Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

Dreyfus ;chn IahrcnZ 
Gefängniß verurtheilt. 
Rach fünfwöchiger Verhandlung hat 
am 
Sonnabend-Nachmittag das Kriegsgericht 
in Rennes sein Urtheil dahin gefällt, daß 
Dreyfus wegen Landesverraths, unter Be 
willigung mildernder Umstände, mit zehn 
Jahren Gefängniß zu bestrafen ist. Wir 
haben diese Thatsache bereits durch Ex- 
trablätter unseren Lesern zur Kennt 
niß gebracht. Sie lauteten: 
Rennes, 9. Sept. Das Kriegsge 
richt hat mit 5 gegen 2 Stimmen Dreyfus 
des Verraths für schuldig befunden und 
unter Zubilligung mildernder Umstände 
zehn Jahren Gefängniß verurtheilt. 
Das Urtheil wurde unr 5 Uhr Nachmit 
tags gesprochen. Der Vorsitzende Jouaust 
las es mit fester Stimme vor. Dreyfus war 
nicht anwesend. Im -ersten Augenblick 
herrschte eisige Stille, dann brachen die 
Nationalisten in Jubel aus und verliehen 
den Saal, während Octave Mirbeau und 
Severine ihre Thränen nicht zurückhalten 
konnten. 
Das Urtheil wird vielfach so gedeutet, 
daß Präsident Loubet die fünf Jahre, die 
Dreyfus auf der Teufelsinsel zugebracht hat, 
als vollkommen verbüßte Strafe ansehen 
kann, da das hiesige Kriegsgericht Dreyfus 
zu zehnjähriger einfacher „Detention" ver 
urtheilte und die Jahre auf der Teufels 
insel doppelt zählen sollen. Das Urtheil 
spricht nur allgemein von mildernden Um 
ständen, ohne die ausgestandene Haft zu 
erwähnen. Die im Urtheil ausgesprochene 
„Detention" ohne Beisatz „Deportation" 
bedeuten Festungshaft. Das Urtheil be 
stimmt, daß der Präsident der Republik die 
Festung wählen kann. 
Die Vertheidiger und mehrere bekannte 
Anhänger Dreyfus' vereinigten sich zu einer 
Konferenz. Die vorherrschende Meinung ist, 
daß kein Gnadengesuch eingereicht, sondern 
der Kampf weitergeführt werden soll. An 
dererseits verlautet, daß das Kriegsgericht 
selbst einen Begnadigungsantrag stellte. 
Dreyfus selbst hörte das Urtheil mit voll 
ster Ruhe an. Die Verlesung geschah, nach 
dem die Richter den Saal verlassen hatten, 
im Saale selbst. Von Degradation spricht 
zwar einer der citirten Gesetzesparagraphen, 
die ausdrückliche Erwähnung der Degrada 
tion unterblieb jedoch. Frau Dreyfus wird 
an jenem Orte Frankreichs, wohin ihr 
Gatte gebracht wird, mit ihren Kindern 
Aufenthalt nehmen. 
Dreyfus soll gesagt haben: „Wenn ich 
allein auf der Welt stände, so würde ich 
vorziehen zu sterben." — In Rennes selbst 
sind die größten Vorsichtsmaßregeln getrof 
fen. Das 7. Dragonerregiment ist um 7 
Uhr früh hier angekommen; das 13. Hu 
sarenregiment hält die Thore der Stadt be 
setzt. leitende Artillerie ist ebenfalls zur 
Aufrechterhaltung der Ordnung herangezo 
gen worden; berittene Gendarmen patrouil 
lieren fortgesetzt in allen Stadtvierteln; fer 
ner sind drei Infanterie-Regimenter ange 
kommen, die in der Umgegend von Rennes 
Aufstellung genommen haben. Im Saale, 
Hände zusammen. „Obe auf'm Speicher 
isch no 'n ganzer Schrank voll vun dem 
Zeug's, do puppelt die Kläre no jeden 
Sunntig Nachmittag!" 
