Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 2)

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Großes Aussehen erregt in Newyork 
die Nachricht von dem plötzlichen Ver 
schwinden einer reichen jungen Dame, 
Namens Miß Addie Philips, die bei ihrem 
Onkel in Massachusetts lebte. Die unter 
nehmende Dame war nämlich mit dem 
Kutscher des Hauses, mit dem sie schon 
lange eine geheime Liebschast verband, 
durchgegangen. Wie nun gemeldet wird, 
hat sich das Paar in aller Stille trauen 
lassen. Miß Philips ist eine Schönheit 
von 18 Jahren. Ihre Familie gehört zu 
den angesehensten des Landes. Der 
Kutscher Ben Kennedy ist ein junger Ire 
von 26 Jahren und sehr niedriger Ab 
stammung. Nach der Trauung begaben 
sich die Neuvermählten zu ihrem Onkel, 
der Kennedy sofort davonjagte. Er ver 
suchte seine Nichte von ihrem Gatten ab 
zuschließen, aber sie entkam und das Paar 
reiste zusammen ab. Das Vermögen der 
jungen Frau beläuft sich auf 7 Millionen 
Dollars. Es wird von ihrem Onkel ver 
waltet, der beabsichtigt, sie, sobald sie die 
Mündigkeit erreicht haben wird, unter 
Kuratell stellen zu lassen. Kennedy ist arm 
und hat eine Anzahl von Verwandten zu 
unterstützen. 
Frankreich. 
Paris, 26. Juli. In einer offenbar 
von der französischen Regierung inspirirten 
Note erklärt der Pariser „Matin": 
Kaiser Wilhelm 'müsse es verstehen 
und verstehe es, daß kein deutscher 
Kaiser hoffen dürfe, einen zuvorkommen 
den, freundschaftlichen und von Protesten 
jeder Art freien Empfang in Frankreich 
zu finden, wofern nicht vorher gewisse 
Fragen, die er nicht einmal erörtern wolle, 
gelöst würden. Weiter besagt die Note 
wörtlich: „Alles Entgegenkommen (avances), 
welches er zeigt, alle Telegramme, die er 
bei besonders schmerzlichen Anlässen oder 
nach Aussehen erregenden Begegnungen 
an unsere Regierenden richtet, haben zum 
alleinigen Ziel die Erleichterung der 
Unterhandlungen in solchen Fragen, in 
denen die Interessen beider Länder mit 
Nutzen gemeinsam vertreten werden 
können. Weiter nichts I Wilhelm 11. wäre 
nicht der gut berathene Mann, als den 
wir ihn kennen gelernt haben, wenn er 
durch höfliche Worte unmögliche Herzlich 
keiten oder demüthigende Entsagungen zu 
erlangen hoffte. Nein, gewiß, er wird 
nicht nach Frankreich kommen. 
Paris, 25. Juli. Aus Rennes wird 
gemeldet, der Regierungskommissar werde 
alle von Anfang an in die Dreyfus-Sache 
verwickelten Personen vorladen, darunter 
neben den fünf ehemaligen Kriegsministern 
die Wittwe Henry's. Esterhazy ist als 
Zeuge ebenfalls geladen und _ erhält für 
die ganze Dauer des Prozesses sicheres 
Geleit. — Kriegsminister Gallifet verhängte 
einen 2monatlichen strengen Arrest über 
den Hauptmann Guyot-Villeneuve. 
Belgien. 
Der Cirkus Renz ist nun endgültig 
vom Schauplatz verschwunden. Am Dienstag 
fand in Brüssel die öffentliche Versteigerung 
des gesammten Inventars und der Requisiten 
statt. Hunderte in der hohen Schule und 
in Freiheit dressirte, zumeist edle und 
werthvolle Pferde, reiche Kostüme und 
Livreen aller Art, sowie ganze Berge von 
Material zu den großen Ausstattungsstücken, 
die man bei Renz in den letzten Jahren 
zu sehen bekommen hat, befanden sich 
darunter. Das luxuriöse Material wurde 
zu niedrigen Preisen angekauft. Der 
letzte Direktor, Ernst Renz, ein Enkel des 
macht hatte, und so rasch als möglich ein 
Arzt her. Sorgen Sie für eine Bahre, 
Herr Förster!" 
