mittelbare Folge würde eine Desorganisation
der Industrie sein, die sich um so stärker
fühlbar machen würde, je weniger die Arbeiter
klasse schon über eigene wirthschaftliche Institute
verfügte. Hier kommt ein psychischer Moment
mit in Betracht, über dessen Bedeutung sich der
wesentlich technologische Materialismus niemals
genauer Rechenschaft abgelegt hat: der Unterschied
zwischen der Disziplin im kapitalistischen und im
genossenschaftlichen Unternehmen — ein Unter
schied, der um so größer sein muß, je jäher der
Uebergang ist und je mehr er in eine Zeit all
gemeiner Aufregung fällt. Alle die Ehrentitel,
mit denen mich die Staatsanwälte des
Sozialrevolutionarismus bedenken,
werden mich nicht abhalten, dies offen heraus
auszusprechen."
Der Mann hat Recht, wer will es
leugnen?
Vierzig Frühstückaustragesrauen und
zwei Jnngen erschienen vor dem Berliner
Gewerbegericht als Kläger gegen die in
Konkurs gerathene „Berliner Frühstücks
lieferungsgesellschaft", Schützen
straße, von der sie zum Theil für mehrere
Monate Lohn zu beanspruchen hatten.
Sie mußten ohne Geld das Gericht wieder
verlassen; vie Firma wurde wohl verur-
theilt, doch den Lohn werden die Kläger
nicht erhalten, da Aktiva nicht vorhanden
sind. Die Beklagte war jene Firma, die
ihren Kunden jede verlangte Zeitung
umsonst als Zugabe zum Frühstück
liefer te?!
Ludwigshafen, 5. In Jmkerkreisen der
Pfalz ist gegenwärtig eine Petition an
den deutschen Reichstag in Umlauf, in der
um Erlassung eines Gesetzes gegen die
immer mehr überhand nehmende Ver
fälschung von Honig geben wird
Die Liste findet eine sehr große Zahl von
Unterschrifteu
Eine n a ch t r ä gl i ch eP rämiirun g
durch den Kaiser ist dem Sängerchor des
Turnverein zu Offenbach jetzt zu Theil
geworden. Dieser Verein ist durch ein
ungünstiges Geschick bei dem ersten deutschen
Männergesangswettstreit zu
Kassel um einen ihm sicher in Aussicht
stehenden Ehrenpreis gekommen. Da die
Leistungen des Chores aber den vollen
Beifall des Kaisers fanden, so hat der
Monarch ihn jetzt durch Verleihung einer
großen silbernen Medaille mit seinem
Bildnisse und einer entsprchenden Widmung
geehrt.
Aus Freiberg (Sachsen), 4. Aug., wird
geschrieben: Beim Rübenhacken auf der
Krummenhennersdorfer Rittergutsflur wur
de ein alter, aber tadellos erhaltener
Siegelring mit dem Wappen der Familie
v. Hartlitzsch und den Initialen M v. H.
gesunden. Da das Rittergut ehemals in
den Händen dieser Familie gewesen ist
und ein Moritz v. Hartlitzsch es von
1648—1688 besessen hat, so mag der
Ring nahezu 250 Jahre im Schoße der
Erde gelegen haben.
Dresden, 6. Aug. Das zu demCy-
clus „Die Befreiten" gehörige Schauspiel
„Abschied vom Regiment" von
Otto Erich Hartleben ist, wie nachträglich
bekannt wird, polizeilich verboten worden.
Auffällig ist, daß das Stück in Berlin und
anderen Städten anstandslos gegeben wer
den durfte, hier aber das Verbot erfolgte,
weil man in dem Schauspiel eine „Herab
würdigung des militärischen Standes" zu
sehen glaubte.
Löbtau, 6. Aug. Die Typhus-
epidemie ist nach dem Gutachten des
Königlichen Medizinalrathes Dr. Hesse im
langsamen Zurückgehen begriffen. Amtlich
wurde gestern nur noch drei neue typhus
ähnliche Erkrankungeir angemeldet. Dage
gen tritt jetzt die Epidemie in dem nahe
liegenden Wölfnitz auf. Auch hier bezeich
net mag als Ursache die verseuchte Wasser
leitung. Die Absperrung derselben ist be
reits angeordnet worden.
