Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

Uägttch erscheinendes MLatt. 
«Außer an Sonn- und Festlagen.) 
BkMgSHreiS: 
KierielDhrllch 2 Ji—, ft ei in? Haus geliefert 
2 Jt 15 Ķ 
für Auswärtige, durch die Pon bezog« 
2 J( 25 ^ 
tecl. Postprovision :c., jedoch ohne Bestellgeld. 
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ArLIeÜes und geleļenstes KLaLL im Kreile Rendsburg. 
Anzeigen fiir die Tagesnummer werden dis 12 Uhr Mittags erbeten. 
—> f>2 ster Jahrgang. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelinäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburgcr Wochenblatt wird 
„ftjt Lanöwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interest« 
der Landwirthschaft) gratis beigegeben. 
Wo. 197. 
Donnerstag, den 24. August 
1899. 
Morgen-Berichte. 
Berlin, 22. Aug. Wie die „Rat. Zkg " 
meldet, überwog heute im Abgeordnetenhause 
die Ansicht, es werde zur Auflösung kommen, 
und zwar unter Rücktritt nur des Ministers 
v. d. Recke und einer Anzahl Veränderungen 
in den politischen Beamtenstellungen. Man 
wollte in dieser Angabe, welche auf 
konservative Abgeordnete zurückgeführt 
wurde, ein Echo der gestrigen Besprechung 
des Staatsministeriums finden. Es ist 
indeß bis jetzt nach keiner Richtung eine 
Entscheidung erfolgt. 
Köln a. Rh., 22. Aug. Die ultramontane 
„Volksztg." erfährt aus zuverlässiger 
Quelle, daß Miguel der einzige Minister 
sei, der gegen eine Auflösung des Ab 
geordnetenhauses sei. Das Blatt sagt, 
Miguel habe von seinem diesjährigen Kur- 
aufenthalt nicht genügenden Nutzen gehabt; 
er leide an hartnäckiger Verschleimung der 
Luftwege und neuralgischen Kopsschmerzen; 
er sehne sich nach Entbindung von seinem 
Amte; arbeitsmüde seien auch Minister 
Thielen und Dr. Bosse, sowie v. d. Recke, 
welcher bereits zwei Mal dem Kaiser 
seine Entlassung eingereicht habe. Daß 
Aenderungen in dem Ministerium vorge 
nommen würden, sei feststehend. 
Berlin, 22. Aug. In eine allgemeine 
Lohnbewegung wollen die Glaser Berlins 
und Umgegend eintreten. Gefordert wird: 
Neunstündige Arbeitszeit, Stundenlohn 
von 50 Pf., 60 Pf. für Ueberstunden und 
1 Mk. für Nachtarbeit. 
— Mainz, 22. August. Beim gestrigen 
Gesechtsexerciren vor dem Kaiser 
wurde ein Kanonier des 27. Feld- 
artillerie-Regiments bei der Schußabgabe 
so s ch w e r v e r l e tz t, daß er heute 
Nacht im Militärspital gestorben ist. 
London, 22. Aug. „Daily Telegraph" 
meldet aus Wien, in ganz Nordböhmen 
sei eine ernste revolutionäre Bewegung 
ausgebrochen. Die Landbewohner weigern 
sich, die Steuern zu zahlen, und politische 
Agitatoren fordern zum Widerstände auf. 
Frankfurt a. M., 22. Aug. Bon zu 
verlässiger Seite erfährt die „Frkf. gtg." 
aus Petersburg, daß im Südosten Ruß 
lands im Gouvernement Samara die 
sibirische Pest ausgebrochen ist. Auf 
telegraphische Requisition hin wurden 
mehrere Regimenter Soldaten dorthin 
entsandt. Die Stadt Zaryzin ist ab 
gesperrt. Den russischen Zeitungen wurde 
strengstens Stillschweigen auferlegt. 
Der Dreyfrrs-Prozeß. 
Rennes, 22. Aug. Auch die heutige 
Sitzung des Kriegsgerichts wurde uni Vä? 
Uhr eröffnet. Labori ist zugegen. Sein Er 
scheinen ruft allgemeine Ovationen hervor. 
Die Generale Billot und Mercier begrüßen 
ihn und wechseln freundliche Worte mit ihm. 
