Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

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TäczLich erfchernenbss WLatl. 
(Außer an Sonn- und Festlagen.) 
Mendsbmaer W Wochenblatt 
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LiertüjLhrkch 2 Ji—, frei in? Hau? Zelleser: 
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—şs 92 ster Jahrgang, es- 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieserung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem Rendsburger Wochenblau wird 
„Der Landwirth" 
(Zeîtichrift stir die politischen u. socialen Interessen 
der Landwirthschaft) gratis beigegeben. 
M0. 195. 
Menstcrg, den 22. 
1899. 
Morgen-Berichte. 
Kopenhagen, 19. Aug. Die Regierung 
hat ihre bisherige passive Haltung im 
Arbeiterstreik ausgegeben, der Minister-- 
Präsident hat mit dem Vorsitzenden des 
Arbeitgebervereins über die Aufhebung der 
Sperre verhandelt. 
Paris, 20. Aug. Der Arnachist Se 
bastian Faure hat gestern Abend einen 
Aufruf vertheilen lasten, worin er die 
Sozialisten auffordert, den Kampf zur 
Vertheidigung der Republik zu beginnen, 
und die Soldaten fahnenflüchtig zu werden. 
Der Aufruf hat in den alten revolutio 
nären Stadtvierteln von Paris ungeheure 
Aufregung hervorgerufen. Die Sozialisten 
haben beschlossen, sich heute auf dem Re 
publik-Platz zu versammeln; man ist daher 
auf sehr ernste Dinge gefaßt. Die Re 
gierung hat die umfassendsten Maßregeln 
getroffen. Alle Pariser Truppen sind 
konsignirt. 
Pretoria, 19. Aug- Die Transvaal- 
regierung erklärte, noch keine Antwort auf 
den englischen Vorschlag, betreffend den 
gemischten Ausschuß, gegeben zu haben. 
Pretoria, 19. Aug. Die Transvaal- 
regierung hat auf diplomatischem Wege 
bei der portugisischen Regierung gegen 
die Beschlagnahme des auf dem deutschen 
Dampfer „Reichstag" eingetroffenen, für 
Transvaal bestimmten Waffen protestirt 
London, 20. Aug. Die chinesische Re 
gierung beabsichtigt die Philippines als 
kriegführende Macht anzuerkennen; sie ver 
bot bereits die Ausfuhr der von General 
Otte in China angekauften Pferde, da sie 
Kriegskonļrabande seien. 
Rom, 19. Aug. Admiral Betsols wird 
die Regierung ersuchen, noch zwei Kreuzer 
bauen zu lassen und für die aufzubringende 
Summe einen jährlichen Betrag festzu 
stellen, damit das Budget nicht zu stark 
belastet werde. 
Innsbruck, 19. Aug. Ein großer Fels. 
stürz hat am Arenberg stattgefunden, wo. 
durch die Arenbergbahn und die Reichen 
straße beschädigt sind. 
Tcplitz, 20. Aug. Die Verhandlungen 
der Delegirten der sächsischen Bergarbeiter 
und der Arbeiterführer der hiesigen Kohlen 
bezirke nehmen einen befriedigenden Ver 
lauf. Im Herbst soll der Generalstreik 
beginnen. 
Dortmund, 20. Aug. JwsStreite erdolchte 
der 17 jährige Schlosser Roberz seinen 
19jährigen Bruder. 
Der Dreyfus-Prozetz. 