Hannover, 6. Aug. Ein neuer Spieler
prozeß steht hier in Aussicht. Gegen den
Inhaber eines der größten Weinrestaurants
daselbst ist eine Untersuchung wegen ge-
werbsmäßigen Glückspiels und Kuppelei
eingeleitet. Die Anzeige wurde von einem
entlassenen Bediensteten des Wirthes er
stattet. Dreizehn Zeugen sind bereits ge
nannt. In dem Lokale verkehrten zahl
reiche Offiziere und Angehörige der Geld
aristokratie.
le. Bremen, 4. August. Von einem
traurigen Mißgeschick heimgesucht ist
hier eine am Doverthor wohnhafte Familie.
Der zwanzigjährige Sohn dieser Familie
war früher in einer Nervenheilanstalt
untergebracht, weil er von dem Wahn be
fallen war, einen Vogel hinten im
Nacken sitzen zu haben. Da der
junge Mann auch größeren Lärm ver
ursachte, so kamen die Aerzte schließlich
auf einen genialen Einsall. Sie brachten
dem eingebildeten Kranken eine Schnitt
wunde im Nacken bei und badeten in dem
Blute einen eingefangenen Vogel, den sie
dann dem Kranken zeigten. ' Zusehends
besserte sich nun der Zustand des jungen
Mannes, der nach einiger Zeit als ge
heilt entlassen werden konnte. Volle zwei
Jahre lebte er nun als ruhiger, nüchterner
Mensch bei seinen Angehörigen Als
aber am letzten Mittwoch - Abend in
fröhlicher Gesellschaft dem jungen Mann
der wahre Sachverhalt der Operation
mitgetheilt wurde, verfiel er wieder in
seinen früheren Wahn und am Donners
tag. Vormittag mußte der Jüngling
wiederum einer Nervenheilanstal t
übergeben werden.
Io. Eine Schreckensscene ereignete sich
gestern Nachmittag in der Elbmündung
an Bord der in Westrhauderfehn behei-
matheten ostfriesischen Tjalk „Margretha",
Schiffer Park, die Mittags Cuxhaven ver-
lassen halte, um nach Norden zu segeln.
Der Schiffer jagte nämlich mit einem
großen Messer hinter seinem Bestmann
her, fluchte, drohte und schimpfte unauf
hörlich. Auf die verzweifelten Hülferufe
des arg bedrängten Mannes eilte der
Schleppdampfer „Auguste", der sich gerade
in der Nähe befand, längsseit der Tjalk,
woraus der bedrängte Knecht sich schleunigst
an Bord der „Auguste" rettete. Der
Schiffer Park wollte ihm nacheilen, wurde
aber durch die Mannschaft des Schlepp-
dampsers auf seine Tjalk zurückgebracht.
Er soll vollständig betrunken gewesen sein
und noch fortwährend gedroht haben, daß
er den Knecht über Bord werfen und er-
tränken wolle. Der Knecht wurde in
Cuxhaven gelandet, während die Tjalk in
See trieb. Der Schiffer Park hatte sich,
wie die Mannschaft der „Auguste" noch
sehen konnte, auf die Kajüte seiner Tjalk
hingestreckt, indem er das Fahrzeug sich
elbst überließ. Was aus der „Margretha"
geworden ist, konnte bisher nicht festgestellt
werden. Zweifellos wird der Schiffer bei
Anbruch der Dunkelheit seinen Rausch
wohl ausgeschlafen haben.
Provinzielles.
Aus der Provinz, 6. Aug. Bon
einem Lehrer wird den „Flensb. Nachr."
