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Aeltrstes und gelrlenstes Klati im Kreise Rendsburg.
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—92 stev Jahrgang.
Dem Rendsburger Wochenblatt wird
„Der Landwirt!)"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen
der Landwirthschaft) gratis beigegeben.
InfcrtionSprciS: pro Petitzeile 15 ļ.
Sonntag, den 3. September
1899
Morgen-Berichte
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şş Berlin, 1. Sept. Die heutige große
Herbstparade des Gardekorps war vom
schönsten Wetter begünstigt. Die Aust
stelîung der Truppen war die übliche
In der Belle-Alliancestraße hatte sich,
während die Truppen zum Parade selb
zogen, das Publikum zu ungezählten
Tausenden angesammelt. Equipagen rollten
zum Paradefeld hinaus, und auf dem
Seitenwege sprengten Generale, Stabs-
officiere, Adjutanten und Ordonnanzen
demselben Ziele zu. Prinz Leopold von
Bayern kam angeritten. Inzwischen war
der Kaiser mit seiner Schwester, der Kron
prinzessin von Griechenland, vom Neuen
Palais kommend, auf dem Bahnhose
Großgörschenstraße eingetroffen, wo die
Pferde bereit standen. Bevor der Kaiser
zu Pferde stieg, geleitete er die Krön-
Prinzessin von Griechenland zu der für
diese bercitgehaltenen vierspännigen offenen
Equipage.
Kopenhagen, 1. Sept. Die Delegirten
der Arbeitgeber und der Arbeiter sind
hente einig geworden, den Lockout
aufzuheben. Beide Parteien haben
sich verpflichtet, diese Vereinbarung den
Organisationen gegenüber zu empfehlen.
Die Generalversammlung beider Vereine
findet Montag-Mtttag statt.
Paris, 1. Sept. Der Kriegsminister
hat die großen Herbstmannöver für dieses
Jahr abbestellt, angeblich, weil in dem
Departement, wo die Mannöver stattfinden
sollten, eine epidemische Krankheit herrschen
soll. In politischen Kreisen will man da
gegen wissen, daß die wahre Ursache die
augenblickliche gefahrvolle innere Lage sei.
Paris, 31. August. Guärin erhielt
durch die Ostbahn eine Ladung Enten
zugeschickt. Die Polizei gestattete jedoch
deren Aushändigung nicht. — Nach einem
Brief aus Saint Louis ließ Hauptmann
Voulet den Obersten Klobb und den
Leutnant Meynier aus persönlicher Rache
wegen langjähriger Feindschaft nieder
schießen. Leutnant C h a n o i n e und die
übrigen Offiziere Voulets seien an jenem
Tage auf einer entfernten Sendung und
bei dem Gemetzel nicht zugegen gewesen.
Oporto, 1. Sept. Gestern Nachmittag
versammelte sich eine große Menschen-
menge vor der Handelskammer, woselbst
der Vorsitzende auf Befehl der Regierung
die Erklärung abgab, daß es bis aus
Weiteres untersagt sei, in diesem Ge
bände Versammlungen abzuhalten. Die
Menge protestirte heftig gegen diese Er
klärung; Gendarmerie mußte einschreiten,
um die Menge auseinanderzutreiben.
Mehrere Verhaftungen wurden vor
genommen.
Belgrad, 1. Sept. Den zahlreichen hier
eingetroffenen Zeitungs - Korrespondenten
wurde bekannt gegeben, daß die Eröffnung
der Verhandlungen im Attentats- und
Verschwörungsproceß neuerdings auf un
bestimmte Zeit verschoben ist. Zahlreiche
Osficiere und Beamte wurden theils ihres
Dienstes enthoben, theils pensionirt.
London, 1. Sept. Die „Frank. Ztg."
meldet: Nach einer Depesche der „Central
News" aus Shanghai hat der „Ostas.
