der dabeistehenden Frauen in die Arms
und fuhr dem entlarvten Don Juan mit
beiden Händen so nachdrücklich ins Ge
sicht, daß der dreifache Bräutigam in das
Haus flüchten mußte. Die Situation
wurde jetzt gefährlich, denn aus der Nach
barschaft hatten sich etwa 30 bis 40
Frauen eingesunden, die den Handlungs
reisenden durchaus aus dem Hause holen
wollten, und dem kampfesmuthigen Funkeln
der Augen sah man es an, was dem Be
drängten bevorstand. Der Verwalter des
Hauses hatte jedoch die Thür geschlossen
und polizeiliche Hilfe herbeigeholt. Es
erschienen 2 Schutzleute, denen es nur
mit Mühe gelang, vie aufgeregten
Frauen zu zerstreuen. Sodann nahmen
sie den jetzt sehr geknickt aussehenden
Bräutigam in die Mitte und geleiteten
ihn zum nächsten Droschkenhalteplatz, von
wo er schleunigst davonfuhr. Die eigent
liche Braut, Fräulein 11., war mitsammt
den Trauzeugen nach Hause gefahren.
Bon .der Dreistigkeit des Handlungs
reisenden legt übrigens der Umstand Zeug
niß ab, daß er am Nachmittag bei dem
Vater des Fräulein U. erschien, um eine
„Verständigung" in die Wege zu leiten.
Herr U. verständigte ihn aber nur davon,
daß er die Treppe hinunter ge
worfen würde, wenn er nicht schleuuigst
das Haus verließe.
Als die Stadt Berlin als Patron der
Schule im Vorort Großbeeren vor Kurzem
einen Lehrer für 750 Jl Gehalt suchte,
ist die Meinung geäußert worden, daß es
sich wohl um einen Ausnahmefall unter
besondern Umständen handeln müsse. Diese
Meinung ist irrig; sie wird durch die That-
mche widerlegt, daß die Deputation für die
tädtischen Rieselfelder für die unter
tädtischem Patronat stehende Schule in
Ruhlsdorf wiederum einen zweiten Lehrer
gegen ein baares Einkommen von 750 „H.
licht. Als Zulage ist freie Wohnung für
einen Unverheiratheten und freie Heizung
in Aussicht gestellt; ob Umzugskosten ge
währt werden, bleibt späterer Ent
scheidung vorbehalten. Wir
wollen durch zusätzliche Bemerkungen die
Wirkung dieser Thatsache nicht abschwächen,
möchten aber doch noch besonders auf die
„spätere Entscheidung" wegen der Umzngs
kosten verweisen. „Das läßt tief blicken"
würde Sabor gesagt haben.
° Ein tragisches Ende hat ein be
gabter junger Berliner Künstler, der
Maler Paul Noack, gefunden. Ec
hat sich in einem Anfall von Geistes
Umnachtung das Leben genommen, indem
er sich an seiner Bettstelle kniend erhängte.
Der Unglückliche war Atelierschüler von
Professor Max Koner. Ein eigenes Ber-
hängniß hat es gefügt, daß unmittelbar
vor seinem Tode ihm der Ginsberg-Preis
zugesprochen war. Diese Stiftung ist be
kanntlich zum Andenken an den beim Erd
beben von Ischia verunglückten Maler
Ginsberg gegründet.
Ein trauriges Weihnachtsfest
ist einem jungen Mädchen, der 21jährigen
Anna St., welche bei einem Hauptmann
v. L. in Berlin als Stubenmädchen in
Stellung ist, bescheert worden. Anna St.
war verlobt mit einem Lehrer in Magde
burg, und im kommenden Frühjahr sollte
die Hochzeit sein. Gestern nun klingelte
es an der Thür, und das Mädchen ging,
um zu öffnen. Gleich darauf hörte Frau
v. L. einen gellenden Aufschrei, und als
sie, nichts Gutes ahnend, ins Vorzimmer
eilte, fand sie das junge Mädchen auf dem
Teppich liegen; sie war bewußtlos; die
Rechte umklammerte einen noch nicht ge
öffneten Brief, den offenbar soeben der
Postbote gebracht hatte. Frau v. L. requi-
rirte sofort Hülfe und schickte nach dem
Arzt, dem es erst nach längerem Bemühen
gelang, das junge Mädchen in's Leben
zurückzurufen. Aus den Fieberreden des
Mädchens entnahm man erst, vaß der
Brief mit der plötzlichen Erkrankung zu
sammenhängen müsse, und man sah sich
ihn genauer an. Das Schreiben trug die
Adresse des Bräutigams des jungen Mäd-
chens, und quer über den Umschlag hatte
ein Postbeamter mit Blaustift den Vermerk
gemacht: „Adressat verstorben".
