Full text: Newspaper volume (1896, Bd. 2)

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WO. 278. 
Ireitag, Sen 27. Wovember 
1896. 
Morgen-Berichte. 
Kiel, 27. Nov. Frau Prinzessin Hà 
rich ist heute von einem Prinzen glücklich 
entbunden. Dir im Hafen liegenden Kriegs 
schiffe haben über Toppen gestaggt und 
falutirten. 
Kiel, 26. Nov. Heute Morgen begab 
sich der Kaiser an Bord des Torpedover- 
suchsfchiffes „Friedrich Karl" auf die Bußen 
söhrde, wo Seemanöver vorgenommen wer- 
den. Die Abreise des Kaisers von hier 
ist auf morgen Mittag festgesetzt -worden. 
Hamburg, 26. Nov. Heute Morgen 
haben die Ewerführer die Arbeit nieder 
gelegt. 8000 Personen streiken bis-.jetzt. 
Bon etiva 300 im Hafen liegenden Schiffen 
arbeiten 28. 
Berlin, 26. Nov. In dem Preßprozeß 
gegen Leckert und Genosse si n-d, -wie die 
„Staatsbürgerztg." meldet, von-der Staats- 
ünwaltschaft nachträglich noch fünf weitere 
Zeugen geladen worden. 
Berlin, 26. Nov. Zweifellos sind der 
„Nordd. Allg. Ztg." zufolge, die aus die 
Verstärkung der Garnison der Insel Hel 
goland bezüglichen Erörterungen der Presse 
auf die Einstellung einer Forderung von 
200 000 Mk. in den Marineetat für den 
Bau einer Kaserne auf Helgoland, ein 
schließlich Grunderwcrb, zurückzuführen. 
Breslau, 26. Nov. Heute Vormittag 
brach, wie der „Brest. Generalanzeiger" 
berichtet, in der Zuckerfabrik in Lüben ein 
Brand aus, der den Dachstuhl vollständig 
zerstörte. Nur dem Umstande, daß das 
Wasser des Reservoirs sich auf den Boden 
ergoß, ist es zu danken, daß die Fabrik 
vor dem gänzlichen Abbrennen verschont 
blieb. Der Betrieb ist auf -circa acht Tage 
gestört. 
Bochum, 26. Nov. In dem benach 
barten Röhlinghausen wurde gegen eine 
Gastwirthschaft ein D y n a m it - Atten 
t a t ausgeführt. Drei Personen sind schwer 
verletzt, das Haus ist demolirt. 
Frankfurt a. M., 26. Novbr. In dem 
bekannten Zeugnißzwangsverfahren gegen 
die „Franks. Ztg." ist gegen den verant 
wortlichen Redakteur Alexander Giesen 
eine Geldstrafe von 2OO Mark verhängt 
und zugleich eine Zwangshaft vom 4. Dez. 
an verfügt worden. Gegen diese Ent 
scheidung hat der Betroffene sofort Be 
schwerde eingelegt. 
Brüffel, 26. Novbr. Infolge der zahl 
reichen Conferenzen, welche der armenische 
-Professor Thumajan über die -traurige 
Lage in Armenien gegeben, hat sich hier 
ein Ausschuß gebildet mit dem Zwecks 
Unterstützungen für die Armenier.zuffam- 
meln. Unter den Mitgliedern .dieses 
Coiuitees befindet sich oer katholische 
Claarsminister Lejeune, der socialistische 
Abgeordnete Viktor Demie, der raSl'ate 
Abgeordnete Laurant und der Priester 
Dhoens. 