Rennes, 19. Aug. Gleich nadj Be 
ginn der heutigen Verhandlung des Kriegs 
gerichts, die wiederum um Vs7 Uhr be 
gann, wurde der Kommandant Cuignet als 
Zeuge aufgerufen. Derselbe war seiner Zeit 
mit der Durchsicht des geheimen Dossiers 
beauftragt worden und er war es, der die 
Fälschung Henrys entdeckte. Bor dem Kas 
sationshofe war er neben dem General Ra 
get der leidenschaftlichste Ankläger des 
Dreyfus; er beschuldigte aber auch du Paty 
de Clam der Fälschung. Zeuge erklärt, daß 
er einen neuen Beweis für die indiskrete 
Art beibringen könne, in welcher Dreyfus 
sich Mittheilungen zu verschaffen gesucht 
habe. Er habe sich mit den Minen die 
Eisenbahnen entlang zu beschäftigen gehabt, 
welche im Kriegsfall die Strecken zerstören 
sollten. Diese Minen müßten streng ge 
heim gehalten werden. Dreysus sei mit 
einer ähnlichen Arbeit betraut gewesen, mit 
dem Studium der Minen des Ostbahnnetzes 
und habe nur Kenntniß über diesen Rayon 
besessen. Eines Tages habe er gebeten, 
Mittheilungen über den Centraldienst zu er 
halten. Cuignet habe solche verweigert, 
trotzdem sei es Dreysus gelungen, sich die 
betreffenden Noten zu verschaffen. Bei 
einer späteren, bei Dreysus vorgenomme 
nen Haussuchung seien diese Noten nicht ge 
sunden worden. Er frage nun, wo sind 
diese Noten? Er, Zeuge, halte Dreysus für 
unbedingt schuldig und stütze diese seine 
Ueberzeugung aist drei Erwägungen: erstens 
das Geständnis; Dreyfus's, zweitens die 
technische Prüfung des Bordereaus und 
drittens das geheime Dossier. _ Im Kr-iegs- 
ministerium existire ein Dossier, den das 
Kriegsgericht sich vorlegen lassen dürfe. 
Dasselbe enthalte Einzelheiten über die Jn- 
triguen zwischen Persönlichkeiten, die heute 
noch eine hervorragende Stellung im 
Staate bekleiden, und Repräsentanten einer 
fremden Macht. Dieses Dossier habe noch 
kein Richter gesehen, Näheres darüber 
wolle er nicht sagen, weil er kein Recht 
dazu habe, der Gerichtshof könne sich aber 
diese Geheimpapiere einfordern. Zeuge er 
klärt weiter, Dreysus sei nicht der einzige 
Spion gewesen; es habe noch andere gcge 
den. Der Agent A. sei speziell mit Spio 
nage beauftragt gewesen. Dieser Agent, .der 
seinen Haß gegen Frankreich laut äußerte, 
vertheidige heute Dreysus und wolle ihm 
Esterhazy unterschiebet^ Als Zeuge Ewig 
net weiter sagt, es sei dargethan, daß Drey 
fus Verrath geübt, stößt Dreysus einen 
Ruf arcs, der jedoch, nicht verstanden wird. 
Nochmals auf den Agenten A. (Schwartz-- 
koppen) zurückkommend, beinerkt Cuignet, 
demselben sei einmal gestattet worden, einer 
Reiterübung beizuwohnen, zu der fein an 
derer Ausländer zugelassen worden sei. Die- 
er Herr habe nach Hause geschrieben, wie 
kindlich die französischen Offiziere sich von 
ihm die Würmer aus der Nase ziehen ließen 
und mackste sich über sie und ihre Einsalt 
lustig. Mit Donnerstimme ruft Cuignet: 
„Wir werden niemals zugeben, daß aus 
ländische Offiziere solcher Gattung vor der 
französischen Rechtspflege gegen französische 
Offiziere aussagen!" In der Panizzardi- 
Depesche sieht Zeuge den Beweis der Be 
ziehungen Dreysus'' zu der italieni- 
-chen Regierung. Auch der Bericht de2 
österreichischen Obersten Schneider bezeuge 
ausdrücklich die Schuld des Angeklagten. 
Oberst Schneider habe allerdings diesen Be 
richt in einer aus Ems datirten Depesche 
für eine Fälschung erklärt, aber inan wisse 
ja, welchen Werth Drahtungen aus Ems 
haben. Der Bericht sei vom General Cha- 
inoin als unanfechtbar echt bezeichnet wor- 
den. Die Ableugnung Schneiders richte 
sich also gegen die französische Regierung. 
Zahlreiche Briefe von Schneiders Hand 
seien vorhanden, mit denen man die Echt 
heit des Schneider'schen Berichtes beweisen 
könne. Auch authentische Zeugnisse über 
einen Toast seien vorhanden, den der Autor 
des Rapports bei dem Abschiedsessen zu 
Ehren des Agenten A. gehalten hat. Am 
Schlüsse dieses Toastes habe es geheißen: 
„Lange noch wird man in allen Armeen der 
Welt von ihm sprechen und wird sagen, er 
war ein Kerl!" (Der Toast wurde gehal 
ten vor der Abreise Schwartzkappens aus 
Paris). Hierauf fragt einer der Richter 
den Zeugen, ob er Einzelheiten über die Fa 
brikation der Fälschung Henrys geben 
könne. Cuignet giebt einige schon bekannte 
Details. Regierungs - Kommissar Carriere 
erhebt sich ’ und ’ sagt mit brummiger 
Stimme: „Ein Zeuge hat hier über einen 
Bericht eines in Frankreich beglaubigten, 
ausländischen Offiziers eine Erklärung ab 
gegeben. Im Namen der Regierung mache 
ich über diese Erklärung meine Vorbehalte." 
