Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

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Hägttch erscheinendes WLcrtt. 
(Außer aņ Sonn- und Festtagen.) 
Màbnrģer M Wochenblatt. 
Bezugspreis: 
Bierteljährltch 2 X—, ft ei inS Haus geliefert 
2 M 15 <?, 
für Auswärtige, durch die Post bezogen 
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tncl. Postprovision re., jedoch ohne Bestellgeld. 
JnscrttonspreiS: pro Petitzeile 15 ş. 
Arltestes und geLrsenstes KLatt im Kreise Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
—^5 92 ster Jahrgang. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend ivelcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes Vorbehalten. 
Dem Rendsbnrger Wochenblatt wird 
„Der Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen 
der Landwi-rthschaft) gratis beigegeben. 
Ao. 207. 
Dienstag, öen 5. September 
1899. 
Zur Nachricht! 
Um Verwechselungen zu vermeiden, bitten wir beim 
Abonnement und bei Ueberweisung von Inseraten gütigst 
den Titel: 
„Rendsbnrger Wochenblatt" 
zu beachten. 
Hochachtungsvoll 
Redaction und Expedition 
des Rendsbnrger Wochenblattes. 
Morgen-Berichte. 
Paris, 2. Sept. Zum Dreyfusprozeß 
wird dem „Berl. Tageblatt" telegraphirt: 
Es waren gestern Abend sehr pessimistische 
Gerüchte über die Stimmung der Majorität 
der Richter (genauer gesagt über fünf von 
sieben) im Umlaufe. Man wies sowohl auf 
angebliche private Aeußerungen der Rich 
ter wie auf gewisse charakteristische Worte 
hin, mit denen der Präsident die Ent 
lastungszeugen, einen Vertheidiger und den 
Angeklagten unterbrochen hatte. Thatsache 
ist, daß die meisten Richter und speziell 
der Präsident, die im ersten Theile -des Pro 
zesses die Belastungszeugen und besonders 
die Kriegsminister und Generale mit fri 
schem Interesse angehört hàn, jetzt, wo 
die Entlastungszeugen auftreten., ermüdet 
erscheinen. Das alles braucht aber nicht 
einen ungünstigen Ausgang des Prozesses 
anzuzeigen, an den zu glauben, man bei 
der vollständigen Abwesenheit thatsächlicher 
Schuldbeweise sich lveigern muß. 
Paris, 2. Sept. Das „Fort Cha 
brol" steht noch, zum Verdruß der repu 
blikanischen Kreise, die die Langmnth der 
Regierung nicht begreifen. Die Umgebung 
bleibt jedoch still. Gestern Abend wurden 
mehrere Einzelverhaftungen vorgenommen. 
Um 10 Uhr machte Guerin die gewohnte 
Runde auf dem Dache bei Fackelschein. 
Heute Morgen herrschte vollständige Ruhe. 
In der Nähe wurden Plakate revolutionä 
rer Vereine angeschlagen: dick gegen die Aus 
hungerung Protestiren und mit den Worten : 
„Tod den Juden!" schließen. 
Paris, 2. Sept. Der österreichische 
Botschafter in Paris hat von dem Oberst- 
Schneider ein Telegramm erhalten, worin 
ihn dieser ersucht, den General Roget zu 
fragen, ob er mit den Worten, welche er 
vorgestern vor Lein Kriegsgericht gespro- 
chen habe, eine Beleidigung bezweckt habe. 
In diesem Falle werde Oberst Schneider 
von ihm Entschuldigungen verlangen oder 
ihn zum Duell fordern lassen. 
Rennes, 3. Sept. Wie verlautet, hat 
die Vertheidigung im Einverständnisse mit 
dem Ankläger auf das Verhör einer Anzahl 
Zeugcir verzichtet. Demange erklärte, es 
fei möglich, daß das Urtheil bereits am 
Mittwoch gesprochen.werde. Heute werden 
die letzten Zeugen vernommen. Am Mon 
tag wird der Regiermrgskommissar und De 
mange sprechen, pm Dienstag wird De 
mange seine Vertheidigungsrede fortsetzen 
und am Mittwoch dann Labori nur einige 
Stunden sprechen, worauf wahrscheinlich 
das Urtheil direkt gefällt.wird. 