Dreyfus wird alsbald vorgeführt. Als er 
Laboris ansichtig wird, geht er aus ihn zu 
und drückt mit bewegten Worten seine 
Freude über die Genesung aus. Der Vor 
sitzende erhebt sich alsdann und halt eine 
kurze, warmherzig gehaltene Ansprache, 
worin er nochmals sein Bedauern über das 
Attentat ausdrückt. Er erklärt, jeder ge 
sittete Mensch habe bei der Meldung über 
das Attentat seinen Abscheu ausgesprochen. 
Er sei glücklich^ feststellen zu können, daß 
das Attentat kein weiteres Unglück zur 
Folge gehabt habe. Labori antwortet und 
dankt für die warmen Worte des Vorsitzen 
den. Es sei für ihn eine besondere Freude, 
wieder schnell geheilt zu sein, da nun sein 
lange gehegter Wunsch in Erfüllung gehe, 
im Prozesse Dreyfus zu vertheidigen. Wir 
haben, so sagt Labori weiter, eine schwere 
Sache in Angriff genommen, wir suchen 
nur die Wahrheit und das Licht, wobei 
wir, die Vertheidiger, die Mitarbeiter sind. 
Wir wollen nur die Gerechtigkeit und sind 
überzeugt, daß in der ganzen Angelegen 
heit mehr Aufrichtigkeit als Unaufrichtig 
keit vorherrscht. Ich hoffe, gegen das zu 
lallende Urtheil Ivird Niemand Einspruch 
erheben können. Die Worte Laboris wer 
den im ganzen Saale mit Beifall aufge 
nommen. Sodann beginnt das Verhör des 
früheren Polizeipräsekten von Belfort, 
Grigner. Derselbe ergeht sich in langen 
Auseinandersetzungen ttnd lobt die Wissen- 
chaft, Bildung und Tüchtigkeit Ester 
hazys. — Dann sagt Zeuge Grenier, 
welcher der Sohn des Generals Grenier ist, 
unter dem Esterhazy in Afrika gedient hat, 
weiter bezüglich Esterhazys aus, daß 
dieser wenig Vertrauen verdient habe, aber 
er, Zeuge, halte ihn des Verraths für un 
fähig. Esterhazy habe mehrere Erbschaften 
in Folge von Liebschaften und übermäßi- 
gem Aufwande durchgebracht. Zeuge 
chließt, es scheine ihm, positiv behaupten 
könne er es jedoch nicht, daß Esterhazy 
ihm einmal gesagt habe, er halte Dreyfus 
sir unschuldig. (Während dieser Aussagen 
erscheint die Pariser Schauspielerin Rejane 
im Saale.) Der Zeuge Kommandant Rol 
lin macht Aussagen über eine Affäre La 
joux., Hier greift Labori ein. Er fragt 
Rollin, ob er die Verantwortung für die 
Uebersetzung des Briefes des Obersten 
Schneider übernehme. Regierungskommis 
sar Carriere uirtersagt, das diplomatische 
Gebiet zu berühren. In einem solchen Falle 
müsse er den Ausschluß der Oeffentlichkeit 
fordern. Labori erwidert, nicht die Ver 
theidiger seien es gewesen, welche den Zwi 
schenfall Schneider geschaffen, es sei Ge 
neral Mercier gewesen, der hier von dem 
Dokument gesprochen. Labori wiederholt 
seine Frage an Rollin. Dieser zuckt die 
Achseln und giebt eine ausweichende Ant 
wort. Labori fragt nun den General Mer 
cier, woher er dieses Dokument habe. Mer 
cier antwortet zögernd, er glaube, auf diese 
Frage keiue Antwort ertheilen zu sollen. 
