HägLich erscheinendes Wt'att.
Aendsburger
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—^ 92 stev Jahrgang. 5^—
. Bei Betriebsstöttmgcn
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburger Wochenblatt wird
„Der Landwirth"
(Zeitichrist für die politischen u. socialen Interessen
der Landwirthschaft) gratis beigegeben.
M0. 196.
Morgen-Berichte.
Wildparkstation, 21. August. Die
Kaiserin ist mit den kaiserlichen
Kindern um 6 Uhr, mit Sonderzug von
Wilhelmshöhe kommend, hier eingetroffen
Berlin, 21. Aug. Heute Bormittag ist
der. Kaiser zur Truppenbesichtigung in
Mainz eingetroffen. — Nach den letzten
Dispositionen trifft der Kaiser morgen
Nachmittag b'/ 2 Uhr auf der Wildpark
station ein.
Frankfurt a. M., 21. August. Die
„Franks. Ztg." meldet aus Mainz: Be
der heutigen Tafel im großherzoglichen
Schlosse benutzte der Bürgermeister Gassner
die Gelegenheit, den Kaiser für das nächste
Zahr zu der 500jährigen Gutenbergfeier
einzuladen. Der Kaiser versprach, wenn
es irgend möglich sei, zu erscheinen. Die
Entfestungsangelegenheit und die Erwer
bung militär-fiskalischer Gebäude durch
die Stadt wurden ebenfalls erörtert. Man
hegt die Hoffnung, daß vielleicht in Bälde
eine befriedigende Lösung der Frage ein
treten wird. — Nach der Tafel begaben
sich der Kaiser und der Großherzog nach
Wolfsgarten. Die Kaiserin Friedrich war
bereits kurz nach 3 Uhr nach Eronberg
zurückgekehrt.
Berlin, 21. Aug. Der Chef des ©toil'
kabinets v. Lucanus fuhr, wie ein Bericht
erstatter meldet, heute Mittag 12 Uhr bei
dem Reichskanzler vor und hatte mit dem
selben eine halbstündige Konferenz. Als
dann begab sich Herr v. Lucanus zum
Minister v. Miguel, bei welchem er etwa
eine Stunde verweilte. Für heute Nach
mittag 4 Uhr sind sämmtliche Minister
vom Fürsten Hohenlohe zu einer vertrau
lichen Sitzung in seiner Amtswohnung ein
geladen.
Berlin, 21. Aug. Wie der „Reichsbote"
hört, ist Herr v. Lucanus im Austrage des
Kaisers heute bei dem Finanzminister v.
Miguel gewesen, um ihn über seine Stet-
lung zur Frage der Auflösung zu hören.
Herr v. Miquel -steht der Sache noch
zweifelhaft gegenüber, während der Mi
nisterpräsident Fürst Hohenlohe entschieden
für die Auflösung ist. Am Mittwoch
findet ein Kronrath statt. Wenn die Auf
lösung beschlossen wird, so wird der Mi
nister des Innern zurücktreten.
Berlin, 21. August. Aus Regierungs
kreisen meldet ein Berichierstatter: Der
Landtag soll jedenfalls spätestens am'
Sonnabend, den 26. August, geschlossen
werden. Es wird nur noch Werth ge-
Mittwoch, öen 23. August
1899.
legt auf die Erledigung der Justizgesetze,
welche bis dahin sehr wohl durchzuführen
ist, daß das Plenum des Herrenhauses
die von seiner Kommission empfohlenen
Aenderungen genehmigt und das Ab
geordnetenhaus diesem Beschluß am Freitag
beitritt. Im Abgeordnetenhause ist aller
dings noch für heute Abend von der
Kommission für die Kommunalwahlreform
eine Sitzung anberaumt, in welcher der
Versuch gemacht werden soll, einem von
konservativer Seite vorgeschlagenen Kom
promiß zum Siege zu verhelfen; doch
wird die Aussicht aus Erfolg für sehr
gering gehalten.
Köln, 21. Aug. Abends 6 V 2 Uhr ist
der Weihbischof Schmitz gestorben, der
nach bekanntlich glücklich überstaudener
Beinoperation gestern die erste Messe
celebrirte. Nachts bekam der Bischof
Schüttelfrost und heute nahm der Schwäche
zustand zu.
