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TäczLich erfchernenbss WLatl.
(Außer an Sonn- und Festlagen.)
Mendsbmaer W Wochenblatt
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LiertüjLhrkch 2 Ji—, frei in? Hau? Zelleser:
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für Auswärtige, durch die Post biogen
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ArlteKes und getekrukes Klatt im Kreise Zîendsbnrg.
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten.
—şs 92 ster Jahrgang, es-
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieserung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem Rendsburger Wochenblau wird
„Der Landwirth"
(Zeîtichrift stir die politischen u. socialen Interessen
der Landwirthschaft) gratis beigegeben.
M0. 195.
Menstcrg, den 22.
1899.
Morgen-Berichte.
Kopenhagen, 19. Aug. Die Regierung
hat ihre bisherige passive Haltung im
Arbeiterstreik ausgegeben, der Minister--
Präsident hat mit dem Vorsitzenden des
Arbeitgebervereins über die Aufhebung der
Sperre verhandelt.
Paris, 20. Aug. Der Arnachist Se
bastian Faure hat gestern Abend einen
Aufruf vertheilen lasten, worin er die
Sozialisten auffordert, den Kampf zur
Vertheidigung der Republik zu beginnen,
und die Soldaten fahnenflüchtig zu werden.
Der Aufruf hat in den alten revolutio
nären Stadtvierteln von Paris ungeheure
Aufregung hervorgerufen. Die Sozialisten
haben beschlossen, sich heute auf dem Re
publik-Platz zu versammeln; man ist daher
auf sehr ernste Dinge gefaßt. Die Re
gierung hat die umfassendsten Maßregeln
getroffen. Alle Pariser Truppen sind
konsignirt.
Pretoria, 19. Aug- Die Transvaal-
regierung erklärte, noch keine Antwort auf
den englischen Vorschlag, betreffend den
gemischten Ausschuß, gegeben zu haben.
Pretoria, 19. Aug. Die Transvaal-
regierung hat auf diplomatischem Wege
bei der portugisischen Regierung gegen
die Beschlagnahme des auf dem deutschen
Dampfer „Reichstag" eingetroffenen, für
Transvaal bestimmten Waffen protestirt
London, 20. Aug. Die chinesische Re
gierung beabsichtigt die Philippines als
kriegführende Macht anzuerkennen; sie ver
bot bereits die Ausfuhr der von General
Otte in China angekauften Pferde, da sie
Kriegskonļrabande seien.
Rom, 19. Aug. Admiral Betsols wird
die Regierung ersuchen, noch zwei Kreuzer
bauen zu lassen und für die aufzubringende
Summe einen jährlichen Betrag festzu
stellen, damit das Budget nicht zu stark
belastet werde.
Innsbruck, 19. Aug. Ein großer Fels.
stürz hat am Arenberg stattgefunden, wo.
durch die Arenbergbahn und die Reichen
straße beschädigt sind.
Tcplitz, 20. Aug. Die Verhandlungen
der Delegirten der sächsischen Bergarbeiter
und der Arbeiterführer der hiesigen Kohlen
bezirke nehmen einen befriedigenden Ver
lauf. Im Herbst soll der Generalstreik
beginnen.
Dortmund, 20. Aug. JwsStreite erdolchte
der 17 jährige Schlosser Roberz seinen
19jährigen Bruder.
Der Dreyfus-Prozetz.
