Uägttch erscheinendes MLatt.
«Außer an Sonn- und Festlagen.)
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für Auswärtige, durch die Pon bezog«
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tecl. Postprovision :c., jedoch ohne Bestellgeld.
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ArLIeÜes und geleļenstes KLaLL im Kreile Rendsburg.
Anzeigen fiir die Tagesnummer werden dis 12 Uhr Mittags erbeten.
—> f>2 ster Jahrgang.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelinäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburgcr Wochenblatt wird
„ftjt Lanöwirth"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interest«
der Landwirthschaft) gratis beigegeben.
Wo. 197.
Donnerstag, den 24. August
1899.
Morgen-Berichte.
Berlin, 22. Aug. Wie die „Rat. Zkg "
meldet, überwog heute im Abgeordnetenhause
die Ansicht, es werde zur Auflösung kommen,
und zwar unter Rücktritt nur des Ministers
v. d. Recke und einer Anzahl Veränderungen
in den politischen Beamtenstellungen. Man
wollte in dieser Angabe, welche auf
konservative Abgeordnete zurückgeführt
wurde, ein Echo der gestrigen Besprechung
des Staatsministeriums finden. Es ist
indeß bis jetzt nach keiner Richtung eine
Entscheidung erfolgt.
Köln a. Rh., 22. Aug. Die ultramontane
„Volksztg." erfährt aus zuverlässiger
Quelle, daß Miguel der einzige Minister
sei, der gegen eine Auflösung des Ab
geordnetenhauses sei. Das Blatt sagt,
Miguel habe von seinem diesjährigen Kur-
aufenthalt nicht genügenden Nutzen gehabt;
er leide an hartnäckiger Verschleimung der
Luftwege und neuralgischen Kopsschmerzen;
er sehne sich nach Entbindung von seinem
Amte; arbeitsmüde seien auch Minister
Thielen und Dr. Bosse, sowie v. d. Recke,
welcher bereits zwei Mal dem Kaiser
seine Entlassung eingereicht habe. Daß
Aenderungen in dem Ministerium vorge
nommen würden, sei feststehend.
Berlin, 22. Aug. In eine allgemeine
Lohnbewegung wollen die Glaser Berlins
und Umgegend eintreten. Gefordert wird:
Neunstündige Arbeitszeit, Stundenlohn
von 50 Pf., 60 Pf. für Ueberstunden und
1 Mk. für Nachtarbeit.
— Mainz, 22. August. Beim gestrigen
Gesechtsexerciren vor dem Kaiser
wurde ein Kanonier des 27. Feld-
artillerie-Regiments bei der Schußabgabe
so s ch w e r v e r l e tz t, daß er heute
Nacht im Militärspital gestorben ist.
London, 22. Aug. „Daily Telegraph"
meldet aus Wien, in ganz Nordböhmen
sei eine ernste revolutionäre Bewegung
ausgebrochen. Die Landbewohner weigern
sich, die Steuern zu zahlen, und politische
Agitatoren fordern zum Widerstände auf.
Frankfurt a. M., 22. Aug. Bon zu
verlässiger Seite erfährt die „Frkf. gtg."
aus Petersburg, daß im Südosten Ruß
lands im Gouvernement Samara die
sibirische Pest ausgebrochen ist. Auf
telegraphische Requisition hin wurden
mehrere Regimenter Soldaten dorthin
entsandt. Die Stadt Zaryzin ist ab
gesperrt. Den russischen Zeitungen wurde
strengstens Stillschweigen auferlegt.
Der Dreyfrrs-Prozeß.
Rennes, 22. Aug. Auch die heutige
Sitzung des Kriegsgerichts wurde uni Vä?
Uhr eröffnet. Labori ist zugegen. Sein Er
scheinen ruft allgemeine Ovationen hervor.
Die Generale Billot und Mercier begrüßen
ihn und wechseln freundliche Worte mit ihm.
Dreyfus wird alsbald vorgeführt. Als er
Laboris ansichtig wird, geht er aus ihn zu
und drückt mit bewegten Worten seine
Freude über die Genesung aus. Der Vor
sitzende erhebt sich alsdann und halt eine
kurze, warmherzig gehaltene Ansprache,
worin er nochmals sein Bedauern über das
Attentat ausdrückt. Er erklärt, jeder ge
sittete Mensch habe bei der Meldung über
das Attentat seinen Abscheu ausgesprochen.