Dieser nickte und entfernte sich so eilig, 
als möglich, während der Notar niederkniete 
und mit seinem Taschentuch das unaufhaltsam 
hervorquellende Blut zu stillen suchte. 
Jetzt kam auch wieder Leben in die Ge 
sellschaft. Von allen Seiten kam man dem 
Notar mit Taschentüchern zu Hülfe, während 
der Jägerbursche schon unterwegs war nach 
dem Barbier, dem einzigen Heilbeflissenen 
in der Nähe. Leider war dem Burschen 
nicht eingeschärft worden, den Unfall zu ver 
schweigen, zumal der Barbier einen Wagen 
vom Schlosse nehmen sollte, um rasch nach 
dem Forsthause zu kommen, da die Jagd 
wagen zurückgeschickt worden waren. 
Die Nachricht verbreitete sich blitzschnell 
und erregte unter der Dienerschaft einen 
nahezu betäubenden Schrecken. Natürlich 
mußte auch die Baronesse davon erfahren, 
und obwohl sie im ersten Augenblick buch 
stäblich gelähmt davon war, so gab doch die 
nächste Minute ihr die F- ssung zurück. Der 
Wirtschafterin die nöthigen Anordnungen 
ertheilend, beschloß sie sofort, selber mit hin 
aus zu fahren, um den Transport des Ver 
letzten nach dem Schlosse zu überwachen. 
Wie von einem gcheimnißvollen Instinct 
geleitet, verschloß sie das Kabinet, welches 
durch jene Tapetenthür zum Zimmer des 
Vaters führte, und steckte den Schlüssel zu 
sich. 
Mit der kleinen Hausapotheke, die sie 
nebst einem Bündel Verbandleinen und Watte 
in den Wagen bringen ließ, und dem Barbier, 
der sich neben den Kutscher gesetzt hatte, 
fuhr Ellen im schnellsten Trabe davon. 
(Fortsetzung folgt.) 
„Altmeisters", war das Opfer von Geld- 
gebern geworden, die ihn systematisch aus 
zubeuten verstanden. Er verliert sein 
Erbtheil von l’/ 2 Millionen Mark und 
ist außerdem unter Kuratel gestellt worden. 
England. 
Englische Blätter melden die Verlobung 
der Hon. Evelina Rothschild, einzigen 
Tochter von Lord Rothschild, Nichte des 
Carl of Salisbury und der Herzöge von 
Grammont und Wagram, mit Mr. Clive 
Behrens, Leutnant in der königlichen reiten 
den Artillerie. Der Vater des Bräutigams, 
Mr. Edward Behrens, gehört dem be 
kannten S. L. Behrens & Co. an, dem 
Stammhaus der Hamburger Bankfirma 
L. Behrens & Söhne. Er ist, wie die 
„Times" hervorheben, einer der „fürstlichen 
Kaufleute von Manchester" und die Familie 
Behrens einer der ersten Familien dieser 
Stadt. Dem jungen Paare werden von 
den beiderseitigen Vätern je 500 000 Lstrl., 
d. h. also die Kleinigkeit von 20 Millionen 
Mark, „gesettled", womit allenfalls auch 
ein britischer Artilleric-Leutnant, der zu 
den stolzesten Namen des Vereinigten 
Königreichs, in verwandtschaftliche Be 
ziehungen tritt, durchkommen kann. 
JttlMtd. 
Berlin, 25. Juli. Nach der „Augsb. 
Abendztg." ließ der Reichskanzler einen 
Bericht über die Augsburger Tumulte 
einfordern. 