Aus Verlangen des Advokaten Demange 
verliest Greffier einen Theil der von Cuig 
net vor dem Kassalionshofe -abgegebenen 
Aussagen, die sich mit den heutigen in ver 
schiedenen Punkten im Widerspruch befin 
den Aus die Frage Demanges, ob der 
Rapport eines Militärattachees (Brief des 
Obersten Schneider) so gelautet habe, ivie 
Mercier ihn vorgelesen, oder ob noch etivas 
in demselben gestanden habe, antwortete 
Cuignet: „Jawohl, es stand noch- etivas an 
deres darin. Es >var von der Revisions-, 
kampagne zu Gunsten Dreysus'- die Rede, 
sowie von einem Besuche bei dem Agenten 
A." Demange stellt verschiedene Fragen 
über die Fälschung Henrys und das Doku 
ment „canaille D." Cuignet gerieth in die 
Enge; er bemerkt, das Dokument sei ihm 
verdächtig erschienen. Dreysus ruft laut: 
„Es ist schändlich, daß man zwei Stunden 
lang gegen einen Unschuldigen sprechen 
darf. Die von Cuignet gegen mich vorge 
brachten. Dinge entspringen einem sonder 
baren Geisteszustände!" Hierauf verkündet 
'Regierungs-Kommissar Carriere, daß du 
Path de Clam krank sei und nicht kommen 
könne. Wenn sein Befinden sich nicht bes 
sere, müsse man seine Aussagen vorlesen. 
Demange verwahrt sich dagegen. General 
Boisdeffre, der nächste Zeuge, giebt die 
Vorgeschichte des Dreyfussalles wieder. Be 
züglich des Geständnisses Dreyfus'- kann 
Zeuge sich nicht erinnern, daß Picquart ihm 
die Mittheilung über das Geständniß. Drey 
fus'- überbracht habe. Er sei aber überzeugt, 
daß er damals das Geständniß als existi- 
rend betrachtete. Betreffs Picquart erklärt 
Zeuge, er habe zuerst gezögert, denselben in 
den Generalstab zu nehmen. Auf die Em 
pfehlung Gallifets hin habe er ihn aber 
doch angestellt. Bestreiten müsse er, daß er 
ihin einen Brief an den Oberst Maurel im 
Jahre 1894 gegeben habe. Zeuge verbreitet 
sich nun über den Fall Esterhazy, fommt 
aber später wieder aus Picquart zurück. Im 
Interesse des Dienstes habe er schließlich 
den Kriegsminister ersucht, Picquart aus 
dem Generalstabe zu entfernen, und damit 
die Sache nicht auffällig wurde, habe er den 
Vorschlag gemacht, Picquart nach Tonkin 
zu senden. Vertheidiger Demange fragt 
den Zeugen, ob er etwas von den angeb 
lichen Beziehungen Picquarts zur Familie 
Dreysus wisse. Boisdeffre entgegnet, er 
habe den Eindruck, daß solche existirten, ge 
nau wisse /er es nicht. Gefragt, wie die 
Scene im Elysee am 6. Januar sich abge 
spielt lptbe, sagt Zeuge, nur Mitternacht 
habe ihm Mercier gesagt: „Sie können 
ruhig schlafen, es ist noch nichts siir heute." 
Demange: „Hat nach der Vcrnitheilnng des 
Dreysus das Verschwinde» der Schriftstücke 
aufgehört?" Zeuge : .„Ungefähr. Jin Jahre 
1895 siitd wiederum Schriftstücke der Artil 
lerie verschwunden." Dreysus wird ge 
wagt, ob er etivas zu sagen habe. Er ant- 
wortet mit „Nein!" Es tritt eine kurze 
Pause ein. Nach Wiederaufnahme der Ver 
handlung »vird General Gonse verhört. 