Das wie mit Blut übergoffene Mädchen 
flüchtete eilends in die Küche und schlug 
hastig die Thür hinter sich in's Schloß. 
„Aber da stehen wir und plaudern!" 
unterbrach ihn die Müllerin. „Adam ist 
durch und durch naß. Weis' ihm die Gast- 
stub' an, Vater, und gieb ihm einstweilen 
von der eigenen Kleidung etwas ab!" 
- „Jaso, er sollt' ein überzwerg' Figürle 
spiele in meiner Montur!" lachte der Un- 
verbesierliche von neuem. „Da muß er sich 
erscht ein gut Stückle von mei'm Bäuchle 
ausborge, bevor ihm die Buckse fitze!" 
„So sag's unserm Obersäger, der hat 
eine Gestalt mit Adam und kann ihm mit 
den Sonntagskleidern aushelfen, bis der 
Koffer mit den Sachen da ist!" entschied 
Frau Stichling. „Mach' jetzt voran — ich 
geh' inzwischen und koche einen warmen 
Kaffee — am nöthigen Kuchen soil's auch 
nicht fehlen!" 
„Und ei Kirschwäfferle, so'n schmalzig' 
Töpfle hol' ich noch extra aus 'm Keller!" 
schmunzelte der Sägemüller, die Lippen wie 
zum Pfeifen spitzend. „Bi Gott, sell hot 
'n fei G'schmäckle ... do wolle wir eins 
Mose, wann die Alti au mault!" 
Er lachte; dann wurde er aber plötzlich 
ernst und ergriff mit besonderer Feierlichkeit 
wieder beide Hände des jungen Mannes. 
„Nochmals willkommen im alten Heim!" 
sagte er voll innerer Rührung. „Mir ist's, 
als ob mein eigen' Fleisch und Blut nach 
Haus gekommen wär' — bist meinem Herzen 
immer nah' gestanden, Adam — — und 
meine gute Alte hat Dich auch immer lieb 
gehabt!" 
Das bedurfte keiner besonderen Versicherung, 
denn FrauWalpurga hatte längst denSchürzen- 
zipfel an die feucht gewordenen Augen ge 
führt und nickte nun gerührt mit dem Kopfe. 
„Jetzt geht nur — geht!" mahnte sie. 
„Es ist die höchste Zeit, wenn sich Adam 
einen Schnupfen holen soll!" (Forts, f.) 
wo das Urtheil gesprochen wird, sind wei 
tere verschärfte Maßregeln getroffen, um 
jede Kundgebung sofort zu verhindern. Wie 
es heißt hat der Vorsitzende ein Telegramm 
des Kriegsministers, betr. Vertagung des 
Urtheilspruches auf Montag, unbeachtet ge 
lassen und erklärt, er weigere sich, dieser 
Aufforderung Folge zu leisten, da er al 
lein in dieser Angelegenheit zu befehlen 
habe. 
Rennes, 10. Sept. Eine Stunde nach 
dem Urtheilsspruche hatte Demange eine 
Zusammenkunft mit Dreyfus. Bei seiner 
Rückkehr erklärte er mehreren Journalisten 
„Ich habe nur einen Händedruck mit Drey 
fus gewechselt. Er hat sich vollständig in 
sein Schicksal ergeben, aber er ist bereit, 
weiter zu kämpfen und wird sein Revisions 
gesuch unterzeichnen." — Dreyfus erhielt 
noch im Laufe des gestrigen Abends eine 
ganze Anzahl Beileidstelegramme, worin 
er aufgefordert wird, nicht den Muth zu 
verlieren, man werde im Kampfe für die 
Gerechtigkeit nicht nachlassen. 
Rennes, 10. Sept. Als die beiden 
Richter, welche gegen die Verurtheilung 
stimmten, das Lyceum verließen, weigerten 
sie sich, mit den übrigen 5 Richtern zusam 
men in einem Wagen zu fahren. — In 
einem Caffee wurde gestern Wend beim 
Erscheinen eines Offiziers das Singen der 
Marseillaise verlangt; man stieß Hochrufe 
auf die Armee aus. Einige revisionistische 
Journalisten, die nicht in den Ruf ein 
stimmten, mußten flüchten, um Thätlichkei 
ten zu entgehen. 