— Zur Psychologie der Exa 
mina veröffentlicht die soeben erschienene 
Nummer der „Zeitschrift für Schulgesund- 
heiispflege" interessante Ausführungen: 
Da es sich beim Prüfen nur um die Sym 
bole der Dinge, um Worte handelt, so 
liegt hier der tiefste Grund für den Cultus 
des Wortwissens, für jenes öde Geschäft 
des Dressirens, Einpaukens usw., das nur 
ein Glied in dem großen System von 
Täuschungen ist, dessen Mittelpunkt das 
Examen bildet und bei dem Lehrer und 
Schüler, Prüfungsbehörden und Publikum 
gleichermaßen mitwirken. An die Stelle 
des Unterrichtszieles ist das Prüfungsziel 
getreten, man erstrebt nicht den Werth, 
sondern das Werihzeichen, die Note. Viel 
chlimmer noch sind die inneren Wirkungen 
der Examina, insofern sie die Besorgniß, 
die Angst die Furcht vor der drohenden 
Abrechnung hervorrufen, die sich, je nach 
der Individualität, bei den einzelnen 
Schülern in verschiedener Form und in 
verschiedenem Grade äußern. Aengstliche 
Gemüther leiden an einer permanenten 
Unruhe, die sie ihres Lebens nicht froh 
werden läßt. Der pessimistisch angelegte 
Schüler malt sich sein Mißgeschick in den 
schwärzesten Farben; der Leichtsinnige hofft 
auf die Gunst des Glücks; der Faullenzer 
trifft erst in letzter Stunde Vorkehrungen 
für die ungestörte Benutzung unerlaubter 
Hülfsmittel und der ehrgeizige Streber 
bietet das Aeußerste aus, um die erste 
Note zu erlangen und in ihr Entschädi 
gung zu finden für die ihretwegen geleistete 
Arbeit. Indem endlich das moderne 
Prüfungswesen der Selbsttäuschung über 
den Stand der eigenen Bildung Vorschub 
leistet, trägt es zur Erziehung oberflächlicher 
Menschen bei und sördert Einbildung, 
Eitelkeit und Selbstverherrlichung." 
Eine niedliche Geschichte hat sich 
kürzlich in Moabit bei Berlin zugetragen. 
Ein dortiger Restaurateur ist seit längerer 
Zeit bemüht, sein Geschäft zu verkaufen. 
Kürzlich meldete sich ein in Friedenau 
wohnender, anscheinend zahlungsfähiger 
Käufer, welcher an einem bestimmten Nach 
mittage sein Erscheinen zusagte, um das 
Geschäft zu besichtigen. Der Reflektant 
erschien auch, und da er dem Restaurateur 
nicht persönlich bekannt war, wurde sein 
Erscheinen nicht beachtet. Bescheiden nahm 
er an der Thür Platz; von hier aus konnte 
er den Gang des Geschäftes am besten 
beobachten. Er war erstaunt über die 
große Zahl der Gäste, der Kellner hatte 
alle Hände voll zu thun, um sie zu be- 
dienen. Ungefähr eine Stunde mochte er 
dort unbeobachtet gesessen haben, als einer 
der Gäste, der ihm bis dahin den Rücken 
zugewendet hatte, sich erhob, um auszu 
treten. Hierbei bekam er den an der 
Thür Sitzenden zu Gesicht. Er faßte ihn 
schärfer ins Auge, ging dann auf ihn zu 
und begrüßte ihn als einen alten Bekannten, 
woran er die Frage knüpfte, was er in 
in Moabit zu thun habe. Der Gefragte 
erwiderte ausweichend und gab seiner Ver 
wunderung darüber Ausdruck, daß sein 
Bekannter, der außerdem noch etwas mit 
ihm „verwandt" war, sich schon bei Tages 
zeit in lustiger Gesellschaft befinde. „Die 
Sache hat ihren Haken" — lautete die 
im leisen Flüsterton ertheilte Antwort — 
„der Budiker hier will sein Geschäft ver 
kaufen, heute soll der Käufer kommen und 
nun sind wir alle eingeladen, damit die 
Bude auch ordentlich voll ist. Setzen Sie 
sich nur bei uns an den Tisch, Sie haben 
völlig freie Zeche und auch sauren Aal 
dabei." Dem Friedenauer Herrn ging 
ein Licht auf. Ein verständnißvolles 
Lächeln ging über seine Züge. Er erklärte, 
an dem Stammtisch Platz nehmen zu wollen, 
es wäre ihm aber lieb, wenn er unter 
dem Namen „Meier" vorgestellt würde. 