Derselbe sagt aus, Esterhazy habe niemals 
Geld für Nachrichten erhalten. Für unmög 
lich halte er es, daß Esterhazy und du Path 
das Bordereau angefertigt hatten. Was den 
Vorgang im Elysee am L. Januar anlange, 
st müsse er bestreiten, daß er damals auf 
geregt gewesen sei wegen der Schritte, die 
Graf Münster bei Casimir Perier unter 
nommen hatte. Bestreiten müsse er auch, 
daß Henry sich zur Anfertigung der Fäl 
schungen des geheimen Dossiers Path de 
Clams bedient habe. Mitglieder des 
Kriegsgerichts stellen an General Gonse die 
Frage, ob Dreysus jemals während 24 
Stunden die Schriftstücke betr. Deckungs 
truppen in Händen gehabt habe. Gonse er 
widert, hierüber keine Auskunft geben zu 
können. Weiter wird gefragt, ob er Kennt 
niß davon -erlangt habe, daß die im Bor 
dereau erwähnten Schriftstücke in die Hände 
einer auswärtigen Macht gelangt seien, er 
widerte Gonse, es sei dies angekündigt wor 
den. Gonse bestreitet alsdann die von Ber- 
tulus angefürte tragische Scene mit Henry. 
Er giebt zu, daß Henry, als dieser ihm das 
falsche Schriftstück einhändigte, in ihn 
drang, es nur nicht Picquart auszuliefern. 
Auf die Frage Demanges antwortete Gonse, 
er habe Picquart angewiesen, bei der Un- 
tersuchung gegen Esterhazy von der Unter 
schrift des Bordereaus abzustehen. Als der 
Vorsitzende Dreysus daS Wort ertheilt, et 
ivas zu sagen, wenn er etivas zu sagen 
habe, schildert Dreysus, wie schwierig es sei, 
in das Bureau des Ministeriums zu gelan 
gen. Es findet alsdann noch- eine scharfe 
Auseinandersetzung zwischen Picquart lind 
Gonse und Picquart und Billot statt, 
woraus um 11 Uhr 45 Minuten die Sitzung 
geschlossen und auf Montag vertagt wird. 
R e n n e s, 19. Aug. Labori verbrachte 
die letzte Nacht gut, auch l)at das Fieber 
vollständig nachgelassen. 
Rennes, 20. Aug. Laboris Zustand 
bessert sich immer mehr. Gestern konnte er 
eine halbe Stunde lang einen Spaziergang 
durch den Garten machen. Die Aerzte hof 
fen, Labori werde am Dienstag der Kriegs 
gerichtssitzung beiwohnen können. 
Wien, 19. Aug. In hiesigen diploma- 
tischen Kreisen hat die heutige Aussage 
WMàMllth. 
Novelle von Lothar Brenkendorf. 
(Nachdruck verboten. 
„Sicherlich nicht, wenn sie Ihnen gleichen", 
sagte d' Harnoncourt und in seinen Worten 
war ein Klang, der sie zu mehr als einer 
bloßen Höflichkeitsphrase machte. Erna erröthete 
ein wenig; aber sie hatte keine Gelegenheit 
mehr, ihm zu antworten, denn in diesem Augen 
blick ertönte von dem durch ein Palmen- 
Arrangemcnt fast ganz verdeckten Erkcrplatze 
her eine scharf klingende weibliche Stimme: 
„Gervaise klagte heute Nachmittag über 
Kopfschmerzen. Es wird nrcht überflüssig 
sein, wenn Sie nach dem Kinde sehen, 
Mademoiselle!" 
Das war in dem unfreundlichen -ton eines 
herrischen Befehls gesprochen, und Erna 
preßte die Lippen zusammen. Aber sie trug 
sofort das Servirbrctt nach dem Theetisch 
zurück und verließ schweigend das Zimmer. 
Auf der Stirn des Obersten war eine tiefe 
Falte erschienen. Er blätterte noch ein paar 
Minuten lang in seinem Buche; dann aber 
warf er es fort und erhob sich, um zu dem 
Erkerplatze hinüber zu gehen. 
