Full text: Newspaper volume (1896, Bd. 2)

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Wo. 288. 
Mittwoch, öen 9. December 
1896. 
Morgen-Berichte. 
Hamburg, 8. Dec. Die Eisenbahndirek 
tion macht bekannt, daß Äs auf weiteres 
Sendungen für den Freihafen von der 
Beförderung ausgeschlossen sind, ausge 
nommen Sendungen von Kohlen und solche 
für den Petersen-Quai. Anträge auf Be 
förderung mittelst Quaibahn werden vor 
läufig abgelehnt. Die Hamburger Quai 
Verwaltung lehnt Sendungen fürdieStaats- 
«luais ab. Für den Verkehr -nach Ham 
burg ist zur tarifmäßigen Lieferzeit eine 
Zuschlagsfrist von drei Tagen für Eilgut 
und zehn Tagen für Frachtgut festgesetzt. 
Hamburg, 8. Dez. Die Quaiverwalkung 
hat ihren Betrieb wieder aufgenommen; 
das geht aus einer Bekanntmachung der 
kgl. Eisenbahn-Direction zu Altona her- 
vor, des Inhalts, daß die Annahme der 
fur Hamburg-Freihafen bestimmten Güter 
Meder unbeschränkt stattfindet. Nach 
amtlichen Angaben der Quaioerwaltung 
wrrd bereits heute die Nachfrage nach 
Arbeitskräften gedeckt sein, sodaß dann 
dort überhaupt keine Leute mehr ange 
nommen werden. Bor Proclamirung des 
Generalstreiks hatte die Oluaiverwaltung 
elwa 1100 Arbeiter fest angestellt. 
Vvn diesen Leuten haben nur etwa 600 
Mann die Arbeit eingestellt und -sich den 
Streikenden angeschlossen. 
Hamburg, 8. Dezbr. In einer heute 
Abend im „Englischen Tivoli" veranstalte- 
ten öffentlichen „Eisenbah n e t - $ er- 
f a m m l u n g", die von etwa 5—600 
Personen besucht war, führte der Vorsitzende 
Bürger aus: Es fei etlva 5 Jahre her, 
daß die Eisenbahnarbeiter Gelegenheit ge 
habt hätten, sich an einer öffentlichen Ber 
Oberherrschaft in die Hand zu nehmen. 
Neben dem mit aller Kraft betriebenen 
Ausbau der transsibirischen Bahn bedeute 
dieser Schritt den Beginn der Beherrschung 
des Suezkanals zwecks Sicherung des See- 
Weges nach Ostasien. Das Bezeichnendste 
sei, daß Rußland aus dem Seewege gerade 
jenes Gebiet ausgewählt, das unmittelbar 
an die französische Kolonie Obok anstoße. 
Die russische und die französische Kriegs- 
stagge neben einander am Eingänge des 
rothen Meeres zu sehen, dürfe zur Genüge 
beweisen, daß beide Staaten in der Orient- 
politik sich zu weit ausgeholtem Vorgehen 
verständigt haben. 
Dresden, 8. Der. Eine in der Opell- 
straße wohnende Frau Bergmann hat sich 
und ihre drei Knaben im Alter von zwölf, 
sieben und drei Jahren durch Kohlengase 
vergiftet. Die Frau soll über den Tod 
ihres gestern in der Diakoniffenanstalt 
verstorbenen Ehemannes verzweifelt ge 
wesen sein. 
Lüttich, 8. Dez. In Dison ist eine 
Pockenepidemie (Windpocken?) ausgebrochen. 
800 Kinder sind erkrankt. Sämmtliche 
chulen sind geschlossen. In Spaa herrscht 
dieselbe Krankheit. 
Verviers, 8. Dez. Ein Soldat zer- 
chnitt in der Kaserne in trunkenem Zu- 
tandc die Bilder des Königs und 'öcr 
Königin und drang dann mit geladenem 
Gewehr auf feinen Korporal ein. Nur 
mit größter Mühe gelang es, den Wüthenden 
in Arrest abzuführen. 