Lloyd" die Nachricht gebracht, daß im
Hinterlande von K i a u t s ch o u ernste
Unruhen ausgebrochen seien und ein
Kampf stattgefunden habe, in welchem
sechs Chinesen erschossen wurden. Der
deutsche Gesandte Baron Ketteler habe ein
Ultimatum an die chinesische Regierung
geschickt und Sicherheit für Leben und
Eigenthum im Hinterlande und Aufrecht
erhaltung der Ordnung verlangt. Andern
falls werde Deutschland Schritte thun,
um seine Interessen zu schützen.
New-York, 1. Sept. Die „Frks. Ztg."
meldet: Die Revolutionäre in San Domingo
ind vollständig siegreich. Präsident Figue ra
dankte zu Gunsten Jimenez ab. Die Re
gierung dürfte nunmehr in die Hände der
Weißen kommen. — Nach einer Konferenz
des deutschen Vertreters Mumm von
Schwarzenstein mit dem Minister des Aus
wärtigen John Hay verlautet, der neue
SamocvVertrag werde vor Zusammentritt
des Kongresses fertig werden.
London, 1. Sept. In Marinekreisen
wird offiziell erklärt, das Ultimatum an
Transvaal werde abgesandt werden, sobald
die Ş englischen Truppenverstärkuugen in
Afrika eingetroffen seien.
Mailand, 1. Sept. In dem Städtchen
Almenno bei Bergamo sind siebzehn
Personen vom Strome einer
elektrischen Beleuchtungsan-
läge getroffen worden. Zwei
blieben todt, fünfzehn sind mehr oder
weniger schwer verletzt.
Der Dreyfus-Prozeß.
Rennes, 1. Sept. In der heutigen
Verhandlung des Kriegsgerichtes, welche um
6 Uhr 35 Minuten begann, wurde zunächst
eine Anzahl Zeugnisse der Behörden des
Heimathsortes des Herrn du Breuil (des
Zeugen, der Dreyfus mit einem fremden
Attachee bei Madame Bodson gesehen ha
ben will) verlesen. Die Zeugnisse lauten
höchst ehrenhaft für den Zeugen. Dir Breuil
bittet, den Angeklagten zu fragen, in wel
cher Epoche seine Verbindung mit Madame
abgebrochen sei. Dreyfus ' erwidert, er
glaube, daß er Madame Bodson 1887 nicht
mehr gesehen habe; sicher aber nicht mehr
1889. Zeuge du Breuil bekundet, er könne
zwei Personen bringen, die inr Stande seien,
Bestimmtes über die Verbindung Dreyfus'
mit Frau Bodsou auszusagen; es seien
zwei ehemalige Kammerdiener (Gelächter).
Zeuge verliest den Brief eines dieser ehema
ligen Diener, in dem es heißt, Dreyfus sei
noch 1887 in das Haus Bodson's gekom
men, und zwar hauptsächlich Nachmittags,
Wenn Herr Bodson abwesend war (ironi
sches Gelächter). Dreyfus bezeichnet es als
unwürdig, daß Herr Bodson diese persön
IttfjiCrt Beziehungen hier erörtere. Er er
kläre nochmals, daß er niemals mit einem
fremden Militärattachee dinirt habe. Zeuge
Stallmeister Germain, bekannt aus der En
quete Beaurepaires, will Dreyfus bei den
deutschen Manövern in Mühlhausen gese
hen haben. Er erzählt, er sei eines Mor
gens um 5 Uhr von dem Reitstallbesitzer
Kullmann beauftragt worden, zwei fremde
Herren mit Pferden vom Bahnhöfe abzu
holen. Einer der Herren sei dann auf den
deutschen General jenseits eines Grabens
zugeritten und habe denselben begrüßt.
