsgerichts traten heute Nachmittag zu
sammen und unterzeichneten das Gesuch,
das dahin geht, Dreysus die
Strafe der Degradation zu
erlassen. Dieses Gesuch wird zunächst
dem General Lucas, dem Kommandanten
des 10. Armeekorps, übermittelt, der es
durch den Kriegsminister Gallifet dem
Präsidenten Loubet zustellen wird.
RenneS, 11. Sept. Dreyfus hat heute
Vormittag das Revifionsgesuch gegen das
Urtheil des Kriegsgerichtes unterzeichnet.
Budapest, 10. Sept. Auf dem Manö-
berfelde bei Miskolz schlug ein Blitz in
ein Zelt ein. Bier Soldaten wurden ge-
tödtet, zehn verletzt.
Oporto, 11. Sept. Drei mit Serum
behandelte Pestkranke befinden sich aus
dem besten Wege zur Genesung. Gestern
find hier zwei Personen an der Pest ge
storben. Die zum Studium der Pest
nach Oporto entsandten deutschen Aerzte,
die Prosessoren Kossel und Frosch, sind
hier eingetroffen. Der Bericht der fran
zösischen Aerzte spricht sich dahin aus,
daß die Pest noch andauern könne, ohne
jedoch an Umfang zuzunehmen. Es sei
unmöglich, andere europäische Städte
vor Ansteckung zu schützen, aber die Seuche
werde verhältnißmäßig nur in Städten
auftreten, die keine zur Wahrung der
Gesundheit erforderliche Maßregeln ge
troffen haben.
Konstantiuopel, 11. Sept. Im Lazareth
zu B eiru t wurde ein P est fa ll festgestellt.
Derselbe soll an Bord eines von Alex
andrien gekommenen französischen Dampf-
bootes aufgetreten sein.
Konstantinopel, 11. Sept. Der in das
Lazareth in Beirut aufgenommene Pest
kranke, ein Grieche, ist gestorben. Die
strengsten Vorsichtmaßregeln sind getroffen
worden.
Paris, 11- Sept. Der Staatsrath
bewilligte 300 000 Frcs. für Schutzmaß.
regeln gegen die Pest. — Heute Abend
brach ein bedeutender Brand in der Rue
Darborg in der Nähe der Kirche St. Joseph,
dem Schauplatz der letzten Straßenunruhen,
aus. Eine große Niederlage von Federn
und Roßhaar wurde eingeäschert. Polt-
z i st e n , welche die Straße räumen
wollten, wurden vom Pöbel aus-
gepfiffen, trieben jedoch die Menge
auseinander. Einige Feuerwehrleute
wurden leicht verletzt. Der Schaden ist
bedeutend.
Marseille, 11. Sept. Seit drei Tagen
herrscht in der hiesigen Umgegend ein
furchtbarer Waldbrand; derselbe hat sich
bereits auf 20 Kilometer ausgedehnt.
Soldaten und die gesammte Feuerwehr
von Marseille sind an Ort und Stelle,
um des Feuers Herr zu werden, bis jetzt
noch ohne Erfolg.
Genua, 11. Sept. Zwei Züge, die
nacheinander von hier abgelassen wurden,
stießen bei der Station Campollgure zu
sammen. Drei Personen wurden getödtet,
sechs zehn verletzt. Der Verkehr ist nicht
unterbrochen.
Haag, 11. Septbr. Die „Frkf. Ztg."
meldet: Die Maschinisten und Heizer
der Rheindampser zu Rotterdam und
Dortrecht hielten gestern Abend eine Ver
sammlung ab und beschlossen, in den Streik
zu treten. Der Streik erstreckt sich aus
alle Firmen, die bis zum 9. September
den Kontrakt nicht unterzeichnet haben.
Es zeichneten in Dortrecht 19, in Rotter
dam 22 Rheder.
Leipzig, 11. Sept. In Flöha bei Frei
berg wurden zwanzig dortige Ein
wohner unter dem Verdacht schwerer
Sittlichkeitsverbrechen verhaftet.
Die Verbrechen sollen seit Jahren an
schulpflichtigen Kindern des Ortes be
gangen sein. Die Verhaftungen erregen
großes Aufsehen. Unter den Festgenommenen
befinden sich mehrere sehr angesehene Per
sönlichkeiten.