Lyon, 26. yioo. Gestern kam es am 
Schluffe eines Meetings der Konservativen 
und Antisemiten zu einer blutigen Schlä 
gerei, wobei ein Redakteur arg zugerichtet 
-wurde. Ein Abgeordneter wurde verhaftet 
Triest, 26. Novbr. Hier herrscht eine 
-Bora von außerordentlicher Heftigkeit 
Ter Lloyd-Dampfer „Semiramis" de- 
Alexandrinischen Eil-Linie wurde, mit 
Passagieren und Waaren von Alexandrien 
kommend, durch eine heftige Bora gegen 
den Wellenbrecher geworfen. Der Kapitän 
konnte diesen Stoß durch eine entsprechende 
Mauövrirung ablenken. Der Dampfer 
erlitt nur geringen Schaden, die Passagiere 
blieben unversehrt. 
Triest, 26. Nov. Die seit gestern Herr- 
schende Bora gehört zu den heftigsten der 
letzten Jahre. Seit den gestrigen Abend 
stunden ist der Verkehr gelähmt; auch der 
Wagenverkehr hat eingestellt werden müssen. 
-Zahlreiche Personen sind verunglückt. Im 
Hafen ereigneten sich mehrere nickt unbe- 
deutende Ünglücksfäüe. Die Schifffahrt 
>st unterbrochen. 
London, 26. Nov. Obgleich man hofft, 
baß die Rheder zu Hull die Differenzen 
8 >it den Dockarbeitern gütlich beilegen wer 
ļj e a, herrscht die Besorgnis, daß der Streit 
-kr Tockarbeiter sich auf ganz England 
"vsdehnen könne, besonders wenn die Frage 
"kr Ausladung der Hamburger 
acut wird. Viel hängt von dem noch un 
bekannten Ausfall der Abstimmung des 
Vereins der See- und Feuerleute über die 
Proklamiruiig des allgemeinen Ausstandes, 
ab. Die Internationale Föderation traf 
umfaffende Vorbereitungen für den even 
tnellen Generalstreik. 
Mailand, 26. Nov. 200 Hafenarbeiter 
welche in der heutigen Nacht von Genua 
nach Hamburg abfahren sollten, wurden 
auf Befehl des Präfekten, welcher Italie 
ner-Verfolgungen wie in Zürich befürchtet 
festgehalten. Der Präfekt telegraphirte -an 
die Regierung um Ertheilung von In 
struktionen. 
Deutscher Reichstag. 
133. Sitzung. 
Berlin, 26. November. 
Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die 
Interpellation des Abg. Auer (Soc.-Deim) und 
Gen. über die Z o l l b e h a n d Ì u n g ferner 
L e d e r w a a r e n in Rußland. 
Nach der Verlesung der Interpellation durch 
den Vicepräsidenten Schmidt erklär! 
Staatssekretär Dr. v. Boetticher: Zu 
meinem Bedauern sehe ich mich genöthigt, die 
Beantwortung der Interpellation abzulehnen. Es 
schweben z. Zt. hier in Berlin internationale 
Verhandlungen rücksichtlich der Wünsche und Be 
schwerden, die über die Ausübung unseres.Handels- 
verlrages mit Rußland laut' geworden -sind. 
Bevor diese Verhandlungen nicht zum Abschluß 
gekommen sind und bevor die Vereinbarungen, 
die als Ergebniß dieser Verhandlungen -getroffen 
werde», die Zustimmung der betheiligten Regie 
rungen gefunden haben, erscheint es nicht ' im 
Interesse der deutschen Wirthschastspolitik, daß 
ein Gegenstand in diesem Hause öffentlich be- 
hanvelt wird, der einen wesentlichen Theil, jener 
Berathungen ausmachen wird. Nun konnte inan 
ja den Einwand erheben, daß dieser Grund nur 
die augenblickliche Beantwortung der Interpellation 
ausschließe, daß er aber einer späteren Beant 
wortung derselben nicht hinderlich sei. Ich würde 
mich nun gern sofort zur Beantwortung-an-einem 
ipäteren Termin bereit erklären, -wenn -ich mit 
einiger Sicherheit den Termin, an dem das 
möglich ist, übersehen könnte. Das -ist -heute nicht 
der Fall; die Berathungen haben eben erst be 
gonnen. Außerdem besteht ja aber die Möglichkeit 
und ist es denkbar, daß der Anlaß, der zu der 
Jnterpellation geführt har, durch bie internationalen 
Verhandlungen beseitigt werden wird. Ich bin 
deshalb außer Stande, etwas anderes als - die 
Ablehnung saus pliraso zu erüären und den 
Herren Interpellanten anheimzugeben, zu geeig 
neter Zeit auf den Gegenstand zurückzukommen 
Abg. Ulrich (Socialdem.) beairtragt, trotz der 
ablehnenden Antwort des Staatssekretärs in eine 
Besprechung der Interpellation einzutreten. 