Budapest, 8. Dec. Die Hörer der me 
dizinischen Fakultät hielten eine Versamm- 
lung ab, in welcher ein gegen Professor 
Kovaes gerichtetes Memorandum eiiistim- 
: j ' ' ' «u- nuuuw ytiioiieies wceiiivranouiii einst m- 
sammlung zu betheiligen. Es seien damalsImig angenommen wurde. Dasselbe wird 
îhr.ftr srhpfïtirtfimo rm Srtv «v-v-. s. cr\ r rr - ^ 1 VltU 
um mit Hülfe des Herrn v. Tausch einem 
dunklen Ehrenmann einen anonymen Brie 
an den Kriegsminister schreiben zu lassen, 
um auf Grund dieses Briefes gegen die 
fälschlich verdächtigten Hülfsarbeiter eines 
zum Ministerium des Innern gehörigen 
Refforts vorzugehen. 
Die beiden eigentlichen Angeklagten, die 
im Lauf der gerichtlichen Verhandlungen 
vor der Person des Herrn v. Tausch 
sehr in den Hintergrund traten, die 
„Journalisten" Le ck er t und v. Lütz ow 
(die von dem Journalismus allerdings so 
wenig verstanden, wie ein Köhler von der 
Weinbereitung) hatten bei Gelegenheit des 
Zarentoastes bei der Breslauer Entrevue 
in der Presse verbreitet, die falsche Wieder- 
gäbe dieses Toastes sei durch den Grafen 
Philipp Eu 1 enburg (Gesandten in 
Wien) veranlaßt worden und der Minister 
des Aeußern, -Freiherr v. Marichall 
sei derjenige gewesen, der diese falschen 
Angaben durch diese Mittelspersonen hätte 
an die Oeffentlichkeit gelangen lassen. — 
Hieran knüpften sich weitere versteckte An 
grifft gegen Frhrn. v. Marschall in der 
antisemitisch-agrarischen Presse, 
und endlich benutzte die „Staatsb.-Ztg." 
obiges unrichtige Material zu einem Artikel 
mit der lleberschrist: „Officiöse Preßwirth- 
schuft". In diesem Artikel hatte sich das 
antisemitische Organ die Unterstellungen 
des Herrn Leckert-Larsen gegen Freiherrn 
v. Marschall zu eigen gemacht und zugleich 
dresc^ Anschuldigung dahin erweitert, baß 
sie sie mit den seinerzeit in der „Köln. 
Ztg." uns „Hamburger Correspoudenten" 
erschienenen Artikeln über die sogenannte 
infolge ihrer Theilnahme an der Bewegung 
eine große Anzahl Arbeiter von der Eisen 
bahn - Verwaltung gemaßregelt worden. 
Damals, zur Zeit -der Mai - Bewegung, 
hätten die Arbeiter noch unter den Folgen 
des SozcialistengeseHes gestanden, heute 
ständen sie vor einenl großen Siege. Die 
Eisenbahn-Verwaltung sei inzwischen be 
müht gewesen, die Bewegung unter ihren 
î Arbeitern zu ersticken., doch werde -ihr dies 
nicht gelingen. Die Versammlung-beschließt 
! demzufolge die Gründung einer 
ş gewerkschaftlichen Bereinigung 
der Eisenbahn-Arüeiter und nimmt 
folgende Resolution an: „In Er 
Wägung, daß kein Privat > Unternehmer 
seine Leute so gering bezahlt, als wie 
die Kon,gl. Eisenbahnverwaltuiig ihren 
Arbeitern an Lohn zukommen läßt, erklär, 
die heutige Versammlung, daß es einfach 
unter heutigen Verhältnissen nicht möglich 
ist von dem Gelde, was uns die Eisenbahn, 
dehorde zumuther unsere Familie reell zu 
t ernähren, und die Versammlung erwar. et 
I von der Königl. Eisenbahndirektion uns 
sofort eine den theuren Verhältnissen ent 
sprechende L o h n z u l a g e z« gewähren 
Ferner erwarten wir bestimmt, daß wir 
sofort eine wöchentliche Abschlagszahlung 
erhalten werde», um nicht auf den ver 
dienten Lohn noch Wochen lang warten 
zu müssen, wie es bis jetzt der Fall war. 
Ferner erwarten wir die sofortige A b - 
s chaffung der Accordarbeit und 
un deren Stelle einen Tagelohn von 4,50 
Mark für sämmtliche an der Eisenbahn 
beschäftigte Arbeiter; ferner vom 1. April 
1897 ab eine achtstündige Arbeits 
zeit nebst allgemeiner Ş o n n t a g s - 
ruhe für alle Eisenbahner." 