Nun wurde das Geschehene erklärlich, denn
Frau v. L. wußte, mit welcher Liebe ihr
Mädchen an ihrem Bräutigam hing. Nach
Ausspruch des Arztes dürfte sich bei dem
ju ngen Mädchen ein heftiges Nervenfieber
e ntwickeln, sodaß auch dieses Leben in
Gefahr ist.
öslin, 29. Dec. In Güldenhagen
wurde ein auf Urlaub befindlicher Grenadier
vom Colberg'schen Grenadier-Regiment,
Namens Mannte, im Verlaufe eines Streites
von den Brüdern Götzke durch zweiund
zwanzig Messerstiche getödtet. Die
beiden Thäter sind verhaftet.
Oscherslebeu, 23. Dec. Großes Auf
sehen erregt in hiesiger Gegend die B e r-
haftung des Land Wirthes B r ü<
nig in Badersleben. Derselbe war vor
einigen Tagen des Nachts mit dem 33
Jahre alten Landwirth Böthe von
Dardesheim, wo sie an einer Jagd theil-
genommen hatten, nach Hause gefahren.
Er traf dort gegen Morgen allein zu Fuß
mit nicht unerheblichen Verletzungen ein
und berichtete, daß bei der Heimfahrt das
Pferd an einer steilen Stelle scheu ge
worden sei, und beide Männer hierbei aus
dem Wagen geschleudert worden seien.
Böthe sei mit dem Kopfe gegen einen
Stein gefallen und bewußtlos liegen ge
blieben. Sofort wurde ver Verunglückte
geholt, verstarb aber nach kurzer Zeit, ohne
das Bewußtsein wiedererlangt zu haben.
Eine gerichtliche Untersuchung an Ort und
Stelle ergab das Borhanvensein von Blut
spuren im Wagen und aus der Chaussee
schon eine Strecke vor der Unfallstelle
Alle amtlichen Organe sind in Thätigkeit,
um Licht in die Sache zu bringen.
Nordhausen, 23. December. Wegen B e
schimpfung von Einrichtungen
der katholischen Religion hat
der katholische Domdechant Dr. Frühling
gegen die „N o r d h ä us e r Z e i t u n g",
sowie den Kaufmann Lunderstedt Straf
antrag gestellt. Lunderstedt hat in der
„Nordhauser Zeitung" fein Luxuswaaren
lager empfohlen, und der Anzeige ein
Bildchen beigeben lassen, das zwei zechende
Mönche darstellt, die auf einer Bank neben
einander sitzen, und von denen der eine
seinen Krug an den Lippen hat, während
der andere ihn hoch empor hält. Er ist
ein Bild, wie man es in Gemälde-Aus
stellungen und in der Oeldruckbilderfabri-
kation alle Tage sieht. Gleichzeitig ist
staatsanwaltschaftlich gegen Lunderstedt vor
gegangen, weil er die in Majolika gefertigte
Mönchsgruppe in seinem Schaufenster aus
gestellt hatte.
Nürnberg, 26. Dec. Bei der Landes
ausstellung wurde ein Aussteller prämirt
der gar nicht ausgestellt hatte
Es handelte sich nm den Sattlermeister
Tietze in Hof. Durch das Ausstellungs
unternehmen war dann bekannt gemacht
worden, daß die Auszeichnung (Silberne
Medaille) der Kollektivausstellung von
Wagenbauer Hederer in Regensburg und
Tietze, die gemeinschaftlich ausgestellt hätten,
gelte. Später wurde noch mitgetheilt, daß
Tietze sich bei dem Ausstellungsunternehmen
für die seinem jungen Geschäfte zu Theil
gewordene Auszeichnung, die er als Auf
munterung betrachte, bedankt habe. In
zwischen sind die Akten dem Ministerium
eingesandt worden, und in einer jetzt er
gangenen Ministerialentschließung wird nach
dem „Fränk. Kur." bemerkt, daß, da das
Bayerische Gewerbemuseum und das Preis
gericht durch falsche Angaben irregeführt
worden seien, die fragliche Prämirung nur
für Hederer gelte.