Labori wiederholt seine Frage. Mercier er 
widert, er werde nicht antworten; er er 
kläre, daß er die Verantwortung für die 
Richtigkeit der Uebersetzung übernehme. La 
bori fragt weiter den General, mit wel 
cheni Recht er Besitzer des Dokuments sei 
und mir welchem Recht Besitzer des Dos 
siers ? Er bitte, daß der General im Saale 
bleibe, ^er habe noch viele an ihn zu rich 
tende Fragen zu beantworten. Labori setzt 
sich; seine im Saale anwesende Gattin be 
obachtet ihn fortwährend. Zeuge Ferree, 
früher Beamter im Bureau des General 
stabes sagt aus, er sei jetzt Beamter bei 
einer Beerdigungsgesellschaft. Er erzählt, 
er habe Dreyfus außerhalb der Dienststun- 
den in den Bureaus des Colonels Berlin 
getroffen und habe gesehen, wie Dreysiis 
einen Civilisten im Bureau empfing. Drey 
fus protestirt energisch dagegen, je das Bu 
reau Berlins außerhalb dep Dienststunden 
betreten und jemals Civilisten empfangen 
zu haben. Zeuge Colonel Berlin erzählt, 
wie Dreysiis in seinen Dienst getreten sei, 
und in welcher Weise er ihn ' beschäftigt 
habe. Er habe fid) mit dem Eisenbahn 
netz zu beschäftigen gehabt und zu allen 
Schränken Schlüssel besessen. Dreyfus habe 
viel gesprochen und viel gefragt und sich 
mehr mit den Resultaten der Studien, als 
mit methodischer Arbeit beschäftigt. Ber 
lin erzählt iveiter, wie er im Manöver in 
tier Nähe der Grenze seine Bewegung aus 
gesprochen habe, sich so nahe den verlore 
nen Provinzen zu sehen. Da habe Dreyfus 
ihn plötzlich unterbrochen und gesagt: „Das 
gilt 'ficht für uns Juden, denn wo wir sind, 
ist unser Gott mit uns." Zeuge schildert 
weiter, wie General Mercier ihn beauf 
tragte, Casimir Perier von dem Gange der 
Untersuchung gegen Dreyfus Mittheilung zu 
machen. Dann berichtet er, daß Scheurer- 
Kestner ihn über die Affäre Dreyfus be 
fragt habe. Auf eine Bemerkung des Zeu 
gen BerUn fragt der Präsident den Zeu 
gen Ferree, ob er Dreyfus in dem Bureau 
des Colonels Berlin gesehen habe und um 
welche Uhr dies der Fall gewesen sei. Ferree 
entgegnet: „Um 1 Uhr." Präsident Jo 
«anst fragt den Zeugen Berttn, was der 
Schrank in seinem Bureau enthalten habe 
Der Zeuge antwortet: „Das oberste Fach 
enthielt den Mobilisationsplan. Dreyfus ist 
es möglich gewesen, denselben zu öffnen." 
Zeuge Bertin verbreitet sich weiter über 
seine Beziehungen zu Scheurer-Kestner, den 
er seit vielen Jahren kennt und der schon 
seit 1895 im Zeugen Zweifel an Dreysiis 
Schuld erwecken! wollte. Zeuge unterstellt, 
daß Scheurer-Kestner ein alter Freund der 
Familie Dreyfus sei. Auf Verlangen La 
boris wird hier eine lange Aussage Scheu- 
rer-Kestners vorgelesen, der durch Krankheit 
an: persönlichen Erscheinen verhindert ist. 
Die Aussage erklärt zunächst, daß Scheu 
rer-Kestner niemals Beziehungen zur Fa 
milie Dreyfus gehabt, niemals ein einzi 
ges Mitglied der Familie gekannt hat, ehe 
Mathias Dreyfus zu ihm kam und ihn bat, 
sich für seinen unschuldig vernrtheilten Bru 
der zu interessiren. Scheurer-Kestner er 
zählt, wie er nach und nach zur Gewiß 
heit der Unschuld Dreyfus' und der Schuld 
Esterhazys gelangt sei. Demange verlangt 
hierauf von dem Zeugen Bertin Aufschluß 
über die Erklärungen, die Bertin der Fa 
milie Scheurer-Kestner gemacht haben soll. 
Bertin erklärt, er habe niemals der Familie 
Scheurer-Kestner verschwiegen, daß Scheu- 
rer dem Vaterlande einen ungeheuren 
Dienst erweisen würde, wenn cs ihin gelin 
gen würde, die Unschuld Dreyfus zu be 
weisen. Er, Zeuge, habe aber auch nie ver 
schwiegen, daß er von der Schuld des Drey 
siis überzeugt sei. Bertin bestreitet ganz 
entschieden, daß Dreyfus darunter zu lei 
den gehabt hat, daß er Jude war. Drey 
fus sei nicht der erste jüdische Offizier im 
Generalstabe gewesen. Er, Zeuge, habe jü 
dische Kameraden, die er achte. Ein jüdi 
scher Offizier sei sein vertrauter Freund. 