Rennes, 19. Aug. Gleich nadj Be
ginn der heutigen Verhandlung des Kriegs
gerichts, die wiederum um Vs7 Uhr be
gann, wurde der Kommandant Cuignet als
Zeuge aufgerufen. Derselbe war seiner Zeit
mit der Durchsicht des geheimen Dossiers
beauftragt worden und er war es, der die
Fälschung Henrys entdeckte. Bor dem Kas
sationshofe war er neben dem General Ra
get der leidenschaftlichste Ankläger des
Dreyfus; er beschuldigte aber auch du Paty
de Clam der Fälschung. Zeuge erklärt, daß
er einen neuen Beweis für die indiskrete
Art beibringen könne, in welcher Dreyfus
sich Mittheilungen zu verschaffen gesucht
habe. Er habe sich mit den Minen die
Eisenbahnen entlang zu beschäftigen gehabt,
welche im Kriegsfall die Strecken zerstören
sollten. Diese Minen müßten streng ge
heim gehalten werden. Dreysus sei mit
einer ähnlichen Arbeit betraut gewesen, mit
dem Studium der Minen des Ostbahnnetzes
und habe nur Kenntniß über diesen Rayon
besessen. Eines Tages habe er gebeten,
Mittheilungen über den Centraldienst zu er
halten. Cuignet habe solche verweigert,
trotzdem sei es Dreysus gelungen, sich die
betreffenden Noten zu verschaffen. Bei
einer späteren, bei Dreysus vorgenomme
nen Haussuchung seien diese Noten nicht ge
sunden worden. Er frage nun, wo sind
diese Noten? Er, Zeuge, halte Dreysus für
unbedingt schuldig und stütze diese seine
Ueberzeugung aist drei Erwägungen: erstens
das Geständnis; Dreyfus's, zweitens die
technische Prüfung des Bordereaus und
drittens das geheime Dossier. _ Im Kr-iegs-
ministerium existire ein Dossier, den das
Kriegsgericht sich vorlegen lassen dürfe.
Dasselbe enthalte Einzelheiten über die Jn-
triguen zwischen Persönlichkeiten, die heute
noch eine hervorragende Stellung im
Staate bekleiden, und Repräsentanten einer
fremden Macht. Dieses Dossier habe noch
kein Richter gesehen, Näheres darüber
wolle er nicht sagen, weil er kein Recht
dazu habe, der Gerichtshof könne sich aber
diese Geheimpapiere einfordern. Zeuge er
klärt weiter, Dreysus sei nicht der einzige
Spion gewesen; es habe noch andere gcge
den. Der Agent A. sei speziell mit Spio
nage beauftragt gewesen. Dieser Agent, .der
seinen Haß gegen Frankreich laut äußerte,
vertheidige heute Dreysus und wolle ihm
Esterhazy unterschiebet^ Als Zeuge Ewig
net weiter sagt, es sei dargethan, daß Drey
fus Verrath geübt, stößt Dreysus einen
Ruf arcs, der jedoch, nicht verstanden wird.
Nochmals auf den Agenten A. (Schwartz--
koppen) zurückkommend, beinerkt Cuignet,
demselben sei einmal gestattet worden, einer
Reiterübung beizuwohnen, zu der fein an
derer Ausländer zugelassen worden sei. Die-
er Herr habe nach Hause geschrieben, wie
kindlich die französischen Offiziere sich von
ihm die Würmer aus der Nase ziehen ließen
und mackste sich über sie und ihre Einsalt
lustig. Mit Donnerstimme ruft Cuignet:
„Wir werden niemals zugeben, daß aus
ländische Offiziere solcher Gattung vor der
französischen Rechtspflege gegen französische
Offiziere aussagen!" In der Panizzardi-
Depesche sieht Zeuge den Beweis der Be
ziehungen Dreysus'' zu der italieni-
-chen Regierung. Auch der Bericht de2
österreichischen Obersten Schneider bezeuge
ausdrücklich die Schuld des Angeklagten.
Oberst Schneider habe allerdings diesen Be
richt in einer aus Ems datirten Depesche
für eine Fälschung erklärt, aber inan wisse
ja, welchen Werth Drahtungen aus Ems
haben. Der Bericht sei vom General Cha-
inoin als unanfechtbar echt bezeichnet wor-
den. Die Ableugnung Schneiders richte
sich also gegen die französische Regierung.
