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W0. 291.
Sonnabend, den 12. December
1896.
Morgen-Berichte
Berlin, 11. Dec. Gegen die „Deutsche
Tageszeitung" ist von der Staats
anwaltschaft wegen Beleidigung des
Auswärtigen Amtes Strafantrag
gestellt worden. Das Blatt hatte bekannt
lich den Artikel der „Bank- und Handels
zeitung" über den angeblich hintertriebenen
Besuch des Zaren beim Fürsten Bismarck
reproducirt und daran Bemerkungen ge
knüpft, die das Auswärtige Amt verdäch
tigten. Wegen dieser Bemerkungen ist der
Strafantrag gestellt worden.
Berlin, 11. Dec. In den nächsten Tagen
wird der vielbesprochene Prozeß Stöckers
gegen die „Neue Saarbrücker Ztg." be
treffs des kaiserlichen Telegramms an Ge
heimrath Hintzpeler zur Berhandlung
kommen. Als Zeuge soll Ary. v. Stumm,
der die Depesche an die Oeffeinlichkeit
brachte, die Echtheit derselben bekunden.
Berlin, 11. Dec. Die Wahl des neu
gewählten Abg. Pens (Brandenburg) ist
von der ersten Abtheilung des Reichstags
da mehrere Proteste vorltegen, der Wahl
Prüfungskommission überwiesen.
Berlin, 11. Dec. Der Sängerchor des
großen Berliner Lehrervereins ist der
„Volksztg." zufolge vom Kaiser eingeladen
worden, am nächsten Sonnabend im Neuen
Palais vor ihm Gesangsvorträge zu hatten.
Der Kaiser habe die Stücke selbst bezeichnet,
die er zu hören wünscht.
Leipzig, 11. Dec. Der Getreidehändler
Biax Lustig, weicher der Urkundensälschung
und zwar der Fälschung eines Wechsels
über 324 600 Mk. angetlagl war, wurve
heute von der dritten Strafkammer des
hiesigen Landgerichts freigesprochen.
Schwelm, 11. Dec. Der Bauunter
nehmer Löchervach ist nach Begehung von
Wechselfälschungen im Belrage von über
120 000 Mk. flüchtig geworden.
Köln, 11. Dec. Die „Köln. VollSztg."
versichert in einer Berliner Zuschrift, es
lei ihr von verläßlicher Seile Mittheilung
gemacht worden, daß eine Regierungskrise
bevorstehe, welche das Blau mit dem
Lützowprozeß in Zusammenhang bring:,
Und bebauptet, es sei einer .jener kritischen
Womenle eingetreten, wo man sich nicht
Entschließen könne, welche Bahnen einzu-
schlagen seien. Trotz des moralischen
Sieges v. Marschalls ,ei die ganze Situa-
tivn zweiselhait geworden, nnd man ver
spüre deutlich, die Anzeichen des Schwankens
»nd der Unschlüffigkeit der Regierung.
Pola, 11. Dec. Der Marinearzt Dr.
Mattanscheck, welcher am Typhus krank
darniederlag, hat sich im Fieberwahn aus
dem vierten Stock des Marinehospitals
gestürzt und war sofort todt.
Temcswar, 11. Dec. Ganz Südungarn
ist infolge der Regengüsse der letzten Tage
vom Hochwasser bedroht Die Bega ist an
vielen Stellen ausgetreten. Bei Oravicza
wurde der Eisenbahndamm unterwaschen,
wodurch ein Zng entgleiste. Drei Last
und ein Personenwagen wurden zertrümmert.
Verletzt ist niemand.
Prag, 11. Dec. Gestern Nachmittag
wurden in dem eine halbe Stunde von
hier entfernten Transchütz vier Kinder
einer dortigen Maurersrau im Alter von
3 bis 14 Jahren, welche mit der Mutter
und einem fünften Kinde in derselben
Stube schliefen, unter Vergistungssymplomen
todt ausgefunden. Die Mutter wurde
wegen des Verdachtes, ihre Kinder ver-,
giftet zu habe», verhaftet.