Rennes, 3. Sept. General Bois- 
deffre hatte gestern Abend , alle hier anwe 
senden Generale zu einem Diner bei sich 
versammelt. Gleichzeitig hatte Innres seine 
Freunde zu einem Diner , eingeladen. —Der 
Sohn des Anwaltes Demange erklärte 
mehreren Journalisten,, ..daß sein Vater von 
der einstimmigen Freisprechung Dreyfus'" 
überzeugt sei. 
Rennes, 3. Sept. Umfassende Maß 
regeln sind von der Gerichsbehörde im 
Einverständniß mit der Pariser Central 
behörde getroffen worden, um die Aufrecht 
erhaltung der Ordnung am Tage des 
Urtheilsfpruches zu sichern. Zwischen der 
Richterbank und dem Zuhörerraum werden 
100 Gendarmen mit aufgepflanztem Bajo 
nette ausgestellt werden. Auch sind Maß- 
regeln getroffen zur Verhinderung eines 
l etwaigen Attentates auf die eine oder 
î andere Persönlichkeit, di« an dem Prozeß 
theilgenommen hat. Der Generalprokurator 
und der Anwalt der Republik werden an- 
wesend sein; der Polizeipräfekt von Paris 
wird persönlich die Schutzmaßregeln leiten. 
Paris, 3. Sept. Bor der Festung 
Gusrin herrscht vollkommen Ruhe. Man 
erwartet stündlich das energische Vorgehen 
der Regierung. Eine große Menschenmenge 
bewegt sich seit der frühesten Morgenstunde 
in der Umgebung der Festung in Er 
wartung der Dinge, die kommen sollen. 
Paris, 3. Sept. Selbst die Nationalisten 
Blätter gestehen zu, daß die gestrige Ver 
handlung überaus günstig für Dreyfus 
war. 
Amsterdam, 3. Sept. Nach der Trans 
vaal-Gesandtschaft im Haag zugegangenen 
Depeschen, zweifelt Präsident Krüger nicht 
daran, daß England den Krieg will, dessen 
Ausbruch stündlich in Pretoria erwartet 
wird. 
Oporto, 3. Sept. Drei neue Pestfälle 
sind gestern zu verzeichnen gewesen, zwei 
zu Montevello und ein zu San Dionisie 
Lissabon, 2. Sept. Die Einwohner 
schaft von Oporto verlangte telegraphisch 
vom König und dem Ministerpräsidenten 
eine Milderung der sanitären Vorsichts 
maßregeln. Der Ministerrath beschloß die 
strenge Durchführung aller Verfügungen. 
Der Gouverneur von Oporto verlangte 
seine Demission. Falls Unruhen .ausbre 
chen, wird der Kriegszustand erklärt wer 
den. Die Börse und alle Läden sind ge 
schlossen. 
!!.! .Derneburg, 3. Sept. Eine 
i n d h o s e hat gestern Mittag beim 
Bahnhof Derneburg und auf dem Gute des 
deutschen Botschafters in Paris, des Fürsten 
Münster zu Derneburg, furchtbare 
Verheerungen angerichtet. Sie dau 
erte kaum eine Minute. In der Nähe des 
Bahnhofes wurde eine ganze Reihe starker. 
Pappeln, theils mit den Wurzeln aus der 
Erde gerissen, theils abgedreht. Die Fahne 
des fürstlichen Schlosses wurde.etwa 1 Ki 
lometer weit fortgetragen. Das schwere 
eiserne Wiegehaus der Broistedter Zucker 
fabrik wurde über 100 Meter weit .über 
einen Zaun und die Straße hinweg in 
einen Teich geschlendert. 
