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WO. 278.
Ireitag, Sen 27. Wovember
1896.
Morgen-Berichte.
Kiel, 27. Nov. Frau Prinzessin Hà
rich ist heute von einem Prinzen glücklich
entbunden. Dir im Hafen liegenden Kriegs
schiffe haben über Toppen gestaggt und
falutirten.
Kiel, 26. Nov. Heute Morgen begab
sich der Kaiser an Bord des Torpedover-
suchsfchiffes „Friedrich Karl" auf die Bußen
söhrde, wo Seemanöver vorgenommen wer-
den. Die Abreise des Kaisers von hier
ist auf morgen Mittag festgesetzt -worden.
Hamburg, 26. Nov. Heute Morgen
haben die Ewerführer die Arbeit nieder
gelegt. 8000 Personen streiken bis-.jetzt.
Bon etiva 300 im Hafen liegenden Schiffen
arbeiten 28.
Berlin, 26. Nov. In dem Preßprozeß
gegen Leckert und Genosse si n-d, -wie die
„Staatsbürgerztg." meldet, von-der Staats-
ünwaltschaft nachträglich noch fünf weitere
Zeugen geladen worden.
Berlin, 26. Nov. Zweifellos sind der
„Nordd. Allg. Ztg." zufolge, die aus die
Verstärkung der Garnison der Insel Hel
goland bezüglichen Erörterungen der Presse
auf die Einstellung einer Forderung von
200 000 Mk. in den Marineetat für den
Bau einer Kaserne auf Helgoland, ein
schließlich Grunderwcrb, zurückzuführen.
Breslau, 26. Nov. Heute Vormittag
brach, wie der „Brest. Generalanzeiger"
berichtet, in der Zuckerfabrik in Lüben ein
Brand aus, der den Dachstuhl vollständig
zerstörte. Nur dem Umstande, daß das
Wasser des Reservoirs sich auf den Boden
ergoß, ist es zu danken, daß die Fabrik
vor dem gänzlichen Abbrennen verschont
blieb. Der Betrieb ist auf -circa acht Tage
gestört.
Bochum, 26. Nov. In dem benach
barten Röhlinghausen wurde gegen eine
Gastwirthschaft ein D y n a m it - Atten
t a t ausgeführt. Drei Personen sind schwer
verletzt, das Haus ist demolirt.
Frankfurt a. M., 26. Novbr. In dem
bekannten Zeugnißzwangsverfahren gegen
die „Franks. Ztg." ist gegen den verant
wortlichen Redakteur Alexander Giesen
eine Geldstrafe von 2OO Mark verhängt
und zugleich eine Zwangshaft vom 4. Dez.
an verfügt worden. Gegen diese Ent
scheidung hat der Betroffene sofort Be
schwerde eingelegt.
Brüffel, 26. Novbr. Infolge der zahl
reichen Conferenzen, welche der armenische
-Professor Thumajan über die -traurige
Lage in Armenien gegeben, hat sich hier
ein Ausschuß gebildet mit dem Zwecks
Unterstützungen für die Armenier.zuffam-
meln. Unter den Mitgliedern .dieses
Coiuitees befindet sich oer katholische
Claarsminister Lejeune, der socialistische
Abgeordnete Viktor Demie, der raSl'ate
Abgeordnete Laurant und der Priester
Dhoens.
Lyon, 26. yioo. Gestern kam es am
Schluffe eines Meetings der Konservativen
und Antisemiten zu einer blutigen Schlä
gerei, wobei ein Redakteur arg zugerichtet
-wurde. Ein Abgeordneter wurde verhaftet
Triest, 26. Novbr. Hier herrscht eine
-Bora von außerordentlicher Heftigkeit
Ter Lloyd-Dampfer „Semiramis" de-
Alexandrinischen Eil-Linie wurde, mit
Passagieren und Waaren von Alexandrien
kommend, durch eine heftige Bora gegen
den Wellenbrecher geworfen. Der Kapitän
konnte diesen Stoß durch eine entsprechende
Mauövrirung ablenken. Der Dampfer
erlitt nur geringen Schaden, die Passagiere
blieben unversehrt.
Triest, 26. Nov. Die seit gestern Herr-
schende Bora gehört zu den heftigsten der
letzten Jahre. Seit den gestrigen Abend
stunden ist der Verkehr gelähmt; auch der
Wagenverkehr hat eingestellt werden müssen.