Glasgow, 8. Dec. Ein Anzahl See- 
ļ l k u t e am Clyde hatte die Ar- 
ì ^ ' e d e r g e l e g t und verlangte 
eine Erhöhung des Lohnes. Die Bewe- 
gung breitet sich jetzt aus. Am Donners- 
tag wird der Versuch gemacht werden, das 
Absegeln der Oceandampftr unmöglich zu 
machen. Die Bewegung wird von dem 
Parlamentsmitgliede Havelock Wilson ge 
leitet. Die Rheder erklären, sie würden 
Mannschaften zu den alten Lobnsätzen er 
halten. 
Köln, 8. Dec. Die „Köln. Ztg." schreibt 
zu der Petersburger Mittheilung, Ruß. 
land habe von Mcnelik einen Hasen, sowie 
einen Länderstrich erworben, dadurch seien 
die stetig fortschreitenden Bestrebungen der 
russischen Politik erwiesen, im Orient eine 
heute dem Proftsiorenkollegium überreicht 
werden, welches sich am 9. d. Mts. Mit 
der Beschwerde der Studenten beschäftigen 
soll. Die Studenten beschlossen außerdem 
bis zur Behebung ihrer Beschwerden die 
Vorlesung des Professors nicht zu besuchen 
und sich im neuen Semester bei denselben 
nicht mehr einschreiben zu lassen. 
Belgrad, 8. Dec. Gelegentlich des 
Todes des Metropoliten Methodius in 
Uesküb wurden viele Werthsachcn, goldene 
Kreuze, llhreu und anderes gestohlen. 
Sogar ein Apotheker und griechische Geist-' 
liche betheiligten sich an der Plünderung 
angesichts des Leichnams. Das türkische 
Gericht hat eine Untersuchung eingeleitet. 
durch die unter seiiiu'i Eide gegebene Ver 
sicherung, daß er dem Chefredakteur des 
Berliner Tageblattes, Dr. L e v y s o h n , 
nie gesagt habe, der „Journalist" Leckert 
sei im auswärtigen Amte empfangen wor 
den, was dieser gegeutheilig wieder nun 
eidlich bestimmt erhärtet, in Haft genom 
men worden. 
Was nun? Der Ausfall der Entschei 
dung wird zeigen, wie weit nach der Mei 
nung der leitenden Staatsmänner und der 
sonst Berufenen das vermeintliche oder 
wirkliche „Staatsinteresse" rücksichtslos mit 
den Grundsätzen der bürgerlichen Moral 
vereinbar und nur auf Grund dieser zu 
wahren ist. Kann der Staat auch ohne 
ein unmoralisches Shstem der Polizei exi- 
stiren, oder ist die Praxis der Tausch und 
und Lützow nothwendig, um das zu schützen, 
was man die höchsten und heiligsten Per 
sonen nennt? Eine schwere Entscheidung! 
Es giebt realpolitische Pessimisten, die ein 
fach behaupten, der moderne Staat, dessen 
„Interessen" das System Stieber—Krüger 
—Tausch bisher geschützt hat, werde diesen 
Schutz nicht entbehren können; das Shstem 
und seine Träger würden bleiben, wenn 
auch etwas modistzirt. Und der Drachen- 
todter Freiherr v. Marschall, dem jetzt die 
große Partei der anständigen Leute dankt, 
werde an dem moralischen Siege, den er 
jetzt erfochten, ehrenvoll zu Grunde 
gehen, um so eher, als diese hoch an- 
zurechnende That den alten Haß nicht 
mildert, den in bekannten Lagern mächtige 
und einflußreiche Gruppen und Personen 
gegen den ehemaligen „Staatsanwalt" 
hegen. Es giebt auch Optimisten, welche 
.ņy-ķ». yieui aucy àşiii!ii,ien, welche 
„i-cebenregierung in inneren Zusammen- die Macht der öffentlichen Meinung in 
hang brachte. Infolge dessen wurde dass Presse und Volksvertretung für so groß 
antisemitische Blatt mit 8ef*Iag belegt-halten, daß die einmal enthüllte Korrup 
und Stra,antrag „wegen Beleidigung des tion und ihre Träger dagegen nicht zu 
n. 
