Full text: Newspaper volume (1896, Bd. 2)

hung. Sie wollen ebenfalls streiken, falls 
die Direktion ihre Forderungen nicht be 
willigt. 
Wenn es zum Generalstreik kommt, was 
leider als durchaus nicht unwahrscheinlich 
angesehen werden muß, dann ist es auch 
zu befürchten, daß die Erbitterung au' 
beiden Seiten wächst und die friedliche 
man möchte beinahe sagen, gemüthliche 
Stimmung, die gegenwärtig noch herrscht 
nicht lange anhalten wird. Dann wird 
die Zahl der Arbeitslosen, die außerdem 
naturgemäß mit dem heftiger werdenden 
Froste steigt, sich mit einem Schlage vcr- 
doppeln oder verdreifachen, das Elend wird 
größer werden, und man weiß, daß Hunger 
und Kälte schlechte Berather sind. 
Fünf Ziffern aus dem „Hamburger 
E ch o" vom Sonntag sind bemerkenswerth. 
Auf der einen Seite meldet das sozialde 
mokratische Blatt, daß die Zahl der Strei 
lenden 12 858 betrage und daß sie 13 066 
Kinder zu ernähren hätten. Auf der an 
deren Seite wird quittirt: Erstes Ver 
zeichniß der beim „Echo" eingegangenen 
Spenden für die Streikenden 457,63 Mk., 
zweites 914,60 Mk., zusammen 1372,23 Mk. 
Diese geringfügige Summe (nachdem der 
Streik 8 Tage gedauert) beweist, wie wenig 
Sympathie die Sache der Hafenarbeiter 
bei dem Gros der arbeitenden Bevölkerung 
findet. 
Bremen, 29. Nov. Die Bremer 
Lagerhausgesellschaft giebt sol 
gendes bekannt: „Der Vorstand hat eine 
Einladung der Lohnkommission, sich heute 
Nachmittag im Kasino einzufinden, um 
eventuell seine Forderung der ganzen Ar 
beiterschafl Bremens vorzulegen und dar- 
über beschließen zu lassen, erhalten. Er 
sieht sich außer Stande, einer solchen Ein 
ladung zu folgen, weil er in der Ange 
legenheit, die nur die Bremer Lagerhaus^ 
gesellschaft und die bei ihr beschäftigt ge 
wesenen Arbeiter, Oberarbeiter und Krähn- 
führer angeht, allein mit den Betheiligten 
zu verhandeln gewillt ist. Der Vorstand 
ist morgen noch bereit, im Sinne der 
gestrigen Erklärungen mündlich zu ver 
handeln, und hat nichts dagegen einzu 
wenden, daß dafür ein anderer als der 
von ihm bezeichnete Ort vereinbart werde." 
London, 30. Nov. Eine gestern abge 
haltene Versammlung von 700 A r - 
beitern der Londoner Docks nahm 
einstimmig zwei Resolutionen an, von 
denen die eine gegen die Ausweisung 
Tom Mann's aus Hamburg Einspruch er 
hebt, die andere sich auf Errichtung eines 
Fonds zur Unterstützung der Ausständigen 
in Hamburg ausspricht. 
Aus Rotterdam meldet die „Magdeb 
Ztg.", man befürchte, daß die dortigen 
Dockarbeiter am Dienstag den Aus 
stand beginnen. Am Sonntag hat eine 
Arbeiterversammlung wegen Unter- 
st ü tz u n g des H a m b u r g e r S t r e i k s 
stattgefunden. 
Aus Antwerpen wird berichtet, die 
dortige Polizei habe mehrere englische 
A g i t o r e n ausgewiesen, die die dortigen 
Hafenarbeiter zum Anschluß ajn den 
Hamburger Streik zu verleiten 
suchten. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Rew-Jork, 29. Nov. Nach hier ein 
getroffenen Mittheilungen wüthete in den 
Thälern des Missouri und Mississippi, 
und zwar hauptsächlich in Minnesota, 
Dakota, Montana und Idaho, ein Schnee 
sturm. Der Schnee liegt stellenweise fünf 
Meter hoch. Es herrscht große Kälte. 