geschrieben: Der zweite sog. Prügelerlaß
— schön ist das Wort gerade nicht, aber es
ist üblich geworden —' hat die Presse der
linksstehenden Parteien, wie es scheint, hef
tig erregt. Am liebsten hätte man wohl ge
sehen, wenn die Erläuterung zu. einem Ver
bot der körperlichen Züchtigung geworden
wäre. Nun ärgert man sich, daß der Mi
nister tit wesentlichen Stücken die Maiver
fügung abgeschwächt und „gerathen hat, wo
er hätte befehlen können". Der Lehrerstand
wird von derselben Seite einer mittelal
terlichen Barbarei geziehen, weil er den
Stock in der Schule nicht glaubt entbehren
zu können. Es wird hingewiesen darauf,
daß gerade tüchtige Lehrer den Stock selten
gebrauchen. Nun ja, es mag das so richtig
sein, wenngleich wie auch tüchtige Lehrer
fleißig, und untüchtige gar nicht den Stock
gebrauchen. Aber es gehört doch wohl ein
Maß von Tüchtigkeit dazu, welches man
von jedem Lehrer nicht verlangen kann, al
lein durch die Macht seiner Persönlichkeit
und durch seinen Unterricht 40 bis 80 ver
schieden geartete und verschieden beanlagte
Kinder so zu leiten, daß sie nie körperlich
gezüchtigt werden müssen. Es giebt auch
Beamte, die sich niemals auch nur einen
Pfennig bei der Verwaltung der ihnen an
vertrauten Kasse verrechnen, Beamte, die
niemals bei einer Revision irgend eine Aus
stellung bekommen, aber sie sind die leuch
tenden Vorbilder und werden als solche be
nutzt, alle erreichen das Ziel nicht. Wenn
nun aber weiter behauptet wird, daß die
Lehrer sich dagegen meïjren, nur bei ern
sten Vergehen strafen dürfen, so ist das un
wahr. Der Lehrer tvill -aber selber das
Strafrecht haben, es ist nicht erst von Fall
zu Fall bei seinem nächsten Vorgesetzten, zu
erbitten. Er fürchtet, daß sonst sein
Ansehen bei den Schülern leiden könnte und
ohne dieses kommt nach seiner ganzen amt
lichen Thätigkeit nichts. Ob Strafe am
Platze ist, entscheidet der nächstbetheiligte
Lehrer doch besser als der Rektor
oder Inspektor, der das Kind und sein Ver
gehen gar nicht so genau kennt, als der
Klassenlehrer. Auch sind die meisten Pä
dagogen der Meinung, daß eine Strafe auf
frischer That ganz anders wirkt, als eine
nach Schluß der Stunde ausgetheilte. Man
weist nun gern auf die Soldaten und die
Hochschulen hin, bei denen es keine oder
nur wenig körperliche Züchtigungen giebt
und meint) was bei ihnen ginge, müßte
doch auch in der Volksschule gehen. Die
militärischen Vorgesetzten verfügen aber
über ein ganzes Strafregister, welches den
Volksschullehrern nicht zur Verfügung steht,
und der Soldat hat in der Schule und im
Leben doch schon mehr gelernt, was gehor
chen ist, wie des Volksschnllehrers Zöglinge.
Der Hochschüler aber kann von der Schule
entlassen werden, wenn er nicht Ordre pa-
riren will, während in der Volksschule auch
die bockbeinigsten Schüler geduldet werden
müssen. Im übrigen wollen wir Lehrer
gern auf den Stock verzichten, können es
aber nicht, so lange die Herren Eltern uns
nicht lauter wohlerzogene Kinder zuführen.
Aber unsere häusliche Erziehung krankt im
Allgemeinen daran, daß die Kinder nicht
das Gehorchen lernen. Und das ist, leider
Gottes, nicht nur bei den Proletarierkindern
so, deren Eltern des Broterwerbs halber
den ganzen Tag außer dem Hause sind und
'ich um ihre Kinder und deren Erziehung
nicht genug kümmern können, auch die Kin
der besser gestellter Eltern bekommen zu
viel ihren Willen. Die Eltern wollen „gut
bei ihren Kindern sein" und vergessen, daß
tie das am besten können, wenn sie sie
an G e h o r s a m gewöhnen. Soll der
Stock aus der Schule hinaus, so kann das
der Lehrer nicht und so können das seine
Behörden nicht machen, es sei denn, daß
man alles gehen läßt, wie es eben gehen
will, aber die Eltern können durch eine bes
sere Kindererziehung den Stock entbehrlich
machen. Nun giebt es natürlich unter uns
Lehrern — wir sind auch keine Engel und
leugnen gar nicht, daß räudige Schafe un
ter uns sind — Leute, die den Stock im
Uebermaß anwenden, auch w-o -es nicht nö
thig ist. Wenn diesen das Züchtigungs
recht beschnitten und unter Umständen ganz
genommen wird, so haben wir nichts da
gegen. ^ Aber im Allgemeinen sind wir
noch nicht so weit, daß wir den Stock aus
der Schule verbannen können.