Zu den Unterschlagungen im
Vorschußverein in Bayreuth wird
dem „Fränk. Kur." geschrieben: Eine
besondere Erbitterung herrscht gegen den
Ausschuß der Turnerfeucrwehr, weil dieser
nach dem Tode des I. N. Blanck die
Uuterschlagung des Unterstützungsfonds
von 17 000 Mk. verheimlichte, denn seit
jener Zeit — Anfangs Oktober — sind
beim Vorschußverein »och mehr als 100000
Mk. Einlagen gemacht worden, die nun
auch verloren sind. Um ihrer Verehrung
äußerlichen Ausdruck zu verleihen, hatte
die freiwillige Turnerfeuerwehr beschlossen,
am Hause des verstorbenen I. N. Blanck
eine Gedenktafel mit folgender Inschrift
anzubringen: „In diesem Hause wohnte,
wirkte und starb der Gründer der frei-
illigen Turnerfeucrwehr Bayreuth, I.
N. Blanck!" Wie weit das Vertrauen
zu dem I. N. Blank getrieben wurde,
illustrirl am deutlichsten der Umstand,
daß er die ursprünglichen Vereinsstatuten
mit Genehmigung, der Generalversammlung
dahin abänderte, vaß er allein zur Zeich
nung aller Urkunden berechtigt war!
Blanck führte den denkbar einfachsten
Haushalt, und für sich brauchte er fast
gar nichts. Größere Eingriffe in die
Kasse hat er erst vom Jahre 1890 ab
gemacht; damals wurde ihm das Kapital
zu seinem Hauskauf gekündigt, da er nur
eine Hypothek zu 40 000 JL darauf be
kam und nirgends ersichtlich ist, woher er
die Mittel zur Deckung des Restkauf
schillings bekam, so wird man wohl nicht
fehlgehen, wenn man annimmt, daß er
denselben der Vorschußvereinskasse ent
nahm. Diese Unterschlagung wollte er
durch Gewinne mittls Spekulationen
decken, und diese führten ihn zu immer
neuen Veruntreuungen.
Konstanz, 27. Dec. An H e g e l e ver
lieren außer der Reichsbank, dem Reichs
bankdirektor Dr. von Loewenich und den
Schwiegereltern, die für ihn die Kaution
stellten, noch verschiedene Personen große
Summen, die sie Hegele zur guten Ver
waltung oder zu anderen Zwecken anver
traut hatten. So werden der Inhaber
einer Heilanstalt in der Nähe von Kon
stanz, ferner die Schwägerin eines Radolf
zeller Fabrikanten als geschädigt genannt
Ein Konstanzer Arzt soll 30 000 M., ein
Kreuzlinger Zahnarzt 80 000 M. verlieren.
Der Gesammtverlust an Hegele wird nahe
zu eine Million ausmachen.
Am Sonntag wurden zwei junge Kauf
leute in Konstanz, die sich über eine neue
Maßregel bei Kontrollversammlungen unter
hielten, wobei eine ungeschickte Bemerkung
über den Kaiser gefallen sein soll, auf
Denunziation des in der Nähe sitzenden
Reporters Haller der „Konst. Ztg." sistirt
und der eine davon verhaftet.
Mannheim, 22. Dec. Beim Hafenbau
in der Nähe von Rheinau wurden die
Grundmauern eines römischen Kastells ent
deckt, das offenbar in Verbindung mit den
bekannten Kastellresten am gegenüberliegen
den Rheinufer bei Altrip (alta ripa) zu
bringen ist. Man mußte das jsehr feste
Mauerwerk sprengen. Eine Anzahl Kupfer
münzen mit dem Bild des Cäsar Augustus
und eine abgebrochene Lanzenspitze wurden
gefunden.