Man behauptet hier allgemein, die Ge 
währung mildernder Umstände bei der Ver 
urtheilung Dreyfus' sei auf die bekannte! 
Note im deutschen Reichsanzeiger zurückzu 
führen. Mehrere Blätter glauben, Drey 
fus habe nunmehr noch fünf Jahre abzu 
sitzen, da er aber bereits vier Jahre Zellen- 
gefängniß -abgebüßt habe, habe er Anspruch 
auf eine Vermvinderung von einem Viertel 
seiner Haststrafe. Weiter gebe ihm seine ta 
dellose Führung das Recht auf eine gleiche 
Vergünstigung, sodaß er Ende September, 
nachdem fünf Jahre seit seiner ersten Ver 
urtheilung verflossen seien, das Anrecht auf 
bedingungsweise Freilassung habe. Man 
spricht übrigens schon von einer sofortigen 
Begnadigung seitens der Regierung. 
Paris, 10. Sept. Das Urtheil hat 
hier mehr verblüfft als bestürzt; auch wird 
vielfach- die Ansicht geäußert, das Urtheil 
ei nur gefällt worden, um die Annullirung 
durch den Kassationshof herbeizuführen 
Die Nationalisten beschimpfen die Mitglie 
der des Kriegsgerichts Beauvais und 
Brogniaux, die gegen die Verurtheilung ge- 
timmt haben. Auf den Boulevards ver 
fall sich die Menge ruhig. Allenthalben 
ind starke Abtheilungen von mit Revol 
vern versehenen Schutzleuten aufgestellt, so 
insbesondere bei der „Libre Parole" und 
den Redaktionen der übrigen antisemitischen 
Blättern. 
Rennes, 9. Sept. Während der 
Sitzungspause besuchte Frau Dreyfus ihren 
Gatten und verweilte unter vier Augen 
eine Stunde bei ihm. Ihr Wagen wurde 
von vier Gendarmen zu Pferde geleitet. — 
Nach der dreistündigen Pause wurde die 
Sitzung wieder aufgenommen. Der 
Sitzungssaal ist dicht besetzt. Sofort nach 
der Ankunft des Dreyfus ergreift Carriere 
unter gespannter Aufmerksamkeit das Wort 
und erklärt, er wolle dem Kriegsgericht nur 
eine Bemerkung machen: „Erwägen Sie die 
Wichtigkeit der beiden Kategorien der Zeu 
genaussagen für und wider Dreyfus, wägen 
Sie ihre Wichtigkeit ab und urtheilen Sie 
in voller Unabhängigkeit Ihres Charakters 
und als entschlossene Soldaten. Die Stunde 
der schwerwiegendsten Entschlüsse ist für Sie 
gekommen. Frankreich erwartet in äußer 
ten Spannung Ihr Urtheil. Ich erwarte 
es mit Vertrauen. Ich halte meine An 
träge aufrecht und verlange die Anwendung 
des Artikels 76 des Strafgesetzbuches und 
des Artikels 267 des Militär-Strafgesetz 
buches." (Große Bewegung.) 
Demange, der sichtlich erschöpft und dessen 
Stimme heiser ist, erwiderte: „Meine 
Herren Kriegsrichter! Sie sind für Ihr Ur 
theil nur Ihrem Gewissen und Ihrem Gott 
Rechenschaft schuldig, und mein letztes Wort 
ist: Ich weiß, daß Sie Männer von Loyali 
tät uiü> Gerechtigkeit sind und sich niemals 
einem Beweis anschließen werden, der sich 
nur auf die Möglichkeiten und Vermuthun 
gen aufbaut. Deshalb- schließe ich mit den- 
elben Worten, welche ich Vormittags 
prach: „Ich habe zu Ihnen Vertrauen,, 
weil Sie Soldaten sind!" (Sensation.) Auf 
Auffordern des Präsidenten ergreift Drey- 
us das Wort, welcher sich bemüht, seine 
Bewegung zu bemeistern. 