Bicepräsident Schmidt: Der Antrag bedarf 
der Unterstützung voi; 50 Mitgliedern. (Es er 
heben sich nur die anwesenden Socialdemolraten ) 
Die Unterstützung reicht nicht aus. Wir verlassen 
daher diesen Gegenstand. 
Es folgt die Interpellation der Abgg. Auer 
und Genossen, betreffend die Besteuerung der 
sächsijchen Consumvereine. 
Preußischer Landtag. 
Abgeordnetenhaus. 
5. Sitzung vom 26. Noo., 14 Uhr. 
Erste Lesung deS Lehrerbeso Ldrengs- 
g e s e tz e s- 
Abg. Knöricke (frf. Vp) bedauert, daß trrtz 
des guten Willens des Kultusministers den 
Lehrern wiederum nichl gewährt fei, was ihnen 
von Gottes und Rechts wegen gebühre. Ins 
besondere sei eine Erhöhung des Grundgehalts 
und der Alterszulagen zri fordern (Zustimmung 
links). Bedeiikiich sei die Bevorzugung des 
platten Landes vor den großen Städten. -Er 
hoffe, daß der Finanzminister in der Kommission 
noch werde mit sich reden lassen. (Rufe: 3ia! Aal- 
Ach, der Herr Finanzinmister, so entgegnst 
Redner auf den Zwischenruf, ist unter Umständen 
garnicht so schlimm. (Heitcrk.) 
Abg. Dr. Porsch (Cent:.) erklärt, seine 
Fraktion habe, .wie im vorigen Jahre, auch gegcn- 
dchsen Entwurf prinzipielle und taktische Bedenken, 
weil sie die Regelung des gesammten Bolļsschul- 
ge-sttzeo und zwar auf chrfftUcher Grundlage sor- 
dere, (Bravo! im Centrum und rechts). Die 
Stellung des CciîLrums zu der Aenderung der 
Bestimmungen über die Alterszulagekaffen mache 
cs von den weiteren Erklärungen der Regierung 
abhängig. Das Grundgehalt/ bas ja nur ein 
Mindeßtgrundgehalr sei, werde sich kaun, höher 
festsetzen lassen, wohl aber hoffe das Centrum, 
in der Kommission die Bestimmungen über die 
Alterszulagen noch verbessern zu können. Leider 
ei der vorjährige Kommissionsbeschlutz zu Gunsten 
der Lehrer au Privatanstalten in die jetzige Vor 
lage nicht aufgenommen worden. Redner beantragt 
Verweisung der Vorlage an eine Ltgliedrige 
Kommission. (Leis, im Centrum). 
Abg. v. T schoppe (frk.) hält das vorgeschlagene 
Mindestgrundgehalt für zu niedrig' und 'den 
gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr ent 
sprechend. Das Entgegenkommen gegen die 
großen Städte bezüglich der Staatszuschüffe sei 
sehr bedeutend (Lachen liuks). Redner empfiehlt 
Erhöhung desMimmalgeyalts auf 1000 Mark. 