Königszelt, 21. Aug. Das neu erbaute
Bahnhofsgebäude in Sakrau ist eingestürzt.
Acht Arbeiter wurden schwer verletzt.
Oporto, 19. August. Meldung des
Reuter'schen Bureaus. Die Behörden
veröffentlichen nunmehr amtliche Angaben
über die Pest. Danach brach die Pest
am 4. d. Mts. aus. Seitdem sind 3Z
Erkrankungen und 13 Todesfälle vor
gekommen.
Madrid, 19. August. Wie nunmehr
bekannt wird, ist die Pest i ņ O p o r t o
durch ein Schiff aus Indien, das Reis
brachte, eingeschleppt worden. Die nach
Oporto entsandten Aerzte telegraphirten
hierher, daß die Pest im Rückgang he
griffen sei. Die Gesammtsumme der an
der Pest Erkrankten betrögt 46.
Prag, 21. Aug. In Graslitz fanden
gestern Abend und während der Wacht
blutige Demonstartionen seitens der Deutsch-
Nationalen statt, wobei die Gendarmerie,
da sie thätlich angegriffen wurde, von
ihren Schußwaffen Gebrauch machen
mußte. Auf beiden Seiten wurden zahl
reiche Personen tödtlich verwundet; die
Erregund dauert fort. In allen ÄMts»
gebäuven wurden die Fenster eingeschlagen.
Prag, 21. Aug. An den gegen den
14 und gegen die Zuckersteuer verans
talteten Demonstrationen nehmen auch die
Sozialisten theil. Bis jetzt sind vier Tote
und zehn Verwudete rekognoszirt. Heute
Morgen traf ein Bataillon Jnsanterie ein
um die Ruhe wiederherzustellen.
Ncw-Aork, 21. Aug. Einer Depesche
zufolge brach das gelbe Fieber in
T uxp am (Mexiko) aus. Ueber; 50
Todesfälle fanden täglich statt; neue Er
krankungen werden fortwährend gemeldet.
Der Dreyfus-ProzeH.
Rennes, 21. Aug. Die Verhand
lung des Kriegsgerichts begann heute, ivie
stets um Vz7 Uhr. Erster Zeuge war Gene
ral Fabre. Derselbe schildert Dreyfus als
prätentiös und sei seinen Kameraden eben
sowenig sympathisch gewesen wie seinen
Vorgesetzten. Dreyfus habe anscheinend die
ihm übertragenen Spezialaufgaben, zu de
nen insbesondere die Einrichtung des
Hauptconcentrations - Bahnhofes gehörte,
nicht sonderlich ernst genommen. Er habe
sich mehr für Arbeiten Anderer, als für
seine eigenen interessirt. Dreyfus habe ost
seinen Dienst vernachlässigt, um sich Nach
richten 511 verschaffen. Die Art seiner Ar
beiten habe ihn sehr wohl in den Stand
gesetzt, dem Auslande Nachrichten zu lie
fern. Als das Bordereau vorgelegt wurde,
sei dem Zeugen die Schrift im ersten
Augenblicke ganz unbekannt erschienen; aber
aus dem Inhalte sei ans Dreyfus geschlos
sen worden. Er, Zeuge, sei heute wie im
Jahre 1894 fest überzeugt, daß Dreyfus
der Urheber .des Bordereaus sei. (Bewe
gung.) Gefragt, ob er etwas zu sagen habe,
erwidert Dreyfus, es sei seine Pflicht ge
wesen, sich über gewisse Fragen auf dem
Laufenden zu . halten. Bon der Concentra-
lion habe er diejenige des Westrayons ge
kannt, mit der er zu thun gehabt habe.
Zeuge d'Mwville giebt eine Schilderung des
Einganges des Bordereaus und der Art
und Weise, -w-ie der erste Verdacht sich auf
Dreyfus lenkte. Seine Aussagen decken sich
so ziemlich mit denen des Zeugen Fabre.