Plauen i. V., 11. Sept. In Schön
heide sino gestern Abend zwei Häuser ab
gebrannt. Eine fünfzigjährige Frau und
ihr zwanzigjähriger Sohn kamen in den
Flammen um.
Osnabrück, 11. Sept. Gestern Nach
mittag ging hier und in der benachbarten
westfälischen Gegend ein heftiges Unwetter
nieder, bestehend in Regen, Hagel und
Gewitter. Aus dem Lande wurden einige
Verwüstungen angerichtet. *
Darmstadt, 11. Sept. In der letzten
Nacht haben Studenten am weißen Thurm
eine große Puppe aufgehängt, welcher
ein Plakat auf die Brust mit der Auf
schrift „General Mercier" geheftet war.
Die Polizei entfernte die Puppe.
Ach î>» IkWS-ProK
Paris, 11. Sept. (B. L. A.) Die erste
Aufregung ist vorüber, und auf die mehr
oder weniger lebhaften Kuirdgebungen des
gestrigen Abends folgte heute ein vollkom-
men ruhiger Tag. Presse und Publikum
commentiren das Renner Urtheil. Allein
während die Presse beider Parteien eine
leidenschaftliche Sprache führt, zeigt die
Pariser Bevölkerung eine überraschend ru
hige Haltung. Man hörte weder gestern
noch heute, mit Ausnahme der nächtlichen
Kundgebung vor der Redaktion der „Libre
Parole", die traditionellen Rufe „Nieder
mit Dreysus! Nieder mit dem Verräther!
Nieder mit den Juden!" Die Thatsache, daß
zwei der Richter für Dreyfus' Unschuld
stimmten rmd weiter die bei Hochverrath
unbegreifliche Gewährung mildernder Um
stände hat hier viele Leute, selbst enragirte
Revisionsgegner, stutzig gemacht. Im Volke
konnte man schon gestern Aeußerungen hö
ren, welche erkennen ließen, daß man die
Begnadigung Dreyfus' nicht mißbilligen
würde. Das allgemeine Mitleid aber wen
det sich der Gattin, den Kindern und den
Brüdern Dreyfus' zu. Ein Umschwung ist
nicht zu verkennen. Der bisherige Haß
scheint milderen Gesinnungen Platz zu ma
chen. Am lebhaftesten interessiren die Na
men der beiden Richter, welche Dreyfus un
schuldig fanden. Der Figaro nennt Major-
Merle und Capitän Beanvais, die Lanterne
Major Breon und Kapitän Beauvais, Pa-
trie die Majore Breon und Profilet. Am
Vorabend der Urtheilsfällung sah man Ma
jor Breon in der Renner Kirche auf einem
Betschemel in tiefe Andacht versunken.
Mornard, der Advokat der Fran Dreyfus
vor dem Kassationshofe, äußerte über die
Strafe, die Dreyfus noch abzubüßen hat:
Die fünf Jahre auf der Teufelsinsel zählen
bei der Berechnung der neuen Strafe ganz
gewiß mit, aber sie zählen nicht doppelt.
Dies gilt nach dem Gesetz von 1875 blos
für Gefängnißeinzelhaft, nicht aber für die
Jnternirung (Detention). Dreyfus, der bis
her Deternirter war, hat sonnt noch fünf
Jahre abzubüßen. Mornard schloß: „Ich
glaubte, Dreyfus werde nicht neuerdings de
gradirt werden. Seine Richter haben, wie
ich vor der Abreise hörte, ein auf die De-
gradirung bezügliches Gnadengesuch unter
zeichnet." Als Jnternirungsorte nennt man
neben Corte noch die Festungsgefängnisse
Belle Isle en mer und Doullens. Als Jn-
ternirter darf Dreyfus täglich den Besuch
seiner Frau, Kinder und Brüder etnpfan-
gen.
Als Dreyfus vor versammelter Wache
das Urtheil verlesen wurde, hörte er die
Berurtheilnng völlig ruhig und ohne die
geringste Bewegung an. Er ging ruhigen
gemessenen Schrittes ins Gefängniß zurück.
Das Urtheil des Kriegsgerichts besagt: Der
Angeklagte wird mit 5 gegen 2 Stimmen
für schuldig erkannt, 1894 Machinationen,
Verbindung mit einer auswärtigen Macht
oder einen: ihrer Agenten unterhalten zu
haben, um dieselbe zu bestimmen, Feind
seligkeiten zu begehen oder einen Krieg ge
gen Frankreich! zu unternehmen, beziehungs-
werse derselben Mittel dazu verschaffen, in
dem er ihr Noten und Dokumente, ausge
zählt im Bordereau, lieferte.