Später habe er den Fremden in Bois ge
troffen und jetzt in der Uniform eines fran
zösischen Artillerieoffiziers. Vom Haupt
mann d'-Jnfreville habe er erfahren, daß
der Offizier Dreyfus heiße. Vertheidiger
Demange läßt ein den Zeugen betreffendes
Urtheil vorlesen, aus dem hervorgeht, daß
Germain ivegen Vertrauensmißbrauchs mit
6 Monaten Gefängniß bestraft ist. Zeuge
Hauptmann Lemonnier bekundet, es sei am
1. August 1894 gewesen, als in dein Bu
reau von den Grenztruppcn gesprochen und
erörtert worden sei, was am Tage n a ch der
Kriegserklärung zu geschehen habe. Dreyfus
habe auf der Karte des Grenzgebietes eine
Position zwischen Mühlhausen und Belfort
bei Altkirchen gezeigt, welche, wie er meinte,
geeignet sei, die Deutschen aufzuhalten. Er
kenne die Position, weil er eines Tages
dem deutschen Manöver zu Pferde gefolgt
ei- Sämmtliche Offiziere seien sehr darüber
erstaunt gewesen, daß ein französischer Os
fizier ungehindert habe deutschen Manövern
folgen können. Er, Zeuge, wiederhole, er
habe Dreyfus sagen hören: „Ich bin deut
schen Feldübungen zu Pferde gefolgt. Wenn
Dreyfus dies bestreitet, sagt er nicht die
Wahrheit!" Gefragt, wann dieses Manöver
stattgefunden habe, erwidert Zeuge, das
wisse er nicht. Dreysus bleibt wiederum
dabei, daß er niemals einem Manöver bei
gewohnt habe. Er kenne die Gegend vor:
Mülhausen gut und habe deshalb mit
Hauptmann Lemonnier von der Position
bei Altkirch sprechen können. Der nächste
Zeuge ist Herr Villoir, derselbe, der im Cen-
tralhotel in Berlin das Gespräch, zweier
preußischer Generalstabsoffiziere gehört ha
ben will. Er erzählt, er sei 1894 im Speise
saal des Centralhotels gewesen, in einein
Nebensaale hätten zwei deutsche Generale
gesessen, welche ihn jedoch nicht sahen. Beide
Offiziere hätten in französischer Sprache
über die französische Armee gesprochen, und
zivar von der hydraulischen Bremse und
anderen atilleristischen Fragen. Der eine der
Offiziere habe gesagt: „Es ist doch ekelhaft,
einen französischen Generalstabsoffizier sein
Vaterland verrathen zu sehen." Der andere
habe darauf erwidert: „Wir haben den Vor
theil davon; Du weißt, daß wir in den
nächsten Tagen den Mobilmachungsplan
von Dreyfus erwarten." (Schallendes Ge
lächter.) Villon bemerkt, ganz roth im Ge
sicht: „Ich gebe mein Ehrenwort, daß ich
dies im Centralhotcl gehört habe!" Der
Zeuge pensionirte General Sebert führt
aus, das Bordereau könne nicht von einem
Artilleristen geschrieben sein, dafür habe er
verschiedene Beweise.
Zur Disziplinirung der Beamten
unter den Kailalgegnern.
wohl hatte man den bencidens-
werthen Erben einer wohlgezählten halben
Million mit so jämmerlicher Armesünder-
Miene dahinwandern sehen, als sie der kleine
verwachsene Musiklehrer nun schon seit vielen
Tagen zeigte. Er war hagerer und elender
als in den traurigsten Zeiten seiner Armuth,
und er ging den guten Freunden, deren sich
seit dem Bekanntwerden seines Glückes er
staunlich viel gefunden hatten, überall in
einem so weiten Bogen aus dem Wege, daß
er bei ihnen längst in den üblen Ruf eines
hochmüthigen Emporkömmlings gerathen war.