!!! Braunschweig, 3. Sept. Der 
eigenen Ehefrau einen -bösen Streich 
gespielt hat unmittelbar vor seinem Tode 
der Bäckermeister Probst in Bornuni. Er 
hatte vor einigen Tagen in der hiesigen 
Leihhausanstalt einen Betrag von 25 000 
Mark erhoben^ war aber nicht nach Bornum 
zurückgekehrt. Jetzt ist er im Walde erhängt 
aufgefunden worden, das Geld fand sich bei 
der Leiche aber nicht vor. Der Selbstmörder 
lebte mit seiner Ehefrau in nicht glücklicher 
Ehe, schon vor längerer Zeit drohte er, sie 
olle nichts von seinen Ersparnissen haben. 
Diese hat er erhoben, das Geld wahrschein 
lich vergraben und sich dann aufgehängt. 
Paļal'aàmallj. 
Novelle von Lothar Brenkendorf. 
(Nachdruck verboten.) 
!!! M.-Gladbach, 3. Sept. Bei 
dem Gewitter, das sich- am Sonnabend über 
unsere Stadt entlud, schlug der Blitz in das 
hiesige Fernsprechamt. Zwei Telephonistin 
nen wurden gelähmt. 
!!! Lügumkloster 3. Sept. Die 
elfjährige Tochter des Landmannes Han 
sen in Teglgaard bei Lügnmgaard kan: in 
der Ziegelei ihres Onkels der Transmis 
sionswelle zu nahe. Die Maschine erfaßte 
die Kleider und das Kind wurde mehrmals 
mit herumgeschlendert. Es wurde entsetz 
lich- verstümmelt. Der Tod trat ans der 
Stelle -ein. 
Köln, 3. Sept. Die „Köln. Ztg." 
schreibt zu der Absicht der konservativ-agra 
rischen Partei, eine radikale ländliche Volks 
Partei zu bilden. Unter solchen Umständen 
sehe das Land schweren Kämpfen entgegen 
Eine reinliche Scheidung der wirklich kon 
servativen Elemente von den agrar-dema 
gogischen sei sehr schwer, und -es verstehe 
sich von selbst, daß es hierzu neuer Männer 
bedürfe, und daß insbesondere von der Recke 
nicht stark genug sei, noch einen solchen 
Kampf zu führen. Das Blatt sagt: Auch 
glauben wir, daß in den maßgebenden 
Kreisen durchaus nicht die Absicht besteht, 
ihm diese Aufgabe zu übertragen, sondern 
daß man sich bereits nach einem Nachfolger 
für ihn umsieht. 
L i e g n i tz, 2. Sept. Der Landtagsab 
geordnete und Landrath von Liegnitz-Land, 
Dr. Schilling, ist zur Disposition gestellt 
worden. 
Kassel, 2. Sept. In den bei Witzen- 
hansen gelegenen Gemarkungen Dohren 
bach, Oberrieden, Roßbach, Hundelshausen, 
Trubenhausen, Werleshausen und Wenders 
hausen wurde heute durch- ein starkes Ha 
gelwetter strichweise die gesammte Ernte 
vernichtet. 
Berlin, 3. Sept. Der große Spieler 
Prozeß wird wahrscheinlich erst Mitte 
Oktober nach Beendigung der Manöver 
und der Reisezeit beginnen, sodaß alle 
Zeugen Gelegenheit zu persönlichem Er 
scheinen haben. Trotz Anbietung hoher 
Kautionen sind die Anträge auf Haftent 
lassung der drei Angeklagten, die sich in 
Untersuchungshaft befinden, abgelehnt 
worden. EAÄIWM'Ş 
Hamburg, 2. Sept. Eine gewaltige 
Feuersbrunst kam Sonnabend-Abend gegen 
8 'U Uhr in einem der großen Speicher, 
Neueburg hinter Nr. 10, zum Ausbruch 
und zwar in einem derselben Lagerhäuser, 
die fast genau vor einem Jahre, am 5. 
September 1898, von einem großen Brande 
heimgesucht wurden, welcher auch aus den 
Nebenspeicher Nr. 9 (Baumwolle) übergriff. 
Der Schaden wird auf 600 000 je geschätzt. 
Der Dreyfus-Prozetz. 