Minsk, 10. Dec. Die Streichhölzer-
sabrik von B. Hirschmann Hierselbst, die
größte in ganz Rußland, ist vollständig
niedergebrannt. Sieben Arbeiter sind in
den Flammen umgekommen. Der an
gerichtete Schaden ist enorm. 500 Arbeiter
sind brodlos. Man vermuthet, daß es
sich tim den Racheakt eines entlassenen
Arbeiters handelt.
Zum
Untergang des Dampfers „Salier".
Nach einem soeben bei dem hiesigen
Bureau des Norddeutschen Lloyd
eingegangenen telegraphischen Bericht wird
nunmehr der Untergang des Post
dampfers „Salier" osficiell bestätigt
Der Schiff-bruch ereignete sich bei sehr
kurulischem Weiter im 43. Breitengrade
und 12. Läugegrade in der Nähe des Cap
Torrooedro, und zwar in der Nacht vom
7. zum 8. >d. M-, 2 */ 2 Seemeilen vom
esten Lande entfernt. Die Küste ist dort
ehr felsig, besoilders nördlich von der
Einfahrt in -den Hasen von Billagareia
Bet der furchtbaren Brandung, die dort
herrschte, dürfte das Schiff bald ansein-
anbergedrochen sein, sovaß kaum Jemand
der aus dem Dampfer Befindlichen gerettet
sein wird. Doch liegen hierüber noch
keine direclen Meldungen vor, und diese
Annahme stützt sich zur Zeit nur auf Ver-
muthnngen. Der Dampfer hatte für ca.
drei Millionen Wertbiachen an Bord,
welche zum Theil für Rio de Janeiro be
stimmt waren.
Es ist dies der zweite schwere Verlust
innerhalb kaum zweier Jahre, welchen der
Norddeutsche Lloyd zu beklagen hat. Noch
steht die furchtbare Katastrophe in Aller Er
innerung, von welcher am 29. Januar
1895 auf der Höhe von Lowestoft, der
Schnelldampfer „Elbe" betroffen wurde.
Diese Seetragödie forderte, wie erinnerlich,
305 Menschenleben, nur wenige der Un
glücklichen konnten gerettet werden. Da
mals waren es nicht die Elemente, welche
das prächtige Schiff vernichteten; das Un
glück fand durch den Zusammenstoß mit
dem kleinen englischen Dampfer „Chrathie"
statt, welcher durch falsche Steuerung gegen
die „Elbe" anrannte und das gewaltige
Schiff zum Sinken brachte.
Zahlreiche an die spanische Küste an
treibende Wrackstücke lassen außer Zweifel,
daß der „Salier" total verloren ist und
man betrachtet eS als traurige Thatsache,
daß von den an Bord befindlichen
28 0 Personen niemand gerettet
wurde. Den neuesten Telgrammen zu
folge ist der „Salier" in der Nähe von
Las Basonas gescheitert.
Die Mannschaftsliste weißt hauptsächlich
Leute aus Lehe, Geestemünde und Bremer-
Heven auf.
Prozeß Leckert.
'Eine neue Hetze gegen Herrn
e. Marschall scheint im Anzuge, so
bemerkt auch die „Köln. Volsztg.". unter
Berufung daraus, daß er das Staats
Interesse dadurch gefährdet habe, daß er
die politische Polizei vor der Oeffentlichkert
-bloßstellte, statt sich Herrn v. Tausch unter
der Hand vom Halse zu schaffen. So
schreiben die „Hamb. Nachr.", daß eine
Gerichtsverhandlung kaum als der geeignete
Ort für die Behandlung von Controllers««
zwischen Ministern zu betrachten, sondern
daß das Staatsministerium eher als das
zuständige Forum anzusehen ; sein wird."