Sie ahnten ja nicht, wie vollständig er
selber bereits alle Freude an seinem vcr-
weintlichen Glück verloren hatte, und wie
gerne er die ganze, langersehnte Erbschaft
Angegeben haben würde, wenn er dafür ein
hätte kaufen können für den
W an şiîķ guten Herzen nagte,
kreiî a,.?°^"dene Lehrthätigkeit hatte er
r-lltch ausgegeben, doch es war nicht so
sehr aus Hochmuth geschehen, als weil er
doch nnt s-men Nachforschungen nach Erna
so unendlich Viel Wichtigeres zu thun gehabt
hatte. Auch jetzt noch fefcte er diese Nach
forschungen fort, oder er suchte sich doch
wenigstens einzureden, daß er es thäte-
v°nn in Wahrheit war es nur noch ein ziel-
U»d zweckloses Umherstreifen, dem er einen
'vlchen Namen gab. Wo hätte er sie denn
jetzt noch suchen sollen, nachdem er vcr-
gebens Wochen lang den Spürsinn eines
Indianers an den Tag gelegt hatte in dem
Bemühen, ihre Spur zu finden! Und dann
hatte auch die Nachricht von Günther Harme-
ning's Verhaftung seine Kraft gebrochen.
Ohne den ruhigen, ernsten, zielbewußten
Freund fühlte er sich mit einem Mal völlig
hülflos, und zu der Sorge um Erna ge
sellte sich seit dem Erscheinen der ersten
Zeitungsnotizen über diese Angelegenheit die
fast noch schwerere Sorge um des unglück
lichen Freundes Geschick.
So ließ er sich auch heute voll dieser
Betrübniß von dem gleichgültigen Menschen
strom einer verkehrsreichen Hauptstraße fort
tragen, unbekümmert darum, wo er schließ
lich landen würde, und es weckte ihn mitten
in dem lärmenden Gewühl wie aus einem
Traume, als er aus unmittelbarer Nähe ein
lautes Krachen und Klirren vernahm, be
gleitet von zornig drohenden Zurufen aus
männlichen und von angstvollem Kreischen
aus weiblichen Kehlen. Er sah sich um
"kannte, daß es einen jener kleinen
Unfälle gegeben hatte, wie sie im Straßen
leben einer Millionenstadt zu den alltäglichen
Vorkommnissen gehören. Ein Lastwagen,
deffcn Kutscher in der Trunkenheit oder in
sträflichem Leichtsinn seine Pferde in raschester
Gangart hatte um eine Ecke biegen lassen,
war so schwer mit einer Droschke zusammen
geprallt, daß der arme altersschwache Gaul
dieser letzteren blutend auf dem Pflaster lag
und die Scherben der Wagenfenstcr weithin
den Fahrdamm bedeckten.
Mehr einem instinktiven Antrieb seiner
hülfrcichen Natur folgend, als weil er wirk
lich im Stande gewesen wäre, sich mit seinen
schwachen Kräften nützlich zu erweisen, eilte
Fritz Heimerdinger als einer der ersten auf
Die Maßregelung der Be
amten ist trotz der Erklärung im Reichs
anzeiger dennoch erfolgt.
Den amtlichen und offiziösen Kund
gebungen über die Aktion der Regierung
gegen die Opposition der politischen Be
amten ist eine neue gefolgt. Die Ber-
liner Correspondenz erläutert in einem
Artikel über die Pflichten der politischen
Beamten den gestrigen Erlaß des Staats.
Ministeriums und theilt mit, daß die
Staatsregierung sich hat entschließen müssen,
eine Anzahl politischer Verwaltungsbe-
amten mit Wartegeld e i n st w e i l e n in
den Ruhe st and zu versetzen.
Gegen die beiden Regierungspräsidenten
und die Landräthe, die gegen das Kanal-
projekt im Abgeordnetenhause gestimmt
haben, ist auf direkte Anweisung
des Kaisers vorgegangen worden. Es
sind niemals Versuche gemacht worden,
das ihnen drohende Verhängniß abzu
wenden, bei dem fest ausgesprochenen
Willen des Kaisers wäre dies auch ganz
aussichtslos gewesen. Der Kaiser hat
wiederholt erklärt, daß ein politischer Be
amter, wenn er in Konflikt mit seinen
Pflichten als solcher und seiner politischen
Stellung als Landtagabgeordneter geriethe,
nur den Ausweg habe, sein Mandat oder
sein Amt niederzulegen. Die von der
Maßregelung betroffenen Beamten sollten
nach einer schon mehrere Tage alten Mit
theilung der „Staatsbürger. Ztg." die
beiden Regierungspräsidenten v. Colmar
in Lüneburg und v. Jagow in Posen sein,
der vor kurzem zum Regierungsrath er
nannte frühere Landrath des Kreises
Samter, v. Blankenburg, sowie endlich die
19 Landräthe Dr. Baarth-Posen, v. Berg-
Gifhorn, Graf v. Bernstorff-Ostpriegnitz
v. Bockelberg-Ost-Sternberg Dr. Frhr. v.