Weiter citirt Zeuge eine Geschichte, die Co
lonel Sandherr ihm erzählt hat, und in
der ein Offizier eine zweifelhafte Rolle
spielt. Dreyfus bemerkt, die Geschichte
könne sich nicht auf ihn beziehen, da Co
lonel .Sandherr ihn gar nicht gekannt habe.
Es folgt die Vernehmung des Sicherheits
chefs Cochefert. Derselbe bemerkt, Ende
.1894 sei er..vom General Mercier gerufen
worden, der ihm -mitgetheilt, deß einer aus
wärtigen Macht Schriftstücke .ausgeliefert
worden seien. Der Verdacht lenke sich auf
Dreyfus. Cochefert habe dann bei der Ver
haftung des Angeklagten .mitgewirkt.
Zeuge schildert.weiter.die Vorgänge im Ar
beitszimmer Boisdeffres während der Dik-
tirscene, bei welcher außer du Path de Clam
und Dreyfus, Geibelin und er selbst an
wesend gewesen seien. Dreyfus habe eine
deutliche Aufregung gezeigt; aber er, Zeuge,
erinnere sich, daß kurz vorher du Paty de
Clam mit der Hand den Kragen des Drey
fus gepackt und gesagt habe: „Im Namen
des Kriegsministeriums verhafte ich Sie!"
Die Aufregung Direyfus' sei also erklärlich-
gewesen. Er, Zeuge, habe den Eindruck ge
habt, daß Dreyfus schuldig sei. Heute aber
erkenne, er, daß, wenn er damals Alles ge
wußt hätte, was er heute wisse, wenn er
z. B. die Schrift Esterhazy gekannt hätte,
sein Eindruck nicht derselbe gewesen sein
würde (Bewegung). Es hätte dann viel
leicht eine Affäre Esterhazy und nicht eine
Affäre Dreyfus gegeben. Als ehrlicher
Mann halte er es für seine Pflicht, dies zu
sagen. Dreyfus bemerkt, er erinnere sich
dankbar des menschenfreundlichen Auftre
tens Cocheferts ihm gegenüber im Jahre
1894. Der nächste Zeuge ist der Archivist
Gribelin. Es ist dies derselbe, der, verkleidet
und mit einem falschen Barte angethan, du
Patys nächtlichen Zusammenkünften mit
Esterhazy beiwohnte. Zeuge schildert den
Charakter Dreyfus'' in sehr abfälliger Weise.
Dreyfus habe Beziehungen zu einer Dame
in der Rue Bizet gehabt. Dreyfus habe
viel mehr Geld ausgegeben, als es mit
seinen Einkünften sich vereinbarte. Drey
fus habe auch gespielt. Ten Esterhazy habe
er niemals im Nachrichtenbureau gesehen,
und er habe ihm auch- niemals Geld auszu
zahlen gehabt. Im Kreuzverhör gesteht
Zeuge, daß Picquart zur Ueberwachung
Esterhazys 5000 Francs ausgegeben, wäh
rend der Generalstab bisher immer von
100 000 Francs gesprochen hatte. Picquart
bittet ums Wort. Er erzählt, Gribelin sei
der Einzige gewesen, der seine, Picqnarts,
wechselnden Adressen gekannt habe. Er habe
in Folge dessen in seiner Abwesenheit die
für ihn eingehenden Briefe in Empfang ge-
nommen. Zwei dieser Briefe seien geöff
net worden, derjenige, der das Wort „De-
midieu" enthalten habe, das später in dein
peranzabrief verwendet worden sei, und
zweitens dieser Speranzabrief selbst. Ge
fragt, ob Gribelin beauftragt gewesen sei,
alle Briese Picqnarts an einen Vorgesetzten
abzuliefern, autivortet Gribelin verneinend.
Picquart erklärt, er konstatire also, daß zivci
seiner Briefe geöffnet worden seien.