Die Eisenbahnzüge treffen entweder gar 
nicht oder mit Verspätung ein. Viel Vieh 
ist zu Grunde gegangen, 5 Menschen sind 
als erfroren gemeldet; man befürchtet, 
daß noch niehr Menschen ums Leben ge- 
kommen sind. 
Ein Seitenstück zu der Katastrophe auf 
dem Chodinskifeld wird über Bombay 
gemeldet: In Baroda ereignete sich 
während des Festes zu Ehren des 
V i z e k ö n i g s ein schwerer Unglücks 
fall. Zwei Menschenhaufen begegneten 
sich auf einem schmalen Wege, dabei 
wurden 29 Personen getödtet und mehrere 
verletzt. 
Italien. 
Zur Flucht der Prinzessin Elvira 
tvird aus Rom geschrieben: Das Aufsehen 
erregende Ereigniß kam für die betheiligten 
Kreise keineswegs überraschend, vielmehr 
waren seitens des Don Carlos und seiner 
nächsten Vertrauten schon seit Monaten 
alle möglichen Schritte unternommen wor 
den, um das Aeußerste abzuwenden. Der 
Hauptgrund lag übrigens in den wenig 
freundlichen Beziehungen, welche zwischen 
den einzelnen Gliedern der Familie des 
Don Carlos seit Langem vorherrschten. 
Die Brüder der Entflohenen hatten früher 
zweimal deren Bcrheirathung vereitelt, so 
daß Dieselbe sehr erbittert und in einen 
offenen Gegensatz zu den Wünschen der 
Familie getreten war. Mit dem Maler 
Folchi war sie vor einem halben Jahre 
in Siena bekannt geworden. Die Meldung, 
der Maler Folchi habe seine Familie nach 
seinem jetzigen Aufenthaltsorte kommen 
lassen, wird als unrichtig bezeichnet. Die 
Gemahlin Folchi's hat gegen ihren Mann 
die Scheidungsklage angestrengt. 
Rußland. 
Petersburg, 30. Nov. Entgegen den 
aus Warschauer Blättern entnommenen 
und auch in die ausländische Presse über 
gegangenen Nachrichten über das Befinden 
des Warschauer General-Gouverneurs 
Grafen Schuwalow erfährt der „B L. A. 
von einer dem Grafen verwandtschaftlich 
sehr nahestehenden Seite, daß sein Be 
finden keineswegs so befriedigend ist, wie 
es nach jenen Zeitungsberichten den An 
schein haben könnte. Der Gesammtzustand 
läßt sehr viel zu wünschen übrig, die 
Besserung ist eine kaum merkliche. Von 
der Möglichkeit, daß der Graf vollständig 
wiederhergestellt werde und dauernd au 
seinem Posten verbleiben könnte, kann 
keine Rede mehr sein. 
Schweiz. 
Hoher Schnee liegt im schweizerischen 
Canton Wallis. In Gans stürzten 
Lawinen zu Thal und richteten erheblichen 
Schaden an. Zermatt war vier Tage von 
allein Verkehr abgeschlossen, doch liegt der 
Schnee dort nur in einer Höhe von einem 
halben Meter. 
Dänemark. 
Kopenhagen, 30. Novbr. 