Bodenhausen-Bitterfeld, Frhr. v. Boden-
Hausen-Lebusa-Wittenberg, v. Bonin-Neu-
stettin, 8. Bornstedt-Arnswalde, v. Brock-
Hausen-Dramberg, v. Dallwitz-Lüben, Dum-
rath-Strasburg, Westpr., Hansen-Tondern,
Dr. Kersten-Schlochau, v. Kotze-Kl.-Oschers-
leben, Kreth-Göritten, Dr. Lewaldt, Ra-
witsch, Dr. Schilltng-Liegnitz, Wolf-Gerki-
Wogilno und v. Wrochem-Wohlau. Diese
Liste umfaßt außer dem bereits gemäß,
regelten Abg. Jrmer und dem Regierungs
rath Lotz, dem Konsistorialpräsidenten
Stockmann und dem Seehandlungspräsi
denten Frhrn. v. Zedlitz sämmtliche Poli
tische Beamte, die am 17. und 19. August
gegen die Kanalvorlage gestimmt haben,
auch diejenigen, die bet der letzten Ab-
timmung nach der Ablehnung des Antrags
aus Wiederherstellung der gesummten Re
gierungsvorlage für den Dortmund-Rhein-
kanal eintraten.
Mit dem Regierungserlasse ist so ziem
lich niemand zufrieden. Das beweisen die
nachstehenden Preßstimmen, die wir o h n e
jede Randbemerkung wiedergeben
möchten.
Die „Freis. Ztg." faßt ihr Urtheil
dahin zusammen:
„Aus dem Erlaß ist aber nothwendig die
Konsequenz zu ziehen, daß politische Be-
die Stätte des Unfalls zu. Voll tiefen
Mitleids betrachtete er das schwer verletzte
Pferd, das allem Anschein nach hier seinen
letzten Seufzer aushauchen sollte. Dann
aber fuhr er plötzlich herum, als hätte ihn
die Faust eines unsichtbaren Riesen um seine
eigene Axe gedreht, denn hart hinter seinem
Rücken hatte er eine weiche, wohltöncnde,
bebende Stimme sagen hören:
„Nein, — ich danke Ihnen, meine Herren
— ich bin nicht im Mindesten verletzt wor
den. Nur der Schreck hat mied im ersten
Moment ein wenig angegriffen."
n Unter hundert anderen würde er diese
süße Stimme erkannt haben, und ihm war
zu Sinn, als ob urplötzlich der Himmel in
all seiner Pracht und Glorie sich vor ihm
aufgethan hätte; denn so nahe, daß er mit
seiner ausgestreckten Hand ihr Kleid zu be
rühren vermochte, stand Erna Wellhof an
seiner Seite. Sie war die Insassin der
halb zertrümmerten Droschke gewesen, und
einige Herren aus dem Publikum, die prak
tischer waren als der kleine Musiker und die
ihre Zeit darum nicht mit der theilnehmenden
Betrachtung des verunglückten Pferdes ver
loren hatten, waren ihr ritterlich beim Aus
steigen behülflich gewesen. Allem Anschein
nach hatte sic sich auf dem Wege zum Bahn
hof befunden, denn sie trug ein ledernes
Umhängctäschchen über dem Mantel und man
reichte ihr eben einen kleinen Handkoffer aus
dem Innern des Wagens.
Ein paar Mal mußte Fritz Heimerdinger
tüchtig schlucken, ehe er überhaupt im Stande
war, ein Wort hervorzubringen, und auch
dann «och klang seine Stimme ganz sonder
bar verändert, als er die Ucberraschte be
grüßte.