JMş Jahre 1897 wurden in Schleswig
Holstein 187 Konkursverfahren' eröffnet
und 22 Anträge aus Konkurseröffnung
wegen Nichtvorhandenseins einer den Kosten
des Verfahrens entsprechenden Konkurs
masse abgewiesen. Beendet wurden im
genannten Jahre 210 Konkursverfahren.
Die Summe der bei diesen betheiligten
bevorrechtigten Konkursforderungen betrug
75,800 Mk., die der nicht bevorrechtigten
4,962,400 Mk. Bon diesen letzteren fielen
4,161,100 Mk aus.
Eine unsinnige Wette ging in Altona
ein Arbeiter in einer Gastwirthschaft der
Kleinen Freiheit ein. Derselbe machte
sich anheischig, 6 Pferdebeefsteacks, jedes
ein Viertelpfund schwer, dazu 12 Eier,
6 Glas Bier und 6 Schnäpse zu vertilgen.
Bis zum vierten Beefsteak mit den nöthigen
Beigaben kam der Mann, dann brach er
bewußtlos zusammen und mußte in's
Krankenhaus gebracht werden, wo er
gegenwärtig mit dem Tode kämpft.
Segeberg, 5. Aug. Es ist schon des
Oesteren berichtet, welche Wirkung die
zwangsweise Umpfarrung der
benachbarten Gemeinde Sieve rshüt-
t e n vom Sülfelder Kirchspiel in das neu
gebildete Kirchspiel Todesselde aus die
Gemeindeangehörigen gezeitigt Hai Unsere
Leser werden sich erinnern, daß als vor
ernem halben Jahre die Kirchensteuer zu
entrichten war, die ganze Gemeinde wie
Ein Mann sich pfänden ließ!
Ja, ein nicht unbedeutender Theil trat
sogar aus der Landeskirche aus! Nun
stehen aufs Neue die Eingesessenen von
Sievershütten vor der Entrichtung der
Kirchensteuer. Schon wollte man es, wie
die Stimmung in einer all hoc Berufenen
Versammlung deutlich erkennen ließ, aufs
Neue zur Pfändung kommen lassen, doch
gelang es dem Einfluß einzelner angese-
Heuer Gemeindemitglieder, ihre „Kollegen"
zu bestimmen, zwar zu zahlen, aber hier-
bei ausdrücklich den Protest zu erheben,
daß aus dieser Zahlung unter keinen Um-
ständen auf einen Umschwung der bis
herigen Stimmung bezüglich der Neuord-
uung der kirchlichen Zustände geschlossen
werden dürfe. Die kirchliche Behörde
habe vor der Zahîungêleistung den Ein-
gang des Protestes ausdrücklich schriftlich
bestätigen müssen. Es scheint jetzt doch,
als ob die vom Kultusministerium einge
leiteten Unterhandlungen in ruhigere Bah-
nen eingelenkt seien und damit einen
beide Parteien befriedigenden, aus nahe-
liegenden Gründen dringend zu wünschen-
den Abschluß gewährleisten. (S. N)
£ Nordschleswig, 6 Aug. Einen
Haupterwerbszweig mit bildet für den
Landmann in hiesiger Gegend z. Z. die
Ferkelzucht und das Mästen von Schweinen.
Während für vierwöchentliche Ferkel fast
das ganze Jahr hindurch ein Durchschnitts
preis von 12—15 Mk. gezahlt wurde,
gingen die Preise für Mastschweine zu
Ansang des Sommers von ca. 40 Mk.
auf reichlich 30 Mk. pro 100 Pfund
Lebendgewicht herunter. Erfreulich für
den Landmann ist es, daß die Preise für
entdeckt zu werden. Sich rasch aus dem
Sattel schwingend, zog er sein Pferd seit
wärts eine Strecke in den Wald zurück, be
festigte den Zügel um einen jungen Baum
und schlich dann geräuschlos auf dem moos
bedeckten Boden wieder vorsichtig bis an
den Weg heran, wo er sich hinter einen
dicken Baumstamm verbarg. — Der Wagen
war mittlerweile langsam näher gekommen.
John Alting erkannte den Förster, welcher
utschirte, den Herrensitz nahmen zwei männ
liche Gestalten ein, die er nicht zu erkennen
vermochte.
„Wollen wir uns nicht lieber zu Fuß
nach Ihrem Hause begeben?" fragte eine
Stimme, die ihm bekannt vorkam.