Rennes, 2. - Sept. Vertheidiger La 
bori ersucht den Zeugen Hartmann, sich 
über die Möglichkeit zu äußern, die für 
einen Offizier im Lager von Chalons (wo 
Esterhazy war) bestanden habe, sich Mitthei 
lungen über die Deckungstruppen und Ma 
dagaskar zu verschaffen. Major Hartmann 
antwortet, seine persönliche Meinung gehe 
dahin, daß in Chalons Gelegenheit sei, sich 
Mittheilungen über Bewegung und Verthei- 
lung der Deckungstrnppen, wie über Trans 
portfragen zu verschaffen. Labori ersucht 
Hartmann, Mittheilungen über die Ver- 
räthereien Boutonnets zu machen. Major 
Hartmann erwidert, Bontonnet sei ein -ge 
schickter Zeichner gewesen und habe sicher 
der fremden Macht, in deren Diensten er ge 
standen, wichtige Mittheilungen über die 
Artillerie liefern können. Was die hydro- 
pneumatische Bremse anlange, so glaube er, 
daß sie von den fremden Mächten ange 
wendet worden sei. Die Italiener hätten 
die Bremse adoptirt, in Deutschland habe 
man Versuche damit angestellt, sie jedoch 
1893 aufgegeben. Das würde beweisen, daß 
mit dem Begleitschreiben keine genügenden 
Aufschlüsse über die französische Wasserluft- 
bremse geliefert wurden. Labori fragt den 
Zeugen, ob er nicht im Gegensatz zu den 
Generalen Mercier und Roget bekundet 
habe, daß die Melinitgranate in Bourges 
schon 1890 verrathen und der Verrath be 
kannt war. Major Hartmann erwidert: 
„Gewiß." Labori: „Hat Zeuge auf der tech 
nischen Artillerie-Abtheilung jemals Drey 
es gesehen?" Hartmann: „Ich habe da 
viele Offiziere gesehen; aber Dreyfus ist 
niemals gekommen. Ich habe ihn nie ge 
sehen und nie seinen Namen gehört." Ge 
neral Deloye zeigt einen Kriegsministerial- 
befehl, die 1894er Schießvorschrift als ver 
trauliches Schriftstück zu behandeln. Zeuge 
'ährt dann fort, indem er mit den Armen 
chleudert, dann die Hände faltet und im 
tiefsten Pathos spricht, daß Major Hart 
manns Aussage zahlreiche Aussagen be 
rührt habe und ungemein viel Richtigkei 
ten enthalte. Aber ihre Gesammtheit sei 
dennoch nicht vollständig richtig. Das sei 
ckin Eindruck." Zeuge redet noch -eine Vier 
stunde in ähnlichen allgemeinen Wendungen 
Es war sicher, daß ihre Unkenntniß keine 
erheuchelte war und so zauderte der kleine 
Mufiklehrer nicht, ihrem Verlangen zu will 
fahren. Er erzählte die Geschichte von dem 
unbegreiflichen Verschwinden des wichtigen 
Schriftstückes, so wie er sie aus Günthers 
eigenem Munde erfahren hatte, und er fügte 
dann hinzu, was aus den Blättern und auf 
anderen Wegen zu seiner Kenntniß gelangt 
war. „Der Teufel muß bei der ganzen 
Geschichte auf irgend eine räthselhafte Art 
seine Hand im Spiele gehabt haben, das 
unterliegt leider keinem Zweifel. Denn es 
es wird also gewiß angenommen, daß die 
Abhandlung, die als ein bedeutsames mili 
tärisches Geheimniß angesehen wird, that 
sächlich an die französische Regierung ver 
kauft worden ist. Der Hundsfott, der sie 
gefunden oder gestohlen hat, muß ihren 
Werth gekannt haben, da er einen so schurki 
schen Gebrauch davon machte. Nach einem 
hierher gelangten Bericht der deutschen Bot 
schaft in Paris hat man dort die aller 
bestimmtesten Anhaltspunkte dafür, daß die 
Leiter der französischen Heeresverwaltung den 
Inhalt des Aufsatzes kennen, und es läßt 
sich wohl denken, welche Schlüsse man hier 
aus dieser Mittheilung gezogen. Gleich nach 
Eintreffen jenes Berichts wurde eine 
Haussuchung bei meinem armen Freunde 
vorgenommen, und er selber wurde unter 
^m abscheulichen Verdacht des Landes- 
^erraths verhaftet. Die Haussuchung förderte 
Natürlich nichts Belastendes gegen ihn zu 
Tage; der Verdacht aber lastet noch immer 
auf ihm, und ein unglückseliger Zufall trägt 
dazu bei, ihn zu verschärfen." 