Allerdings sei der feste Zusammenschluß
des Ministeriums durch Aushebung der
Kabinetsordre von 1852 gelockert, deren
Beseitigung einen der letzten Gründe des
Rücktritts des Fürsten Bismarck bildete.
— Aber bekanntlich war die Kabinets
ordre von 1852, nach welcher Vorträge bei
dem Monarchen nur unter Anwesenheit
oder unter Mitwirkung des Ministerprä
sidenten stattfinden konnten, grade in ver
Regierungszeit des Fürsten Bismarck außer
Kraft getreten.
In welcher Richtung die Hetze gegen
Staatssekretär von Marschall inscenirt
werden soll, erhellt auch aus der Bemerkung
der „Hamb. Nachr.", man könne ihm
den Vorwurf nicht ersparen, „daß er doch
etwas mehr, als absolut nothwendig und
nützlich war, in die Anschauungen des
früheren Staatsanwalts zurückgefallen ist
und den Diplomaten zu sehr abgestreift
hat."
Auch die „Post" betheiligt sich an
der Hetze gegen den Frhrn. v. Marschall
unter der Maske eines aus juristischen
Kreisen stammenden Artikels, in welchem
angekündigt wird, das Parlamentarier
demnächst im Abgeordnetenhanse und beim
Justizetat die Frage auswerfen würden,
ob der Minister es mit dem Geist der
Strafprozeßordnung für vcreinbarlich
halte, daß der Vorsitzende des Gerichts
Hofes dem Siaatssekretär des Auswärtigen
eine solche Rolle zu spielen gestatte, wie
sie thatsächlich ausgeübt worden ist.
Offenbar hat die in der gestrigen
Nummer mitgetheilte Erklärung des
„R eichsa nz." beabsichtigt, dem Frhrn
v. Marschall Deckung zu gewähren gegen
die im Gang befindliche Hetze. Durch
die Mittheilung, daß der Kronrath unter
dem Borsitz des Monarchen schon Ansang
Oktober das strafrechtliche Vorgehen be
schlossen habe, wird der Schein zerstört,
als ob Frhr. v, Marschall aus eigene
Hand selbstständig vorgegangen sei.
Ausland.
Frankreich.
Paris, 9. Decbr. Der „Temps" findet,
in dem Kampfe, ans Leben und Tod, der
sich im Dunkeln zwischen der Geheimpolizei
und einigen höchsten deutschen StaatSbeamlen
entsponnen habe, bilde der .Prozeß
Leckert'Lützow keinen genügenden
Abschluß. Der „Temps" schreibt: „Eine
Untersuchung, die bis aus den Grund geht
und vor nichts zurückweicht, ist nöthig für
alle Welt, sür Marschall, der sich nicht
als genügend gerächt betrachren kann durch
die Züchtigung so jämmerlicher Galgen-
Vögel wie Lecke« und Lützow, für die
Eulenburgs, die danach dürsten müssen,
sich von jeder selbst stillschweigenden und
passiven Kvmplizität mit diesen traurigen
Persönlichkeiten reinzuwaschen, für den
Kaiser, dem daran gelegen sein muß, die
Entstehung einer Polizei zu verhindern,
die von ihm besoldet wird und gegen ihn
arbeitet nach Art des Polizeiministers des
ersten Napoleon, endlich sür Deutschland,
das die Reinigung dieser Augiasställe for
dert. Man erwartet außerhalb mit Neugier
den Ausgang eines Prozesses, über dessen
Ergebnißlosigkeit man nicht übermäßig
erstaunen würde."
Oesterreich-Ungarn.
Steinamanger, 7. Decbr. Der Husaren-
Oberlieutenant P e t a k erschoß heute
Morgen 4 Uhr seine reizende junge Frau
und schoß sodann auf den Lieutenant
Baron Korb. Beide sind tödtlich verletzt.
Der anwesende Lieutenant Bezeredj erhielt
drei Säbelhiebe. Petak stellte sich in
Oedenburg der Militärbehörde.