„Die Enthüllungen -des Prozesses Leckert- 
Lützolv, wie er formell noch immer heißt 
haben nicht nur im politischen Kreisen, 
andern auch in weiteren Kreisen der Be- 
völkerung ein Aufsehen hervorgerufen, das 
man richtiger Au fr egung nennen kann 
Es unterliegt, ivie wir vorausgesetzt haben, 
gar keinem Zweifel mehr, daß die Bor' 
gänge dieses Prozesses auch in unseren 
Parlamenten zur Sprache gebracht werden, 
Vertreter aller Parteien sind von dieser 
Nothwendigkeit überzeugt und beträchtlich 
und thatsächlich hat heute schon der Prozeß 
me Privatunterhaltung im Reichstag ans 
schbreglich beherrscht. Man hört viele Ur- 
thene des Staunens und der Entrüstung 
darüber, daß der Prozeß bis Montag 
vertagt worden war und daß man damit 
dem schwer beschuldigten Herrn v. Tausch 
eine Frcst und Freiheit gelassen hatte, die 
vielleicht nicht jedem Andern gelassen 
worden ware, den. das Unglück passirt ist, 
« .ş'. Tagen des Prozesses über 
verschiedene Dinge, namentlich über seine 
Beziehungen zu Lützow unter seinem Eide 
ganz anders auszusagen als am dritten 
Tage, nachdem v. Lützow ein Geständniß 
abgelegt hat- Sehr viel wurde aucb in 
politischen Kreisen über den Oberstlieutenant 
Gaede vom Kriegsministerium gesprochen, 
der in einer Art Leumundszeugniß crklärsi 
er halte Herrn v. Tausch einer unehrew 
haften Handlung nicht fähig. Die durch 
diesen Zeugen constatirte befremdliche 
Thatsache wird jedenfalls im Reichstage 
auch zur Sprache kommen, daß Fonds des 
Kriegsniinisteriums benutzt worden sind, 
und zwar von dem Dezernenten des Kriegs-' 
ministers, dcm Oberstlieutenant Gaede, 
Staatssecretäks Freiherrn v. Marschall und 
anderer Beamten des Auswärtigen Amtes" 
gestellt. Aus Antrag des Reichskanzlers 
wurde nunmehr gegen Leckert und 
L. Lützow Strafantrag wegen verleum 
derischer Beleidigung des Staalssecretärs 
des Aeußern .Freiherrn v. M a r s ch a l l 
erhöbe», der dieser Tage zur Verhandlung 
kam, aber ergab, daß der nächste Hintcr 
mann des v. L>ü tz o w in dem Kriminal 
commissar v o n T a u s ch zu suchen ist, 
welcher den Genannten sich dienstbar machte. 
Alles politische Interesse conzenirirte 
sich daher während des Prozesses ans die 
großartigen Enthüllungen, die der Prozeß 
Leckert-Lützow in täglichen Steigerungen 
jetzt zu Tage fördert. Diese Angelegenheit 
erfüllt alle politisch denkenden Menschen. 
Das Ende des Prozesses ist noch nicht 
abzusehen, eines aber ist als Resultat heute 
schon klar : Die weitverzweigten Intriguen, 
die gegen den neuen Kurs nicht etwa nur 
unter Hohenlohe, sondern vor ollen Dingen 
unter Caprivi angezettelt worden sind, die 
wesentlich auch zum Sturze Caprivi's 
beigetragen haben, die werden jetzt enthüllt 
als ein Werk, das, wenn auch wahrschein 
lich nicht seinen letzten Ursprung, so 
doch sein hauptsächlichstes Werkzeug in der 
politischen Polizei hat! 
Es^ ist ein Bild der Corruption und 
politischen Brunnenvergistung, das da in 
Berlin ausgedeckt wird, wie es abstoßender 
kaum gedacht werden kann. Der Staats- 
ecretür des Auswärtigen Amtes flüchtet 
sich, wie er selbst ausruft, in die Oeffent- 
lichkeit, um seine Ehre gegen einen Kri- 
minalcominissar und dessen Hintermänner 
zu schützen! 