„Ein unglückseliger Zufall?" fragte Erna, 
die mit verhaltenem Athem seinen Worten 
-lauschte. „O, sagen Sie mir alles ! — Sie 
können nicht ahnen, wie nahe mich das 
Schicksal Ihres Freundes angeht." 
„Gerade Ihnen sollte ich's eigentlich ver 
schweigen", meinte er zögernd, „aber am 
Ende habe ich doch auch wieder kein Recht 
dazu und es wird vielleicht zu Ihrer Be 
ruhigung dienen, wenn Sie erfahren, wie 
unbedingt Sie auf Günthers Ritterlichkeit 
und auf seine Ehrenhaftigkeit vertrauen 
dürfen. Jenes verhängnißvolle Schriftstück 
verschwand nach der Meinung seiner An 
kläger in derselben Nacht, da er Sie wieder 
sah, und er hat auf die Fragen, die man 
an ihn richtete, mit aller Bestimmtheit er 
klärt, daß zu der fraglichen Zeit außer ihm 
selbst und seinem inzwischen verstorbenen 
Vater Niemand die Räume seiner Wohnung 
betreten habe. Die Untersuchung gegen ihn 
wird ja sehr geheim geführt und von den 
Einzelheiten dringt nur wenig in die Oeffcnt- 
lichkeit; aber ich bin nicht umsonst ein reicher 
Mann. Einer von den Schreibern in der 
Kanzlei des Untersuchungsrichters macht mir 
hier und da eine Mittheilung, und so weiß 
ich, was bis jetzt noch in keiner Zeitung 
gestanden hat. Einer der Hausbewohner 
nämlich hat gesehen, daß in der fraglichen 
Nacht eine Dame in großer Hast aus der 
Wohnung Günthers getreten sei, und es 
wird ihm nun natürlich als ein schweres 
Indicium angerechnet, daß diese beschworene 
Aussage sich im Widerspruch mit seinen 
eigenen Angaben befindet. — Aber was ist 
Ihnen, Fräulein Erna? — Mein Gott, 
Sie brauchen darum doch nicht so fürchter 
lich zu erschrecken. Günthers Unschuld muß 
ja selbstverständlich trotz alledem an den 
Tag kommen, und Sie dürfen ganz ruhig 
sein. Er wird niemals etwas von Ihrer 
kurzen Anwesenheit in seiner Wohnung ver 
rathen. Er hat mir's feierlich erklärt, und 
er ist der Mann, einem solchen Vorsatz treu 
zu bleiben, auch wenn es ihm an Kopf und 
Kragen ginge." 
Erna hatte sich schon wieder gefaßt, und 
sie schob ihren Stuhl zurück, um sich zu er 
heben. 
„Also ich darf Ihrer Meinung nach ganz 
ruhig sein?" fragte sie mit einer eigenthüm 
lichen Betonung. „Günther würde mich 
nicht verrathen, und wenn es auch um sein 
Leben ginge? — Ich bin Ihnen sehr dank 
bar für diese Versicherung — wirklich auf 
richtig dankbar, Herr Hcimerdingcr." 
„Und Sie werden vorläufig nicht ab 
reisen?" meinte er, etwas bestürzt über ihr 
sonderbares Benehmen. 
„Nein! Da meine Anwesenheit hier viel 
leicht von einigem Nutzen sein kann, werde 
ich bleiben." 
„Wie glücklich Sie mich durch diese Zu 
sage machen! — Aber Sie dürfen sich nicht 
wieder so ängstlich verstecken vor denen, die 
es gut mit Ihnen meinen. Sagen Sie nur. 
wo ich Sie finden kann und geben Sie mir 
großmüthig die Erlaubniß, Ihnen als ein 
Freund zur Seite zu stehen." 