Er sei glücklich^ feststellen zu können, daß
das Attentat kein weiteres Unglück zur
Folge gehabt habe. Labori antwortet und
dankt für die warmen Worte des Vorsitzen
den. Es sei für ihn eine besondere Freude,
wieder schnell geheilt zu sein, da nun sein
lange gehegter Wunsch in Erfüllung gehe,
im Prozesse Dreyfus zu vertheidigen. Wir
haben, so sagt Labori weiter, eine schwere
Sache in Angriff genommen, wir suchen
nur die Wahrheit und das Licht, wobei
wir, die Vertheidiger, die Mitarbeiter sind.
Wir wollen nur die Gerechtigkeit und sind
überzeugt, daß in der ganzen Angelegen
heit mehr Aufrichtigkeit als Unaufrichtig
keit vorherrscht. Ich hoffe, gegen das zu
lallende Urtheil Ivird Niemand Einspruch
erheben können. Die Worte Laboris wer
den im ganzen Saale mit Beifall aufge
nommen. Sodann beginnt das Verhör des
früheren Polizeipräsekten von Belfort,
Grigner. Derselbe ergeht sich in langen
Auseinandersetzungen ttnd lobt die Wissen-
chaft, Bildung und Tüchtigkeit Ester
hazys. — Dann sagt Zeuge Grenier,
welcher der Sohn des Generals Grenier ist,
unter dem Esterhazy in Afrika gedient hat,
weiter bezüglich Esterhazys aus, daß
dieser wenig Vertrauen verdient habe, aber
er, Zeuge, halte ihn des Verraths für un
fähig. Esterhazy habe mehrere Erbschaften
in Folge von Liebschaften und übermäßi-
gem Aufwande durchgebracht. Zeuge
chließt, es scheine ihm, positiv behaupten
könne er es jedoch nicht, daß Esterhazy
ihm einmal gesagt habe, er halte Dreyfus
sir unschuldig. (Während dieser Aussagen
erscheint die Pariser Schauspielerin Rejane
im Saale.) Der Zeuge Kommandant Rol
lin macht Aussagen über eine Affäre La
joux., Hier greift Labori ein. Er fragt
Rollin, ob er die Verantwortung für die
Uebersetzung des Briefes des Obersten
Schneider übernehme. Regierungskommis
sar Carriere uirtersagt, das diplomatische
Gebiet zu berühren. In einem solchen Falle
müsse er den Ausschluß der Oeffentlichkeit
fordern. Labori erwidert, nicht die Ver
theidiger seien es gewesen, welche den Zwi
schenfall Schneider geschaffen, es sei Ge
neral Mercier gewesen, der hier von dem
Dokument gesprochen. Labori wiederholt
seine Frage an Rollin. Dieser zuckt die
Achseln und giebt eine ausweichende Ant
wort. Labori fragt nun den General Mer
cier, woher er dieses Dokument habe. Mer
cier antwortet zögernd, er glaube, auf diese
Frage keiue Antwort ertheilen zu sollen.