Das Duell zwischen Frhrn. v. Wangen
heim und v. Uexküll in Stuttgart hat nach
der „Nat.-Ztg." in der Bevölkerung um
so peinlicheres Aussehen erregt, als dabei
Persönlichkeiten mitgewirkt haben, die sich
dessen nach den Reichstagsverhandlungen
über den Duell-Unfug hätten enthalten
müssen. Unparteiischer war der Com
mandant von Stuttgart, Generalmajor
von Schott, Secundant des Freiherrn
Wangenheim der preußische Gesandte
Dr. v. Hollebeu. Als Arzt fungirte der
Generalarzt à la suite Medicinalrath
v. Burckhardt.
Wegen zahlreicher Diebstähle
wurde nach der „Köln. Ztg." in Worms
ver als tüchtiger Meister und biederer
Charakter bisher geachtete Zimmermeister
Uh rig plötzlich verhaftet. Die Haus
suchung hatte ein verblüffendes Ergebniß.
Ein ganzes Lager gestohlener Waaren
jeder Art hatte Uhrig in seinem Hause
aufgestapelt. Einen Manufakmrwaaren-
händler allein hat er um Waaren im
Werthe von 4000 JL bestohlen. Obg leid)
Uhrig sein Diebeshandwerk seil mehreren
Jahren betrieb, hat noch keiner der Be
stohlenen den Abgang von Waaren bemerkt.
Alle im Laufe der Zeit zusammengestohlenen
Gegenstände wurden noch vollständig un
versehrt wiedergefunden. Uhrig ivar im
Besitz von 200 falschen Schlüsseln.
Er hat alle Diebstähle eingestanden und
die merkwürdige Angabe gemacht, daß er
nur Sonntags Morgens zwischen 6—8
Uhr eingebrochen sei. Was den von Hause
aus wohlhabenden Mann und gesuchten
Meister zur Ausübung dieser Verbrechen
veranlaßt hat, ist noch nicht festgestellt.
Der Bruder Uhrigs, der mit ihm gemeinsam
das Zimmergeschäft betrieb, ist seit Diens-
tag verschwunden. Ein zurückgelassener
Brief meldet, daß er die Schande, die sein
Bruder über die Familie gebracht hat,
nicht verwinden könne und deshalb den
Tod im Rhein suchen werde.
Bonn, 29. Dez. General d. Infanterie
z. D. Wilhelm v. W o y n a ist heute
Morgen hier gestorben.
In Wurzen veröffentlicht der Stadtrath
Bestimmungen über die Ausschließung
säumiger Abgabenpflichtiger von öffent
lichen Vergnügungsorten der
Stadt. Der verbotswidrige Besuch von
Gast- und Schankwirthschaften und Tanz-
stätten wird danach mit 14tägiger Haft
bestraft; Inhaber solcher Wirthschaften,
sowie Vertreter von Korporationen, Ver
einen und geschlossenen Gesellschaften und
deren Stellvertretern dürfen derartigen
Personen den Aufenthalt in ihren Lokalen,
bezw. Gesellschaftsräumen, in denen Speisen
und Getränke gegen Entgelt verabreicht
werden, nicht gestatten — Wie sollen sie
dieselben denn ermitteln?
Ein Weihnachtsbaum im Eisen
bahnzuge ist wohl sür Manchen etwas
unerklärlich, und doch konnte man diese
schöne Einrichtung am heiligen Abend auf
den v-Zügen zwischen Hamburg-Köln be
obachten. In einem Abtheil zweiter Klasse
stand ein schöner, mit vielen Lichtern
geschmückter Weihnachtsbaum, welcher einen
überaus hübschen und würdigen Eindruck
machte und die Fahrgäste, von denen manche
den Hut zog und sich dem Kaiser näherte,
erhielt nichts. Dann wandte sich der Kaiser
noch dem Dorfe Eiche zu, wo er drei
Lehrlinge des Schlossermeisters Hiob aus
Potsdam, welche nach der Kaserne des
Lehr-Jnfanterie-Bataillons Sachen brachten,
traf und dieselben beschenkte. Gleich darauf
kam eine alte Frau mit einem Hundewagen
angefahren. Der Kaiser hielt den Wagen
fest, worauf die Frau, die den Monarchen
nicht kannte, sehr ärgerlich wurde und
schimpfte. „Na, wollen Sie denn nichts
zu Weihnachten haben?" fragte der Kaiser
und gab der Frau 5 Mark, um lachend
weiter zu gehen Als die überraschte Alte
von einigen Offizieren hörte, daß der
Geldspender der Kaiser gewesen, lief sie
demselben nach und bat um Verzeihung
wegen ihres Schimpfens.