Rennes, 9. Sept. Dreyfus sagt: 
Ich will nur wenige Worte sprechen. Vor 
dem Vaterlande und vor der Armee gebe 
ich die Versicherung -ab, daß ich unschuldig 
bin. Das einzige Ziel, welches ich erstrebe, 
ist, die Ehre meines Namens zu retten, den 
Namen, welchen meine Kinder tragen. Ich 
ertrug fünf Jahre der fürchterlichsten Lei 
den, habe o6ec die Ueberzeugung, daß ich 
das Ziel erreichen werde, dank Ihrer Loya 
lität und ihres Gerechtigkeitssinnes. (Lang 
anhaltende Bewegung.) .— Der Präsident 
fragt: „Sind Sie zu Ende?" — Dreyfus 
bejaht. — Der Präsident erklärt nunmehr 
die Verhandlungen für geschlossen. Der Ge 
richtshof zieht sich zur Berathung zurück. 
Dreyfus ist fortdauernd ruhig und steigt 
kaltblütig bte Stufen von einem Gendar 
meriewachtmeister begleitet hinunter. 
Die Berathung des Kriegsgerichts dauert 
ein und eine halbe Stunde. Als der Ge 
richtshof den Saal wieder betritt, herrscht 
lautlose Stille, in den Mienen Aller zeigt 
sich angstvolle Erwartung und athemlos 
Spannung. Als der Präsident das Urtheil 
ausspricht, werden unterdrückte Ausrufe im 
Saale laut. 
Rennes, 10. Sept. Die erste Nachricht 
von seiner Verurtheilung erhielt Dreyfus 
von Labori, der ihn in die Arme schloß 
und leise sagte: „Sie find verurtheilt 
zur Detention, werden aber nicht nach 
der Teuselsinsel zurückkehren." Dreyfus 
schüttelte seinem Vertheidiger die Hand 
und sagte nur: „Trösten Sie meine Frau! 
— Frau Dreyfus sagte zu ihrem Bruder 
Hadamard, der ihr die Nachricht von dem 
Urtheil brachte: „Ich verzweifle nicht 
der ehrliche Name unserer Kinder wird 
und muß gerettet werden. 
Paris, 9. Sept. Die Pariser Presse 
bespricht die gestrige Auslassung im deut 
schen Reichsanzeiger; die Dreysusfreund- 
lichen Blätter sehen dieselbe als einen 
durchschlagenden Beweis für die Unschuld 
des Dreyfus an, während die Dreyfus- 
feindlichen Blätter die Kundgebung als 
eine weitere Lüge bezeichnen. 
ReuneS, 9. Sept. Gerüchtweise verlautet 
Dreyfus werde nach C o r s i k a in den 
festen Platz Corte überführt werden. 
Wien, 10. Sept. Die gestrige Verur 
theilung Dreyfus' wird von den hiesigen 
Blättern, mit Ausnahme der antisemiti 
schen, als g e m e i n e r I u st i z m o r 
bezeichnet, doch hätten nicht die Kriegs 
richter Dreyfus verurtheilt, sondern die 
Generäle hätten ihn verurtheilen lassen 
Die „Arbeiter < Zeitung" schreibt: „War 
das Urtheil vom Jahre 1894 ein Justiz 
irrthum, begangen aus menschlicher 
Schwäche, so ist das gestrige Urtheil ein 
Justizmord, begangen aus menschlicher 
Niedertracht." 
Budapest, 9. Sept. Die Aufregung 
über das Urtheil des Kriegsgerichts in 
Rennes war hier in den Abendstunden 
unbeschreiblich. Tausende von Menschen 
belagerten die Redaktionen, man sah viele 
Leute weinen. Abends zogen mehrere 
Hundert Personen vor das sfran 
zösische Konsulat, wo auf Frankreich 
und das Kriegsgericht Abzugrufe aus 
gebracht wurden. Die Polizei mußte 
einschreiten und die Ansammlung zer- 
treuen. 