Dies geschah denn auch. Dem angeblichen 
Herrn Meier schmeckten Aal wie Getränke 
vorzüglich, er bedankte sich dann bei dem 
Wirth für die ihm bewiesene Freundlich 
keit und entfernte sich darauf, ohne bezahlt 
zu haben. Am folgenden Tage erhielt 
der Wirth einen Brief aus Friedenau. Sein 
Aal sei gut, das Bier vorzüglich gewesen, 
bei der Brauerei solle er nur bleiben. 
Von einem Kauf des Geschäftes war nicht 
mehr die Rede. 
Ueberaus hohe Preise für Grundbesi tz 
werden der Stadt Schöneberg bei Berlin 
abverlangt, die dadurch in eine schwierige 
Lage geräth. Zur Zeit ist man auf der 
Suche nach einem etwa 15 Morgen großen 
Terrain zur Erbauung des nach dem 
Ausscheiden aus dem Kreis dringend 
nöthigen Krankenhauses. Dabei hat sich 
ergeben, daß halbwegs geeignete Terrains 
nicht unter 600 Mk. die Quadratruthe 
oder 100 000 Mk. der Morgen zu er 
halten find; allein der Grunderwerb für 
das Krankenhaus würde somit 1 '/2 Milli - 
onen Mark erfordern. 
Der Konflikt zwischen dem Ober- 
präsidenten von Ostpreußen, Grafen Wil 
helm Bismarck und dem Königsberger 
Oberbürgermeister Hofmann 
scheint beigelegt zu sein. Wie aus Königs- 
berg berichtet wird, lud Gras Bismarck 
den Oberbürgermeister Hofmann ein, dem 
Komitee zur Erbauung einer Königin 
Luise > Gedächtnißkirche beizutreten. Der 
Letztere nahm die Einladung an. 
Köln, 25. Juli. Ueber die Folgen des 
gestern Abend am Mittelrhein, im Eifel 
gebiet und in Westfalen niedergegangenen 
chweren Gewitters treffen fort 
gesetzt weitere Hiobsposten ein. In der 
Eifel sausten furchtbar schwere Eisstücke 
auf die Fluren nieder, auf weite Strecken 
die Ernte völlig vernichtend. Bei Schle 
busch wurden auf freiem Felde drei Per 
sonen vom Blitz getroffen und gelähmt. 
Bei Bielefeld sind mehrere große Bauern 
güter in Folge Blitzschlages abgebrannt 
und zahlreiche Pferde und Kühe um 
gekommen. 
Leipzig, 24. Juli. Eine von den 
Anarchisten einberufene Versammlung, 
in welcher die Studentin Fanny I r m 0 
aus Berlin über die Aufgaben der Gewerk 
schaften sprechen wollte, wurde auf Grund 
des A 5 des sächsischen Vereins- und 
Versammlungsrechts verboten. 
Leipzig, 24. Juli. In dem Dorfe 
Nempitz bei Lützen erschlug die Ehefrau 
eines Schachtarbeiters in der Nacht ihren 
schlafenden Mann, indem sie ihm mit 
einem Beil den Schädel spaltete. Nach 
der schauerlichen That legte sich die 
Frau zu der Leiche, wo sie noch 
bis zum Morgen schlief. Dann stellte sie 
sich selbst der Ortsbehörde. Die Motive 
dieser Blutthat sind noch in räthselhaftes 
Dunkel gehüllt. 