Erna war sichtlich erschrocken, ihn so un
erwartet vor sich zu sehen; aber in ihre Be
stürzung mischte sich doch auch wohl ein klein
wenig Freude, und als der kleine Musiker
ihr dann, ohne viele Umstände den kleinen
Handkoffer ergreifend, seinen Arm reichte,
um sie in eine nahe gelegene Konditorei zu
führen, da sträubte sie sich nicht, ihm zu
folgen, obwohl es in der vielköpfigen Menge,
die sich sogleich um die Nnglücksstelle gc-
schaart hatte, nicht an allerlei recht ver
nehmlichen Spöttereien über die Ungleichheit
dieses auf eine so sonderbare Art zusammen
geführten Paares fehlte.
Und da drinnen, wo sic einander im ver
stecktesten Winkel an dem kleinen runden
Marmortischchen gegenüber saßen, erfuhr Fritz
Heimerdinger endlich, warum alle seine rast
losen Nachforschungen bisher hatten vergeb
lich bleiben müssen. Als sie unter dem Druck
der Beschämung und der vermeintlichen
Schande aus Günther Harmcning's Wohnung
geflohen war, hatte Erna sich eines be-
cheidcncn Pensionats erinnert, in welchem sie
urze Zeit gewohnt hatte, ehe sic bei der Mutter
des kleinen Musikers eine Zuflucht gefunden.
Dorthin hatte sie unter Aufbietung der
letzten Kräfte ihre Schritte gelenkt, und die
bejahrte Inhaberin des Pensionats war
glücklicher Weise mitleidig genug gewesen,
ihr die Aufnahme nicht zu versagen. Aber
ihre Menschenfreundlichkeit war in der Folge
auf eine ziemlich harte Prob- gestellt worden,
denn schon am nächsten Tage hatte die junge
Erzieherin in heftigem Fieber aufdcmKranken-
bett gelegen und Tage lang hatte sie sich
nach der Erklärung des Arztes in ernster
Lebensgefahr befunden. In den Nöthen und
der Verwirrung dieser schweren Zeit hatte
die Inhaberin des Pensionats dann woh
versäumt, die vorgeschriebene polizeiliche An
meldung ihrer Kostgängerin zu bewirken, und
so war es geschehen, daß Fritz Heimerdinger
an allen amtlichen Stellen vergebens nach
Ernas Aufenthalt geforscht hatte.
„Und jetzt?" fragte er, als sie ihre Er
zählung geendet, mit einem ängstlichen Seiten
blick auf das Ledertäschchcn und den Hand
koffer. „Was gedachten Sie jetzt zu be
ginnen?"
„Ich bin im Begriff, nach Hamburg zu
reisen, wo ich mich einer brasilianischen
Familie vorstellen soll. Man will mich,
wenn ich den gehegten Erwartungen ent
spreche, als Erzieherin für zwei mutterlose
Kinder mit nach Rio de Janeiro nehmen."
„Und Sie glauben, daß ich das geschehen
lassen werde? — Nein, Fräulein Erna,
Sie dürfen jetzt nicht fort. Und wenn Sic
trotz meiner Bitten auf Ihrem grausamen
Vorsatz beharren, so schwöre ich Ihnen, daß
ich mich auf dem Bahnhöfe vor die Räder
Ihrer Lokomotive werfen werde."
Sie nahm seine Worte für eine jener
cherzhaften Uebertreibungen, die seiner Aus
drucksweise von jeher eigen gewesen waren,
und ein wehmüthiges Lächeln huschte über
ihr schönes Gesicht.
„Wenn Sie es gut mit mir meinen, lieber
Herr Heimerdinger, so versuchen Sie nicht,
mich zurück zu halten. Wie gern ich auch
onst jeden Ihrer Wünsche erfüllen möchte —
ich kann hier nicht bleiben, es ist ganz
unmöglich."
„Und warum können Sie cs nicht? Erna,
weil Sie sich schämen, einen Freund zu haben,
den man unter aberwitzigem falschem Verdacht
in den Ker . .