Picquart fordert alsdann eine amtliche Be
scheinigung des Kriegsamtes, das seine ge
nauen Nachweise der Aussagen besitze, da
mit die schändlichen Verleumdungen gegen
ihn, betreffend seine Geldgebahrung, end
lich verstummten. Zeuge Major Lauth, der
zahlreiche Notizen vor sich ausgebreitet hat,
spricht zuerst über die Entdeckung des Bor
dereaus und wiederholt dann seine bekann
ten Beschuldigungen gegen Picquart über
den Rohrpostbrief und die Mittheilung der
Geheimpapiere an Leblois. Zeuge bestrei
tet alsdann energisch, daß er und Henry
nicht ihr Möglichstes gethan hätten, um den
Agenten Cuers in Basel zum Reden zu
bringen, oder daß sie ihn am Reden ver
hindert hätten. Cuers habe niemals Geld
vom Generalstabe angenommen und sich
nur einmal die Reisekosten zurückgeben las
sen. Um 9 Uhr 40 Minuten tritt eine
Pause ein. Nach Wiederaufnahme der
Sitzung setzt Lauth seine Aussagen fort.
Von Demange und vom Vorsitzenden wird
er nach der Abschabung der Rohrpostbrief-
adresse gefragt. Lauth antwortet sehr ver
legen, er wisse nicht, wer sie abgeschabt
habe; er habe es nicht gethan. Picquart
sagt aus, die Adresse sei nicht abgeschabt ge
wesen, als er den Dienst verlassen habe;
jetzt aber sei sie abgeschabt. Ein Lichtbild
sei vorhanden, das Lauth selbst angefertigt
habe, und das den Rohrpostbrief im ur
sprünglichen Zustande zeige. Lauth habe
eine Anzahl Lichtbilder hergestellt, welche
die Sache noch deutlicher gemacht hätten;
von Lauth seien aber die Platten zerstört
worden. Zeuge Lauth, der sehr verlegen
ist und den Eindruck des personifizirten
schlechten Gewissens macht, giebt die Zer
störung der Platten zu, bleibt aber dabei,
nicht zu wissen, wer die Abschabung vor
genommen. Bezüglich des Ergebnisses der
Baseler Reise, giebt Zeuge zu, daß Picquart
mit seinem Bericht sehr unzufrieden lvar.
Zeuge Major Zanok schildert den Charakter
des Angeklagten auf das Abfälligste. Drey
fus habe gespielt und Beziehungen zu An
gehörigen der Halbwelt gehabt. Zeuge schil
dert noch den Besuch Henrys im Kabinet
Bertulus. Dreyfus widerlegt hierauf aus
führlich mit lauter Stimme mehrere Punkte,
welche von den letzten Zeugen vorgebracht
wurden. Die Verhandlung wird sodann
auf morgen vertagt.
R e n n e s, 21. Aug. Das Gerücht er
hält sich aufrecht, daß der wirkliche Atten
täter aus Labori in der Nähe von Rennes
aus einem Bauernhöfe versteckt gehalten
wird. Die Aerzte haben Labori weitere
Schonung auferlegt. Es ist daher wieder
" Werlaildsomalß.
Novelle von Lothar Brenken dors.
(Nachdruck verboten
IV.
Es war an einem schneidend kalten,
stürmischen Abend im Februar, als sich Gott-
frieb Harmcning hustend und athemlos gegen
den eisigen Wind vorwärts kämpfte, der ihn
bis ins Mark hinein vor Frost erschauern
machte. Er war recht all und hinfällig ge
worden in dieser letzten Zeit. Der Wirths-
hausbcsuch, dem er sich seit jener nächtlichen
Unterredung mit seinem Sohne immer eifriger
ergeben hatte, war seiner Gesundheit offen
bar sehr wenig zuträglich, denn seine Wangen
waren hager geworden und seine Augen
lagen tief in ihren Höhlen.
Er mußte es an diesem Abend ganz be
sonders eilig haben; denn er mäßigte trotz
bcs ungeberdigen Wetters seine Schritte
nicht, und er kümmerte sich sehr wenig um
die ärgerlichen Zurufe einiger Vorübergehen
den, mit denen er in unsanfte Berührung
gekommen war.