An die Stelle Leckerts, des „Gewehrs 
mamies" — wenn man einen bartlosen 
zwanzigjährigen Burschen, der eben noch 
Commis und kurz vorher Untertertianer 
war, „Mann" nennen darf — ist schnell 
Herr v. Lützow, der ehemalige Osficier. 
und dann der Kommissar der politisckeu 
Polizei v. Tausch, welcher Letztere aus 
aus einem Zeugen der Hauptangeklagte 
wurde, getreten, und schon fragt man all 
gemein nach dem Hintermann dieses Herrn 
- Tausch. 
. Das Ergebniß der Verhandlungen haben 
wir unseren Lesern vorgeführt. Der faß 
bare Macher der ganzen Gesellschaft, der 
schützen seien. 
Herr v. Tausch, der 18 Jahre lang auch 
unter Herrn Krüger in der Bismarck- 
s.-ch e n A e r a gewirkt hat, weiß viel, sehr 
viel. Das, was jetzt enthüllt wird, die 
politische Intrigue, die mit der Presse zu 
sammenhängt und arbeitet, ist nur ein 
kleiner Theil des großen Gebietes, auf 
dem die politische Polizei die Staatsinter- 
esien sachlich und persönlich schützt. Die 
Fäden reichen auch ins Ausland und so 
gar der vielgenannte Prozeß Kotze hat zum 
Resiort des Herrn v. Tausch gehört. Es 
mag schwer sein, einen solchen Mann fallen 
zu lassen. Das ist vielleicht Arbeit für 
eine zu einem gewissen heroischen Idealis 
mus neigende, energischen, schnellen Han- 
delns fähige Natur. 
Eine nüchterne Erwägung zum Schluß: 
Ganz gleich wie sich die Behörden zu Herrn 
v. Tausch stellen, der Prozeß Leckert-Lützow 
hat jedenfalls noch einen zweiten Theil, 
das ist der Prozeß wegen Urkunden 
fälschung gegen Lützow und in 
diesem Prozeß wird Herr v. Tausch 
der den Lützow angestiftet haben soll, zum 
mindesten wieder als „Zeuge" sungireu. 
Bon anderer Seite meldet man zu der 
Verhaftung des Herrn von Tausch noch 
Folgendes:^ Tausch mußte nach seiner Ein- 
ieserung in das Untersuchungsgefängniß 
zunächst im Aufnahmebureau ein Ver 
zeichnis seiner mitgebrachten Gegenstände 
anfertigen, worunter sich auch eine Akten 
mappe mit theilweise amtlichen Schrift 
diesen befand. Dann mußte er im Keller 
mit anderen eingelieferten Nntersuchungs- 
gefangenen ein Bad nehmen. Es wurde 
ihn, vom Oberinspettor gestattet, seine 
Kleidung anzubehalten. Bessere Verpflegung 
erhält von Tausch nur insofern, als er 
außer der täglichen Gefängnißkost sich Bier 
und Belag für eigene Rechnung halten 
kann. 
Der Polizeipräsident v. Windheim hatte 
am Montagvormittag mit deni Geh. Rath 
Muhl, dem Dirigenten der politischen 
olizei, sowie Gras Stillfried, dem Chef 
der Executive, eine längere Unterredung. 
Herr v. Tausch hat noch in verschiedenen 
Prozessen als Zeuge zu erscheinen. Die 
Stellung einer Caution ist abgelehnt 
worden, in Anbetracht dessen, daß der An 
Amtsverbrechens und Anstiftung zur Ur 
kundenfälschung zu verantworten haben. 