Labori wiederholt seine Frage. Mercier er
widert, er werde nicht antworten; er er
kläre, daß er die Verantwortung für die
Richtigkeit der Uebersetzung übernehme. La
bori fragt weiter den General, mit wel
cheni Recht er Besitzer des Dokuments sei
und mir welchem Recht Besitzer des Dos
siers ? Er bitte, daß der General im Saale
bleibe, ^er habe noch viele an ihn zu rich
tende Fragen zu beantworten. Labori setzt
sich; seine im Saale anwesende Gattin be
obachtet ihn fortwährend. Zeuge Ferree,
früher Beamter im Bureau des General
stabes sagt aus, er sei jetzt Beamter bei
einer Beerdigungsgesellschaft. Er erzählt,
er habe Dreyfus außerhalb der Dienststun-
den in den Bureaus des Colonels Berlin
getroffen und habe gesehen, wie Dreysiis
einen Civilisten im Bureau empfing. Drey
fus protestirt energisch dagegen, je das Bu
reau Berlins außerhalb dep Dienststunden
betreten und jemals Civilisten empfangen
zu haben. Zeuge Colonel Berlin erzählt,
wie Dreysiis in seinen Dienst getreten sei,
und in welcher Weise er ihn ' beschäftigt
habe. Er habe fid) mit dem Eisenbahn
netz zu beschäftigen gehabt und zu allen
Schränken Schlüssel besessen. Dreyfus habe
viel gesprochen und viel gefragt und sich
mehr mit den Resultaten der Studien, als
mit methodischer Arbeit beschäftigt. Ber
lin erzählt iveiter, wie er im Manöver in
tier Nähe der Grenze seine Bewegung aus
gesprochen habe, sich so nahe den verlore
nen Provinzen zu sehen. Da habe Dreyfus
ihn plötzlich unterbrochen und gesagt: „Das
gilt 'ficht für uns Juden, denn wo wir sind,
ist unser Gott mit uns." Zeuge schildert
weiter, wie General Mercier ihn beauf
tragte, Casimir Perier von dem Gange der
Untersuchung gegen Dreyfus Mittheilung zu
machen. Dann berichtet er, daß Scheurer-
Kestner ihn über die Affäre Dreyfus be
fragt habe. Auf eine Bemerkung des Zeu
gen BerUn fragt der Präsident den Zeu
gen Ferree, ob er Dreyfus in dem Bureau
des Colonels Berlin gesehen habe und um
welche Uhr dies der Fall gewesen sei. Ferree
entgegnet: „Um 1 Uhr." Präsident Jo
«anst fragt den Zeugen Berttn, was der
Schrank in seinem Bureau enthalten habe
Der Zeuge antwortet: „Das oberste Fach
enthielt den Mobilisationsplan. Dreyfus ist
es möglich gewesen, denselben zu öffnen."
Zeuge Bertin verbreitet sich weiter über
seine Beziehungen zu Scheurer-Kestner, den
er seit vielen Jahren kennt und der schon
seit 1895 im Zeugen Zweifel an Dreysiis
Schuld erwecken! wollte. Zeuge unterstellt,
daß Scheurer-Kestner ein alter Freund der
Familie Dreyfus sei. Auf Verlangen La
boris wird hier eine lange Aussage Scheu-
rer-Kestners vorgelesen, der durch Krankheit
an: persönlichen Erscheinen verhindert ist.
Die Aussage erklärt zunächst, daß Scheu
rer-Kestner niemals Beziehungen zur Fa
milie Dreyfus gehabt, niemals ein einzi
ges Mitglied der Familie gekannt hat, ehe
Mathias Dreyfus zu ihm kam und ihn bat,
sich für seinen unschuldig vernrtheilten Bru
der zu interessiren. Scheurer-Kestner er
zählt, wie er nach und nach zur Gewiß
heit der Unschuld Dreyfus' und der Schuld
Esterhazys gelangt sei. Demange verlangt
hierauf von dem Zeugen Bertin Aufschluß
über die Erklärungen, die Bertin der Fa
milie Scheurer-Kestner gemacht haben soll.
Bertin erklärt, er habe niemals der Familie
Scheurer-Kestner verschwiegen, daß Scheu-
rer dem Vaterlande einen ungeheuren
Dienst erweisen würde, wenn cs ihin gelin
gen würde, die Unschuld Dreyfus zu be
weisen. Er, Zeuge, habe aber auch nie ver
schwiegen, daß er von der Schuld des Drey
siis überzeugt sei. Bertin bestreitet ganz
entschieden, daß Dreyfus darunter zu lei
den gehabt hat, daß er Jude war. Drey
fus sei nicht der erste jüdische Offizier im
Generalstabe gewesen. Er, Zeuge, habe jü
dische Kameraden, die er achte. Ein jüdi
scher Offizier sei sein vertrauter Freund.