Hofkreisen erregt die verlängerte Abwesen 
heit des jungen Ehepaares, des Prinzen 
Carl und der Prinzessin Maud von 
Wales, großes Aussehen. Seine hiesige 
Wohnung steht seit mehreren Monaten 
bereit. Schon mehrmals wurde die Ankunft 
des jungen Paares angekündigt, jedoch 
immer wieder aufgeschoben und scheint 
jetzt vorläufig aufgegeben zu sein. Wenig 
stens wird versichert, daß Niemand über 
die Ankunft etwas wisse, und es wird 
hinzugefügt, daß die Prinzessin Maud 
nicht geneigt sei, England vorläufig zu 
verlassen. Daß dies zu den mannigfachsten 
Gerüchten Anlaß giebt, braucht kaum hinzu 
gefügt zu werden. Es heißt, der Kronprinz 
werde auf seiner Reise auch einen kurzen 
Besuch in England bei seinem Sohne ab 
statten, um ihn aufzufordern, die Rückreise 
zu beschleunigen. 
In hiesigen 
Inland. 
Berlin, 30. Nov. Bei sehr schwacher 
Betheiligung begann heute die erste Lesung 
des Reichshaushaltsetats im Reichstage 
ohne wesentliche Debatte. 
— Der Finanzminister Dr. Miguel 
ist erkrankt und genöthigt, das Bett zu 
hüten. Er leidet an heftigen rheumatischen 
Schmerzen. Die im Abgeordnetenhause 
für heute anberaumte erste Sitzung der 
Commission zur Berathung des Staats 
schuldentilgungsgesetzes wurde wegen der 
Erkrankung des Herrn Dr. Miguel abge 
sagt. Der Beginn der Commissionsver- 
Handlungen ist zunächst vertagt worden. 
— Eine von 77 Nassauischen Ge- 
Werbevereinen beschickte Versammlung 
in Limburg protestirte gegen die 
Zwangsorganisation des Hand 
werks, stimmte aber einer gesetzlichen 
Regelung des Leyrlingswesens und der 
Einrichtung von Handwerkerkammern unter 
Aufrechterhaltung der bewährten Gewerbe 
vereine zu. 
— Eine „ F ü r st Bismarck- 
Stiftung", die sich zum 80. Geburts 
tag des Fürsten gebildet hat, um an jedem 
1. April Unterstützungen und zinsfreie 
Darlehne zu vertheilen, hat mit ihren 
wiederholten Aufrufen um Geldbeiträge 
sehr geringen Erfolg gehabt. Zu dem 
Comite für die „Fürst Bismarckstiftung" 
gehörten u. A. Archivrath Dr. Baillen, 
die Obermeister Bierbach und Flick, die 
Reichstagsabgeordneten von Herder, M. 
Paul, v. Werdeck, das Mitglied des Ab 
geordnetenhauses v. Riepenhausen-Crangen, 
Herr O. Schilde, die Rechtsanwälte Dr. 
Schwindt und Dr. Zeidler, Frhr v. Zcdt- 
witz und eine Anzahl Beamte. Der 
„Voss. Ztg." liegt folgender Brief an den 
Postbeamten Grosse, der seinen Bruder, 
den Mörder des Justizraths Levy, 
der Polizei zugeführt hat, vor. Er trägt 
den Stempel „Fürst Bismarck - Stiftung" 
und lautet wörtlich wie folgt; „Berlin, 
den 26. 10. 1896. Sehr geehrter Herr! 
Aus Anlaß des Ihre werthe Familie be 
troffenen Unglücksfalles steht Ihnen wohl 
zweifellos die seitens des Anwalts 
vereins ausgesetzte Belohnung 
von 5000 Mark, sowie seitens der 
Familie des Ermordeten 500 Mark zu. 
Laut Zeitungsnotizen wollen Sie zwar auf 
diese rechtmäßige Forderung nicht Verzicht 
leisten, von derselben jedoch weder für Ihre 
Person noch für ein Mitglied der Familie 
Gebrauch machen, weil es sich uni den 
eigenen Bruder handelt. Ich bin nicht in 
der Lage, diese Zeitungsnotizen auf ihre 
Richtigkeit hin zu prüfen und bin lveit 
entfernt, Ihre Entschließung beeinflussen zu 
wollen, möchte aber doch nicht unterlassen, 
darauf hinzuweisen, wie schön es wäre, 
diese Summe oder doch einen Theil der 
selben unserer milden Stiftung, die neben 
ihrem humanen Zweck zugleich d i e 
dauernde Ehrung unseres A l t - 
Reichskanzlers e rst r e b t, zuzuwenden. 