Steinamanger, 8. Dec. Rittmeister
Petak, der „Held" des furchtbaren Familien-
dramas, verübte die That infolge voll
kommen derangirter materieller Verhältnisse,
die ihn in der letzten Zeit zum Säufer
machten. Uebervies war er von einer
wahnsinnigen Eiferfurcht befallen. Frau
Pelak dürste doch am Leben erhalten
werden, Baron Korb jedoch, dessen Lunge
die Kugel durchbohrt, scheint hoffnungslos
verloren, während Lieutenant Bezeredy
den rechten Arm verlieren wird. Petak
wurde verhaftet.
Inland.
— Vertrauliche Versprechungen, welche
der Staatssekretär Dr. von Boetticher
im Reichstage mit den leitenden
Männern verschiedener Fraktionen hatte,
sollen den Zweck gehabt haben, zu erkunden,
ob der Reichstag einer Vorlage seine Zu-
stimniung geben würde, die eine Summe
von 2'/ 2 Millionen Mark für den Bau
eines Reichstagspräsidialgebäudes
fordere. Bekanntlich hat gegenwärtig der
Präsident des Reichstages eine Amtswohnung
inne, die für ihn im Fürst Blücher'schen
Palais am Pariser Platz gemiethet ist.
In Anbetracht der dem Miethspreise dieser
Wohnung gegenüber unvergleichlich viel
höheren Summe, welche die Verzinsung
des geforderten Kapitals erfordern würde,
sei die Stimmung der Vertrauensmänner
der Fraktion überwiegend gegen eine solche
Vorlage gewesen, die denn auch in der
bald darauf abgehaltenen Sitzung des
Reichstagsbaucomitees fallen gelassen wäre.
Berlin, 11. Dec. In parlamentarischen
Kreisen gilt es als feststehend, daß die
55
-Ich
Aer Witter von Wolsheirn.
Roinan von Graf Eugen H anssonville.
à „Nein!" erwiderte sie mit stolzem Erröten. . _ .
suchte mich vor niemand! Wen und was sollte ich nun
fürchte» ?" fügte sie leise und in einem Tone hinzu,
*1* dem es fast wie Verzweiflung klang.
, Allein, noch ehe er hieraus erwidern konnte, fuhr sie
!^haft fort: „Aber Sie haben mir noch gar nichts von
$ selber erzählt! Was haben Sie während der letzten
Jahre angefangen? Die Narbe auf Ihrer Stirn
Ihnen sehr gut. Das war ein Hieb von einem
Ätschen Schwerte, nicht wahr? Die Deutschen find
■'-ti tapferes Volk und Sie sind ein Franzose mit einem
' Ätschen Namen; wie merkwürdig! Sie tragen das
^°ßkreuz. tvie ich sehr, wofür haben Sie daS erhalten?
$ bitte. Herr Oberst, erzählen S.e mrr doch recht v.el
.-Ihrem Leben!" Sie redete,oschnell und solebhaft.
Kob sie allerlei unliebsame Gedanken durch solche
^vrtr verjagen wollte. .. . ... ^ .
j „Sie haben mir aber auch nochmchtSauS Ihrem
ode,, erzählt," entgegnete Molsherm lächelnd, „und
Jj Damen steht doch immer der Vortritt z«, wie sre
şşsen."
«Bon meinem Leben ist kaum etwas zu erzählen,"
tffefcte Dra. „Eine junge Dame, die erst vordrer
Knuten lange Kleider erhalten hat, weiß noch mcht
^ von Erlebnissen zu berichten. Wenn Sie von dem
K örmigki, Leben auf einem abgelegenen Landsitze, von
i "terrichtsstmideii und dcrglei^en etlvas Horen iv ,
kann ich Ihnen allerdings dienen." s.
i Während dieser ganzen letzten Unterhaltung alano.c
J Oberst in dem Wesen der Comtesse etwas Gezwun-
'ş>leê und Unnatürliches wahrzunehmen; ihre raftlo.