Paris, 9. Sept. Wie verlautet, wurde 
der Botschastsrath Palêologue beaus 
tragt, die gestrige Note des deutschen 
„Reichsanzeigers" dem Kriegsgericht 
in Rennes amtlich zur Kenntniß zu bringen 
Paris, 9. Sept. Die nationalistischen 
Blätter melden aus Rennes, Jouaust habe 
von dem Kriegsminister telegraphisch den 
Auftrag erhalten, das Prozeßende bis 
Montag hinauszuschieben. Jouaust habe 
geantwortet, er habe keine Befehle ent 
gegenzunehmen. Das Urtheil werde Sonn 
abend gefällt. — Gestern Abend verbreitete 
ich das Gerücht von dem Rücktritt 
Galliffet's, das jedoch alsbald dementirt 
wurde. 
Der „Gaulois" behauptet, der Rückritt 
Galliffet's werde verursacht durch die 
Weigerung Jouaust's, den Urtheilsspruch 
hinauszuschieben. 
Ausland. 
Rußland. 
Petersburg, 9. Sept. Die hier alljähr 
lich wiederkehrende Brandsaison steht 
auf ihrem Höhepunkt. Es vergeht keine 
Stunde, ohne daß mehrere Brände zu 
gleicher Zeit gemeldet werden. Das Ret 
tungswerk ist in vollem Gange, was jedoch 
nicht verhindert, daß eine beträchtliche 
Zahl von Erwachsenen, Kindern und Haus 
thieren täglich ein Raub der Flammen 
wird. In Moskau herrscht dieselbe Kala 
mität, nur erweisen sich dort die dressir 
ten Hunde als sehr nützlich für das Ret 
tungswerk der Feuerwehr. 
Schweiz. 
Bern, 8. Sept. Eine aus zwei Touristen 
und zwei Führern bestehende Karawane 
— die Namen der Theilnehmer sind noch 
icht bekannt — ist auf dem Gletscher 
von Arolla (Kanton Wallis) in eine 
Gletscherspalte abgestürzt. Ein Führer 
wurde todt aus ider Gletscherspalte ge 
zogen. Durch das ihm zugeworfene Seil 
war er beim Hinaufziehen erwürgt worden. 
Der andere Führer kam mit dem Schrecken 
davon. Von den Touristen brach der eine 
den Arm, der andere wurde am Kopfe 
verwundet. 
Inland. 
Karlsruhe, 8. Sept. Heute Vormittag 
and die Kaiserparade auf dem Parade- 
elde bei Forchheim statt. Der Kaiser, 
der Großherzog, sowie die übrigen Fürst, 
lichkeiten führten ihre Regimenter, deren 
Chefs sie sind, vor. Nach der Parade ritt der 
Kaiser an die Kriegervereine heran und 
sprach einzelne Mitglieder an: sodann ritt 
er an der Spitze der Fahnen» und 
Standartenkompagnie mit dem Großherzog 
und dem Erbgroßherzog in die Stadt ein, 
wo er um 12 >/2 Uhr unter Glockengeläute 
eintraf. Auf dem Marktplatze hielt Ober 
bürgermeister Schnetzler an der Spitze des 
Bürgerausschusses eine Ansprache. Der 
Kaiser erwiderte etwa Folgendes: 
Es freue ihn, wieder Gelegenheit zu haben, 
den Oberbürgermeister begrüßen zu können. Er 
komme von einem schönen militärischen Bilde 
zurück. Was er von den Truppen dieses Landes 
gesehen, habe ihn mit großer Befriedigung erfüllt. 