Auf Demanges Verlangen werden sämmt 
liche Dienstnoten Dreyfus'- verlesen, die bis 
1893 glänzend sind und erst ini 2. Halb 
jahr 1893 eine abfällige Bemerkung des 
Obersten Fabre über seine Selbstgefällig 
keit haben, die ihn zum Generalstabsdienste 
ungeeignet inache. Labori fragt alsdann 
den Zeugen Bertin, ob er sich erinnere, daß 
er etwa drei Wochen nach der Verurthei- 
lung des Dreyfus mit ihm, Labori, in einer 
Familie gespeist und daß er damals gesagt 
habe, er sei einer der Urheber der Straf 
sache Dreyfus'-. Bertin bestreitet den Aus 
druck Urheber, doch könne er wohl gesagt 
haben, er sei stolz darauf, an der Verur- 
theilung eines Verräthers mitgearbeitet zu 
haben. Es entspinnt sich alsdann noch 
eine Controverse zwischen Demange und 
und Bertin, die Vertheidigung des Ersteren 
1894 betreffend. Dreyfus erhebt sich dann 
und erklärt, die vom Zeugen Bertin citirten 
von Dreyfus angeblich im Manöver gespro 
chenen Worte habe er niemals gesagt. Er 
begreife nicht, daß man es der Ehre des 
Heeres schuldig zu sein glaube, auf ihn fort 
während loszuhauen und ihn als schuldig 
hinzustellen. Er habe von der Ehre des 
Heeres eine andere Vorstellung. Er meine, 
diese Ehre erfordere nicht, daß. ein fran 
zösischer Offizier durchaus schuldig sei: 
„Ich liebe das Heer," so sagt Dreyfus, „ich 
liebe Frankreich. Lesen Sie, was ich über 
beide auf der Teufelsinsel schrieb in mei 
nem Jammer, im Fieber! Lesen Sie meine 
damaligen Briefs und sagen Sie dann noch, 
daß meine Gefühle nicht die eines guten 
Franzosen sind." (Bewegung.) Es tritt jetzt 
eine Pause ein. Während derselben bringt 
Frau Labori ihrem Gatten Wein. Der erste 
Zeuge nach! der Pause ist der Colonel Gen- 
dron. Er habe gehört, daß Dreyfus bei 
einer Madame Fery verkehrt habe. Die 
Dann, sei weder eine Kokette noch eine an 
ständige Frau gewesen. Weiter sagt Zeuge, 
die Offiziere des Generalstabes seien Leute, 
die vor Pflichteifer nicht schliefen. Zeuge 
Kapitän Bessee sagt aus, daß er Dreyfus 
die Papiere über die Ostbahnen gegeben 
habe. Dreysiis bestreitet dies. ' Zeuge 
Kommandant Boullenger sagt über Jndis-, 
kretionen Dreyfus' aus. Dreyfus antwor 
tet ausführlich in sachlicher Weise. Lieute 
nant Colonel Jeamel bekundet, daß sich 
Dreysiis von ihm die Schießvorschrift ge 
liehen habe. Die Vertheidiger unterwer 
fen die Zeugen einem scharfen Kreuzverhör. 
Dreyfus bringt nach dem Verhör jedes ein 
zelnen Zeugen lange Wiederlegungen vor. 
Zeuge Komniandant Maistre sagt aus, 
Dreyfus habe große Kenntnisse über die 
Mobilisation gezeigt. Weiter protestirt der 
Zeuge dagegen, daß im Ministerium der 
Antisemitismus geherrscht habe. Die Ver 
handlungwird jetzt auf morgen vertagt. 
* WalandMMth. 
^öuelle von Lothar Brcnkendorf. 
(Nachdruck verboten. 
In den dunklen Augen des jungen Mannes 
erschien für einen Moment ein tückisches 
Glitzern. 
„Ah. steht cs so?" meinte er leichthin, 
„dann wird es allerdings bester sein, ihm 
mein Hiersein zu verschweigen. Aber Du 
wirst begreifen, daß ich wich schon aus ver 
wandtschaftlichen Gründen einigermaßen für 
ihn interessire. Er hat also eine feste An 
stellung im Kricgsministcrium?" 
„Ja! — Und er steht in hohem Ansehen 
bei seinen Vorgesetzten. Ich weiß cs von 
einem Collegen, der ihn nicht wenig darum 
beneidet. Aber man muß ihm auch lasten, 
haß er ein sehr pflichteifriger Beamter ist. 
Manchmal habe ich fast den Eindruck, daß 
er über seine Kräfte arbeitet; denn er bringt 
zuweilen ganze Aktenbündel mit nach Hause 
und sitzt bis tief in die Nacht hinein an 
seinem Schreibtisch. Aber ich darf mir 
natürlich Nicht erlauben, ihm deshalb Vor 
stellungen zu machen." 