Ädernden Augen blickten unruhig und ihre Hände
Jjjj“ Finger waren in fortivährender nervöser Beweg-
j^,„Warum erzählen Sie mir nichts von Ihrem Ba-
„D, von meinem Vater! Ja, mir wird wohl «nd
Rdljch zu Sinne, wenn ich von meinem lieben, teuren
Vater reden darf! Sie waren sein Freund, wenigstens
hat er oft mit Liebe von Ihnen gesprochen, nachdem
wir Frankreich verlassen hatten und in dieses unselige
Land zurückgekehrt waren. Wollte Gott, wir wären dort
geblieben! Dann wäre mein Vater auch wohl noch am
Leben!"
Sie überwand die tiefe Bewegung, die sie zu über
wältigen drohte, und erzählte Molsheim, wie ihr Va
ter schon wenige Monate nach seiner Abreise aus Paris
gestorben sei, wie sie dann in Tula ihre Erziehung er
halten habe »nd wie sie in diesem Winter zum ersten
Mal in die Gesellschaft eingeführt und bei Hofe vor
gestellt worden sei.
„Hat Ihr Herr Vater niemals von einem Briefe
gesprochen, den ich an ihn geschrieben und den er un
mittelbar nach seiner Ankunft in Rußland erhalten
haben mußte?" fragte der Ritter nach einigem Be
sinnen.
„Nein, wenigstens entsinne ich mich nicht. Das ist
ja schon so lange her. Warum fragten Sie ?"
„Es fiel mir nur eben etwas ein," antwortete er.
„Ich nehme an, daß Sie eine tüchtige Erzieherin ge
habt haben, nicht wahr?"
„Ja, wenigstens wird meine Aussprache des Fran
zösischen. sowie des Deutschen, allenthalben gelobt, und
auch in der Musik bin ich nicht zurückgeblieben. — Aber
ist es auch recht von Ihnen, Herr von Molsheim, daß
Sie mich zu solchem Selbstlobe verleiten? Was müssen
Sie nur von mir denken! Sie werden mich immer noch
für das thörichte Kind halten, das ich damals war,
als ich das Bäreimest im Gehölz von Boulogne ent
deckt zu haben meinte."
„Allerdings ruft Ihr liebenswürdiges Wesen jenen
Tag immer deutlicher in mein Gedächtnis zurück," er
widerte Mölsheim, dem es in der Gegenwart der licü-
reizenden Comtesse immer wärmer nnd beklommener
um's Herz wurde. „Entsinnen Sie sich noch des Geständ
nisses, das Sie damals Ihrem Vater machten und das
derselbe in scherzhafter Indiskretion gleich darauf auch
mir mitteilte?"
„Nein," sagte Ora nach kurzem Nachdenken.
„Versuchen Sie einmal, sich daran zu erinnern,"
bat Molsheim mit leiser eindringlicher Stimme, wäh
rend ei» Schimmer in seinem Auge aufleuchtete, den
noch kein Weib dort gesehen hatte. „Versuchen Sie es,
aber schauen Sie mich dabei an."
Ora erhob ihre großen Augen zu den seinen. Plötz.
lich war es, als ob eine geheimnisvolle Kraft die Ge
danken der beiden, und wohl auch ihre Herzen, in die
innigste Verbindung brachte. Sir legte die Hand auf
das Herz, die Röte des Verständnisses trat auf ihre
Wange und dann hauchte sie ein kurzes: „Ach ja!"
Sie neigte ihren Kopf und wendete sich ab.
„Ich erinnere mich jetzt." sagte sie keffe.
Eine unaussprechliche Freude ergoß sich bei diesen
Worte» in MolsheimS Seele; jetzt war er sich bewußt, daß
in der kurzen Zeit des heutigen Wiedersehens eine Liebe
zu Ora in ihm erwacht war, die nur mit seinem Leben
ende» konnte. Diese Liebe war um so gewaltiger, als
trotz seines erfahrungsreichen Lebens, fein Herz bisher
unberührt und unbefleckt geblieben war.