Zahlreiche Briefe von Schneiders Hand
seien vorhanden, mit denen man die Echt
heit des Schneider'schen Berichtes beweisen
könne. Auch authentische Zeugnisse über
einen Toast seien vorhanden, den der Autor
des Rapports bei dem Abschiedsessen zu
Ehren des Agenten A. gehalten hat. Am
Schlüsse dieses Toastes habe es geheißen:
„Lange noch wird man in allen Armeen der
Welt von ihm sprechen und wird sagen, er
war ein Kerl!" (Der Toast wurde gehal
ten vor der Abreise Schwartzkappens aus
Paris). Hierauf fragt einer der Richter
den Zeugen, ob er Einzelheiten über die Fa
brikation der Fälschung Henrys geben
könne. Cuignet giebt einige schon bekannte
Details. Regierungs - Kommissar Carriere
erhebt sich ’ und ’ sagt mit brummiger
Stimme: „Ein Zeuge hat hier über einen
Bericht eines in Frankreich beglaubigten,
ausländischen Offiziers eine Erklärung ab
gegeben. Im Namen der Regierung mache
ich über diese Erklärung meine Vorbehalte."
Aus Verlangen des Advokaten Demange
verliest Greffier einen Theil der von Cuig
net vor dem Kassalionshofe -abgegebenen
Aussagen, die sich mit den heutigen in ver
schiedenen Punkten im Widerspruch befin
den Aus die Frage Demanges, ob der
Rapport eines Militärattachees (Brief des
Obersten Schneider) so gelautet habe, ivie
Mercier ihn vorgelesen, oder ob noch etivas
in demselben gestanden habe, antwortete
Cuignet: „Jawohl, es stand noch- etivas an
deres darin. Es >var von der Revisions-,
kampagne zu Gunsten Dreysus'- die Rede,
sowie von einem Besuche bei dem Agenten
A." Demange stellt verschiedene Fragen
über die Fälschung Henrys und das Doku
ment „canaille D." Cuignet gerieth in die
Enge; er bemerkt, das Dokument sei ihm
verdächtig erschienen. Dreysus ruft laut:
„Es ist schändlich, daß man zwei Stunden
lang gegen einen Unschuldigen sprechen
darf. Die von Cuignet gegen mich vorge
brachten. Dinge entspringen einem sonder
baren Geisteszustände!" Hierauf verkündet
'Regierungs-Kommissar Carriere, daß du
Path de Clam krank sei und nicht kommen
könne. Wenn sein Befinden sich nicht bes
sere, müsse man seine Aussagen vorlesen.
Demange verwahrt sich dagegen. General
Boisdeffre, der nächste Zeuge, giebt die
Vorgeschichte des Dreyfussalles wieder. Be
züglich des Geständnisses Dreyfus'- kann
Zeuge sich nicht erinnern, daß Picquart ihm
die Mittheilung über das Geständniß. Drey
fus'- überbracht habe. Er sei aber überzeugt,
daß er damals das Geständniß als existi-
rend betrachtete. Betreffs Picquart erklärt
Zeuge, er habe zuerst gezögert, denselben in
den Generalstab zu nehmen. Auf die Em
pfehlung Gallifets hin habe er ihn aber
doch angestellt. Bestreiten müsse er, daß er
ihin einen Brief an den Oberst Maurel im
Jahre 1894 gegeben habe. Zeuge verbreitet
sich nun über den Fall Esterhazy, fommt
aber später wieder aus Picquart zurück. Im
Interesse des Dienstes habe er schließlich
den Kriegsminister ersucht, Picquart aus
dem Generalstabe zu entfernen, und damit
die Sache nicht auffällig wurde, habe er den
Vorschlag gemacht, Picquart nach Tonkin
zu senden. Vertheidiger Demange fragt
den Zeugen, ob er etwas von den angeb
lichen Beziehungen Picquarts zur Familie
Dreysus wisse. Boisdeffre entgegnet, er
habe den Eindruck, daß solche existirten, ge
nau wisse /er es nicht. Gefragt, wie die
Scene im Elysee am 6. Januar sich abge
spielt lptbe, sagt Zeuge, nur Mitternacht
habe ihm Mercier gesagt: „Sie können
ruhig schlafen, es ist noch nichts siir heute."
Demange: „Hat nach der Vcrnitheilnng des
Dreysus das Verschwinde» der Schriftstücke
aufgehört?" Zeuge : .„Ungefähr. Jin Jahre
1895 siitd wiederum Schriftstücke der Artil
lerie verschwunden." Dreysus wird ge
wagt, ob er etivas zu sagen habe. Er ant-
wortet mit „Nein!" Es tritt eine kurze
Pause ein. Nach Wiederaufnahme der Ver
handlung »vird General Gonse verhört.