Die Enthüllungen, die der Prozeß Leckert- 
Lützow gebracht hat, haben auf dem Polizei 
präsidium selbst nicht weniger überraschend 
gewirkt als anderwärts. Die College» 
wie die Vorgesetzten des Criminalcommisiars 
v. Tausch verwahren sich auf das Ent 
schiedenste dagegen, auch nur die leiseste 
Kenntniß von dessen Machenschaften gehabt 
zu haben. An etwaige Hintermänner des 
Herrn v. Tausch in hervorragenden 
Stellungen glaubt man in den Kreisen 
seiner Collegen nicht. Eher nimmt man an, 
daß der Verhaftete durch völlig aus eigener 
Initiative unternommene Intriguen sich an 
Personen heranzudrängen uns sich bei 
ihnen beliebt zu machen suchte, denen seiner 
Ansicht nach die Zukunft gehörte. Auch 
ein großer „Tausch-Skandal" und sensa- 
tionelle Enthüllungen, die der bevorstehende 
Prozeß bringen könnte, gelten nicht für 
wahrscheinlich. Daß der Prozeß Leckert- 
Lützow seine Spitze hauptsächlich gegen ihn 
richten würde, dessen war er sich vor Be 
ginn der Verhandlung bewußt. So 
äußerte er zu einem Bekannten, daß man 
ihn „abschlachten" wolle. Dennoch befand 
er sich schließlich über die Situation, die 
sich aus den Verhandlungen ergeben hatte, 
völlig im Unklaren, und es ist notorisch, 
daß die Verhaftung ihn ganz unvorbereitet 
getroffen hat. Es geht dies aus Aeuße- 
rungen, die er noch am Montag Personen 
seiner nächsten Umgebung gegenüber gemacht 
hat, wie aus der Thatsache hervor, daß er 
bet seiner Einlieferung in das Unter- 
uchungsgesängniß Pretiosen von beträcht 
lichem Werth und über 200 Mark baares 
Geld bei sich trug. Seine Gattin ist von 
einer Verhaftung völlig überrascht und 
nahezu zu Boden geschmettert worden. 
Ihre pekuniäre Lage ist, da v. Tausch 
Vermögen nicht besitzt, eine mißliche. Das 
Bureau v. Tausch's, sowie seine darin be- 
rndlichen Papiere sind amtlich versiegelt 
worden. In seiner Privatwohnung hat 
eine Haussuchung noch nicht stattgefunden. 
Ueber amtliche, seitens des Ministeriums 
des Innern zu treffende oder getroffene 
Maßnahmen ist noch nichts bekannt. 
— Der Berliner Sensativnsprozeß ist 
beendet, aber in seinem Gefolge werden 
w ir noch allerlei Enthüllungen, wahre und 
alsche erleben. Schon jetzt beginnen sie. 
Herr v. Tausch hat, so schreibt die „Frkf. 
Ztg-"- 18 Jahre lang, obwohl nur einer 
der sechs Criminalcommissare der politischen 
ş Polizei, doch die eigentliche thatsächliche 
Leitung dieser Polizei gehabt. Sein Streben 
freilich, auch in den leitenden Posten des 
Polizeiraths aufzurücken und Nachfolger 
des früheren Polizeiraths Krüger 'zu 
werden, ist iym nicht geglückt, da Minister 
v. Köller s. Zt. den Polizeirath Eckardt 
aus Frankfurt mit nach Berlin nahm. 
Vielleicht war das der Grund, weshalb 
Herr v. Tausch, der aus seinem Unmuth 
über die getäuschte Rathshoffnung nie ein 
Hehl gemacht hat, neben dem Leiter des 
Auswärtigen Amts sich den Minister des 
Innern, seinen eigenen Chef, als spezielles 
Opfer erkor. 
es . . § ... ' 1 v in «UlUti-LUUJl Üt’imi, OUR oet mi* 
Ì ^ Dausch, ist megeu jtuegeu wissentlichen Meineids in Hast ne- 
Verdachts wissentlichen Meineids, begangen'nommen ist. Außerdem lvird er sich wegen 
Zum Streik der Hasenurbeitcr 
in Hamburg. 
Hamburg, 7. Dec. Lebhaftes Befremden 
hat hier in den weitesten Kreisen die An- 
chanung hervorgerufen, die Staatssekretär 
von Boetticher gegenüber dem hiesigen 
Streik im Reichstage eingenomilien hat. 
So einfach läßt sich die Angelegenheit 
denn doch nicht behandeln. Wenn Herr 
v. Boetticher daraus hinweist, oaß ein Lohn 
von 4,20 Mk. per Tag ein sehr schöner 
sei, über den sich Tausende fremde Arbeiter 
freuen würden, so übersieht er dabei 
zweierlei. Einmal die Unbeständigkeit 
der Arbeit der Hafenarbeiter, infolge 
deren die Mehrzahl ein Einkommen von 
1000 Mk. nicht erreicht. Das haben 
die verschiedenen Ausführungen der letzten 
Zeit deutlich erwiesen. Und ferner wird 
übersehen, daß das Leben in Hamburg 
bedeutend th eurer ist, als au den übrigen 
deutschen Plätzen. Dazu erfordert die Arbeil 
der Hafenarbeiter eine besonders stärkende
	        
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