Berlin, 29. Dec. Der „Staatsanzeiger"
veröffentlich das Gesetz, betr. die Kündi
gung und Umwandlung der vier-
procentigen consolidirten Staats
anleihe, sowie die diesbezügliche Bekannt
machung des Finanzministeriums, die für
die Forderung des Baarbetrages die Frist
bis zum 20. Januar 1897 und für An-
träge auf Eintragungen im Staatsschuld-
buch, resp. auf Ausreichung 3procentiger
Schuldverschreibungen an Stelle der Um
schreibung im Staatsschuldbuch die Frist
bis zum 30. Juni 1897 festsetzt.
— Eine geheimnißv olle G esetzes-
Vorlage kündigen die „Berl. Pol. N."
für diese Landtagssession an. Es werde
im Ministerium für Landwirthschaft eine
Gesetzesvorlage von größerer Bedeutung
und allgemeinerem Interesse vorbereitet.
— Wahrscheinlich handelt es sich dabei
um einen weiteren Schritt in der Agrar
gesetzgebung zur Einschränkung der
Freiheit des Grundeigenthums.
— Zu einer Protest-Kundgebung
fordert der bekannte Chirurg Geheimrath
Professor v. Bergmann die ärztlichen
Inhaber von Privat-Kliniken auf, welche
neuerdings durch Schreiben der städtischen
Steuer-Commission zur Gewerbesteuer
herangezogen worden sind. Geheimrath
v. Bergmann sieht darin eine die Rechte
des ärztlichen Standes schwer schädigende
Anordnung.
Der Gerichtsvollzieher erschien
als „Weihnachtsmann" am Heiligabend bei
einem Gastwirth in Berlin, während der
Christbaum brannte, und nahm eine
Pfändung vor. Die Festfreude war der
betreffenden Familie natürlich gründlich
verdorben. Zur Weihnachtszeit ist selbst
der strengste Richter zur Milde geneigt.
Es sollte also auch den Gerichtsvollziehern
geradezu die Anweisung ertheilt werden, am
Weihnachtsheiligabend Pfändungen nur in
zwingendsten Fällen vorzunehmen.
Vor einem Standesamte in Berlin
sollte gestern die Vermählung der Tochter
des früheren Apothekers, jetzigen Rentiers
U. mit einem Handlungsreisenden statt-
sinden. Als der Wagen vor dem Standes
amte vorfuhr und das junge Paar sich in
das Haus begeben wollte, traten aus der
Thürnische plötzlich zwei junge Mädchen,
die dem „glücklichen" Bräutigam mit den
Worten: „Lieber Albert, möchtest Du nicht
einmal Dein Kind wiedersehen?" jede ein
Kind von '/ 2 bezw. 1 Jahr entgegen
hielten. Der „liebe Albert" hatte sich
auf eine der jungen Mütter gestürzt und
sie brutal zur Seite gestoßen; als er dies
Manöver aber auch bei der zweiten von
ihm Betrogenen machen wollte, kam er an
die falsche Adresse. Das Mädchen, eine
Schlachtermamsell, legte das Kind einer
Vermisch tss.
Unter den sechzig Hoffnungs
vollen, die mir das heurige Schuljahr
als ABC-Schützen bescheert, so erzählte
ein Mitarbeiter der „M. N. N.", be
findet sich ein Original. Mit bestem Ge
wissen kann ich behaupten: Wenn es
Einen giebt im weiten deutschen Vater-
lande, der nicht von der Kultur beleckt
ist, dann ist's mein Toni. — Er heißt
nämlich Toni. Das hab ich bereits aus
ihm herausgebracht. Sonst hüllt er sich
seit drei Monaten in stoisches Schweigen.
Jüngst brach aber das Eis. Da redeten
wir vom Herbstwalde, von den Thierlein
draußen, die sich für die rauhe Winters
zeit ein heimlich Versteck im Busche
suchten. Auffallend ruhig saß da der
Toni. Seinen treuherzigen Augen sah
ich es an, daß er mit der ganzen Kindes
seele bei der Sache war. Wir sprachen
vom Häschen, vom Fuchs, vom Reh.