„Weshalb, Herr Notar?" crwidertcErichşen,
„Sic würden dann ja im Dunklen tappen
müssen und könnten sich leicht die Köpfe an
den Bäumen einrennen. Meinen Sie nicht
auch, Herr Romberg?"
„Darin muß ich dem Förster Recht geben",
bemerkte eine Stimme, deren Klang dem
Lauscher durch Mark und Bein fuhr. War's
ihm doch, als höre er die Stimme seines
verstorbenen Vaters.
Das war der Mann, der ihm die reiche
Zukunft rauben und ihn — John Alting
— zum Betrüger stempeln wollte. Hüll'
und Tod! — Er wühlte in den Taschen,
warum mußte er nur heute ohne Waffe sein,
da er sonst doch nie ohne seinen geladenen
Revolver das Haus verließ.
Der Stiefbruder mochte sich bei dem Zu
fall bedanken, der ihm das Leben gerettet
hatte!
Fast eine Viertelstunde lang stand der
unselige Mann regungslos an den Eichbaum
gelehnt, den stieren Blick in's Dunkel ge-
Mastschweine in letzterer Zeit wiederum
um 5 Mk. reichlich 100 Pfund Lebend-
gewicht gestiegen sind. Wenn ein Vergleich
gezogen wird zwischen den hiesigen Preisen
und den jenseits der Grenze gezahlten,
in Dänemark kosten nämlich Mastschweine
22 27 Mk. pro 100 Pfund Lebendgewicht,
auf Hornvieh beträgt der Preisunterschied
zwischen hier und dort 30—40 Thaler
pro Stück, dann kann man es kaum be
greifen, weshalb so mancher nordschles-
wigsche Landmann ein Verlangen darnach
hat, wieder unter dänisches Regiment zu
kommen. Für den Landmann handelt es
sich zweifelsohne doch nur darum, zunächst
sein gutes Auskommen zu haben und das
hat er jedenfalls hier leichter, denn in
Dänemark.
Auf Fehmarn kommen jetzt täglich die
fremden Erntearbeiter in großen Scharen
an, Leute aus allen Theilen unseres
deutschen Vaterlandes; und zwar nicht
blos Arbeiter von Beruf, sondern auch
viele verfehlte Existenzen aus allen andern
Kreisen der Bevölkerung, theilweise vaga-
bondirendes Gesindel, das man lieber gehen
als kommen sieht. Die Fehmarnschen
Bauern sind aber auf diese Leute ange
wiesen, denn ansässige Ardeiter giebt es
dort nur wenige. Doch bevor diese Ar
beiter nach der Insel kommen, und dieses
geschieht kurz vor der Ernte, klopfen sie
die an der Landstraße nach Fehmarn lie
genden Dörfer durch Betteln ab und
werden dadurch oftmals recht lästig. Die
meisten verlassen die Insel ebenso mittel,
los, wie sie gekommen sind, da der sauer
verdiente, aber reichliche Erntelohn vor
der Abreise in Schnaps und Bier umge
setzt wird.
© Westerland a. Sylt, 5. Aug. Die
hiesige Rettungsmannschaft des Vereins
zur Rettung Schiffbrüchiger hatte heute
Nachmittag ein Raketen-Uebungsschießen,
wobei dem zahlreich erschienenen Publikum
auch das Aufziehen ver Rettungsboje,
wwie das Uebersühren eines dargestellten
schiffbrüchigen in derselbe vom Maste zum
Lande vorgeführt wurde. Obgleich diese
Uebungen nicht über Wasser, sondern auf
dem Terrain innenseits der Dünen statt-
tnden, so geben sie doch ein gutes Bild
von den Rettungsarbeiten und werden von
den Badegästen mit vielem Interesse ver
folgt. Freilich ist die ganze Situation
im wirklichen Schtffbruchsalle eine andere,
als sie es bei einer solchen Uebung sein
kann; da prägt sich in den Gesichtern und
den Unterredungen der Betheiligten nur
ein Gefühl aus, die Liebe zum Nächsten,
um so unverkennbarer. je ernster die Laoe
der aittt-’n Schiffbrüchigen ist. Der Ernst
eines solchen Augendlick's verleiht aber
demselben eine Wethe deren Eindruck nicht
zu vergessen ist.