Selbstverständlich würden Ihnen ' oder 
sonstigen Familienmitgliedern Darlehen ui 
entsprechender Höhe unverzinslich zur Ver 
fügung stehen und in dieser Form ein 
Nutzen aus der Angelegenheit zu erzielen 
sein, ohne mit der öffentlichen Meinung 
in Conflict zu kommen. Das Weitere 
Eio. Wohlgeboren überlassend, zeichne mit 
voller Hochachtung Oskar Schilde, Schrift- 
führer, Neue Wilhelmstr. 2." — Wir be 
zweifeln, daß dem Fürsten Bismarck mit 
solcher Ehrung gedient ist. 
— In ihrer Heutigen Abendausgabe 
geben die „Hamburger Nachrichten" unter 
Bezugnahme auf eine Bemerkung des 
„Standard", das Mißtrauen der deutschen 
Politik gegen England scheine beseitigt zu 
sein, der Hoffnung Ausdruck, daß die neulich 
vom Reichskanzler abgegebene Erklärung, 
wonach englische Einflüsse bei uns nicht 
stattfänden, noch heute zutreffend seien. — 
Betreffs der Forderung, den Geist des 
deutschen Offizierskorps zu ändern, meint 
das Organ des Alt-Reichskanzlers, damit 
würde wohl erreicht werden, daß vielleicht 
einige Duelle und Ausschreitungen weniger 
vorkommen, aber für Deutschland bestände 
dann auch die Gefahr, den nächsten Krieg 
weniger erfolgreich zu bestehen. — Danach 
würden recht viele Duelle über die 
Schlagfertigkeit des Heeres entscheiden 
Welche Logik. 
Das Scheitern der Zwangs- 
organisation des Handwerks hat im 
zünftlerischen Lager große Bestürzung 
erregt. Die „Staatsb. Ztg." giebt der 
Meinung Ausdruck, daß der neueEntwur' 
die Erwartungen des Handwerks (d. h. der 
Zünftler) gründlich zerstöre. Damit wäre 
die Hoffnung, jemals zur Bewilligung des 
Befähigungsnachweises zu gelangen, ein 
für alle Mal beseitigt. Die „Deutsche 
Tagesztg." will noch nicht daran glauben 
daß die Mehrheit des Bundesrar hs der 
artigen, die ganze Idee der preußischen 
Handwerks-Organisatrons-Borlage negiren 
den Verstümmelungen zustimmen werde 
dürfte keine Rede davon sein, der 
Handwerks-Organisation den Zwangs 
charakter nehmen zu wollen. Die „Ger 
mania" bezeichnet das Scheuern des Ber 
lepjch'schen Entwurfs als einen Erfolg der 
liberalen Agitation und tröstet sich damit, 
daß das Scheitern nur vorläufig sei, 
die Arbeit des früheren Handelsministers 
werde nicht ganz vergeblich sein; man 
werde früher oder später darauf zurück 
greifen müssen. 
Berlin, 30. Nov. In der Fürsten 
walderstratze 8 schoß heute Mittag der 
Schuhmachergeselle Carl Finger auf die 
30jährige, verehelichte Frau Bertha Paul 
und verletzte sie durch zwei Revolverschüsje 
anscheinend nicht lebensgefährlich. Der 
Thäter verwundete sich darauf durch einen 
Schuß in die Schläfe tödtlich. Allem 
Anschein nach handelt es sich um ein 
Liebesdrama. 