Wie das Reh ausschaue, wer schon eines
gesehen. Klägliches Ergebniß! Unsere
armen Stadtkinder wiffen ja vor lauter
Häusern, Gassen und Schloten nichts von
Gattes herrlicher Natur! „A Goaßbock"
war für alle das Reh, das ich im Bilde
zeigte. — Da stand auf einmal Einer
auf, der, der in der letzten Bank seinen
Sitz erhalten hat, und niachte zum ersten
Male von seiner Stimme Gebrauch.
Thal also seinen Mund auf und redete:
„Dös is a Bock! Laust hat er und a
Schwanzl, a weiß's, und an Kopf mit
Krickerln und a Ducket (Fell), a bräunt
In Holz drauß hot er a Nest — und
da legt er Oar!" Sprach» uns setzte sich
und schaute umher im staunenden Kreise
mit der Miene eines Siegers. — Das
war der Toni! Kaum hatte ich mich von
meinem ersten freudigen Staunen erholt,
mußte ich sogleich das Brünnlein, das so
jäh hervorgebrochen, im Laufe erhalten.
„Ja, Toni, woher weißt Du dies? Hast
chon einen Rehbock gesehen?" — „Mir
ham oan dahoambt!" der Toni darauf
mit strahlendem Gesichte; „woaßt: der
Vater hat Holz klaubt hinter Perlach
draußen, und da hat er 'n derwuich'n!"
— „Ah so!!" sag' ich. Darauf hat vie
Glocke Schluß geläutet. Am anderen
Tage reden wir lvieder vom Reh, und ich
freue mich schon auf die weiteren Er
zählungen meines Toni. Der „nimmt
mich heute aber gar nicht an", hat sein
altes unerklärliches Lächeln auf den
Lippen und schaut beharrlich in die linke
obere Zimmerecke. „Nun, Toni, erzähl'
uns wieder was vom Reh!" Da hat
mich der Toni schnell, aber klug angeschaut
und hat ganz treuherzig gesagt: „I
woaß nix vo' koan Reh! Der Vater hat
g'sagt, i derf nix mehr verzähl'» in der
Schul!" Seit der Zeit habe ich von
meinem Toni kein Sterbenrwörtlein mehr
gehört.
— Was Alles in Berlin „gelehrt" wird,
kann man aus dem Studium des Adreß
buchs ersehen. Da giebt es außer den
Lehrern für alle erdenklichen Wissenschaften
und Künste auch solche für solche jegliche
Art von Sport, für Reiten, Fechten,
Schwimmen, Turnen, Tanzen, Radfahren
und Schlittschuhlaufen, daneben Lehrerinnen
sür weibliche Handarbeiten jeden Genres,
für Haushaltung, Schneiderei, Putz, Kochen
und Plätten. In vereinzelten Exemplaren
sind die Lehrer des „guten Tons und ge
sellschaftlichen Umgangs", der Seroirknnft,
des Versicherungswesens, der Finger-
nägelpflege, der Taschenspielerei,
ferner der Schreibmaschine, der Rhetorik,
acht verschiedener stenographischer Systeme,
des Schachspiels u. s. w. anzutreffen.
Eine besondere Gruppe bilden diejenigen
Sprachlehrer, die, statt sich mit begriffs
stutzigen Menschenkindern abzuquälen, vor-
ziehen Papageien, Staare u. sonstige
gelehrige Exemplare der Vogelwelt zur
Erziehung zu übernehmen.
— Das Ende des alten Bleistifts. In
der Wochenschrift „Prometheus" (Heraus
geber Dr. Otto N. Witt, Verlag von R.