In Neumünster gerietst ein junger
Mann dadurch in große Gefahr, daß er
sich eine Blutvergiftung zuzog, als
er mit einer nich-t ganz sauberen Nadel an
einer kleinen Handverletzung herumstocherte.
Er begab sich nach Kiel, um dort in der
Klinik Hülfe zu suchen.
Durch die Erwählung des Herrn Pastor
Mordhorst in S ü d e r h a st e d t zum Pre
diger in Schleswig ist eine der größten Pre
digerstellen in unserer Propstei vakant.
Ein Eckernförder Maurer, welcher
in der Falle eine Ratte gefangen, hatte sie,
in dein Glauben, daß sie, todt sei, am
Strande hingeworfen. Ein in der Nähe
spielendes dreijähriges Kind hielt sie für
eine junge Katze und streichelte dieselbe,
schrie aber plötzlich laut auf, denn die
Ratte hatte sich zwischen deut,,Daumen und
richtet. Es war, als zwinge ihn eine un
sichtbare Macht, hier Stand zu halten, um
die nächste Zukunft an sich vorüber gleiten
zu lassen. Joe Catton hatte Recht gehabt,
mit diesem Advokaten zur Seite hatte sein
Feind gewonnen, zumal Alle zu ihm stehen
würden, die ihn, John Alting, jetzt haßten
und verachteten um Melwig's willen.
„Das Spiel ist verloren", murmelte er
dumpf, „und diese fürchterliche Niederlage
habe ich Dir zu danken, Vater! — Warum
hast Du mir das in Deiner Sterbestunde
angethan? —"
Er stöhnte, wie -in auf den Tod ver
wundetes Thier, weil er an die volle Liebe
des Vaters geglaubt und schließlich den
letzten Brief, der bei Paulsen nicht gefun
den worden war, für ein Product seiner
eigenen Einbildung gehalten hatte.
John Alting war ein so großer Egoist,
daß er den Stiefbruder bei feinem be
trügerischen Spiel niemals in Betracht ge
zogen, nie mit ihm gerechnet hatte. In seiner
souverainen Selbstsucht hatte er den Vater
für sich allein beansprucht und es gar nicht
für möglich gehalten, daß dieser zuletzt so
schwach noch werden konnte, jenes Sohnes
zu gedenken, dessen Mutter das Unglück
seines Lebens geworden war, wie er seinem
Liebling Hans Joachim so oft versichert hatte.
Und nun konnte dieser von seiner Geburt
an verstoßene Sohn ihn aus einem reichen
Besitz vertreiben, ihn als Betrüger brand
marken.
Wie er den Stiefbruder haßte, der ihm
selbst die letzte Erinnerung an den Vater
vergiftet hatte und nun gekommen war, ihm
jede Aussicht zu rauben, vielleicht auch die
aus Ebba Reginas Besitz. Weshalb hatte
er gerade heute die Waffe daheim gelassen?
Langsam tastete er sich zu dem Pferde
zurück, das sich bereits durch ungeduldiges
Scharren bemerkbar machte, löste den Zügel
und führte cs auf den Fahrweg zurück
Dann schwang er sich in den Sattel und
überließ cs dem klugen Thier, das diesen
Weg schon oft im Dunkel zurückgelegt hatte,
sich zurecht zu finden. Diese Vorsicht ent
sprach jedoch nicht seiner Ueberlegung, sondern
einzig einer lähmenden Zerstreutheit, die sich
seiner plötzlich bemächtigt hatte und ihn
augenblicklich in eine Art hypnotischer Be
täubung versetzte.
Langsam, ohne auf das Pferd zu achten,
hatte er die Landstraße erreicht, und dachte
auch jetzt noch nicht daran, cs in eine sämellere
Gangart zu bringen. Mit sicherem Instinct,
bald in den heimischen -Stall zu kommen,
und der sonderbaren Ruhe seines Reiters
nicht trauend, setzte das kluge Thier sich
endlich aus freier Entschließung in einen
kurzen Trab und wieherte freudig auf, als
der Schloßhof erreicht war und sein Reiter
es ohne irgend welche Mißhandlung ver
lassen hatte.