Auf Demanges Verlangen werden sämmt
liche Dienstnoten Dreyfus'- verlesen, die bis
1893 glänzend sind und erst ini 2. Halb
jahr 1893 eine abfällige Bemerkung des
Obersten Fabre über seine Selbstgefällig
keit haben, die ihn zum Generalstabsdienste
ungeeignet inache. Labori fragt alsdann
den Zeugen Bertin, ob er sich erinnere, daß
er etwa drei Wochen nach der Verurthei-
lung des Dreyfus mit ihm, Labori, in einer
Familie gespeist und daß er damals gesagt
habe, er sei einer der Urheber der Straf
sache Dreyfus'-. Bertin bestreitet den Aus
druck Urheber, doch könne er wohl gesagt
haben, er sei stolz darauf, an der Verur-
theilung eines Verräthers mitgearbeitet zu
haben. Es entspinnt sich alsdann noch
eine Controverse zwischen Demange und
und Bertin, die Vertheidigung des Ersteren
1894 betreffend. Dreyfus erhebt sich dann
und erklärt, die vom Zeugen Bertin citirten
von Dreyfus angeblich im Manöver gespro
chenen Worte habe er niemals gesagt. Er
begreife nicht, daß man es der Ehre des
Heeres schuldig zu sein glaube, auf ihn fort
während loszuhauen und ihn als schuldig
hinzustellen. Er habe von der Ehre des
Heeres eine andere Vorstellung. Er meine,
diese Ehre erfordere nicht, daß. ein fran
zösischer Offizier durchaus schuldig sei:
„Ich liebe das Heer," so sagt Dreyfus, „ich
liebe Frankreich. Lesen Sie, was ich über
beide auf der Teufelsinsel schrieb in mei
nem Jammer, im Fieber! Lesen Sie meine
damaligen Briefs und sagen Sie dann noch,
daß meine Gefühle nicht die eines guten
Franzosen sind." (Bewegung.) Es tritt jetzt
eine Pause ein. Während derselben bringt
Frau Labori ihrem Gatten Wein. Der erste
Zeuge nach! der Pause ist der Colonel Gen-
dron. Er habe gehört, daß Dreyfus bei
einer Madame Fery verkehrt habe. Die
Dann, sei weder eine Kokette noch eine an
ständige Frau gewesen. Weiter sagt Zeuge,
die Offiziere des Generalstabes seien Leute,
die vor Pflichteifer nicht schliefen. Zeuge
Kapitän Bessee sagt aus, daß er Dreyfus
die Papiere über die Ostbahnen gegeben
habe. Dreysiis bestreitet dies. ' Zeuge
Kommandant Boullenger sagt über Jndis-,
kretionen Dreyfus' aus. Dreyfus antwor
tet ausführlich in sachlicher Weise. Lieute
nant Colonel Jeamel bekundet, daß sich
Dreysiis von ihm die Schießvorschrift ge
liehen habe. Die Vertheidiger unterwer
fen die Zeugen einem scharfen Kreuzverhör.
Dreyfus bringt nach dem Verhör jedes ein
zelnen Zeugen lange Wiederlegungen vor.
Zeuge Komniandant Maistre sagt aus,
Dreyfus habe große Kenntnisse über die
Mobilisation gezeigt. Weiter protestirt der
Zeuge dagegen, daß im Ministerium der
Antisemitismus geherrscht habe. Die Ver
handlungwird jetzt auf morgen vertagt.
* WalandMMth.
^öuelle von Lothar Brcnkendorf.
(Nachdruck verboten.
In den dunklen Augen des jungen Mannes
erschien für einen Moment ein tückisches
Glitzern.
„Ah. steht cs so?" meinte er leichthin,
„dann wird es allerdings bester sein, ihm
mein Hiersein zu verschweigen. Aber Du
wirst begreifen, daß ich wich schon aus ver
wandtschaftlichen Gründen einigermaßen für
ihn interessire. Er hat also eine feste An
stellung im Kricgsministcrium?"
„Ja! — Und er steht in hohem Ansehen
bei seinen Vorgesetzten. Ich weiß cs von
einem Collegen, der ihn nicht wenig darum
beneidet. Aber man muß ihm auch lasten,
haß er ein sehr pflichteifriger Beamter ist.
Manchmal habe ich fast den Eindruck, daß
er über seine Kräfte arbeitet; denn er bringt
zuweilen ganze Aktenbündel mit nach Hause
und sitzt bis tief in die Nacht hinein an
seinem Schreibtisch. Aber ich darf mir
natürlich Nicht erlauben, ihm deshalb Vor
stellungen zu machen."