Er könne den Großherzog und das Land nur 
herzlich dazu beglückwünschen. Er sei felsenfest 
davon überzeugt, daß der Theil des gesammten 
deutschen Heeres, der diesem Lande angehöre, an 
seinem Theile dazu beitragen werde, für den 
Frieden zu sorgen. Ehe die Theorien des ewigen 
Friedens zur allgemeinen Anwendung gelangten, 
würde noch manches Jahrhundert vergehen. Vor 
läufig sei der sicherste Schutz des Friedens das 
Deutsche Reich, seine Fürsten und das von diesen 
geführte Heer. Der Kaiser dankte sodann dem 
Oberbürgermeister und den Bürgern der Stadt 
herzlich für den schönen Empfang. „Ich bin ja 
kein Fremdling hier und bei dem nahen Ver 
hältniß zwischen dem Großherzog und Meinem 
Hause rechne Ich Mich auch zu den Ihrigen"' 
Berlin, 10. Sept. Fast sämmtliche 
Morgenblätter besprechen in längeren 
Artikeln die Verurtheilung des Dreyfus' 
Nur die „Nordd. Allg. Ztg.", die „Kreuz 
ztg." und die „Deutsche Tagesztg." drucken 
die Telegramme aus Rennes ohne jeden 
Kommentar ab. Die „Staatsb.-Ztg." ist 
das einzigste Blatt, welches die Verur 
theilung billigt. Dreyfus habe nicht für 
Deutschland, sondern für Rußland spionirt. 
und deshalb seien ihm auch mildernde 
Umstände zugebilligt worden. Das Blatt 
vertritt die Meinung, daß die 5 Richter, 
welche für Dreyfus' Verurtheilung stimmten 
die Ehre Frankreichs gerettet haben und 
ich als unbestechliche Richter gezeigt 
haben. Alle übrigen Blätter halten die 
Dreyfus zugebilligten mildernden Umstände 
ür unverständlich und weisen auf die un 
berechenbaren Folgen der abermaligen 
Verurtheilung hin. Die „Post" schreibt 
Sollte es nicht gelingen, das Dunkel, das 
noch immer über diesem Spionageprozeß 
liegt, so kann Deutschland das Urtheil 
über sein Verhalten in dieser Affäre ge 
trost der Nachwelt überlassen. Die 
Berl. Neuest. Nachr." sagen: Kein 
Glied der europäischen Völkerfamilie kann 
einer so tiefen pathologischen Erschütterung 
verfallen, ohne daß sich früher oder später 
die Wirkungen auch im Verkehr von Volk 
zu Volk bemerklich machen. Die „Nat. 
Ztg." führt aus: Das größte Verbrechen, 
welches seit den Tagen der Inquisition 
und der Hexenverbrennungen gegen die 
Würde der Menschheit unternommen 
worden, ist also vollbracht. Dem Ver 
urtheilten ist die traurige Genugthuung 
scher, daß an dem gegen ihn begangenen 
Verbrechen Manches zerschellen wird, 
was die Bedeutung eines Volkes in der 
Zeitgeschichte ausmacht. Die „Börs.-Ztg." 
chließt ihren Artikel mit folgenven Worten: 
Die französische Republik hält sich nur 
noch durch die erbärmliche Schwäche der 
Parteiungen, durch die sie gespalten wird. 
Und was wir in der letzten Zeit erlebt 
haben, beweist, daß der letzte Pfeiler, 
der ihr noch Halt zu geben schien, dem 
Zusammenbruch nahe ist. Die „Voss. 
Ztg." meint, Deutschland könne der Ent 
Wickelung der Dinge ruhig entgegensehen, 
Frankreich aber sei zu bedauern. Ein 
chlimmeres Unheil, als der Richterspruch 
von Rennes konnte ihm nicht widerfahren. 
Der Kampf ums Recht beginne mit neuer 
Gewalt, in der Zuversicht, daß schließlich 
doch die Gerechtigkeit siegen muß. Der 
Börs. Cour." sagt: Das ist eine 
moralische Capitulation der französischen 
Armee unter Nebenumständcn, welche den 
, msammenbruch von Sedan keineswegs 
begleitet haben. Die Komödie ist beendet. 
Mag die französische Regierung Sorge 
tragen, daß aus der Komödie keine 
Tragödie sich entwickelt. Das „Berl. 