Ablr es war nicht seine vertraute Stamm
kneipe, der er zustrebte. Er ging an ihren
hell erleuchteten Fenstern vorüber, ohne in
seinem raschen Laufe inne zu halten, und erst
vor einem recht elegant aussehenden Hause
in einer stillen Seitenstraße blieb er nach
langer Wanderung Athem schöpfend stehend
Es hatte fast den Anschein, als ob ihm mit
einem Mal ver Muth abhanden gekommen
sei, weiter zu gehen. Ein Ausdruck eigen
thümlicher hochgradiger Spannung war auf
seinem Gesicht, und trotz der grimmigen
Winterkälte mußte er sich ein paar Schweiß
tropfen von der Stirne trocknen, als er
endlich langsam die mit einem Tcppichläufcr
belegte Treppe emporstieg.
An einer Thür im zweiten Stockwerk
stand auf einem Mcssingschild der Name
„Frau Agnes Berger". Hier zog Gottfried
Harmcning die Glocke, und während der
zwei oder drei Minuten, welche vergingen,
bevor man ihm öffnete, trat er von einem
Fuß auf den anderen wie Jemand, der sich
in großer Verlegenheit oder Aufregung be
findet. Ein Dienstmädchen war eS, das
den Einlaß Begehrenden mit neugierigen
Blicken musterte. Obwohl er Zeit genug
gehabt hatte, sich auf die unvermeidliche
Anrede vorzubereiten, gerieth der alte Mann
doch bedenklich ins Stottern, während er
sagte:
„Mein Name ist Müller, und ich möchte
Şie bitten, mich bei Herrn Eugen Valero
anzumelden — vorausgesetzt natürlich, daß
ich ihn gerade zu Hause treffe."
„Klopfen Sic nur dort an jene Thür",
erwiderte das Mädchen, indem es den Ein
gang freigab. „Ich glaube, Sie werden
von Herrn Valero bereits erwartet."
Gottfried Harmcning that, wie sie ihm
geheißen, und eine wohltönendc Männer-
timme rief „Herrcin!" Im nächsten Augen
blick stand er dem Bewohner des Zimmers
gegenüber, der sich bei seinem Eintritt ge
mächlich aus recht bequemer Lage auf einem
Ruhebett erhob. Es war ein schlanker nach
neuester Mode gekleideter Herr, den man
wohl auf ein Alter von etwa dreißig Jahren
chätzen mochte. Sein schönes intelligentes
Gesicht war von einem dunklen Vollbart
umrahmt, der an den Wangen ziemlich kurz
gehalten, am Kinn aber zugespitzt war, wie
es eben jetzt in der eleganten Welt die Sitte
gebot. Kluge, -scharf blickende, ungemein be
wegliche Augen blitzten durch die Gläser
des goldenen Kneifers, und auf den Lippen
des jungen Mannes lag ein anscheinend
stereotypes, halb ironisches und halb ver
bindliches Lächeln.
Gottfried Harmcning war an der Thür
stehen geblieben, und in seinem alten Ge
sicht zuckte es, während er, ohne ein Wort
hervorzubringen, auf den Anderen starrte
Der aber kam auf ihn zu und streckte ihm
vertraulich beide Hände entgegen.
„Willkommen, Vater!" sagte er in einem
so leichten und gemüthlichen Ton, als wären
sie nur wenige Tage oder Wochen von ein
ander getrennt gewesen. „Jcb freue mich
herzlich, Dich endlich einmal wiederzusehen
Der ehemalige Gerichtskanzlist antwortete
nicht sogleich. Seine Brust arbeitete ungestüm
und es war, als ob widerstreitende Em
pfindungen in ihm um die Herrschaft kämpften.
Er schlug auch nicht in die vargcboiene Rechte
seines Sohnes ein, sondern zerdrückte statt
dessen, wohl ohne es zu wissen, die Krämpe
seines alten Filzhutcs zwischen den Fingern
Der angebliche Valero wartete ein paar
Sekunden lang, dann fuhr er, ohne irgend
welche Gekränktheit zu zeigen, in seiner
unbefangenen heiteren Weise fort:
„Ist es das Erstaunen über die Ver
änderung meines äußeren Menschen, welches
Dich so stumm macht? Hoffentlich findest
Du, daß sie mir nicht zum Nachtheil ge
reicht. Ich wäre untröstlich, wenn Du den
gegentheiligen Eindruck hättest."