Mückenberger, Berlin) lesen wir: Bekannt
lich ist das Holz der floridanijchen
Ceder das einzige, welches sich für die
Fabrikation der Bleististe eignet. Selbst
das sonst wegen seiner Weichheit und
Gleichmäßigkeit so geschätzte Liudenholz
steht sür diesen Zweck so sehr hinter deni
Cedernholz zurück, daß es nur für ordinäre
Bleistifte Verwendung finden kann. Ob
gleich nun Florida ein großes Land und
mit Urwald noch dicht bestanden ist, so
ist doch bei der in Amerika beliebten
rücksichtslosen Ausbeutung der Wälder ein
allmähliges Knappwerden des Cedernholzes
zu befürchten, und zwar um so mehr, als
die Ceder bezüglich ihres Standortes sehr
wählerisch ist und nur an den sumpfigen
Ufern der großen Ströme gedeiht, was
auch die Ansorstung der Bestände sehr er
schweren würde, selbst wenn man sich zu
einer solchen über kurz oder lang ent
schließen wollte. Unter .diesen Umständen
ist eine Erfindung beachtenswertst, welche
neuerdings ans den Markt gekommen ist
und neben der Ersparniß an Cedernholz
auch noch das für sich hat, daß sic das
Spitzen der Bleistifte, wobei sich
bekanntlich viele Leute merkwürdig un
geschickt anstellen, überflüssig macht. Der
neue Bleistift, weicher von einer Londoner
Firma unter Patentschutz in den Handel
gebracht wird, sieh! äußerlich einem ge
wöhnlichen, in Holz gefaßten Bleistift
sehr ähnlich, aber die Umhüllung des
Stiftes besteht bei ihm nicht aus Holz,
sonder» aus zähem Papier, welches in
mehreren Lagen um den Stift herum
gewickelt ist, bis derselbe die Dicke eines
gewöhnlichen Bleistiftes erlangt. Dieses
Papier nun ist vor dein Einwickeln in
schräge Schnitte eingekerbt. Soll nun der
Bleistift angespitzt werden, so genügt es,
die äußerste Papierlage bis zu einer an
gegebenen Marke einzureißen. Es ivickelt
sich dann, der schrägen Kerbe folgend, ein
schmaler Papierftreifen von dem Stift ab,
während der Rest der Umhüllung in
Kegelgestalt stehen bleibt. Dabei wird
natürlich ein frisches Stück des inneren
Schreibstiftes bloßgelegt, welches genau so
lang ist, wie die Breite des abgewickelten
Papierstreifens. Die ans diese Weise er
haltene neue Spitze ist von so vollkommener
Kegelgestalt, wie sie an einem Holzstist nur
durch Abdrehen, niemals aber durch An-
schärfen mit dem Messer erhalten werden
kann.
— Et eetera. Die Nichtbeachtung oder
Unkenntlich der Bedeutung von „etc.", der
bekannten Abkürzung von „st cetera" (und
so weiter), hat, wie verschiedene Blätter
berichten, sür einen Berliner Gerichtsvoll
zieher recht unangenehme Folgen gehabt.
Derselbe hatte bei einem Malermeister
eine Anzahl Mauersteine und andere Uten
silien gepfändet, dann aber von seinem
Auftraggeber eine schriftliche Anweisung
erhalten, „die gepfändeten Mauersteine re.
sämmtlich freizugeben. Er gab nun zwar
die Steine frei, versteigerte aber die übri
gen Pfandstücke. Der Gepsändete klagte
nun gegen seinen früheren Gläubiger wegen
Schavenersatzes und erstritt auch ein ob
siegendes Erkenntniß, worauf der Auftrag,
geber des Gerichtsvollziehers wiederum
Letzterer; wegen des erlittenen Schadens
in Anspruch nahm. Das Landgericht ver-
urtheilte auch den Gerichtsvollzieher zur
Zahlung, weil er aus eigener Macht von
der bestimmten Vorschrift seiner Machtgeber
abgegangen , sei und also für allen daraus
entstandenen Schaden hafte. War er über
die Bedeutung des Vermerks „etc." in
Zweifel, so mußte er deswegen anfragen.
Indem er dies unterließ, handelte er ver
sehentlich und muß für den hierdurch ver-
ursachten Schaden auskommen. Der Ver
klagte legte hiergegen Berufung ein, die
aber soeben vom Kammergericht zurückge
wiesen wurde.
Druckfehler. Der Kellner häutete den
Reisenden zum Frühstück. — (Aus einem
Roman:) Die Zöglinge des Pensionats
waren alle gleich ungezogen. —
hierauf zeigte die junge Frau ihrem Gaste
ihre stiltolle Einrichtung. — (Aus dem
Abdruck der Rede eines Frauenrechtlers:)
. . . darum lassen Sie sich, meine geehrteit
Damen, vsn Ihren männlichen Kon
kurrenten nicht abschlecken. („Megg. Hum.
BlSttsr.")