Außerdem würden feine Freunde auch an der 
Erhöhung der Alterszulagensätze über die Vpr-> 
läge hinaus unbedingt festhalten. Ferner sei 
eine Vorlage zur Aufbesserung der Wittwen- «nd 
Waisengehälter zu fordern, sobald die finanzielle 
Besserung eine dauernde geworden sei. (Bravo! 
rechts). 
ķ Abg. v - H e >) d e b r a n d (kons.) kritisirt scharf 
die Aenderungen gegen die frühere Vorlage zu 
Gunsten der großen'Städte. 
Redner betont gegenüber dem Vorredner, daß 
seine Partei unter keinen Umständen einer 
Steigerung der Belastung der kleinen Städte 
zu Gunsten der Lehrer zustimmen könne. (Leb 
haste Zustimmung rechts.) Einer Erhöhung der 
Gchalisätze könnten seine Freunde eventuell zu- 
stinimc», wenn der Finanzminister mit einer 
-Erhöhung der Staatsleistungen einverstanden 
sei oder aber die Staatsleistungen an die-großen 
Städte entsprechend gekürzt würden. (Lachen 
links.) 
Kultusminister Dr. Bosse glaubt 
konstatiren zu können, das; die Aufnahme 
der Vorlage im Hause im Allgemeinen eine 
sympathische sei. Er werde jedenfalls stets alles 
thun, um die Lage der Lehrer möglichst zu ver 
bessern. (Beifall.) Die Zugeständnisse - an die 
großen Städte seien nur dem dringcndctl Wunsche 
nach baldmöglichstcm Zustandekommen des Ge 
setzes entsprungen. Alles komme der Regierung 
darauf an, nicht wieder vergebens gearbeitet zu 
haben. (Beifall.) 
Abg. No eile (nl.) ist erfreut über das Ent 
gegenkommen der Staatsregicruiig gegen die 
großen Städte, bedauert aber, daß' mich die 
jetzige Vorlage die Anerkennung des Prinzips 
missen lasse: Was die Städte haben, sollen sic 
auch Inhalten. Seine Freunde würden bei dem 
entsprechenden Antrage Sattler vom vorigen 
Jahre beharren. 
Abg. v. Kardorff (srk.) meint, wenn man 
wolle, daß die Schulen Gemcindcanstalten blei 
ben, so müsse man auch die Gemeinden leistungs 
fähiger machen, durch Einschlagen einer anderen 
Wirthschastspolitik. Er empfehle dringend Er 
höhung des Grundgehalts und der Alterszulagcn. 
Sollte dieses Gesetz wieder scheitern, so würde 
er für seine Person, so lange die Lehrerbe- 
soldungsfragc nicht geregelt sei, keinem Geseke 
zustimmen, das die Beamtcngehülter aufbessere. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete 
Der völlig erblindete Newhorker Milli 
onär Charles R ouß hat Edison 1000000 
Doll, versprochen, falls er ihm sein Augen 
licht wieder verschafft. Es handelt sich 
aber um Atrophie der Augennerven. 
Italic«. 
Nom, 25. Nov. Als König Humbert 
heute seine übliche Spazierfahrt machte, 
näherte sich seinem Wagen ein Mann in 
anständiger, bürgerlicher Kleidung, um ihm 
eine Bittschrift zuzuwerfen. Ehe er sein 
Vorhaben ausführen konnte, wurde er von 
einem dem Wagen des Königs folgenden 
Polizisten und einigen Carabinieri ver 
haftet. Darauf zerriß er in größter Wuth 
das Blatt Papier in kleine Stücke; es 
war ein „Aktenstück", das ihm feinen 
militärischen Abschied gab. Der Mann 
wvllte vom König Unterstützung -für seine 
in Afrika geleisteten Dienste erbitten. Er 
wurde in das Gefängniß von Aracoeli 
eingeliefert. 