Königsberg, 30. Nov. Ein rabiater 
Schutzmann. Wegen Körperverletzung 
m Amte wurde der Schutzmann Hofs 
manu IV. zu einem Monat Gefängniß 
verurtheilt. Hoffmann, der schon einmal 
drei Wochen wegen Körperverletzung erhielc 
und im Rufe steht, das Publikum schroff 
zu behandeln, hatte der „Königsb. Hart. 
Ztg." zufolge einen Postpraktikanten D. 
auf dem Wege zur Wache durch Faust 
chläge in das Gesicht und Genick und 
durch Fußstöße schwer mißhandelt. Auf 
dem Polizeipräsidium erhielt D. in dem 
Hausflur noch einen so wuchtigen Hieb 
von dem Angeschuldigten in das Gesicht, 
daß ihm die Lippe an der inneren Seile 
aufgespalten wurde und ihm das Blut 
aus dem Munde lief. Auch nach der 
Entlassung des D. konnte sich der Schutz 
mann nicht versagen, ihm auf dem dunklen 
Hofe noch einen Hieb in den Nacken zu 
versetzen. 
Erbprinz Bernhard von Meiningen 
wohnte Sonnabend mit seiner Familie im 
chweidnitzer Stadttheater der Erstauf 
sührung der von ihm komponirten „Perser 
des Aeschylus" durch Schüler des Gym 
nasiums bei. 
Tilsit, 29. Nov. In dem Beleidigungs- 
prvzeß des Hospredigers a. D. Stöcker 
gegen den Rechtsanwalt M e d e m , der 
heute in der Berufungsinstanz vor der 
hiesigen Straskamnier verhandelt ivurde, 
wurde die Berufung des Rechtsanwalts 
Medem verivvrfen, dagegen wurde auf die 
gegnerische Berufung das Urtheil abge 
ändert und Medem zu 100 A Geldstrafe 
verurtheilt, sowie Stöcker die Befugniß zu 
gesprochen, das Urtheil in den Zeitungen 
„Deutsche Warte" und „Tilsiter Allgem. 
Ztg." zu veröffentlichen. 
Stnrgnrd in Pommern, 29. Nov. Ein 
Verbrechen ist in der Nähe der benach- 
barlen Kreisstadt Treptow verübt worden. 
Dort hörten Landleute aus dem Bahn 
graben ein unterdrücktes Stöhnen und 
Wimmern. Den Klegelauten nachgehend, 
entdeckten sie neben dem Bahndamme ein 
halbnacktes, nur mit wenigen Lumpen 
bedecktes und an Händen und Füßen ge 
bundenes, etlva 20jähriges Mädchen. Der 
Mund war diesem durch einen Knebel 
geschlossen. Die Landleute nahmen sich 
desselben an und brachten es in Pflege. 
Hier erzählte die Gerettete, daß sie au' 
dem Heimwege vom Markte von einem 
Manne und einer Frau überfallen worden 
sei. Beide hätten ihr die Kleider ausgezogen 
ihr Geld geraubt, sie mit Lumpen bedeckt 
und sie an Händen und Füßen gefesselt, 
quer über die Schienen der Eisenbahnstrecke 
gelegt. Hilferufe hatten 'ihr die Unholde 
durch einen Mundknebel unmöglich gemacht 
Unter unmöglichen Anstrengungen habe sie 
sich von den Schienen gewälzt und sei so 
in den Graben gerollt. Hier habe sie die 
ganze Nacht bei 5 bis 7 Grad Kälte 
halb im Wasser liegend, zugebracht. 