Vom rosigen Licht einer herabhängenden 
Ampel übergoffen, ruhte dort auf einer 
zwischen den Blattgewächsen aufgestellten 
Chaiselongue eine etwa dreißigjährige Frau 
von echt französischem Typus. Ihre zierliche, 
beinahe schmächtige Gestalt war in einen 
gelbseidenen Schlafrock gehüllt und in dem 
schmalen bleichen Gesicht brannten zwei schwarze 
leidenschaftliche Augen. 
Sie veränderte ihre bequeme Srellung 
nicht, als ihr Gatte zu ihr trat, und mit 
vollkommener Gleichgültigkeit erwartete sie 
seine Anrede. 
„Du hättest, wie ich meine, dem Fräulein 
Deine Weisung etwas freundlicher ertheilen 
können, liebe Zotz", sagte -er. „Es war 
etwas in Deiner Art, das sie nothwendig 
gekränkt haben muß." 
„So mag sie sich bei Dir dafür bedanken, 
mein Freund", klang es gelaffen zurück. 
„Du allein trägst die Schuld, wenn ich mich 
zuweilen genöthigt sehe, die Erzieherin meines 
Kindes an ihre Stellung in diesem Hause 
zu erinnern." 
„Ich wüßte nicht, daß jemals eine zwin 
gende Veranlaffung dazu vorgelegen hätte. 
Fräulein Wellhof hat sich weder heute noch 
zu irgend einer anderen Zeit gegen die 
Rücksichten vergangen, welche sie Dir schuldig 
ist." 
Die junge Frau richtete sich auf, und 
wenn auch ihr Gesicht ganz glcichmüthig 
blieb, war doch ein heißes Funkeln in den 
schwarzen Augen, die sich fest auf das Ge 
sicht ihres Mannes richteten. 
„Wir sind übereingekommen, einander nicht 
mit thörichten Eifersüchteleien lästig zu fallen, 
und was mich anbetrifft, so wirst Du Dich 
über einen Mangel an Nachsicht kaum be 
klagen dürfen. In den vier Wänden meines 
Hauses aber werde ich keine Uebertrctung 
gestatten, gleichviel, ob sie Dir selber als 
eine ganz harmlose erscheint. Wir werden 
uns ähnliche unangenehme Erörterungen für 
die Folge ersparen können, wenn Du die 
Freundlichkeit haben willst, Dich dessen zu 
erinnern." 
„Aber Dein Verdacht ist eine große Thor 
heit, liebe Zoö!" sagte der Oberst. „Du 
wirst nicht in Wahrheit glauben, daß ich —" 
Die junge Frau hatte ihren schwarzhaarigen 
Kopf schon wieder gegen das Polster zurück 
gelehnt, und mit einer müden Hanbbewegung 
schnitt sie ihm die Weiterrede ab. 
„Ach, das ist ja nun erledigt. Weshalb 
sollen wir uns noch weiter mit solchen Aus 
einandersetzungen langweilen." 
Stumm wie ein gescholtener Schulknabe 
kehrte d' Harnoncourt zu seinem Buche zurück, 
und wieder gab es eine halbe Stunde lang 
keinen anderen Laut im Zimmer als das 
eintönige Ticken der Pendule und das leise 
Knistern der umgeschlagenen Blatter. Dann 
klingelte Zoä nach ihrer Kaminerjungfer, und 
der Oberst stand sofort auf, um ihr den 
Arm zu reichen und sie bis an die Thür 
ihres Ankleidezimmers zu geleiten. Ritterlich 
küßte er ihr die Hand, und die junge Frau 
nickte ihm mit ibrcm matten Lächeln zu, wie 
wenn niemals eine düstere Wolke den Himmel 
ihres ehelichen Lebens versinstert hätte. 