In der That nannte ihm Erna ohne 
Zögern vie Adreste des Pensionats, in 
welches sie vorläufig zurück zu kehren ge 
dachte. 
„Wenn Sie mich morgen Vormittag dort 
besuchen wollen, werde ich Ihnen vielleicht 
Einiges mitzutheilen haben, das Sie inter- 
essirt." 
Seine Begleitung jedoch nahm sic nur 
bis zur nächsten Droschkenhaltestellc an, und 
als sie sicher war, daß das Gefährt seinen 
nachschauenden Blicken entschwunden sei, bog 
sic das Köpfchen zum Wagenfenster hinaus 
und bezeichnete dem Kutscher ein anderes 
Ziel als das, welches sie ihm vorhin in 
Gegenwart des kleinen Musikers genannt 
hatte. 
„Wissen Sie auch, mein Fräulein, daß 
Ihre Geschichte zwar sehr romantisch, im 
Grunde aber recht wenig glaubwürdig klingt? 
— Und werden Sie nun vielleicht die Güte 
haben, mir auf einige andere Fragen zu 
antworten, die ich zur Aufklärung der Sache 
für geboten halte?" 
Eine sehr verletzende Ironie klang aus 
diesen höflichen Worten des hageren Land 
richters Martins, in dessen Amtszimmer 
Erna sich seit einer Viertelstunde befand, und 
durch die glitzernden Brillengläser blickten 
seine scharfen Augen fie so durchdringend 
an, daß sie zu ihrem eigenen Verdruß immer 
von neuem das Blut heiß in ihren Wangen 
emporsteigen fühlte. 
„Ich bin selbstverständlich zu jeder Aus 
kunft bereit", erwiderte fie einfach. „Allein 
zu diesem Zweck kam ich ja hierher." 
„Nun, man könnte vielleicht auch an 
nehmen, daß Sie hierher gekommen seien, 
um dem Angeschuldigten, mit dem Sic doch 
wohl eine alte Freundschaft verbindet, einen 
Dienst zu erweisen. Und diese menschen 
freundliche Abstcht wäre von einem gewissen 
Standpunkte aus nicht einmal zu tadeln. 
Sagen Sic mir doch vor (allem, wie Sie 
überhaupt auf die Vermuthung gerathen 
konnten, daß Ihre Geschichte von dem Wieder 
sehen auf der Treppe der unzeitigen Ohn 
macht und Ihrer höchst merkwürdigen heim 
lichen Entfernung, für die gegen Günther 
Harmening schwebende Untersuchung über 
haupt von irgend welcher Bedeutung sei?" 
Erna sah verlegen vor sich nieder, denn 
sie durfte ihm ja um keinen Preis verrathen, 
aus welchen verbotenen Wegen Fritz Heimer- 
dinger sich seine Kenntniß von der Lage der 
Dinge verschafft hatte. 
„Ich kann mich darüber nicht aussprcchen", 
sagte sie zögernd, „aber cs ist wohl gleich 
gültig, welche Beweggründe mich bestimmt 
haben, diesen Schritt zu thun. Genug, daß 
ich bereit bin, die lautere Wahrheit meiner 
Worte zu beschwören." 
„Auf dieses freundliche Anerbieten werde 
ich vielleicht später zurückkommen. Schon 
auf meine erste Frage also verweigern Sie 
mir rundweg jede Auskunft? — Nun wohl, 
laffcn Sie uns weiter sehen! — Bon dem 
verschwundenen Aktenstück wiffen Sie natür 
lich nichts?" 
„Nein!" 
„Und wenn es Ihnen während Ihres 
Verweilens in der Harmening'schcn Wohnung 
etwa zufällig in die Hände gerathen wäre, 
o würden Sie es achtlos bei Seite ge 
worfen haben — nicht wahr? — Denn 
von der Bedeutung seines Inhalts hatten 
Sie selbstverständlich keine Ahnung." 
„Gewiß nicht! — Ich verstehe nicht das 
Geringste von militärischen Dingen, und es 
ist überdies nicht meine Gewohnheit, mich 
um den Inhalt von Papieren zu kümmern, 
die nicht mir gehören."
	        
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