Vierundzwanzig Stunden nach dem Au 
finden ist das Mädchen gestorben. Die 
Schürze, die dem Mädchen als Knebel in 
den Mund gesteckt war, hat den Verdacht, 
Die unmenschliche That ausgeführt zu haben 
auf eine bekannte Landstreicherin gelenkt 
Kösen, 29. Nov. Ein hiesiger Einwohner 
hielt es für an der Zeit, seinen Winterpelz 
hervorzusuchen. Er mußte aber zu seinem 
Schrecken wahrnehmen, daß die Motten 
arg darin gegrast hatten. Um sie nun zu 
vertreiben, hängte er den Pelz über ein 
Paar Stühle, deckte ihn luftdicht zu und 
brannte dann unter diesem Aufbau eine 
Portion Schwefel an. Um dem unange 
nehmen Gerüche zu entgehen, verließ er, 
nachdem er alle Fenster geöffnet, das Haus 
Als er wiederkehrte, kam er gerade zur 
rechten Zeit, einen Stubenbrand zu ver 
hüten, denn der Pelz war schon ganz 
verkohlt. — Die Motten waren aber alle 
todt. 
Düsseldorf, 29. Nov. Fabrikant Johann 
Weuthen aus Neuwerk bei M.-Gladbach 
und dessen Werkmeister wurden von der 
hiesigen Strafkammer verurtheilt, weil sie 
jugendliche Arbeiter übermäßig lange arbei 
ten ließen. Ein 14 Jahre alter Knabe 
bekundete, er habe wiederholt von Morgens 
7 Uhr bis zum andern Morgen 4 Uhr 
ununterbrochen arbeiten müssen. Fabrikant 
W. wurde zu 1000 M., Werkmeister H 
zu 300 Mk. Geldbuße verurtheilt. Diese 
Bußen wurden der Octskrankenkasse 
M.-Gladbach überwiesen. 
Straßburg, 29. Nov. Aus einer Treib 
jagd in Ernstein ereignete sich ein schwerer 
Unglücksfall. Ein Jagvhüter ging mit 
seinem Hunde vor der Linie der Treiber 
her. Als er sich einem Premierlieutenant 
der hiesigen Garnison, welcher an der Jagd 
theilnahm, auf etwa 30 Schritte genähert 
halte, hielt dieser im dichten Unterholze 
den Hund für ein Kaninchen. Der Pre 
mierlieutenant bückte sich, um besser sehen 
zu können, dabei entlud sich sein Gewehr 
Der Hund ivurde leicht verletzt, ber hinter 
demselben herkommende Jagdhüler schwer 
in die Brust getroffen. Der hinzugerufene 
Arzt konnle nach kurzer Zeit nur den Tod 
des Jagdhüters feststellen. 
Einige Göttinger Studenten haben dem 
„Göttinger Anzeiger" folgende literarische 
Notiz finiter die „Unioersitätsnachrichten" 
geschmuggelt: „Soeben erschien der erste 
Band des mit großer Spannung erwarteten 
Gefchichlswerks „Der Pentateuch", dessen 
Verfasser, der bekannte Berliner Professor 
Dr. Moses, sich längere Zeit in Egypten 
aufgehalten hat, um dort die nöthigen 
vorbereitenden Studien zu seinem großen 
Weite zu machen. Das erschienene erste 
Buch führt den Titel „Genesis" und giebt 
interessante Aufschlüsse über die ältesten 
Zeiten der Menschheit." 
Eime Brandstiftung aus Rache, 
ausgeführt von einem jungen Manne von 
Bildung und aus guter Familie, fetzte die 
Stadt LiFWadt in große Aufregung. Der 
Lehrling S. in einer der dortigen 
Apotheken hatte Mißhelligkeiten mit dem 
Apotheker und dem Provisor und ivurde 
entlassen. Abends verkündete die Glocke, 
daß Feuer ausgedrochen sei. S. hatte 
das Laboratorium angezündet. Er ist 
verhaftet und geständig. Ueber die 
Einzelhelten dieser That ist Folgendes 
estgestellt: Seit einigen Wochen hatte 
S. mit dem Besitzer und Provisor infolge 
Ausbleibens und Trinkens Auftritte, bei 
denen er schon Drohungen ausjtieß. Eines 
Tages kam er wieder spät nach Hause 
und wollte den Provisor würgen. Dieser 
mußte die 'ganze Rächt ans seiner Hut 
ein und erwirkte am nächsten Morgen 
die Eatlassung des S. Als S. am Nach- 
mittag in Küche und Laboratorium sich 
noch zu schaffen machte, kam der Besitzer 
hinzu und schöpfte sogleich Verdacht, daß 
S. Gifte beigemengt habe, -hütete sich 
aber, etwas zu sagen. Bald daraus 
kürzte S., der inzwischen Benzin ausge- 
zossen und entzünde! hatte, mit einem 
chweren Eisen in die Zimmer, um nach 
eigener späterer Angabe den Provisor, 
den Apotheker lind dessen Frau zu tödten. 