Einen weisen Ausspruch leistete 
sich kürzlich ein Dorfältester in einer nahe 
bei Rothenburg a. T. belegenen Gemeinde. 
Dort wurde in der Gemeinderathssitzung 
vor einiger Zeit darüber gesprochen, daß 
vom Bezirksamt ein Auftrag ergangen sei, 
im Orte einen Sammelteich anzulegen, 
damit man im Falle eines Brandunglücks 
nicht an Wassermangel leide. Einer der 
Dorfältesten bemerkte hierzu: „Dös is 
ganz unnöthi, dös Geld kann ma erspar'n, 
mer därf nor a poor Tog vorher den 
Bach stemma (aufstauen)!" 
Elberfeld, 25. Juli. Die Stadtver- 
ordnetenversammlung lehnte einstimmig, 
wie die „Elberfelder Zeitung" meldet, die 
Vereinigung der Städte Elberfeld 
und Barmen ab, erachtete es jedoch für 
ersprießlich, wenn alle gemeinsamen und 
gleichartigen Interessen in einer festen 
Kommission unter abwechselndem Vorsitz 
beider Oberbürgermeister berathen würden. 
Ein schlimmer polizeilicher 
Mißgriff erregt in Koblenz großes 
Aussehen. Ein Geschäftsreisender, der 
schon mehrfach dort weilte und im Hotel 
Monopol gut bekannt war, kaufte sich 
aus dem Wege zur Bahn einige Cigarren 
in einem Geschäft am Entenpfuhl. In 
der Löhnstraße wurde Plötzlich der 
Reisende mit den Worten: „Sie haben 
mein Portemonnaie gestohlen! 
von dem Cigarrenhändler angehalten; 
großer Menschenauflauf und Mitgehen 
zur Polizeiwache waren das Nächste. Ob 
wohl dort der Reisende dem Polizei 
kommissar Knoop seine Unschuld beweisen 
konnte und Kaution in jeder Höhe an 
bot, ferner der Cigarrenhändler erklärte, 
er könne das Portemonnaie verloren 
haben, wurde er nach dem Gefängniß 
abgeführt. Wie es dem „Diebe" dort 
erging, erzählt er in der „Kobl. Volkrztg." 
wie folgt: „Trotzdem ich den betreffenden 
Aufseher Wunz ausdrücklich darauf auf 
merksam machte, daß ich Untersuchungs- 
gefangener sei und ihn dringend bat, mir 
für mein Geld Speisen zu beschaffen, da 
ich seit Vormittags 10 Uhr nichts ge 
gessen hätte, wurde ich mit den Worten: 
„Heute giebt's nichts mehr!" barsch ab 
gewiesen. Später bekam ich einen Krug 
Wassern ndeinStückSchwarz- 
b r 0 t. Am nächsten Morgen wurde ich 
aus der Zelle geholt und in einen Wasch 
raum geführt, dort mußte ich mich in 
Gegenwart anderer ganz jugendlicher Ge 
fangener gänzlich entkleiden und bekam, 
trotzdem ich am ganzen Körper peinlichst 
sauber war, eine kalte Douche. In 
zwischen durchwühlte der Aufseher Wunz 
nochmals meine Kleider, nahm die noch 
darin befindlichen Prioatbriefe an sich 
und las diese. Erst auf meinen Ein 
wand, daß dies Privatbriefe seien, gab 
er mir meine Briefe zurück. Eine Karte 
mit Ansicht, für die er besonderes Inter 
esse zeigte, behielt er zurück. Meine 
Kleider ließ er schonungslos mit einem 
Strick in ein Bündel zusammenschnüren 
und übergab mir dann eine in schlechtem 
Zustande befindliche Gefängnißkleidung; 
nicht einmal mein Taschentuch, Hemd 
oder Strümpfe durfte ich behalten. An 
der mir übergebenen Kleidung fehlten 
Knöpfe, die ich mir selbst annähen 
mußte; für den Geruch der Kleidung 
finde ich keine Worte. Auch bekam ich 
ein Paar alte Schuhe und später brachte 
mir der Wärter Wichszeug in die Zelle 
mit den Worten: „So, nun putz mal 
Deine Schuhe, mach aber, daß Du fertig 
wirst, vorwärts, vorwärts" rc. Der Auf- 
jeher sagte unter vier Augen nur Du zu 
mir. Später wurde ich dem Herrn Ge 
fängnißdirektor vorgeführt und bekam auf 
Wunsch meine eigenen Kleider zurück. 