Derselbe sagt aus, Esterhazy habe niemals
Geld für Nachrichten erhalten. Für unmög
lich halte er es, daß Esterhazy und du Path
das Bordereau angefertigt hatten. Was den
Vorgang im Elysee am L. Januar anlange,
st müsse er bestreiten, daß er damals auf
geregt gewesen sei wegen der Schritte, die
Graf Münster bei Casimir Perier unter
nommen hatte. Bestreiten müsse er auch,
daß Henry sich zur Anfertigung der Fäl
schungen des geheimen Dossiers Path de
Clams bedient habe. Mitglieder des
Kriegsgerichts stellen an General Gonse die
Frage, ob Dreysus jemals während 24
Stunden die Schriftstücke betr. Deckungs
truppen in Händen gehabt habe. Gonse er
widert, hierüber keine Auskunft geben zu
können. Weiter wird gefragt, ob er Kennt
niß davon -erlangt habe, daß die im Bor
dereau erwähnten Schriftstücke in die Hände
einer auswärtigen Macht gelangt seien, er
widerte Gonse, es sei dies angekündigt wor
den. Gonse bestreitet alsdann die von Ber-
tulus angefürte tragische Scene mit Henry.
Er giebt zu, daß Henry, als dieser ihm das
falsche Schriftstück einhändigte, in ihn
drang, es nur nicht Picquart auszuliefern.
Auf die Frage Demanges antwortete Gonse,
er habe Picquart angewiesen, bei der Un-
tersuchung gegen Esterhazy von der Unter
schrift des Bordereaus abzustehen. Als der
Vorsitzende Dreysus daS Wort ertheilt, et
ivas zu sagen, wenn er etivas zu sagen
habe, schildert Dreysus, wie schwierig es sei,
in das Bureau des Ministeriums zu gelan
gen. Es findet alsdann noch- eine scharfe
Auseinandersetzung zwischen Picquart lind
Gonse und Picquart und Billot statt,
woraus um 11 Uhr 45 Minuten die Sitzung
geschlossen und auf Montag vertagt wird.
R e n n e s, 19. Aug. Labori verbrachte
die letzte Nacht gut, auch l)at das Fieber
vollständig nachgelassen.
Rennes, 20. Aug. Laboris Zustand
bessert sich immer mehr. Gestern konnte er
eine halbe Stunde lang einen Spaziergang
durch den Garten machen. Die Aerzte hof
fen, Labori werde am Dienstag der Kriegs
gerichtssitzung beiwohnen können.
Wien, 19. Aug. In hiesigen diploma-
tischen Kreisen hat die heutige Aussage
WMàMllth.
Novelle von Lothar Brenkendorf.
(Nachdruck verboten.
„Sicherlich nicht, wenn sie Ihnen gleichen",
sagte d' Harnoncourt und in seinen Worten
war ein Klang, der sie zu mehr als einer
bloßen Höflichkeitsphrase machte. Erna erröthete
ein wenig; aber sie hatte keine Gelegenheit
mehr, ihm zu antworten, denn in diesem Augen
blick ertönte von dem durch ein Palmen-
Arrangemcnt fast ganz verdeckten Erkcrplatze
her eine scharf klingende weibliche Stimme:
„Gervaise klagte heute Nachmittag über
Kopfschmerzen. Es wird nrcht überflüssig
sein, wenn Sie nach dem Kinde sehen,
Mademoiselle!"
Das war in dem unfreundlichen -ton eines
herrischen Befehls gesprochen, und Erna
preßte die Lippen zusammen. Aber sie trug
sofort das Servirbrctt nach dem Theetisch
zurück und verließ schweigend das Zimmer.
Auf der Stirn des Obersten war eine tiefe
Falte erschienen. Er blätterte noch ein paar
Minuten lang in seinem Buche; dann aber
warf er es fort und erhob sich, um zu dem
Erkerplatze hinüber zu gehen.