-Zahlreiche Personen sind verunglückt. Im
Hafen ereigneten sich mehrere nickt unbe-
deutende Ünglücksfäüe. Die Schifffahrt
>st unterbrochen.
London, 26. Nov. Obgleich man hofft,
baß die Rheder zu Hull die Differenzen
8 >it den Dockarbeitern gütlich beilegen wer
ļj e a, herrscht die Besorgnis, daß der Streit
-kr Tockarbeiter sich auf ganz England
"vsdehnen könne, besonders wenn die Frage
"kr Ausladung der Hamburger
acut wird. Viel hängt von dem noch un
bekannten Ausfall der Abstimmung des
Vereins der See- und Feuerleute über die
Proklamiruiig des allgemeinen Ausstandes,
ab. Die Internationale Föderation traf
umfaffende Vorbereitungen für den even
tnellen Generalstreik.
Mailand, 26. Nov. 200 Hafenarbeiter
welche in der heutigen Nacht von Genua
nach Hamburg abfahren sollten, wurden
auf Befehl des Präfekten, welcher Italie
ner-Verfolgungen wie in Zürich befürchtet
festgehalten. Der Präfekt telegraphirte -an
die Regierung um Ertheilung von In
struktionen.
Deutscher Reichstag.
133. Sitzung.
Berlin, 26. November.
Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die
Interpellation des Abg. Auer (Soc.-Deim) und
Gen. über die Z o l l b e h a n d Ì u n g ferner
L e d e r w a a r e n in Rußland.
Nach der Verlesung der Interpellation durch
den Vicepräsidenten Schmidt erklär!
Staatssekretär Dr. v. Boetticher: Zu
meinem Bedauern sehe ich mich genöthigt, die
Beantwortung der Interpellation abzulehnen. Es
schweben z. Zt. hier in Berlin internationale
Verhandlungen rücksichtlich der Wünsche und Be
schwerden, die über die Ausübung unseres.Handels-
verlrages mit Rußland laut' geworden -sind.
Bevor diese Verhandlungen nicht zum Abschluß
gekommen sind und bevor die Vereinbarungen,
die als Ergebniß dieser Verhandlungen -getroffen
werde», die Zustimmung der betheiligten Regie
rungen gefunden haben, erscheint es nicht ' im
Interesse der deutschen Wirthschastspolitik, daß
ein Gegenstand in diesem Hause öffentlich be-
hanvelt wird, der einen wesentlichen Theil, jener
Berathungen ausmachen wird. Nun konnte inan
ja den Einwand erheben, daß dieser Grund nur
die augenblickliche Beantwortung der Interpellation
ausschließe, daß er aber einer späteren Beant
wortung derselben nicht hinderlich sei. Ich würde
mich nun gern sofort zur Beantwortung-an-einem
ipäteren Termin bereit erklären, -wenn -ich mit
einiger Sicherheit den Termin, an dem das
möglich ist, übersehen könnte. Das -ist -heute nicht
der Fall; die Berathungen haben eben erst be
gonnen. Außerdem besteht ja aber die Möglichkeit
und ist es denkbar, daß der Anlaß, der zu der
Jnterpellation geführt har, durch bie internationalen
Verhandlungen beseitigt werden wird. Ich bin
deshalb außer Stande, etwas anderes als - die
Ablehnung saus pliraso zu erüären und den
Herren Interpellanten anheimzugeben, zu geeig
neter Zeit auf den Gegenstand zurückzukommen
Abg. Ulrich (Socialdem.) beairtragt, trotz der
ablehnenden Antwort des Staatssekretärs in eine
Besprechung der Interpellation einzutreten.
Bicepräsident Schmidt: Der Antrag bedarf
der Unterstützung voi; 50 Mitgliedern. (Es er
heben sich nur die anwesenden Socialdemolraten )
Die Unterstützung reicht nicht aus. Wir verlassen
daher diesen Gegenstand.
Es folgt die Interpellation der Abgg. Auer
und Genossen, betreffend die Besteuerung der
sächsijchen Consumvereine.
Preußischer Landtag.
Abgeordnetenhaus.