Rom, 26. November. Gelegentlich der 
Hochzeit ihres Sohnes äußerte Königin 
Margherita von Italien zu ihren Ver> 
tramen: „Ich hoffe, daß der König, -wenn 
ich nun-Großmutter geivorden fein werde, 
mir nicht mehr verbieten wird, eine Brille 
zu tragen." — Diese „Brillenfrage" sagt, 
man, fei JDer öftere Gegenstand eines kleinen 
häuslichen Zwistes in der italienischere 
Königsssmilie. Jedesmal, wenn der König 
seine Gemahlin, die etwas schwache Augen 
hat, beim Lesen mit einer Brille überrascht, 
sagt er mit -einem leichten Aerger in der 
Stimme: „Wargherita, bitte lege doch 
die Brille weg." Wenn die Königin dann 
darauf zu bestehen versucht, das Augenglas 
nsch weiter zu benutzen, fügt er hinzu: 
„Margherita, wenn Du die Brille nicht 
fortlegst, fange ich an zu singen!" Die 
Kömgin, die sehr musikalisch ist, hat gegen 
Mißtöne ein außerordentlich empfindliches 
Ohr und vor den falschen Noten ihres 
Gemahls eine so große Furcht, daß sie 
sofort dem eheherrlichen Wunsche willfahrt 
und die beanstandeten Gläser bei Seite 
legt, um sich vor dem „Gesänge" des 
Königs zu retten. 
Der „L.-A." berichtet: Die Studenten 
der Universität Pavia haben einen Aufruf 
an alle ihre italienischen Commilitonen 
erlassen, um sie zur Theilnahme an einer 
Studienreise nach Ä e r l i n, die in den 
nächsten Osterferien stattfinden soll, ein 
zuladen. 
Rußland. 
Tiffis, 26. Nov. Fürst Tussijew ivurde 
wegen Entführung eines jungen Mäd 
chens zur Verbannung ins Gouvernement 
Archangel auf 10 Jahre verurtheilt. 
In Zengorzc (Russisch-Polen) hat sich 
ein großes Grubenunglück ereignet Es 
wird davon gesprochen, daß 30 Bergleute 
den Tod gefunden haben. Nähere Nach 
richten fehlen noch. 
Belgien- 
Aus Rache haben im belgischen Dorfe 
Westerodc mehrere Bauern einen schlafen 
den Einwohner Namens Debouter, mit 
Petroleum begossen und ihn dann 
angezündet- Der Unglückliche ver 
brannte. Sechs Thäter ivurden verhaftet. 
Inland. 
Berlin, 26. Nov. Das „Volk" hatte 
kürzlich aus „absolut sicherer Quelle" 
wissen wollen, daß Wilhelmshöhe bei 
Kassel als künftige Residenz des Kaiser- 
paares in Aussicht genommen sei. Die 
„Nordd. Allg. Ztg." ist beauftragt, diese 
Angabe als lediglich auf Erfindung be 
ruhend zu bezeichnen. Wie schon in den 
letzten Jahren werde Schloß Wilhelms 
höhe auch künftig für einige Wochen als 
Sommeraufenthalt wohl benutzt werden, 
es sei jedoch an zuständiger Stelle von 
der Absicht nichts bekannt, den ständigen 
Sommersitz dorthin zu verlegen. 