Nachdem die Frau einen ihrem Manne 
geltenden Schlag aufgefangen hatte, wurde 
von dem Apotheker niedergeworfen 
und gehalten, bis die herbeikommende 
Polizei ihm Handfesseln anlegte. S. hatte 
mehrere Gifte genommen; da dieselben 
als Gegengifte gewirkt haben, so wird er 
voraussichtlich genesen. Von den frechen 
Reden des Burschen im Gefängniß sei die 
Prophezeiung erwähnt, daß das Schlimmste 
noch käme. Glücklicherweise ist dies durch 
die rechtzeitige Vernichtung sämmtlicher 
Borräthe und Medtcamente verhütet worden. 
Die Premierlieutenants Trautvetter und 
v. Horn vom 141. Infanterieregiment sind 
vom Kriegsgericht der 35. Division in 
G r a u d e n z im Abwesenheitsverfahren 
für fahnenflüchtig erklärt und zu 
je 1000 JC. Geldstrafe verurteilt worden. 
Das Urteil ist bereits bestätigt worden. 
Ein an den Fall Langerhans erinnern- 
der B e r g i f t u II g s f a l l durch Behring- 
sches D iphth erie > H e ils erum wird 
vom Sanitätsrath Brinckmann in Neu 
kloster i. M. in den „Therap. Monats 
heften" Nr. 6 wie folgt berichtet: Da dem 
behandelnden Arzte ein Diphtheritiskranker 
heftig in's Gesicht gespuckt hatte, injizirte 
er sich in den Vorderarm den sechsten 
Teil eines Fläschchens Serum Nr. 2. 
Nach einer halben Stunde empfand der 
60jährige Mann, der sich vollkommener 
körperlicher Rüstigkeit erfreute, wüthendes 
Jucken auf der Kopfhaut, Herzbeklemmung, 
Schwindel, Ohrensausen und größte Hin 
fälligkeit. Temperatur 39 Grad, Puls 
unfühlbar, Füße eiskalt, am ganzen Körper 
Quaddelausschlag, lästige Auftreibung des 
Leibes mit spärlichem Erbrechen. Nach 
mehreren Stunden Nachlaß der Erscheinung, 
Ausbruch von Schweiß und erst nach 24 
Stunden ein Aufhören des Fiebers. 
Hannover, 30. Nov. Der außerordent 
liche Hannoversche Städtetag findet 
hier am nächsten Sonntag statt. Auf der 
Tagesordnung steht der Lehrerbesoldungs 
Gesetzentwurf und das Beamten-Steuer- 
privileg. 
Wilhelmshaven, 30. Nov. Amtlich wird 
mitgetheilt, daß die 10 Geretteten von 
dem „Iltis" am 17. Dezember in Ham- 
bürg eintreffen. 
Radbruch, 28. Nov. Der Wunderdoctor 
Schäfer Ast ist jetzt Ritterguts 
besitzer geworden. Man hatte ihn bereits 
zum reichsten Manne des Kreises Winsen 
a. d Luhe gemacht, jodaß er bei Weitem 
der höchst Besteuerte unseres Kreises war. 