5. Sitzung vom 26. Noo., 14 Uhr.
Erste Lesung deS Lehrerbeso Ldrengs-
g e s e tz e s-
Abg. Knöricke (frf. Vp) bedauert, daß trrtz
des guten Willens des Kultusministers den
Lehrern wiederum nichl gewährt fei, was ihnen
von Gottes und Rechts wegen gebühre. Ins
besondere sei eine Erhöhung des Grundgehalts
und der Alterszulagen zri fordern (Zustimmung
links). Bedeiikiich sei die Bevorzugung des
platten Landes vor den großen Städten. -Er
hoffe, daß der Finanzminister in der Kommission
noch werde mit sich reden lassen. (Rufe: 3ia! Aal-
Ach, der Herr Finanzinmister, so entgegnst
Redner auf den Zwischenruf, ist unter Umständen
garnicht so schlimm. (Heitcrk.)
Abg. Dr. Porsch (Cent:.) erklärt, seine
Fraktion habe, .wie im vorigen Jahre, auch gegcn-
dchsen Entwurf prinzipielle und taktische Bedenken,
weil sie die Regelung des gesammten Bolļsschul-
ge-sttzeo und zwar auf chrfftUcher Grundlage sor-
dere, (Bravo! im Centrum und rechts). Die
Stellung des CciîLrums zu der Aenderung der
Bestimmungen über die Alterszulagekaffen mache
cs von den weiteren Erklärungen der Regierung
abhängig. Das Grundgehalt/ bas ja nur ein
Mindeßtgrundgehalr sei, werde sich kaun, höher
festsetzen lassen, wohl aber hoffe das Centrum,
in der Kommission die Bestimmungen über die
Alterszulagen noch verbessern zu können. Leider
ei der vorjährige Kommissionsbeschlutz zu Gunsten
der Lehrer au Privatanstalten in die jetzige Vor
lage nicht aufgenommen worden. Redner beantragt
Verweisung der Vorlage an eine Ltgliedrige
Kommission. (Leis, im Centrum).
Abg. v. T schoppe (frk.) hält das vorgeschlagene
Mindestgrundgehalt für zu niedrig' und 'den
gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr ent
sprechend. Das Entgegenkommen gegen die
großen Städte bezüglich der Staatszuschüffe sei
sehr bedeutend (Lachen liuks). Redner empfiehlt
Erhöhung desMimmalgeyalts auf 1000 Mark.
Außerdem würden feine Freunde auch an der
Erhöhung der Alterszulagensätze über die Vpr->
läge hinaus unbedingt festhalten. Ferner sei
eine Vorlage zur Aufbesserung der Wittwen- «nd
Waisengehälter zu fordern, sobald die finanzielle
Besserung eine dauernde geworden sei. (Bravo!
rechts).
ķ Abg. v - H e >) d e b r a n d (kons.) kritisirt scharf
die Aenderungen gegen die frühere Vorlage zu
Gunsten der großen'Städte.
Redner betont gegenüber dem Vorredner, daß
seine Partei unter keinen Umständen einer
Steigerung der Belastung der kleinen Städte
zu Gunsten der Lehrer zustimmen könne. (Leb
haste Zustimmung rechts.) Einer Erhöhung der
Gchalisätze könnten seine Freunde eventuell zu-
stinimc», wenn der Finanzminister mit einer
-Erhöhung der Staatsleistungen einverstanden
sei oder aber die Staatsleistungen an die-großen
Städte entsprechend gekürzt würden. (Lachen
links.)
Kultusminister Dr. Bosse glaubt
konstatiren zu können, das; die Aufnahme
der Vorlage im Hause im Allgemeinen eine
sympathische sei. Er werde jedenfalls stets alles
thun, um die Lage der Lehrer möglichst zu ver
bessern. (Beifall.) Die Zugeständnisse - an die
großen Städte seien nur dem dringcndctl Wunsche
nach baldmöglichstcm Zustandekommen des Ge
setzes entsprungen. Alles komme der Regierung
darauf an, nicht wieder vergebens gearbeitet zu
haben. (Beifall.)
Abg. No eile (nl.) ist erfreut über das Ent
gegenkommen der Staatsregicruiig gegen die
großen Städte, bedauert aber, daß' mich die
jetzige Vorlage die Anerkennung des Prinzips
missen lasse: Was die Städte haben, sollen sic
auch Inhalten. Seine Freunde würden bei dem
entsprechenden Antrage Sattler vom vorigen
Jahre beharren.