Tagebl." schreibt: Für die Republik 
werden sich aus dem gestrigen Verdikt 
owohl für die innere wie für die äußere 
Politik betrübsame Konsequenzen ergeben. 
Der Bürgerkrieg steht in Frankreich vor 
der Thür. Den ersten Gegenschlag dürfte 
Frankreich bei Gelegenheit der großen 
Weltausstellung des nächsten Jahres er- 
ahren. Der Generalstab hat gesiegt, die 
Wahrheit ist unterlegen. Die „Volksztg." 
ührt aus: Durch dieses Urtheil ist be 
wiesen, daß in Frankreich eine unparteiische 
Rechtsprechung nicht mehr möglich ist. 
Die Parteileidenschaft hat die Gerechtig 
keit überwunden. Die Regierung muß 
jetzt weiter in der Defensive bleiben, seit 
dem deutsch-französischen Kriege die größte 
Niederlage, die über das unglückliche 
Land gekommen. „Halbschuldig" über- 
chreibt der „Vorwärts" seinen Artikel. 
Dreyfus sei als schuldig und als schuld 
los erklärt worden. Der Fanatismus des 
jesuitischen Militarismus habe den Kriegs 
richtern gegen ihre eigene Ueberzeugung 
den Schuldspruch entrissen. Der Unglück- 
elige von der Teufelsinsel wird persönlich 
rei werden, seine leiblichen Qualen 
verden beendet sein, aber das gefesselte 
Recht ruft nach Befreiung. 
Ueber die Haltung Deutsch- 
ands gegeüber der Transvaalkri- 
s i s weiß ein Berliner Blatt Folgendes 
zu berichten. Am Freitag-Wend nach dein 
Kabinetsrath hatte der deutsche Botschafter 
Für st Hatzfeld t eine wichtige Kon 
ferenz mit Salisbury über die Lage in Süd' 
afrika Und verschiedene die anglo-deutsche 
Konvention berührenden Eventualitäten 
im Kriegsfalle. Obwohl die deutsche Re- 
gierung hofft, daß der Frieden dauern wird, 
herrscht vollkommene Einigkeit über die von 
Deutschland zu beobachtende Neutralität. 
— Eine Neuerung an der russisch 
deutschen Grenze ist kürzlich von 
russischer Seite eingeführt worden. Zwischen 
Eydtkuhnen und Kinderweitschen, sowie 
zwischen Partzkehmen und den Grenzort' 
schäften Szapten und Störcken wurden 
nämlich Holzthürme von etwa zwölf Metel 
Höhe errichtet, die den Grenzposten 
als Ausguckthürme dienen solle». 
Die Thürme haben telephonische Verbin 
dung mit den benachbarten Grenzkordons, 
so daß von den Posten alle Wahrnehmungen 
im Vorgelände sofort den Grenzwachen 
mitgetheilt werden können. Zur besieren 
Beobachtung sind die Posten mit Fern« 
gläsern ausgerüstet worden. Dieses Thurm- 
system soll nach und nach an der ganze» 
russisch - deutschen Grenze durchgeführt 
werden. 
8— Als den größten Fehler 
bezeichnen die „Hamb. Nachr." das Vor 
gehen gegen den Bund der Landwirthe, 
indem sie schreiben: 
„Der Bund der Landwirthe gehört trotz einzelner 
Extravaganzen jedenfalls in erster Linie zu de» 
staatserhaltenden Elementen, und 
diese ohne Noth zu bekämpfen oder zu verun 
einigen, ist der g r ö ß t e F e h l e r, der in der 
inneren Politik gerade jetzt gemacht werden kann." 
ķ — Die „Deutsche Z t g." sagt, daß 
ein Feldzug gegen den Bund der Land 
wirthe in seinen Folgen einen Konflikt 
der schwersten Art bedeute. Die 
freisinnige „Posener Ztg." fürchtet 
üble Folgen für den Zusammenhalt des 
Deutschthums und schreibt: 
„Trotzdem müßten es die national empfinden 
den Deutschen der Ostmark auf das tiefste be 
dauern, wenn die Regierung ihren Plan aus 
führte; die Thatsache allein, daß sie die ein 
leitenden Schritte that, beweist, daß sie über dir 
Stimmung und die Bedürfnisse der Provinz 
schlecht unterrichtet ist. Die Regierung fordert 
entweder gar keine Informationen, oder sie erhält 
alsche Informationen. Nur so'sind unge 
heuerliche Fehler, wie, die Kampagne 
gegen den Bund der Landwirthe, möglich." 