Da er mit dem vielen Gelde doch irgend- 
wo hin muß, hat er jetzt das im hiesigen 
Kreise belegene, 106 Hektar große, mit 
einem Grundsteuerreinertrag von 4122 Ji, 
verzeichnete Rittergut Wuhlenburg, 
bisher im Besitz der Familie de Dobbeler, 
käuflich erworben. Schäfer Ast ist damit 
an die Seite der altadeligen Grundbesitzer 
des Fürstenthums Lüneburg getreten, da 
mit dem Rittergut Wuhlenburg Sitz und 
Stimme in der Ritterschaft des Lüne 
burgischen Landtages verbunden ist. 
Lübeck, 30. Nov. Einem äußerst 
raffinirten Betrug resp. einer Er- 
Pressung ist ein Landmann aus der 
hiesigen Umgegend zum Opfer gefallen. 
Ein nicht ganz korrektes Verhalten gegen 
ein im Jahre 1894 bei ihm dienendes 
Mädchen Unruh gab dem Vater des letz- 
teren Veranlassung, die unerhörtesten Geld- 
forderungen an den qu. Landmann zu 
kellen, wozu er sich dreier Mittelspersonen 
bediente. Während einer dieser dunklen 
Ehrenmänner sich als „Schiedsrichter" von 
Lübeck ausgegeben hatte, traten die beiden 
anderen als „Geheimpolizisten" auf, die 
den Fall zu untersuchen hätten. Unter 
'ortgesetzten Drohungen gelang es diesen 
Menschen, nach und nach von dem Land- 
mann eine Summe von ungefähr zehn 
tausend Mark zu erpressen, diesen in 
dem Glauben lassend, er habe es mit 
amtlichen Persönlichkeiten zu thun. Nach, 
dem nun vor einigen Tagen das Polizei- 
amt und dadurch auch die Staatsanwalt- 
chast von der Sache Kenntniß erhalten 
hatte, wurde die Festnahme der Betheiligten 
verfügt. 
Lübeck, 30. Nov. Auf dem Emaillir- 
werk der Herren Thiel & Söhne hat in 
den letzten Tagen eine größere Anzahl 
Handwerker die Arbeit aufgenommen, die 
von auswärts hier zugezogen sind, und 
täglich treffen solche noch ein, um die 
verlassenen Plätze zu besetzen. An eine 
Wiedereinstellung der Streikenden ist nicht 
zu denken, da der Betrieb, wie die Firma 
Thiel & Söhne der „Eis.-Ztg." mittheilt, 
jetzt in volle in U m fange wieder 
aufgenommen ist. 
Hamburg. 25. Nov. Die schleswig-hol- 
keinischen Viehzüchter haben jetzt an die 
hiesigen Kommissionäre die Aufforderung 
gerichtet, ihr Eigenthum nicht zum Spiel- 
ball einer Kraftprobe zu machen, sondern 
ihr Vieh zu deinjenige» Markttag anzu- 
treiben, zu welchem sie es eiusenden. Die 
Versender des Viehes haben erklärt, daß 
hre Interessen in dieser- Sache - identisch 
sind mit denen der Schlachter, in so fern, 
als es den Viehzüchtern darum zu thun 
sein muß, ihr Vieh dann am Markt zu 
haben, wenn daS Gros der Käufer vor 
handen ist. 
Provinzielles. 
Kiel, 30. Nov Die Enthüllungs- 
ieier des Löwe-Denkmals fand heute 
Nachmittag 3 Uhr in Düsternbrook statt. 
An der Feier nahmen außer einer Reihe 
der hervorragendsten Persönlichkeiten ver 
musikalischen Kreise und der hiesigen Stadt 
in Vertretung des Prinzen Heinrich der 
Hofmarschall Frhr. v. Seckendorfs und der 
kellvertretende Siationschef, Contreadmiral 
Otdekop, theil. Der akademische Gesang- 
verein halte eine Fahnen-Deputation ge 
sandt. Der Vorsitzende des Denkmal- 
Ausschusses. Prof. Niemeyer, hielt die
	        
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