Abg. v. Kardorff (srk.) meint, wenn man
wolle, daß die Schulen Gemcindcanstalten blei
ben, so müsse man auch die Gemeinden leistungs
fähiger machen, durch Einschlagen einer anderen
Wirthschastspolitik. Er empfehle dringend Er
höhung des Grundgehalts und der Alterszulagcn.
Sollte dieses Gesetz wieder scheitern, so würde
er für seine Person, so lange die Lehrerbe-
soldungsfragc nicht geregelt sei, keinem Geseke
zustimmen, das die Beamtcngehülter aufbessere.
Ausland.
Außereuropäische Gebiete
Der völlig erblindete Newhorker Milli
onär Charles R ouß hat Edison 1000000
Doll, versprochen, falls er ihm sein Augen
licht wieder verschafft. Es handelt sich
aber um Atrophie der Augennerven.
Italic«.
Nom, 25. Nov. Als König Humbert
heute seine übliche Spazierfahrt machte,
näherte sich seinem Wagen ein Mann in
anständiger, bürgerlicher Kleidung, um ihm
eine Bittschrift zuzuwerfen. Ehe er sein
Vorhaben ausführen konnte, wurde er von
einem dem Wagen des Königs folgenden
Polizisten und einigen Carabinieri ver
haftet. Darauf zerriß er in größter Wuth
das Blatt Papier in kleine Stücke; es
war ein „Aktenstück", das ihm feinen
militärischen Abschied gab. Der Mann
wvllte vom König Unterstützung -für seine
in Afrika geleisteten Dienste erbitten. Er
wurde in das Gefängniß von Aracoeli
eingeliefert.
Rom, 26. November. Gelegentlich der
Hochzeit ihres Sohnes äußerte Königin
Margherita von Italien zu ihren Ver>
tramen: „Ich hoffe, daß der König, -wenn
ich nun-Großmutter geivorden fein werde,
mir nicht mehr verbieten wird, eine Brille
zu tragen." — Diese „Brillenfrage" sagt,
man, fei JDer öftere Gegenstand eines kleinen
häuslichen Zwistes in der italienischere
Königsssmilie. Jedesmal, wenn der König
seine Gemahlin, die etwas schwache Augen
hat, beim Lesen mit einer Brille überrascht,
sagt er mit -einem leichten Aerger in der
Stimme: „Wargherita, bitte lege doch
die Brille weg." Wenn die Königin dann
darauf zu bestehen versucht, das Augenglas
nsch weiter zu benutzen, fügt er hinzu:
„Margherita, wenn Du die Brille nicht
fortlegst, fange ich an zu singen!" Die
Kömgin, die sehr musikalisch ist, hat gegen
Mißtöne ein außerordentlich empfindliches
Ohr und vor den falschen Noten ihres
Gemahls eine so große Furcht, daß sie
sofort dem eheherrlichen Wunsche willfahrt
und die beanstandeten Gläser bei Seite
legt, um sich vor dem „Gesänge" des
Königs zu retten.
Der „L.-A." berichtet: Die Studenten
der Universität Pavia haben einen Aufruf
an alle ihre italienischen Commilitonen
erlassen, um sie zur Theilnahme an einer
Studienreise nach Ä e r l i n, die in den
nächsten Osterferien stattfinden soll, ein
zuladen.
Rußland.
Tiffis, 26. Nov. Fürst Tussijew ivurde
wegen Entführung eines jungen Mäd
chens zur Verbannung ins Gouvernement
Archangel auf 10 Jahre verurtheilt.
In Zengorzc (Russisch-Polen) hat sich
ein großes Grubenunglück ereignet Es
wird davon gesprochen, daß 30 Bergleute
den Tod gefunden haben. Nähere Nach
richten fehlen noch.
Belgien-
Aus Rache haben im belgischen Dorfe
Westerodc mehrere Bauern einen schlafen
den Einwohner Namens Debouter, mit
Petroleum begossen und ihn dann
angezündet- Der Unglückliche ver
brannte. Sechs Thäter ivurden verhaftet.
Inland.