Kurz vor 12 Uhr wurde ich dem Herrn 
Untersuchungsrichter vorgeführt und durch 
diesen, nachdem ich als unbescholtener 
junger Mann aus bester Familie 17 
Stunden ohne jeden Grund 
meiner Freiheit und hinter Kerker- 
mauern die oben geschilderte Behandlung 
des Aufsehers Wunz ertragen mußte, 
entlassen." Wenige Minuten später 
meldete der Cigarrenhändler Z-, daß er 
sein Portemonnaie in eine Cigarrenkiste 
verlegt und jetzt gefunden habe. 
. K i l d e s h e i m, 25. Juli. Ein ver 
heerendes Unwetter ging über 
unsere Stadt und verursachte trotz der ver- 
hältnißmäßig kurzen Dauer von kaum einer 
halben Stunde unermeßlichen Schaden. 
Gegen Zwei Uhr entluden sich hier unter 
wokkenbruchartigem Regen, verbunden mit 
orkanartigem Sturm, mehrere Gewitter; 
die Telegraphendrähte wurden theilweise 
zerstört, Baume wurden ihrer Kronen be 
raubt, theilweise sogar entwurzelt, Dachzie 
gel wurden von den Dächern herunterge 
schleudert, die Straßen unter Wasser gesetzt, 
da die Kanaleinfalllöcher die kolossalen Was 
sermengen nicht so schnell aufzunehmen ver 
mochten. Am schlimmsten wüthete das 
Wetter jedoch auf der Schützenwiese, wo von 
drei Uhr an der Schluß unseres Volks 
festes gefeiert werden sollten. Der 24 Mor 
gen große Platz glich im Nu einein großen 
See, drei große Restaurations- und Tanz 
zelte, eine Singspielhalle und eine Blumen- 
Verkaufsbude brachen z u s a m men, 
Lampen, Gläser, Küchengeschirr usw. usw. 
unter sich begrabend und vollständig de-- 
mvlirend. Das Wasser konnte glücklicher 
weise bald wieder entfernt werden, jedoch 
gelang es den Zeltbesitzern nicht, die zer 
störten Einrichtungen auch nur enngerma- 
ßen wieder zu ersetzen. Der dadurch entstan 
dene Schade;: beziffert sich auf Tausende. 
— Aus allen Ortschaften Südhannovers 
kommen Hiobsposten; der Blitz hat allent 
halben eingeschlagen, in G ö t t i n g e n 
allein an elf Stellen, zum 
Glück ohite Menschenleben zu vernichten. 
Welchen Schaden der Hagel auf dem Lande 
angerichtet hat, ist noch nicht zu übersehen. 
Die Hagelstücke hatten theilweise die Stärke 
von kleinen Hühnereiern. 
Hamburg, 25 Juli. Der seit langem 
drohende Streik der Bauhandwerker nimmt 
jetzt greifbare Gestalt an. Eine Berfamm 
lung der Zimmerleute, die von mehr als 
1000 Personen besucht war, beschloß die 
allgemeine Arbeitseinstellung 
falls die Unternehmer nicht bis 1. August 
die neunstündige Arbeitszeit und 7 0 P f. 