Dre „Lanterne" schreibt über den
Fall Dreysus und über den Fall Mercier
werde das bürgerliche Gericht das letzte
Wort sprechen. Dasselbe Blatt will wissen,
am Sonnabend-Morgen seien drei Richter
für Freisprechung gewesen; die Stimme des
dritten sei erst irrt letzten Augenblick für die
Verurtheilung gewonnen worden.
C l e m e n c e a u schreibt: Aus Reimes
heimkehrende Freunde versichern mir, daß
gelvisse Generale mehrere Tage vor den: Ur
theilsspruch erklärten, Dreyfus werde in
ein Militärgefängniß auf Korsika gebracht
werden. Wie hatten die Generale vote dem
Urtheil sprechen können, das noch nicht ge
füllt war? Es fand also ein Handel statt,
um den Unschuldigen auf Kosten seiner Ehre
am Leben zu lassen.
Paris, 11. Sept. Die „Frkf. Ztg."
meldet: In den hiesigen Kreisen der Drey-
fnspartei rechnet man mit Sicherheit dar
auf, daß die Regierung in allernächster Zeit
durch Begnadigung oder durch sonstige ge
setzliche Mittel Dreyfus in Freiheit setzen
werde.
Köln, 11. Sept. Die „Köln Ztg.
schreibt zum Dreyfusprozeß: Die schlimm
ste und verhängnißvollste Seite des Ur
theils sei die Zubilligung mildernder Um-
stände, die entschieden verrathe, daß das
Kriegsgericht selbst Dreysus für unschuldig
hielt; es sei die Zufluchtsstätte des beun
ruhigten Gewissens. Die Richter Hütten das
abscheulichste Verbrechen begangett, dessen
tnan sie bezichtigen könne. Das Gewissen
ist falsch beurtheilt. Das Blatt sagt: Wir
haben jenen Offizieren die Ehre angethan,
zu glauben, sie hätten t die Vernehmung
Schwartzkoppens und Panizzardis abge
lehnt, weil ihnen eine weitere Entlastung
überflüssig erschien. Sie haben diese Ehre
nicht verdient, und Wir werden sie den fran-
zösischen Offizieren nie wieder erweisen, es
sei denn, daß sie vorher den Beweis erbrin
gen, daß sie ihnen zukommt.
N e w y o r k, 11. Sept. Die „Frkf.
Ztg." meldet: Das Urtheil über Dreyfus
entfesselte einen gewaltigen Entrüstungs
sturm. Viele Kongreßmitglieder sind dafür,
daß die Weltausstellung nicht besucht werde.
Hervorragende Bürger arrangiren eilte Ent-
rüstnngsversammlung. Die Presse bezeich
net ciithellig das Verdikt als tnottströs. Der
Newyork Herald sagt, daß nicht das ge
ringste Beweismaterial für Dreyfus' Schuld
erbracht fei, die Sun bezeichnet die Richter
als verabscheuungswürdige Geschöpfe, die
Chicago Tribune sagt, nicht Dreyfus, son
dern Frankreich sei eines scheußlichen Ver
brechens überführt.
Im Thalia-Theater verurtheilte eine
Massenversammlung das Urtheil gegen
Dreystis, ebenso in Louisville, St. Lotus
6)3 Vom Saume ücr Erkenntniß.
Roman von Georg Hoecker.
(Nachdruck verboten.)
Etwa eine Stunde später fand sich die
Familie mit ihrem Gaste in der Wohnung
wieder zusammen. Die Müllerin trug die
bauchige Kanne mit dem rauchend heißen
Kaffee auf, mächtige Schüffeln mit Kuchen
Und gar köstlich duftendem Schwarzbrot
standen schon auf dem gedeckten Tische; da
neben lag säuberlich aufgeschichtet auf eineni
Teller frischer Wabenhonig, von der eigenen
Zucht Stichlings, welcher weit und breit als
Bienenvater begründeten Ruf genoß.
Obwohl ihm die freundlichst dargeliehene
Kleidung des Obcrsägers nicht völlig paßte,
wachte Adam in ihr doch einen anderen und
Ungleich gefälligeren Eindruck; alles an ihm
athmete wieder lebendige, kräftige Jugend
lichkeit. Nur die Haare, welche sonst sich
in kurzen braunen Löckchen um die Stirn
ringeln mochten, hingen noch straff und regen-
schwer jui Seite.