John Alting ging, den Diener gebieterisch
abwinkend, auf sein Thurmzimmer. Er be
merkte es in seiner sonderbaren Gemüths
verfassung nicht, daß dieser ihm eine sonder
bare Meldung machen wollte, mit der er
nun, aus Furcht, unversehens einen Peitschen
hieb zu empfangen, sich scheu zurückzog. Auf
der Schwelle des Thurmzimmers stehend,
stutzte der Heimgekehrte, daß die Lampe auf
den, vor dem Sopha befindlichen Tische
bereits brannte, noch mehr aber darüber,
daß der Tisch wie zu einem Empfange ge
deckt worden war, und daß mehrere Wein
flaschen bereits angebrochen zu sein schienen.
«Zum Henker, was hat denn dieser Spuk
zu bedeuten?" stieß er zornig hervor, rasch
eintretend und die Thür hinter sich zuziehend.
„Nichts für ungut, olck boy“, tönte eine
Stimme von der Kammer her, aus welcher
Joe Catton hervortrat. „Ich mußte mit
Euch sprechen, und suchte Euch natürlich hier
auf. — War's nicht hübsch von mir, Euch
mit einem gedeckten Tisch zu empfangen?"
„Weder hübsch noch klug, sollte ich meinen",
erwiderte Alting, Hut und Reitpeitsche in
einen Winkel schleudernd und sich dann wie
erschlafft auf's Sopha niederlassend. „Wes
halb seid Ihr nicht nach Lindenhagen ge
kommen, wo ich bis Dunkelwerden auf Euch
gewartet habe?"
Joe Catton näherte sich dem Tisch und
zog sich einen Sessel heran. Dann be-
trachtete er aufmerksam den vor ihm Sitzen
den.
„Bei meiner Ehre, — John Alting, —
und ich denke, der Schwur gilt was
Ihr seht ja aus, als hättet Ihr irgend ein
Gespenst gesehen!"
„Wird wohl so etwas gewesen sein", er
widerte Alting halblaut, „thut mir denGc-
fallen, und sprecht leise, olck boy, cs braucht
das Gesindel hier nicht zu wiffen, daß es
mit meiner Herrschaft zu Ende geht."
„Aha, das wißt Ihr also schon genau?"
Joe Catton machte sich bei dieser Frage
über das Rührei und den delikaten Sckinken
her, öffnete eine Weinflasche und füllte die
Gläser.
„Eurer Lady!" sagte er, sein Glas er
hebend und mit einem Zuge leerend.
Alting erhob hastig das seine und stürzte
den Wein schweigend hinunter.
Was habt Ihr denn eigentlich so Wichtiges
mitzutheilen?" begann er dann, nervös mit
seinem Messer spielend. „Ihr mußtet Euch
doch sagen, daß Ihr mich durch Euer unver
schämtes Auftreten hier im Schlöffe bei der
ganzen Dienerschaft herabsetzt, mir den Re
spekt raubtet —"
„Well, Sir, hätt' ich auch sonst nicht
gewagt", fiel Joe, mit beiden Backen kauend,
kaltblütig ein, „kalkulirte aber, daß ich Euch
hier am sichersten treffen konnte, und daß
ich mich wenigstens poch» einmal bei Euch
zu Gaste laden durfte,?» weit die Herrlichkeit
morgen schon aus seinï-wird. Was scheert
uns denn da noch das Bedicntenpack?"
„Erzählt vernünftig!" befahl Alting kurz.
„Well, Sir! — Hab' mich den ganzen
Tag beim Forsthausc Herumgetrieben und
mich sogar mit meinem Feinde, dem bissigen
Köter, angefreundet. Nebenbei gesagt, der
einzige unter den vierbeinigen Wächtern, der
in mir den Fuchs witterte. Na, Ihr wißt,
ich versteh' mich auf die Hundedressur, diese
Feinde sind mir nicht gefährlich. — H^tz'
den Barbier abgefangen, der ganz aufgebläht
war von seiner Kunst und frech behauptete
er allein habe den alten Herrn gerettet." '
„Mein Onkel bleibt also am Leben?"
fragte Alting mit heişerer Stimme.
'şŗ b ' e Krisis glücklich überstanden
Ģ bei vollem Bewußtsein. Na, freut
Jhr Euch nicht, edler John?" .
Dieser höh die geballte Faust zähne
knirschend empor, ließ sie dann aber kraftlos
sinken und stieß nur die Worte hervor:
«Ihr seid ein erbärmlicher Schütze, Joe
Catton!"
„Freilich, Ihr hattet es daheim bequem",
erwiderte Catton spöttisch lackend, „der Riß,