Er neigte sich innig zu ihr hernieder. „Verzeihen
Sie mir." flüsterte er, „wenn ich Sie in Verwirrung
gesetzt habe."
Sie schaute ihn lächelnd an. „Man weiß nicht recht,
waS für ein Gesicht man machen soll, wenn nian an
die Thorheiten seiner Jugend erinnert wird," erwi
derte sie. „Ich galt damals für ein vorlautes nnd ver
zogenes Kind; mein Vormund, der hier gerade kommt,
wird Ihnen dies bestätigen — Fürst SergüiS Loba-
now —Oberst Viktor v. Mölsheim, mein alterFreund "
„Dein alter Freund?" wiederholte Lobanow, sich ver
beugend. zugleich aber Mölsheim mit forschendem Blicke
musternd. „Du bist erst drei Monate inPetersburg, liebe»
Kind, und hast schon einen alten Freund gefunden?"
„Die Comtesse denkt dabei an Paris, Herr Fürst,
entgegnete der Ritter. „Ich hatte die Elire, daselbst
den General Orsow nnd sein damals noch kleine» Töch-
tcrchen gekannt zu haben."
„Ah so!" räusperte sich Lobanow. Wieder heftete
er eine!» forschenden, unruhig argwöhnischen Blick auf
Oras alten Freund." „Herr. . Herr Oberst von . .
verzeihen Sie, ich hatte vorhin Ihren Namen nicht
recht gehört."
Ritter von Molrheim, lieber Onkel," wiederholt«
die Comtess«. „Hast Du mich denn nie von dem Herrn
Oberst sprechen hören? Du weißt doch ..."
Der alte Fürst unterbach sie schnell. „Ritter von
Mölsheim!" rief er eifrig. „Ei freilich, den Namen
hast Du fast Tag und Nacht im Munde gehabt, als
Du noch jünger warst. Wenn ich nicht irre, redetest Du
sogar immer nur von Viktor von Molsheim. — Ich
bedauere aufrichtig, Herr Oberst, daß die Fürstin Lo
banow, meine Gemahlin, gegenwärtig in Tula ist; sie
würde sich sicherlich sehr freuen, Sie begrüßen zu kön
nen. Aber wollen Sie uns nicht die Ehre Ihrer Ge-
gemvart bei der Abendtafel schenken? Wir werden
dann zu Bieren sein: meine Nichte, Sie, Herr Bochur,
mein Bankier und ich."
Er bot Ora den Arm und führte dieselbe davon,
nachdem er noch einmal ein „Wir erwarten Sie also.
Herr Oberst!" zurückgerufen hatte. Innerlich war tt
ganz zufrieden mit dem Umstand, daß Mölsheim noch
nicht wußte, wer seine Frau eigentlich sei.
„Es lväre gut, liebe Ora," wendete er sich an seine
Nichte, „wenn der Oberst vor der Hand noch nicht er
führe, daß Deine ehemalige Gouvernante jetzt meine
Gemahlin iit."
„Aber Onkel, warum nicht?"
„Das will ich Dir sage». ES ist mir soeben einge
fallen, daß Herr von Molsheim in früheren Jahren
einmal sterblich verliebt in sic gewesen ist, und so könnte
ihui eine solche Mitteilung leicht die Stimmung ver
derben. Er hatte damals die Absicht sie zu heiraten,
als er aber in Erfahrung brachte, daß sie keinen Pfen
nig Vermögen besaß, da besann er sich eines anderen.
Es soll ihm sehr nahe gegangen sei», aber seine Klug
heit trug über sein Herz den Sieg davon."
Ora erwiderte kein Wort; die Hand aber, die auf
de» Onkels Arm lag, verriet durch ein leises Zucken
ihre innere Erregung. 42,16*