Ludolf war plötzlich sehr aufmerksam ge
worden, und eine lebhafte Spannung zeigte
sich ganz unverkennbar auf seinem Gesicht.
„Weißt Du vielleicht auch, von welcher
Art die Aktenstücke find, die Günther mit
nach Hause zu bringen pflegt?" fragte er.
„Nein! — Ick interessire mich nicht sonder
lich dafür, und inseiner übertriebenen Gewissen
haftigkeit würde er auch gar nicht dulden,
baß ich mir die Papiere ansehe. Als ich
ihn einmal fragte, meinte er, cs seien wichrige
Geheimnisse, über die nicht gesprochen wer
den dürfe."
Der Andere war ausgestanden und be
gann im Zimmer umher zu gehen. Eine
Idee, die plötzlich in ihm aufgestiegen sein
mußte, schien ihn sehr stark zu beschäftigen.
Als er nach Verlauf einiger Minuten vor
Gottfried Harmcning stehen blieb, hatte sein
Antlitz indessen wieder ganz die frühere
Unbefangenheit angenommen.
„Du könntest mir da vielleicht gelegent
lich einen großen Dienst erweisen, lieber
Vater — einen Dienst, der werthvoller für
mich sein würde, als alles, was Du bisher
an mir gethan hast. Willst Du mir ver
sprechen, meinen Wunsch zu erfüllen?"
„Wenn Du nichts Unrechtes von mir
verlangst — gewiß!"
„Du mußt mir hier und da eines dieser
Aktenstücke auf einige Stunden zur Einsicht
nahme verschaffen — natürlich ohne daß
Günther etwas davon bemerkt."
Mit Entschiedenheit schüttelte Harmening
den Kopf.
„Das ist unuiöglich, Ludolf! — Die
Papiere befinden sich kaun, jemals länger
als vom Abend bis zum Morgen in Günthers
Zimmer, und sobald er nicht mehr mit ihnen
beschäftigt ist, schließt er sie jedesmal sehr
sorgfältig in seinen Schreibtisch ein."
„Hm, das ist allerdings fatal! Und Du
könntest Dir aus keine Weise einen zweiten
Schlüssel zu diesem Schreibtisch verschaffen?"
Ueber die fahlen eingesunkenen Wangen
des ehemaligen Kanzleibeamten ging ein
jähes Erröthen.
„Ich habe einen solchen Schlüssel", sagte er
nach kurzem Schweigen. „Aber es sind sehr
seltsame Fragen, die Dn da an mich richtest.
Angenommen auch, daß ich das Unmögliche
ausführen könnte, welchen Zweck sollte die
Kenntniß dieser Aktenstücke für Dich haben?"
Das Lächeln auf Ludolfs hübschem Ge
sicht war von vollkommenster Harmlosigkeit.
„Ich vergaß Dir zu sagen, daß ich mir
mein Brod jetzt durch schriftstellerische Ar
beiten verdiene. Ich liefere Correspondenzen
für cmige auswärtige Zeitschriften, und es
ist auch eine militärische darunter, die für
geeignete Beiträge ganz besonders hohe
Honorare zahlt. Aber es ist sehr schwer
für mich, das erforderliche Material zu be
schaffen, denn es fehlt mir leider an ge
eigneten Verbindungen. Da könnten mir
unter Umständen ein paar unverfängliche
Notizen aus jenen Papieren von höchstem
Werthe sein, und wenn Du den ernstlichen
Willen hast, mir nützlich zu sein, solltest Du
Dich wirklich bemühen, meine Bitte zu er
füllen."
Gottfried Harmening blickte nachdenklich
vor sich hin.
„Es geht nicht", meinte er endlich „Ich
verstehe mich nicht auf solche Spitzbnben-
künste, und Günther würde sicherlich schon
beim ersten Mal alles entdecken."
Nicht doch! Man muß cs nur auf die
rechte Arr anfangen. Er wird doch wohl
nichi in seinem Arbeitszimmer schlafen?"
„Nein! Die Schlafstuben liegen an der
anderen Seite des Ganges."