— Die jetzt im Reichstag zur Berathung 
stehende Justiznovelle wird uns 
allem Anschein nach noch viel zu schaffen 
machen. Wenn man den Sitzungssaal 
zwar ansieht, in welchem die Vorlage in 
Gegenwart von drei, vier Dutzend Abge 
ordneten berathen wird, sollte man glauben, 
es handle sich um ein ganz unbedeutendes, 
der Volksvertretung und dem Volke gleich 
gültiges Gesetz. In Wirklichkeit aber liegt 
die Sache ganz anders. Gerade der Justiz 
novelle wegen ist im letzten Sommer die 
Reichstags-Session nicht geschlossen, sondern 
nur vertagt worden. Die Justiznovelle 
sollte und will zwei sehr alte Forderungen 
der öffentlichen Meinung erfüllen; die Ein 
führung der Berufung in Strafkammer- 
fachen und die Entschädigung für unschul 
dig erlittene Strafthaft. Leider hat die 
Regierung sich nicht entschließen können, 
nur diese zwei von ihr selbst nunmehr als 
berechtigt anerkannten Forderungen schlank 
zu befriedigen, sie hat ihrerseits Gegen- 
sorderungen aufgestellt, die, wie die Dinge 
jetzt stehen, daß Zustandekommen der Vor-, 
tage, d. h. also die Berujung und die Ent 
schädigung unschuldig Berurtheilter ernst- 
lich gefährden. Die formelle nicht nur, 
sondern die eigentliche Entschädigung wird 
dieses Mal erst ^die dritte Lesung bringen. 
Da wird der Sitzungssaal des Reichtags 
ein ganz anderes Bild gewähren, als jetzt 
bei der zweiten, obschon diese sonst die 
Hauptlesung ist. 
— Bei dem Strafverfahren gegen die 
Journalisten von Lützvw, Leckert 
und Gen., das am 2. Decbr. zur Haupt- 
Verhandlung kommt, ivird die Leffeiillichkcit 
nicht ausgeichlosseii. Denn es handelt sich 
nach der „Köln. Ztg." gerade darum, ge- 
richtlich eine Ansktärung darüber herbei 
zuführen, ob in der That ein wohlorgani- 
strter Kreis von Intriganten, angeblich 
unter Benutzung von Geheimpolizisten, 
plannt äßig lügenhafte und ver 
leumderische Ausstreuungen vor 
genommen habe, um die leitenden 
Kreise durchcinanderzuhetzen und unter 
anderm auch den grhrn. von Marschall 
beini Kaiser anzuschwärzen, indem man 
ihm unehrlicher Werse die Urheberschaft 
von Zeitungsartikeln zuschob, die im Früh 
jahr d. I. die damals der Militär-Stras- 
proceßorduuiig entgegenstehenden Hindernisse 
erörterten. 
— Der einzige mit dem Eisernen 
Kreuz erster Klasse ausgezeichnete, 
noch aktiv dienende Unterosffzier der Armee 
ist der Wachtmeister Kettlitz vom ersten 
Brandenburg. Dragoner-Regiment Nr. 
in Schwedt an der Oder. Er hat sich die 
ehrenvolle Auszeichnung im Feldzuge gegen 
Frankreich dadurch erworben, daß er, um 
dem General Schmidt wichtige Meldungen 
zu überbringen, zweiinal durch den dichtesten 
Kugelregen ritt und dabei 24 Meilen in 
26 Stunden zurücklegte. Als Kaiser 
Wilhelm 4L 1889 bei den Manövern um. 
Jüterbog das Kreuz auf der Brust des 
Unteroffiziers sah, schüttelte er ihm die 
Hand mit den anerkennenden Worten: 
„Sie können sich rühmen, der einzige 
Unteroffizier der ganzen Armee zu sein, 
welcher diesen schönen Orden trägt." 
Kettlitz wurde ferner gelegentlich des 
Kavallerie - Exerzierens bei Demmin vor 
Beginn der letzten Kaisermanöver vom 
Kaiser bei der Kritik in den Kreis der 
Offiziere befohlen und von dem Monarchen 
persönlich begrüßt und beglückwünscht. Er 
erfreut sich noch großer Rüstigkeit und 
beabsichtigt daher, auch noch fernerhin im 
Dienste zu bleiben. 
Welch' enorme Summen bei den 
Bauten in der Berliner Gewerbe-A us- 
stellung verloren gegangen sind, 
zeigen nachstehende Angaben über die Her 
stellungskosten und Verkaufspreise einzelner 
Gebäude. So ist das Theater „Alt- 
Berlin", dessen Bau 240000 Mk. kostete, 
für 8800 Mark auf Abbruch verkauft. 