Natürlich sollte Adam erzählen und er
that's auch in den kargen Zwischenpausen,
welche der allezeit schwatzlustig aufgelegte
Müller ihm übrig ließ, nach Kräften. Das
Bischen Lebensinhalt war bald erzählt; des
Dienstes ewig gleichgestellte Uhr hatte ihn
dvn der Residenz nicht übermäßig viel sehen
lassen. Schließlich kam's heraus, daß die
w Engertsbronn Zurückgebliebenen füglich
wehr zu erzählen wußten. _ Da war der oder
jener Nachbar gestorben, ein Anderer wieder
in Bermögcnsverfall gerathen; kurzum, der
^ägemüller war unermüdlich im Berichten
bnd auch seine wackere Hausehre half mit,
juweit sie zum Wort kam.
Aber Adam lohnte im Grunde genommen
die liebreichen Bemühungen der Ehegatten,
ihm die Zeit zu verkürzen und ihn über
alles Wiffenswerthe zu unterrichten, herzlich
schlecht. Er war zerstreut und hörte kaum
auf die Worte des Müllers. Unablässig
schweiften seine Blicke nach der Tischgegend,
hinter welcher Kläre Platz genommen hatte.
Das liebliche Mädchen saß seltsam befangen
am Tisch; sie hatte das kleine Schwesterchen
auf den Schoß genommen und fütterte das
selbe. Zuweilen aber sandte sic, obwohl dem
Anschein nach gänzlich in die Wartung des
Kindes vertieft, einen scheuen Streifblick nach
Adam aus. Regelmäßig ertappte sie dieser
dabei und dann hastete das holde Augen
paar des Mädchens rasch nach entgegen
gesetzter Richtung, während tiefdunklc Röthe
die feinen Wangen beschlich.
Während die Familie noch beim Kaffee
saß, kam schon der Fuhrmann mit Adams
Koffer. Stichling wollte ihn in's Gaststüb
chen schaffen lassen, aber das gab Adam nicht
zu,: ertheilte vielmehr dem Fuhrmann die
Weisung, das Gepäck nach dem Gehöft
Tölzbachers weiter zu schaffen. Hastig ent
nahm Adam nur einen Anzug dem Koffer
und ging, sich umzukleiden, um dem Ober
säger die geliehene Montur zurückerstatten
zu können.
Als Adam dann wieder herunterkam, fand
er die Wohnstube leer.
Draußen erschien lachend wieder die Sonne
und nur noch die in den Gczweigen funkeln
den Regentropfen gaben Kunde von dem
vor kurzer Zeit niedergegangenen Unwetter.
Frau Walpurga hantirte wieder in der
ichc. Geschäftig rief sie dem Heimgekehrten
zu, daß der Vater sich im Garten befinde,
um ein Pfeiflein zu rauchen und nach dem
Beerobst auszuschauen, ob dieses auch nicht
Schaden durch Wettcrschlag erlitten habe.
Aber der Sägemüller war nicht im Gärten;
man hatte ihn in die Mühle gerufen und
schon von weitem hörte Adam die lustige
überlaute Stimme des wackeren Mannes,
der mit irgend einem Kunden zu verhandeln
haben mochte.
Adam besann sich erst eine Weile, ob er
sich ebenfalls nach dem Sägewerk begeben
solle. Dann überlegte er sich's anders und
schlenderte gemächlich nach dem Garten,
welcher hinter den Gebäuden gelegen war
und in welchen ein schmaler, von verwittertem
Gemäuer begrenzter Durchlaß führte.
Der Garten selbst war nicht groß und
nichts weniger als kunstvoll angelegt. Hüben
und drüben Gemüsebeete, vorn mit niedrig
geschnittenem Buchsbaum eingefaßt; Obst
bäume mit ragenden, reichlich fruchttragenden
Zweigen über den ganzen Garten verstreut
und vorn beim Eingang eine Gaisblattlaube,
um die es ri,.gs von duftigen Blumenbeeten
würzig und verlockend duftete.
Kläre saß, das Schwesterchen auf dem
Schoß, in der Laube; sie wurde roth, als
sie den Heimgekehrten plötzlich vor der Laube
auftauchen sah, dann aber blickte sie ihn
möglichst unbefangen an.