„Nun wohl! Es käme also nur darauf
an, abzuwarten, bis er zur Ruhe gegangen
ist und dann ohne viel Geräusch die Akten
aus dem Schreibtisch zu nehmen. Ich weiß,
daß sich in unmittelbarer Nähe Eurer Woh
nung ein Kaffeehaus befindet, welches die
ganz- Nach: hindurch geöffnet ist. Es wird
mich nicht verdrießen, mich allabendlich dort
einzufinden, um auf Dich zu warten. Ein
Paar Aktenstücke lassen sich leicht unter dem
Ueberrock verbergen, und ich werde schon
eine Möglichkeit finden, mich über ihren
Inhalt so schnell zu onenürcn, daß sic
wenige Stunden später wieder an ihrem
Platze liegen können. Allerdings wird Dich
diese Gefälligkeit hier und da eine Nacht
ruhe kosten, aber für Deine Liebe zu mir
ist ein solches Opfer nicht zu groß."
Er sagte das alles leichthin, als handle
es sich um die einfachste und unschuldigste
Sache von der Welt, aber es war ihm denn
doch nicht gelungen, seinen Vater von der
Ausführbarkeit eines so bedenklichen und
abenteuerlichen Planes zu überzeugen. Und
er war klug genug, vorläufig nicht weiter
in de» alten Mann zu dringen.
„Wir werden gelegentlich noch einmal
über die Sache reden", meinte er, als Harme-
ning abermals erklärt halte, daß er sich auf
dergleichen nicht einlaffen könne. > „Das
Leben hängt ja am Ende nicht davon ab.
Da ich leider nicht zu Dir kommen kann,
mußt Du mich natürlich so bald als mög
lich wieder besuchen. Aber wohlgcmcrkt —
immer nur als Herr August Müller. Nie
mand darf vermuthen, in welchen verwandt
schaftlichen Beziehungen wir zu einander
stehen."
„Es ist das erste Mal, daß ich meinen
ehrlichen Namen verleugne, Ludolf, und Gott
weiß, daß ich es für keinen anderen thun werde
als für Dich. Aber wie nun, wenn cs trotz
dem an den Tag kommt, wer Du bist?
Ich werde von diesem Augenblick an keine
ruhige Minute mehr haben, so lange ich
Dich von solchen Gefahren bedroht weiß."
„O, die Sacke ist nicht so gefährlich, als
sie Dir vielleicht scheinen will. Meine Lcgiti-
mationspapiere find in bester Ordnung, und
bis jetzt hat Niemand eine Ahnung davon,
daß cs der ehemalige Assessor Harmening
ist, der sich hinter dem Journalisten Eugen
Valero verbirgt. Daß mich einer meiner
ehemaligen Freunde wieder erkennen könnte,
wenn er mir zufällig auf der Straße be
gegnet, habe ich kaum zu fürchten, denn ich
war ja fast noch ein Knabe, als ich von hier
fortging, und ich vermeide es überdies nach
Möglichkeit, am Tage auszugehen. Außer
dem ist jene alte Geschichte doch so ziemlich in
Bcrgeffenheit gerathen, und es müßte schon
ein ganz verteufelter Zufall sein, der mich
noch ans Messer lieferte."
In diesem Augenblick wurde an die Thür
des Zimmers geklopft, und auf Ludolfs
„Herein!" erschien das Dienstmädchen mit
dem neugierigen Gesicht.
„Die Frau Hofräthin läßt fragen, ob
sie Herrn Valero zum Thee erwarten darf."
„Gewiß! Es wird mir ein ganz besonderes
Vergnügen sein. Ich lasse nur noch für
wenige Minuten um Entschuldigung bitten."
Das Mävchen zog sich zurück und Gott
fried Harmening griff nach seinem Hut.
„Ich will Dich nicht länger stören",
meinte er. „Aber was für eine Hofräthin
ist denn das, die Dich zum Thee einladet?"
„Es ist die Dame, von der ich diese bei
den Zimmer gemiethet habe, eine ältere
Wittwe aus sehr guter Familie und von den
angenehmsten Umgangsformen. Da ich sehr
wenig Verkehr umerhalte, bin ich froh, hier
einen Anschluß gefunden zu haben, der mir
den nöthigen Zeitvertreib gewährt, ohne zu,
gleich große Anforderungen an meinen Geld,