Stundenlohn bewilligen. Die Mau- 
werden voraussichtlich nachfolgen. 
rer 
Die Zimmerer warnen bereits vor dem 
Zuzug nach Hamburg. — Die Baukosten 
werden neben den hohen Grundstückpreisen 
schließlich so erheblich, daß es Thorheit 
genannt werden muß, wenn Kapitalisten 
ihr Geld in Neubauten stecken. Andererseits 
erhöhen sich die Miethspreise derart, daß 
sie für nicht sehr große Geschäftshäuser 
in der Mitte der Stadt fast unerschwing 
lich werden. 
Hamburg, 21. Juli. Innerhalb der 
socialdemokratischen Parrei 
macht sich in der letzten Zeit eine gewisse 
Opposition gegen die obere Leitung und 
deren Terrorismus bemerkbar, wie dies 
in der letzten Versammlung der Han 
dels- und Verkehrsarbe i t er 
klar zu Tage trat. Es kam zu heftigen 
Angriffen gegen das hiesige Gewerkschasts- 
kartell und gegen die Generalkommission. 
Es wurde beiden Leitungen in einer Re 
solution zum Vorwurf gemacht, daß vre 
letzte Abrechnung wieder mit einem Defizit 
von 3000 Mark abschließe, daß man mit 
einem viel zu großen Beamtenapvarat in 
den oberen Regionen arbeite und „mit 
niedagewesener Leichtfertigkeit wirthschafte." 
Es würden Beamte angestellt, die längst 
als unbefähigt bekannt seien rc. 
OrsvinzieKes. 
Schleswig-Holstein, 25. Juli. Seitdem 
die Entscheidung des Oberverwaltungs- 
gerichts in dem Spezialfall der Eckern- 
sörder Censuserhöhung gefallen ist, ist in 
die städtischen und staatlichen Behörden 
Schleswig-Holsteins eine lebhafte Be 
wegung gekommen und augenscheinlich 
wird bas Ziel verfolgt, diese Ober- 
verwaltungSgerilytsentscheidung, wenn 
irgend möglich, wieder rückgängig zu 
machen. Die Miquel-ofstziösen „Berl. 
Pol. Nachr." schrieben schon vor einiger 
Zeit: „es sei zweifelhaft, ob bei er 
neuter Prüfung der Sache in 
einem anderen Streitfälle der höchste 
Berwaltungsgerichtshof zu einer anderen 
Auffassung kommen würde, fügten aber 
hinzu, „es sei zu bedauern, daß das 
Oberverwaltungsgericht mit der überein 
stimmenden Rechtsauffaffung der Ge 
meinde- und provinziellen Staatsaufsichts 
organe gebrochen hat. Die Preisgabe 
städtischer Gemeindevertretungen Schleswig- 
Holsteins an die Sozialdemokratie wäre 
vom staatserhaltenden Standpunkte ein 
schweres Uebel und erforderlichen Falls 
würde die Gesetzgebung zur Abänderung 
in Anspruch zu nehmen sein." An der 
Spitze derjenigen Städte, die eine neue 
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts 
provoziren wollen — die bei einer 
anderen Zusammensetzung des Gerichts- 
Hofes auch anders ausfallen kann, marfchirt 
Kiel. Die Stadtverordneten haben zwar 
noch nicht zu der Frage der Census- 
erhöhung Stellung genommen, sie haben 
ja bis zum 15. August, wo ihre Ent 
scheidung laut Städteordnung wie überall 
in der Provinz fallen muß, Zeit, sie 
haben erst das Rechts-Gutachten ihres 
Oberbürgermeisters Fuß abwarten wollen. 