Vom rosigen Licht einer herabhängenden
Ampel übergoffen, ruhte dort auf einer
zwischen den Blattgewächsen aufgestellten
Chaiselongue eine etwa dreißigjährige Frau
von echt französischem Typus. Ihre zierliche,
beinahe schmächtige Gestalt war in einen
gelbseidenen Schlafrock gehüllt und in dem
schmalen bleichen Gesicht brannten zwei schwarze
leidenschaftliche Augen.
Sie veränderte ihre bequeme Srellung
nicht, als ihr Gatte zu ihr trat, und mit
vollkommener Gleichgültigkeit erwartete sie
seine Anrede.
„Du hättest, wie ich meine, dem Fräulein
Deine Weisung etwas freundlicher ertheilen
können, liebe Zotz", sagte -er. „Es war
etwas in Deiner Art, das sie nothwendig
gekränkt haben muß."
„So mag sie sich bei Dir dafür bedanken,
mein Freund", klang es gelaffen zurück.
„Du allein trägst die Schuld, wenn ich mich
zuweilen genöthigt sehe, die Erzieherin meines
Kindes an ihre Stellung in diesem Hause
zu erinnern."
„Ich wüßte nicht, daß jemals eine zwin
gende Veranlaffung dazu vorgelegen hätte.
Fräulein Wellhof hat sich weder heute noch
zu irgend einer anderen Zeit gegen die
Rücksichten vergangen, welche sie Dir schuldig
ist."
Die junge Frau richtete sich auf, und
wenn auch ihr Gesicht ganz glcichmüthig
blieb, war doch ein heißes Funkeln in den
schwarzen Augen, die sich fest auf das Ge
sicht ihres Mannes richteten.
„Wir sind übereingekommen, einander nicht
mit thörichten Eifersüchteleien lästig zu fallen,
und was mich anbetrifft, so wirst Du Dich
über einen Mangel an Nachsicht kaum be
klagen dürfen. In den vier Wänden meines
Hauses aber werde ich keine Uebertrctung
gestatten, gleichviel, ob sie Dir selber als
eine ganz harmlose erscheint. Wir werden
uns ähnliche unangenehme Erörterungen für
die Folge ersparen können, wenn Du die
Freundlichkeit haben willst, Dich dessen zu
erinnern."
„Aber Dein Verdacht ist eine große Thor
heit, liebe Zoö!" sagte der Oberst. „Du
wirst nicht in Wahrheit glauben, daß ich —"
Die junge Frau hatte ihren schwarzhaarigen
Kopf schon wieder gegen das Polster zurück
gelehnt, und mit einer müden Hanbbewegung
schnitt sie ihm die Weiterrede ab.
„Ach, das ist ja nun erledigt. Weshalb
sollen wir uns noch weiter mit solchen Aus
einandersetzungen langweilen."
Stumm wie ein gescholtener Schulknabe
kehrte d' Harnoncourt zu seinem Buche zurück,
und wieder gab es eine halbe Stunde lang
keinen anderen Laut im Zimmer als das
eintönige Ticken der Pendule und das leise
Knistern der umgeschlagenen Blatter. Dann
klingelte Zoä nach ihrer Kaminerjungfer, und
der Oberst stand sofort auf, um ihr den
Arm zu reichen und sie bis an die Thür
ihres Ankleidezimmers zu geleiten. Ritterlich
küßte er ihr die Hand, und die junge Frau
nickte ihm mit ibrcm matten Lächeln zu, wie
wenn niemals eine düstere Wolke den Himmel
ihres ehelichen Lebens versinstert hätte.