Berlin, 26. Nov. Das „Volk" hatte
kürzlich aus „absolut sicherer Quelle"
wissen wollen, daß Wilhelmshöhe bei
Kassel als künftige Residenz des Kaiser-
paares in Aussicht genommen sei. Die
„Nordd. Allg. Ztg." ist beauftragt, diese
Angabe als lediglich auf Erfindung be
ruhend zu bezeichnen. Wie schon in den
letzten Jahren werde Schloß Wilhelms
höhe auch künftig für einige Wochen als
Sommeraufenthalt wohl benutzt werden,
es sei jedoch an zuständiger Stelle von
der Absicht nichts bekannt, den ständigen
Sommersitz dorthin zu verlegen.
— Die jetzt im Reichstag zur Berathung
stehende Justiznovelle wird uns
allem Anschein nach noch viel zu schaffen
machen. Wenn man den Sitzungssaal
zwar ansieht, in welchem die Vorlage in
Gegenwart von drei, vier Dutzend Abge
ordneten berathen wird, sollte man glauben,
es handle sich um ein ganz unbedeutendes,
der Volksvertretung und dem Volke gleich
gültiges Gesetz. In Wirklichkeit aber liegt
die Sache ganz anders. Gerade der Justiz
novelle wegen ist im letzten Sommer die
Reichstags-Session nicht geschlossen, sondern
nur vertagt worden. Die Justiznovelle
sollte und will zwei sehr alte Forderungen
der öffentlichen Meinung erfüllen; die Ein
führung der Berufung in Strafkammer-
fachen und die Entschädigung für unschul
dig erlittene Strafthaft. Leider hat die
Regierung sich nicht entschließen können,
nur diese zwei von ihr selbst nunmehr als
berechtigt anerkannten Forderungen schlank
zu befriedigen, sie hat ihrerseits Gegen-
sorderungen aufgestellt, die, wie die Dinge
jetzt stehen, daß Zustandekommen der Vor-,
tage, d. h. also die Berujung und die Ent
schädigung unschuldig Berurtheilter ernst-
lich gefährden. Die formelle nicht nur,
sondern die eigentliche Entschädigung wird
dieses Mal erst ^die dritte Lesung bringen.
Da wird der Sitzungssaal des Reichtags
ein ganz anderes Bild gewähren, als jetzt
bei der zweiten, obschon diese sonst die
Hauptlesung ist.
— Bei dem Strafverfahren gegen die
Journalisten von Lützvw, Leckert
und Gen., das am 2. Decbr. zur Haupt-
Verhandlung kommt, ivird die Leffeiillichkcit
nicht ausgeichlosseii. Denn es handelt sich
nach der „Köln. Ztg." gerade darum, ge-
richtlich eine Ansktärung darüber herbei
zuführen, ob in der That ein wohlorgani-
strter Kreis von Intriganten, angeblich
unter Benutzung von Geheimpolizisten,
plannt äßig lügenhafte und ver
leumderische Ausstreuungen vor
genommen habe, um die leitenden
Kreise durchcinanderzuhetzen und unter
anderm auch den grhrn. von Marschall
beini Kaiser anzuschwärzen, indem man
ihm unehrlicher Werse die Urheberschaft
von Zeitungsartikeln zuschob, die im Früh
jahr d. I. die damals der Militär-Stras-
proceßorduuiig entgegenstehenden Hindernisse
erörterten.
— Der einzige mit dem Eisernen
Kreuz erster Klasse ausgezeichnete,
noch aktiv dienende Unterosffzier der Armee
ist der Wachtmeister Kettlitz vom ersten
Brandenburg. Dragoner-Regiment Nr.
in Schwedt an der Oder. Er hat sich die
ehrenvolle Auszeichnung im Feldzuge gegen
Frankreich dadurch erworben, daß er, um
dem General Schmidt wichtige Meldungen
zu überbringen, zweiinal durch den dichtesten
Kugelregen ritt und dabei 24 Meilen in
26 Stunden zurücklegte. Als Kaiser
Wilhelm 4L 1889 bei den Manövern um.
Jüterbog das Kreuz auf der Brust des
Unteroffiziers sah, schüttelte er ihm die
Hand mit den anerkennenden Worten:
„Sie können sich rühmen, der einzige
Unteroffizier der ganzen Armee zu sein,
welcher diesen schönen Orden trägt."