Die gleichfalls freisinnige „Königs 
berger Hartungsche Zeitung" 
urtheilt ähnlich. I -Şgl 
Berlin, 9. Sept. Der Töpfer Ru-' 
dolf Schlodder besuchte am Sonntag-Mor 
gen mit Fran und Kind seine Schwieger 
mutter, die Produktenhändlerin Frau Prie 
mann. Da er Appetit ans Fische hatte, so 
veranlaßte er seine Frau, aus der Markt 
halle in der Andreasstraße frische Flundern 
zu holen. Frau Priemann, die aus Pom- 
mern stammt und von dorther schon aus 
ihrer Jugend Fische zuzubereiten versteht, 
reinigte die Flundern, salzte sie gehörig und 
kochte sie zu Mittag in frischer Butter. Bald 
nach dem Essen erkrankten zunächst Frau 
Priemann und ihre Tochter, während 
Schlodder erst später Beschwerden fühlte, 
aber auch dann nicht besonders große, ob- 
wohl er viel mehr gegessen hatte als die 
beiden Frauen. Das Kind, das von de» 
nichts genossen hatte, blieb- ganz gesund. 
Die Frauen bekamen Erbrechen und 
Krämpfe, -und mit Frau Schlodder wurde 
es so schlimm, daß sie nicht mehr nach 
Hause kommen konnte. Obwohl er das al 
les vor Augen sah und ihm unwohl ge 
worden war, verzehrte Schlodder am näch 
ten Tage, am Montag-Abend, auch noch 
den Rest der Flundern, der vom Sonntag 
noch stehen geblieben war. Bald darauf 
kellten sich auch bei ihm Erbrechen und 
Krämpfe ein und zwar noch viel heftiger 
als am Sonntag bei den Frauen, weil un 
terdessen das Fischgift noch stärker gewor 
den war. Der Mann wälzte sich unter 
mrchtbaren Schmerzen auf dem Fußboden 
der Kellerwohnung. Erst jetzt sprach Frau 
Priemann über die Erkrankungen zu den 
Nachbarn und sorgte für ärztliche Hülfe. 
Der Arzt Dr. Zilenziger wandte, als er um 
7 Uhr Wends gerufen wurde, sofort alle 
Mittel an. Nur noch bei den beiden Frauen 
schlugen sie an, da er ihnen den Magen 
auspumpen konnte. ^ Bei Schlodder war 
dieses nicht mehr möglich, da. es nicht ge 
lang, ihm den Magenschlauch einzuführen, 
weil er sich ununterbrochen in Schmerzest 
wand. Der Mann starb noch am selben 
Abend um 11 Vs Uhr. Die Leiche hat der 
Staatsanwalt , beschlagnahmt. Mehrere 
Eimer Fische sind in der Halle konfiszirt 
worden. OM 
Berlin, 7. Sept. In Aufregung und 
Angst wurden seit geraumer Zeit die 
Bewohner des Hauses Neue-Königstraße 
61 durch einen „Spukgeist" gesetzt. Bald 
pukte es bei Tage, bald bei der Nacht. 
Nun wurde vor einigen Tagen auf dem 
Treppenpotest der vierten Etage ein 
■ -eitel aufgefunden, der von demselben 
Individuum geschrieben war, welches 
chon früher durch schriftliche Ergüsse die 
Hausbewohner beschimpft resp. bedroht 
jatte. Auf dem Zettel war in große» 
Schrift zu lesen: „Heute spuke ich zum 
letzten Mal und komme niemals wieder." 
Dann folgten Worte unfläthigsten Inhalts. 
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