Ludolf war plötzlich sehr aufmerksam ge 
worden, und eine lebhafte Spannung zeigte 
sich ganz unverkennbar auf seinem Gesicht. 
„Weißt Du vielleicht auch, von welcher 
Art die Aktenstücke find, die Günther mit 
nach Hause zu bringen pflegt?" fragte er. 
„Nein! — Ick interessire mich nicht sonder 
lich dafür, und inseiner übertriebenen Gewissen 
haftigkeit würde er auch gar nicht dulden, 
baß ich mir die Papiere ansehe. Als ich 
ihn einmal fragte, meinte er, cs seien wichrige 
Geheimnisse, über die nicht gesprochen wer 
den dürfe." 
Der Andere war ausgestanden und be 
gann im Zimmer umher zu gehen. Eine 
Idee, die plötzlich in ihm aufgestiegen sein 
mußte, schien ihn sehr stark zu beschäftigen. 
Als er nach Verlauf einiger Minuten vor 
Gottfried Harmcning stehen blieb, hatte sein 
Antlitz indessen wieder ganz die frühere 
Unbefangenheit angenommen. 
„Du könntest mir da vielleicht gelegent 
lich einen großen Dienst erweisen, lieber 
Vater — einen Dienst, der werthvoller für 
mich sein würde, als alles, was Du bisher 
an mir gethan hast. Willst Du mir ver 
sprechen, meinen Wunsch zu erfüllen?" 
„Wenn Du nichts Unrechtes von mir 
verlangst — gewiß!" 
„Du mußt mir hier und da eines dieser 
Aktenstücke auf einige Stunden zur Einsicht 
nahme verschaffen — natürlich ohne daß 
Günther etwas davon bemerkt." 
Mit Entschiedenheit schüttelte Harmening 
den Kopf. 
„Das ist unuiöglich, Ludolf! — Die 
Papiere befinden sich kaun, jemals länger 
als vom Abend bis zum Morgen in Günthers 
Zimmer, und sobald er nicht mehr mit ihnen 
beschäftigt ist, schließt er sie jedesmal sehr 
sorgfältig in seinen Schreibtisch ein." 
„Hm, das ist allerdings fatal! Und Du 
könntest Dir aus keine Weise einen zweiten 
Schlüssel zu diesem Schreibtisch verschaffen?" 
Ueber die fahlen eingesunkenen Wangen 
des ehemaligen Kanzleibeamten ging ein 
jähes Erröthen. 
„Ich habe einen solchen Schlüssel", sagte er 
nach kurzem Schweigen. „Aber es sind sehr 
seltsame Fragen, die Dn da an mich richtest. 
Angenommen auch, daß ich das Unmögliche 
ausführen könnte, welchen Zweck sollte die 
Kenntniß dieser Aktenstücke für Dich haben?" 
Das Lächeln auf Ludolfs hübschem Ge 
sicht war von vollkommenster Harmlosigkeit. 
„Ich vergaß Dir zu sagen, daß ich mir 
mein Brod jetzt durch schriftstellerische Ar 
beiten verdiene. Ich liefere Correspondenzen 
für cmige auswärtige Zeitschriften, und es 
ist auch eine militärische darunter, die für 
geeignete Beiträge ganz besonders hohe 
Honorare zahlt. Aber es ist sehr schwer 
für mich, das erforderliche Material zu be 
schaffen, denn es fehlt mir leider an ge 
eigneten Verbindungen. Da könnten mir 
unter Umständen ein paar unverfängliche 
Notizen aus jenen Papieren von höchstem 
Werthe sein, und wenn Du den ernstlichen 
Willen hast, mir nützlich zu sein, solltest Du 
Dich wirklich bemühen, meine Bitte zu er 
füllen." 
Gottfried Harmening blickte nachdenklich 
vor sich hin. 
„Es geht nicht", meinte er endlich „Ich 
verstehe mich nicht auf solche Spitzbnben- 
künste, und Günther würde sicherlich schon 
beim ersten Mal alles entdecken." 
Nicht doch! Man muß cs nur auf die 
rechte Arr anfangen. Er wird doch wohl 
nichi in seinem Arbeitszimmer schlafen?" 
„Nein! Die Schlafstuben liegen an der 
anderen Seite des Ganges." 