Kettlitz wurde ferner gelegentlich des
Kavallerie - Exerzierens bei Demmin vor
Beginn der letzten Kaisermanöver vom
Kaiser bei der Kritik in den Kreis der
Offiziere befohlen und von dem Monarchen
persönlich begrüßt und beglückwünscht. Er
erfreut sich noch großer Rüstigkeit und
beabsichtigt daher, auch noch fernerhin im
Dienste zu bleiben.
Welch' enorme Summen bei den
Bauten in der Berliner Gewerbe-A us-
stellung verloren gegangen sind,
zeigen nachstehende Angaben über die Her
stellungskosten und Verkaufspreise einzelner
Gebäude. So ist das Theater „Alt-
Berlin", dessen Bau 240000 Mk. kostete,
für 8800 Mark auf Abbruch verkauft.
Verlust: 231 200 Mark. Die Bauarbeiten
für die Sonderausstellung „Alt - Berlin"
erforderten 260000 Mark, verkauft wurden
die sämmtlichen Gebäude für 11 000 Mark.
Der Pavillon der Trachten - Ausstellung,
dessen Einrichtung 20000 Mark gekostet
hat, ist für 500 Mark weiter veräußert
worden; der Pavillon der Zwölf-Apostel-
Uhr, welcher für 1000 Mark verkauft
worden ist, brachte dem Besitzer einen
Verlust von 5000 Mark. Das riesige
Zeltgebäude des Theaters „Neu-Berlin",
welches 60000 Mark gekostet hat, wurde
für 14000 Mark nach Holland verkauft..
Bon zwölf Gebäuden, die unverkauft be
reits niedergerissen wurden und deren
Aufbau zusammen 410 000 Mark kostete,
konnten nur Balken und Bretterlagen Ver
wendung finden, die eine Gesammteinnahme
von rund 10000 Mark ergaben. Weitere
dreißig Gebäude, welche noch als ver
käuflich auf dem Ausstellungsplatz stehen
und abgerissen werden müssen, repräsen-
tiren ein Aufbaukapital von über einer
halben Million Mark, welches jedenfalls
zum größten Theile verloren gehen dürfte.
Bei dieser Berechnung sind die großen
Baulichkeiten, wie das Hauptrestaurant
II. s. w., ausgeschlossen.
Zum Balle hatte sich die Tochter des
Agenten N. in Rummelsburg (Pommern)
geschminkt. In der Nacht schwoll ihr das
Gesicht und der Oberkörper an; das Mäd
chen wurde in die Klinik gebracht, wo es
unter gräßlichen Schmerzen gestorben ist.
Tie Schminke war mit Anilin versetzt,
das Blutvergiftung herbeigeführt hatte.
Der den Besuchern der Rudelsburg
bei Kösen bekannte Harmonikaspieler
Müller, ein Meister ans seinem Instrument,
hat nach der „grkf. Ztg." in Freiroda
durch Erhängen seinem Leben ein Ende
gemacht. Auf dem Wege zur Rudelsburg
hatte er gewerbsmäßig seine Kunst be-
trieben, und zwar genau auf der Grenz,
linie zwischen Preußen-Meiningen
Nicht im Besitz eines preußischen Ge
werbescheines, zog er stets seine aus
preußischem Gebiet ruhenden Füße bis
auf Meiningsches Gebiet zurück, sobald
er nach seinem Gewerbeschein, dessen er
für sein Meiningsches Vaterland nicht be
durfte, gefragt wurde.
Eine bedeutende Erbschaft ist
zwei Brüdern in Goslar am Harz in Folge
einer merkwürdigen Veranlaffung zuge
fallen. Es war im Jahre 1864 in, dä
nischen Kriege, als dew Vater der beiden
jungen Leute den jetzt verstorbenen Erb
lasser, der von einem dänischen Geschoß
schwer verwundet worden war, mit eigener
Lebensgefahr mitten ans dem dichtesten
Kugelregen trug und ihm auf solche Weise
das Leben rettete. „Wilhelm, das vergesse
ich Dir nicht", hatte der Schwerverwuii»
dete seinem Kriegskameraden wiederholt
Viele Jahre sind seitdem ver-
Der wackere Lebensretter ruht
längst in der kühlen Gruft, und jetzt hat
sich auch die Erde über dem Grabe des
anderen Mitkämpfers für ,,Schleswig-Hol-
- versichert
gangen.