Verlust: 231 200 Mark. Die Bauarbeiten 
für die Sonderausstellung „Alt - Berlin" 
erforderten 260000 Mark, verkauft wurden 
die sämmtlichen Gebäude für 11 000 Mark. 
Der Pavillon der Trachten - Ausstellung, 
dessen Einrichtung 20000 Mark gekostet 
hat, ist für 500 Mark weiter veräußert 
worden; der Pavillon der Zwölf-Apostel- 
Uhr, welcher für 1000 Mark verkauft 
worden ist, brachte dem Besitzer einen 
Verlust von 5000 Mark. Das riesige 
Zeltgebäude des Theaters „Neu-Berlin", 
welches 60000 Mark gekostet hat, wurde 
für 14000 Mark nach Holland verkauft.. 
Bon zwölf Gebäuden, die unverkauft be 
reits niedergerissen wurden und deren 
Aufbau zusammen 410 000 Mark kostete, 
konnten nur Balken und Bretterlagen Ver 
wendung finden, die eine Gesammteinnahme 
von rund 10000 Mark ergaben. Weitere 
dreißig Gebäude, welche noch als ver 
käuflich auf dem Ausstellungsplatz stehen 
und abgerissen werden müssen, repräsen- 
tiren ein Aufbaukapital von über einer 
halben Million Mark, welches jedenfalls 
zum größten Theile verloren gehen dürfte. 
Bei dieser Berechnung sind die großen 
Baulichkeiten, wie das Hauptrestaurant 
II. s. w., ausgeschlossen. 
Zum Balle hatte sich die Tochter des 
Agenten N. in Rummelsburg (Pommern) 
geschminkt. In der Nacht schwoll ihr das 
Gesicht und der Oberkörper an; das Mäd 
chen wurde in die Klinik gebracht, wo es 
unter gräßlichen Schmerzen gestorben ist. 
Tie Schminke war mit Anilin versetzt, 
das Blutvergiftung herbeigeführt hatte. 
Der den Besuchern der Rudelsburg 
bei Kösen bekannte Harmonikaspieler 
Müller, ein Meister ans seinem Instrument, 
hat nach der „grkf. Ztg." in Freiroda 
durch Erhängen seinem Leben ein Ende 
gemacht. Auf dem Wege zur Rudelsburg 
hatte er gewerbsmäßig seine Kunst be- 
trieben, und zwar genau auf der Grenz, 
linie zwischen Preußen-Meiningen 
Nicht im Besitz eines preußischen Ge 
werbescheines, zog er stets seine aus 
preußischem Gebiet ruhenden Füße bis 
auf Meiningsches Gebiet zurück, sobald 
er nach seinem Gewerbeschein, dessen er 
für sein Meiningsches Vaterland nicht be 
durfte, gefragt wurde. 
Eine bedeutende Erbschaft ist 
zwei Brüdern in Goslar am Harz in Folge 
einer merkwürdigen Veranlaffung zuge 
fallen. Es war im Jahre 1864 in, dä 
nischen Kriege, als dew Vater der beiden 
jungen Leute den jetzt verstorbenen Erb 
lasser, der von einem dänischen Geschoß 
schwer verwundet worden war, mit eigener 
Lebensgefahr mitten ans dem dichtesten 
Kugelregen trug und ihm auf solche Weise 
das Leben rettete. „Wilhelm, das vergesse 
ich Dir nicht", hatte der Schwerverwuii» 
dete seinem Kriegskameraden wiederholt 
Viele Jahre sind seitdem ver- 
Der wackere Lebensretter ruht 
längst in der kühlen Gruft, und jetzt hat 
sich auch die Erde über dem Grabe des 
anderen Mitkämpfers für ,,Schleswig-Hol- 
- versichert 
gangen.
	        
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