Aber nach den Nachrichten, die dem 
„Holst. Cour." aus Kiel zugingen, steht 
heute schon fest, daß es zu einem neuen 
Prozeß in Kiel und vermuthlich auch in 
anderen Städten unserer Provinz um die 
Rechtsgültigkeit der nach dem 1. April 
1892 vorgenommenen Wahlcenfnser- 
höhungen kommt. Erklären die Kieler 
Stadtverordneten auf Grund des Eckern- 
förder Erkenntnisses das Verlangen Der 
jenigen, die für ein Einkommen von 
660 Mk. Steuern bezahlen, in die 
Bürgerrolle aufgenommen zu werden, für 
berechtigt, dann wird der Magistrat 
Einspruch erheben, weigern sie sich 
dessen, dann erheben die ausgeschlossenen 
Wähler Einspruch. Zu einem neuen 
Prozeß kommt es alle Fälle und in 
anderen Städten der -Provinz wird sich 
der Vorgang ganz ähnlich abfpielen. 
Einer „anderen Auffassung des höchsten 
Verwaltungsgerichtshofes" die Wege zu 
ebnen, dazu ist das Fuß'sche Rechts 
gutachten bestimmt. 
Der streitige A 77 dieses Gesetzes hat 
3 Absätze mit folgendem Wortlaut: 
„Soweit nach den bestehenden Be 
stimmungen in Stadt- und Land 
gemeinden das Bürgerrecht bezw. das 
Stimm- und Wahlrecht in Gemeinde 
angelegenheiten an die Bedingung 
eines jährlichen Klassensteuerbetrages 
von 6 Mk. geknüpft ist, tritt bis zur 
anderweitigen gesetzlichen Regelung des 
Gemeindewahlrechts an die Stelle des 
genannten Satzes der Steuersatz von 
4 Mk. bezw. ein Einkommen von mehr 
als 660 bis 900 Mk. 
In denjenigen Landestheilen, in 
welchen für die Gemeindevertreter 
wahlen die Wähler nach den von ihnen 
zu entrichtenden direkten Steuern in 
Abtheilungen getheilt werden, tritt an 
Stelle eines 6 Mk. Einkommensteuer 
übersteigenden Steuersatzes, an welchen 
durch Ortsstatut das Wahlrecht ge 
knüpft wird, der Steuersatz von 6 Mk. 
Wo solche Ortsstatuten nach be 
stehenden Kommunalordnungen zulässig 
sind, kann das Wahlrecht von einem 
niedrigeren Steuersätze bezw. von einem 
Einkommen bis 900 Mk. abhängig ge 
macht werden. Eine Erhöhung ist 
nicht zulässig." 
Die Streitfrage »st- ob der Absatz 3 
sich nur, wie Absatz 2, auf die Rhein 
provinz bezieht, als den einzigen Landes 
theil mit Abtheilungswahlen, in welchem 
nach seiner Städte-Ordnung eine orts 
statuarische Erhöhung des Wahlcensus zu 
lässig ist, oder auch auf Schleswig-Holstein. 
Die Beweisführung des Oberbürger 
meisters Fuß geht nun dahin, daß durch 
die Verhandlungen im Abgeordneten- und 
Herrenhause klargestellt sei, daß bei der 
Bestimmung in Absatz 3 an Schleswig- 
Holstein durchaus nicht gedacht sei. 
Im „Vorwärts" werden die Social 
demokraten in Schleswig - Holstein auf 
gefordert, soweit sie zu mehr als 900 Mk. 
Einkommen eingeschätzt sind, massen 
haft ihre Eintragung in die Wähler 
listen nachzusuchen und die eventuelle Nicht- 
aufnähme im verwaltungsgerichtlichen Ver 
fahren anznfechten. 
^ Das letzte Gewitter richtete auch in 
Schleswig-Holstein vielfachen Schaden an- 
Jn Arpsdorf zersplitterte am Montag 
der Blitz einen bei dem Haufe des Land 
mannes Hellenberg stehenden großen Bauin- 
Die Splitter flogen bis zu 50 Meter wel 
Hagel 
Wodur 
wurde 
Hogel 
entzür 
nend! 
getrost 
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Johar 
Auch 
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