Als er auf dem Rückwege an dem Schlaf- 
gemach seines Kindes vorüberkam, blieb 
d' Harnoncourt lauschend stehen, denn er 
hatte drinnen die weiche Stimme der Er 
zieherin vernommen. Eine Minute lang 
zauderte er, dann legte er seine Hand auf 
die Thürklinke und trat geräuschlos ein. Erna 
hatte soeben mit der kleinen Gervaise, einem 
reizenden dunkellockigen Kinde, das Abend 
gebet gesprochen, und sie war bei dem Er 
scheinen des Obersten im Begriff, sich in ihr 
eigenes nebean belegenes Zimmer zurückzu 
ziehen. D' Harnoncourt beugte sich über 
sein Töchterchen herab, um es zu küssen, und 
richtetele dann an die Erzieherin einige 
Fragen, die auf das Befinden des Kindes 
Bezug hatten. Schon aus der Schwelle 
ihres Gemaches stehend, gab ihm Erna kurze 
Antwort. Sie erwartete offenbar, daß der 
Oberst sich sogleich wieder entfernen würde; 
statt dessen aber trat d' Harnoncourt plötz 
lich nahe an sic heran und sagte mit ge 
dämpfter Stimme: 
„Ich möchte mich nicht von Ihnen ver 
abschieden, ohne Ihnen mein Bedauern über 
Pie Unfreundlichkeit auszudrücken, der Sie 
vorhin ausgesetzt waren. Ick hoffe, mein 
liebes Fräulein, daß Sie den Launen meiner 
Frau keine all' zu große Bedeutung bei 
legen werden." 
„Gewiß nicht, Herr Oberst", erwiderte 
Erna zurückhaltend. „Wer eine abhängige 
Stellung einnimmt, muß sich frühzeitig der 
Empfindlichkeit entwöhnen." 
Ihre Antwort schien ihn nicht zu be 
friedigen, denn er versetzte lebhaft: 
„Unter meinem Dache aber sollen Sie 
fortan nie mehr an diese traurige Noth 
wendigkeit erinnert werden. Denn ich will 
nicht, daß Sie einen Grund haben, sich zu 
beklagen. Möchte ich doch so gern- jeden 
Schatten von Ihrem Lebenswege fern halten 
möchte ich Sie doch so gerne heiler und 
glücklich sehen!" 
Er stand jetzt hart an ihrer Seite, und 
seine Stimme war zu einem weichen ein 
dringlichen Flüstern geworden. Erna aber 
deutete durch eine sehr entschiedene Bewegung 
ihre Absicht an, das Gespräch zu beenden. 
„Ich danke Ihnen für die freundliche 
Gesinnung", sagte sie kühl, „doch ich wieder 
hole, daß ich keine Ursache habe, mich zu 
beklagen." 
Nun vertrat d' Harnoncourt ihr geradezu 
den Weg und legte, um sie zurück zu halten, 
seine Hand leicht auf ihren Arm. 
.„Sic sind zu stolz, es cinzugestehen; aber 
Sie können mich nicht täuschen. — Nein, 
entfliehen Sie mir nicht, sondern hören Sie 
mich nur zwei Minuten an. Ich habe oft genug 
sehen müffen, wie hochmüthig und ungerecht 
meine Frau Sie behandelt, und ich fürchte, daß 
sie es noch schlimmer treibt, wenn ich nicht 
zugegen bin. Aber Sic wiffen, wie gering 
meine Macht gerade nach dieser Richtung 
hin ist. Da Sie seit mehr als einem Jahre 
in diesem Hause find, kann es Ihnen ja 
kein Geheimniß geblieben sein, wie es um 
mein Eheglück bestellt ist." 
„Ich habe mich nie darum gekümmert, 
Herr Oberst, und es ziemt mir auch nicht, 
etwas davon zu erfahren." 
Die Zurückweisung, welche in dieser Ant 
wort lag, war von der schroffsten und be 
stimmtesten Form. Der heißblütige Offizier 
aber, der allezeit ein verwöhnter Liebling 
der Frauen gewesen war, hatte sich zu lange 
an dem Anblick ihrer stolzen Schönheit be 
rauscht, um sich nun so leicht entmuthigen 
zu laffen. 
„Ach, Sie müßten kein Weib sein, wenn 
Sic nicht schon in den ersten acht Tagen 
alles begriffen hätten", fuhr er hastig fort. 
„Sie haben gesehen, daß diese Frau nie 
mals eine wirkliche Zuneigung für mich 
empfunden hat, daß ich verurtheilt bin, an 
ihrer Seite ein freudloses einsames Leben 
zu führen — ein Leben voll heißer Sehn 
sucht nach wirktickem Glück." 
Erna versuchte umsonst, an ihm vorüber 
den Weg in ihr Zimmer zu gewinnen, und 
d' Harnoncourt hörte das Beben des Un 
willens in ihrer Stimme nicht, als sic ihn 
bat, sie nicht länger aufzuhalten. Mit 
festem Griff hielt er ihr feines Handgelen
	        
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