Gottfried Harmening schüttelte den Kopf.
„Wohl uns, wenn ich in diesem Augen
blick an nichts anderes zu denken brauchte
als an Dein Aussehen! Wollte Gott, Ludolf,
daß cs um Dein Inneres nicht schlechter be
stellt wäre als um Dein Gesicht!"
„Um's Himmelswillen, liebster Vater —
nur keine Moralpredigten! Du wirst hoffent
lich nicht hierher gekommen sein, um mir
eine Scene zu machen, denn ich würde es
sonst wahrhaftig bereuen müssen, Dich in
einem unwiderstehlichem Antrieb kindlicher
Liebe von meiner Rückkehr nach Deutschland
benachrichtigt zu haben."
Der Ton, in welchem er das gesagt hatte,
war nicht einmal besonders zärtlich gewesen
aber cs schien, daß selbst eine so flüchtige
Berufung auf seine kindliche Liebe hinreichend
sei, die mühsam erzwungene Strenge des
alten Mannes in eitel Weichheit und Rüh
rung zu verwandeln. Denn plötzlich ließ
Gottfried Harmcning seinen Hut zu Boden
fallen, daß er weit in das Zimmer hinein
kollerte, und mit lauteni Schluchzen breitete
er beide Arme aus, um sich an die Brust
des verlorenen Sohnes zu werfen.
Wieviel Kummer hast Du mir bereitet!
Was habe ich um Deinetwillen ertragen
muffen in dieser schrecklichen Zeit!"
„Ich bitte Dich, nicht so laut!" mahnte
Ludolf, den die plötzlich hervorbrechende Zärt
lichkeit seines Vaters mehr zu geniren als
zu erfreuen schien. „Die Wände haben zu
weilen Ohren, und ich wohne, wie Du siehst,
bei fremden Leuten, die nicht gerade zu
wissen brauchen, welch' ein rührendes Wieder
ehen hier gefeiert wird."
Schmerzlich berührt ließ Gottfried Harme-
mening die Arme sinken. Ludolf aber faßte
ihn an der Hand und nöthigte ihn mit
reundlicber Gewalt aus das Sopha nieder.
„Du mußt darum nicht etwa glauben, daß
meine Freude eine geringere sei", plauderte
er begütigend weiter. „Aber meine Lage ist
leider noch keine derartige, daß ich mich aller
Vorsicht cntschlagen und rückhaltlos den
Impulsen meines Herzens folgen dürfte.
Jene fatale Geschichte ist noch nicht verjährt,
und ich habe niemals weniger Lust gehabt
als gerade jetzt, mich mit dem Staatsanwalt
darüber zu unterhalten."
„Und doch bist Du wieder nach Deutsch
land gekommen! Wäre es denn nicht bester
gewesen, wenn Du in Paris geblieben wärest,
wo Du doch vor aller Verfolgung sicher
wärest?"
„BesondereUmstände, über die ich mich vor
läufig noch nicht näher aussprechen kann,
machten diese Reise nothwendig, lieber Vater!
Und dann hatte vielleicht auch das Heim
weh seinen Antheil an meinem Entschluffe.
Ich war nicht darauf gefaßt, daß gerade
Du mir aus meiner Rückkehr einen Vor
wurf machen würdest."
Er hatte sich an der Seite Gottfried
Harmening's nicdcrgelaffen, und der schmei
chelnde Klang seiner wohllautenden Stimme
hatte den alten Mann schon wieder voll-
'tändig versöhnt.
„Du mußt mick nicht mißverstehen, mein
Sohn! Ich bin ja unbeschreiblich glücklich,
daß es mir vor meinem Tode noch einmal
vergönnt gewesen ist. Dich wiederzusehen.
war die höchste Zeit; denn es geht mit
Riesenschritten zu Ende, das fühle ich alle
Tage deutlicher. Und ich hätte doch so gerne
noch erlebt, daß es Dir recht gut geht, mein
Junge!"
„Nun, wir wollen hoffen, daß Dir dieser
Wunsch erfüllt wird. Augenblicklich aller
dings lasten meine äußeren Glückesumstände