Als er auf dem Rückwege an dem Schlaf-
gemach seines Kindes vorüberkam, blieb
d' Harnoncourt lauschend stehen, denn er
hatte drinnen die weiche Stimme der Er
zieherin vernommen. Eine Minute lang
zauderte er, dann legte er seine Hand auf
die Thürklinke und trat geräuschlos ein. Erna
hatte soeben mit der kleinen Gervaise, einem
reizenden dunkellockigen Kinde, das Abend
gebet gesprochen, und sie war bei dem Er
scheinen des Obersten im Begriff, sich in ihr
eigenes nebean belegenes Zimmer zurückzu
ziehen. D' Harnoncourt beugte sich über
sein Töchterchen herab, um es zu küssen, und
richtetele dann an die Erzieherin einige
Fragen, die auf das Befinden des Kindes
Bezug hatten. Schon aus der Schwelle
ihres Gemaches stehend, gab ihm Erna kurze
Antwort. Sie erwartete offenbar, daß der
Oberst sich sogleich wieder entfernen würde;
statt dessen aber trat d' Harnoncourt plötz
lich nahe an sic heran und sagte mit ge
dämpfter Stimme:
„Ich möchte mich nicht von Ihnen ver
abschieden, ohne Ihnen mein Bedauern über
Pie Unfreundlichkeit auszudrücken, der Sie
vorhin ausgesetzt waren. Ick hoffe, mein
liebes Fräulein, daß Sie den Launen meiner
Frau keine all' zu große Bedeutung bei
legen werden."
„Gewiß nicht, Herr Oberst", erwiderte
Erna zurückhaltend. „Wer eine abhängige
Stellung einnimmt, muß sich frühzeitig der
Empfindlichkeit entwöhnen."
Ihre Antwort schien ihn nicht zu be
friedigen, denn er versetzte lebhaft:
„Unter meinem Dache aber sollen Sie
fortan nie mehr an diese traurige Noth
wendigkeit erinnert werden. Denn ich will
nicht, daß Sie einen Grund haben, sich zu
beklagen. Möchte ich doch so gern- jeden
Schatten von Ihrem Lebenswege fern halten
möchte ich Sie doch so gerne heiler und
glücklich sehen!"
Er stand jetzt hart an ihrer Seite, und
seine Stimme war zu einem weichen ein
dringlichen Flüstern geworden. Erna aber
deutete durch eine sehr entschiedene Bewegung
ihre Absicht an, das Gespräch zu beenden.
„Ich danke Ihnen für die freundliche
Gesinnung", sagte sie kühl, „doch ich wieder
hole, daß ich keine Ursache habe, mich zu
beklagen."
Nun vertrat d' Harnoncourt ihr geradezu
den Weg und legte, um sie zurück zu halten,
seine Hand leicht auf ihren Arm.
.„Sic sind zu stolz, es cinzugestehen; aber
Sie können mich nicht täuschen. — Nein,
entfliehen Sie mir nicht, sondern hören Sie
mich nur zwei Minuten an. Ich habe oft genug
sehen müffen, wie hochmüthig und ungerecht
meine Frau Sie behandelt, und ich fürchte, daß
sie es noch schlimmer treibt, wenn ich nicht
zugegen bin. Aber Sic wiffen, wie gering
meine Macht gerade nach dieser Richtung
hin ist. Da Sie seit mehr als einem Jahre
in diesem Hause find, kann es Ihnen ja
kein Geheimniß geblieben sein, wie es um
mein Eheglück bestellt ist."
„Ich habe mich nie darum gekümmert,
Herr Oberst, und es ziemt mir auch nicht,
etwas davon zu erfahren."
Die Zurückweisung, welche in dieser Ant
wort lag, war von der schroffsten und be
stimmtesten Form. Der heißblütige Offizier
aber, der allezeit ein verwöhnter Liebling
der Frauen gewesen war, hatte sich zu lange
an dem Anblick ihrer stolzen Schönheit be
rauscht, um sich nun so leicht entmuthigen
zu laffen.
„Ach, Sie müßten kein Weib sein, wenn
Sic nicht schon in den ersten acht Tagen
alles begriffen hätten", fuhr er hastig fort.
„Sie haben gesehen, daß diese Frau nie
mals eine wirkliche Zuneigung für mich
empfunden hat, daß ich verurtheilt bin, an
ihrer Seite ein freudloses einsames Leben
zu führen — ein Leben voll heißer Sehn
sucht nach wirktickem Glück."
Erna versuchte umsonst, an ihm vorüber
den Weg in ihr Zimmer zu gewinnen, und
d' Harnoncourt hörte das Beben des Un
willens in ihrer Stimme nicht, als sic ihn
bat, sie nicht länger aufzuhalten. Mit
festem Griff hielt er ihr feines Handgelen