„Nun wohl! Es käme also nur darauf 
an, abzuwarten, bis er zur Ruhe gegangen 
ist und dann ohne viel Geräusch die Akten 
aus dem Schreibtisch zu nehmen. Ich weiß, 
daß sich in unmittelbarer Nähe Eurer Woh 
nung ein Kaffeehaus befindet, welches die 
ganz- Nach: hindurch geöffnet ist. Es wird 
mich nicht verdrießen, mich allabendlich dort 
einzufinden, um auf Dich zu warten. Ein 
Paar Aktenstücke lassen sich leicht unter dem 
Ueberrock verbergen, und ich werde schon 
eine Möglichkeit finden, mich über ihren 
Inhalt so schnell zu onenürcn, daß sic 
wenige Stunden später wieder an ihrem 
Platze liegen können. Allerdings wird Dich 
diese Gefälligkeit hier und da eine Nacht 
ruhe kosten, aber für Deine Liebe zu mir 
ist ein solches Opfer nicht zu groß." 
Er sagte das alles leichthin, als handle 
es sich um die einfachste und unschuldigste 
Sache von der Welt, aber es war ihm denn 
doch nicht gelungen, seinen Vater von der 
Ausführbarkeit eines so bedenklichen und 
abenteuerlichen Planes zu überzeugen. Und 
er war klug genug, vorläufig nicht weiter 
in de» alten Mann zu dringen. 
„Wir werden gelegentlich noch einmal 
über die Sache reden", meinte er, als Harme- 
ning abermals erklärt halte, daß er sich auf 
dergleichen nicht einlaffen könne. > „Das 
Leben hängt ja am Ende nicht davon ab. 
Da ich leider nicht zu Dir kommen kann, 
mußt Du mich natürlich so bald als mög 
lich wieder besuchen. Aber wohlgcmcrkt — 
immer nur als Herr August Müller. Nie 
mand darf vermuthen, in welchen verwandt 
schaftlichen Beziehungen wir zu einander 
stehen." 
„Es ist das erste Mal, daß ich meinen 
ehrlichen Namen verleugne, Ludolf, und Gott 
weiß, daß ich es für keinen anderen thun werde 
als für Dich. Aber wie nun, wenn cs trotz 
dem an den Tag kommt, wer Du bist? 
Ich werde von diesem Augenblick an keine 
ruhige Minute mehr haben, so lange ich 
Dich von solchen Gefahren bedroht weiß." 
„O, die Sacke ist nicht so gefährlich, als 
sie Dir vielleicht scheinen will. Meine Lcgiti- 
mationspapiere find in bester Ordnung, und 
bis jetzt hat Niemand eine Ahnung davon, 
daß cs der ehemalige Assessor Harmening 
ist, der sich hinter dem Journalisten Eugen 
Valero verbirgt. Daß mich einer meiner 
ehemaligen Freunde wieder erkennen könnte, 
wenn er mir zufällig auf der Straße be 
gegnet, habe ich kaum zu fürchten, denn ich 
war ja fast noch ein Knabe, als ich von hier 
fortging, und ich vermeide es überdies nach 
Möglichkeit, am Tage auszugehen. Außer 
dem ist jene alte Geschichte doch so ziemlich in 
Bcrgeffenheit gerathen, und es müßte schon 
ein ganz verteufelter Zufall sein, der mich 
noch ans Messer lieferte." 
In diesem Augenblick wurde an die Thür 
des Zimmers geklopft, und auf Ludolfs 
„Herein!" erschien das Dienstmädchen mit 
dem neugierigen Gesicht. 
„Die Frau Hofräthin läßt fragen, ob 
sie Herrn Valero zum Thee erwarten darf." 
„Gewiß! Es wird mir ein ganz besonderes 
Vergnügen sein. Ich lasse nur noch für 
wenige Minuten um Entschuldigung bitten." 
Das Mävchen zog sich zurück und Gott 
fried Harmening griff nach seinem Hut. 
„Ich will Dich nicht länger stören", 
meinte er. „Aber was für eine Hofräthin 
ist denn das, die Dich zum Thee einladet?" 
„Es ist die Dame, von der ich diese bei 
den Zimmer gemiethet habe, eine ältere 
Wittwe aus sehr guter Familie und von den 
angenehmsten Umgangsformen. Da ich sehr 
wenig Verkehr umerhalte, bin ich froh, hier 
einen Anschluß gefunden zu haben, der mir 
den nöthigen Zeitvertreib gewährt, ohne zu, 
gleich große Anforderungen an meinen Geld,
	        
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