Adam wollte etwas sagen; aber es fiel
ihm just nichts Gescheutes ein. So nickte
er nur der kleinen Ruth zu und riß dann
eines der großen Blätter, die über den
Laubeingang herabhingen, ab. Gedankenlos
führte er's zum Munde und kaute daran,
immer noch, ohne ein Wort zu sprechen.
Das Schweigen wurde schließlich peinlich;
Kläre mochte es fühlen, sie war ohnehin
schon wiederholt roth geworden. Jetzt aber
nahm sie allen Muth zusammen und öffnete
die Lippen. Es war belanglos, ja hölzern,
was sie sprach. Aber das war einerlei, war
doch der Bann gebrochen, der bisher gleich
mäßig beide jungen Leute bedrückt hatte.
Nun setzte sich Adam zu dem jungen
Mädchen auf die Gartenbank. Sie schäkerten
mit der kleinen Ruth, spielend hob der Heim
gekehrte die reizende Menschenblume auf die
Schultern und lief einigemal mit dem Kinde
im Garten auf und nieder.
Dann blieb Adam wieder vor dem Mädchen
stehen und sah dieses kopfschüttelnd an. Ein
trunkener Ausdruck trat dabei in seinen Blick;
es war als ob er sich gar nicht von dem
Erstaunen zu erholen vermöge, welches das
unvermittelte Erblicken der so von Grund
aus Veränderten ihm bereitet hatte.
Darüber wurde natürlich Kläre wieder
verlegen; endlich kicherte sie leise. — „Was
hab' ich nur an mir, daß Ihr — daß Du
mich so anschaust?" frug sie zagend.
Da wurde Adam roth wie ein ertappter
Sünder.
„Hätt's nie geglaubt, daß so ein wunder-
liebes Mädle aus Dir werden könnt'!" ge
stand er, tief aufathmend.
Da erhob sich Kläre hastig und warf
schmollend die Oberlippe auf.
„Aber geh', so 'was sagt man doch nicht!"
schmählte sie. „Ist das auch eine Manier
in der Residenz?"
Aber da wurde Adam keck; unternehmend
strich er sich den Schnurrbart und zwirbelte
ihn in die Höhe.
„Ja, schau einmal . . eigentlich hast mir
noch gar keinen Willkomm angewunschen!"
flüsterte er, ganz nahe an sie herantretend.
„Als ich von Dir ging, hob ich Dich auf
und gab Dir einen Kuß ... den bist mir
nun zum Willkomm eigentlich schuldig!"
Da leuchtete cs halb verschämt, halb neckisch
in den blauen Augen Kläres auf. Sie streckte
plötzlich dem darob Verblüfften die kleine
Schwester, welche sie inzwischen wieder auf
den Arm genommen, entgegen.
„Ruth, soll's heimzahlen, Du Wüster!"
lachte sie. Geschickt wich sie aus, als der
plötzlich Uebermüthig -Gewordene sie bei der
Hüfte fassen und sich gewaltsam den süßen
Willkomm holen wollte.
„Ah bewahr', so haben wir nicht ge
wettet!" rief sie mit ihrer hellen, wohl
klingenden Stimme und konnte es doch nicht
verhindern, daß sie wieder dunkelroth im
Gesicht wurde. „Bist Du ein Arger . . .
ist höchste Zeit, daß Du heimgekommen bist,
um Schick zu lernen!"
Eben kam Stichling hinzu. Schalkhaft
drohte er schon von weitem dem Hcimge-
kehrten mit dem Finger.
„Wart' Büble, i will Dir karrcssire!"
brummte er, schlug dann aber, nahe herbei-
gekomnien, Adam herzhaft auf die Schulter
und streichelte ihm gleich darauf die Wange,
während Kläre mit dem Schwesterchen auf
den Arm zur Seite entwich.
„Nei, wie's mich g'freut, daß Du wieder
hiesig bisch!" meinte er, neben Adam auf
die Gartenbank sich setzend. „Freilich", setzte
er, ernster werdend, hinzu, „will mir's nicht
gefallen, daß Du in des Tölzbachers Hof
Unterstand gefunden hast!"
Er sprach plötzlich hochdeutsch und runzelte
die Stirn noch ein wenig mehr, bevor er
weitersprach, aufmerksam von dem Heimgc-
kehrten angehört.